PRO 33 2008 · 2020-03-04 · AUSGABE 33 · JULI/AUGUST 2008 · BONN und die REGION Evangelische...

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Liebe Leserin, lieber Leser! Sekten ist das Schwerpunkt- thema dieser Ausgabe. Ich er- innere mich noch genau. Exo- tisch sahen sie aus und führten sich auch so auf. Ihre orange- nen Gewänder, ihre Trom- meln, ihr Singsang in der Kölner Schildergasse – mehr als ein müdes Lächeln haben die Bhagwan-Jünger vor Jahren bei mir nicht hervorge- rufen. Eine gefährliche Sekte sollten sie sein? Für mich waren sie Teil der 68er-Bewe- gung mit Flower-Power und Hare Krishna und eher harm- los. Erst später hörte ich von Persönlichkeitsveränderungen und angeblicher Gehirnwäsche und wurde hellhörig. Macht das eine Sekte aus? Manipula- tion von Menschen, Schwarz- weiß-Denken, Unterteilung in Gute und Böse, Überbetonung eines Glaubenssatzes, Intole- ranz? Ich frage mich: Was macht eine Sekte zur Sekte? Neben den äußeren Kenn- zeichen wie Organisation und Struktur gibt es für mich als wichtigstes Kriterium die Freiheit. Menschen müssen die Möglichkeit haben, eine Ge- meinschaft aus freien Stücken verlassen zu können, ohne Schäden an Leib und Seele befürchten zu müssen. Dazu gehört auch die Beziehung zu anderen Mitgliedern auf Augenhöhe. Eben kein Guru als Anführer, dem ich blind und um jeden Preis folge. »Zur Freiheit hat Christus uns be- freit«, schreibt Paulus im Ga- laterbrief. Deshalb würde ich heute über die Bhagwan-Jün- ger nicht mehr lächeln. Und ich bin kritisch gegen alle auto- ritären Tendenzen in der Ge- sellschaft und unserer Kirche. Ihr Hans Joachim Corts Superintendent – Kirchenkreis An Sieg und Rhein – Kirche im Visier: Scientology sucht Öffentlichkeit 2 Sekten in Bonn und Umland: Schwer aktive Region 3 Wenn die Welt zusammenbricht: Diakonie – Betreutes Wohnen 5 Paralympics 2008 in Peking: Fragebogen mit Rainer Schmidt 5 Unsere Themen Die Evangelische Kirche in Deutsch- land (EKD) wird laut Präses Nikolaus Schneider auch nach Umzug des Evangelischen Entwicklungsdienstes (eed) in Bonn präsent sein. Es sei da- mit zu rechnen, »dass die EKD ihre friedenspolitischen Aktivitäten künf- tig in Bonn bündeln wird«, erklärt Schneider gegenüber PROtestant. Als Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland sei er »unglücklich« über den Wegzug des eed aus Bonn. Der neue gemeinsame Standort von »Brot für die Welt« und eed in Berlin sei für die Diakonie aber »nicht verhandel- bar« gewesen. »Die Fusion durfte nicht an der Frage des Standorts scheitern«, betont Schneider, der zu- gleich Aufsichtsratsvorsitzender des eed ist. Er kündigt weitere Gespräche mit der Politik an, damit »die Ent- scheidung nachvollziehbar wird«. (Seite 8) ger AUSGABE 33 · JULI/AUGUST 2008 · BONN und die REGION Evangelische Einblicke PRO TESTANT Opfer auf dem Weg ins Licht Der verzweifelte Versuch, ein Kind zu schützen Keine Chance: Die Trennung der Familie war vorausgesagt. eed-Umzug Evangelische Kirche bleibt in Bonn präsent Liebe und Frieden lautet das Versprechen. Karin Müller (Na- men geändert) hat das anders erlebt in den sechs Jahren, seitdem sich ihr Mann Stefan auf den »Weg ins Licht« gemacht hat. Die Ehe ist geschieden, für das gemeinsame Kind ist nach auf- reibenden Monaten der Klärung durch Gerichte und Jugendämter das alleinige Sorgerecht für die Mutter er- stritten. »Ich habe immer gedacht, das passiert mir nicht«, sagt Karin Müller. Vor acht Jahren begann sich Stefan mit »Lichtenergie« zu beschäftigen und »Lichtkegel« in Krisengebiete zu ver- schicken. Drei Jahre waren sie da ver- heiratet. Karin erkannte Stefan bald nicht mehr wieder. Ein Lichtzentrum in Königswinter wurde seine geistige Heimat. Er kündigte Job und Freun- deskreis. Knackpunkt war für Karin ein mehrwöchiger Besuch ihres Man- nes im Elsass im »Château Amritab- ha«, dem Zentrum der Gruppe um den Bonner Esoteriker Frank Eicker- mann, der sich als Wiederverkörpe- rung des Feuergottes Agni versteht. »Mein Mann kam zurück und wir soll- ten ihn mit seinem neuen Namen an- reden – da kam ich nicht mehr mit.« Ein indisch klingender Name, Aus- druck einer neuen Identität. In der Wohnung wollte er einen Altar errich- ten, um zweimal am Tag vor Bildern esoterischer Meister zu meditieren. Seine Frau war ratlos: »Ich habe noch nie erlebt, wie ein Mensch seine Persönlichkeit so verändert.« Es kam dann schnell zur Trennung. Ihrem Mann war das bereits von der Leiterin des Lichtzentrums in Königswinter vorausgesagt worden, für den Fall, dass die Ehefrau den »Weg ins Licht« nicht mit antreten wolle. Dramatisch wurde es im Kampf um das Kind. Der Vater wollte das Kind. Entgegen seiner Zusicherung nahm er die damals zweijährige Toch- ter mit in das Lichtzentrum. Laut Selbstvorstellung des Zentrums wer- den Kindern dort »auf spielerische und meditative Weise in Kontakt gebracht mit Steinen und Kristallen, mit Ster- nenlicht, mit Engeln und mit der Na- tur«. So sollen Kinder, heißt es auf der Homepage, »die verschiedenen Unter- stützungsebenen aus der Welt des Lichts kennenlernen, gewinnen Ver- trauen in ihr eigenes Licht und können dadurch leichter leben«. Kampf mit den Behörden Die Mutter aber erlebte, wie ihr Kind Eva »apathisch« von den Besuchen beim Vater zurückkam und über Stun- den nicht ansprechbar war. »Es zitter- te am ganzen Körper und sprach zeit- weise sinnlose Worte.« Lautloses Reden sei eine Technik im Lichtzentrum, ver- mutete Karin Müller später. Eva sträubte sich zunehmend, ihren Vater zu besuchen. Sie hatte Angst, weinte die halbe Nacht, zog sich zurück, kotete und nässte ein und hatte massive Ekel- gefühle, erzählt die Mutter. Die Eltern stritten um ihr Kind. Das Jugendamt befürwortete zunächst, dass der Kontakt mit dem Vater ge- wahrt werden müsse. Der Vater unter- stellte der Mutter »Angstneurosen« und nannte sie »sorgerechtsunfähig«. Beratungsstellen vermuteten einen »Rosenkrieg« der Eheleute. Die Wo- chen vergingen. Eva war jedes zweite Wochenende beim Vater. »Als ob du gegen eine Wand läufst«, schildert die Mutter den Kampf um ihr Kind und gegen Behördeneinschätzungen. Dann wurden die Besuche von der Mutter unterbunden, der Vater klagte vor Ge- richt. »Muss erst das Schlimmste pas- sieren, bis Kinderrechte geschützt wer- den«, fragt sie heute noch. Mithilfe diverser Gutachten und selbsterstellter Dokumentationen ge- lang es der Mutter nach einem halben Jahr verzweifeltem »Gefühlschaos« durchzusetzen, dass ihre Tochter fort- an nur in Begleitung einer dritten Per- son ihre Zeit mit dem Vater an einem neutralen Ort verbringen durfte. »Viel zu spät« aus Sicht der Mutter, aber immerhin stellte nach einem Jahr ein Familiengericht die »Traumatisierung des Kindes im Umfeld des Vaters« fest und verfügte den »nur geschützten Umgang mit dem Vater«, und zwar »solange er der Glaubensrichtung an- gehört«. Die Lehren und die mit ihr verbundenen Praktiken seien »nicht kindgerecht«, von der Weltanschau- ung des Vaters gingen »das Kindes- wohl gefährdende Einflüsse« aus, ur- teilte das Gericht. Das alles ist fünf Jahre her. Nach der Scheidung brach der Vater sämtliche Kontakte zur Familie ab. Später gelang es der Mutter, das alleinige Sorgerecht durchzusetzen. Nach Strafanzeige zahlt der Vater immerhin Unterhalt für sei- ne Tochter. Ansonsten verläuft seine Spur im Sand. Irgendwo in den USA hat er angeblich neue Lichtzentren er- öffnet, hält aber in Europa Kurse ab, hat Karin Müller im Internet heraus- gefunden. Die zurückgelassene Familie musste sich sozial neu ordnen. Eva hat ihre Verhaltensauffälligkeiten verloren, selten frage sie noch nach ihrem Vater, erzählt die Mutter. Dann versucht Ka- rin Müller ihrer Tochter zu erklären, was sie selbst immer noch nicht verste- hen kann. Joachim Gerhardt Foto nachgestellt: J. Gerhardt

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Liebe Leserin, lieber Leser!Sekten ist das Schwerpunkt-thema dieser Ausgabe. Ich er-innere mich noch genau. Exo-tisch sahen sie aus und führtensich auch so auf. Ihre orange-nen Gewänder, ihre Trom-meln, ihr Singsang in derKölner Schildergasse – mehrals ein müdes Lächeln habendie Bhagwan-Jünger vorJahren bei mir nicht hervorge-rufen. Eine gefährliche Sektesollten sie sein? Für michwaren sie Teil der 68er-Bewe-gung mit Flower-Power undHare Krishna und eher harm-los. Erst später hörte ich vonPersönlichkeitsveränderungenund angeblicher Gehirnwäscheund wurde hellhörig. Machtdas eine Sekte aus? Manipula-tion von Menschen, Schwarz-weiß-Denken, Unterteilung inGute und Böse, Überbetonungeines Glaubenssatzes, Intole-ranz? Ich frage mich: Wasmacht eine Sekte zur Sekte?Neben den äußeren Kenn-zeichen wie Organisation undStruktur gibt es für mich alswichtigstes Kriterium dieFreiheit. Menschen müssen dieMöglichkeit haben, eine Ge-meinschaft aus freien Stückenverlassen zu können, ohneSchäden an Leib und Seelebefürchten zu müssen. Dazugehört auch die Beziehung zuanderen Mitgliedern aufAugenhöhe. Eben kein Guruals Anführer, dem ich blindund um jeden Preis folge. »ZurFreiheit hat Christus uns be-freit«, schreibt Paulus im Ga-laterbrief. Deshalb würde ichheute über die Bhagwan-Jün-ger nicht mehr lächeln. Undich bin kritisch gegen alle auto-ritären Tendenzen in der Ge-sellschaft und unserer Kirche.

Ihr

Hans Joachim CortsSuperintendent

– Kirchenkreis An Sieg und Rhein –

Kirche im Visier:Scientology sucht Öffentlichkeit 2

Sekten in Bonn und Umland:Schwer aktive Region 3

Wenn die Welt zusammenbricht:Diakonie – Betreutes Wohnen 5

Paralympics 2008 in Peking:Fragebogen mit Rainer Schmidt 5

Unsere Themen

Die Evangelische Kirche in Deutsch-land (EKD) wird laut Präses NikolausSchneider auch nach Umzug desEvangelischen Entwicklungsdienstes(eed) in Bonn präsent sein. Es sei da-mit zu rechnen, »dass die EKD ihrefriedenspolitischen Aktivitäten künf-tig in Bonn bündeln wird«, erklärtSchneider gegenüber PROtestant.AlsPräses der Evangelischen Kirche imRheinland sei er »unglücklich« überden Wegzug des eed aus Bonn. Derneue gemeinsame Standort von »Brotfür die Welt« und eed in Berlin sei fürdie Diakonie aber »nicht verhandel-bar« gewesen. »Die Fusion durftenicht an der Frage des Standortsscheitern«, betont Schneider, der zu-gleich Aufsichtsratsvorsitzender deseed ist. Er kündigt weitere Gesprächemit der Politik an, damit »die Ent-scheidung nachvollziehbar wird«.(Seite 8) ger

AUSGABE 33 · JULI/AUGUST 2008 · BONN und die REGION Evangelische Einblicke

PPRROO TTEESSTTAANNTTOpfer auf dem Weg ins LichtDer verzweifelte Versuch, ein Kind zu schützen

Keine Chance:Die Trennung der Familie war vorausgesagt.

eed-UmzugEvangelische Kirchebleibt in Bonn präsent

Liebe und Frieden lautet das Versprechen. Karin Müller (Na-men geändert) hat das anders erlebt inden sechs Jahren, seitdem sich ihrMann Stefan auf den »Weg ins Licht«gemacht hat. Die Ehe ist geschieden,für das gemeinsame Kind ist nach auf-reibenden Monaten der Klärungdurch Gerichte und Jugendämter dasalleinige Sorgerecht für die Mutter er-stritten.»Ich habe immer gedacht,daspassiert mir nicht«,sagt Karin Müller.

Vor acht Jahren begann sich Stefan mit»Lichtenergie« zu beschäftigen und»Lichtkegel« in Krisengebiete zu ver-schicken. Drei Jahre waren sie da ver-heiratet. Karin erkannte Stefan baldnicht mehr wieder. Ein Lichtzentrumin Königswinter wurde seine geistigeHeimat. Er kündigte Job und Freun-deskreis. Knackpunkt war für Karinein mehrwöchiger Besuch ihres Man-nes im Elsass im »Château Amritab-ha«, dem Zentrum der Gruppe umden Bonner Esoteriker Frank Eicker-mann, der sich als Wiederverkörpe-rung des Feuergottes Agni versteht.»Mein Mann kam zurück und wir soll-ten ihn mit seinem neuen Namen an-reden – da kam ich nicht mehr mit.«Ein indisch klingender Name, Aus-druck einer neuen Identität. In derWohnung wollte er einen Altar errich-ten, um zweimal am Tag vor Bildernesoterischer Meister zu meditieren.

Seine Frau war ratlos: »Ich habenoch nie erlebt, wie ein Mensch seinePersönlichkeit so verändert.« Es kamdann schnell zur Trennung. IhremMann war das bereits von der Leiterindes Lichtzentrums in Königswintervorausgesagt worden, für den Fall, dassdie Ehefrau den »Weg ins Licht« nichtmit antreten wolle.

Dramatisch wurde es imKampf um das Kind. Der Vater wolltedas Kind. Entgegen seiner Zusicherungnahm er die damals zweijährige Toch-ter mit in das Lichtzentrum. LautSelbstvorstellung des Zentrums wer-den Kindern dort »auf spielerische undmeditative Weise in Kontakt gebrachtmit Steinen und Kristallen, mit Ster-nenlicht, mit Engeln und mit der Na-tur«. So sollen Kinder, heißt es auf derHomepage, »die verschiedenen Unter-stützungsebenen aus der Welt desLichts kennenlernen, gewinnen Ver-trauen in ihr eigenes Licht und könnendadurch leichter leben«.

Kampf mit den Behörden

Die Mutter aber erlebte, wie ihr KindEva »apathisch« von den Besuchenbeim Vater zurückkam und über Stun-den nicht ansprechbar war. »Es zitter-te am ganzen Körper und sprach zeit-weise sinnlose Worte.« Lautloses Redensei eine Technik im Lichtzentrum, ver-mutete Karin Müller später. Evasträubte sich zunehmend, ihren Vaterzu besuchen. Sie hatte Angst, weinte diehalbe Nacht, zog sich zurück, koteteund nässte ein und hatte massive Ekel-gefühle, erzählt die Mutter.

Die Eltern stritten um ihr Kind.Das Jugendamt befürwortete zunächst,dass der Kontakt mit dem Vater ge-wahrt werden müsse. Der Vater unter-stellte der Mutter »Angstneurosen«und nannte sie »sorgerechtsunfähig«.Beratungsstellen vermuteten einen»Rosenkrieg« der Eheleute. Die Wo-chen vergingen. Eva war jedes zweiteWochenende beim Vater. »Als ob dugegen eine Wand läufst«, schildert dieMutter den Kampf um ihr Kind undgegen Behördeneinschätzungen. Dann

wurden die Besuche von der Mutterunterbunden, der Vater klagte vor Ge-richt. »Muss erst das Schlimmste pas-sieren, bis Kinderrechte geschützt wer-den«, fragt sie heute noch.

Mithilfe diverser Gutachten undselbsterstellter Dokumentationen ge-lang es der Mutter nach einem halbenJahr verzweifeltem »Gefühlschaos«durchzusetzen, dass ihre Tochter fort-an nur in Begleitung einer dritten Per-son ihre Zeit mit dem Vater an einemneutralen Ort verbringen durfte. »Vielzu spät« aus Sicht der Mutter, aberimmerhin stellte nach einem Jahr einFamiliengericht die »Traumatisierungdes Kindes im Umfeld des Vaters« festund verfügte den »nur geschütztenUmgang mit dem Vater«, und zwar»solange er der Glaubensrichtung an-gehört«. Die Lehren und die mit ihrverbundenen Praktiken seien »nichtkindgerecht«, von der Weltanschau-ung des Vaters gingen »das Kindes-wohl gefährdende Einflüsse« aus, ur-teilte das Gericht.

Das alles ist fünf Jahre her. Nach derScheidung brach der Vater sämtlicheKontakte zur Familie ab. Später gelanges der Mutter, das alleinige Sorgerechtdurchzusetzen. Nach Strafanzeige zahltder Vater immerhin Unterhalt für sei-ne Tochter. Ansonsten verläuft seineSpur im Sand. Irgendwo in den USAhat er angeblich neue Lichtzentren er-öffnet, hält aber in Europa Kurse ab,hat Karin Müller im Internet heraus-gefunden. Die zurückgelassene Familiemusste sich sozial neu ordnen. Eva hatihre Verhaltensauffälligkeiten verloren,selten frage sie noch nach ihrem Vater,erzählt die Mutter. Dann versucht Ka-rin Müller ihrer Tochter zu erklären,was sie selbst immer noch nicht verste-hen kann. Joachim Gerhardt

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Seite 2 Juli/August 2008PPRROOTTEESSTTAANNTT

Raelianer führen das Hakenkreuz wieder ein

Viel Willkür auf dem religiösen MarktDer NRW-Kirchenbeauftragte über vermeintliche Religionsfreiheit und Toleranz

Scientology sucht ÖffentlichkeitEvangelische Kirche warnt vor dem PsychokultDie Evangelische Kirche im Rhein-land warnt vor Aktivitäten von Scien-tology im kirchlichen und diakoni-schen Bereich und rät in einem Briefan alle Pfarrerinnen und Pfarrerdringend davon ab, auf die Kontakt-versuche der Organisation einzuge-hen.

Scientology drängt laut Pfarrer An-drew Schäfer, Weltanschauungsbeauf-tragter der Landeskirche, »in letzterZeit« immer stärker ins Licht der Öf-fentlichkeit. Die »pompös inszenierteEröffnung der neuen Deutschland-Zentrale in Berlin oder die peinlicheBambi-Verleihung an Tom Cruise, denstets missionarisch aktiven Vorzeige-Scientologen, wegen dessen Stauffen-berg-Verfilmung«, seien Beispiele.

Die Organisation versuche sich»modernitätskonform, aufgeschlossenund unglaublich erfolgreich zu insze-nieren«, so Pfarrer Schäfer. Er habeallerdings Zweifel, ob Scientology wirk-lich so erfolgreich sei, wie dort be-hauptet. In Düsseldorf, die einzige öf-fentliche Präsenz im Rheinland, sei dasUnternehmen gerade erst aus der zen-tralen Innenstadtlage in ein Gewerbe-gebiet umgezogen. Für Schäfer eine»klare Verschlechterung«, die zeige,

»Pläne, in NRW ein ähnliches Super-Zentrum wie in Berlin zu errichten,sind leere Worte«. Mit Sorge siehtSchäfer allerdings, dass Scientology mit»sehr aufwendigen Imagekampagnen«neuerdings auch im kirchlichen Raumwirke. Mit Hochglanzbroschüren sol-len Kontakte zu leitenden kirchlichenMitarbeitenden geknüpft werden.

Fragwürdige Ideologie

Aus dem Bereich der Politik und derWirtschaft sei diese Vorgehensweiseseit langem bekannt. Die Organisationbiete zum Beispiel »Unterstützungdurch ehrenamtliche Helfer« oder sogenannte »Ehrenamtliche Scientology-Geistliche« an. »Täglich helfen Sie an-deren Menschen, doch wer hilft Ih-nen?«, laute die typische Überschrift ei-nes Scientology-Schreibens an kirchli-che Mitarbeitende. Oder man möchteals Vertreter der Organisation »Jugendfür Menschenrechte« an Gruppen-stunden und Treffen von Jugendhilfe-einrichtungen teilnehmen.

»Jugend für Menschenrechte« istlaut Schäfer eine Scientology-Unteror-ganisation, mit der offenbar die frag-würdige scientologische Ideologie ver-breitet werden soll, ohne das in der Öf-

Das undatierte Foto von der Clo-naid-Website, einem Unternehmender kanadischen Raelianer-Sekte,zeigt Rael, den Führer der Sekte undGründer von Clonaid. Für die Ufo-und Science-Fiction-gläubige Sektestammt die Menschheit von KlonenAußerirdischer ab.

Die französische WissenschaftlerinBrigitte Boisselier hat am 27. Dezem-ber 2002 die Geburt eines geklontenKindes bekannt gegeben. Boisselierist Chefin des US-UnternehmensClonaid mit Sitz in Las Vegas (Neva-da) und beteiligte sich am weltweitenWettlauf um das erste Klon-Baby. Siegehört der Raelianer-Sekte an, dieglaubt, dass Klonen den Menschendas ewige Leben ermöglicht. Einewissenschaftliche Überprüfung ihrerBehauptung haben die Raelianer bisjetzt nicht zugelassen.

Claude Vorilhon, der sich Rael nen-nen lässt, behauptet, über UFOs inKontakt mit »vom Himmel Gekom-

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menen« zu sein, die ihm Botschaftengegeben hätten, die er als letzter Pro-phet verbreiten solle. Die Rael-Bewe-gung hat sich unlängst entschlossen,ihr ursprüngliches Symbol, den Da-vidstern kombiniert mit dem Haken-kreuz, der sogenannten Swastika, wie-

fentlichkeit negativ besetzte Label»Scientology«. Das habe System. Scien-tology versuche seit einigen Jahren miteiner ganzen Reihe weiterer Unteror-ganisationen wie »Applied Scholastics«im Nachhilfebereich, »Narconon« inder Drogenrehabilitation, »Criminon«in der Kriminalitätsprävention und»Kommission für Verstöße der Psychi-atrie gegen Menschenrechte« (KVPM)als aggressive Anti-Psychiatrie-Initiati-ve mehr gesellschaftliche Akzeptanz zuerlangen, als es der Scientology-»Church« selbst gelungen ist.

Die evangelische und katholischeKirche in Deutschland betonen immerwieder, dass die Lehre von Scientologymit dem christlichen Glauben unver-einbar sei. »Scientology ist keine Kir-che, sondern ein Wirtschaftskonzern;die Organisation kennzeichnet einemenschenverachtende und rassistischeIdeologie«, resümiert Schäfer. Für ihnund seine Kollegen anderer Landeskir-chen und Bistümer, die sich immerwieder intensiv mit Scientology be-schäftigen, sind »die Züge eines skru-pellos agierenden Wirtschaftsunter-nehmens und einer machtorientiertenpolitischen Kaderorganisation« ein-deutig. An religiöse Verhaltensweisenerinnerten zwar manche Heilshoff-

Nach der Lehre des ehemaligen Science-Fiction-Autors Ron Hubbard ist für Scientologyjeder Mensch durch Vergangenes in seiner Persönlichkeit beeinträchtigt. Messungen mitdem »E-Meter« (Foto), ein bei Scientology entwickelter Art Lügendetektor, beweisen dieseMängel, die sich durch Kurse bei Scientology beheben lassen.

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der einzuführen. 1992 hatte man dasHakenkreuz als Glaubenssymbol derGruppe abgeschafft, um, wie es hieß,den jüdischen Glauben nicht zu verlet-zen. Die »Swastika« sei aber ein »Sym-bol der Unendlichkeit der Zeit, unserSymbol der Ewigkeit«. epd/ger

Hilfe und InfosSynodalbeauftragten für Sektenfragen in Bonn und der Region:Pfarrer Dr. Udo Schwenk-Bressler, Bonn, Tel.: 0228 / 28 13 21,E-Mail: [email protected] Gudrun Schlösser, Rheinbach, Tel.: 02226 / 55 34,E-Mail: [email protected] Barbara Falk, Hangelar: Tel. 022 41 / 274 70,E-Mail: [email protected]

Landeskirche:Referat Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche imRheinlandLandespfarrer Andrew Schäfer, Graf-Recke-Straße 209, 40237 Düsseldorf,Tel.: 0211 / 3610-252, Fax: 0211 / 3610-258, E-Mail: [email protected]/ekir/sektenfragen.php

Links:Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen Berlin:www.ekd.de/ezw/Ev. Landeskirche Württemberg:www.gemeindedienst.de/weltanschauung/index.htmlEv. Bund Sachsen: www.confessio.de/cms/website.phpEv. Informationsstelle Schweiz: www.relinfo.ch

Sekten-Information des Landes NRW: www.sekten-info-nrw.de

nungen der Anhänger, Scientologyhabe inzwischen auch kultische Ritua-le eingeführt, Organisation und Lehrekönnten aber entgegen eigener An-sprüche nicht als Religion angesehenwerden, so Schäfer.

Auch der Staat grenzt sich seitJahren deutlich ab: Im neuesten Ver-fassungsschutzbericht (2007) wirdScientology wieder als verfassungs-feindlich eingestuft. Die Scientology-Organisation will »wesentlicheGrund- und Menschenrechte, wie

die Menschenwürde, das Recht auffreie Entfaltung der Persönlichkeitund das Recht auf Gleichbehand-lung, außer Kraft setzen oder ein-schränken« und strebt eine »Gesell-schaft ohne allgemeine und gleicheWahlen an«, heißt es. Eine Beobach-tung durch den Verfassungsschutzwird auf Beschluss der Innenminis-terkonferenz fortgesetzt.

Joachim Gerhardt

� www.verfassungsschutz.de

dieser Glaube nicht unmenschlichwerden. Aber ist das Spannungsver-hältnis von Glaube und Freiheit dennüberhaupt noch ein Thema? DieHoch-Zeit der Jugendsekten scheintvorüber, auch in Nordrhein-Westfa-len. Die Antwort liegt auf der Hand –und wird nirgends deutlicher als indem immer noch populären Satz:»Mein Kind soll später selbst ent-scheiden, an was es glaubt.« Dasklingt nach Freiheit und nach Tole-ranz. Aber es ist eine Mogelpackung.Dieser Satz lässt einen fragendenMenschen allein. Nur wer selberglaubwürdig vorlebt, aus welcherKraft er Sinn schöpft, hilft sich undanderen, auf dem bisweilen so un-übersichtlichen Weg zur Freiheit vor-anzukommen. Wer einem Menschenden Geschmack der Freiheit verant-

wortungsvoll vermitteln will, kommtmit der faulen Ausrede einer Werteli-beralität nicht wirklich weiter.

Wer sich heute mit Sekten, mitEsoterik zumal, befasst, muss erken-nen: Die Orientierungssuche vielerMenschen nach Sinn bleibt. Und wersich ernsthaft mit Sekten befasst, derwird auch zurückgeworfen auf den ei-genen Glauben – und die Frage, wieviel Freiheit nimmt mir dieser Glaubeund wie viel neue Freiheit schenkt ermir. Er wird aber auch gewarnt vorallzu großer Euphorie, wenn in Um-fragen wieder einmal die Bedeutungoder gar Zunahme der Religion beijungen Menschen unterstrichen wird.Denn dieser Befund besagt noch garnichts über die Art des Glaubens odergar den Wert der Freiheit, der ihm in-newohnt. Die sich mehr und mehr

Von Matthias Schreiber

Kann jeder nach seiner Fasson se-lig werden? Wenn man an den

beinahe unüberschaubaren Markt imEsoterik- oder Lebenshilfebereichdenkt, muss man wohl antworten:Selig im Sinne von arm-selig viel-leicht. Denn nicht jedes religiöse An-gebot führt in die Freiheit. Das giltnicht nur in Bezug auf den Esoterik-und den Lebenshilfemarkt, sondernauch im Blick auf manche charisma-tisch-fundamentalistischen Bewe-gungen, die sich selbst dem Christen-tum zurechnen.

Aber auch im muslimischen Um-feld findet man Bewegungen, derenZiel der Freiheit zuwiderlaufen. Frei-heit aber ist es, die Glauben zugrun-de liegen muss und die ihn trägt, soll

durchsetzende These, dass auch einemoderne Gesellschaft nicht ohne Re-ligion auskommt, ist für sich genom-men nicht ausreichend und auchnicht beruhigend. Zumal Religion ineiner multikulturellen Zeit längstnicht mehr eine Weltreligion oder gardas Christentum meint. Mir nicken daaber die Vertreter der Religionen, auchdie des Christentums, zu vorschnellund zu selbstsicher.

Bleiben wir Realisten: Schmeckenwir in seiner ganzen Fülle den köst-lichen Geschmack der Freiheit, der sooft einhergeht mit Selbstbindungund auch mit mancherlei Leiden. Bil-liger aber ist er nicht zu haben. DieBibel ist in dieser Hinsicht, trotzschwerer Verfehlungen ihrer Inter-pretation in der Geschichte, ein ver-lässlicher Geschmacksverstärker, derzudem immun macht gegen die oftwillkürlichen Angebote auf dem reli-giösen Markt.

� Dr. Matthias Schreiber ist Kirchen-

beauftragter der Landesregierung NRW.

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Der religiöse Markt boomt: Was ist nochkirchlich? Was ist Konkurrenz?

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Juli/August 2008 Seite 3PPRROOTTEESSTTAANNTT

»Viele neue kleine Gurus«Über Sekten und andere fragwürdige Gruppen zwischen Rhein und SiegPRO: Wie aktiv sind Sekten in Bonnund der Region?

Schäfer: Der Großraum Bonn ist diereligionsproduktivste Region imRheinland. Es gibt keine Organisation,mit der ich mich beschäftige, die nichtauch hier vorkommt. Die Bonner Re-gion ist sehr attraktiv zum Wohnenund Arbeiten. Hier leben viele Men-schen, die einem soziologisch gesehenhohen Bildungs- und Selbstverwirkli-chungsmilieu angehören.Diese Milieussind nach aller Erfahrung besondersansprechbar für neue religiöse Bewe-gungen und Entwicklungen.

PRO: Wer ist besonders aktiv?

Schäfer: Vor allem Gruppen aus demweiten Bereich der Esoterik und deschristlichen Fundamentalismus. ZumBeispiel der Esoteriker Frank Eicker-mann, der von Bonn aus ein weltweitesNetz von »Licht-Zentren« aufgebauthat. In diesen Zentren werden spiri-tuelle Berater und Lehrer ausgebildet.»Der Weg ins Licht« oder »Alpha ChiConsultant« heißen die wichtigsten sei-ner Ausbildungsprogramme. Eicker-mann residiert heute in seinem Schlossim Elsass, dem »Château Amritabha«.In der Bonner Region hat er aber nochviele Anhänger.Die Zahl ist sicher drei-stellig. Allerdings geht es hier nicht umeine fest gefügte Gruppe, sondern oftnur um Kurs- und Seminarbesucher.Das ist ganz typisch für die Esoterik.

»Viele werben ganz dezent«

PRO: Ist das denn gefährlich? Es ist dochjedem selbst überlassen, wie er in sein Le-ben mehr Licht zu bringen glaubt?

Schäfer: Allein zu Eickermann habe ichinzwischen viele Dutzende von besorg-niserregenden Beratungsfällen. DasProblem ist: Menschen ändern ihr Le-ben radikal und für ihre Angehörigenoft plötzlich. Sie eröffnen zum Beispielein Lichtzentrum in einem anderenErdteil und geben dafür alle Verantwor-tung für ihr soziales Umfeld, etwa fürdie eigenen Kinder, ab. Andere vertra-gen die intensiven Versenkungsübun-gen und deren Auswirkungen auf die ei-gene Seele nicht gut. Ich habe Menschenerlebt, die sich von einer Rheinbrückestürzen wollten oder in der Psychiatriegelandet sind. Psychologische Gutach-ten in Sorgerechtsverfahren wiesen dieschädlichen Einflüsse der Methoden inEinzelfällen für Kinder nach.

PRO: Aber geht es hier nicht eher umLebenshilfe, wenn auch eine fragwürdige,als um eine neue Form von Religion?

Schäfer: Es ist wohl beides.Eickermannwill nicht nur den »Weg ins Licht« zei-gen. Viele seiner Schüler sehen in ihmselbst einen Heilsbringer. Leute fahrenan den Niederrhein zum »Darshan«,eine Art Segnung durch den göttlichenMeister,und hocken dort zwei Stundenschweigend vor ihm. Eickermann hatals regionaler Religionsunternehmerangefangen und ist inzwischen ein Glo-bal Player mit Lichtzentren in allenKontinenten. Mit diesen Zentren willman den »Transformationsprozess desKosmos« beschleunigen.

PRO: Traditionell sind Universitätenein Umfeld für Sekten?

Schäfer: An der Bonner Universität sindschon seit Jahrzehnten die Universitäts-

bibelfreunde (UBF) aktiv. Ihre Vertretersprechen junge Menschen auf der Hof-gartenwiese und in der Uni an. Sie wer-ben erst ganz dezent. Die UBF ist einekoreanisch geprägte, biblisch-funda-mentalistische Gemeinschaft und strengautoritär organisiert. Es gibt Berichte,dass der Chef der Gruppe Ehen ver-mittelt. Berichtet wurde auch, dass ingroßem Umfang Spenden eingesam-melt wurden.Menschen können zeitlichsehr stark beansprucht werden. In denletzten Jahren versucht man verstärktOberstufenschüler,die sogenannte »2ndGeneration«, zu werben. Neuerdingsmachen sie mit ihrem Senfkornorche-ster in Bonn auf sich aufmerksam.

PRO: Spenden und die Zeit ihrer Mit-glieder nehmen aber auch seriöse Verei-ne in Anspruch.

Schäfer: Dort werden sie aber keinemtotalen Anspruch auf ihre Existenzunterworfen. Trotz Einladung in dieBonner Zentrale der UBF wurde ichnicht ins Gebäude gelassen, sondernkonnte nur in einem Hotel mit ihrenVertretern reden. Keine Frage, die ichzuvor schriftlich einreichen musste,wurde ernsthaft beantwortet. Ich fragemich, was man zu verbergen hat?

PRO:Welche Gruppen sind noch aktiv?

Schäfer: Bedeutender ist das weltweiteZentrum der »Bruno-Gröning-Freun-deskreise« in Hennef. Man beruft sichdort auf den umstrittenen Wunderhei-ler Bruno Gröning, der in den 50er Jah-ren gestorben ist. Er wirkt angeblichnoch aus dem Totenreich. Jeden Mor-gen und Abend um 9 Uhr sind seineAnhänger gehalten, sich auf seinen an-geblichen Heilstrom einzustellen. VonHennef aus hat diese Gruppe mittler-weile weltweite Wirkung. In Windeck-Herchen sitzt das Oberhaupt der»Christlich-Essenischen Kirche«, ernennt sich »Primasch Pax ImmanuelII.«, bürgerlicher Name Eckart Strohm,und ist vorbestraft wegen Verstoßes ge-gen das Waffengesetz. Es handelt sich

um eine esoterische Gruppierung, diemit der Verwechselbarkeit zur katholi-schen Kirche spielt, indem sie Bischofs-titel und Ämter verleiht und liturgischeGewänder trägt.Eine clevere Geschäfts-idee, früher lebte man vor allem vomVertrieb billiger Reiki-Angebote.

PRO: Was macht diese Gruppen so at-traktiv?

Schäfer: Auf dem religiösen Markt gibtes eine starke Tendenz zu religiös-welt-anschaulich aufgeladener Lebenshilfe.Der Bedarf danach ist enorm. Men-schen sehnen sich nach Heil und Hei-lung. Sehen Sie nur die ganzen Astro-Sendungen im Fernsehen oder die vie-len neuen Geistheiler, die ihre Diensteanbieten. Unsere Welt ist für viele zuunübersichtlich geworden. Menschen

suchen nach einer nachvollziehbaren,einfachen Erklärung, die dem GanzenSinn verleiht. Das macht neben derEsoterik übrigens auch alle Fundamen-talismen so attraktiv.

PRO: Martin Luther soll mit dem Tin-tenfass nach dem Teufel geworfen haben.Viele Menschen erleben das Böse heutewieder sehr konkret. Experten sagen, derGlaube an Dämonen erstarkt.

Schäfer: Auch ich nehme eine deutlicheZunahme von exorzistischen Praktikenwahr. Im Umfeld von Frank Eicker-mann gibt es sogenannte »DJ«, Dämo-

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Andrew Schäfer, Pfarrer für Sekten- und Weltanschauungsfragen, kennt sich aus in der Szene.

nenjäger. Sie versprechen, mit An-schluss an die richtigen Kraft- undEnergiequellen das Böse auszutreiben.Die Dämonen heißen meist Krankheit,Unglück,Erfolglosigkeit.Solche dämo-nistischen Vorstellungen und dazuge-hörige Exorzismen nehmen im Bereichdes christlichen Fundamentalismusdeutlich zu. Hier kann es besonders imZusammenhang mit Krankheiten zuHeilungsversprechen kommen, nachdenen sich die Betroffenen zwar nach-vollziehbar sehnen, die aber in Wirk-lichkeit nicht einzuhalten sind.

PRO: Sollte die Kirche mehr Lebenshil-fe bieten, mehr Rituale, um das Leben zubewältigen?

Schäfer: Der Esoterikladen an der Eckebietet für jede Lebenslage ein eigenesRitual. Dort können sie zum Beispielein »weiß-magisches« Ritual buchen,wenn es mit dem Ehepartner im Bettnicht mehr klappt. Das bekommen siein der Kirche wohl kaum. Wir als Kir-che sollten aber die Bedürfnisse vielerMenschen nach persönlicher Beglei-tung ihres Lebens stärker wahrnehmen,ohne jede Mode mitzumachen. DieWiederentdeckung der Salbungs- undSegnungsgottesdienste in unserer Kir-che sind ein wichtiger Schritt in dieseRichtung. Das haben wir übrigens vonden Pfingstlern gelernt.

PRO: Jesus warnt in der Bibel die Men-schen, die Spreu vom Weizen zu trennen.Das sei Gottes Aufgabe.

Schäfer: Darum setze ich auf Dialog.Esgibt allerdings Gruppen, die nicht dis-

kursfähig sind. Die Zeugen Jehovaszum Beispiel,Scientology oder die Bon-ner UBF.Andere unterliegen jedoch ei-ner enormen Veränderungsdynamik.Zum Beispiel die Neuapostolische Kir-che, die früher als Sekte galt, und nunbeginnt, sich anderen christlichen Kir-chen zu öffnen.Es gibt inzwischen hoff-nungsvolle Begegnungen, auch wennder Weg in die Ökumene zeitlich undtheologisch noch weit sein dürfte. DieEntwicklungen muss man aber sehenund stärken.

PRO: Was erwarten Sie für die Zu-kunft?

Schäfer: Wir haben es derzeit mit ei-nem großen Guru-Sterben zu tun:Letztes Jahr Sri Chinmoy, dann GreteHäusler vom Bruno-Gröning-Freun-deskreis, Maharishi Mahesh Yogi vonder Transzendentalen Meditation(TM) oder Michael Eschner, Chef dessatanistischen Thelema-Ordens,außerdem der Chef der Zeugen Jeho-vas. Gerade erst ist der Präsident derMormonen, Gordon Hinckley, ge-storben. Eine Generation tritt ab. DerWeltanschauungsmarkt ist in Bewe-gung, die Szene sortiert sich neu. Icherwarte viele neue, kleine Gurus undbin sehr gespannt.

Joachim Gerhardt

Versprechungen und Angebote� Die Gruppe verspricht Glück, Ge-

sundheit, Erfolg, Orientierung,Sinn, spirituelle Erfahrung, dieWahrheit und Hilfe für die gesam-te Lebensgestaltung.

� Sie bietet Wärme und Geborgen-heit in der Gemeinschaft; gibtvor, umfassendes Verständnis füralle persönlichen Probleme zuhaben.

� Das Weltbild ist überraschendeinfach und oft an einemSchwarzweiß-Schema orientiert.

� Auch das Programm ist auf denersten Blick einleuchtend. Es ver-spricht einfache Lösungen beiallen Konflikten.

� Es kann dazu kommen, dass demEinzelnen Lebensentscheidungendurch die Gruppe abgenommenwerden.

Gruppenstruktur und Methoden� Die Gruppe schottet sich ab ge-

genüber Eltern, Familie, Freun-den, Kollegen und entwickelnein elitäres Selbstverständnisund Überlegenheitsbewusstsein.

� Eine klare Unterscheidung zwi-schen »drinnen« und »draußen«.

� Es wird allmählich immer mehrZeit in und mit der Gruppe ver-bracht. Sie wird mehr und mehrzum zentralen Lebensinhalt und -mittelpunkt.

� Es wird ein großes zeitliches,geistiges und körperliches Enga-gement erwartet. Das kann auchzu Schlafmangel und Erschöp-fung führen.

� Durch Verbote kann die Infor-mationsaufnahme durch Medienund die eigenständige Teilnahmeam öffentlichen Leben reduziertoder unterbunden werden (keinFernsehen, kein Internet, keineLiteratur).

� Die Gruppe hat rigide Regelnund/oder Rituale, die eingehal-ten werden müssen und derenNichteinhaltung bestraft werden.

� Die Gemeinschaft ist hierarchischaufgebaut. Beziehungen unter-einander bilden sich im Über-und Unterordnungsverhältnis ab.

� Die Gruppenmitglieder kontrol-lieren sich gegenseitig.

Umgang mit Kritik�Kritik innerhalb der Gruppe ist

unerwünscht oder wird sanktio-niert. Kritiker werden oftmals iso-liert. Die Ursachen der Kritik lie-gen immer im Kritiker selbst. Werkritisiert, hat (noch) nicht wirk-lich verstanden, worum es geht.

� Kritik von außerhalb basiert aufFehlinformationen oder dientder Verleumdung der Gruppe.Sie wird sofort entwertet.

� Besonders Kirchen, Psychologen,Psychiater und Eltern werdenoftmals als Feinde betrachtet.

� Aussteiger werden totgeschwie-gen oder als Verräter ausgegrenzt.

Führer – Meister – Guru�Viele, aber nicht alle Gemein-

schaften kennen eine zentraleFigur als Führer, Meister, Guru,Prophet, spiritueller Lehrer, Avataroder Ähnliches. Sie beanspruchtabsolutes Vertrauen. Ihre Mein-ung, Lehre und Anordnungen gel-ten als nicht kritisierbar. Sie hat diehöchste Autorität und steht an derSpitze der Hierarchie.

� Andrew Schäfer, Pfarrer der Evange-

lischen Kirche im Rheinland für Sekten-

und Weltanschauungsfragen

A pro posWas ist eine Sekte?»Sekte« ist heute ein polemischer

Kampfbegriff und keine Selbstaussage.

Für eine sachliche Auseinandersetzung

in der Öffentlichkeit ist der Begriff nur

bedingt geeignet. Wer von einer Sekte

spricht, grenzt ab. Sekten sind nicht so

wie wir. Die Menschen dort kleiden sich

anders. Sie leben anders und haben

andere Werte und Ziele. Wer öffentlich

von Sekten spricht, meint damit meist

ein ethisches Abweichen von der Norm,

es geht oft gar nicht um religiöse Inhalte.

Ursprünglich bedeutet das Wort »Sekte«

zunächst »Partei« oder »Schule« (lat.

secta) und wird vom lateinischen »sequi«

(folgen, nachfolgen) abgeleitet. Theo-

logisch gesehen beschreibt eine Sekte

eine Gemeinschaft, die sich von der

Mutter-Kirche abspaltet, um aus ihrer

Sicht ganz Wesentliches der Lehre zu

bewahren. Das Christentum war in die-

sem Sinne eine jüdische Sekte.

Statt von Sekte sollte wohl besser von

»Sondergemeinschaft«, »Religionsge-

meinschaft« oder, wo es um die Mar-

kierung eines Konfliktpotentials geht,

von »konfliktträchtiger Gruppe« gespro-

chen werden. Andrew Schäfer

Der Esoterik-markt entdecktKinder als Ziel-gruppe. Hier einSpray »Licht-wesen und Erz-engel-Essenzen«,das aufgesprühtdie Energieüber-tragung zwi-schen Eltern undKindern verbes-sern soll.

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Woran erkenneich eine Sekte?

Page 4: PRO 33 2008 · 2020-03-04 · AUSGABE 33 · JULI/AUGUST 2008 · BONN und die REGION Evangelische Einblicke PROTESTANT Opfer auf dem Weg ins Licht Der verzweifelte Versuch, ein Kind

Seite 4 Juli/August 2008PPRROOTTEESSTTAANNTT

Von Max Koranyi

War meine Großmutter eine»Sektiererin«? Jedenfalls hatte

sie der österreichische Katholizismusgeprägt. Und der war voll vomNiederknien zum Abendgebet vordem Bett, handkolorierten Spruch-bildern von »Marterln« und eiserneingehaltenen Frühmessregeln. EinesTages war ihr das alles nicht mehr ge-nug. Von einer befreundeten FamilieArnold wurde sie in die Neuaposto-lische Kirche mitgenommen. Sie er-zählte mir knapp zehnjährigem Bu-ben davon. Da gäbe es echte heiligeApostel. Die wieder andere Apostelsalben würden. Und jeder kenne je-den in der Gemeinde. Die Menschenwären dort viel gläubiger als anders-wo, eine bestimmte Zahl sei be-sonders auserwählt, und einige Kran-ke wären tatsächlich geheilt worden.Und dann sagte sie zum Schluss nochetwas abschätzig: »Bei euch« – meineEltern und ich gingen damals als guteProtestanten jeden Sonntag in dieBonner Friedenskirche in Kessenich– »gibt es ja so etwas alles nicht.«

Was bewegt heute Menschen, sichGruppierungen und ihren Angebo-ten anzuschließen, die wir als »Sek-ten« bezeichnen? Sind ihre Sehn-süchte um vieles anders als die mei-ner Großmutter? »Da gibt es zumGlück keine verknöcherte Kirchen-institution«, sagen sie uns. Und:»Endlich werde ich als ganzerMensch mit meinen Gefühlen undEmpfindungen ernst genommen.«»Die Leiterinnen strahlen Geistaus.« »Wir verstehen uns dort alle.«»Ich weiß endlich, wo ich in dieserunüberschaubaren Welt dazugehö-re.« »Unnennbare Phänomene zwi-schen Himmel und Erde werden ak-

Was haben die,was wir nicht haben?Über die Suche der Menschen nach Halt und Ansprache

Max Koranyi, Pfarrer in Königswinter-Stieldorf, über Sekten und seinen Blick auf sie.

Kein Platz für SektenDie Bonner ACK sucht den Dialog und benennt Grenzen

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PRO: Wer ist in der ACK und werlegt das fest?

Mauschitz: Die ArbeitsgemeinschaftChristlicher Kirchen (ACK) inDeutschland versteht sich als das re-präsentative Forum der Kirchen, diesich im Glauben an die sichtbareEinheit der Kirche in Gebet und Ge-sellschaft, theologischem Dialog,Mission, gesellschaftlichem und so-zialem Handeln engagiert. Wer aufBundesebene Mitglied wird, ent-scheidet die Bundes-ACK in Frank-furt; wer auf Ortsebene dazugehört,entscheidet die Vollversammlungder Orts-ACK.

PRO: Evangelikale Gemeinschaftenzeichnen sich oft durch Fundamenta-

tesdiensten notvolle Menschen be-rührt. Taizé-Andachten und Her-zensgebete erlauben Versenkung.Evangelische Theologen wie Doro-thee Sölle und Jörg Zink preisen dieMystik. Aber reicht das, manche Ab-wanderung in »Sekten« zu stoppen?Seien wir ehrlich: Manch einer unse-rer »normalen« Sonntagsgottesdiens-te lässt Spritualität gehörig vermissenoder von Stimmung und Ablauf undGeistlichem her gar nicht erst auf-kommen. Oft genug malen wir vonder evangelischen Kirche in der Öf-fentlichkeit das Bild recht unverbind-lichen Zusammenseins. Oder lebloserRituale, unbeweglicher Gruppen, un-vermittelter Aktionen und manchliebloser Termine.

Mehr Kerzen allein hätten es si-cherlich nicht getan, aber vielleichtwäre meine Großmutter irgendwannauch in die evangelische Kirche ge-gangen, wenn sie sich dort persön-licher aufgehoben, gefühlsmäßigerberührt und liebevoller angesprochenempfunden hätte. Und natürlich auchdies: lebbarere Angebote auf ihreGlaubensfragen erhalten hätte. In die-ser Beziehung darf bei uns noch man-ches bunter erblühen! Sonst stimmtetwas nicht am klagenden oder auchscheelen Blick auf die »Sekten«drumherum.

AngedachtPrüfet alles, das Gute behaltet! – soschreibt es Paulus im ersten Brief andie Gemeinde in Thessalonich.(Kapitel 5, Vers 21)

Alles prüfen – können wir dasüberhaupt? Wie sollen wir zu einemUrteil kommen. Was gilt es als »dasGute« zu behalten und von was hal-ten wir uns lieber fern?

Paulus gibt seinen Gemeinden inAuseinandersetzungen mit anderenStrömungen einen Maßstab an dieHand: Schaut, ob wirklich das Evan-gelium von Jesus Christus verkündigtwird. Sein Evangelium ist Freiheit. InJesus Christus nimmt Gott uns an, sowie wir sind, ohne Voraussetzung,ohne geistlichen Leistungsnachweis,ohne religiöses Fitnessprogramm –mit unseren Unzulänglichkeiten undSchwächen. Er hat uns angenommenund unserem Leben Sinn gegeben.Das befreit von religiösem Leistungs-druck und von dem Zwang, dem Le-ben Bedeutsamkeit zu verleihen, esallein sichern und ständig alles imGriff haben zu müssen.

Freiheit in Jesus Christus – einKriterium, mit dem wir auch heutereligiösen Strömungen begegnenkönnen, um einerseits nicht allesNeue automatisch unter den Verdachtder »Sekte« zu stellen, um uns ande-rerseits dem, was da als neuer und ul-timativ richtiger Weg angepriesenwird, nicht kritiklos hinzugeben.

Freiheit in Jesus Christus – auchein Kriterium, das wir denen an dieHand geben können, die in der Ge-fahr stehen, sich auf dem weitenMarkt der Weltanschauungen undSinnangebote zu verlieren und in Ab-hängigkeiten zu geraten.

Fragen wir nach der Freiheit!Denn: Zur Freiheit hat uns Christusbefreit. Er will, dass wir auch frei blei-ben. Darum bleibt fest und lasst euchnicht wieder zu Unfreien machen.(Galaterbrief 5,1)

� Die Autorin

Gudrun

Schlösser ist

Synodalbeauf-

tragte für Sekten-

fragen im

Kirchenkreis

Bad Godesberg-

Voreifel.

zeptiert.« Und: »Das alles finde ichbei euch nicht.«

Menschen, die zu »Sekten« in un-serer Region gehen, werden ihreGründe haben. Abgesehen einmalvon persönlicher Geneigtheit undfreundschaftlichen Kontakten: Sindviele unter ihnen nicht in der Tat aufder Suche nach gelungenem Lebenin Gemeinschaft und voll Sehnsuchtnach wirklichem Heil, Mystik undMeditation? Und was davon habensie vielleicht vorher in unseren Ge-meinden alles enttäuschenderweisenicht gefunden? Jede Sekte bleibtbei aller berechtigten protestanti-schen Kritik an manch dort herr-schenden Vorstellungen und hierar-chischer »Psychostruktur« eine An-frage an mich: Was haben die, waswir nicht bieten? – um mir gleich-zeitig auch bewusst zu machen: Viel-leicht gerade auch nicht bieten wol-len, können oder dürfen?

Zugegeben, auch in der evangeli-schen Landeskirche (»Volkskirche«)hat sich seit dem Aufbruch der sech-ziger Jahre vieles zum persönlich Be-rührenden hin verändert. Die Kir-chentage haben Gefühl und Musikund Farbe in die Gemeinden gespült.Vikaren wurde die heilige Handlungdes Segnens nahegebracht, Räumestimmig gestaltet, bei Salbungsgot-

Mehr Klarheit

Die Vielfalt religiöser Angebote in un-serer Gesellschaft nimmt weiter zu. Eskommt zum Transfer religiöser Syste-me und Inhalte, die ursprünglich inanderen Kulturen beheimatet waren.Die Kenntnisse über klassische Kir-chen und Freikirchen nehmen allge-mein ab. Das Handbuch ist nicht neu-tral: In dieser vielfältigen und unüber-sichtlichen Situation bemüht es sichum Klarheit und Orientierung ausevangelischer Sicht. Es wendet sich anMitarbeitende in Gemeinden, Schulenund Erwachsenenbildung. Fragen ausder Praxis und praktische Ratschlägespielen deshalb neben theologischenund religionswissenschaftlichen Infor-mationen eine wichtige Rolle in dieseminteressanten und wertvollen Buch,dem eine ergänzende CD-ROM bei-liegt. Andrew Schäfer

� Hans Krech / Matthias Kleiminger

(Hrsg.): Handbuch Religiöse Gemein-

schaften und Weltanschauungen (6. Aufla-

ge), Gütersloh 2006, mit CD-Rom, 88 Euro.

Schwarze Geister

Von Zeit zu Zeit lesen wir entsetzt vonfurchtbaren Verbrechen wie diesem:Ein junger Mann wurde in einem Waldbei Hamburg von drei Jugendlichenaus der Gothic-Szene hingerichtet.Welche Hintergründe hatte die Tat?Rainer Fromm, ausgewiesener Expertefür die »Schwarze Szene«, beschreibtdetail- und kenntnisreich diese düste-re Jugendsubkultur (Grufties undBlack Metal; Satanismus; Vampire).Abseits bürgerlicher Milieus sind eige-ne Konsum- und Erlebniswelten, nichtzuletzt mithilfe des Internets, entstan-den, die jugendliche Sinnsucher anzie-hen. Fromm fragt nach der Faszinationder »Schwarzen Szene« und den An-knüpfungspunkten zum Rechtsradi-kalismus. In zwei Gastkapiteln kom-men Manuela Ruda und Gabriel Land-graf als ehemalige Insider der okkulten,bzw. rechtsradikalen Szene zu Wort.

Andrew Schäfer

� Rainer Fromm: Schwarze Geister, Neue

Nazis – Jugendliche im Visier totalitärer Be-

wegungen, München 2008, 24,80 Euro.

Bücher ++ Bücher

lismus aus. Verträgt sich das mit demökumenischen Gedanken?

Mauschitz: Die Bonner ACK hat 16Mitgliedskirchen, neben der katho-lischen, der altkatholischen, derevangelischen, der orthodoxen undanglikanischen Kirche zum Beispielauch die Mennoniten, Pfingstge-meinde und Heilsarmee aus demevangelikalen Lager. Sie alle gehörenzur Bonner Ökumene und verstehensich als Teil der Vielfalt, die schon inder Bibel den Reichtum der frühenKirche kennzeichnet. Und das sage

ich bewusst auch als langjährigerPastor der Evangelisch-Freikirch-lichen Gemeinde in Bonn.

PRO:Wo sind bei der ACK die Grenzen?

Mauschitz: Uns liegt daran, das ernst-hafte theologische Gespräch über dieKonfessionsgrenzen hinaus zu suchen.Wo der Gesprächspartner eine intel-lektuelle Verstockheit zeigt, wo er un-belehrbar und dialogunfähig ist, wirdes allerdings schwierig. In der BonnerACK haben wir mit diesem Themaeher in Spurenelementen zu tun.

PRO: In Bonn suchen die Neuaposto-len die Nähe zur ACK. Für manche sindsie eher eine Sekte. Wie stehen Sie dazu?

Mauschitz: Die Neuapostolische Kir-che ist eine Sondergemeinschaft. Esgibt keine Kontakte zur Bonner ACK.

Joachim Gerhardt

� Pastor Herwig H. Mauschitz (54) ist

Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft

Christlicher Kirchen (ACK) in Bonn.

Pastor Herwig H. Mauschitz.

pro GRAMMGegen die KinderarmutZum 200. Geburtstag von JohannHinrich Wichern, Vater der Diakonie,veranstaltet das Arbeitnehmer-Zen-trum Königswinter (AZK) am Mon-tag, 25. August, ein Tagesseminar »Jo-hann Hinrich Wichern und seinKampf gegen die Kinderarmut« u.a.mit dem Bonner TheologieprofessorDr. Reinhard Schmidt-Rost und demGeschäftsführer des DiakonischenWerkes Bonn, Ulrich Hamacher, überdas Wirken von Politik, Diakonie,Caritas sowie der Familienverbändegegen die Kinderarmut heute.

� Anmeldung über www.azk.de

Manfred Kock zur ÖkumeneDie Thomas-Kirchengemeinde veran-staltet am Donnerstag, 18. Septemberum 19.30 in der Friesdorfer Pauluskir-che (Bodelschwinghstr.5) einen Abendmit Manfred Kock, rheinischer Altprä-ses und ehemaliger Ratsvorsitzenderder Evangelischen Kirche in Deutsch-land.Sein Festvortrag: »Wider die öku-menische Eiszeit. Die Vision von derEinheit der Kirche.« aba

3. Bonner KirchennachtUnsere Stadt feiert Freitag, 28. No-vember 2008 die »3. BonnerKirchen-Nacht«. Alle christlichen Kirchen derStadt sind eingeladen, sich mit einemProgramm eigener Wahl an demGroßereignis zu beteiligen. Die Kir-chennacht soll einen stimmungsvol-len Bogen in den Advent schlagen,hofft die Veranstalterin, die Arbeits-gemeinschaft Christlicher Kirchen(ACK) in Bonn. An der »2. Bonner-KirchenNacht« vor zwei Jahren hattensich insgesamt 51 Kirchen beteiligt.Mehr als 10.000 Menschen hatten dieoffenen Veranstaltungen zwischen 20und 24 Uhr, Konzerte, Lesungen,Andachten, Taizé- und Lichter-Näch-te, Diskussionen, Kinovorführungenund Theaterschauspiele besucht.Noch interessierte Gemeinden solltensich umgehend anmelden. Das Pro-gramm muss bis zum 1. Septembergemeldet werden. ger

� Büro »BonnerKirchenNacht«

Pressepfarrer Joachim Gerhardt

Tel.: 0228 / 6880-301

E-Mail: [email protected]

»Manches bei uns darf bunter blühen«

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Juli/August 2008 Seite 5PPRROOTTEESSTTAANNTT

Von Axel von Dobbeler

Was ist Wahrheit? – Die Pilatus-frage. Im Verhör Jesu Ausdruck

machtstrotzender Arroganz: DieMacht kommt aus den Gewehrläufen(wird später Mao Tse Tung sagen) – dieWahrheitsfrage interessiert da nicht.Aber auch wenn sie zigtausendfachniedergeknüppelt wurde von den Büt-teln der Macht – die Wahrheitsfragestellt sich mit einer unglaublichen Pe-netranz immer wieder. Auch die Hal-tung bequemer Beliebigkeit, der allesgleichgültig, weil alles egal ist, bringt sienicht zum Schweigen.

Was ist Wahrheit? In protestanti-scher Tradition richtet sich der Blickzuerst auf die Heilige Schrift: sola scrip-tura – allein die Schrift kann Maßstab

Was ist Wahrheit?Evangelische Maßstäbe

und Richtschnur aller theologischenReden sein. Wer Anspruch auf Wahr-heit erhebt, muss sich vor der Schriftverantworten. Aber hilft das weiter? Eswäre ja schön, wenn der Singular gälte,aber die Bibel redet nicht mit einerStimme; sie ist ein Kompendiumunterschiedlicher Theologien, unter-schiedlicher Menschen- und Gottesbil-der, in denen sich so disparate Erfah-rungen wie die eines Hiob, des Betersvon Psalm 23 oder des Predigers Salo-mo verdichtet haben. Unsere HeiligeSchrift hat in sich schon das Prinzip derPluralität, was zur Exklusivität derWahrheitsfrage schlecht zu passenscheint. – Erstes Resultat: Wir habendie Wahrheit nicht, ja können sie viel-leicht gar nicht fassen, sondern nurumkreisen auf den unterschiedlichen

Pfarrer Axel vonDobbeler leitet das»EvangelischeForum Bonn«.

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an einem sinnvollen Leben wuchsen.Isoliert von ihrer Umwelt spielte sieimmer häufiger mit dem Gedanken,sich das Leben zu nehmen. Rechtzei-tig Hilfe fand sie in den RheinischenKliniken Bonn. Während eines mehr-wöchigen Aufenthaltes behandelteman ihre schwere Depression. Nachihrer Entlassung fühlte sich Maria S.jedoch nicht stark genug, ihr Leben al-leine zu meistern und in die leereWohnung zurückzukehren. Von ihrerÄrztin hörte sie von der Möglichkeit,sich ambulant in ihrer Wohnung be-treuen zu lassen. Sie nahm das Ange-bot an und wird seitdem von Mitar-beitenden des Diakonischen Werkesunterstützt.

Bis vor wenigen Monaten wardie Welt von Maria S. (Namengeändert) noch in Ordnung.

Sie lebte glücklich in einer Partner-schaft, war zufrieden mit ihrer Arbeits-stelle, hatte einen großen Bekannten-kreis und ging ihren Hobbys nach.Doch von einem auf den anderen Tagverließ sie ihr Freund. Für Maria S.brach eine Welt zusammen, denn dieTrennung traf sie völlig unvorbereitet.

Lustlos und unkonzentriert erle-digte sie seitdem ihre Arbeit, kapseltesich von den Kollegen ab und führtedauernd neue Entschuldigungen an,warum sie sich in ihrer Freizeit nichtmehr mit den Freunden treffen konn-te. Ihr Selbstwertgefühl sank, Zweifel

Wenn die eigene Welt zusammenbricht …»Betreutes Wohnen« unter dem Dach der Diakonie

In der Küche fängt es an: Wieder lernen, den Alltag zu meistern.

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alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in dasHimmelreich kommen«, Mt 7,21),sondern die Wahrnehmung Christi inden Geringsten seiner Schwestern undBrüder (Mt 25,40): Wer Hungrige sät-tigt, Durstigen zu trinken gibt, werFremde aufnimmt, Nackte kleidet,Kranke und Gefangene besucht, be-gegnet Christus und damit demSchlüssel zur Wahrheitsfrage. Und um-gekehrt gilt: Wer die geringstenSchwestern und Brüder Christi igno-riert, in ihrer Würde verletzt, ausgrenztoder einfach nicht wahrnimmt, der hatsich von der Wahrheit abgewandt.

Aus protestantischer Perspektivelässt sich Wahrheit mithin nicht nur inden eigenen Reihen finden, sondernweit über die Kirchengrenzen hinaus,bei Zweiflern und Suchenden, bei An-gehörigen anderer Religionen, ja selbstbei bewussten Atheisten.

� Der Autor ist Leiter des Evangelischen

Forums Bonn, der Erwachsenenbildung im

Evangelischen Kirchenkreis Bonn.

ner unter vielen«. Sekten beanspru-chen meist ein Deutungsmonopolim Hinblick auf die Schriftausle-gung. Die wissenschaftlichen Stan-dards der modernen historisch-kri-tischen Bibelexegese werden hier ab-gelehnt.

PRO: In der Geschichte der Kirchensind immer wieder Sekten entstan-den. Warum?

Kinzig: Sekten entstehen im Prozessder Etablierung von Ordnungen imGlauben und im Leben, die danndurch sie infrage gestellt werden. Siewerden ausgegrenzt, aber sie grenzenauch sich selbst aus. Dabei wird derBegriff »Sekte« wegen seiner Un-schärfe in meinem Fach wenig ge-braucht. Man spricht eher von Dis-

PRO: Was ist für den Kirchenge-schichtler eine Sekte?

Wolfram Kinzig: Die Kirche orien-tiert sich an der Offenbarung JesuChristi in der Heiligen Schrift, diefür sie lebensbestimmend ist. Sektenhaben neben der Bibel oft andere Of-fenbarungsquellen. Christus ist »ei-

Wo Kirche ist, gibt es auch SektenBonner Theologe Professer Dr. Wolfram Kinzig sucht die Auseinandersetzung

Im Bereich »Betreutes Wohnen«(BeWo) bieten professionelle Mitar-beitende umfassende persönlicheUnterstützung an, bevor eine Erkran-kung zu Verlust von Wohnung, Arbeitoder dem sozialem Netz führt. Nacheinem stationären Aufenthalt wirdversucht, an frühere gesellschaftlicheLebenspfeiler anzuknüpfen. Das warauch für Volker M. wesentlich, dermit 13 Jahren seine Drogenkarrierebegann. Die Suchtabhängigkeit wurdedurch eine psychische Erkrankungverstärkt. Nach einem Aufenthalt inden Rheinischen Kliniken schloss sicheine zweijährige Therapie im Bonner»Elisabeth von Thadden-Haus« an,bevor er in eine Wohngemeinschaftwechselte.

»Die Gemeinschaft und der Aus-tausch mit anderen, die ähnliche Le-benserfahrungen haben, ist wichtig«,sagt Rüdiger Michna, Leiter des Be-treuten Wohnens. Man erkenne, dassman nicht alleine mit seinen Proble-men ist und es schaffen kann, diese zulösen. Was für gesunde Menschenselbstverständlich ist – pünktlichesAufstehen, Körperpflege, einkaufen,kochen und essen –, ist für die Klien-ten des BeWo oft eine große Hürde.»Tagesstrukturierendes Angebot«lautet daher ein Motto. Pünktlichmüssen die Klienten ihre Arbeit inder Werkstatt, in der Küche oder am

Computer beginnen. Wichtig sindauch die sozialen Kontakte, die bei ge-meinsamen Mahlzeiten oder sport-lichen Aktivitäten vertieft werden.

Geduld wird belohnt

Für Beate Kampmann, die Leiterindes Bereiches, hat »jeder Stärken, diees zu entdecken gilt«. So werde esmöglich, diese Menschen adäquat zubeschäftigen und unter Umständenfit für den Beruf oder eine Ausbil-

dung zu machen. Die Teilnehmen-den täglich neu zu motivieren, erfor-dere Ausdauer und Hartnäckigkeit.Doch die Geduld werde belohnt.»Mancher kann nahtlos an weiter-führende Maßnahmen, wie Um-schulungen, anknüpfen«, erzählt sie.Und Maria S. stellt nach vielen Hö-hen und Tiefen fest: »Zwar ist inmeinem Leben vieles nicht mehr sowie es war, ich sehe aber wieder einLicht am Horizont.«

Gisela Hein

Hilfe und InfosDie »Medizinische Rehabili-tation« des Bonner Diakoni-schen Werks bietet verschie-

dene Hilfen für Menschen mit psy-chischen Erkrankungen und Men-schen, die zugleich suchtkrank sind.Neben einer stationären Einrichtungzur medizinischen Rehabilitation,dem Elisabeth-von-Thadden-Haus,gibt es ambulante Angebote wie dasBetreute Wohnen, tagesstrukturie-rende Maßnahmen sowie eine Ar-

beitstherapie. Im Frühjahr 2008 wur-den die neuen Räume der Arbeits-therapie, zu der eine Holzwerkstattund Computerarbeitsplätze gehören,eingeweiht. Der LandschaftsverbandRheinland finanziert auf der Grund-lage der Eingliederungshilfe die indi-viduelle Begleitungsmöglichkeit.

� Infos: Tagesstrukturierende Angebote,

Beate Kampmann, Kölnstraße 103,

53111 Bonn, Tel.: 0228/ 21 71 99; Betreu-

tes Wohnen, Rüdiger Michna, Tel.: 0228/

22 77 879

Prof. Dr.WolframKinzig

Wegen, die sich für Generationen alshilfreich erwiesen haben und daher –in Texten verdichtet – in den Kanonheiliger Schriften aufgenommen wur-den.

Eine Methode, mit diesem etwasunbefriedigenden Ergebnis umzuge-hen, ist die Suche nach einer »Mitte derSchrift«, nach einem roten Faden, deruns die Vielfalt handhabbar macht.

Martin Luthers Vorschlag: Wir sollensuchen, »was Christum treibet« – be-deutet, die abstrakte Frage nach derWahrheit an eine konkrete Person zubinden. In der Begegnung mit JesusChristus entscheidet sich die Wahr-heitsfrage, und nur hier. Und wennwir der Spur des Matthäusevangeli-ums folgen, bedeutet dies nicht einformales Bekenntnis (»es werden nicht

sens, Heterodoxie oder Häresie.Wichtig ist die Erkenntnis, dass dieEntstehung von Sekten zum Lebender Kirche immer dazu gehört hat.Kirche verändert sich laufend, es gibtNeudifferenzierungen und Abspal-tungen – und dann eben auch Sekten.

PRO: Wie bedrohlich sind Sekten fürdie Kirche?

Kinzig: Bedrohlich sind für denProtestantismus heute nicht so sehrdie »Sekten«. Viel gefährlicher sindneue Gruppen, die für sich in An-spruch nehmen, protestantisch zusein, oder dafür gehalten werden,aber keinen Bezug zu den Kirchender Reformation aufweisen. Sie sindvorwiegend fundamentalistisch undcharismatisch geprägt, mit beträcht-

lichem missionarischem Erfolg vorallem in China, Afrika und Latein-amerika. Die Gefahr besteht darin,dass diese Gruppen das Ansehen derevangelischen Kirche beschädigen.Wir brauchen daher eine klare Ab-grenzung. Wir müssen ein neuesVerständnis von Mission entwi-ckeln, intensiver über unsere eigeneLehre und Organisation nachden-ken und uns näher an den Lebens-welten des modernen Menschen be-wegen.

PRO: In der Geschichte der Kirchewurden viele Gruppen als Sekten ver-folgt …

Kinzig: Für eine Verfolgung gibt eskeinerlei Legitimation, für eine in-haltliche Auseinandersetzung sehr

wohl. Die Kirche hat dies in der Ver-gangenheit nicht klar auseinander-gehalten. Verfolgung resultiert ausFurcht. Kirche sollte sich aberfurchtlos mit anderen religiösenMeinungen und Lehren ausein-andersetzen, denn sie darf sich desBeistandes ihres Herrn Jesus Chris-tus gewiss sein.

PRO: Kann die Kirche aus ihrer lan-gen Geschichte mit den Sekten etwaslernen?

Kinzig: Ihre teilweise blutige Ge-schichte muss zum einen zum Ge-waltverzicht mahnen. Zum anderensprießen Sekten dort, wo zu wenigfür die kirchliche Bildung getanwird. Daran mangelt es auch heute!

Jürgen Faber

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Seite 6 Juli/August 2008PPRROOTTEESSTTAANNTT

Bücher ++ Bücher ++ Bücher ++ Bücher ++ Bücher ++ Bücher ++ Bücher ++ Bücher

Protestantisches Rom

Erfrischend deutsch

Das ist schon sensationell: Es gibt jetzteinen Rom-Reiseführer aus protestan-tischer Sicht. Die Autoren, Dr. JürgenKrüger, Professor für Kunstgeschichtein Karlsruhe, sowie Dr.Michael Meyer-Blanck, Theologieprofessor in Bonn,haben auf viele wichtige Bauten ihrkunstgeschichtliches und theologiege-schichtliches Augenmerk gelegt undaus evangelischer Sicht dargestellt. In-tensiver beschäftigen sie sich mit denBauten, die der Protestantismus inRom geschaffen hat.

»Evangelisch in Rom« geht auchder Frage nach, warum evangelischeTheologen nach Rom gefahren sind,wie etwa Rothe, Tholuck und Bon-hoeffer. Kapitel, die neugierig machen,sind etwa das über die Moses-SkulpturMichelangelos in San Pietro in Vincolioder das über die lutherische Christus-kirche und die Waldenserkirchen. Of-fen wird über die Spannungen derevangelischen Gemeinde in der Zeitdes Nationalsozialismus gesprochen.Erstaunlich: die Darstellung eines evan-gelischen Märtyrers, des rheinischenPfarrers Paul Schneider, in einer Ikonemit den Glaubenszeugen des 20. Jahr-hunderts in der Basilika San Bartolo-meo der ökumenischen GemeinschaftSant’Egidio. Jürgen Faber

� Jürgen Krüger/Michael Meyer-Blanck:

Evangelisch in Rom, Göttingen 2008,

240 S., 19,90 Euro.

in erfrischenden Perspektiven. Immerwo es um die langen Linien der Ge-schichte geht, überzeugt das Werk weitstärker als bei dem Blick auf das Heu-te. Zudem bemüht Demandt ein ver-meintliches Wesen der Deutschenschlechthin und gar einen National-charakter recht stark; beides gibt es

Der kulturhistorische Überblick desBerliner Althistorikers Alexander De-mandt versteht sich als großer Wurf. In14 Kapiteln entwirft der Autor ein Bilddeutscher Kultur, das zunächst durchgute Lesbarkeit und ungeheure Ge-lehrsamkeit besticht. Von Germanenund Deutsche über Der Wald und dieBäume – auch Gott und die Welt fehlennicht – bis zu Spiele, Sport und Festereicht der Reigen der Überschriften.Aus seiner evangelischen Gesinnungmacht der Autor keinen Hehl: Lutherund Bach als Heroen, aber von Päp-sten und Bischöfen liest man wenig.Demandt eröffnet ungewohnte Pers-pektiven: Deutschlandlied, die Kanzle-rin oder der Neandertaler erscheinen

»Ich war so krank, fast schon auf deranderen Seite«, schildert Naftali Fürstden Tag, an dem er als Zwölfjährigeraus dem Konzentrationslager Buchen-wald befreit wurde.Als einer der letztenZeitzeugen des Holocaust hat er seineErinnerungen in dem neu erschiene-nen Buch »Wie Kohlenstücke in denFlammen des Schreckens« festgehalten.Herausgeberin des 160 Seiten umfas-senden Bandes ist Pfarrerin AnnetteHirzel aus Königswinter. Naftali Fürsterzählt in seinem »Überlebensbuch«,wie er es nennt, zusammen mit deminzwischen verstorbenen BruderShmuel Peter Fürst die einzigartige Ge-schichte seiner Familie. Den Holocaustund vier Konzentrationslager überle-ben die Brüder und ihre Eltern. Wie

Überlebensbuch

Auf einem genialen Einfall basiert Ul-rike Piechotas neues Buch. Es schilderthumorvoll Gespräche, die AdalbertWärther nach seinem achtzigsten Ge-burtstag mit dem jungen Wertherführt. In Goethes ausgewählten Wer-ken, die Adalbert Wärther zur Konfir-mation erhalten hatte, fand er im erstenBand »Die Leiden des jungen Wer-

Generationen im Gespräch

Von Dr. Stephan Bitter

Wir gedenken in diesem Jahr2008 der Errichtung des ers-

ten evangelischen Gotteshauses inGodesberg, der Rigal’schen Kapelle,vor 150 Jahren, dem Bau der neuenevangelischen Kirche in Oberkasselvor 100 Jahren sowie der Konstitu-ierung der drei heutigen Kirchen-kreise der Region vor 40 Jahren.

1858 gehörten die Godesbergerevangelischen Christen noch zu derGemeinde Bonn. Wenig später, imJahre 1861, wurde die GodesbergerGemeinde selbständig, weil die Zahlder Gemeindeglieder so gewachsenwar. Noch gehörte man aber ge-meinsam zu dem alten großen Kir-chenkreis Mülheim am Rhein, dersich 1817 gebildet hatte. Die Zahlder Protes tanten im RaumKöln/Bonn stieg im Laufe des Jahr-hunderts von rund 8.000 (1817) auf99.000 (1895). Deshalb teilte sich1894 der Kirchenkreis in die Syno-den Köln mit 72.002 Gemeindeglie-dern und Bonn mit 27.079; dieGrenzziehung zwischen den Kir-chenkreisen orientierte sich an denbeiden Landgerichtsbezirken.

Nach dem Zweiten Weltkriegwuchsen Bonn und seine kleinerenNachbarstädte gewaltig, besondersdurch den Zuzug meist evangeli-scher Flüchtlinge. 1965 zählte der

Kirchenkreis Bonn rund 204.000Christen zwischen Overath undMünstereifel, Zülpich und Leu-scheid. Nach eingehenden Vorarbei-ten beschloss die Synode in diesemJahr eine erneute Aufgliederung. Siewurde mit 213.190 Gemeindeglie-dern zum Jahresbeginn 1968 so vor-genommen, dass »man den Rheinzur Grenze machte und den links-rheinischen Bereich noch einmalteilte«, berichtet der Kirchenhistori-ker J.F. Gerhard Goeters. So ent-standen die heutigen KirchenkreiseBonn (von Bonn-Innenstadt bisSechtem), Bad Godesberg (von BadGodesberg bis Zülpich; seit 1999Kirchenkreis Bad Godesberg-Vorei-fel) und An Sieg und Rhein (vonBonn-Beuel bis Leuscheid).

MannigfaltigeZusammenarbeit

Die ersten Superintendenten warenWilhe lm Winter berg (Bonn;† 1991), Gerhard Saß (Bad Godes-berg, zuvor Assessor des alten Kir-chenkreises; † 1991) und WalterKlocke (An Sieg und Rhein, zuvorSuperintendent des alten Kirchen-kreises; † 1987).

Im Jahre 2007 hatten die Kir-chenkreise Bonn (49.205), Bad Go-desberg-Voreifel (56.391) und AnSieg und Rhein (122.923) zusam-

Wachsender ProtestantismusVor 40 Jahren – Trennung der drei Kirchenkreise in der Region Bonn

men 228.519 Gemeindeglieder. Zwi-schen den Kirchenkreisen, ihrenSuperintendenten und Gremien gibtes eine mannigfaltige Zusammenar-beit, die über die Probleme der or-ganisatorischen Trennung der Bon-ner Gemeinden hinweghilft. Ein Di-akonisches Werk mit vielen Einrich-tungen, ein Schulreferat, eine Fach-beratung für Tageseinrichtungen fürKinder, eine Beratungsstelle für Er-ziehungs-, Jugend-, Ehe- und Le-bensfragen und mehrere Verwal-tungsdienststellen werden von zweibzw. allen drei Kirchenkreisen ge-meinsam getragen. Der PROtestantwird gemeinsam herausgegeben.

Die Möglichkeiten weiteren Zu-sammengehens sind verschiedent-lich erwogen worden. Dabei warenund sind sich aber die leitendenGremien darüber im Klaren, dass ineiner Zentralisierung nicht die Lö-sung aller Aufgaben liegen kann. Esgeht in der kirchlichen Arbeit ja umden Menschen. Also um Nähe, umSeelsorge und Verkündigung. Gottsei Dank. Die Geschichte der Rigal’-schen Kapelle wie der OberkasselerKirche erzählen exemplarisch, wasin dieser Hinsicht Christen tun kön-nen.

� Der Autor war Superintendent im

Kirchenkreis Bad Godesberg-Voreifel

von 1989 bis 2001.

Zum 100sten Mal jährt sich in die-sem Jahr die Einweihung der »Gro-ßen Evangelischen Kirche Ober-kassel«. Die unter Denkmalschutzstehende Jugendstilkirche bietet 550Besuchern Platz. Zum Jubiläum lädtdie älteste evangelische Gemeindeim heutigen Bonn zum mehrwöchi-gen Festprogramm ein.

Auftakt machen am 14. Septem-ber um 11 Uhr ein Familiengottes-dienst und Gemeindefest. Bis zumJubiläumsfestakt am 2. November2008 finden Vortragsabende, Kirch-bauaktion und Ausstellung statt.

Das Gesamtprogramm findetsich unter www.kirche-ok.de. ImOktober erscheint eine Festschrift.

jhp

Sie ist die Keimzelle der EvangelischenGemeinde Godesberg und der erste ei-genständige evangelische Kirchenbauim linksrheinischen Bonn: Die Rigal’-sche Kapelle, eingeweiht am 1. Juli1858. Das Jubiläum feiern die Gemein-den in Bad Godesberg und Wachtbergmit einem Gemeindetag am Sonntag,24. August. Auftakt macht ein Open-Air-Gottesdienst mit Präses NikolausSchneider um 11 Uhr. Der neuromani-sche Backsteinbau entstand als Privat-kapelle der Familie von Ludwig Maxi-milian von Rigal-Grunland, die als Hu-genotten aus Frankreich vertrieben alsTextilfabrikanten zurzeit NapoleonsWohlstand und neues Ansehen erlang-ten.Heute nutzt die Protestantische Ge-meinde französischer Sprache dasKirchlein an der Kurfürstenallee.Die Jo-hannes-Kirchengemeinde Bad Godes-berg veröffentlicht eine Festschrift, für2 Euro in allen Bibliotheken und Ge-meindebüros Bad Godesbergs. gar� www.bgv.ekir.de

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Wo, bitte schön, ist das Paradies? Ei-nen Vorgeschmack präsentiert derDüsseldorfer Medienverband mit sei-ner neuen CD-Produktion. Die Ma-cher des evangelischen Medien-dienstleisters haben die Produzentenund Songwriter Heiko Albrecht undGünter Asbeck für das Projekt »Para-dise Bar« gewonnen. Herausgekom-men ist eine 45 Minuten dauerndeSymbiose: Aktuelle Beats bringenbiblische Psalmen zu neuer, intensi-ver Wirkung.

Ganz gleich, ob in der chilligenHotelbar oder auf dem mp3-Playeram Strand: Albrecht, Asbeck undSängerin Jackie Bredie eröffnen mitihrer »Exlusive Spiritual Lounge Mu-sic« neue Zugänge zu den Gebeten –respektvoll, liebevoll und manchmaleinfach nur entspannend. Meist aufenglisch, manchmal deutsch. Dochmit der Musik immer ganz nah dranan dem, was die Psalmen bewegt.Wenn das nicht paradiesisch ist?!

Sven Waske

durch ein Wunder finden nach der Be-freiung alle wieder zusammen. Dochdie schmerzlichen Erinnerungen kannNaftali Fürst erst lange danach, aufBitten der Familie, in Worte fassen – inseinem nun auf Deutsch vorliegendenBuch. Eine ergreifende Lektüre vonbeeindruckender Sprachkraft.

Jutta Huberti-Post

� Naftali Fürst: »Wie Kohlestücke in den

Flammen des Schreckens – Eine Familie

überlebt den Holocaust«, (Hrsg. von

Annette Hirzel), Neukirchener Verlags-

gesellschaft, 2008, 160 Seiten, 12,90 Euro.

nämlich gar nicht, denn auch wenndas Föderale in der Politik zusehendsverloren geht – in der Kultur bleibt esprägend. Wer auf einem soliden Wis-sensfundament aufbauen kann, werneugierig auf originelle Zitate von Ta-citus, Luther, Goethe oder Nietzscheund zudem nicht abgeneigt ist, sichbeim Lesen an ungewöhnlichen The-sen zu reiben, dem sei Demandts Buchunbedingt empfohlen.

Gunther Hirschfelder

� G. Hirschfelder lehrt Volkskunde an

der Universität Bonn

� Alexander Demandt: Über die Deut-

schen. Eine kleine Kulturgeschichte.

Propyläen Verlag, Berlin 2007. 496 S., 70

Farbabb., 24,90 Euro.

Wo ist das Paradies?

� Paradise bar, Exclusive Spiritual

Lounge Music, 15 Euro; 9,90 Eurobei iTunes.Bestellhotline 0211 / [email protected]

ther«. Dunkel erinnerte er sich daran,dass sich der Titelheld aus Liebeskum-mer erschoss. »Nein, junger Werther,wenn wir das alle machen würden,wäredie Menschheit längst ausgerottet. Umdas zu verhindern, müssen wir unserLeiden ertragen. Obwohl, du hastRecht, einen Sinn sehe auch ich nicht inden Leiden, die das Alter nun einmalmit sich bringt.Schöner wäre es allemalohne Leiden.« Zweiundzwanzig seinerErlebnisse und Erfahrungen, wie manden Leiden im Alter begegnen kann,bespricht der alte Wärther mit demjungen Werther.Oft hatte er mit seinemSohn Tristian vorher telefoniert. Aberdiese Gespräche halfen ihm meist nichtweiter. In dem jungen Werther hatte ereinen geduldigen Zuhörer gefunden.Dieses Buch hebt sich angenehm vonder gängigen Literatur zum Alter ab.

Reinhard Witschke

� R. Witschke war langjähriger Diakonie-

Direktor der Rheinischen Landeskirche.

� Die Leiden des alten Wärther, Iatros

Verlag 2007, 154 S., 9,90 Euro.

Page 7: PRO 33 2008 · 2020-03-04 · AUSGABE 33 · JULI/AUGUST 2008 · BONN und die REGION Evangelische Einblicke PROTESTANT Opfer auf dem Weg ins Licht Der verzweifelte Versuch, ein Kind

Hugo Distler (100. Geburtstag), Jo-hannes Brahms und Hugo Wolf; Pro-jektchor des Poppelsdorfer Orgelsom-mers – Christoph Hamm, Klavier undLeitung

Donnerstag, 07.08, 19.00 UhrKreuzkirche am Kaiserplatz, Bonn-Zen-trum: »The Music of Klezmer« mit demEnsemble »Joy of Dance«, Arrangementsfür Violine, Klarinette, Akkordeon undKontrabass, Eintritt: 9 Euro, erm. 7 Euro(Reihe »am 7. um 7«)

Sonntag, 10.08., 18.00 UhrAegidienkapelle Buschdorf: in der Reihe»Musik und Wort um 6«, Musik für Kla-

rinette und Orgel; Lisa Greve (Klarinet-te) & Carsten Siering (Orgel)

Sonntag, 10.08., 18.00 UhrGnadenkirche,Wachtberg-Pech: Orgelkon-zert (Wachtberger Kulturwoche), Orgelmu-sik aus England (Stanley, Standorf u.a) –Hans-Peter Glimpf (Orgel)

Sonntag, 10.08., 20.00 UhrSt. Sebastian, Bonn-Poppelsdorf, Kirschallee(Poppelsdorfer Orgelsommer): Orgelkon-zert – Olivier Messiaen (100. Geburtstag):L'Ascension, Les Corps glorieux, La Nativi-té – Berthold Wicke (Orgel)

Sonntag, 17.08., 20.00 UhrLutherkirche, Reuterstr. 11, Bonn-Poppels-dorf (Poppelsdorfer Orgelsommer): Kam-merkonzert – Olivier Messiaen: Quatuorpour la Fin du Temps – Berthold Wicke: Findu Partie; Susanna Frank (Mezzo-Sopran);ensemble kontraste: Michael Neuhalfen

Montag, 07.07., 19.00 UhrKreuzkirche am Kaiserplatz, Bonn-Zen-trum: Johann Sebastian Bach: Das wohl-temperierte Clavier: 1. Buch – Stefan Horz(Cembalo) Eintritt: 9 Euro, erm. 7 Euro(Reihe: »am 7. um 7«)

Freitag, 11.07., 20.00 UhrVersöhnungskirche, Neustraße 2: KeltischeHarfe: Musik von Turlough O'Carolan - MitAnekdoten und bezaubernder Musik ent-führt Christoph Pampuch (Harfe) das Pu-blikum in die Welt des berühmten irischenHarfners O'Carolan. Eintritt frei.

Sonntag, 13.07., 18.00 UhrAegidienkapelle Buschdorf, in der Reihe»Musik und Wort um 6«, Joseph Rheinber-ger: »Missa puerorum« – Birgit Reinders(Sopran) & Agnes-Dorothee Koss (Orgel)

Sonntag, 20.07., 20.00 UhrSt. Sebastian, Bonn-Poppelsdorf, Kirsch-allee: Auftakt »Poppelsdorfer Orgelsommer2008« unter dem Motto »Deutsch-Franzö-sisch. Französisch-Deutsch«. Orgelkonzertmit Werken von Alexandre Guilmant, Ar-thur Honegger, Johannes Brahms und JuliusReubke – Christoph Hamm (Orgel). Dasganze Programm des Orgelsommers biszum 24. August: www.lutherkirche-bonn.de

Sonntag, 03.08., 20.00 UhrLutherkirche, Reuterstr. 11, Bonn-Pop-pelsdorf: Mörike-Vertonungen – von

Juli/August 2008 Seite 7

Spitzensportlerund Teilnehmeran den Para-

lympics in Peking2008. Geboren am18. Februar 1965.Ausbildung zum Ver-waltungsbeamten,dann Studium derevangelischen Theo-logie in Wuppertalund Pfarrer. Seit 2005Dozent für integrati-ve Gemeindearbeitam Pädagogisch-Theologischen Insti-tut (PTI) der Rheini-schen Landeskirche auf dem Heiderhof (Bad Godesberg). 1992erstmals Goldmedaille im Tischtennis bei den Paralympics in Bar-celona. Viele Olympia- und Weltmeistertitel folgen. Autor desBestsellers „Lieber Arm ab als arm dran“ (2004). Im August erscheint sein neus-tes Buch, „Spielend das Leben gewinnen“. Warnte vor einem Olympiaboykottin China. Die Spiele bieten für ihn vielmehr die Chance, vor Ort Veränderun-gen zu bewirken, für Menschenrechte, Rechte der Christen und vor allem fürdie Situation der Menschen mit Behinderung. (www.schmidt-rainer.com)

? Ihre Lieblingsgeschichte aus derBibel?Gen 1-11! Sehr lang, aber auch sehrgut.

? Was bedeutet für Sie »Sünde«?Sünde heißt, sich nicht um Gott undandere Menschen zu scheren.

? Welche Zukunft hat die evangeli-sche Kirche?Sie denken, ich könne orakeln? Ichwünsche mir jedenfalls, dass Kircheeine kritische Stimme in unsererGesellschaft ist und ein Ort derFreiheit.

? Welche Bedeutung hat das Gebetfür Ihren Alltag?Immer, wenn mich etwas bewegt,erzähle ich das. Oft genug muss Gottals Gesprächspartner herhalten. Undich mag gerne schön formulierteGebete. Daher leihe ich mir zuweilenWorte von anderen Betern und habedas Gefühl, so hätte ich das nicht sagenkönnen.

? Was würde Jesus von Nazarethheute predigen? Jesus würde viel über Reichtum undArmut predigen. Und über die Freiheitwürde er sprechen, weil so vieleMenschen in Sachzwängen leben. Unddarüber, dass sich die Menschheit umihre Existenz bringt, wenn sie weitergute Geschäfte für wichtiger hält alsguten Umweltschutz. Und Mutmachen würde er.

? Kennen Sie Ihren Taufspruch?Nein, aber ich kenne meinenKonfirmandenspruch: „Ich bin derHerr, Dein Gott, der deine rechteHand fasst und zu dir spricht: fürchtedich nicht, ich helfe Dir.“ (Jes 41,13)

? Sind Sie schon mal während einerPredigt eingenickt?Bei meinen eigenen noch nie. Beidenen von anderen gehen meineGedanken manchmal spazieren.Eingeschlafen bin ich aber noch nie.Das wird dann mit zunehmendemAlter kommen.

? Was ärgert Sie besonders amChristentum?Verbohrte Hardliner.

? Was freut Sie am Christentum?Leidenschaftliche Befreite.

? Was bedeutet für Sie Auferste-hung?Dass keine Situation aussichtslos ist.

? Welches Kirchenlied kennen Sieauswendig?Kommt herbei, singt dem Herrn, ruftihm zu der uns befreit ... (EvangelischesGesangbuch Nr. 577) und noch einpaar andere.

? Ihre Lieblingsgestalt aus der Kir-chengeschichte?Martin Luther.

? Spielt es für Sie eine Rolle, ob IhreFreunde und Bekannten in derKirche oder ausgetreten sind?Nein! Ich bin sogar mit einigenMuslimen gut befreundet. Und vonmanchen kirchentreuen Protestantenhalte ich mich lieber fern. Sympathiehängt nicht am Bekenntnis.

? Die Rolle Ihrer Heimatgemeindein Ihrem Leben?Ich verdanke ihr viele erfüllte Stundenmeines Lebens. Und sie hat mir zahl-reiche Anlässe geboten, mich von ihrabzugrenzen.

? Freuen Sie sich auf die Ewigkeit?Die soll sich ja noch ein wenig Zeit las-sen. Wenn sie dann aber kommt, hoffeich, dass sie zwar lang, aber nicht lang-weilig wird.

? Evangelisch – katholisch, muss dasnoch sein?Natürlich wünsche ich mir die Über-windung der Trennung. Andererseitskönnte ich mir nicht vorstellen, katho-lischer Geistlicher zu werden. Und ichvermute, den katholischen Kollegengeht das ebenso. Das zeigt mir, dieVereinigung beider Kirchen ist zur Zeitnoch Utopie.

? Was denken Sie über »Mission«?Mission geht nur als Bekenntnis. Wermit der Einstellung missioniert, andereMenschen müssen dazu gebracht wer-den, meine Wahrheit zu übernehmen,der läuft Gefahr, den Respekt vor denMenschen zu verlieren. Wer aber seineWahrheit mutig ins Gespräch ein-bringt, der hat die Chance, Menschenfür den Glauben zu gewinnen.

? Und der Teufel?Der ist ein armes Würstchen. Vor demhabe ich keine Angst.

? Sie haben drei Wünsche an IhreKirche frei. Wie lauten Sie?Drei Wünsche, das hört sich nachAschenputtel an. Mir reichen zwei: 1. Selbstbewusst sein: Die Welt braucht

Glaubende 2. Ein Ort der Vielfalt solle sie sein.

Rainer Schmidt

JULI

Redaktion: Joachim Gerhardt (verantw.),Angela Beckmann, Dr. Uta Garbisch

Redaktionelle Mitarbeit: AnastasijaBarinova, Dr. Axel von Dobbeler, Jürgen Faber,Gisela Fröbisch, Gisela Hein, Jutta Huberti-Post,Lisa Inhoffen, Max Koranyi, Susanne Ruge,Brigitte Uhl, Sven Waske

Redaktionsanschrift: Evangelischer Kirchenkreis Bonn, Adenauerallee 37, 53113 Bonn,Tel.:02 28 / 68 80 - 3 00

Fax:02 28 / 68 80 3 04E-Mail:[email protected] www.protestant-bonn.de

Konto zur freundlichen Unterstützung:Ev. Kirchenkreis Bonn, Stichwort »Protestant«,Konto 59014, Sparkasse Bonn (BLZ 380 500 00)

Druck: druckhaus bonn. kon-stahl-stiftung kg,Postfach 12 45, 53334 Meckenheim – Auflage:6.500 Exemplare (3 mal jährlich)

PROtestant – Evangelische EinblickeZeitung für Multiplikatoren aus Gesellschaftund Kultur, Politik und Wirtschaft in Bonn undder Region

Herausgeber: Die Superintendenten EckartWüster, Dr. Eberhard Kenntner und HansJoachim Corts, Kirchenkreise Bonn, BadGodesberg-Voreifel und An Sieg und Rhein

Impressum

(Klarinette), Barbara Littmann (Violine),Franz Georg Kreuzer (Violoncello), Ber-thold Wicke (Klavier)

Sonntag, 24.08., 14.00 UhrEvangelische Kirche Hersel, »Die Orgel-maus« von Karl-Peter Chilla – Ein unter-haltsames Gesprächskonzert für Kinderund Erwachsene über die Funktions-weise der Orgel im Rahmen des Fami-lienkirchentags Hersel – Agnes-DorotheeKoss (Orgel)

Sonntag, 24.08., 16.00 UhrNachfolge-Christi-Kirche, Dietrich-Bon-hoeffer-Straße, Bonn-Beuel-Süd: Unter-haltungsmusik von Renaissance bis zu

den »Roaring Twenties« mit »CologneBrass Quintett« & Friends: Hubert Ar-nold (Orgel und Pauken), Patrick Dreier,Bernhard Schwanitz jr. (Trompeten),Bettina Eisenmann (Horn), Bertram Voll(Posaune), Guido Gorny, Chorleiter derBeueler »Blechlawine« (Tuba)

Sonntag, 24.08., 20.00 UhrLutherkirche, Reuterstr. 11, Bonn-Pop-peldorf (Poppelsdorfer Orgelsommer):Orchesterkonzert- J.S. Bach: 5. Branden-burgisches Konzert, M. Corette: Cemba-lokonzert A-Dur, J.G. Rheinberger: Con-certo; Eva Bielefeld (Flöte), Barbara Litt-mann (Violine), Franz Georg Kreuzer(Violoncello), Gunhild Wolff (Paris),Cembalo und Orgel, Orchester der Lu-therkirche; Berthold Wicke (Leitung) –Eintritt 10 Euro

� Redaktion: Susanne Ruge (info@bonn-

evangelisch.de)

Das größte GebotEin Rätsel nach Matthäus 22, 31-46

Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der

, welches ist das vornehmste Gebot im Gesetz?

Du sollst lieben Gott, deinen

In diesen zwei Geboten hängt das ganze

Du deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Was denkt ihr von dem ?

Das Lösungswort:

Einsendeschluss istMittwoch, 4. September 2008,Todestag des Theologen,Arztes und PhilosophenAlbert Schweitzer 1965.An: Redaktion PROtestant,Evangelischer KirchenkreisBonn, Adenauerallee 37,53113 Bonn [email protected] es zu gewinnen gibt?Eine hochklassige CD einesKirchenmusikers aus Bonnund der Region.Das Lösungswort imPROtestant Nr. 32 lauteteJA-WORT. Dank allen Teil-nehmer/innen. Die Gewin-nerin ist Lina Luschinski aus53347 Alfter-Witterschlick.Herzlichen Glückwunsch!

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Jazz und JohannespassionKirchenmusikalische Highlights aus Bonn und der Region

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Zum »BonnerInternationalesGospel- und Pop-festival« (BIG)lädt am 8.- 9. No-vember 2008 dieEvangelische Kir-chengemeindeOberkassel: eingeballtes Wo-chenende vollerWorkshops undSchnupperkursemit internationa-len Künstlern undein Galakonzertzum Abschluss.Schirmherr istGeert Müller-Gerbes. Anmel-dung ab sofort:www.big-festival.de.

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Page 8: PRO 33 2008 · 2020-03-04 · AUSGABE 33 · JULI/AUGUST 2008 · BONN und die REGION Evangelische Einblicke PROTESTANT Opfer auf dem Weg ins Licht Der verzweifelte Versuch, ein Kind

Seite 8 Juli/August 2008PPRROOTTEESSTTAANNTT

Möglichkeiten und diese Zukunftssi-cherung ist für das Rheinland von sogroßer Bedeutung, dass wir es auch er-tragen können, wenn der Standort ver-legt wird. Das Rheinland hat schon im-mer über seine Grenzen hinaus ge-dacht.

PRO: Sie haben im Vorfeld der Ent-scheidung mit der Bonner Oberbürger-meisterin gesprochen. Sie hat kein Ver-ständnis gezeigt. Sehen Sie noch Mög-lichkeit, die Entscheidung in die BonnerPolitik hinein zu erklären? Gibt es nochVorstöße Ihrerseits in diese Richtung?

Schneider: Ich gehe nicht davon aus,dass ich die Bonner Politik zu einer Zu-stimmung für diese Entscheidung be-wegen kann. Ich hoffe allerdings, dassbei unvoreingenommener Kenntnis-nahme der Gründe für die Entschei-dung des Aufsichtsrates des eed unserWeg nachvollziehbar wird. Das Ge-spräch mit Ihnen und die Bereitschaftzum Gespräch mit weiteren Medien-vertretern sollen dem helfen. Auch mitden Landespolitikern werden weitereGespräche folgen.

PRO: Viele Mitarbeitenden sind vorsieben Jahren erst in den neu gegründe-ten eed nach Bonn gekommen und müs-sen nun schon wieder umziehen. HabenSie Verständnis für den zum Teil sehr gro-ßen Unmut, jetzt wieder die Koffer pa-cken zu müssen?

Schneider: Für den Unmut der Mitar-beiterschaft habe ich großes Verständ-nis. Wir muten gerade denjenigen sehrviel zu, die schon einmal die Koffer ha-ben packen müssen, um von Stuttgart,Hamburg oder Bochum aus nach Bonnzu ziehen. Wir werden uns aber auchsehr anstrengen, um diesen Mitarbei-tenden die uns möglichen Hilfestellun-gen zu geben, mit dieser Situation zu-rechtzukommen. Das bedeutet zum ei-nen, dass wir möglichst viele Mitarbei-tende gewinnen möchten,mit uns nachBerlin zu gehen. Das bedeutet zum an-deren, dass wir auch bei der Vermitt-lung von neuen Arbeitsplätzen in derRegion Bonn behilflich sein wollen.Und das scheint mir auch möglich zu

PRO: Bonn ist das bundesweite Zen-trum für Entwicklungspolitik. Warumgeht der Evangelische Entwicklungsdienstnach Berlin?

Schneider: Bonn ist ein ganz hervorra-gender entwicklungspolitischer Stand-ort.Deshalb geht der Evangelische Ent-wicklungsdienst (eed) auch nicht ausfreien Stücken oder aus einer Launeheraus nach Berlin.Der neue DienstsitzBerlin ist das Ergebnis von Verhand-lungen zwischen dem DiakonischenWerk der EKD als Träger von »Brot fürdie Welt« und dem eed.Es ging letztlichum die Frage, ob die Fusion an der Fra-ge des Standortes scheitern darf. Undgenau das kann ich nicht verantworten.Denn die Zusammenführung von»Brot für die Welt« und eed ist einSchritt von großer entwicklungspoliti-scher Tragweite. Damit geht ein zehn-jähriger Verhandlungsprozess, derschon mehrere Male zu scheitern droh-te, einem glücklichen Ende entgegen.

PRO:Warum war eine Fusion am Bon-ner Standort nicht durchsetzbar?

Schneider: Für unseren Verhand-lungspartner Diakonisches Werk derEKD war der Standort Berlin nichtverhandelbar. Dies wurde von Anfangan und während aller Gespräche im-mer wieder deutlich gemacht. Das Di-akonische Werk konnte dafür auchplausible Gründe geltend machen: DasDiakonische Werk ist einschließlich»Brot für die Welt« eine große organi-satorische Einheit. Das Herausbrecheneines wichtigen Teiles wäre mit erheb-lichen Mehrkosten für die Diakonieverbunden. Darüber hinaus ist es beiden Verhandlungen zweier Partnernicht ungewöhnlich, dass man sichauf einen dritten, neuen Standort zurgemeinsamen Fortführung der Arbeitverständigt.

PRO: Misereor sitzt in Aachen, Caritasin Freiburg. Gibt es einen inhaltlichen

Warum nach Berlin?Präses Nikolaus Schneider zum Umzug des eed

sein, denn die Region Bonn wächst.Schließlich haben wir uns eine unge-wöhnlich lange Übergangszeit zuge-mutet: Die örtliche Veränderung wirdim Jahr 2012, wahrscheinlich sogar erst2013 anstehen. Dieser lange Zeitraumsollte es ermöglichen, dass es nicht zusozialen Verwerfungen kommt.

PRO: Viele der mehr als 200 Mitarbei-tenden fühlten sich nicht ausreichend in-formiert. War das so?

Schneider: Diese Klage aus der Mitar-beiterschaft ist mir nur zum Teil ver-ständlich.Denn allen war bekannt,dassdie EKD-Synode vor zehn Jahren dasZusammengehen aller entwicklungs-politischen Aktivitäten der Gliedkir-chen der EKD vorgegeben hatte.Es warauch bekannt,dass dazu seit langer Zeitintensive Gespräche geführt werden.Um Verständnis bitte ich aber dafür,dass die Verhandlungen zwischen Vor-ständen zunächst sehr vertraulich ge-führt werden müssen. Das galt insbe-sondere für die »verminte« Gesprächs-lage zwischen dem Diakonischen Werkund dem eed. Vorstand und Aufsichts-rat sind entschlossen, alle weiterenSchritte in großer Transparenz und mitder Bitte um die Kooperation mit derMitarbeitervertretung und allen Mitar-beitenden zu gehen.

PRO: In der Wirtschaft heißt Fusion inder Regel Stellenabbau. Beim eed auch?

Schneider: Diese Fusion ist nicht unterdem Gesichtspunkt Stellenabbau orga-nisiert. Kurzfristig wird es keinen Stel-lenabbau geben. Ich will aber nicht aus-schließen,dass nach einer längeren Fristauch Stelleneinsparungen möglich wer-

der Flucht 1945 umgekommen war.Wie diese Reisegruppe aus Bonn, so su-chen viele Deutsche Stätten ihrer Fa-miliengeschichte auf. Die Weltge-schichte wird als Familiengeschichtein Erinnerung gebracht; Kinder undEnkel versuchen sie zu verstehen.

»Wir haben hier in der Kirche ausder Familienchronik vorgelesen« oder

Der langjährige rheinische Diakonie-Direktor Reinhard Witschke undmittlerweile Godesberger Bürger istaktiver Urlauberseelsorger in Litau-en, auch dieses Jahr wieder Mitte Au-gust und September. Er berichtet vonganz besonderen Begegnungen in ei-nem auch vielen Bonnern gut be-kannten Land:

»Ich will eine Trommel«, erklärte derJunge in der Niddener Fischerkirche aufder Kurischen Nehrung, dem heutigenLitauen.Er gehörte zur Reisegruppe ei-ner Großfamilie aus Bonn. Für denJungen fand ich in der Kirche keineTrommel. Ich wollte die Bereitschaftdes Jungen in der Andacht mitzuwirkengerne annehmen. Darum bat ich ihn,für die Lesungen eine Bibel zu halten.

Eine Familie hatte sie zum Anden-ken an die Großmutter gestiftet, die auf

Familien auf den Spuren ihrer GeschichteLebendige Erinnerung auf der Kurischen Nehrung

»Wir sind in der Kirche, inder mein Großvater getauftwurde«, lauten Eintragungenim Gästebuch der Kirche. Dievielen Reiseeindrücke, dieSchönheit der Landschaft,Erinnerungen an Sommerauf der Nehrung in der Kind-heit, die Flucht 1945 fügensich in der Kirche zu einemeigenständigen Erleben zu-sammen.

In einem kostbar einge-bundenen Buch sind die Namen dereraufgeschrieben, die in der Kirchenge-meinde Nidden geboren und in derZeit des Ersten und Zweiten Weltkrie-ges verstorben sind: »1945 im Haff er-trunken«, »auf der Flucht verstorben«,»in russischer Gefangenschaft umge-kommen«, lese ich Hinweise auf dieUmstände des Todes. Der Name eines

Menschen wird über seine Lebenszeitöffentlich aufbewahrt. Gelegentlich er-innern sich Besucher des einen oderanderen Namens und seiner Lebensge-schichte. Sie beginnen zu erzählen.

Immer wenn Frauen und Männer,meist mit Kindern, den Innenraumder Kirche betreten, niederknien undsich bekreuzigen, weiß ich, dass es Ka-tholiken oder Orthodoxe aus den bal-tischen Ländern oder aus Russlandsind.

Werden die Familien aus den balti-schen Ländern und aus der ehemaligenSowjetunion einen Einblick in ihre Lei-densgeschichte geben? Dies wünschteich. So wird aus der Kirche als Erinne-rungsort ein Ort der Versöhnung undder Hoffnung auf ein friedliches Zu-sammenleben im Sinne der biblischenFriedensbotschaft.

Reinhard Witschke

In der letzten Ausgabe im März zierte sieunsere Titelseite: Wiebke Phob. Das Kleid,das sie dort präsentierte, war nur zur Probe.Nun hat sie ihren Mann Malte Frommann(links) geheiratet und das »ganz wunder-bar« Ende Mai in der Bonner Lutherkirche.PROtestant wünscht Gottes Segen!

Vorteil für Berlin, außer dass die Diako-nie dort gerne residieren möchte?

Schneider: Es ist natürlich von Vorteil,an einem Standort zu residieren, andem die wesentlichen politischen Ge-spräche geführt und Entscheidungenvollzogen werden. Das gilt ganz beson-ders für den Spitzenverband der EKDauf Bundesebene. Für den eed ist dieseFrage nicht ausschlaggebend, gleich-wohl ist zu bedenken, dass der politi-sche Kopf des Bundesministeriums fürwirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung (BMZ) in Berlin sitzt.

PRO:Was spricht gegen die Möglichkeit– wie bei den Bundesministerien mit Er-folg praktiziert – in einer Organisationan zwei Standorten zu arbeiten: »Brot fürdie Welt« und Katastrophenhilfe in Ber-lin, der eed in Bonn?

Schneider: Die zwei Standorte-Optionwurde bei unseren Gesprächen aus-führlich diskutiert, am Ende aber ver-worfen: Es sollen zwei große Werke mitunterschiedlichen Kulturen zu-sammengeführt werden. Dazu ist esnotwendig,dass die Mitarbeitenden imunmittelbaren Austausch zueinanderstehen. Nur so ergibt sich die Möglich-keit, eine neue gemeinsame Unterneh-menskultur herauszubilden. Zudem isteine Zwei-Standort-Lösung mit nichtunerheblichen Mehrkosten verbunden:Die Grundkosten für ein Gebäude sindvorzuhalten, die Pflege der internenKommunikation zwischen beidenStandorten ist mit erheblichen Reise-kosten verbunden.Aus diesen Gründenkam diese Option nicht zum Zuge.

PRO: Sie sprechen hier bislang als Auf-sichtsratsvorsitzender des eed. Bonn liegtzugleich aber im Herzen der RheinischenLandeskirche. Was sagen Sie als Präsesdieser Landeskirche zu der Entscheidung?

Schneider: Der Präses der Evangeli-schen Kirche im Rheinland ist unglück-lich über den Wegzug des eed aus Bonn.Das ist natürlich nicht in unserem In-teresse. Andererseits kann der Präsessich nicht der Einsicht verschließen,dass durch die Zusammenführung die-ser beiden großen Werke sich neue ent-wicklungspolitische Optionen ergeben,vor allem aber die entwicklungspoliti-sche Arbeit der evangelischen Kirchelangfristig gesichert wird. Deshalb sagtder rheinische Präses: Diese neuen

den. Wenn das dadurch frei werdendeGeld unseren Empfängerinnen undEmpfängern zugute kommt, so würdeich auch das begrüßen.

PRO: Haben Sie Angst, dass der eedwichtige Mitarbeiter durch den Umzugverliert?

Schneider: Ja, diese Sorge habe ichdurchaus. Denn es wird wichtige Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter geben,die so an den Standort Bonn gebundensind, dass sie nicht nach Berlin mitge-hen können.

PRO: Es gibt Stimmen, die sagen: »Brotfür die Welt« schluckt den eed? Wie solldie fusionierte Organisation denn künf-tig heißen?

Schneider: Diese Stimmen liegen völligdaneben. »Brot für die Welt« schlucktden eed keinesfalls.Das neue Werk wirdvermutlich den Titel »EvangelischesZentrum für Entwicklung und Diako-nie« tragen. Die beiden Werke werdenaber gegenüber der Öffentlichkeit undihren Partnern gegenüber mit den bei-den Namen auftreten: »Brot für dieWelt – Der evangelische Entwick-lungsdienst« und »Diakonie Deutsch-land – Der Bundesverband«.

PRO: Bonn bleibt auch ohne den eeddas bundesweite Zentrum für Entwik-klungsarbeit sowie die Vereinten Natio-nen. Frieden, Gerechtigkeit und Globali-sierung gestalten sind zentrale Themender Kirche. Wird die Evangelische Kirchean diesem Standort künftig präsent sein?

Schneider: Natürlich wird die Evan-gelische Kirche weiter in Bonn prä-sent sein. Ich darf darauf hinweisen,dass die Evangelische Kirche imRheinland ihre Akademie nach Bonnverlegt hat. Ferner ist damit zu rech-nen, dass auch die EKD ihre friedens-politischen Aktivitäten in Bonn zu-künftig bündeln wird.

Joachim Gerhardt

»Evan-gelischeKirchebleibt inBonn präsent.«

»Wir sichern langfristig unsere

Entwicklungsarbeit.«

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eed-Zentrale aufdem Hardtberg

(Foto rechts).Präses Schneider:

»Ich bin unglücklich über

den Wegzug aus Bonn.«

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