Probleme Der Religionsgeschichte

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PROBLEME DER

RELIGIONSGESCHICHTE

~'16lf I VANDENHOECK & RUPRECHT IN GöITIN GEN

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UGO BIANCHI

geb. 1922 in Cauriglia (Arezzo, Italien). - Laureato in Leftere (UnitI. di Roma, 1944); 1947 diplomat o der Seuola di perjezionamento in studi storieo-religiosi der Unitlersität Rom; anlieo allie'tlo dell'lstituto italia no per la storia aT/tiea, Roma (1952-1956); Pritlatdozent der Religionsgesdlichte an der Unitlersitiit Rom (1954-1959); o. Prof. der Religionsgeschichte an der Uniuersität Mes· sina (seit 1960); Sekretär der Societd italiana di storia

delle religioni.

Faeh: Vergleichende Religionsgeschichte, Typologie der Religion, Religionen der Antike, Hellenismus und Abend­land, Dualismus, Kosmogonie (primititle eingeschlossen ),

mystisdle Strömungen, Gnostizismus.

Werke: ;,J I02 AI2.A. Des tino, uomini e ditl ini ta nell'epos. nelle teogonie e nel eulto dei Greci (1953); Zamän i Oltrmazd. 1..0 zoroastrismo nelle sue origin i e ne/la sua essenza (1958); Il dualismo religioso. Sagg io storieo ed etnologieo (1958); Tcogonie e cosmogonie (1 960); LA religione greea, in Taechi.Venturi, Storia delle

religioni 2 (1962); Storia dell'etnologia (1964).

ß.ly.,r,SLhu Staatstibllothek

Münctlen

Kle ine V",ndenhoec*-R,ih, 203/204

U"beNlelzung aus dem ita lienischen yon Ellsabeth Serelman mit

Genehmigung des Verlages Edltrk e Studium. 1964 . Titel des Orig!­

nah;; _Probleml dl Slorla delle Relig ion,· - Umschlag: Irmgud

Sud<5torff. - Prlnted In Germany. - O hne ausdrüdd!che Geneh­mIgung des Verlages 15t es nich t gestattet . du Buch oder TeUe

darau. au f fOlo_ oder akustomechanl.them Wege Zu ye rv ie lfiil-

ligen. - GuamtherSlellung , Huberi'" Co., Göltlngen 8277

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INHALT

Einleitung • • • • • • 5

Ers ter Teil

1. Volksreligionen und gestiftete Religionen - Bumreligioocn -Prophetische Kulte . 21

11. Nationale, universale und kosmopolitische Religionen - My-sterienkulte •

III. Fetismisrisme, animistisme und animatistisme Kulte - Mono­theistische und polytheistische Religionen - Heidnische Reli-

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gionen 41

IV. Theistische und monistische Systeme - Dualistische Systeme 5.3

Zweiter Teil

1. Die Religion und das Heilige.

H. Oie psymismen und sozialen Begleitumstände .

111 . Das Oben und das Vorher.

Anhtlng; Ocr Mythos.

Anmerkungen

Erklärung einiger Famausdrucke

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Einleitung

Oie religionsgeschichdiche Forschung sieht sich zunächst einem vor­wegzunehmenden Problem gegenüber, das - im Vergleich beispiels­weise zur Erforschung der politischen und wirtschaftlichen Ge­schichte - ihre Untersuchungen nicht unerheblich erschwert. Nicht den Gegenstand ihrer Forschung gilt es zu bestimmen - der ist offensichtlich die Religion und die Religionen -, sondern Umfang und Inhalt des Begriffs Religion. Es handelt sich also darum, zu be­stimmen, au f welche Phänomene die religionswissenschaftliche For­schung sim zu erstrecken hat, welche Phänomene sich noch als reli­giös bezeidmen lassen, wenn auch nur hinsichtlich einer niedrigen, rudimentären oder in Verfall begriffenen Religiosität, und welche dagegen allf andersgeartete geistige Standorte zurückzuführen sind. Die religionsgeschichtliche Forschung geht als historische Wissen­schaft von Erfahrungen und Tatsachen aus, die sie ihrer scheinbaren Homogenität entsprechend ordnet, analysiert und nach Möglichkeit in ihren objektiven Zusammenhängen, ihrem Werdegang sowie, innerhalb gewisser Grenzen, in ihrer Wesensart interpretiert. Na­türlich wird der Religionsgeschichder in allen Stadien dieser Unter­sumung notgedrungen irgendeine Vorstellung oder Idee davon h,ben , was eine Tatsache als " religiös" kennzeichnet : eine Vorstel­lung oder Idee, die seine Forschung weiterhin zu klären haben wird . Zugleich wird er als Rcligionsgeschichtler gu t daran tun, nicht von einer geschlossenen und spekulativen Definition auszugehen, die - durchaus gerechtfertigt auf philosophischer Ebene - hier, weil auf eine paradigmatische und ideale form der Religion bezogen, ungeeignet sein könnte, die Tatsachen, und zwar alle Tatsamen, zu umfassen, welche die Gesmichtsforsmung berücksichtigen muß. Die Gefahr einer zu begrenzten Ausgangsposition in der religions­geschidttlimen Forschung besteht nicht nur für die Definition mit philosophischem Inhalt. Als um die Mitte des vorigen Jahrhunderts der englische Ethnologe Sir Edward Burnett Tylor die Religionen der sogenannten Primitiven erforschte, das heißt sich die Frage n::lch den ältesten Formen - vielmehr: nach den Anfängen, den Ursprün­gen - der Religion stellte, hielt cr es für zweckmäßig, einen - wenn auch noch so minimalen - Religionsbegriff festzulegen : er versuchte angesirnts der ungeheuren Mannigfaltigkeit religiöser Tatsamen einige Anhaltspunkte bzw. Glauhensgegebenheiten festzusetzen, die

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den zu untersuchenden Reügionen gemeinsam wären. Er glaubte, als kJeinsten gemeinsamen Nenner im wesentlichen feststellen zu können: den Glauben an die loslösbare Seele, die eine An beleben­den, wirkenden und versöhnbaren "Doppelgänger" darstellt, der allen Wesen eignet, die auf menschlichem, tierischem, pflanzlichem, mineralischem und kosmischem Gebiet in den Augen des Primitiven eine unausspredUiche, aber aktive Gegenwart bekunden. So begrün­dete er den "Animismus", die erste interpretierende Theorie der modernen religionsgeschichtlimen f orschung. Sie herrschte bis vor nicht langer Zeit und gab ihre Vorherrschaft nur langsam und stufen­weise zugunsten anderer Theorien auf, die zwar in andere Richtung wiesen, aber doch auf analogen Gedankengängen aufgebaut waren, wie beispielsweise der "Präanimismus" oder "Animatismus", von dem später die Rede sein wird . Wenn wir heute, aus einem Abstand von so vielen Jahrzehnten, die Entstehung der Tylorsmen Hypothese überprüfen, sind wir in der Lage, ihre schwachen Punkte mühelos aufzudecken. Wir wollen bei diesem Bemühen einen Augenblick verweilen, nicht in der Ab­sicht, eine nunmehr abgeschlossene Polemik mit dem Animismus wieder aufleben zu lassen, sondern um einige grundsätzliche Fragen zu klären, auf die wir soeben die Aufmerksamkeit gelenkt haben. Tylor suchte nach einem kleinsten, den Religionen gemeinsamen Nenner. Diesen Nenner glaubte er in dem Begriff " loslösbare Seele" zu erkennen und setzte ihn automatisch dem einfachsten Wesen - besser gesagt : den Ursprüngen der ReHgion - gleich. Dieses Ver­fahren hatte im wesentlichen zwei schwache Punkte : einmal erlaub­ten die mangelhaften Kenntnisse seiner Zeit Tylor nicht, andere Glaubenstatsachen zu erkennen, die ebenso oder stärker verbreitet waren : zum Beispiel ~n Machtbegriff - Macht ist nicht unpersönlim und diffus, wie der präanimistisroe Dynamismus gbubte, sondern sie ist stets an Einzelwesen gebunden und besitzt mit ihnen zu· sammen ein gemeinsames Merkmal : die transzendente Wirksam­keit - und die Idee von einem Höchsten Wesen, das hei Bt von einerr persönlichen Wesen, das häufig als Schöpfer, Hüter und Be­gründer der ethismen und sozialen O rdnungen gilt. Dabei ist Z1:

beachten, daß es sich um Vorstellungen handelte, die keinesfalls vor dem Begriff der loslösbaren Seele her und daher auch nicht als sekun· där zu ihm, als in ihm enthalten und in ihm aufnehmbar, angeseher werden konnten . Es handelte sich infolgedessen um ein his torisroe! Problem, das weder durch die Bezugnahme auf einen angeblicher gemeinsamen an imistischen Nenner, dessen Universalität dann ob· jektiv bewiesen werden müßte, noch durch die Bezugnahme auf reir statistische Tatsamen oder auf die evolutionistisroe Hypothese ge­löst werden konnte. Außerdem füllte der Animismus, in dem Tylo.

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die älteste Form der Religion sah, auch da, wo er sich am eindring­lichsten zeigte, den religiösen Rahmen nicht aus, sondern stellte nur ein einzelnes, wenn auch besonders sinnfälliges Element dar. Es gab also keine ausschließlich und rein animistischen Religionen: der Animismus existierte nicht im Reinz.ustand, er war keine Religion, sondern nur Bestandteil von Religionen ; es handelte sich um ein religiöses Motiv, um ein besonders verbreitetes und charakteristi­sches Thema - um mehr nimt. Tylor war also zu seiner Definition - in der er die älteste und ein­fachste Form der Religion zu sehen glaubte - nicht auf Grund einer philosophischen Spekulation gelangt, sondern auf Grund einer posi­tivistischMevolutionistischen Interpretation gewisser objektiver Ge­gebenheiten, die er durch Beobachtung der Tatsachen fes tges tellt hatte. Aber seine Definition war ungenau und unvollständig, und ebenso ungenau und unvollständig war die auf diese Definition segründete Theorie: die Theorie des Animismus. Ein anderes Beispiel sind die Forschungen James George Frazers, dessen Geisteshaltung derjenigen Tylors verwandt is t. Es interessie­ren uns wiederum hauptsämlich seine Bemühungen, das Wesen des religiösen Faktums z.u erkennen und es von dem anderer Fakten oder Manifestationen zu sondern, die scheinbar gleichartig, substantiell jecloch verschieden, ja sogar gegensätzlich sind. Frazer vollzog eine radikale Trennung der Religion von der Magie. Tatsächlich ist ja das demütige, anbetende Verhalten des religiösen Menschen auf den ersten Blick von dem selbstbewußten, prä tentiösen, oft uncthischen Verhalten des Magiers zu unterscheiden. Frazer erkannte diese wesenhafte Verschiedenheit und bemühte sich, die Verschiedenartig­keit der heiden Phänomene immer mehr zu klären, zugleich ver­sumte er, einE' ThC('lrie über ihr jE'weilieeo:; Altrr alJfzt1.srellen . So behauptete er die Priori tä t der Magie gegenüber der Religion, und zugleich versuchte er, die Magie in eine Art Pseudowissenschaft auf­zulösen, deren rationales und vom Willen bestimmtes Ve rh alten sich auf die - freilich trüge ri sche - Beobachtung gewisser Zusammen­hänge zwischen den Dingen stützt, Zusammenhänge, als deren Ken­ner und Lenker der Magier sich betrachtet. Auch Frazers Theori e von der Magie gehört nunmehr der Ver­gangenheit an, und wir erörtern sie nu r in Verbindung mit unserem obengenannten Ziel. Eine Priorität der Magie gegenüber der Reli­gion, das heißt die Annahme einer magischen und prä rdigiösen Periode, ist heu te restlos ausgeschlossen: im übrigen waren die Will­kür und die Subjektiv itä t der Argumente, mit denen Frazcr sie zu untermauern suchte, nicht dazu angetan, sie zu empfehlen (die Magie wäre evolutionistisch Heinfacher" als die Religion usw.). Außerdem ist Frazers Interpretation der Magie sehr anfedubar. Gewiß trifft

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man in zahlreichen magischen Handlungen auf das VorhandenseiI1 von Gedanken- und Gefühlsverbindungen, aber wenn dies sozu­sagen das Material bzw. der Mechanismus der magischen Handlune ist, also das Prinzip der sympathetischen Magie, dann wird dadurcr der Rahmen, in dem und aus dem die magische Handl ung erfolgt, nicht ausgefüllt : die Handlung benö tig t eine Kette von Umständen, Gefühlen und Glaubensvorstellungen, die weit über den zugrundt liegenden Mechanismus der Prinzipien von Sympathie und über· tragbarkeit hinausgehen. Auf ihnen hatte Frazer seine Theorie auf· gebaut. Mit anderen Worten: der agierende Magier hört nimt auf einer durch Institutionen, Glaubensvorstellungen, religiöse, ethischt und sonstige Ideen geprägten Welt anzugehören. Man muß sid jcdodt auch vergegenwärtigen, daß in der Gesch.idtte der Religioner (beispielsweise der babylonischen) religiöse Manifestationen manch· mal auf eine Weise, die man aparte ager1tis als einheitlich bezeich· nen könnte, mit magischen Manifestationen verflochten wurden einerseits werden magische Manifestationen herangezogen, um .Aus· drucks formen religiösen Inhalts zu verstärken, und andererseit~ können umgekehrt religiöse Beschwörungen magische Handlunger überdecken. Natürlich muß eine Unterscheidung zwisrnen religiösen und magi· schen Verhaltensweisen getroffen werden : wenn man jedoch dil Existenz rein magischer Handlungen annimmt, muB man bedenken daß diese - trotz des Bezugs auf Allgemeinbegriffe wie Sympathil und übertragbarkeit - episodisch bleiben. Sie gehen in einer Welt anschauung auf, die niemals ausschlieBlich und vollständig magisd ist, sondern unweigerlich religiöse Begriffe einbezieht, sei es aud nur, um sie der eigenen Behandlung zu unterwerfen. Nicht episodisd dagegen is t die relig iöse Handlung, die im Untersmied dazu ein, Weltanschauung erschöpfen kann, aurn wenn sie in bes timmtel Fällen - wie den oben erwähnten - eine magische Handlung einzu beziehen vermag. BeschlieBen wir d iesen ersten einleitenden Hinweis mit der fest stellung, daß die beste Art und Weise, an d ie Fakten der Rel igions geschichte heranzugehen, darin bes teht, sie in ihrer Gesamtheit Zl

betrachten: das heißt, nicht nur Themen, Motive, Glaubens- uni Kultein zclheilen zu untersuchen, sondern den Rahmen, in den si eingefügt sind, in seiner Gesamtheit und in diesem Lichte die Einzel heilen zu beurteilen, kurzum: ~lig iöse We I te n, eben Re li g i 0

nen, und nicht nur ideologisrne oder rituelle Bruchstücke zu unter suchen. Dies ist aum die geeignetste Methode, an das Studium de Religionen heranzugehen - der Religionen, d ie recht eigentlich ein " totale" Weise darstellen, das Leben zu deuten und zu leben. An Anfang benötigen wir nich t so sehr eine starre und ersmöpfend

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Definition als vielmehr eine Definition, die uns an die Dinge heran­führt . Sie darf freilich nicht rein empirisch sein, sondern muB, wie schon gesagt, stets zugleich eine Idee sein. Und der Umstand, daB der Smwerpunkt der Untersuchung mehr auf den religiösen Welten, d ie geschichtlich verwirklicht sind, als auf den einzelnen Ersmei­nungsformen liegen wird , verleiht dem Forscher eine größere Sicher­heit. Denn diese Einzclphänomene werden nicht auf Grund eines abstrakten Kriteriums beurteilt, sondern auf Grund ihrer konkreten, objektiven, lebendigen Beziehung zu dem Gesamtkomplex, dem sie historisch zugehören. Andererseits erlaubt es dieser Bezug auf die historischen religiösen Welten, jene unzulä ssigen Verallgemeine­rungen der Begriffe "Religion" und " religiös" zu vermeiden, an die ein gewisser moderner Ideologismus uns gewöhnt hat: Religion der Freiheit, der Menschlichkeit usw. Hier wird unsere Position sta rrer sein . Die Bezeichnung HRcligion " ist in diesen FäHen durchaus ana­logisch und unzutreffend und hat jedenfalls nichts mit der histo­rischen Wirklichkeit zu tun, wenn ihr auch ein Wahrheitsschimmer nicht abgehen mag. Eine weite re wichtige Vorfrage der religionsgeschichtlichen For­sdtung, die in Frage zu stellen scheint, ob es sich hier um eine echte Wissensmaft handelt, ist die Frage des Vergleichs. Die rcligions­geschichtliche Forschung entstand nicht in erster Linie als eine Wis­sensch3h, die das Studium der einzelnen Religionen oder religiösen Welten bezweckte, sonde rn als eine vergleichende Wissenschaft. Die Bezeichnung " Vergleichende Religionsgeschiduc" ist auch heute noch nicht ganz aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Manche bezwei­feln allerdings, daß ein echter, objektiver, wissenschaftlicher Ver­gleich zwischen den - getrennten und heterogenen Welten ange­hörend"n - Religionf'n odf'C gp.na\'.cr: zwismen do:!n ElemeI'.tt"n der Religionen möglich ist. Außerdem gesellte sich den objektiven Schwie rigkeiten eine nicht minder schwerwiegende subjektive (a parte historiei) hinzu: die Behauptung, daß dieser Vergleich in sei­nen Sch luBfolgerungen unfruchtbar und fragwürdig bleiben müsse und d3her wissenschaftlidt nicht beweiskräftig sei, da die philo­logische Kompetenz eines Gelehrten sich ja nicht auf sämtliche fü r den Vergleich in Frage kommenden Gebiete erstrecken könne. Hierzu ist zu sagen, daß die Wandl ung des Gesdtichtsbegriffs im Bereich der religionsgesch ichtlichen und ethnologischen Forschungen wesentlichen Anteil an der Kritik hat, die an dem Begriff " Verglei­chende Religionsgeschichte" geübt wird. Als - wie im vorigen Jahr­hundert - 3uf dem Gebiet der ethnologischen oder - wie es damals hieB und in der englisch sprechenden Welt heute nom heißt - an­thropologischen Studien eine der positivistischen Entwicklungslehre und den Naturwissenschaften entlehnte Klassi6zierungs- und lnter-

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pretationsmethode vorherrsdne, war es leiduer, zu der überzeugung zu gelangen, die Menschheit habe überall- in einem absoluten oder relativen, aber stets vom naturalistischen, nicht vom historischen Standpunkt aus gesehenen überall - die gleidlen Etappen durch­laufen, die gleichen Glaubensvorstellungen gehabt, gleiche odcr ähn­liche Riten praktiziert. Wir haben dies am Beispiel des Tylorschen Animismus gezeigt. Als jedoch diese anthropologische Methode in­folge der Anwendung der historischen Methode sich auch beim Studium der Primitiven als unbefriedigend erwies, erkannte man, daß diesc nicht länger kritiklos und in naturalistischer Verallgemei­nerung cntwicklungsgeschichtlich auf eine Stufe gestellt werden konnten, sondern daß die einzelncn historischen Bereiche oder - wie einigc Wegbereiter der neuen Methode sich ausdrückten - die ein­zelnen historischen Kulturkreisc getrennt zu interpretieren seien. Von nun an galt auch für die Primitiven, was seit jeher für die ,.Zivilisiertcn" offenkundig war: die Unterscheidung, also wedcr Gegensatz noch Trennung, von Natur und Kultur, von Naturgege­benheiten und Kulturerscheinungen. Seitdem hat die auf die Primi­tiven angcwandte Bezeichnung uNaturvölker" ihre nur relative Gültigkeit erwiesen, auf die schon einige der frühen deutschen Ethnologen hingewiesen hatten . In dieser neuen Lage erlangte die philologische Erforschung der Pri­mitiven sowie der anderen Völker, Gruppen und Kulturkreise selbst­verständlich eine der anthropologischen Schule völlig unbekannte Dringlichkcit. Daher die oben angedeutete objektive Schwierigkeit: man erkannte, daß der Vergleim sich nicht mehr auf äußcrlime Ver­wandtschaften der Glaubensvorslellungen und Riten stürzen konnte, insbesondere wenn sie aus ihrem Zusammenhang geri ssen waren. Unter dieser Verwandtsmaft konnte sich eine grundlegende Ver­schiedenheit im Wesen, in der Bedeutung, im Ursprung verbergen. Schlimmer noch : jedes dieser Elemente hatte gesmichtlich seinen Sinn nur in dem Gesamtbereich, dem cs zugehörte. Daher übenvog die Notwendigkeit, die Kulturweltcn in ihrer Gesamthei t zu be­trachten, unbedingt die Zweckmäßigkeit, vergleichende Ana lysen vorzunehmen; diese führten dazu, das untersudlte Material zu zer­gliedern und auseinanderzunehmen, d. h. es praktisch zu IÖtcn. Dicse Einwände wurden in manchen Philologenkreisen durchaus nicht mit Mißhllen nufgenommen, vor nllem nicht in der Welt der klnss ischen Wisscnsmaften, in der die vergleimende Methode nimt immer be­liebt gewesen war, auch infolge ihrer ethnologischen Auswüchse, die mitunter einer oberflächlichen Verwendung der Philologie ent­sprange.n. Man ging sogar sowei t, die Berechtigung zu leugnen, auch nidll-linguistische Dinge miteinander vergleichen zu können.

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Es ist klar, daß die religionsgeschidnliche Forschung die Einwände, die seit Jahrzehnten gegen sie erhoben werden, nicht ignorieren kann. Sie kann nichts anderes als eine historische Wissenschaft sein: die evolutionistische Methode mit ihrer Voraussetzung, daß sich die kaum einem halb tierischen Zustand entwachsenen N WildenN zu jeder Zeit und an jedem Ort gleichen, ist heute nicht mehr akzeptabel. Als Geschichtswissenschaft kann die religionsgeschichtliche Forschung einer philologischen Grundlage nicht entraten, philologism natürlich im weitesten Sinn, d. h. linguistisch, literarism (wo es in Frage kommt), archäologisch, soziologisch, kulturgeschichtlich usw. Sie muß die Methode des äußeren, absoluten Vergleichs aufgeben, näm~ !im jene Methode, die endgültige Schlußfolgerungen aus dem Ver­gleich von Elementen zog, die aus ihrem Zusammenhang heraus­gelöst, oberflächlich beschrieben und ausgewertet wurden. Sie muß sidt vor einem gewissen Phänomenologismus hüten, der noch heute den alten Vergleidtsmethoden huldigt und allzuwenig von Philo­logie und Geschichte wissen will. Ehe sie irgendwelche Sdtlüsse zieht, muß sie die religiösen Welten, die geschichtlichen Gesamt­bereiche betrachten, in denen die Elemente, denen das philologisme Studium gilt, integriert sind, und sie muß diese Elemente nam linguistischen und kulturgesmichtlichen Zugehörigkeiten zusam­menfassen. Aber auch dann, wenn alle diese unumgänglich not­wendigen Zugeständnisse, die man lieber methodologische Bereiche­rungen oder Bedingungen des wissenschaftlkhen Fortschritts nennen sollte, gemamt sind , wird die religionsgesmichtlime Forschung sich immer noch zu fragen haben, ob die Anerkennung der neuen For­dzrung'!ll der Geschichtswissenschaft nunmehr Raum läßt für die Anwendung der vergleichenden Methode. Wi r mein<?n, daß die? Aat""Nor: po:öi:ix JaGten kar.n U<lc! lalOten muß. (Wohlgeme rkt, wir befinden uns noch auf der Ebene der objektiven Schwierigkeit des Vergleichs, wir werden nom etwas über die sub­jektive - aparte lzistorici - zu sagen haben.) Sie muß positiv sein, eben um der Erfordernisse der Geschichtswissenschaft willen : die religiösen Welten - und auch die kulturhistorischen Welten - haben sich nicht gesondert entwickelt, sondern blieben entweder ihrer Ent­stehung nach oder vennittels historischer Berührungen, die zwar schwer zu erforschen, deswegen jedoch nicht weniger wirklich sind, auf irgendeine Weise miteinander verbunden. Die Geschichtswissen­schaft beschäftigt sich ja auch mit der Frage nach den Kontakten und gegenseitigen Einflüssen, doch noch mehr befaßt sie sich mit dem Werden, dem {ieri der Erscheinungsformen, die ihr Gegenstand sind ; und die Religionen und Kultu ren sind an diesem Werden beteiligt. Das schließt natürlich Neuerungen, auch radikale, im Geschichts­ablauf nich t aus, aber auch diese sind besser zu verstehen, wenn

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sie mit dem Früheren und mit den sie begleitenden Umständen in Beziehung gesetzt werden. übrigens lassen sich Kontakte und Ein­flüsse - und, warum nicht?, Filiationen - zwischen den Kulru r­welten, welche die Geschichte zu erforschen hat, nicht nu r innerhalb der Kulturen, bei denen sprachliche Vergleichsmöglichkei ten be­stehen, nachweisen - im Gegenteil, es gibt genug Fälle, wo die Sprache weder das einzige noch das entscheidende Element für eine ethnologische Analyse sein kann. Noch etwas anderes spricht zugunsten einer Vergleidtsmöglichkeit auf dem Gebiet der religionsgesdtichtlichen Forschung. So behutsam auch bei der Interpretation einzelner Elemente der Rel igiosität, sei es auf dem Gebiet der Glaubenslehren oder des Kultes, vorgegangen werden muß, darf man doch nie aus den Augen "erHeren, daß - genauso wie die Religion selbst - auch bestimmte Erscheinungs­fonnen der Religion sehr weit, wenn nicht gar weltweit verbreitet sind. Das Gebet, das Opfer, die heiligen Erzählungen, die Vorstel­lung von einem übermenschlimen persönlichen Wesen (auch -sie übrigens bemerkenswert differenziert), der Gedanke eines persön­lichen Höchsten Wesens usw. - alles dies besitzt eine eigene Uni­versalität, d. h. eine so unterschiedliche Verbreitung, daß diese nicht als wissenschaftlich belanglos angesehen werden kann und infolge­dessen irgend wie wissenschafcliches Objekt sein muß. " Irgendwie" will sagen: mit allen Garantien der Philologie und der historisrnen Methode und mit aller Arntung vor der Tatsache, daß das besondere Wo und Wann sowie die Kultur, in der die einzelnen Dinge inte­griert sind, das Hauptobjekt der historischen Forschung darstellen. Doch nicht nur das : das anerkannte Vorhandensein von Erschei­nungsformen, deren Zugehörigkeit zu einer mehr oder minder ein­heitlichen Kategorie nicht völlig verkannt werden kann (auch wenl1 sie Fall fü r Fall nachgeprüft und ergänzt werden muß), öffnet del1 Weg zu einer anderen Wissenschaft bzw. einem weiteren Hilfsmittel zur Erforschung der Religionen: der Phänomenologie. Aber von ihl wird später die Rede sein. Einige Worte noch über eine subjek tive Srnwierigkeit, die sich del1 vergleichenden Untersuchungen entgegenstellt: die Schwierigkeit, daß ein und derselbe Gelehrte kaum die erforderlichen philologischel1 Kennmisse besitzt, um sich mit verschiedenen - oder, schlimmel noch, allen - religiösen Welten zu beschäftigen. Es ist kl ar, daß eine universale philologische Zuständigkeit die menschlichen Mög­lichkeiten heute übersteigt. Das war zu gewissen Zeiten der jüngeren Vergangenheit nicht unbedingt der Fall . Doch sich danach zurück­zusehnen, wäre fehl am Platze; denn damals handelte es sich um ein sehr beschränktes historisches und geographisches Wissen. Nich1 ganz so unmöglich sind ausgedehnte Kennmisse, die immer empfeh-

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lenswert sind: zu empfehlen ist aum, daß der Historiker über eine philologische Bildung und ein gewisses philologisches Fingerspitzen­gefühl verfügt, das ihm zur Sei te steht, wenn er sim auf die For­schungen anderer verlassen oder, besser, sich auf sie beziehen muß. Und nun kommen wir zu einem weiteren, sehr schwierigen Problem: den Beziehungen der religionsgeschichtlichen Forschung zu den anderen Wissenschaften, die sich mit Fragen der Religion beschäf­tigen . Das Problem ist nicht nur wegen seines objektiven Gehalts, sendern wiederum auch aus Gründen subjektiver Natur schwierig, so daß man besonders bei diesem Stoff, mehr mxh als bei anderen, nie genug zu Unbefangenheit im Urteil, zu methodischer Genauig­keit und vor allem zu einem Sinn für die Grenze zwischen Behaup­tung und Hypothese mahnen kann. Das erste, was über die verschiedenen Wissenschaften, die sich mit der Religion und den Religionen beschäftigen, gesagt werden muß, ist, daß manche sich als Hilfswissenschaften der Rehgionswissen­smaft - auf die Bedeutung dieses Ausdrucks kommen wir noch zurück - bezeichnen, deren eigentlicher Gegenstand nicht die Reli­gion ist, auch wenn sie sich mit religiösen Tatsachen befassen. Zu diesen Wissensmaften gehört die Religionspsychologie, die ja nicht die Religion, sondern die Psyche, wenn auch in ihren religiösen Manifestationen, zum Gegenstand hat. Die Religionspsychologie ist zwar eine wertvolle Hilfswissenschaft, kann jedoch die Religions­wissenschaft oder die rcligionsgesmichdiche Forschung und auch die Religionsphilosophie niemals ersetzen. Sie vermag näml ich nicht zu klären, was eine religiöse ratsame, eine Reihe religiöser Tatsamen, eine bestimmte Religion oder gar die Religion überhaupt ist. Sie erhellt die psychisrnen Umstände, unter denen diese religiösen Mani­festatione:l !lieh vollzogen hll-en, aber !Oie wird niem .. Js an die StelJe eine r Wissensmaft treten können, die sich mit dem Wesen und Werden de r fakten in ihrer ganzen Wirklichkeit befaßt. Die Er­kenn tnis dieser Tatsache wird wohltätige Folgen haben: so wird sie beispielsweise die in psychologischen und insbesondere psychoanaly­ti schen Kreisen sowie beim Laienpublikum häufig auftauchende illu­sion verhindern, man könne die Religion mit Hilfe von Reaktionen psychologischer und naturalistischer Art ode r mit Hilfe von Be­griffen wie Sublimierung, Kompensierung, Angs t, Krisis und ähn­lichen "erklären" (schlimmer noch: auflösen). Und das wird kein geringer Fortschritt nuf dem Wege zu ei nem richtigen Verständnis der religiösen Fakten sein. Eine andere Hilfswissenschaft, die keinen Anspruch darauf erheben kann, dem Wesen und Werden der religiösen Tatsachen auf die Spur zu kommen. ist die Religionssoziologie. Der Gegenstand dieser Wis­senschaft ist nicht eigentlich die Religion, sondern die Gesellschaft,

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wenn aum unter dem Gesimtspunkt ihrer religiösen Phänomene. Hier gelten die gleimen Erwägungen wie für die Religionspsycho­logie. Wer es unternehmen wollte, die Religion mit Hilfe von aus· sdlließlich sozialen oder soziologisdlen Tatsachen zu erklären, würde sim ipso facto den Weg zum Verständnis der Religion verbauen. Wir haben weiter oben die Religionsphänomenologie erwähnt. Hiel wird die Same smwieriger. Versdtiedene Gelehrte sind unlängst und auch heute noch an das Studium der Religionen und der Religion auf phänomenologische Weise herangegangen. Nach Aufstellung einer Typologie religiöser Gegebenheiten (Opfer, heilige Stätte, Wallfahrt, heilige Zeit) suchen sie diese Phänomene unter Berück­sichtigung der Ergebnisse der historischen Forsmung zu interpre­tieren ; zugleich jedodt erstreben sie eine zeitlose Schau, die ihnen, abgesehen von den verschiedenen geschichtlichen Spezifikationen. helfen soll, das Wesen der betrachteten Gegebenheiten zu erfassen. Eine solche Interpretation macht häufig Gebrauch von Anschau· ungen, Erfahrungen und Erlebnissen, die dem Forscher und seinem religiösen Empfinden eigen sind. Mit deren Hilfe trachtet er, da! Phänomen in sich nachzuempfinden und so völlig zu begreifen. Die~ ist vor allem bei einigen Gelehrten im Bereich des IuationaIismu! protestantisch-romantischer Prägung, bei Gerardus van der Leeu,", etwa, der Fall. Anderswo, so bei Mireea Eliade, verschiebt sich da! Interesse zuglmsten einer mehr morphologisch bestimmten Inter· pretation. Die Anhänger der Religionsphänomenologie legen Wert darauf, sid­von den Vertretern der alten vergleichenden Methode zu unterschei· den. Ihr Interesse an den religiösen Tatsachen ist weit lebendiger ihre Forschung sehr viel farbiger und ihr Denken sehr weit entferni von der anatomischen Kälte, mit der die alten Anthropologen une teilweise die alten Komparatisten der Naturmythologie bemüh· waren, aus ihren Zettelkästen den Leichnam zu konstruieren, den si« sim am Schreibtisch ausgedacht hatten. Es muß jedoch gesag t wer· den, daß es in der Religionsphänomenologie von heute nicht ar Mißverständni ssen und Naivitäten - in der Art der alten Vergleichs. methoden - fehlt . Ebensowenig fehlen Willkür und Subjektivismus Tatsache ist, daß ihre Wissenscha ft - sofern die Religionsphäno· menologie sich als autonome Wissenschaft bezeichnen kann - nich' ohne die Geschichte auszukommen vermag: ohne sie verwandcl sich das Forschungsmaterial in leblose oder mit einem falschen Leber ausgestattete Bruchstücke, oder die wissenschaftliche Begründung deI Schlußfolgerungen ist unzureichend, wenn nicht gar zweifelhaft Oaran zeigt sich deutlich, daß die Religionsphänomenologie nich ohne eine fortlaufende gesdlichtswissenschaftliche Kontrolle aus· kommen kann (was übrigens von den Phänomenologcn zum indes

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theoretisch zugegeben wird) , gesmweige denn, daß sie sim zur Ge­schichtsforsmung in Widerspruch setzen oder sim von ihr un3bhän­gig mOlchen könnte. Und 3ußerdem zeigt sich, daß sie letzten Endes mit der religionsgeschichtlichen Forschung eine einzige Wissenschaft bildet, nämlich die Religionswissenschaft. Es sei denn, man ist der Ansicht, daß die religionsgeschichtlime Forschung auf Grund ihrer vergleichenden Aufg3be (in dem oben erläuterten historischen Sinn) und 3uf Grund ihrer interpretierenden Aufgabe sich die von der Reli­gionsphänomenologie aufgeworfenen - übrigens grundlegenden und edtten - Probleme zu eigen mOlchen und sich dabei der von letzterer zur Ve rfügung gestellten Mittel bedienen müsse. In diesem Falle wäre die Religionsphänomenologie nur ein K3pitel, und ZW3r eins der abschl ießenden K3pitcl der religionsgeschichtlimen Forschung. Aber es gibt nom 3ndere Wissenschaften, die sich mit der Religion beschäftigen. Eine von ihnen ist die Religionsphilosophie. Ziel der Religionsphilosophie ist es, die philosophische Tragweite der reli­giösen Probleme, Begriffe und Werte zu klären und so im Lichte eines geschlossenen philosophischen Systems ein Urteil, und zwar ein Werturteil, über diese Begriffe und Werte 3bzugeben. Es stimmt also, d3ß der Religionsphilosoph in erster Linie Philosophie betreibt, dennoch ist die La.ge hier offenbar anders als bei der Religionspsy­chologie und Religionssoziologie. Diesen beiden Wissensch3ften bnn - sowohl auf Grund ihres besonderen Charakters wie auf Grund der Tatsame, daß ihr eigentliches Forsmungsgebiet nidlt die Religion ist - nur der Charakter von Hilfswissenschaften zu­erkannt werden und sie können keinen Anspruch darauf erheben, \T'n sich aus Einsichten in die Religion zu vermitteln. Dahingegen befinden wir uns bei der Religionsphilosophie einer Wissenschaft - e:'cn <let Philosophie - 6egenüb<!r, di~ es mit sc amfassenden Problemen zu tun hat, daß auch diejenigen der Grundlagen der Religion mit einbegriffen sind . Es ist klar. d3ß aum philosophisdte Betrachtungen über die Religion der von dem positiven Studium der Religionen gelieferten objektiven Gegebenheiten nicht entr3ten können. Sob31d jedoch diese Voraussetzung geschaffen ist, verfügt die philosophisene Reflexion über ein selbständiges Verfahren sowie über die geeigneten Methoden und Mittel, um zu ihren eigenen Schlußfolgerungen zu gelangen. In dieser Hinsimt ist ihre L3ge anders 3ls die der Religionsphänomenologie, die, wie gesagt, keine so große Selbständigkeit erreich t, sondern beständig an die reli­gionsgeschichtliche Kontrolle gebunden bleibt. Im Hinblick auf die Werturteile. die zu den eigentlichen Forschungs­gegenständen der Religionsphilosophie gehören, erhebt sich ein interess3n tes Problem, das immer wieder bei den Zus:unmenkÜßften der Rel igionshis toriker auft3umt: Kann die religionsgeschichtliche

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forschung Werturteile über die Gegenstände ihrer Arbeit abgeben? Manche Gelehrte beantworten diese Frage mit nein. Sie meinen, die gesdtichtliche Authentizität, der man in den Fakten, namentlich den religiösen fakten begegnet, soweit sie Bestandteile der Geschichte sind, schließe eine Parität in sich ein, die keine Werturteile zulasse, und sie fügen hinzu, ein Werturteil abzugeben, bedeute, einen Standpunkt einzunehmen, der mit der Universalität der Geschichte nicht mehr vereinbar sei. Wir sind der Ansicht, daß diese Auffassung unrichtig ist und daß sowohl theoretisch wie praktisch die strenge Anwendung der auf den vorangehenden Seiten erläuterten methodischen Grundsätze und Vorsichtsmaßnahmen die Rechte der Geschichte gewährleistet. Zu­nädlst mag vor aUem darauf hingewiesen werden, daß man dem Vorhandensein von Werturteilen in der histori schen Beurteilung religiöser Fakten bei Autoren grundverschiedener methodologischer, philosophischer, religiöser (oder areligiöser) Anschauung begegnet, daß Werturteile also nicht unbedingt an "konfessionelle" Formufie­rungen religionswissenschaftlidter Probleme gebunden sind. Jene Autoren beispielsweise, die die religiösen fakten auf evolutioni­stischer Grundlage klassifizierten und interpretierten, gaben automa­tisch Werturteile ab: die Evolution selbst wurde als fortschreitende VerwirkHchung der Zivilisationswerte von der angenommenen ab­soluten Primitivität der Ursprünge bis zu der positivistischen Aera hin aufgefaßt. Wie bereits gesagt, ist die evolu tion istische Einstellung einer hi sto­rischen gewichen. Aber auch die geschichtliche Perspektive - in ihrer größeren Achtung vor den Tatsachen sowie in ihrem Bemühen, sie zu verstehen - kann nicht grundsä tzlich agnostisch sein. Im Bereich dieses Geschichtsverständn isses kann man von einer Authentizität der historischen Tatsache als solcher sprcrhen, insoweit sie integrie rter Bestandteil einer historisdlen Realität ist. Diese Authentizität und diese Realität sind spezifisch und nicht mit anderen auswechselba r und müssen in ihrem Wi e, in ihrem Wo und Wann, d. h. in den sie bestimmenden objektiven Faktoren und ihren jeweiligen Begleit­umständen, untersucht werden. Das alles gehört zu den Remten und Pflichten der Geschichtsforschung. Abgesehen davon, daß es auch - im FaUe der Religion - disintegrierte oder nicht assimilierte Glau­bensvorsteJlungen und Handlungen gibt, steht aber nirgends ge­sch rieben, daß diese Au thentizität der geschichtlichen Tatsachen und der kulturellen Leistungen eine Paritä t und Unvergleichba rkeit auf der Ebene der Werte einschließt. Freilich gehö ren die Bestimmung der Werte und die anzuwendenden Maßstäbe in den Bereich der Philosophie, doch sind sie auch bis zu einem gewissen Grade All­gemeingut der gesamten Menschheit und infolgedessen auch des

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Historikers . Ein Beispiel: wir sind der Ansicht, daß man auf histo­rischem, und zwar rein historischem Gebiet die Behauptung auf­stellen kann, daß eine ,. prophetische" Verkündigung - ein tech­nischer Terminus, der in der religionsgeschichtlichen Typologie Gültigkeit besitzt - im allgemeinen den Ton einer Religion steigert. Das gilt besonders dann, wenn diese Verkündigung neue - oder anderen Rel igionen entliehene - Glaubensclemente aufnimmt, die in der vorhe r bestehenden religiösen Situation nicht in Betracht ge­zogene Werte einführen. So kann man zum Beispiel von einer reli­giösen Uberlegenheit des islamischen Arabiens über das präisla­misch-heidnische Arabien sprechen, zumindest bei jenen Kreisen, die von dem Glauben Mekkas besonders stark erfaEt wurden . Das Urteil: ,.übe rlegenheit" kennzeichnet nicht nur eine größere Kom­plexität und Funktionalität (so wie man in der Naturwissenschaft von höheren lebewesen oder in der Geschichte der Zivilisation von Hodlkulturen spricht), sondern es beinhaltet auch einen echten Wert, der, wie schon gesagt, in keiner Weise in Widerspruch zu dem Ver­ständnis steht, dem die Geschichtsforschung verpflichtet ist. In diesem Zusammenhang möchten wir dazu beitragen, einen ande­ren IAspekt der Frage zu klären, der mit dem eingangs behandelten Verständnis und Umfang des Religionsbegriffes und - einige Seiten weiter - mit dem Begriff: integrierte religiöse Welten zusammen­hängt. Man leugnet bisweilen die Möglichkeit von Werturteilen auf religionsgeschichtlidlem Gebiet mi t der Begründung, daß in der Welt der Geschichte jede Religion Religion sei und nicht mehr - oder weniger - Religion einer anderen, so wie eine Sprache eine Sprame ist und nicht mehr - oder weniger - Sprame einer anderen. Ab­gesehen von der Frage, auf die wir gleich zurückkommen werden, ob die beiden mireiTl~nrler verglirhenen Phänomene auf gleidler Ebene Legen, läßt sich jedoch nicht leugnen, daß auch eine Sprache mehr oder minder angemessener Ausdruck des Reichtums menschlicher Möglichkeiten sein kann . Es ist richtig, daß eine Sprache meist tref­fend die kulturelle Entwicklungsstufe einer menschlichen Gemein­schaft ausdrückt und daß in diesem Sinne ihre Ubereinstimmung mit den anderen Aspekten der betreffenden Kultur mei st ebenso voll­kommen ist wie die Ubereinstimmung von Sprache und Kultur in einer kulturell höherstehenden Gemeinschaft: und infolgedessen ist in diesem Sinne jede Sprache jeder anderen gleichbcrcmtigt. Wenn wir jedoch unter Sprache nicht nur ein angemessenes Ausd rucks­mittel der entsprechcnden Kultur verstehen, sondern auch ein Zeichen der Verwirklichung menschlicher Möglichkeiten, dann müssen wir sagen, daß eine Sprame und der ihr zugchörige Kulturbereich mehr menschliche Möglichkeiten, mehr Werte enthüllt, beziehungsweise verwirklicht, als eine andere und deren Kulturbereich.

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Es muß aber auch gesagt werden, daß die Vergleimbarkeit von Sprache und Religion begrenzt ist, denn ein wesentlidles Merkmal der Religion fehlt der Sprache. Während eine Sprame nur Ausdruck von Werten ist, auch wenn sie manmmal eben diese Werte fö rdert, von Werten, auf die jedes Vergleichsuneil sim beziehen muß, ist eine Religion nicht nur Ausdruck von Werten, sondem auch un­mittelbar Setzung von Werten, sei es auch nur in einem bestimmten Kulturbereich. Diese Werte sind unmittelbar der Gegenstand des Vergleichs und des Urteils - eines Urteils natürlich, das jede Wissen­schaft entsprechend den Grenzen und Formen ihrer eigenen Zustän­digkeit fällen wird. Gehen wir schließlich zu den Beziehungen zwischen religions­geschimtlkner Forschung und Theologie über. Auf diesem Gebiet ist es mitunter zu Auseinandersetzungen gekommen, von denen einige eine traurige Berühmtheit erlangt haben. Wir sind jedodt dei Ansicht, daß mögliche Gegensärze auf die Lehrmeinungen einzelnel Gelehrter oder einzelner Strömungen zurückzuführen sind und ni cht auf die religionsgeschichtlime Forsmung und die Theologie als solme. Die religionsgeschichtlime Forschung und die Theologie beschäftigen sich nicht selten mit dem gleichen Gegenstand, und beide sind, wenn auch nicht aus denselben Gründen, unmittelbar an der historischen Fundierung gewisser Tatsachen, Texte und Zeugnisse interessiert, Im übrigen hat jede ihre eigene Methode und ihren eigenen Cha­rakter, auf Grund deren jede auf ihre eigene Weise verfährt. Die religionsgeschichtliche Forschung ist also eine Wissenschaft, die mit der üblichen historischen Methode und mit Unterstützung deI Psychologie, Soziologie und Phänomenologie Tatsachen feststellt und bearbeitet, und zwar mit dem Ziel, die histori sch integrierten religiösen Welten zu identifizieren und ihre jeweiligen Merkmal{ zu untersuchen. Darauf folgt dann eine behutsame Anwendung des Vergleichsprinzips auf historischer und phänomenologischer Basis, Die religiösen Tatsamen, die nicht naturalistisch zerlegt, sondern in historisch integrierte Komplexe geordnet sind, werden auf diesf Weise einer geschichtswissenschaftlichen Interpretation unterworfen. Sie zielt darauf ab, die objektiven Zusammenhänge zwischen den zuvor untersuchten religiösen Welten zu klären und daraus eine möglichst zutreffende Vorstellung von ihrer Entstehung und Ent­wicklung zu vermitteln. Soweit dieses ganze Verfahren auf der gesdtichtlichen Ebene und gemäß den Erfordernissen der historismen Methode erfolgt, macht die Theologie keinerlei Einwendungen und hat keinen Grund, Be­denken zu äußem. Geht ein Historiker aber von philosophischen,

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mit der Theologie unvereinbaren Voraussetzungen aus und bedient sich ihrer zu historischen Schlußfolgerungen, dann geht der even­tuelle methodologische Gegensatz nicht den Theologen und den Historiker an, sondern die jeweiligen religionsphilosophischen Leh­ren. Fest steht, daß im FaU des "absoluten Historizismus" -im Sinne Benedetto Croces - eine bestimmte philosophische Position ohne wei teres als die historische Methode übernommen wird. Wir sind jedoch der Meinung, daß jeder Historiker Interesse daran haben sollte, die Eigenständigkei t der hi storischen Methode vor über­mäßiger Einmischung und Einschränkung von seiten der Philosophie zu bewahren, ohne deswegen in einen kalten und illusorischen agno­stischen Positivismus zu verfallen , und er sollte jene urkundlich be­legte und allgemeingültige Objektivität zu erhalten suchen, die der "absolute Historizismus" mit dem - innerhalb seiner Grenzen durchaus ruhmreichen - Namen Philologie abtut. Halten wir also fest, daß keine theologische Formulierung per se einen oder mehrere Ringe jener Kette bilden kann, welche die Geschichtsforschung zur Feststellung der Tatsachen führt: eine solche Feststellung - auf reli­gionsgesdüchtlichem Geb iet - wird in dem Maße gültig sein, wie . sie lauf Grund der eigentlichen historischen Methode erarbeitet wor­den ist. Diesen grundsä tzlichen Vorbemerkungen muß noch etwas hinzu­gefügt werden. Je mehr die religionsgeschichdiche Forschung nicht nur eine einfache Feststellung von Tatsachen bezweckt und die sich offenkundig aus ihnen ergebenden Schlüsse ziehen will, sondern auch ihre endgültige Interpretation anstrebt - auf diese kann sie kaum verzichten, allenfalls nur, nachdem sie die positiven Forschun­gen gewissenhaft ausgewertet hat -, desto mehr kann die Arbeit des Historikers - als eines gläubigen ooer nichtgiäubigen Menscnen -dessen persönliche, philosophisch.e und religiöse Grundhaltung widerspiegeln. Aber das gilt nicht nur fü r die Problematik des Ver­hältnisses von religionsgeschichtlicher Forschung und Theologie, sondern auch ganz allgemein fü r die Problematik des Verhältnisses von religionsgeschidltlicher Forschung und philosophisch-religiöser Weltanschauung des Forschers: denn Neutralität, eine tabula rasa in Sachen Weltanschauung, gibt es bei keinem denkenden Menschen, also auch bei keinem ernsthaften Gelehrten, der nich.t ein bloßer Zettelsammler ist. Und um der Sach.lichkeit und Vollständigkeit willen möchten wir hinzufügen, daß nicht nur die endgültigen Inter­pretationen, sondern mitunter - jedoch nicht immer - auch. die Wahl der Arbeitshypothesen von der Grundhaltung des Gelehrten beein­flußt wird . Aber, wie gesagt, die Nachprüfung der Hypothesen, das heißt: das formale Element, das einen Ring der Forschung schließt,

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um einen anderen für die Feststellung historischer Tatsad-ten zu öffnen, ist einzig und allein Sache der Anwendung der historischen Methode. Sollen wir noch hinzufügen, daß das in der Praxis gar nid-tt immer so einfad-t ist? Daß Trugbilder, Irrtümer, falsche oder historisch unnötige Schlußfolgerungen sid-t in die gesd-tichtliche Darstellung einsd-tleünen können? Die Schuld daran geben wir der menschlichen Schwäche und der Schwierigkeit, Geschichte zu schreiben.

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ERSTER TEIL

I.

Volksreligionen und gestiftete Religionen Budueligionen - Prophetisme Kulte

Wer vor der großen Fülle der Religionen steht - jener, die heute bestehen, und jener, die im Verlauf der Geschichte verschwunden sind - verspürt angesich ts dieser Vielfalt unwillkürlich das Bedürf­nis nach einem ordnenden Schema, das ihm die Möglichkeit gibt, sich zurechtzufinden. Solche Ordnungsschemata sind tatsächlich auf­gestellt worden, aber bei jedem einzelnen ist Vorsicht geboten : ein Schema ist notgedrungen abstrakt, mitunter geradezu vorgefertigt und kann infolgedessen die Lebendigkeit, Vielfalt und Komplexität der'Phänomene zunichte machen, indem nur eine Seite - sei es auch die ausgeprägteste - gesehen wird oder - schlimmer noch - indem die Phänomene überhaupt entstellt werden. Wir dürfen also nie ver­gessen, daß wir uns nicht so sehr einzelnen Glaubens- und Kult­elementen gegenübersehen, sondern religiösen We I ten , und daß reiigionsgeschimtJ iche Forschung und Religionswissenschaft dazu be­rufen sind, über diese Welten ein umfassendes Urteil abzugeben. Untcr den verschiedencn Klassifizicrungsvorschlägen ist vom histo­rischen Standpunkt aus besonders wertvoll die Unterscheidung zw ischen Volksreligioncn (ethnischen Religionen) und gestifteten Religionen. Hiervon werden wir ausgehen, um dann zu anderen, für di e Interpretation vielleicht wich tigeren Klassifizierungen über­zugehen, die den Inhalt der Religionen (poly theistische, mono­theistische Religionen, monistische Systcme), ihre Verbreitung (welt­weit geöffnete Religionen, nationale Religionen) usw. betreffen. Unter Volksreligionen verstehen wir diejenigen, an deren Ursprung - im Unterschied zu den ges tifteten Religionen - keine geschicht­liche Persönlichkeit steht, d ie ihnen eine unauslöschliche Prägung gegeben hätte. Während zu den gestifteten Religionen beispielsweise das Christentum, der Islam, die Religion Zoroasters und der Bud­dhismus - insoweit er eine Religion und keine philosophisdte bzw. sophisch-gnostische Weltanschauung ist - gehören, zählen zu den Volksreligionen fast alle primitiven Religionen mit Ausnahme der prophetischen Kulte, die zu autonomen Religionen aufgewertet wur­den, außerdem die Religionen Griedaenlands, Roms, Indiens, da~

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germanische, keltische, slavische, altaische, mongolische, chinesische, japanische Heidentum usw. Einen Sonderfall bilden jene Religionen und Religionssysteme, die sich auf schemenhafte und legendäre Stifter berufen und zugleich Elemente unverkennbar ethnischer Beschaffenheit enthalten: z. B. der Taoismus. Dessen legendärer Stifter Laotse ist nur mehr ein Name und ein Sammelbecken verschiedener Lehren, die zwar eine gewisse ideologische und ethische Einheitlichkeit aufweisen mögen, jedoch in ihrer Grundgestalt schwer mit irgendeiner Lehrverkündigung in geschichtliche Verbindung gebramt werden können . Einen ähnlichen Fall stellt im Abendland die Orphik dar. Auch hier muß trotz der Angriffe, die vor kurzem und mit Recht gegen den Begriff "orphische Religion" gerimtet wurden, anerkannt werden, daß wir es, wenn auch nicht mit einer einheitlichen Lehre und einem einhei tlichen Kultus, so doch mit einem mehr oder weniger locker zusammen­hängenden Gebilde von dualistism-anthroposophismen und th~o­kosmosophischen Ideen und entsprechenden kultischen Handlungen zu tun haben: und Symbol dieses Zusammenhangs ist eben die legendäre Persönlichkeit, die den Namen Orpheus trägt und auf die schon das Altertum in konventioneller Weise zahlreiche der e1>en "orphism" inspirierten Texte bezog, wie die pseudepigraphische Apokryphen-Literatur gnostischer Prägung es mit gnostisch-mytho-10gisierten Persönlichkeiten der Bibel getan hat. Aber ebensowenig wie Laotse, vielleicht noch weniger, ist Orpheus für die Geschichte mehr als ein Name, wohingegen er ein religionsgeschichtliches und mythologisches Problem darstellt. Noch etwas anderes ist hier zu sagen: die Unterscheidung von ethnisrnen und gestifteten Religionen fällt nicht zusammen mit der Unterscheidung von sogenannten primitiven Religionen und hoch­entwickelten Religionen, das heiß t pcakti srn - und unrirntig - von Religionen srnriftloser und srnriftkundiger Völker. Die vedisch­brahmanisch-hinduistische Religion verlegt ihre Ursprünge in die Nacht der Zeiten: sie ist ein gutes Beispiel für eine ethnische Reli­gion, da sie ein wesentlicher Bestandteil der sozialen, nationalen und bis zu einem gewissen Grade auch staatlichen Geschichte Indiens ist, und sie ist zugleich eins der berühmtesten Beispiele für eine Relig ion, die, zumindes t theoretisch, auf einem geschriebenen, al s göttliche Autoritä t angesehenen Kanon beruht, dessen Annahme oder Ableh­nung (und zwa r nur auf fo rmaler Ebene, der einzigen, welche die nicht geringe Verschwommenheit der Lehre zuläßt) unwiderrufl ich darüber entscheidet, ob der Einzelne dieser Religion angehört oder nicht. Im übrigen unterliegt es keinem Zweifel , daß das Vo rhanden- oder Nichtvorhandensein eines schriftlich niedergelegten heiligen Kanons

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im Bereich der ethnischen Religionen einen beachtlichen Unterschied bewirkt: die Religionen, die einen solchen Kanon besitzen - es sind durchaus nicht nur die Religionen der schriftkundigen Völker -, nehmen in gewisser Weise eine Sonderstellung ein und bilden den fortgeschrittensten Flügel im Bereich der ethnischen Religionen. Das gilt vor allem dort, wo man sich - wie im Falle des Taoismus oder der Orphik - auf einen, wenn auch nur legendären Stifter bezieht. Außerdem ist in denjenigen ethnischen Religionen, in denen ein Kanon existiert, in irgendeiner Weise zumindest ein formales Ein· heitsprinzip in Kraft, und zugleich vermittelt das Werk der einzelnen Verfasser der verschiedenen Teile des Kanons, ohne freilich die un· vergleichliche Einheit eines Stifters zu ersetzen, doch irgendwie jenen greifbareren Persönlichkeitseindruck, der sich in den sduiftlosen eth­nischen Religionen oft als unwiederbringlich verloren erweist. Nicht, daß nicht auch diese - in dem für uns dunklen Verlauf ihrer Ge­smichte - das Werk besonders begabter Einzelner oder auch von Erneuerern, von ReformatOren oder wohl auch von echten Stiftern verspü rt hätten, aber deren Wirken ist heute - mit Ausnahme be· sonderer Fälle, unter denen die sogenannten prophetischen Kulte bei den Primitiven besonders hervortreten - mit den Mitteln der Ge· schichtswissenschaft unerreichbar. Neben die Unterscheidung von Volks· und gestifteten Religio· nen werden wir also eine zweite, weniger erhebliche setzen: Wir unterscheiden zwischen Religionen, die einen Kanon oder etwas Ähn· limes, wenn aum weniger Definitives und Ausgeprägtes, besitzen, und solchen, denen er fehlt. Zur ersten Gruppe gehören im großen und ganzen die gestifteten Religionen - zumindest die der Hom­religionen, die primitiven prophetischen Kulte im allgemeinen r,icht - sowie Religionen oder Systeme wie der Brahmanismus­Hinduismus, der Taoismus und die Orphik in den oben erwähnten Grenzen. Zur zweiten Gruppe gehören die Religionen der schriftlosen Völker und jener Hochkulturen, die zwar Schriften mit rituellem oder orakelhaftem Charakter besitzen - sie sind in gewissem Sinne kanonisch, nur sind ihre Inhalte, wie z. B. bei den römischen Reli­gionen, zu episodisch - oder sich einer großartigen religiösen oder auch religiös interessierten Literatur erfreuen - wie Griechenland mit seiner olympismen Religion - , in ihnen jedoch nicht die unbe· dingt verbindliche Grundlage und das Maß, eben: den Kanon, einer allein gültigen rechten Lehre erkannten; diesen Religionen ist in· folgedessen der Begriff der Orthodoxie fremd. Hierzu muß gesagt werden, daß das Vorhandensein eines Kanons, d. h. eine r festgelegten und verbindlichen Folge von religiösen Er­zählungen und Aussagen, der man göttlichen Ursprung nachsagt, an sim nicht an die Kenntnis der Schrift gebunden ist. Es konnte

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nämlim aum eine rein mündlime überlieferung von solmen Erzäh· lungen und Aussagen geben - und es hat sie tatsämlim gegeben -bei jenen Religionen, die sie erst zu einem relativ späten Zeitpunkl schriftlim niederlegten. Doch auch bei nodt lebenden smriftloser Völkern existiert mitunter eine Sammlung heiliger Erzählungen une Aussagen angeblich göttlimen Ursprungs, die als feststehend une unantastbar gelten und in gewissem Sinne einen Kanon bilden. El handelt sich dabei meis t um mythische, den Ursprung der DingI betreffende Erzählungen oder um Formeln für das Gebet und der Ritus. Der Gehalt solcher Erzählungen und Formeln ist, wenn aucr bedeutsam und grundlegend für die jeweiligen Völker, nie so be· schaffen, daß er eine religiöse Welt bilden könnte, deren Reichturr dem jener Religionen vergleichbar wäre, die wir - einer konven· tionellen, aber nicht von den Gelehrten erfundenen Benennung zu· folge - die "Buchreligionen" nennen wollen. Wir wollen zur Umersmeidung von gestifteten und ethnischen Reli· gionen zurückkehren. Hierbei stellen sim mancherlei Probleme; dil grundlegende Probleme der religionsgeschichtlichen Forschung ir sim schließen. Vor allem ist zu sagen, daß eine ReligionsstiftunE stets innerhalb eines ethnisch.geographischen Raumes erfolgt, dei selbstverständlich schon eine Religion hat - und diese Religior kann gestiftet oder völkisch sein . In beiden Fällen kann der Stifte: auf die vor seinem Eingreifen bestehenden religiösen Werte ver· schiedenartig einwirken ; und es ist Aufgabe der Forsmung, diesl Art von Fall zu Fall zu klären. Nicht immer wird es sich um einl totale Abtrünnigkeit handeln; so muß z. B. auch in einem Fall, de: in diesem Sinne als besonders in die Augen springend erS<heint nämlich in der Lehrverkündigung Mohammeds, anerkannt werden daß der Stifter keineswegs ganz von der Religiosität seines Volke: abgesehen hat. Neben meh r formalen Elementen, wie der Beibehal· tung einiger religiöser überlieferungen Mekkas - dem Geiste nad verändert, in ihrer Eigenschaft als ethnisme Manifestationen jedod erhalten - , läßt sich, wie die moderne Kritik es anstreb t, im Wirker des Propheten von Mekka die Absicht erkennen, eine neue Religior zu stiften. Bevor diese Anspruch auf weltweite Berufung erhebt, sol sie in erster Linie - in der chronologismen und hierarchiS<hen Be­deutung des Wortes - cine neue Religion der a rabischen Na rior sein. Und diese neue Religion verknüpft der Prophet mit einer durd die Zeiten fortlaufenden Kontinuität der monotheistismen Traditior Abrahams in Arabien: er beruft sich auf Ismael, den Sohn Abra­hams, er schreibt Ismae! die Neugründung der Kaaba in Mekka, derr nationa len Heiligtum der Araber, zu und bring t seine eigene Lehn mit jener monotheistischen Tradition in Verbindung, welche dii Hanife, die wahren Gläubigcn, sei t der Epoche Abrahams durch dii

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dunklen Zeiten des vorislamisdlen Heidentums zu bewahren gewußt hätten. Es muB gesagt werden, daB diese Beziehung zwisdlen der völkischen Tradition und dem Wirken eines Stifters häufig eine der smwierig­sten Fragen beim Studium einer gestifteten Religion darstellt. So kann man dieses Problem als das 5chlüsselproblem in der Erfor­schung der Religion Zarathustras bezeichnen. Zarathustra ist der Stifter jener dualistismen Religion, die heute bei den Parsen Indiens und des Iran weiterlebt, einst jedoch die nationale Religion Persiens war. Im allgemeinen sieht man in seinem Wirken eine völlige Um­wälzung der damaligen Glaubensvorstellungen der Perser. So nimmt man an, daß diese einen großen Teil der Religion mit den alten Indem der vorvedischen und möglicherweise der vedismen Epoche gemeinsam hatten. Sie hätten demnach ein Pantheon besessen, des­sen zahlreiche Gottheiten in zwei Hauptgruppen aufgeteilt waren : die Asuras, die Herren, und die Devas, die Götter. Da im zoroastri­smen Schrifttum die Bezeichnung Daiva (identisch mit dem indisdlen Deva) die Bedeutung Dämonen angenommen hat, nimmt man all­gemein an, daß diese Abwertung das Werk der monotheistischen Lehre Zarathustras ist, der also als Stifter einer neuen Religion den alten, ethnisdlen Glaubensvorstellungen des (indo)iranischen Volkes substantiell widersprochen und eine völlig neuartige Religion ge­stiftet habe. Aber neue Forschungen führen zu der Vennuwng, daß die Dinge komplizierter sind . Vor allem neigt man heute dazu, die Lehre Za rathustra s seiner Umwelt einzufügen: so fragt man sich, ob das Wirken des Propheten wirklich ein Unikum in der Gesell­schaft seiner Zeit gewesen sei, oder ob nicht vielleicht versmiedene Reformen, unter denen diejenige Zarathusrras die beachtenswerteste wäre, dazu beigetragen hätten, die geschichtlichen Voraussetzungen dessen zu schaffen, was wir den Zoroastrismus nennen. Mehr noch, man ha t feststellen können, daß die Neigung zu einer Gegenüber­stellung der beiden Gruppen von indoiranischen übermenschlichen Wesen, den Asuras und den Devas, schon während der indoirani­schen Epoche vorhanden war und daher nicht eine absolute Neuheit der Verkünd igung Zaramustras darstellte. Diese Gegenüberstellung war in Indien sicherlich weniger ausgeprägt, als es im Persien Zara­thustras der Fall war, aber vorhanden war sie, und zwar merkwür­digerweise in der entgegengesetzten Richtung: in Indien sind es nicht die Devas, sondern die Asuras, die häufig nicht mehr gÖtt­lichen, sondern dämonischen und magisch-dämonismen Charakter annehmen. Weiter muß dazu gesagt werden, daß der Kern der Reli­gion und der Verkündjgung Zarathustras, so wie er sich aus den ältesten Texten des Kanons, den Gäthäs, herauszuschälen scheint - also der Dualismus - , über ein folkloristism-ethnisdles euro-asia-

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tisch-nordamerikanisches Gebiet wie auch andernorts verbreitet ist. Daraus ergibt sich eine weitere Frage: bis zu welchem Punkte haben die typisch dualistischen Religionen, die am Rande dieser Zone ent­stehen (etwa Zoroastrismus, Manichäismus, Yezidismus, Mont:mis­mus und die Lehre der Bogomilen - lauter gestiftete Religionen). sich eines Nährbodens mit dualistischer Tendenz bedient, und bis zu welchem Punkte haben sie andererseits dazu beigetragen, diesen Nährboden zu schaffen oder zu entwickeln. Denn auch diesen zweiten Aspekt muß man sich deutlich vergegenwärtigen, nachdem fest­gestellt wurde, welche Einflüsse die vorder- und zentralasiatischen und die europäischen Hochkulturen und deren jeweilige Religionen auf den ethnisch-folkloristischen Raum von Zentral- und Nordasien sowie Nordosteuropa ausgeübt haben . Umfangreiche religionsgeschichtliche Probleme stellen sich bekannt­lich bei der Frühgeschichte des Christentums und seinen Beziehungen zu der Religion des alten Israels sowie zu den gleichzeitigen Strö­mungen innerhalb des Judentums. Die neuen Texte vom Toten M'eer, die trotz der noch nicht zufriedenstellend gelösten chronologischen Probleme dazu beitragen, uns eine bessere Kenntnis von einem Kapitel und einer Epoche jüdischer Religionsgeschichte zu vermitteln, sind hierzu wertvoll. Allerdings sollte man ihre Tragweite nicht in dem Sinne überbewerten, als ob sie unsere Kenntnis von einer nach­biblischen Epoche Israels, die vorher ganz in Dunkel gehüllt gewesen sei, von Grund aus erneuert und überhaupt erst ermöglicht hätten. Wer den Texten, die schon vor den Entdeckungen von Qumran ZUI

Verfügung standen (Zeugnisse von Flavius Josephus und anderen über die Essener, Dokument von Damaskus usw.), gebührende Auf· merksamkeit schenkte oder sie heute aposteriori wieder liest. wird sehen, daß askerisch-baptistische Strömungen, die in manchen Fäller einer fortschreitenden gnostischen Infiltration unterworfen sind, derr Gelehrten nicht als absolute Neuheit oder völlige überraschung er· scheinen dürfen. Diese Feststellung soll natürlich der Bedeu tung deI Entdeckungen keinerlei Abbruch tun. Die Veröffentlichung und Er· forschung des neuen Materials schreitet ständig voran. Es sei darar erinnert, daß der Vergleich zwischen Jesus und dem Lehrer deI Gerechtigkeit der Qumran-Texte - sei er nun eine geschichtliche Ge· stalt oder ein Typ - Oscar Cullmann zu einer wertvollen Beobach· tung veranlaßt hat ; er erkannte die Neuheit und Originalität deJ christlichen Verkündigung sowie der Selbstdarstellung )esu. Obwoh die Selbstaussagen des Lehrers der Gerechtigkeit an einige der ein· dringlichsten prophetischen Texte des Alten Testaments erinnern schreibt er doch - im Unterschied zu Jesus - seinem W irken um Leiden niemals Erlösungs- oder Opferwert zu. Er, der Lehrer dt"1 Gerechtigkeit, ist ein leidender Gerechter, ein Zeuge, nicht einer

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der, zum Opfer ausersehen, mit seinem Opfertod eine endgültige Erlösung Israels vollbringt. Während die Texte von Qumrän im all­gemeinen und jene den Lehrer der Gerechtigkeit betreffende im be­sonderen auf die Zukunft ausgerichtet sind, in die sie die endgültige Entscheidung und die Befreiung Israels verlegen, verkündeten Jesus und seine Jünger, daß die Erlösung ein für allemal vollzogen ist, daß die Zeit sich erfüllt hat, daß die entscheidende Tat vollbracht ist und daß als wesendiches Moment im Vollzug der Erlösung nur noch der esc:hatologische Epilog bleibt. Mit anderen Worten : während die Texte von Qumrän in einer typischen Atmosphäre von Erwartung - von messianischer Erwartung - verharren, beruhen die christ­lichen Texte auf der Idee der Erfüllung, die im wesentlichen schon mit der Auferstehung Jesu, mit seinem nunmehr erfolgten Sieg über den Tod stattgefunden hat. In diesem Rahmen bleibt nur mehr für die Gläubigen die Erfüllung des Leidens und des Sieges Christi in der Erwartung der endlichen eschatologischen Bestätigung. Der Schwerpunkt des qumranischen Messianismus ist nod. in die Zu­kunft projiziert so wie in jeder alttestamentlichen oder jüdischen Äußerung; das Zentrum des christlichen Mess ianismus fällt zusam­men mit den Geschehnissen in Jerusalem unter Pontius PHatus. Einen letzten, die Beziehungen zwischen ethnischen und gestifteten Religionen betreffenden Punkt, den es noch zu erö rtern gilt, bilden die prophetischen Kulte bei den Primitiven, die wir gelegen tlich sdton erwähnt haben. Es handelt sich um religiöse und mitunter, obwohl nur in Ansätzen, um politisdte Bewegungen. Sie werden in primitiven Welten als Reaktion auf die kulturellen Einflüsse der kolonisierenden Nationen von Einzelpersönlichkeitcn hervorgerufen, die sich meist auf Offenbarungen oder Aufträge von oben berufen. Diese Bewegungen werden hauptsächlich durch Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten verursacht, die den Eingeborenen durch die neue Lage der Dinge entstehen; oft wurden sie auch durch Ver­ständnislosigkeit und Ungerech tigkeiten von seiten der Kolonial­behörden ode r der weißen Siedler herausgefordert. Unter solchen Umständen, die wir als Konfliktsituationen oder, gelinder gesagt, als kulturelle Obergangsstufen bezeichnen könnten, kann es ge­sdtehcn, daß eine Unheil- und Endzeitverkündigung von seiten irgendeines Eingeborenen erfolgt, der die gegenwärtigen Obel- auch Natu rkatastrophen - auf die Anwesenheit der Weißen und auf den Zorn der alten Stammesgötter zurückfüh rt. Entweder besteht dann die Tendenz, diese Götter durch Ablehnung aUes Neuen zu versöh­nen (ghost dance!) ode r - häufiger - Bestandteile der von den Kolonisatoren mitgebrachten Kultur (cargo cults!) wie auch der durch die Missionsschulen verbreiteten Lehren sich zu eigen zu machen und sie bewußt oder unbewußt gegen ihre ursprünglichen

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Träger zu kehren (Kongo, Elfenbein-Küste usw.). Es geht also dar· um, als rettende Lehre eine Lehre oder einen Vorstellungskrei: durmzusetzen, in dem auf künstlime und nicht selten groteske Weis~ mristlime Elemente missionarismen Ursprungs mit ethnisch-heid· nischen Elementen verschmolzen werden, und zwar im Gegensat: und im Widerspruch zu der offiziellen Lehre der Missionare: dies~ neue Lehre wird im allgemeinen, wie schon gesagt, als Frucht eine Offenbarung oder einer Inspiration dargestellt, und nicht seltel treten "Propheten" auf, die sich als neue Christusse oder als neU! Inkarnation Christi vorstellen. Häufig erlöschen diese Bewegungen die nicht immer fremdenfeindlichen Charakter haben, von selbst Nicht selten werden sie von den Lokalbehörden bekämpft: der jewei lige prophetische Kult hört dann entweder ganz auf oder er besteh in abgemilderter Form weiter, mit der Möglichkeit, Erneuerung ode neue Inkarnation auch durch andere Propheten und Stifter zu er fahren. Es ist klar, daß wir es in solchen Fällen mit Religionen -genauer: mit Kulten oder religiösen Bewegungen - zu tun haben; di, wir nur in einem eingeschränkten Sinne als "gestiftet" bezeichnel können. Denn in ihnen wird das Hauptelement, das Reagens, ehel nich t nur aus der Reaktion auf eine neue ethnisch-politisch-religiös Situation (der überlegenheit der Weißen) gebildet - die eine Ge legenheit wie eine andere für die Entstehung einer gestifteten Reli gion sein könnte - , sondern aum aus der bewußten oder unbe wußten Aufnahme von mristlim-religiösen, der missionarische: Unterweisung oder den biblismen Texten entnommenen Elementer Es ist nämlich bemerkenswert, daß das Auftreten solmer Prophete: oft in Gegenden erfolgt, die smon mehr oder minder stark vor Wirken der Missionare erfaßt sind ; die Propheten selbst sind ie allgemeinen eingeborene Ex-Christen. Nicht nur das: bezeichnen ist aum, daß derartige prophetisrne Eingeborenenbewegungen vc allem in Gebieten auftreten, die von Protestanten kolonisiert un missioniert werden. Die freie und begeisterte Interpretation dt Bibel, insbesondere des Alten Testaments (das prophetisch-kriegt rische Element!), sowie gewisse Formen des Erlöserkultes, insofer sie die manchmal zur Ekstase neigende Mentalität des Primitive anzusprechen vermögen, können zweifellos das EntStehen freier prc phetischer Kulte eher begünstigen als die hieranhisch-sakramental Ordnung der katholischen Kirche. Hinzu kommt, daß die organ: satorische Freiheit und die Tendenz zur Aufspaltung in Denomim tionen derprotestantischenKirdlen der Bildung neuer und autonom( Religions- oder Kultgemeinsmaften sowohl auf organisatorisrner al auf dogmatismer Ebene entgegenkommt. Wenn dies in die primitive Mentalitäten Eingang gefunden hat, ist es, im oben erwähnten Siß.! ein weiterer Anlaß zu prophetischen Kulten ; ebenso kann es in gl

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bildeteren Eingeborenenkreisen Anlaß zu Kultgemeinschaften sein, die durchaus m.ristlich bleiben wollen und ihren sozialreligiösen Pro­test auf die Ebene der wirklichen Organisation beschränken: man denke an die Zunahme der negerm.ristlichen Kirm.en in den prote­stantismen Eingeborenenkreisen Südafrikas.

11.

Nationale, universale und kosmopolitische Religionen

Mysterienkulte

Die Diskussion über die gestifteten und die ethnischen Religionen führt uns zu einer weiteren Unterscheidung, nämlim zwischen natio­nalen und universalen Religionen. Diese Unterscheidung betrifft nicht so sehr - oder nicht nur - die Tatsache, ob die in Frage kom­menden Religionen universal verbreitet sind oder nimt, als vielmehr das Vorhanden- oder Nimtvorhandensein einer universalen Beru­fuOg, Tendenz oder Aufgeschlossenheit. Wir haben gesagt: nicht so sehr oder: n icht nur; denn auch die objektive Tatsache der univer­salen oder verhältnismäßig universalen Verbreitung einer Religion ist von Bedeutung für ihre Einreihung in die eine oder andere Kate­gorie. Es gibt nämlim Religionen oder Religionssysteme, denen von ihren Stiftern eine universale Funktion zugedacht war, die eine solche Verbreitung jedoch nie erreicht haben - sei es, daß es bei einer örtlim begrenzten Episode geblieben ist, sei es, daß sie nur bei einer kosmopolitismen Minderheit Anklang gefunden haben, wie die Religionen humanitär-synkretistischer Prägung, z. B. der Ba bismus-Ba ha' ismus. Man kann zweifellos jede Volksreligion, die in einer bestimmten Nation oder einem bestimmten Stamm entstanden ist und sim ent­faltet hat, den Religionen zuordnen, die wir im Gegensatz zu den universalen Religionen "nationale" genannt haben. Man kann wei­terhin jene Religionen als national bezeichnen, die sich bewußt als $Olme fühlen und sich aus freien Stücken einer bestimmten Nation anschließen, in der Absicht, ihre eigentümliche, wenn aum. nimt aus­schließliche, religiöse Ausdrucksform zu bilden. Dies scheint der Fall beim Shintoismus zu sein. Er ist auch noch in anderer Weise eine nationale Religion, denn er stell t die Verherrlichung und Interpreta­tion nationaler Werte auf religiöser Ebene dar, auch wenn er - viel­leicht gerade aus diesem Grund und wegen seiner anerkannt eng gezogenen Grenzen - es fertiggebracht hat, auf japanischem Boden mit einer anderen, ausgesprochen übernationalen und universalen Religion, dem Buddhismus, zusammenzuleben.

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Eher völkisch (ethnisch) als national werden wir dagegen jene Reli· gionen nennen, die sich simpliciter als die Religion einer Grupp« betrachten, die hauptsächlich für sich lebt und zumindest praktisd nicht über ihre Umwelt hinaussieht. Das ist bei den in der primitiver Welt überaus zahlreichen Völkern der Fall, die sich selbst mit den Namen NMenschenN bezeichnen oder - wie im Fall gewisser Eskimo· stämme - nidlt wissen, daß es außer ihnen noch andere Gemein· schaften gibt, oder sich gar selbst für den Mittelpunkt der ihnen be· kannten Welt halten. In diesem Sinne setzt sich die ethnische Reli· gion, wie schon gesagt, nicht nur in Gegensatz zu den gestifteten sondern auch zu den übernationalen, universalen Religionen. Ein« Nationalreligion dagegen, wie der Shintoismus, besteht oft aus eine: Volksreligion, die auf der Ebene der nationalen Werte zu einen besonders ausgeprägten Bewußtsein ihrer selbst gelangt ist, zugleid aber auch zu einem klaren Bewußtsein ihrer eigenen Grenzen be der Befriedigung der religiösen Bedürfnisse des Einzelnen: gerad4 dies ist beim Shintoismus der Fall. Er hat sich in den meisten Fället damit abgefunden, mit einer Religion individueller und universale! Prägung - wir werden sehen, daß beides oft nebeneinander her· geht - zusammenzuleben, wobei er das religiöse Bewußtsein de: Einzelnen und des Volkes häufig mit dieser Religion, dem Buddhis· mus teilt. Ahnlich lagen die Dinge bei den nationalen Religionen des klassi, schen Altertums: in Rom duldete eine Religion, die aus einer ethni, schen immer bewußter zu einer nationalen wurde und es dam blieb, das Eindringen der umliegenden Religionen, z. B. Aufnahm4 der Juno Lanuvina auf vertraglicher Basis oder des Kultes von Vej mittels einer eTJocatio deorum zur Kriegszeit. Sie erkannte nimts· destotrotz an einem gewissen Punkte, daß sie außerstande war, dil immer stärker anwamsenden Bedürfnisse des Einzelnen zu be friedigen und fand sich damit ab, mit den verschiedensten Kulter aus dem Orient - Mysterienkulten und anderen - zusammen zuleben; ja, sie begünstigte mitunter sogar die übernahme diese Kulte (Magna Mater) und besdtränkte sich darauf, durch Verbotl aus Gründen der öffentlichen Ordnung und der Moral einzugreifer (Bacdtanalien). Sie nahm, wie gesagt, das Zusammenleben auf sid unter der einzigen Bedingung, daß die Einzelnen und die Gruppei sich den nationalen Kulten - dem kapitolinischen und spä ter vo allem dem Kaiserkult - gegenüber loyal verhielten. Eine Situation die der des Shintoismus in Japan während gewisser Perioden seine Geschichte gleicht. Und das gleiche geschah in Griedtenland, nur dal dort die Zersplitterung größer war und infolgedessen die Einfluß nahme der politischen Gewalten auf andere Weise erfolgte. Mit de

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offiziellen Religion der Poüs vereinigte sich, begünstigt von Ein­zelnen oder Gruppen, eine individuelle Religion, die entweder aus der Verallgemeinerung dieses oder jenes griechischen Lokalkultes hervorgegangen war oder - wie in Rom - aus der Einführung von fremden Kulten oder auch aus der religionsphilosophischen Inter­pretation von überlieferten religiösen Vorstellungen, die erhöht, transzendiert und - im Rahmen der antiken Welt - ins Universale gesteigert wurden. Die Frage der Zuordnung - ob national oder universal - stellt sich bei mehreren der großen gestifteten Religionen. Bei dem mehr oder minder abstrakten Charakter jeder Klassifizierung wäre es übrigens zuviel verlangt, in jedem FaU eine klare und deutliche Antwort zu erwarten. Man kann sich beispielsweise fragen, ob und bis zu welchem Punkte der Zoroastrismus als eine nationale Religion ver­standen werden kann . Daß er es, zumindest bis zu einem gewissen Grade, ist, beweist die Tatsache, daß dic Lehre Zarathustras lange Zeit die National- und zeitweise auch die Staatsreligion des Iran und der Reiche, dic auf seinem Boden aufeinander folgten, gewcsen ist. Außerhalb des iranischen Territoriums hat sie keine beachtliche Verbreitung gefundcn - außer in jenen Ländern, die während einer mehr oder minder langen Zeit dem persischen Reich angehörten und einer qualifizierten persischen Einwanderung unterworfen waren: Armenien, einige Gegenden Kleinasiens, zum Beispiel Kap­padozien, und Mesopotamien. Hier verbreiteten zahlreiche Sied­lungen der Magusaioi (die Magier der Diaspora) zweifellos zoro­astrische Gcdanken, während sie ihrerseits mehr oder minder tief­gehenden Einflüssen von seiten der umliegenden Bevölkerung aus­gesetzt waren. Außerhalb der Magusäergemeinschaften fand jedoch keine geschlossene Verbreitung der Lehre Zarathustras statt, und infolgedessen blieh diese Religion eine im wesentlichen iranische Religion . Allerdings könnte man sich auf die Mithrasmysterien und auf ihre sehr große Verbreitung im wcströmischen Kaiserreich und südöstlichen Mittelmeerbecken berufen. Dieser Kult enmält zwar Elemente von zweifellos iranischer Herkunft, ja, cr beruht sogar auf ihnen (der GOtt Mimra selbst, das Stieropfer, einige rituelle Formen in iranischer Sprache usw.), aber objektiv gesehen kann er nicht als ein iranischer Kult bezeichnet werden i aller Wahrscheinlichkeit nach gab es unter den Hauptelementen, aus denen er sich zusammen­setzte, nicht wenig Uniranisches, vielleicht Anatolisches. Durch ihren ideologischen Gehalt erweist sim die Lehre Zara­thustras in mehr als einer Weise als eine rypische Nationalreligion : die Gunst Ahura Mazdas, ihres obersten Gottes, ist die Bedingung für das Wohlergehen des Landes, sowie für den Erfolg, ja sogar für

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die Investitur des Herrschers. Der den Zoroastrismus kennzeich­nende Kampf des Guten mit dem Bösen wird als Kampf zwischen Iran, das dem Gott Zarathustras, dem Beschützer des seßhaften, ge­ordneten und friedlichen Hirten- und Adc.erbauerlebens treu war, und den räuberischen, gewalttätigen und lügnerischen turanischen Nomadenstämmen dargestellt. Andererseits darf man nicht über­sehen, daß das Awesta smon in seinem ältesten Teil ehrenvoll die Namkommen des Turaners Fryäna erwähn t; sie haben sich frommer erwiesen als die iranismen Fürsten, die den Lehren Zarathustras anfangs so viele S<hwierigkeiten bereiteten. Im Geiste des Propheten besteht also keine notwendige Verknüpfung zwismen der Zu­gehörigkeit zur iranischen Nation und der Anhängerschaft des Ahura Mazda. In diesem Zusammenhang darf man aum nicht die aufschlußreichen Angaben vergessen, die uns die iranismen Texte über das Verhalten der Achämenidenherrsmer gegenüber den ihnen unterworfenen Völkern und deren Religionen überliefern. Neben Episoden, die von Toleranz und Unduldsamkeit berimten - und uns hier nicht inter­essieren - ist erwähnenswert, daß der Achämenidenherrscher sich vom Himmelsgott Ahura Mazda mit einer Souveränität begabt fühlte, die theoretisch - und teilweise auch de facta - als universal angesehen wurde. Die universale Macht des "Königs der Könige" war letzten Endes der Abglanz der universalen Souveränität seines Gottes, die sich erstreckte, so weit der Himmel reichte. Man könnte also sagen, daß, zumindest in gewisser Hinsicht, die Arnämeniden­herrscher, ohne freilich die Frage bis in ihre letzten praktismen Konsequenzen zu verfolgen, glauben mußten, daß die Herrschaft Ahura Mazdas sich über die ganze Welt erstreckte und daR seine Religion in gewisser Weise weltweiten Charakter besäße. In diesem Rahmen ist zu beachten, daß die Perser - wie schon die Meder - siCh für ein auserwähltes Volk hielten: und ein merkwürdiger, nicht allzu klarer Text von Herodot (1,134) scheint diese Auffassung zu bestätigen: die Perser, sagt der gri emische Historiker, üben, wie schon die Meder, ihre Herrschaft über das Weltreich aus, indem sie die Herrschergewalt je nach der weiteren oder näheren Entfernung der Völker vom Mittelpunkt des Reiches - Persien, bzw. Medien -übertragen: sie schätzen die Völker danach ein, wie nahe oder wie fern sie ihnen sind. Wenn die Angabe vielleicht auch nicht auf alle historisch-politischen Tatsachen zutrifft, so könnte sie doch für die Frage, die uns hier angeht, von einiger Bedeutung sein. Aber norn ein anderer, triftigerer Grund veranlaßt uns, eine ge­wisse Aufgeschlossenheit der Perser dem universalen Gedanken ge­genüber anzunehmen: versdliedene, von der Bibel wiedergegebene Zeugn isse spredtcn vom Gott Israels als vom Himmelsgott, ange-

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fangen mit dem berühmten Erlaß des Cyrus, der den Verbannten Israels ihre Heimat wiedergibt und den Wiederaufbau des Tempels anordnet, dem die von den Babyioniern geraubten Geräte zurück­gegeben werden sollen. Es darf angenommen werden, daß hier ein wenig über jene Leichtigkeit der Interpretation und Identifikation hinausgegangen wird, die das antike Heidentum zu allen möglichen Synkretismen trieb und daß auch über jene Ungenauigkeit reli­giöser Namensgebungen hinausgegangen wird, die innerhalb der großen Reiche des Altertums oft die politisch-religiösen Beziehun­gen erleichtern sollten. Es darf angenommen werden, daß Cyrus und später seine Nam.folger, die denselben Ausdruck in bezug auf den Gott Israels verwendeten, auf eine Affinität zwischen dem Gott Israels und dem ihren angespielt haben und daß dies ihnen eine Haltung offener Sympathie seinem Kult gegenüber erleichtert hat. Was sie in der Frage, die uns hier beschäftigt, wirklim. gedacht haben, läßt sim. natürlich unmöglich sagen, aber daß es irgendwie in Verbindung stand mit der Neigung, anzunehmen, der große Himmelsgott sei der universale Gott aller Völker und werde infolge­de~sen möglicherweise auch außerhalb des Iran angebetet, ist wohl keine allzu gewagte Behauptung. Um so weniger, als aum. andere, den beiden höchsten Wesen gemeinsame Elemente, so etwa die enge Beziehung zum Sittengesetz, ihre Schöpfereigenschaft usw., auf eine gewisse übereinstimmung hinzuweisen schienen. Diese überlegungen erinnern uns an das Verhalten der tatarischen und mongolischen Khane dem Islam und dem Christentum gegen­über. Beide Religionen hatten - nam. Ansim.t der Khane - einen glOßen Gott, der verschiedene Merkmale mit Tängri, dem hömsten himmlism.en Wesen der tatarism-mongolisdten Hirtenvölker, ge­meinsam hatte. Einer legendären, aber wohl bedeutsamen Episode zufolge soll Dschingis Khan einem Manne, der ihm die Lehren des Islam erläuterte, erwidert haben, er sei mit allem, was ihm über diesen Glauben gesagt werde, einverstanden, er sehe jedoch nicht die Notwendigkeit des Kults von Mekka ein, da der Himmclsgott doch überall angebetet werden könne - offenbar ein Ausspruch, der in gewisser Weise für eine universalistische Auffassung des großen Himmelsgottes sprim.t, aber auch ein Zeugnis völkischer, heidnischer und tempelloser Religiosität eines Hirtenvolkes. Wahr­scheinlich ist aum die Annahme des Islams in den turko-mongoli­schen Khanaten durch die bei diesen Völkern traditioneUe Univer­salität des Hirnmelsgottkultes begünstigt worden. Der übergang von den Herrsm.aftstiteln der heidnischen zu jener der islamischen Khane ist mitunter kaum wahrnehmbar, da die jeweiligen religiösen Formeln bezüglich der Investitur des Khans durch ein Höm.stes Wesen, das auch in gewissen Dokumenten der islamischen Zeit statt

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mit dem Namen Allah, der sich übrigens rasch verbreitet, noch mi l dem ethnischen Namen Tängri bezeichnet wird, einander ziemlid ähnlich sind. Dieselbe berühmte religiöse Toleranz der mongolisdler Khane, die auch die Missionen der Abgesandten und der christlicher Missionare wie Pian dei Carpine und Rubruck erleichterte, läßt sia wohl ebenfalls auf diese Vorstellung von der Allgegenwärtigkeil des Himmelsgottes zurückführen; eine Toleranz, die übrigens aud völkische, heidnische Gleichgültigkeit gegenüber religiöser Verkün­digung bedeuten könnte (siehe die Antwort Dschingis Khans) . Eim ähnliche Erscheinung war und ist in mancher Hinsicht noch heUt( marakteristisch für ein anderes großes, den völkischen Kult d!!! großen Himmelsgones pflegendes Voll<.: die Chinesen. Beenden wir diese Abschweifung und kehren zu unserem Them~ zurück: der Klassifizierung der Religionen in ethnische und natio­nale einerseits, in universale andererseits. Besser als 3m Zoroastris· mus läßt sich der Unterschied zwischen diesen beiden Religions· typen an der Geschichte des Islam aufzeigen. Wir haben schon ·auJ das Verhalten Mohammeds gegenüber der völkisch arabi schen Tra­dition hingewiesen und auch hervorgehoben, wie der Islam einer gewissen völkismen Zusammenhang aufrechterhält und vor alIerr in seinen Anfängen aufrechterhalten hat. Das gesdtieht jedoch nich' nur durch die Wiederaufnahme einiger völkischer Traditionen Mek· kas, sondern vor allem durch das Motiv, das zu dieser Wiederauf­nahme geführt zu haben scheint : nämlich den Willen des Stifters eine Religion erstehen zu lassen, die in erster Linie die neue ReH· gion der arabischen Nation sein sollte. Sie sollte aber auch eint Religion des "Buches" und infolgedessen den höheren Religionen mit denen der Prophet auf seinen Reisen und während seines Leben: in Mekka in Berührung gekommen war, nämlich dem Judenturr und dem Christentum, an Würde nicht unterlegen sein. Eine Reli­gion also, die nicht mehr heidnisch und nicht mehr ethnisch, son· dem noch, und stärker als zuvor, national ist : die Religion eine: Nation, die zur Trägerin einer ihr offenbarten Botschaft wurdl und die Geschichte, in der Gott sich stufenweise der Menschhei offenbart hatte, zu besiegeln gedachte. Im übrigen wollen wir diesen nationalen Aspekt des frühen Isbn nicht über Gebühr hervorheben und becüen uns, hinzuzufügen, da! er 3uch in der ersten Zeit eine Weltoffenheit des Islam nicht aus· schloß. Weitere wichtige Probleme stellt zu eben diesem Thema die Reli· gionsgeschich te des Volkes Israel. Einerseits sieh t es so aus, ah sei die Religion Israels einer der eindeutigsten Fälle von Natio­nalreligion : Israel wird zum Volk durch seinen Bund mit Gott. Un( doch geht es um weit mehr: Jahwe eignen eine Einzigkeit, ein~

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Transzendenz und Universalität, die über jeden nationalen Gesichts­kreis hinausgehen . Andererseits ist Jahwe aber nicht nur das Wesen, das zu Anbeginn den Himmel und die Erde und alles, was darinnen ist, geschaffen hat, sondern auch das Wesen, das in der Geschichte und in ihren entscheidenden Augenblicken seine unwiderstehliche Gegenwart und seine sich über Völker und Länder erstredc:ende Macht spüren läßt. Hierin steht der Monotheismus Israels weit über dem völkisch geprägten Monotheismus; in der Verkündigung der Propheten findet diese Universalität ihren UIUIlißverständlichen Ausdruck. Erfüllung und endgültige Bestätigung des universalen Charakters der Religion des Gottes Israels finden sich bekanntlich im Christen­tum. Die Idee der Universalität war, wie gesagt, dem Judentum nicht unbekannt und wird auch - mit zum Teil neuer und moder­ner Bedeutsamkeit erfüllt - vom heutigen Judentum beansprucht, wenn es um seine weltweite Mission unter den Völkern geht. Diese Idee wurde vom Christentum sowohl auf ideeller und program­matischer wie auf praktischer Ebene überhöht durch die Aufhebung jedweder nationalen Beschränkung und den Glaubenssatz, daß alle Mensmen gleicherweise zur Kindsmaft Gottes und zur Bruderschaft mit dem Welterlöser Ch ri stus berufen sind. Aber die Gegenüberstellung von ethnisch-nationalen und univer­salen Religionen stellt noch weitere Probleme, die vor allem ein besonders wichtiges Kapitel der Religionsgeschichte betreffen: die sogenannten Mysterienreligionen der Spätantike. Hier ist zunächst zu bemerken, daß diese Religionen - die man, wie wir noch ausführen werden, eher ,.übernational" oder .. kosmo­poli tisch" als "universal" nennen soll te - in Wirklichkeit einen nationalen oder auch lokalen Ursprung hatten. Die Adonismyste­rien entstanden aus den Fruchtbarkeits- und Vegetarionskulten des k:maanäismen Syrien, der Attiskult beruht auf dem anatolischen Kult der Magna Mater, der bis auf vorgeschichtliche Zeiten zurück­geht. Bei den Mithrasmysterien sollte man dagegen nicht allzusehr auf dem rein iranischen Ursprung bestehen, sondern, wie sdton gesagt, an jene synkretistische, magusäisdl-anatolisch-mesopotami­sche Welt denken, auf die versdtiedene E1emente der Mithraslehre und des Mithraskultes hinzuweisen scheinen (die Geburt des Mithras aus dem Felsen, die chthonischen Symbole, der löwenköpfige, "archontische" Aion, nicht aber die Tötung des Stieres durch den Gott, die echt indo-iranisch sein kann). Der übergang der Myste rienkulte von ihrer nationalen oder loka­len Vorgeschichte zu ihrer Ausgestaltung und kosmopolitischen Ver­breitung erfolgte nicht ohne bedeutsame Veränderungen im Inhalt und vor allem im Geist dieser Kulte. Es ist klar, daß die Kybele-

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und Auisreligion Anatoliens, so wie sie in den wilden Frühlings­zeremonien der anatolischen Hochebene zelebriert wurde, nicht das­selbe sein konnte wie - der Lehre und der religiösen Absicht nach - die Attismysterien der ersten Jahrhunderte nach Christus oder gar zur Zeit des Augustinus, als in einer nunmehr vorwiegend christlichen Welt ein Priester des anatolismen Gottes nichts Min­deres zu sagen wußte als: et ipse Pileatus dl ristianllS es t. Was den alten Frumtbarkeits- und Vegetarionsreligionen nam Art der syrischen und anatolisdten Kulte erlaubte, ihre enge lokale Begrenzthei t zu übersdtreiten und sich über das Miuelmeerbecken zu verbreiten, waren vor allem historische Umstände . Schon zur Zeit des Hellenismus und später in der römischen Epoche trat jenes kulturelle und soziale Phänomen auf, das mit mehr Berednigung Kosmopolitismus als Universalismus genannt werden kann. Seitdem die Mysterienkulte einmal ihren unmittelbaren und primitiven Be­zug auf das jahreszeitlime Geschehen ihres Ursprungslandes a!lf­gegeben hatten und einer mehr allgemein mysteriosophischen Inter­pretation unterworfen waren, so daß sie da und dort in den Brenn­punkten der alten Welt Verbreitung fanden, können wir sie nicht so sehr als universal, denn als kosmopolitisch bezeichnen. Ih:,er Defin ition als "universal" widersetzt sich nämlim die Tatsache, daß diese Kulte ohne weiteres mit anderen, verwandten Kulten zusam­men lebten oder sich selbst radikalen Synkretismen theosophischer und gnostismer, wie aum mythologischer Art unterwarfen. Eine religiöse Verkündigung dagegen (also nicht eine gnostisme "Sophia"), die sich als universal betrachtet, verwirklicht diese Eigensmaft nicht nur im geographischen Sinn ihrer Verbreitung, sondern auch im Sinne einer Einheitlimkeit, die keinerlei Kompro­misse - Synkretismen und "Interpretationen" - zuläßt. Aus die­sem Grunde war .lud. das Verhältnis zwisdlen übernationalen Mysterienkulten und Staatskulten einerseits und Chri stentum und Staatskulten andererseits sehr verschieden. Während der Kosmo­politismus der Mysterienkulte die Zugehörigkeit zum Staatskult, der unterschiedslos auf dem gesamten Gebiet des Staates gültig war, nicht ausschloß, wurde die Unvereinbarkeit von Christentum und Staatskult von Anfang an in voller Sdlärfe deutlich. Wie schon gesagt, haben die kosmopolitischen und die im eigent­licheren Sinn universalen Religionen innerhalb gewisser Grenzen ein Merkmal gemeinsam: sie wenden sich nicht mehr an den Bür­ge r oder an das Mitglied einer ethnischen Gemeinschaft oder an den Bewohner eines bestimmten Ortes, sondern an den Einzelnen: an den Mensdten. Diese Tatsame fügt sich auch geschichtlich jenem Entwicklungsprozeß ein, der seit der hellenistischen Epoche dahin geht, die Beziehungen des Individuums zu der beschränkten politi-

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schen Gemeinschaft, der es angehört, durch verschieden geartete, völkisch ziemlich unterschiedslose Beziehungen des Einzelnen zu dem König- oder Kaiserreim, von dem die Stadt oder die Nation nur mehr ein mehr oder minder kleiner Teil ist, zu ersetzen. Man darf jedoch nicht vergessen, daß der menschlime und religiöse Aspekt der Frage sich keineswegs in historism-politischen Umstän­den erschöpft. In den letzten Jahrhunderten vor Christus und in den ersten unserer Zeitrechnung wird der Einzelne sim jener Fra­gen immer stärker bewußt, die ihn nicht nur spekulativ, sondern auch existentiell, eben als Einzelnen angehen: die Fragen nach dem Glück, dem Tod, dem Jenseits drängen sich ihm immer mehr auf. Die universalen und kosmopolitischen Religionen gedenken diese Fragen zu beantworten und die in ihnen zutage tretenden Bedürf­nisse zu befriedigen. Wenn wir die Geschichte des Christentums mit der Geschichte der Mysterienreligionen - oder den Bruchstücken, die uns von dieser Gesdtimte erhalten sind - vergleichen, müssen wir feststellen, daß die Art und Weise, in der diese neuen Fragen und Bedürfnisse her­vorgerufen und befriedigt wurden, in beiden Fällen sehr verschie­den ist; aber dam it werden wir uns im nächsten Kapitel befassen, wenn wir eine Klassifizierung der Religionen vom Gesichtspunkt ihres Gehaltes und Wesens aus erörtern werden. Hinzufügen müssen wir, daß der Kosmopolitismus der Mysterien­religionen eine gewisse, durch die Tatsache der möglichen Koexi­stenz innerhalb ein und derselben Gesellsmatt begünstigte Spezia­lisierung offenbar nicht ausgeschlossen hat, Bekanntlich scheinen sich die Mithrasmysterien - trotz einiger episodischer gegenteiliger Anzeichen - nur an das männlkbe Element gewandt zu haben. Und wahrscheinlich gab es innerhalb der gleichen Mysterien des persischen Gottes außer den geographisrnen noch andere umwelt­liche Spezialisierungen. Es gibt kein besseres Mittel, letzteren au f die Spur zu kommen, als die genaue Beobachtung der besonderen Verbreitung der Mithrasmysterien in militärischen Kreisen sowie, außer im südöstlichen Mittelmeerbecken, in den weströmischen Pro­vinzen, Das völlige Fehlen des Mithraskultes in der griechischen Welt ist jedenfall s eine sehr interessante Frage. Eine andere Frage, die in diesem Zusammenhang hervorgehoben zu werden verdient, ist, wieweit die Verbreitung der von uns kos­mopolitisch genannten Religionen auf eine ausgesprochen missio­narische Tätigkeit zurückzuführen ist, wie es bei den universalen Religionen der Fall ist. Man hat den Eindruck, daß wir es in den meisten Fällen mit einer mehr spo radi sch-umwelthaftcn Verbrei­tung zu tun haben, die ihre Proselyten innerhalb jener ethnisch­professionellen Gruppen findet, die sich auf dem Teilungswege im

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gesamten Mittelmeerraum unablässig vermehrten. Allerdings be­obachten wir auch im Falle des Christentums ein teilweise ähnliches Phänomen, denn es folgt bei seiner Ausbreitung dem Gang der jüdischen Diaspora. Dennoch hat die apostolische und missionarische Aktivität sdlOn in der Gesdlimtc des frühen Christentums einen persönlichen, stürmismen und zugleich planmäßigen Charakter (man denke an Paulus!), der sie von der vermutlich vorwiegend umwelthaften Verbreitung der Mysterienkulte und der heidnism­orientalischen Religionen im allgemeinen unterscheidet. Was die letzteren betrifft, so muß der Vollständigkeit halber bemerkt wer­den, daß sie in ihrer Verbreitung bisweilen ausdrücklidt. den geo­graphisch-kultischen Bezug bewahrten : man denke an Kulte wie den des Jupiter Damascenus oder des Jupiter Heüopolitanus und auch an die der ägyptischen Götter. Wir möchten dieses Kapitel mit dem Hinweis auf eine religiöse Be­wegung abschließen - es handelt sich hier mehr um eine Bewegung als um eine edtte und eigenständige Religion im vollen Sinn des Wortes - , der die Bezeichnung universal mit größerem Rechte zu gebühren scheint als den Mysterienreligionen. Wir meinen jene große und vielfältige, im wesentlichen jedoch ein­heitliche religiöse Bewegung der Gnosis. Tatsache ist, daß sich die Gnosis kaum als eine edtte und eigenständige Religion auf gleicher Ebene mit den anderen großen gesdlichtlichen Religionen bezeich­nen läßt. Wie wir an einer anderen Stelle zeigen konnten, wird dadurch die Berechtigung, die Gnosis eine Weltreligion zu nennen -Weltreligion im Sinne der großen, in der Welt verbreiteten Reli­gionen - stark eingeschränkt. Auch wenn die Gnosis vom reh­gionsgesdlichtlidten Standpunkt aus eine seht ausgedehnte und weitverzweigte Verbreitung gefunden hatte, so darf man doch nicht vergessen, daß sie sirn in ständiger Berührung mit Religionen be· hauptete, die in ihren Lehren und Institutionen gefestigt dastan­den. Die Gnosis interpretierte die von jenen Religionen entliehenen Lehren und Kultbräurne gemäß einer mehr oder minder gleichblei­benden Geisteshaltung, die man mit einer Lehre identifizieren könnte, die in tlu ce schon in esoterischen Bewegungen wie dem Pythagoräertum und der sogenannten Orphik enthalten war: die Lehre von der Herkunft und Verwandtschaft der Seele, des Geistes, des Pneuma mit dem Göttlichen und mit der Lichtwelt - die Lehre von dem Pneuma, das gegenwärtig in der Materie gefangen ist und seine Wiedervereinigung mit der höheren Lichtwelt auf dem Wege des befreienden Aufstiegs durrn die planetarischen Sphären anstrebt. Aber wie gesagt, ist die Gnosis ihrem Wesen nach nicht so sehr eine Religion als eine Anthroposophie und eine Theosophie, die in sich

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allein nidlt die Möglichkeit enthalten, eine in sich gesdUossene und autonome religiöse Manifestation hervorzubringen. Aus diesem Grunde hat sich die Grundidee der Gnosis in der Praxis allenfalls in Verbindung mit bereits bestehenden Religionen verwirklicht. So stützte skh die Orphik auf die Götter und Mythen des alten ethni­schen Heidentums der Griechen; später erfuhren die Mysterien­kulte an einem gewissen Punkt ihrer Geschichte eine starke ideolo­gische Beeinflussung sowie eine echte und eigentlich gnostische, mysteriosophisme Interpretation, durch die die alte kosmisch-vita­listische Auffassung des jahreszeitlichen Wandels des göttlichen Lebens sidt auflöste in die neue Auffassung vom Ab- und Aufstieg der göttlichen Seele, die aus dieser von Schicksal und Tod beding­ten Welt zu erlösen ist. Dies wurde besonders begünstigt - nicht unbedingt verursacht - durch die Tatsache, daß die Mysterienreli­gionen auf alten lokalen Fruchtbarkeitskulten mit jahreszeitlicher Grundlage beruhten und niemals eine Theologie besessen hatten, wenn man von den Mythen und Legenden absieht, die sich auf die sagenhaften Ursprünge jener Dinge beziehen, die alljährlidt fest­lich begangen und in gewisser Weise neu belebt wurden . So ist es interessant zu beobachten, wie eine Lehre, die den Durchgang der Seele durch die sieben (oder acht) Tore der übereinanderliegenden kosmisdten Sphären - mit dem Ziel ihrer endgültigen Befreiung von dieser den Härten des Sdlicksals unterworfenen Welt - zum Geeenstand hat, sich fast wörtlich in einem uns von Celsus über­lieferten Beleg über eine Mithrasliturgie sowie in einem einer gno­stisch inspirierten Sekte angehörendem Dokument wiederfindet. Und die Beispiele ließen sich häufen. Eine andere Religion, auf die die Gnosis einwirkte, war bekannt­lich das Christentum. Aber hier verliefen die Dinge anders als im Falle der Mysterienreligionen. Während diese, wie gesagt, von der ethnischen Grundlage einer uralten rituellen Tradition ausgingen und weder über heilige Texte noch über eine Hierarchie verfügten, aus denen eine in sich geschlossene selbständige Lehre eigener Prä­gung hätte envachsen können, wurzelte das Christentum in der Person Jesu und in der Kirche seiner Zeugen. Im Christentum gab es von Anfang an Lchraussagen, die nach Ursprung und Wesen grundversdtieden wa.ren von denen, welche den Kern der Gnosis bildeten (vor allem jedoch: später gebildet haben). Die gelegent­liche Verwendung von gnostisch klingenden ·Ausdrücken und Bil­dern darf diese grundlegende Verschiedenheit nicht als zweitrangig erscheinen lassen, und ebensowenig darf es das chronologische und religionsgesdlichtl iche Problem der Entstehung der gnostischen Systeme (vgl. weiter unten, S. 67 ff.) und auch nicht die Tatsache,

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daß die jüngste Forsdl.Ung in diesem Zusammenhang alttestament­lichen Vorlagen eine beträchtliche Bedeutung beimilk Die Gnosis verwendete ihrerseits christliche Schemata und Texte, aber das führte zur Bildung von Systemen und Sekten, welche sich, sobald sie ihre gnostische Inspiration betonten, praktisch in Kon­kurrenz zu den Lehren und der Organisation der Kirme setzten. Dies geht mit größter Deutlichkeit aus der Gesmidtte des Valen­tinianism us und ähnlicher Gemeinden bzw. Sekten hervor. Aber Ri­valitäten und Gegensätze entstanden viel früher, schon in den An­fängen, und Spuren davon begegnen wir bereits in der kanonischen Literatur, beispielsweise bei Paulus, und in der älteren Patristik . Unter anderem wurde der Leitgedanke der Gnosis niemals von der mristlichen Theologie aufgenommen: Das Drama der mit der Gott­heit konsubstantiellen Seele, die aus den höheren Sphären in diese niedrige Welt, die von einem bösen oder doch minderwertigen und unfähigen - oft mit dem Gott des Alten Testamentes gleimgesetzten - und von dem höchsten und unerkennbaren Gott grundversdl ie­denen Demiurgen gesmaffen war, herabgestürzt ist. Diese ldct stand in krassem Gegensatz zu den Grundsätzen des Christentums; und es gelang den tendenziösen Interpretationen des mristlichen Kanons von seiten der Gnostiker (Marcioniten, Valentinianer) nie­mals, an diesem Punkt Verwi rrung zu stiften. Wenn wir dem Thema dieses Kapitels wieder näherrucken, können wir uns jetzt fragen, inwiefern die Gnosis universalen Charakter besaß. Wie gesagt, handelt es skh nicht um eine Einzelbewegung, sondern um eine ganze Anzahl von Bewegungen, die mehr oder minder weitgehend Vorstellungen von der Seele und ihren Bezie­hungen zum Transzendenten gemeinsam haben ; und es handeh sich nicht so sehr um eine Religion im eigentlichen Sinne des Wor­tes, sondern um Strömungen, Systeme und religiöse HaI tungen, die in gewissen wesentlichen Punkten mit einer typischen anthro­posophisch-theosophischen Mentalität dualistischer Prägung zu­sammenhängen. Diese Geisteshaltung tritt schon in den leider frag­mentarismen Belegen zutage, die sich auf die Orphik und das Pythagoräertum beziehen und mindestens bis in das 6. Jahrhundert vor Christus, wenn nicht weiter, zurudcgehen. Eine theo-anthro­posophische Bewegung wie diese war dazu geschaffen, den Men­schen als solchen anzuspremen oder genauer gesagt: solche Men­schen ~mzusprechen, in denen die Gegenwa rt des Pneuma besonders offenkundig war, die also von Natur aus nicht unwiderruflich und vorwiegend der Materie verhaftet waren. Innerhalb dieser mehr anthropologisch-psychologischen als geographischen oder ethnischen Grenzen war die Gnosis eine Bewegung von universaler Aufge­schlossenheit.

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Ein hochinrcrcssantes Problem bilden in diesem Zusammenhang jene Lehren oder Mystiken, die - außerhalb der Welt des klassi­schen Altcrtums - manchmal einige der typischen Ideen der grie­mism-vorderasiatischen Gnosis widerzuspiegeln scheinen. Man denke an einige Aspekte des indischen Denkens in den Upanisma­den und aum im Brahmanismus, z. B. an das Verhältnis zwischen dem Einen und dem Vielen - das philosophisch-mystische Problem des orphisdum Empedokles wie anderer Weisen - und an die mys ti­sme Erkenntnis des göttlimen Urgrundes der Seele. Man denke auch an gewisse, hier anknüpfende Aspekte des chinesischen Taois­mus. Hicr stellt sim eine schwierige Frage: kann die Religionsge­schichte unrer ein und derselben Rubrik - also der der Gnosis -historische Tatsamen untersuchen, die einander geographisch und kulturell so fern liegen? Mich dünkt, hier liegt das eigentliche Pro­blem der Gnosis als Wel treligion. Aber über diese Frage werden wir im nämsten Kapitel sprechen.

- 1II.

Fetischistische, animistisme und animatistische Kulte Monotheistische und polytheistisme Religionen

Heidnisme Religionen

Eine Klassifizierung der Religionen nam Inhalt und Wesen muB leider auf den Großteil einer Terminologie verzichten. die sich gro­ßer Beliebtheit erfreu te und noch erfreut. Damit die Begriffe ", feti­schistische", .. animistische'" und ", animatistische" Religionen noch t:ine konkrete Bedeutung erlangen, müssen sie einer genauen Be­stimmung unterzogen werden; auch die Begriffe "Monotheismus" und "Polytheismus" bedürfen, um auf historischer Ebene angewen­det zu werden, zunächst einer bestimmenden Begriffserklärung. Ein Begriff hingegen, der, wie wir sehen werden. wohl eine gröBere Beachtung vom Standpunkt der Gesdtichtsforschung aus verdient -es versteht sich. daß auch er den notwendigen Analysen unterwor­fen ist - , ist der Begriff "heidnische Religionen". Eine weitere Ge­genüberstellung, mit der wir uns noch beschäftigen werden und die wohl zu den fruchtbarsten gehört, ist die von theistisch-kreationi­stischen und monistisch-emanationistischen (im weitesten Sinne die­ses Wortes) Religionen und Systeme. Hier muß den ideologisch­reljgiösen Religionen oder Systemen dualistischer Prägung eine Sonderstellung eingeräumt werden. Von den oben erwähnten Begriffen ist der Begriff "fetischistische Religion" sicherlich am meisten von der Kritik zerpflückt worden,

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trotzdem erfreut er sim nom immer großer Beliebtheit. Objektiv gesehen gibt es keine Religionen, d. h. keine religiöse Welten, die sim in der Verehrung jener Gegenstände erschöpfen, die von den ersten portugiesischen Reisenden feitifos = Zaubermittel genannt wurden. Dergleimen Praktiken - vor allem in Guinea, Polynesien und bei einigen nordamerikanischen Stämmen noch heute lebendig -lassen sich nicht allein durch den Hinweis auf die magischen Prin­zipien von Sympathie und Anspre<hbarkeit erklären. Sie setzen aum bestimmte Glaubensvorstellungen voraus, seien sie animisrischeI Art (mit Leben und Vernunft begabte Wesen, die zwar unsichtbar sind, aber experimentell im Fetisch festgestellt werden können) oder seien sie animatistischer Art (mit persönlicher Macht ausgestattete, dem Fetisch innewohnende Wesen oder Geister). Darüber hinaus haben neuere Forschungen bei den sogenannten fetischistismen Völ­kern das Vorhandensein eines Glaubens an ausgebildeten Gotthei­ten vom polytheistismen Typ oder entsprechende Kulte nachgewie­sen. Ebenso ist in diesen religiösen Welten der Glaube an ein hom· stes himmlisches Wesen festzustellen, das manchmal einer irdi· senen Gottheit gegenübergestellt ist und von dem angenommen wird, daß es mehr oder minder in die menschlichen Angelegenhei teIl eingreife und selbst die Tä tigkeit der Fetische bedinge. Dieses Weser spielt jedoch eine wichtige Rolle, da man es als 5<höpfer, wenn nichl der Welt, so dorn. wenigstens des Menschen betrachtet. Wie man sicht, ist das Bild zu komplex, als daß man von fetischisti· schen Religionen spredten könnte. Ähnlime Erwägungen gelten fül die Begriffe der animistischen und animatistismen Religion; dem Religionen von ausschließlich animistisdtem oder animatistischerr Charakter gibt es nimt. Dennoch gibt es einen Grund, diesen Begriffen eine gewisse, wem auch sehr begrenzte historisdle Tragweite zuzuerkennen. Y'lenn mar nämlich die versdticdenen religiösen Welten, die Gegenstand de: Gesdtichtsforsdtung sind, nicht vom Standpunkt der reinen Analy, sis des ganzen jeweiligen Vorstellungskreises (der an sich wesent lich, ja von primärer Bedeutung ist) aus betrachtet, sondern von Standpunkt des psyenologischen und existentialen Gewichts eine! jeden in ihnen enthaltenen Elementes, dann muß zugegeben werden daß in gewissen Religionen, zum Beispiel in denen der Neger VOi

Guinea oder gewisser Melanesier, die Angelegenheiten und reli giösen Verpflichtungen des Alltags souverän durch die Beziehun! zu den Geistern und den Machtträgem geregelt werden. Mit ande ren Worten, was den Eingeborenen jener Gegenden in seinem täg lidten Leben zumeist verpflichtet, ist nicht so sehr die Verbindunj zu einem Höchsten, aber femen Wesen als der Kult einer gan: anderen ethisch-religiösen Inspiration, der sich an jene Unmeng'

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.. on Geistern und Mächten wendet, in deren Hand Erfolg oder Miß­~rfolg, Leben oder Tod liegen. Der Begriff "Gewicht dieses oder jenes Elementes" innerhalb eines religiösen Vorstellungskreises hat einen beachtlichen Wert auf dem Gebiet der religionsgeschichtlichen Studien, unter der Bedingung natürlich, daß man nicht übertreibt und der Gefahr subjektiver Deutungen oder Auswahl nach Möglichkeit aus dem Wege geht. Das gleiche Gewichtskriterium ist in dem oben erwähnten psycholo­gisch-existentialen Sinn eine wertvolle Hilfe auch für eine tiefgrei­fende objektive Analyse religiöser Welten oder höherer Religiosi­tät. Die monotheistische Religion Israels läßt sich zutreffender inter­pretieren, wenn man nicht nur ihre Idee in Betracht zieht, sondern auch das Gefühlserlebnis eines Bundes, beinahe einer Ehe zwischen Gott und seinem Volke, das, wenn es ihm untreu wird, mit den Idolen Unzucht treibt. Idee und Gefühlserlebnis schließen einander ia nicht aus, sondern durchdringen sim wechselseitig. Im Falle der Gnosis muß man sich neben dem ideologischen Aspekt des Dramas der Seele - das, wie wir sagten, seinen Mittelpunkt darstellt -stets die existentielle Angst des Einzelnen vergegenwärtigen, der eine letzte Befreiung aus den Fesseln des Schicksals, der Zeit, des Todes und der Welt ersehnt. (Nebenbei sei bemerkt, daß unser Hinweis auf den psychologisch-existentialen Aspekt des Begriffs "Gewicht" - ein Begriff, der auch von anderen Blickpunkten aus betramtet werden kann - nichts mit einer irrarionalistismen Stel­lungnahme zu tun hat, sondern, wie wir noch erläutern werden, die Notwendigkeit betont, eine umfassende und daher ebenso ratio­nale wie gefühlsmäßige Analyse der verschiedenen religiösen Wei­ten vorzunehmen .) t:in sehr bekanntes OrdnungssdLema teilt die Religionen in mono­theistische und polytheistische ein. Nur mit einigen Vorbehalten läßt sich sagen, daß dieses Schema erschöpfend sei, d. h. daß es die Möglichkeit bietet, sämtliche religiöse Welten, mit denen uns die Geschichte in Berührung bringt, einzuordnen. Vor allem scheinen sich diesem Schema jene Religionen zu entziehen, bei denen eine starke animistische Tendenz mit dem Glauben an ein höchstes Schöpferwesen verbunden ist. Abgesehen von der Tatsache, daß einige unter den Geistern mitunter fast den Charakter echter und eigenständiger Gottheiten vom polytheistischen Typ annehmen, trifft man in diesen Religionen - beispielsweise in den oben er­wähnten Religionen der Neger Guineas - häufig auf ein überge­wicht der Geister und Machtträger im Bereich des täglichen Lebens sowie auf eine gewisse GesdLlossenheit dieser Welt gegenüber der Sphäre des Höchsten Wesens, obwohl, wie gesagt, die Macht der Geister und der Fetische sowie die Tätigkeit der betreffenden nga nga-

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Priester, durm den Willen des Hömsten Wesens bedingt ist. Mar hat deshalb eher den Eindruck eines historism bedingten Nebenein· ander von heterogenen Elementen als eines echten Pantheons poly. theistismer Natur oder einer gewissermaßen monarmismen une streng einheitlimen Auffassung von der jenseitigen Welt, wie si( den monotheistismen Religionen eigen ist. Das erste, was es zu beamten gilt, wenn man auf religionsgesmicht. licher Ebene von monotheistischen und polytheistischen Religioner spricht, ist, daß diesen Begriffen nicht immer ein systematischel Wert zuerkannt werden darf. Dadurch soll der ständige Bezug au: die historismen Tatsachen gewahrt bleiben und vermieden werden daß aus der etwaigen Anwendung vorgefaßter Schemata Miß­verständnisse entstehen. Im Grunde hat hier mehr als anderswo dil Terminologie weniger Wert als eine deskriptive und diskursivi Wertung der verschiedenen religiösen Welten, die es zu untersucher gilt. Darüber hinaus muß den in eben diesen Fragen verwendeter Begriffen stets eine genaue Definition mitgegeben werden. Bekanntlich sind die historischen und rnronologisrnen Beziehunger zwischen monotheistischen und polytheistischen Religionen Gegen· stand langer Auseinandersetzungen gewesen und gegensätzlichi Stellungnahmen sind erfolgt. Wir besduänken uns ruer selbstver· ständlich auf den religionsgeschichtlichen Aspekt des Problems Andrew Lang und die kulturhistorisme Schule mit ihrem Haupt· vertreter Wilhelm Schmidt setzten der anthropologischen Ent· widdungstheorie das Vorhandensein, ja, bei den primitiven Kul· turen die Vorherrschaft des Glaubens an ein Höheres Wesen ent· gegen, das häufig als Urheber der Welt und Hüter der Moral galt Sie gelangten so zu der Behauptung, die Religion der Primitiven se monotheistisch. Andere Gelehrte versuchten die Höchsten Wesen de: Primitiven anders zu deuten oder bestritten gar die historische Be· rechtigung des Begriffes NMonotheismus" in seiner Anwendung au primitive Völker. In letztem Sinn hat sich vor allem Raffaele Pettazzoni geäußert Diesem Gelehrten zufolge enthält die Behauptung, die Primhiver besäßen einen monotheistischen Glauben, einen geschimtsperspek tivisdten Irrtum und läuft auf einen Apriorismus hinaus. In Wirk lichkeit besteht der Monotheismus - nach. Pettazzoni - aus einen zusammenhängenden Komplex von Ansdtauungen, die um Gott seine Einzigkeit und seine Merkmale kreisen; diesem Komplex be· gegnet man in den großen Religionen, dem Judentum, dem Christen· turn und dem Islam, welch.e Reaktionsbewegungen auf einen voran· gegangenen Polytheismus sind oder sie fortsetzen. Pettazzoni zu· folge ist es sinnlos und histori sch nicht zu rech.tfertigen, das Wor und den Begriff NMonotheismusN auf primitive Kul turen anzu·

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wenden, die sich in einer anderen geschichtlichen Situation befinden : :ler Monotheismus ist in bezug auf den Polytheismus seiner Funk­tion nach revolutionär. Uns will scheinen, daß einige, vor allem formale und terminologische Unterscheidungen hier nicht ohne Nutzen sind. Zweifellos wäre es tmgerechtfertigt, einen zusammenhängenden und eindeutigen Kom­plex von Glaubensvorstellungen und göttlichen Attributen Kulturen ~uzuschreiben, die sich deutlich von jenen unterscheiden, bei denen ein derartiger Komplex objektiv feststellbar ist - also von Mono­theismus zu sprechen und dabei mehr oder weniger bewußt un­.eren Monotheismus zu meinen. Ebenso wäre es historisch fa lsch, dieses oder jenes Höchste Wesen der Primitiven mit Merkmalen und Attributen zu versehen, die möglicherweise aus den Quellen nicht belegt sind, für uns aber untrennbar mit anderen verbunden sind, deren Vorhandensein - im Gegenteil - erwiesen ist: kurzum, in bezug auf die Primitiven von "Gott" zu sprechen und damit unseren Begriff von Ihm zu meinen. Nachdem dies klargestellt ist, muß jedoch bemerkt werden, daß diese notwendigen Vorsichtsmaßregeln uns nicht da.ran hindern kÖnnen, das tatsächliche und verbreitete Vorhandensein der Ver­ehrung des durch gewisse einigermaßen konstante Merkmale ge­kennzeichneten Höchsten Wesens bei Völkerschaften festzustellen, deren Primitivität außer aus den Schlußfolgerungen einer noch zu überprüfenden Lehre von den sogenannten Kulturkreisen auch aus der unbestreitbaren Tatsache resultiert, daß ihre Kultur älter ist als diejenige anderer Völker, die mit ihnen in derselben Umwelt und auf demselben Kontinent leben. (Man denke an die afrikanischen und asiatischen Pygmäen im Vergleich zu den umliegenden Völker­schaften, an die Einwohner Zentralkaliforniens im Vergleich zu den Indianern der Nordwest- oder Nordostküste oder des Südens sowie an einige südostaustralische Völkerschaften im Vergleich zu den kulturell jüngeren in Mittel- und Nordaustralien.) Bei diesen - wie im allgemeinen auch bei den anderen - Völker­schaften hat ein derartiges Höchstes Wesen eine Stellung ione, die verglichen mit der ande rer Gestalten, die Gegenstand des Glaubens oder der Verehrung sind, einzigartig ist : einzigartig sowohl vom nierarchisrnen wie vom phänomenologischen Standpunkt aus. Noch mehr : die Aktivität der untergeordneten Gestalten ist oft - bei den oben erwähnten Alt-Völkern wie auch bei cntwickelteren Kulturen, z. B. Nilo tenstämmen, Altaiern usw. - in den Machtbereich des Höchsten Wesens so einbezogen, daß dieses in Wirklichkeit das reli­giöse Leben jener Völker in sim vereinigt und cs damit von dcm Gesmchen außerhalb dieses Kreises unterscheidet.

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Kann man unter diesen Umständen von Monotheismus sprechen? B ist verständli<h , daß die Verwendung dieser Bezeidmung manchen als fehl am Platz ersmeinen mag, so, als wollte man mit ihr der Primitiven eine systematische, hochentwickelte forma mentis zu· schreiben, die sie nicht haben können : eine forma menris wie jenl des Propheten, der im Gegensatz zum ethnischen Polytheismus seine: Volksgenossen im Augenblick einer entsmeidenden Religionskrist verkündet : "Es gibt keinen anderen Gott als Allah" i also sind dit "anderen'" keine Götter, und die anderen "Götter" sind nichts. Wir möchten diesen "prophetischen" Monotheismus einen gewoll. ten, bewußten Monotheismus nennen: sein monos hat einen über legten, polemischen, affirmativen und zugleich das Gegenteil neo gierenden Charakter. Können wir uns einen anderen Monotheismus als diesen vorstellen Einen objektiv echten Monotheismus, aber ohne polemisch-revolu tionären Beigeschmack; einen Monotheismus, der sich als solche einzig und allein durch die Tatsache qualifiziert, daß die Ver ehrung einem Höchsten Wesen gilt, das in sich mehr oder minde deutlich das gesamte religiös-existentiale Weltbild einer primitivel Gemeinschaft vereint? Ich. glaube, eine Hilfe könnte uns zuteil werden, wenn wir di Geschichte eines anderen Begriffes ins Auge fassen, der ebenfall fest umrissen ist, aber gleichwohl Gegenstand einer UnterscheidunI und eines historism wie logism differenzierten Gebrauchs seil konnte: ich meine den Begriff "Atheismus". Als von den Ethno logen nom das historisch feststellbare Vorhandensein von primi tiven Völkerschaften ohne Religion angenommen wurde, sprad man von einem primitiven Atheismus im Unterschied zum modeme! Atheismus, so als ob die unreflekti erte Haltung eines Menschen, de "nom nicht" dazu gelangt war, eine Religion zu ersinnen, in Gegen satz stände zu der historisch und kulturell bedingten Haltung eine Menschen, der die Religion ablehnt : kurz gesagt, "einfacher" Atheis mus gegenüber negierendem Atheismus. Ich glaube, daß eine ähnliche Unterscheidung auch auf unseren Fa] anwendbar ist, daß man also gewisse, von Fall zu Fall festzustel lende, religiöse Manifestationen der Primitiven als monotheistisc bezeidmen kann. Manifestationen, in denen, wie schon gesagt, da gesamte religiöse Weltbild auf eine bestimmte Gottheit - ei : Höchstes Wesen - bezogen ist: eine Gottheit, die mit ganz be stimmten Merkmalen ausgestattet ist (zumindest relative Schöpfer tätigkeit, Beziehung zur Ethik, direkte oder indirekte Weltregierun, usw.). In bezug auf den oben als prophetism bezeichneten, in gewisser Sinne polemischen und antipolytheistischen Monotheismus mu

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noch gesagt werden, daß er von seinen Propheten niemals als etwas völlig und absolut Neues verkündet wurde, daß die Propheten ständig bemüht waren, ihren GOtt als denjenigen hinzustellen, der von allem Anfang an auf dieser Erde verehrt wurde, daß sie sich also niemals als die Entdecker oder ersten Offenbarer des Glaubens an den wahren und e inzigen Gott hinstellten . So beruft sich Mohammed auf die abrahamitische Tradition, auf die Hanife, die Verehrer des einzigen Gottes, welche die Kontinuität der mono­theistischen Gottesverehrung in Arabien vor der Ankunft des Pro­pheten aufrechterhalten hätten. Natürlich muß auf religionsgeschichtlidtem Gebiet die Mögl idtkeit in Betracht gezogen werden, daß Phänomene zurückprojiziert worden sind, d. h., daß der eine oder andere Prophet den modernen Inhalt seiner Mission einer älteren Zeitstufe zugeschrieben hat. Ganz abgesehen von den objektiven Ergebnissen der Geschichtsforschung, ist hierzu jedoch zu sagen, daß es vom hi storischen und phäno­menologischen Standpunkt aus gerade wichtig ist, daß der Prophet sidt nicht als Entdecker oder erster Offenbarer einer Glaubenslehre - in unserem Falle der monotheistismen Lehre - hinstellt. Im Falle Nfohammeds ist anzunehmen - und das wird teilweise durch ver­schiedene Aspekte der vorislamischen Dichtung bestätigt - , daß eine gewisse monotheistische Tradition außer in der Gedankenwelt des Propheten irgend wie auch im Gedankengut seines Volkes ent­ha lten war. Wir möchten kurz noch eine Tatsache erwähnen, auf die wir schon hingewiesen haben : Sogar im Falle der ausgesprochen monotheisti­schen Verkündigung Zarathustras, so wi e sie aus den Gäthäs des Awesta hervorgeht, ist nicht bewiesen, daß die antidaevisme Polemik das Ergebnis einer antipolytheistismen Behauptung war ; es han­delt sich vielmehr, überall und vor allem, um eine Empörung gegen die blutigen Kulte irgendwelcher übermenschlicher Wesen, der daivas. Eben diesem Zarathustra fehlt auch der Bezug auf eine An­fangssi ruation nich t, auf den Anfang, an dem die Gesetze Ahura Mazdas begründet wurden, jene Gesetze, die der Prophet jetzt ins Gedächmis zurückruft. Was das Alte Testament betrifft, so weiß man, wie die Wieder­holungen der monotheistischen Verkündigung sich auf eine Tra­dition berufen haben, die es als höchstes Gut des Volkes Israel zu bewah ren und zu verteidigen galt. Der Vollständigkeit halber muß noch etwas über das Wort und den Begriff ", Hö<hstes Wesen'" gesagt werden. Man muß sich vergegen­wärtigen, daß diese Bezeichnung in ihrer Kürze konventionell ist, auch wenn sie der Idee, die sie ausdrücken soll, gut entspricht. Sie dient in erster Linie dazu, eine Gruppe oder eine Kategorie von

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übermensmlichen Wesen, die als Gegenstand des Glaubens und des Kultes sowie durm bestimmte Merkmale gekennzeichnet sind und ein gewisses Gesamtbild aufweisen, auf konventionelle Weise zu identifizieren und sie dann, nach erfolgter Analyse, typologisch und historism zu benennen. Es handelt sim also - um eine erste und äußerliche Kennzeichnung zu geben - um jenen Typ von göttlichen Wesen, auf die Andrew Lang und die kulturhistorische Schule die Aufmerksamkeit gelenkt haben. Diesen typologischen Bezug muß man sim immer vergegenwärtigen, und man darf nicht bei der wörtlimen Bedeutung der Adjekriva "höchst" und "hoch" stehen­bleiben (im beziehe mich hier auf den deutschen Ausdruck "Hoch­gott", der typologism weniger bestimmt ist als derjenige des "Höchsten Wesens"). Es könnte nämlich zu schweren Irrtümern Anlaß geben, wollte man untersmiedslos in eine einzige Kategorie alle jene göttlichen Wesen zusammenfassen, die da und dort in der Gesmimte der Religionen auf ihre Weise "höchste" oder "hohe" Wesen sind, deren religiöser Gehalt jedoch grundverschieden ist von dem der Höchsten Wesen, von denen hier die Rede ist. Zum Beispiel unterscheiden sich die Höchsten Wesen, so wie sie hier verstanden werden, wie schon vom Typ der Mutter Erde so auch von jenen kosmischen Urwesen, also von jenen Prinzipien oder jenen un­persönlichen oder halbpersönlichen Wesen, die für gewisse Reli­gionssysteme wie Brahmanismus oder Taoismus - das Brahman, Puru~, das Tao usw.-charakteristisch sind; davon wird im nächsten Kapitel ausführlimer die Rede sein. Auch muß man sich stets die keineswegs abwegige MögUchkeit vor Augen halten, daß manche dieser Gestalten, denen nidn selten Züge lebendiger Persönlichkeit zugeschrieben werden, irgendeinen von den Aspekten und etwas von der Lebendigkeit des Glaubens an ein personhaftes Höchstes Wesen geerbt haben können, besonders, wenn es um das charakte­ristische Attribut ihrer Universalität geht. Hinsichtlich der Attribute der Gottheiten, insbesondere des Höchsten Wesens, sind Fragen aufgeworfen worden, die denen, die sich auf das Problem des Mono theismus der Primitiven beziehen, verwandt sind. Von seiten der kulturhistorischen Schule wurde eine über­einstimmung verschiedener Attribute festgestellt, die sich im all­gemeinen bei den Höchsten Wesen der Primitiven fmden und ihrer, wenn auch nur bedingten Schöpferkraft sowie ihrer Beziehung zu den si ttlichen und sozialen Ordnungen - ihrer Fähigkeit, alles zu sehen, ihrer Güte und [AIJ-]Macht - Ausd ruck verleihen. Andere Forscher haben es vorgezogen, verschiedene Gruppen von göttlichen Attributen zu bilden und sie gesondert zu studieren, so 31s sei ihr gemeinsames Vorhandensein in ein und derselben Gestalt oder ein und derselben Gruppe von Gestalten rein zufällig und als müsse ihre

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Beschaffenheit und Herkunft getrennt beurteilt und erklärt werden. 1m letzten Fall hat das Unterfangen zumindest anfangs mehr phäno­menologischen als historischen Charakter, denn es beschäftigt sich mit gewissen Attributen, die nidlt nur Höchsten Wesen, sondern auch Gottheiten gemeinsam sind oder gemeinsam scheinen, die verschiedenartigen religiösen Welten in den polytheistischen, höhe­ren monotheistischen und primitiven Religionen angehören. An die Stelle einer sozusagen "horizontalen" Klassifizierung von Gott­heiten, die in religiöser und kulturhistorismer Hinsicht homogen sind, tritt so gewissermaßen eine "vertikale" Klassifizierung, welme durch die versmiedenen Epodlen der religiösen Geschknte der Menschheit hindurch diejenigen Gottheiten zusammenfaßt, die ein gewisses, ihr Wesen irgendwie kennzeichnendes Attribut gemein­sam haben. Diese vertikale Vergleichsmethode ist unserer Meinung nam in­sofern von Nutzen, als sie Gestalten und Attribute zusammenfaßt, die trotz ihrer Zugehörigkeit zu versmiedenen Kulturkreisen oder kulturgesmimtlichen Stufen doch etwas gemeinsam haben können, und sie ist von Nutzen, soweit es ihr gelingt, im Bereich dieser oder j~ner religiösen Idee gewisse Komponenten oder Konstanten zu er­kennen. Insbesondere vermag sie dazu beizutragen, jene Bruchstück­haftigkeit zu überwinden, welc:he mitunter die polytheistische Vor­stellungswelt marakterisiert und ihre Gottheiten hinsimtl ich der Gottheiten der höheren monotheistischen Systeme oder der Höchsten Wesen der Primitiven unassimilierbar mamt. Und doch müßten in gewissen Fällen Vorstellungen wie jene von der Sonne als Auge oder als Sohn des höc:hsten himmlischen Wesens - oder des Obersten im himmlismen Pantheon - einen inneren Zusammenhang zwismen höheren und niedrigeren Gottheiten der polytheistischen Systeme verraten ; jedoch nicht unbedingt in dem Sinne, daß letztere immer durm eine Spaltung der ersteren entstanden sein müssen. Dagegen wil1 mir scheinen, daß auf einer anderen Ebene der ver­tihle, mit Hilfe der Attribute geführte Vergleich den horizontalen nimt zu ersetzen vermag, und zwar auf der Ebene der ebenfalls not­wendigen Gesamtbewertung der betreffenden Gottheiten, mit der Gesamtheit der ihnen berechtigterweise zukommenden Attribute und mit ihrer allgemeinen und einheitlimen Physiognomie, die den ent­scheidenden Faktor in der Endbewertungdarstellen muß. Mit anderen Worten, es müßte vermieden werden, eine Gottheit auf ein einziges ihrer Attribute zu reduzieren, auch wenn es besonders Sinnfällig ist, und dieses Attribut auf der ausschließlimen Grundlage eines ver­tikalen oder typologischen Vergleichs mit anderen Gestalten zu be­urteilen, und nicht aum - und hauptsämlich - auf der Grundlage des Gesamtcharakters der betreffenden Gottheit. Um so mehr, wenn

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die ihr eigenen Attribute, nachdem sie einzeln dokumentarisch fest­gestellt wurden, untereinander eine tatsächliche übereinstimmung auf der Basis der eigentümlichen Psychologie des diese Gotthei t ver­ehrenden Volkes aufweisen. Und dies ist zumindest bei vielen der im Gespräch stehenden Höchsten Wesen tatsächlich der Fall . Es ist übrigens nicht gesagt, daß die Ergebnisse der beiden Ver­gleichsmethoden absolut gegensätzlich sein müssen : so ist zum Beispiel wahrscheinlich, daß die Vorstellungen von gewissen Höchsten Wesen auf der Ebene der Phantasie nicht weniger als auf der der Reflexion durch die Erfahrung der Unermeßlichkeit und Unendlichkeit des Himmels gesteigert wurden, und dies vor allem bei jenen Kulturen, in denen das Höchste Wesen immcrstärkerhimm­!ische Merkmale annahm, bis es - in einigen Fällen - schließlich mit dem Himmel verschmolz, wie irgendwann einmal bei verschie­denen indoeuropäjscnen Völkern, bei den Altaiern und bei den Chinesen. Was jedoch den Ursprung oder jedenfalls die erste Mani­festation gewisser Kennzeimen der Höchsten Wesen, wie aie Schöpferkraft und den Zusammenhang mi t ethischen und sozialen Ordnungen sowie mit der Idee von Lohn und Strafe, betrifft, so läßt sich durch Hinweis auf den naturalistischen Charakter der Höchsten Wesen gar nichts erklären; dazu sind diese Dinge viel zu eng mit den Bedürfnissen und Erfahrungen des mensdllichen Herzens und Geistes. aber aum mit den wirtsmaftlichen und sozialen Ver­hältnissen eines Volkes verbunden. Wir haben weiter oben auf den Begriff "heidnisdle Religionen" hingewiesen und gesagt, daß dieser Begriff eine ausgedehnte reli­gionsgesdlichtliche Verwertung erfahren kann. Bekanntlich entstand .der Ausdruck paganlls (= heidnisch) im Gegensatz zu "gläubig", .. christ1ich" und in Konkurrenz mit dem biblischen ethne = gentes zu einer Zeit, in der die neue Religion nunmehr die Oberhand hatte und die alten Kulte sich hauptsächlich auf dem Lande in der bäuer­lich-konservativen Weiterführung der traditionel1en Kulthandlun­gen, also im Bereich der pagi, behaupteten (diese traditionel1e Erklärung von pagßllllS ist nicht unbes tritten). Pagalli = Heiden wa.ren dann auch solche, die in der völlig anderen, vom Neuplato­nismus und religiösen Synkretismus der Spätantike geprägten Umwelt sich weiter zu den Leh ren dieser Bewegungen bekannten und formell den alten städtischen und häuslichen Kulten die Treue hielten. Durch Analogie nannte man später in einer völlig christiani­sierten Umwelt uheidnisch" jene fremden Religionen, die außerhalb einer sich auf die abrahamitisch-mosaische Offenbarung berufenden Tradition standen. Vom christlichen Standpunkt aus sind also Heiden weder die Juden, noch die sich auf die ab rahamitische Tradition berufenden Mohammedaner.

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Etwas Ähnliches gilt für die Mohammedaner mit dem schon er­wähnten Begriff "Buchreligionen" ,der eine Unterscheidung zwischen Christen und Juden einerseits und Anhängern heidnischer Reli­gionen andererseits erlaubte. Auch der Begriff "Buchreligionen" ist von geschichtlichen Umständen beeinflußt worden. Diese Bezeich­nung, die u. a. auf die praktische Seite der Religionsausübung abzielte (Zulassung oder nicht zur Zahlung der Abgaben), wurde manchmal durch Analogie oder aus rein praktischen Gründen auf Religionen, die ebenfalls heilige Bücher besaßen, ausgedehnt, wie etwa den Mazdaismus oder teilweise auch den Brahmanismus; wahrscheinlich trug der Umstand dazu bei, daß es sich hier um Hochreligionen handelt, vor allem aber, zumindest beim Mazdaismus, um eine streng theisti sche und monotheistische Einstellung. Ein anderer interessanter Fall in diesem Zusammenhang ist der des Manichäismus, dessen Stifter sich, wie später der Stifter des Islam, als das "Siegel der Propheten" hinstellte: auch er fügte sich einer Linie ein, die er jedoch nicht mit der abrahamitischen identifizierte. Mani nahm für sich in Anspruch, die Offenbarungen der großen Religionsstifter Jesus, Zarathustra und Buddha erneuern und er­ganzen zu müssen; dies ist verständlich, wenn man sich seine aus­gesprochen gnostische Erziehung vergegenwärtigt. Audt Mani bezog sich auf den Offenbarungs begriff: aber in einem vom jüdisch­christlichen und islamischen grundverschiedenen Sinn. Seine Offen­barung gründete sich nicht so sehr auf die Annahme eines Glaubens, auf die Autorität eines sich durch seinen Propheten offenbarenden Gottes, als auf die Gnosis, auf die Anerkennung der anthroposophi­sdlen und theosophismen Prinzipien, die sich durm das mythisdle Symbol der aus der göttlidlen Substanz gefallenen und zuletzt wieder in sie zurückgekehrten Seele ausdrücken. Auf der Linie dieser verschiedenen Offenbarungsbegriffe können wir eine religionsgeschimtliche Verwertung des Begriffs der heid­nismen Religion in Gegenüberstellung zu dem der offenbarten Religion wagen. Ein Heide hört auf zu sein, wer einer Welt, deren Religion rein ethnisch war, "entzogen" wird. Eine solche Definition wäre jedom vom religionsgesmichtlimen Standpunkt aus noch nimt ausreimend : denn es gibt Religionen, wie die brahmanisme, die sim als offenbart bezeichnen und dennom eine niemals verleugnete, wenn auch umgedeutete und spiritualisierte ethnische Grundlage haben. Daher ziehen wir noch einen anderen Faktor heran, der vom religionsgeschichdichen Standpunkt aus wesentlich dazu beiträgt, eine Religion im Unterschied zum Judentum, Christentum und Islam als heidnisch zu kennzeichnen: dieser Faktor ist der Kult, der den Elementar- und Naturwesen geweiht ist, der Kult des Lichtes, der Erde, des Feuers usw. Diese Elemente gelten hier als heilig in

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sich, sie besitzen eine ihnen innewohnende Heiligkeit und Göttlich­keit, die zu einer unmittelbaren Anbetung verpflichtet. Unter diesem Gesichtswinkel zeigt die vedisch-brahmanische Religion sich als ein ,.heidnisches" System. Etwas Ähnliches gilt für den Mazdaismus, der unter allen nicht-biblischen bzw. nicht in der biblischen Umwelt entstandenen Religionen diejenige ist, die sich am weitesten von der (religionsgesch.ichtlim gefaßten) Bezeichnung "heidnisch" zu ent­fernen scheint. Und dodt zeigt die Lektüre eines beliebigen Ab­schnittes des Alten Testaments und eines Abschnittes des jüngeren Awesta in diesem Punkt einen wesentlichen Unterschied im Ton wie audl im Inhalt, audl wenn im jüngeren Awesta und vielleidlt mehr nodt in anderen spät-mazdaisrismen Sdtriften Texte von hohem spiritualistisdl-religiösem Inhalt zu finden sind. Sogar die Githas, die wie erwähnt, innerhalb des Awesta die Verkündigung Zara­thustras am unmittelbarsten widerspiegeln, sprengen nicht den gemeinsamen Rahmen der iranischen religiösen Texte mit ihrem elementaren Feuerkult. -Absdlließend läßt sim sagen: der Kult der Elementar- oder Natur­wesen kann, auch wenn er vergeistigt ist, auf gesmichtlidler Ebene mit dem konventionellen Namen .. heidnisch" bezeimnet werden -eine konventionelle Bezeichnung, die andererseits dazu beiträgt, mit ausreidtender Deutlichkeit einen Typ von Religiosität zu definieren, der im Gegensatz steht zu jenen, dem man im Judentum, Christen­tum und Islam begegnet. Es gab nämlich Religionen oder Religions­systeme, die heidnisdl waren und sich zugleich auf Offenbarungen beriefen (z. B. den Brahmanismus), und es gab solche, die heidnisch und zugleim gestiftet waren (z. B. den Mazdaismus, insbesondere jenen, der Zarathustra femsteht) , aber es hat keine heidnischen Religionssysteme gegeben, weldle die innere - also die eingeborene, aus dem Innern kommende - Heiligkeit ganz und ungesmmälert der persönlichen Gottheit vorbehalten und sie infolgedessen der Natur und den Elementen versagt hätten. Diese Erwägungen erlauben uns, die vergleichende Untersuchung der Mysterienreligionen des klassischen Altertums in ihrer Kon­frontation mit dem Christentum, die wir oben begonnen haben, zwar nicht zu vervollständigen, aber dodt zu erweitern. Es zeidlnet sidt jetzt ziemlich k.1ar ein weiterer Untersdlied zwischen den Mysterien und dem Christentum ab - ein Unterschied, der mehr in die Tiefe geht als jener, auf den wir an anderer Stelle hin­gewiesen haben : die Mysterienreligionen sind entweder rein ethnisch oder zumindest ihrem Ursprung nach ethnisch, aber nicht gestiftet. Zu diesem Merkmal gesellt sim noch die - zweifellos damit zusammenhängende - Tatsadte, daß die Mysterienreligionen heidnische Religionen sind: der Bezug auf die Natur und auf die

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Elemente - mag er auch transzendiert und spiritualisiert sein - ist beständig in ihnen vorhanden. Das gilt nicht nur für die klein­asiatischen und syrischen, sondern auch für die Mithrasmysterien; man denke an das Entstehen der Ähren aus dem geopferten Stier auf den üblichen Mithrasbasreliefs.

IV.

Theistische und monistische Systeme Dualistisme Systeme

Eine letzte Unterteilung, deren Untersuchung sich lohnt, ist die zwischen theistisch-kreationistischcn und monistisch-emanationisti­schen Systemen. Diese Unterteilung ist besonders für die Hoch­religionen von Interesse, obwohl sie mehr oder minder ausgeprägt auch in den Religionen primitiver Völker zu finden ist. Von besonderem Wert sind auf diesem Gebiet die Kosmogonien, also die verschiedenen Darstellungen vom Ursprung und Werden des Kosmos. Ebenso wichtig ist die Untersuchung der Gottheiten, insbesondere der Höchsten Wesen sowie der großen Götter, die Bestandteile dieser Systeme sind. Die erste wesentliche Unterscheidung betrifft Systeme, die von der Idee eines persönlichen 5<höpfcrgottes beherrscht werden, und solche, die auf der Vorstellung eines unpersönlichen oder halb­persönlichen Wesens beruhen, einer arche oder eines Urprinzips, das irrl Rahmen einer monistisch. und pantheistisch orientierten ema­nationistismen Konzeption als Ursprung des kosmischen Seins und Werdens gilt. Eine Verwechslung zwischen zwei, diesen beiden Systemen angehörenden göttlichen Wesen wäre in höchstem Grade gefährlich. Allerdings können einige Urprinzipien, besonders wenn sie weitgehend personifiziert sind, manchmal die mehr oQer minder modifizierte Gestalt eines a1ten Höchsten Wesens übernehmen oder, genauer gesagt, einige seiner personalistischen Aspekte, die in einen "königl ichen" Komplex eingefügt sind, der für sich allein mit der Vorstellung vom kosmischen Urprinzip nicht unbedingt überein­stimmen würde. Man denke an die Urprinzipien, an jene Wesen, die in den aus­gedehnten Spekulationen der Brahmanen und der Upanischaden als "erstes Prinzip" bezeichnet werden; man denke an eine - nich.t ab­strakte, aber doch. substantiell unpersönlich.e - Wesenheit wie das Brahm.::m, zwar auch an jenen Brahma, der einen größeren Persön­lichkeitsgehalt hat, aber doch stets in der Zahl der Urwesen bleibt und niemals auf ein und dieselbe Stufe mit einer so kraftvoll persön-

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lichen und personalistischen Gottheit wie Jahwe gestellt werden könnte. Dem entspricht der Unterschied zwischen der schöpferischen Tätigkeit Jahwes, die keinerlei Minderungen in seine Persönlichkeit und Unabhängigkeit einschließt, und der Beziehung zwischen dem Brahman, bzw. Brahma und dem Kosmos, der gleichsam sein~ Äußerung und Manifestation in einem - mehr oder minder -monistischen Rahmen darstellt. (Es ist überflüssig zu erläutern, wieso Monotheismus und Monismus einander ausschließen: deI erste ist theistisch - beruht also auf dem Begriff einer persönlichen, von der Welt unterschiedenen Gottheit - und kreationistisdt; deI zweite schließt eine pantheistische Grundhaltung ein.) Ähnliches ist über die göttlichen Urwesen bei den Brahmanen und Upanischaden zu sagen, etwa Prajapari (der Herr der Geschöpfe), Puru~3. (der Urmensch), Tva~tar (ein undeutliches Wesen, das als dei Urgott gilt) usw. Dieser Reichtum an Urprinzipien oder Urwesen, welche die religiöse und kosmogonische Spekulation der Inder ~ge­schaffen hat, bestätigt, was von einigen Forschern beobaduet wurde: Im religiösen Denken der Inder sind die Urprinzipien der End· punkt einer Spekulation, die - ausgehend vom Gegenwärtigen, vom Jetzigen - bemüht ist, zu den letzten und fernsten Quellen, also zu den Ursprüngen des Seins vorzudringen, und dies stets auf dem gleichen Wege: der Besinnung des Menschen auf sich selbst durcb anthropologische und anthroposophische Selbstbetrachtung und dei ihr innewohnenden Rückführung auf das Eine. Der indisdten Spe­kulation ist die göttliche Transzendenz nicht völlig unbekannt; d~ und dort lassen sich Spuren erkennen, zusammen mit Spuren de! Monotheismus. Jedoch ist hier große Vorsicht geboten, da es sict häufig um implizite monistische Ausdrücke handelt, und dies UIT

so mehr, seit die Interpretationen einiger deutscher Indologen dil Begriffe "Theopantismus" und "Panentheismus" eingeführt haben sie möchten die Transzendenz und Persönlichkei t Gottes in deutlid monistischen Texten retten und versuchen vergeblich, Monismus une (Mono-)Theismus zu vereinen. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß die religiöse Wel , der Inder diese monistischen Formulierungen nicht seit jeher kannte Die vedische Literarur, das älteste Zeugnis der indischen Religion enthält allerdings eine dahingehende Tendenz, vor allem natürlid in einigen jüngeren Teilen, wie dem ersten und zehnten Buch de! Rigveda. Aber der vorherrschende Rahmen ist hier polytheistisch· naruralistischer Art, ein Rahmen, in dem eine volle göttliche Tran· szendenz zwar immer fehlt, aber der auch nicht als monistisch odel pantheistisch bezeichnet werden kann. Die Gottheiten sind selbst ir den Kosmos eingegliedert, sie betätigen sich in einer Welt, di( einem großen, von Gestalten verschiedener Art und Persönlichkei '

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bevölkerten Theater gleicht, aber noch nicht die Gesamtheit der täuschenden Formen des Einen ist. In diesem Rahmen handeln oder künden ihre Gegenwart Gottheiten mit deutlich personalistischem Charakter, so etwa Indra, der Gewittergott, der Demiurg, der in heldenhaftem Kampf gegen den Urdrarnen Vrtra die Lebensbedin­gungen sdtafft; oder Varul).a, der uns hier mehr interessiert, da er einige Eigensdtaften verkörpe rt, die ihn in die Nähe jener Höchsten Wesen rücken, die entweder der primitiven oder der gleichen indo­iranischen Welt angehören wie der höchste Gott der mazdäischen Religion, Ah ura Mazda. VarUl).a hat zugleich eine demiurgisme Funktion - wenn nicht gar eine schöpferische, die in Indien wie in Griechenland selten anzutreffen ist - und eine ethische Funktion als Hüter des Wcltgcsctzes, des rta, das den Lauf der kosmischen und menschlichen Dinge nach einem Gebot universaler Harmonie und Gerechtigkeit lenkt und an die griechische Dike, die Tochter des Zeus, erinnert. Die Vorstellung von einer universalen Geremtigkeit, einerOrdnung, die den Kosmos lenkt, ist besonders bedeutsam. Wie gesagt, findet sie sich in Indien und Griechenland. Mit einer der indischen ganz ilim]ichen Bedeutung ist sie auch im Iran anzutreffen, was sich aus der oben erwähnten ursprünglidlen indo-iranischen Kulturgemein­schaft erklärt. Bemerkenswert ist, daß diesem Begriff des rta eine Polyvalenz von Anwendungen zukommt: von der rituellen Ord­nung (Zusammenhang mit tat. ritus, rite) bis zur kosmismen und ethischen Ordnung. Alle diese Valenzen sind in dem Begriff ent­halten: die gemeinsame Voraussetzung aller möglichen Bedeu­tungen des rta genügt, um jede einzelne dieser Bedeutungen zu rechtfertigen: es handelt sich um den Begriff "gebührende Ord­nung" (und "Wahrheit"). Diese Vielfalt und zugleich Einheitlichkeit des Begriffes geht auch deutlich sowohl aus der vedischen wie aus der awestischen Li teratur hervor: während im Rigveda das rta in urunittdbarcr Beziehung zu VarUl).a steht, der seinersei ts die Ver­gehen gegen das ethische und soziale Gesetz ahndet, ist es im Awesta Asha (eine Dialektform von Arta-Rta), einer der Amesha Spenta, de r spirituellen Manifestationen der Gottheit Ahura Mazda. Aber der Begriff des rta, der in Griechenland in mehr oder minder ähnlicher Weise durch die Idee der Dike, der Göttin der Gerechtig­keit, seinen Ausdruck findet, ist auf allgemein religionsgeschicht­lichem Gebiet auch noch von einer anderen Seite interessant: die Vorstellung von einer universalen und gebührenden Ordnung, die den Kosmos lenkt, hat nämlich über die griemische Philosophie einen beachtlichen Einfluß auf unsere Anschauung vom Universum und vom Gesetz - von der Ordnung, die dieses Universum in allen

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seinen sowohl kosmischen wie ethischen Manifestationen lenkt. Schon Heraklit hat in diesem Zusammenhang den berühmten Aus­spruch getan: ttDie Sonne wird ihre Bahn nicht verlassen, täte sie es, so würden die Erinnyen, die Dienerinnen der Dike, sie zu finden wissen." Hier verband sich der Hinweis auf eine unüber~chreitbare kosmische Ordnung eng mit einer ethischen Vorstellung, wie es der Hinweis auf die Erinnyen, die Rächerinnen der gestörten Natur­ordnung, zeigt. Mit anderen Worten, der zugleich ethische und kosmische Gehalt des Ordnungsbegriffs, der schon in der indo­europäischen Vorgeschichte enthalten ist, findet hier seine Be­stätigung. Man darf auch nicht glauben, daß dieser Begriff, nachdem er einmal auf philosophischer Ebene erarbeitet war, notgedrungen zu deter­ministischen Theorien geführt hat, wie manche Aspekte der grie­chischen Philosophie, z. B. der Stoa, vermuten lassen könnten. Ein anderer überaus wichtiger griechischer Begriff: die Hybris - jedem Kenner der griechischen Tragödie, aber auch Homers bekannt -setzt unmißverständlich den Begriff der Verantwortung, also der ethischen Freiheit voraus und ist andrerseits untrennbar mit dem Begriff der Dike verbunden, zu der er gleichsam das Pendant ist. Und neuere Untersuchungen des griechischen 5chidc.salsbegriffs - und nicht nur des griechischen, sondern auch des iranischen - zeigen, wie dieser Begriff anfangs weder der Idee einer determin istisch ver­standenen universalen Ordnung der Dinge verbunden, noch von dem Begriff der verantwortlichen Freiheit getrennt ist ; denn auch das Sdlicksal wird häufig durch das freie Verhalten der Menschen und der GÖtter bedingt, wie es schon bei Horner, aber auch in der Tragödie, vor allem in der ältesten, der des Äschylus, der Fall ist. Mit anderen Worten, die Vorstellung einer universalen Ordnung hat im ältesten Griechenland sowie in den frühesten Zeugnissen des Iran und Indiens einen zugleich kosmischen und ethischen Bezug ,: er ist jedom weder deterministisch - das unpersönliche Sdticksal -noch medtanistism, wie es beispielsweise die Vorstellung einc~ magisch-universalen Zusammenhanges zwischen den Dingen sein könnte. In dem so verstandenen Ordnungssystern spielt - im Unterschied zu den deterministischen und med-tanistischen Systemen - die persönliche Gottheit eine wesentliche Rolle; sie kann innerhalb der Hierarch ie wemsein, büßt jedoch niemals ihren eigentlichen Gehalt ein: von einem Ahura Mazda, dem Vater des Asha, der universalen Ordnung, wie er in den awestischen Texten - an gefangen mit den ältesten, den Gäthas des Zara thustra - lebt, bis zu einem VaruJ)a, dem Wahrer und Ga rant des rta, dem nichts verborgen bleibt, und

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bis zu Zeus, dem Vater der Dike und Bestrafer der Hybris bei Men­sdten und Göttern. Diese Tatsache ist von besonderer Bedeutung. Da sie sowohl mono­theistische Religionen - wie den Zoroastrismus - als auch typisch polytheistische - wie die griechische und die vedische Religion -betrifft, zeigt sie, daß der Gedanke einer universalen und harmo­nischen Ordnung anfangs nicht an Religionen vom pamheistisdlen oder monis tischen Typ gebunden war, wohl aber an theistisdte Religionen, in denen die Persönlichkeit der Götter vom Kosmos unterschieden ist - sei es, daß die Gottheit den Kosmos transzen­diert, wie im Fall des Zoroastrismus, sei es, daß sie in irgendeiner Weise ein Teil von ihm ist, wie in den oben erwähnten polytheisti­schen Systemen. Letztere schließen also nidlt nur die Vorstellung einer Gottheit, die an der Spitze des Pantheons, also auf einer höheren Ebene steht als die anderen (man denke an den Zeus Homers) , nicht aus, sondern sie bejahen soga r den Gedanken einer einhei tliehen Harmonie, welche - wie das indische rta und die gric<hisdte Dike - die göttliche, menschliche und kosmische Welt lenkt. Die organisierten polytheistisdten Systeme si nd also weit weniger anardlisch als man gemeinhin annimmt, und das eigentliche Merk­mal des Polytheismus - jenes Systems, das viele Götter hat, die zu­einander in aktivem und wirksamem Gegensatz stehen können -ist gar nich t so sehr oft voll verwirklicht. Um bei dem bekanntesten Fall, dem Polytheismus Homcrs, zu bleiben, muß man stets berück­sichtigen, wievie! in diesen oft grotesken oder witzigen Geschichten ven den Kämpfen zwischen den Göttern auf das Konto der poetisdten Form und der epischen Komposition geht, welche die Götter in Darsteller einer dramatischen Handlung verwandelt und sie so auf eine bewußt künstliche anthropomorphe Ebene stellt; und weiter muß man berücksichtigen, wieviel auf das Konto des sogenannten homerischen Rationali smus geht sowie auf das, was Wilhelm Nestle die "Anfänge einer Götterburleske bei Homer" nannte. Aber auch im Fall des homerischen Polytheismus behalten die Dike und ihr Gegenteil, die Hybris, ihre Gültigkeit, und zwar zusammen - und in Verbindung - mit der boule Dias, dem Willen des Zeus, oder mit seinem Äquivalent, dem Ratschluß der Götter. Und boufe Dias sowie Ratschluß der Götter sind - vor allem da, wo der Stoff nicht schon episch oder mythologisch bestimmt ist - unter dem Gesichts­winkel einer Einheitlichkeit des Handeins gesehen, die einen ethi­schen Gehalt besitzt, wie aus einer für diesen Zusammenhang be­z.cidmenden Stelle im " Prolog im Himmel" derOdyssee hervorgeht. Dies bedeutet natürlich nicht, daß der Polytheismus keine Kämpfe und Spaltungen innerhalb des Pantheons kennt: aber diese hängen

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wahrscheinlich eher mit der Theogonie und Kosmogonie oder mit jenem Naturalismus zusammen, der, wie wir schon sagten, im Rahmen der heidnischen Religionen häufig die polytheistischen Systeme begleitet. Alles, was wir bisher über den Begriff der universalen Ordnung und ihres Vorhandenseins in theistisch-kreationistischen Systemen monotheistischer Natur sowie in nicht-monistischen polytheistischen Systemen gesagt haben, steht nicht nur in Beziehung zu der not­wendigen Begriffsbestimmung, sondern auch zu der Gegenüber­stellung von theistisdt-krearionisti sdten und monisrisch-emanatio­nistischen Systemen, die Gegenstand dieses Kapitels ist. Es ging darum zu zeigen, in welcher Beziehung die Vorstellung einer uni­versalen, das Weltall umer dem Gesetz der kosmischen und ethischen Geredttigkeit einigenden Ordnung zu den versdüedenen Religions­systemen steht, von denen bisher die Rede war ; vor allem galt es zu zeigen, wie die Auffassung von der Einheitlidtkeit des WeitaUs keine monistisdt geprägte Religiosität in sidt sdtließt, sondern än­fangs vielmehr aussdtließlidt in Religionen mit theistischem Cha­rakter anzutreffen ist. Ein anderer in diesem Zusammenhang außerordentlidt widttiger Begriff ist der der Theogonie. Es ist klar, daß es diesen Begriff in einer monotheisrism-kreationi srisdten Religion nidtt geben kann. An ihrem AnfOlng steht offenkundig die Schöpfergottheit, ohne daß ihr eines jener unper5Önlidten oder halbpersönlidten kosmisdten Urwesen (archai) vorangegangen wäre, wie sie für die monistischen und audt - wie wir sehen werden - für zahlreiche polytheistische Systeme charakterisusdt sind. Im Zoroastrismus beispielsweise haI Ahura Mazda keine Eltern ; sporadische Hinweise auf das Licht al~ das Ursprungse!ement des Gottes stellen keinen Gegenbeweis dar, da sie bei g ri ech ischen Autoren wie P!utarch erwähnt sind, die durch ihre !orma mCfltis eine starke Neigung zur Theogonie hauen . Da~ licht ist das angeborene, wesenhafte Element des hödlsten zoroa· strisdten GOttes, und dies mag die theogonisme Deduktion in deI griechischen oder in der helleni sierenden magusäischen Welt be· günstigt haben . (Jedenfalls muß gesagt werden, daß eventuelh thcogonische Neigungen oder Voraussetzungen des mazdai stischen Lichtgottes mit einer, von uns schon bemerkten Neigung iranischer Re!igionsformen zur heidni schen Verehrung der Elemente, etwa des lichtes, vereinbar sind.) Ebensowenig bilden einen Gegenbeweif andere mythische Hinweise auf eine Vaterschaft der Zeit hinsichtlicr des zoroastrischen Gottes; auch hier handelt es sich um Begründungen vorwiegend spekulativer Art. Dagegen triumphiert die Theogonie, wie gesagt, in den meister polytheistisch.en Systemen sowie in denen, die wir monistisch·

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emanationistisch genannt haben . Hier fügen sich die Gottheiten und auch die oberste Gottheit, denn diese geht uns hier hauptsäch­lkn an, einer genealogisch festgelegten Reihe ein, die im allgemei­nen von göttlich-kosmischen Urwesenheiten halbpersönlichen Cha­rakters und nicht deutlich bestimmter Gestalt ihren Ausgang nimmt. Mit dieser genealogischen Reihe entsteht häufig auch eine Kosmo­gonie, d. h. es entstehen die Natur-Wesenheiten - als erste von allen der Himmel und c:fie Erde -, die in den kreation istischen Syste­men als ein Werk des Schöpfers gelten. Es muß jedoch sogleich ge­sagt werden - und wir werden es im folgenden deutlicher sehen -, daß es auch im Bereich der polytheistischen und monistisch-emanatio­nistismen Systeme so etwas wie eine Schöpfungsidee gibt. Da es sich dabei jedoch eher um eine Ausgestaltung von bereits vorhan­denen und tätigen Wesensheiten durm das Wirken eines Demiur­gen handelt, ist der Schöpfungsbegriff hier unzutreffend. Die Theogonie des Hesiod ist gleichsam durch einen aufsteigen­den Rhythmus gekennzeichnet, der - ausgehend von Urwescnhei­ten wie das Chaos, Gaia (die Erde) und Eros - zur Geburt von mehreren aufeinanderfolgenden Generationen von Göttern führt (deren Urmutter Gaia ist, da das Geschlecht des Chaos ein Zweig für sich und alsbald erschöpft ist): auf die Generation von Uranos und Gaia folgt die von Kronos und Rhea und schließlich die von Zeus und Hera. Diese Generationen werden als ebensoviele Regie­rungen aufgefaßt. Die erste und zweite sind egoistisch und brutal (man erinnere sich an Uranos, der die Söhne olm Mutterbusen er­würgt, und Kronos, der sie verschlingt) , geordnet und ge recht ist -s ... +.einbar endgültig - die dritte, die des Zeus. Geordnet und ge­rcd1t, verwirklicht jedoch durch Gewal t, durch den Kampf mi t dem Vater Kronos und den Titanen, und bedroht von erneuten Angrif­fen (Typhon). Das Grundprinzip ist hier, daß die jetzige Weltherr­schaft sich in einer fortlaufenden Entwicklung verwirklicht, welche die Welt von den elementaren und in einem gewissen Sinne chaoti­schen Ursp rüngen entfernt und des Kampfes und der Gewalt be­darf, um sich verwirklichen zu können ; auch vollzieht sich der übergang sozusagen vom Kriegs- zum Friedenszustand nicht auto­mati sch durch Zeus (man denke an den Prometheus des Äschy­lus). Ordnung und Gerechtigkeit werden in einer fortschreitenden Ent­wicklung nicht ohne Kämpfe verwirklicht, die den glücklichen und auserwählten Helden oft verkleinern und beflecken ; beispiel swei se den Indra der Veden, der sich von der Tötung des Urdrachen Vrtra, in welchem brahmanisches Blu t fließt, reinigen muß. Der Gedanke der fortlaufenden Entwicklung ist typisch für die theogonische Syste­matik, die nicht von einem schöpferischen Urwesen, das zugleich

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Herr des Weltalls ist, ausgeht, sondern in einem Herrn des Welt­aUs, letztem und glüddichem Erben chaotisch-elementarer und er­zeugender Urwesenheiten, gipfelt. Das glekhe Schema finden wir in der babylonischen Theogonie des Enüma eli~ wieder, an deren Anfängen, mit Merkmalen von Ursprungli<hkeit und Egoismus, die zum Teil denen des Uranos glekhen, die Gestalten des Apsu, des erzeugenden Abgrunds, und der Tiiimat stehen, einer Muttergestalt, die jedoch alsbald zum Ungeheuer und zur Feindin der jungen Götter wird. Auch hier mündet die göttliche Genealogie über meh­rere Generationen in die Gestalt Marduks, des jetzigen Herrn und Lenkers des Kosmos und überdies dessen Demiurgen. In diesen Systemen also steht die Ordnung nicht am Anfang, sondern am Ende der theogonischen Entwiddung - in übereinstimmung mit dem Prinzip, das sie inspiriert. Es muß aber hinzugefügt werden, daß die Reinheit, Totalität und angeborene Majestät der Urprinzipien im Laufe der theogonisd]en Entwiddung und ihrer Kämpfe verlorengeht. Das ist wichtig für die endgültige Würdigung dieser aufsteigenden, nicht kreationi­stischen, theogonischen Systeme, die die angeborene Majestät der Urwesen und die "erteilte" Majestät der jetzigen Sieghaften Götter nicht vereinigen können. Es wäre ungerechtfertigt, in den polytheistischen Systemen, die wir erwähnt hab~n, nach einer ihnen eigentümlichen monistisdten Einstellung zu suchen. Allerdings sind die ihnen zugehörigen Gott­heiten den Urwesenheiten genetiSch verbunden und gleichsam in ihnen gegründet und verwurzelt ; man denke beispielsweise an die Beziehung Eas, des Gottes der unterweltlichen Weisheit, zu Apsu, dem Urabgrund, den er bezwungen hat und auf dem er sein eigenes Haus und den "Ort der Bestimmungen", in dem später Marduk geboren wird, errichtet hat. Die Gottheiten behalten ihre eigene objektive Persönlichkeit, und ihre Beziehung zu den Urwesenheiten ist nicht die von Erscheinungsformen oder "Bruchstücken" des Einen. Wo dagegen eine derartige Anschauung vorhanden ist, wie eben in der Spekulation der Brahmanen und Upanischaden, haben wir es mit monistischen Systemen zu tun. Andrerseits kann man sagen, daß alle polytheistischen Systeme - oder zumindest die besonders gut ausgebildeten - auf dem Wege sind, zu monistischen und schließ­lich theosophisch inspirierten Systemen zu werden, sich also auf die Spekulationen über die mystische Einheit von Göttlichem und Kosmischem zu gründen. Wenn die Spätantike einerseits auch in monotheistisch bestimmte Positionen einmündet, so mündet sie andrerseits auch wieder in Systeme monistischer Natur: ja, häufig ging beides etwas ineinander über, vor allem infolge der ungenü-

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genden theistischen Bestimmungen der spätantiken Religionssysteme und der niemals von ihnen erreichten Klarheit über die Merkmale eines echten Kreationismus. Ahnliches geschah im Vorderen Orient, dessen späte theologische und kosmogonische Systeme viel zum religiösen Synkretismus der Spätantike beitragen sollten. Andrerseits ist nicht gesagt, daß die polytheistischen Systeme zwangsläufig zu deutlich ausgeprägten monistischen Systemen füh­ren müssen. Bezeimnend ist die Tatsache, daß ein Großteil der urkundlichen Belege über den indischen mythologisch-kosmogoni­schen Monismus seme Bilder einer primitiven Typologie entnimmt. In dieser Typologie kehren monistisch interpretierte oder mitunter den charakteristischen Personen der monistisch-orientierten Systeme (Brahma, Puru~a, usw.) zugeschriebener Gemeinplätze der primi­tiven Kosmogonien wieder, wie zum Beispiel der kosmische Mensch, aus dessen Spaltung oder aus dessen verschiedenen Körperteilen die verschiedenen Teile des Kosmos, die Götter und Menschen her­vorgehen, oder das kosmische Ei, das den Demiurgen oder die Sonne enthält .und dessen geöffnete Schale mit dem oberen Teil den Himmel, mit dem unteren die Erde bildet. Dergleichen Vorstel­I~ngen sind, wie gesagt, bei verschiedenen primitiven Kulturen an­zutreffen ; diesen echt monistisme Anschauungen zuschreiben zu wollen, wäre freilich gewagt und unrichtig, wenn auch bei manchen die Tendenz dazu bestehen könnte. Echter Monismus entsteht nur durch Spekulation, die anfangs philosophisch gefärbt ist; sie wäre treffender als anthroposophisch oder theosophisch zu kennzeimnen und inspi riert sich an der Idee vom kosmischen Einen. Zu beachten i ~ t die Tatsache, daß eine solche Spekulation von Begriffen, mythi­schen Motiven und mitunter sogar von echten Mythen primitiver Art Gebrauch macht. Etwas Ähnliches ist übrigens in der antiken Welt bei der Orphik der Fall, die primitive Themen wie die des kosmischen Eis, des Demiurgen, der Verschlingung oder Teilung von Urgonheiten -man denke an die Mythen von Phanes und Dionysos - wieder aufnimmt. Und am anderen Ende der alten Welt, in China, verwen­det der Taoismus ähnliche Motive : das Ei, die Trennung des Him­mels von der Erde, die anfangs ein unbestimmtes Ganzes bildeten. p geschieht stets im Dienst der Idee vom Ureinen und Indjfferen­zierten, das sich im zufälligen und trügerismen Vielfältigen mani­festiert und es in sich zurücknimmt. Und schließlich tauchen in einem für die Kenner der Antike und des klassischen Gedankengutes überraschendem Maße soga r in der Gnosis, dit: in gewissem Sinn die "höchste" Manifesta tion dieser anthroposophisch-theosophi­schen Tendenz und dieser Spekulation über das Eine und das Viel­fältige ist, mythische Themen von einer wirklich störenden Primi-

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tivität und mitunter Roheit auf. Man denke endlich an den Mani­chäismus mit seiner ganzen, komplexen und bisweilen naturalistisch rauhen Mythologie (vgl. den Mythos vom Urmenschen und seiner Gefangenschaft) , in der sich, wie oben gesagt, der Kerngedanke der Gnosis verkörpert: das Drama der Seele. Diese gelegen tliche Vereinigung von Naturalistischem und Primi­tivem - wie gesagt, kennzeichnen wir damit ganz allgemein alle Kulturen, die Gegenstand der Ethnologie sind - mit Elementen einer monistischen Spekulation stellt eins der fesselndsten Probleme der Religionsgeschichte dar. Und ein ebenso wichtiges Problem er­blicken wir in der Möglichkei t geschichtlicher Zusammenhänge und der Gewißheit phänomenologischer Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Formen monistischer Spekulation, die wir bisher auf­geführt haben. Dieses Problem stellen heißt - unter anderem - ein Problem stei­len, auf das wir in einem der vorigen Kapitel kurz hingewie~en haben: das Problem der Gnosis als Weltreligion, als Geisteshaltung, die nicht nur in den verschiedenen Phasen des religiösen Denkens der Antike immer wieder aufgetreten ist: von den Orphikern bis zu Pythagoras und den gnostischen Systemen der Spätantike, son­dern auch in versdUedenen, geographisch getrennten Gebieten : vom Indien der Upanischaden - und auch noch in deren abirrender, aber in einem Sinne konsequenter Entwicklung, dem Buddhismu$ - bis, zumindest in einigen Aspekten, zum taoistischen China und bis nach Japan. Einen Hinweis für eine erste, freilich vorläufige und ungenügende geographisme, typologisme und historische Bestimmung dieser wich­tigen Strömung kosmogoni scher Spekulation auf monistischer Basis vermögen wohl jene Studien zu geben, die den Versuch gemacht haben, auf ethnologischer Basis die Verbreitung und, wenn mög­lich, den Ursprung jener primitiven mythischen Themen festzustel­len, die wir häufig als Bestandteile jener Spekulationen erkannt haben: die Themen des Urmenschen, des kosmischen Eis, der Tren­nung von Himmel und Erde als Spaltung eines ursprünglich un­gcteilten und totalen Ganzen usw. In Wirklichkeit scheint die Verbreitung dieser Themen, die übrigcns sporadisch überall ein wenig anzutreffen sind, auf ein südliches mediterran-asiatisches Gebiet hinzudeuten, das im Grunde auch das klassisdte Gebiet jener Bewegungen darstellt, die wir als der Tendenz nach oder deutlich monistisch bezeichnet haben (von der Orphik bis zum Taoismus). Dies geschah natürlich mit dem Vorbe­halt, daß solche Bewegungen und die primitive Mythologie, die sie häufig verwenden, zweierlei sind. Nicht nur das : auch die Chrono­logie vermag vielleicht eine, wenn auch etwas unbestimmte Schluß-

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folgerung nahezulegen, wenn man bedenkt, daß das 6. Jahrhundert vor Christus im Abendland eine besonders fruchtbare Zeit gewesen sein muß fü r die stürmische Entfaltung einer orphismen Literatur und, wahrscheinlim, Ideologie ; daß es das Jahrhundert des Pytha­goras war, und daß es in Indien neben und innerhalb der H Wald­texte", dem Schrifttum der Aranyakas, und der theosophischen Spe­kulation de r Upanism3den die buddhistische Erleuchtung auftau­men sah, auf die in kurzem Abstand die Lehrverkündigung der Jainas folgte, die auf die Befriedigung der gleichen Bedürfnisse ge­richtet war; und daß eben dieses Jahrhundert wahrscheinlich im Fernen Osten die ersten greifbaren Manifesta tionen jener taoisti­schen Lehren sah, die durdt die Thematik und ihren Grundgedan­ken teilwei se an die Spekula tionen der Upanisdtaden und des Buddhismus erinnern. Pythagoras, die Orphiker, Laotse: eine Folge schattenhafter oder legendärer Gestalten. Aber nicht in dasselbe Dunkel gehüllt ist die Ta ts3che, daß jener Fülle von Ideologien und Spekulationen, die wir oben erwähnt haben und die sich von Griedtenland bis nach Indien ~nd teilweise bis nach China erstreckte, verschiedene Ideen gemein­sam sind. Gewiß, der Gesamtton der Askese eines Pythagoras ist grundverschieden von dem taoistischen laisser aller; aber wohl nich t ebenso fern ist - um in derselben ethnischen Umwelt zu bleiben -der Unsterblichkeitsglaube des magischen Taoismus von dem Rei­nigungsglauben der von Plato veramteten Orpheotelesten. Die Ideen, auf die wir anspielen, kreisen im wesendichen um eine theo-kosmosophische Spekulation über das Eine als einzige ge­sicherte, wahre Wi rklichkei t und über die Vielfalt als Schein und Trug und letzten Endes als Böses und Tod. Anfangs steht die anthro­posophische Spekulation über Leben, Tod. und - mit Ausnahme des Taoismus - Wiedergeburt etwas stärker im Vordergrund, doch auch sie erfolgt unter dem Aspekt der Lehre vom Einen und der Vielfalt. Insbesondere in Indien und in der griechischen Esoterik handelt es sim um ei ne Spekulation über die Seelenwanderung und das, was im Ind ischen karma n genannt wird, und über die Reinheit und die sich aus ihr und aus der Gnosis ergebende Befreiung des göttl idten Tei ls des Menschen aus dem Kreis der Wiedergeburten, der zugleich ein neuer Todeskreislauf ist (wer in die psychisch­existentiellen Bedingungen dieser Lehren eindringen will, wird diese Einzelheit nicht vergessen, um so meh r, als im Gegensatz zum oben Gesagten bei den tropi schen Pflanzern - einem der Sub­strate indischer Kultur ? - die Wiedergebu rt eine Funktion des unerschöpflichen Kreislaufs des ird ischen Lebens sein kann, dessen Voraussetzung und Ga ran tie nach A. E. Jensens Auffassung gele­gentl ich der Tod ist).

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Wir haben es also hier mit einem ideologischen Komplex von einer gewissen Gesmlossenheit zu tun, wenn er auch natürlich nicht aus­reicht, ein System und erst recht nicht eine Religion zu bilden; ein Komplex, der den verschiedensten Interpretationen, Systematisie­rungen und praktischen Verhaltensweisen, aber auch bedeutsamen Obereinstimmungen Raum geben kann ; ein Komplex, der sim auch auf den im Entstehen begriffenen Buddhismus auswi rkt, der die Lösung auf eine eigene, zum Denken des Brahmanismus in Wider­sprum stehende Weise anstrebt (mit der Zerstörung der Substantia­lität und Absolutheit des Einen), sich aber doch in einer ähnlichen Gedankenwelt bewegt und vor allem bestrebt ist, die wahre Lösung für das gemeinsame Problem zu geben: die Befreiung von der Wie­dergeburt und dem Schein, der einzigen Ursache von Begierde und Schmerz. Daher die gemeinsame asketische - oder vielmehr kathartisch-ent­haltsame - Tendenz dieser Bewegungen: ihre Polemik gegen das Begehren, gegen die Lust, gegen den Kummer, gegen das mühe­volle und enttäuschende Streben nach dem Zufälligen und Ver­änderlichen sowie gegen das, was an das Zufällige und Vielfältige kettet, also an den Kosmos, die Wiedergeburt, die Gefangenschaft. Das eine oder andere oder die meisten dieser Themen sind in allen Lehren im Gespräch und bestimmen scheinbar oder tatsächlich ver­sdüedene Geisteshaltungen, vom asketismen Aktivismus der Pytha­goräer bis zum Enthaltsamkeit fordernden Quietismus der Taoisten, die aber alle, zumindest in einer Beziehung, ein gemeinsames Ge­präge haben. Und ein gemeinsames Gepräge haben wohlgemerkt auch jene Tendenzen, man könnte sogar sagen, jene zum Teil widersprümlichen Systeme, die sim oft im SchoBe dieser Bewegun­gen entwitkcln. Das hohe geistige Niveau der alten orphismen theologoi, das Plato in seinen Bann zog, konnte mit der utilitari­stism entstellten Aktivität der Orpheotelesten zwar nicht zusam­menleben, aber sich ihr unter dem gemeinsamen Bezug auf Orpheus doch ansmließen. Die asketische Strenge des ursprünglichenBuddhis­mus paktierte mit der Unzahl von Glaubensvo rstellungen und Prak­tiken des Mahäyäna, die Spekulationen des philosophisrnen Taois­mus mit den Unsterblichkeitspraktiken des volkstümlichen Taois­mus. Und wohl falsm würde argumentieren, wer das Nebeneinander von scheinbar so widersprüchlimen religiösen Tendenzen unter der gleichen Rubrik oder Benennung mit der Hypothese späterer und zufälliger Einflüsse erklären wollte, so als ob die Orphik der Orpheotelesten ursprünglich von der Sache her nichts gemeinsam gehabt hätte mit dem Orphismus der tl1eologoi oder als ob der spekulative Taoismus ursptünglim grundversmieden von der utili-

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taristischen Unsterblichkeitslehre des Taoismus gewesen sei. Und ebenso falsch argumentieren würde, wer im Gegenteil diese Wider­sprüche durch einen oberflächlichen Hinweis auf die Tatsache er­klären wollte, daß in den Religionen im allgemeinen ein Unter­schied bestehe zwischen dem Verhalten der geistigen Elite und dem des einfachen Volkes. Ich glaube, daß etwas ganz anderes und Spezifisches vorliegt; es handelt sich zumeist um verschiedene Aspekte und konvergierende oder vielleicht auch zusammentreffende Verwirklichungen gleicher Lehren oder, besser gesagt, gleicher Inspirationen. Die taoistische Lehre vom Einen und Unwandelbaren, besser: von dem, was un­definierbar und unvorstellbar dem Einen vorangeht, also vom Tao, dem einzigen Unsterblichen, scheint - vom Standpunkt der ur­sprünglichen Inspiration und der mit ihr verbundenen menschlichen Erfahrung aus - nicht unvereinbar mit den Unsterblichkeitsprak­tiken. Auch dürfen diese nicht immer als Manifestationen einer niedrigen Religiosität beurteilt werden, sobald ihr Nützlichkeits­denken darauf abzielt, im Bereich des Einzelnen jene Harmonie zu

"verwirklichen, die auf universaler Ebene die Harmonie und Un­sterblichkeit des Ganzen lenkt. Ebensowenig waren die Praktiken der Orpheotelesten, wenn auch in gewissen Punkten deutlich ent­artet, in ihren läuternd-befreienden Zielsetzungen nützlichkeits­bedingter als die Mysterienpraktiken, denen von der öffentlichen Meinung des heidnischen Altertums mit höchster Verehrung be­gegnet wurde. Und ebensowenig können schließlich die überaus menschlichen Lehren des Mahayana, die den Gedanken des frei­willigen zeitlknen Verzichts des Bodhisanva auf die Befreiung und so auf die endliche Glückseligkeit im Nirwana enthalten, religiös und menschlich als unter dem Nihilismus der ursprünglichen Lehre Buddhas stehend betrachtet werden. Von dieser entfernen sie sich übrigens, was das inspirierende Grundprinzip, nämlich die Kritik am Substanzbegriff betrifft, nicht völlig. Wie wir gesagt haben, bedienen sich der indische Monismus sowie die betont monisti smeOrphik nicht selten primitiver mythologischer und kosmogonischer Themen. Es wurde vor dem Schluß gewarnt, daß diese Themen einen monistischen oder pantheistischen Gehalt auch in jenen primitiven Mythologien haben müßten. Nichtsdesto­trotz gibt es bei gewissen Völkersdtaften, die auf der Schwelle zu einer höheren und komplexeren Kulturstufe stehen, mitunter Mythen, die ihrer Tendenz oder ihrem Gehalt nach monistisch sind: zum Beispiel wird bei gewissen Polynesiern das - menschliche und göttliche - kosmische Geschehen auf kosmogonische Urwesenheiten mit ziemlich unbestimmten Eigensmaften bezogen, von denen es auf genetisch-emanationistischem Wege seinen Ausgang nimmt. Den-

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noch muß man sehr behutsam vorgehen, wenn man den Mytho­logien Vorstellungen echt pantheistischen oder monistischen Charak­ters zuschreiben will, und manchmal heißt es, billigen Mißverständ­nissen aus dem Wege zu gehen. Wo es beispielsweise Vorstellungen wie jene vom Urmenschen oder Urriesen oder vom kosmischen Ei gibt, wird solmen Vorstellungen keineswegs die Funktion uni­versaler Prinzipien zuerkannt. So wird der Urriese, aus dessen Gliedern in manchen Mythologien der Kosmos entsteht, oft von den Göttern oder anderen schon existierenden Wesen geopfert oder ge­tötet, wie es zum Beispiel bei dem germanismen Urriesen Ymir der Fall ist, der von Odin und dessen Brüdern umgebracht wird, die dann aus seinem Leichnam die Erde, das Meer und das Firmament bildeten. Das gleiche geschieht, nunmehr in einer Hochkultur, mit der Tiämat des Enuma elis . Bei Puru~a, dem ebenfalls geopferten indischen Urmenschen, liegt der Fall anders: hier erfolgt eine be­wußte und gewollte Interpretation im monistischen Sinn, das heißt, eine Interpretation des Puru~a, die über die reine Tatsache derTört"!ng und Zerstückelung hinausgeht und Puru$l. zu einer den Ursprung der Wesen bildenden Urwesenheit erhebt. Dadurch wird ihm nimt jedwede Zuerkennung einer partiellen Transzendenz abgesprochen: Puru~a ist zu einem Viertel in dieser Welt gegenwärtig, zu drei Viertel transzendiert er sie jedoch; was übrigens, wie oben anläßlich des Theopa:nismus gesagt wurde, genügt, um eine echte Transzen­denz auszuschließen. Ein monistisches System wird also nicht so sehr - oder nicht nur -durch das mythische Thema, dessen es sich bediem, gebildet als vielmehr durch eine bewußt monistische Interpretation, einen ideologisch orientierten Willen. Deshalb haben wir gesagt, daß Monismus und Pantheismus in der Hauptsache keine Phänomene primitiver, sondern hoher Kulturen sind . Diese Behauptung steht im Gegensatz zu einer vo r kurzem auf­ges tellten Theorie des schwedischen Gelehrten Gco Widengren, der­zufolge dem Pantheismus eine wichtige und chronologisch weit zurückliegende Posi tion in der Bildung der religiösen Begriffe und Systeme zukäme. Diese Theorie gründet sich auf eine teilwei se an­fechtbare Interpretation mythologischer Materialien . die haupt­sächlich dem Bereich der indogermanischen Religionen entnommen sind . Eine entscheidende Bedeutung räu mt Widengren im Bereich seiner Theorie dem Parallelismus Mikrokosmos-Makrokosmos ein, der in verschiedenen Mythologien vorhanden ist und den er in pantheistischer Funktion interpretiert. Prakti sch handelt es sich um den Glauben, besser : um das mythische Thema einer Parallelität zwischen dem menschlichen Organismus einerseits und dem als ein großer Organismus verstandenen Kosmos

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andrerseits. Als Stütze dieser Deutung führt Widengren eben jene oben erwähnten Mythen von Ymir, von Puru~a usw. an und ergänzt sie durch Texte, die vornehmlich aus griechischen, iranischen und anderen Quellen stammen und die weite Gültigkeit dieser mikro­kosmisch-makrokosm ischen Spekulation zu bestätigen scheinen. Wir haben diese Theorie andernorts ausführlich diskutiert. Es sei lediglich bemerkt, daß die weit, aber nicht welm'eit verbreitete Mikrokosmos-Makrokosmos-Entsprechung nicht unbedingt ein Mythos ist, sondern eher ein mythisches Thema und manchmal nicht einmal das. Wenn die Entsprechung Mikrokosmos-Makrokosmos tatsächlich mitunter eine kosmogonische Funktion hat, so kann sie ein andermal dazu dienen, einer völlig andersgearteten, z. B. physio­logischen Theorie, Ausdruck zu verleihen, und zwar ohne daB man sagen könnte, diese Verwendung setzte die kosmogonische stets vor::I.US. Die Entsprechung Mikrokosmos-Makrokosmos dient in diesem Fall dem Versuch, mit Hilfe der Harmonie des menschlichen Organismus die Harmonie des Universums besser zu verstehen und umgekehrt. Unannehmbar, weil verwegen, ist sodann die Hypo­these, das Mythenthema Mikrokosmos-Makrokosmos habe seinen Ursprung im Menschenopfer und dessen kosmischer Ideali sierung, wie K. Rönnow behauptet. Die letzte Kategorie von Religionen, die hier ernrähnt werden muß, sind die dualistischen Religionen. Es sind jene - mitunter theistisch­kreationi stismen Religionen - , in denen das Vorhandensein eines Wesens angenommen wird, das als Urheber des Bösen und al s Gegne r des Höchsten Wesens gilt. Entweder ist es von diesem Ur­sj>rung nach unabhängig oder aber es ist imstande, auch ohne un­abhängig zu sein, der schöpferisrnen Tätigkeit des Höchsten Wesens entgegenzuwirken, ihr eine eigene schöpferische Tätigkeit im bösen Sinne entgegenzusetzen oder sogar an die Stelle derSchöpfertätigkeit Gottes zu treten, wie beispielsweise in jenen Lehren (Bogomilen, Katillrer), in denen dem Bösen di e Erschaffung des menschlichen Leibes - während dagegen die Seele und das Prinzip des Lebens allS Gott stammt - oder die Erschaffung der materiellen, simtbaren Welt zugeschrieben wird. Damit eine Religion als dualisrism bezeichnet werden kann, ist es, wie man sieht, nicht unbedingt erforderlich, daß der Gegner des Hödlsten Wesens dem Ursprung nach von diesem unabhängig ist oder sei t jeher in Gegensatz zu ihm steht, wie es beispielswei se beim Mazdaismus und Manichäismus der Fall ist. In dualis tischen Kos­mogonien, sei es bei einigen Primitiven oder in einem Teil der religiösen FolkloreOsteuropas und Nord- undMitteIasiens, wechseln folgende zwei Darstellungen ab : entweder kennt man den Ursprung des Gegners nich t, da. dieser im Anfang der Zeiten wer weiB woher

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gekommen ist, oder der Gegner ist das Produkt einer Schöpfer. tätigkeit Gottes, meist jedoch einer mißratenen oder vom Schöpfer ungewollten Tätigkeit oder auch einer gewissermaßen spontanen Tätigkeit der überbleibsel der vom Schöpfer für die Erschaffung der ersten Menschheit verwendeten Materialien. Dieser Wechsel zweier Formen des Dualismus ist von besonderem Interesse, weil man ihm in der ganzen Geschichte des religiösen Dualismus begegnet und oft im SchoBe einer und derselben reli­giösen Welt, von den primitiven Stämmen Nordamerikas und Nordostasiens bis zu den dualistischen Sekten des Mittelalters: man denke an die radikal dualistischen Katharer (z. B. die von Desen· zano), welche die Gleichewigkeit der beiden entgegengesetzten Prinzipien annahmen, und an die gemäßigt dualistischen oder mon­archianischen Katharer (z. B. die von Concorezzo), welche die Einheit des Prinzips, also nicht die Gleichewigkeit von Gott und Satan annahmen. Es muB jedodl darauf hingewiesen werden, daB man)m letzten Fall nicht mit vollem Recht von gemäBigtem Dualismus spricht, denn es handelt sich um echten Dualismus, um eine der ge· schichtlichen Formen des Dualismus; denn auch diese Katharer schrieben Satan ausdrücklich eine demiurgische Tätigkeit zu: ger~de sie machten ihn zum Schöpfer des menschlidten Leibes und der sicht· baren Welt. Die wesentlidle und einheitliche Charakteristik des Dualismus liegt also nicht so sehr in der Gleichewigkeit eines guten und eines bösen Prinzips als in einer in der Welt bewirkten Dichotomie, in dem Sinne, daB ein Teil dieser Welt, z. B. der körperliche Teil, wie in der Gnosis, oder die todbringenden Wesen der Finsternis, wie im Mazdaismus, als Schöpfung und konsequenterweise als legi timer und eigener Herrsdtaftsbereich des Bösen gedacht wird. Diesem Teil wird eine immanente, angeborene Boshei t zugeschrieben, im Unter­schied beispielsweise zum Christentum, wo das Böse - oder die "Welt" oder das "Fleisch" -lediglich eine Gegebenheit mit morali­schem - nidtt ontologischem oder kosmologischem - Inhalt ist, eine Gegebenheit, welche im Rahmen einer weltweiten Herrschaft und einer Welt, deren ausschlieBlicher Schöpfer und Herr Gott ist, eine freie Willensentscheidung bedingt. Eine weitere wesentliche Charakteristik jedes Dualismus ist die Idee einer nicht·universalen Herrschaft Gottes sowie seiner mehr oder minder ausgedehnten Machtlosigkeit dem Gegner und dessen Taten gegenüber, durch die der Gegner einen ihm vorbehaltenen Herr­sch:tftsbereidt verwirklicht, über den er Schöpferm:tcht ausübt. Daraus ergeben sich im Bereich der dualistischen Systeme oft wider­sprüchliche Verhaltensweisen in den Beziehungen zum Bösen -Verhaltensweisen, die übrigens eine substanziell einheitliche Be-

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gründung haben. Einige Systeme lehnen die Anbetung des bösen Prinzips ab, wie der orthodoxe Mazdaismus, oder auch die der als immanent teufli sch angesehenen Materie, wie die Auserwählten unter den Manicnäern, deren "Hörer" sich mit verschiedenen, mit· unter seltsamen Kompromissen abfanden. Andere dualistische Systeme nehmen die Rechtmäßigkeit oder wenigstens die Unver· meidbarkeit der Herrschaft der bösen Wesen über die sichtbare Welt an und widmen ihnen einen aporropäischen Kult, der sie zufrieden· stellen, abweh ren und gnädig stimmen soll; so bei einer von Pluta rch bezeugten iranischen Magie oder den Bräuchen altaischer Bevölkerungen Zentralasiens, die dem bösen Erlik, dem Gegenbild Gottes, Verehrung entgegenbringen. Bei diesen Völkerschaften findet sich das Extrem, nämlich d ie Vorstellung, die Tätigkeit des Bösen bilde eine Ergänzung zum Tun der Gutes wirkenden Wesen. Er· wähnenswert ist auch der Kult, der von einigen gnostischen Strö­mungen den Archonten gewidmet wurde, die als böse oder wenig· stens niedrige Schöpfer und Herren der kosmischen Welt galten und deren Wohlwollen erfo rderlich war, damit die Seele den von ihnen

,beherrschten sieben astralen Sphären entrinnen und die Freiheit der höheren und göttlichen Welt gewinnen konnte. Es bleib t schließlich noch eine wesentliche Unterscheidung im Bereich der duali stischen Religionen zu erwähnen. Bei den einen gilt das Böse ausschließlidt als die das Gute zerstörende Macht; bei ihnen ist also das Böse zugleich negativ, oder besser: negierend, und posi tiv, da es eine ihm eigentümliche Beschaffenheit besitzt. An dieser wider­spruchsvollen Auffassung ist der mazdaistische Dualismus erkenn­bar, demzufolge sowohl die unsichtbare, spirituelle als audl die materielle oder besser: sichtbare Welt als von Gott geschaffen auf­gefaßt werden. Die sichtbare Welt wird also hier nicht als böse verstanden ; sie wird vielmehr als die endgülti ge und vollständige Äußerung jener Schöpfung betrachtet, die am Anfang al s ein vor· läufiger Entwurf im unsichtbaren, rein spirituellen Zustand ge­schaffen wurde (eine Art Platonismus llulln t III lett re, nur um· gekehrt). Böse dagegen ist im Mazdaismus - mit Ausnahme des echten gathischen Denkens - all es, was von außerhalb der von Gott bewirkten, spirituellen und sichtba ren Schöpfung kommend eben diese Schöpfung verdirbt oder schädigt: böse ist also der seit jeher bestehende Gegengott und böse ist die schlechte Gegenschöpfung, deren König er ist und die mit der Zei t immer ve rheerendere Ein­brüche in die Welt des Schöpfers unternimmt, in Erwartung seiner letzten Endes unvermeidlichen Niederlage. In diese Gegenschöpfung reiht der jüngere, aber auch der klassische, nicht eigentlidl gathische, wahrscheinlich aber schon der vorzoroastrische Mazdaismus nach einem etwas naiven und widersprüchlichen Verfahren jene ani-

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malischen, vegetabilischen und planetarischen Wesen ein, denen man aus irgendeinem Grunde einen bösen und zerstörerischen Charakter zuschrieb. Bei den anderen dualistischen, gnostisch inspirierten Systemen dagegen deckt sich das Böse mit der Materie und der sichtbaren Welt, so im Manimäismus, dem radikalsten dieser Systeme, bei den Bogomilen, den Katharern und in anderen sogenannten Häresien des Mittelalters, die in Wirklichkeit religiöse Manifestationen sind, die skh zum Christentum ihrer Zeit verhalten wie die Gnosis -und auch der Manichäismus - zum Christentum der ersten Jahr­hunderte, und deren religiöse Inspiration nicht nur von der christ­lichen abweicht, sondern auch andere, fremde Wurzeln hat. Dies ist von größter Bedeutung nimt nur für die spekulative Theo­logie und die Ideologie, sondern auch für die Moral und die Askese. Eine dualistisch geprägte, von den oben erläuterten Ideen inspirierte Askese muß sich von einer christlichen Askese nicht nur in den Augen des Theologen und im durchschnittlichen senSllS ch rist ia­/lIlS - , sondern auch im Urteil des Religionshistorikers unter­scheiden. Man denke beispielsweise an die aggressive Armut der Katharer, die als Abwehr einer der Materie immanenten, vom Bösen geschaffenen Teuflischkeit aufgefaßt wird, und im Gegensatz dazu an die franziskanisrne Armut des "Gesangs der Geschöpfe". Hinsichtlich der Geschichte und Verbreitung der dualistischen Reli­gionen und Systeme fällt deren bemerkenswerte Dauer au f, die sich, vor allem im Bereich der gnostisch inspirierten Lehren, wie srnon des anthroposophischen Dualismus der Orphik und der Pytha­goräer, durch die Jahrhunderte und Jahrtausende erstreck t. Diese Tatsache wirft ernste Probleme geschichtlicher Kontinu ität und Zu­sammenhänge auf, Probleme, die übrigens nicht hindern können, dort, wo sie wirklim belegbar sind, ideologische, systemati sche und psychologische Verwandtsmaften zu erkennen, vor allem solche, die sich auf die oben erwähnten Hauptpunkte beziehen. In diesem Zu­sammenhang ist die den gnostisch-dualistisrnen Lehren gemeinsame und mit den anderweitig dargelegten Begründungen zu erklärende Tendenz zu erwähnen, sich ideologismer und systematischer Ele­mente zu bedienen, die jenen Religionen eigen sind , mit denen sie in Berührung kamen oder in deren Gcmeinsmaften sie sich sporadisrn ausbreiteten. Man denke an zahlreime Episoden in der Geschichte der Katharer und ihrer Beziehungen zur ka tholischen Kirche oder an andere weniger bekannte, aber doch bedeutsame Episoden, wie etwa an die Verbreitung der Esoterik der Sabbatais ten und Frankisten im Schoße der jüdischen Gemeinden Osteuropas im 17. und 18. Jahr­hundert, die nur mühsam wieder zurückgedrängt werden konnte.

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EiI}e letzte, die dualistisrne Religionen und Religionssysteme be­rührende Frage betrifft ihre Beziehung zu den Religionen und Systemen, deren Tendenz wir als monistisrn definiert haben. Es muß gesagt werden, daß die bis jetzt erwähnten dualistismen Religionen - Zoroastrismus und Manirnäismus, die Bogomilen, die Katharer usw. - in einer Hinsicht berechtigterweise als mono­theistisch bezeichnet werden können : der Gegengott ist das Gegen­bild Gottes, kein zweiter GOtt (wenigstens im allgemeinen ; wo es eine ausgesprochene Verehrung der Archonten gibt, haben wir es mi t polytheistischen Systemen zu tun, soweit sie Aspekte der synkre­tistischen Religionen der heidnischen Spätantike widerspiegeln). Eine erhebliche Einbuße erfährt ein solcher Monotheismus allerdings durch die nicht-universale Schöpferkraft oder zumindest nicht­universale Herrschaft Gottes. Eine andere, wesentliche Einschrän­kung des monotheistischen Charakters dieser - nicht nur dualisti­schen, sondern spezifisch gnostischen - Religionen liegt, wie wir sehen werden, in deren sta rk emanationistischer Auffassung der Gottheit und ihres Verhältnisses zu der mit ihr konsubstantiellen .plenschlichen Seele - eine Auffassung, die die Merkmale echten Monotheismus: die Transzendenz Gottes angesich ts der Schöpfung und des Mensrnen wie auch das Bewußtsein der Geschöpflichkeit, ausschließt. Jedoch auch in nicht-monotheistischen Religionssystemen sind dualistische Tendenzen anzutreffen : beispielsweise in dem Gebilde von Glaubensvorstellungen und Praktiken, die man al s Orphik zu bezeichnen pflegt; in ihr lebt die gnosti sch-dualistische Gegenüber­stellung von einer göttlichen Seele und einer Materie bzw. einem Leib, der als Gefängnis - in anderen Systemen sogar als Grab -der Seele verstanden wird ; oder in dem sophisch-gnosti schen Monis­mus der Brahmanen und Upanischaden, wo die Gegenüberstellung des trügerismen Vielfältigen und des Einen einen besonders dramatischen Charakter annimmt, wie Geo Widengren schon richtig erkannt hat. Diese letzten Beispiele zeigen und bestätigen, daß die Systeme auf gnostisch-dualistischer Basis nicht unbedingt monotheistisch sind ; daß sie es aber au f ihre Weise wurden, als sie die ihnen inne­wohnende ideologische Kraft nicht mehr im Bereich zusammenhang­lose r polytheistisrner Systeme, wie die griechische Religion der klassischen Zei t, oder schon geeinter Systeme monistischer In­spira tion, wie die der Brahmanen und Upani schaden, entfalten konnten, sonde rn in Verbindung mit monotheis tischen Rel igionen, wie dem Judentum, dem Christentum und dem Islam, der bekannt­lich auch seine Gnosis hatte. Im Grunde ist die Gnosis nu r dann Religion, wenn sie sich auf bestimmte religiöse Gegebenheiten und

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Zusammenhänge stützt. So gab es eine jüdische, eine duistliche, eine islamisdte Gnosis: die Existenz einer heidnischen Gnosis als eines vollständigen und selbständigen Religionssystems ist zweifelhaft. Man könnte die Hermetik anführen, aber auch sie hat etwas vom Alten Testament, abgesehen von der Tatsache, daß ihr Schrift­tum, wie es die vor kurzem erfolgte Entdeckung det Bibliothek von Nag Hammadi zeigt, mitunter mit dem gnostism-duistlichen Schrift­tum in der gleichen Umwelt zusammenlebte. Als heidnisme Gnosis kann, wie gesagt, die sogenannte Orphik angesehen werden, aber diese krankt - trotz der philosophischen Systematisierung im Denken von Pythagoras und Empedokles - an der ganzen In­stabilität der Religion Hesiods und der griechisroen Klassik, auf die sie sim stützt. Nimt versmwiegen werden darf eine besonders bedeutsame Tat­same: wenn auro die Gnosis, jene aller gnostisch-dualistischen Systeme bis zu den Katharern und darüber hinaus - und bis zur modemen Theosophie - sich selbst hauptsächlich in Verbind~ng mit monotheistischen Religionen verwirklichte, so verlor oder ver­leugnete sie doch nie die ihr angeborene, wenn auch durch das dualistische Schema substantiell verwässerte, monistische Tendenz. Der Begriff der Konsubstantialität des menschlichen Pneuma mit dem göttlidlen ist bezeichnend. Daß aufs energischste die radikale Gegenüberstellung von Geist und Materie betont und der Smöp­fungsbegriff zugunsten des Emanationsbegriffs oder ähnlicher Vor­stellungen praktisch geleugnet wurde, hatte zur Folge, daß die Transzendenz, vor allem im Sinn der Unterscheidung zwischen Gott und dem spirituellen Menschen, geringere Bedeutung annahm oder behielt. Die Transzendenz war nimt hauptsächlich eine Angelegen­heit, die einerseits Gott, andrerseits den Menschen ang ing, sie war vielmehr die Transzendenz des Pneuma, des ganzen Pneu ma, hin­sichrlim der Materie. Die endliche Befreiung wurde, wie im Manichäismus, als die Reintegration der zum Teil von der Materi e verschlungenen göttlichen Substanz verstanden, und zwar auf Grund der Vorstellung vom "erlös ten Erlöser" (der Ausdruck ist modern und stammt von Reitzenstein: der göttliche Bote, der im maniehäi­sehen Mythos die eingekerkerten Lichtfragmente ruft, ist im Grunde Gott, der sich selbst erlöst). Und dies ist auch der Reinkarnations­begriff, der verschiedenen gnostischen Strömungen-dem Manichäis­mus und schon der Orphik und dem Pythago räertum - gemeinsam und - wie in der ind ischen Spekulatjon - mit dem Begriff der Läuterung verbunden ist. Wir wollen damit nicht die gebührenden, zum Teil von der ReH­gionspsychologie gezogenen Grenzen überschreiten und uns zu der Behauptung versteigen, die Manichäer oder die Kath arer, die, oft

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unter großer Selbstverleugnung, für den Sieg Gottes über seinen Gegner, für die Behauptung des spirituellen Prinzips, für die Be­fre iung ihres pneumatischen Fünkchens kämpften, hätten die Persön­lichkei t Gottes oder die persönliche Erlösung verneinen wollen. Zu erwähnen ist schließlich die Tatsache, daß trotz ihrer mehr­deutigen Unbestimmtheit die Begriffe, die sich auf die Vorherrschaft des Geistes über die Materie, auf die Unsterblidlkeit des Geistes und auf die natürliche Verwandtschaft mit dem Göttlichen beziehen, eine beträch tliche Rolle in der geistigen Entwicklung jener Zeiten gespielt haben müssen, in denen, wie im 6. und 5. Jahrhundert vor Christus, die religiösen Vorstellungen des Durchschnittsgriechen wohl kaum über eine Schau der Schattenwelt des Hades hinaus­reichten. Es sind jene Zeiten, da in der griechischen Welt die Orphik und die Pythagoräer zusammen mit einigen Mysterienkulten, aber mit größerer Evidenz als diese, die einzige Behauptung der Größe des menschlichen Geschicks darstellten. Die von dem Verstorbenen auf einem der berühmten Grabtäfelchen Großgriechenlands prokla­mierte Behauptung: "Mein Geschlecht ist des Himmels" läßt zwar

~religiös und psychologisch widersprüchl iche Deutungen zu, stellte jedoch stets ein edles Glaubensbekenntnis zur Geistigkeit und Un­sterblichkeit der Seele dar. Kein geringerer als Plato fand in den Ideen und Symbolen der alten Orphik eine Fülle von Anregungen für selne Spekulationen über die Seele und das Jenseits.

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ZWEITER TEIL

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Die Religion und das Heilige

Die Welt der Religion ist eine Welt, die sich dem Wissensroaftler, sei er Historiker, Phänomenologe, Philosoph, Psychologe, Soziologe oder auch Theologe, als schwer zu durchdringen und mitunter ver­wirrend darbietet. Daraus erklärt sich, daß man in den Unter­suchungen, die in diesen Jahrzehnten der Religion und insbesondere der Religionsgeschichte gewidmet waren, häufig zu diametral ep.t­gegengesetzten Standpunkten gelangte, oder vielmehr: von ihnen ausging. Es handelt siro um Theorien, die die Religion in soziale, psychische oder naturalistisroe Phänomene auflösen wollten - man denke an tmile Durkheim, Marcel Mauss, Siegmund Freud sowie, zum Teil, an Carl Gustav Jung und die englischen und amerikani­schen Anthropologen - , aber es handelt sich auch um irrationale Theorien, die das Numinose, da:> Heilige, das Geheimnisvolle und das Furchterregende zu unaussprechlichen, der Rationalität fremden Kategorien des Geistes erheben, so bei Rudolf Orto und teilweise auch bei Gerardus van der Leeuw u. a. Diese Gedankengänge erschöpfen die modeme religionsgeschicht­liehe Forschung keineswegs; wi r werden es noch zeigen. Aber sie zeigen treffend - eben in ihrer Gegensätzlichkeit - den Reich tum und die Tiefe eines Problems, das unter den Geisteswissenschaften wohl nidn seinesgleichen hat. Auch die Welt der Kunst wirft ähnliche Probleme auf. Auch sie bietet, um es mit einem berühmten Ausdruck Rudolf Ottos zu sagen, etwas "ganz anderes" gegenüber der prosaischen Welt des All tags. Aber der Künstler ist, von anderem ganz zu schweigen, im Ver­häl mis zu den ".anderen" ein wenig die Ausnahme, derPriviiegierre, einer, in dem gewisse Akzente der allgemeinen Mensmheit in einer Klarhei t wiederkJingen, die mit den Ausdrucksfäh igkeiten des AU­tagsmensehen recht wenig gemeinsam haben. In der Religion ist es nicht so: der religiöse Mensch ist, wenn wir die Geschichte der Völker betrachten, der gewöhnlime Mensch oder zu­mindest ein gewöhnlicher Mensrn. Wenn die Kunst eine solche räumliche und zeitliche Universalität besitzt, daß man von ihr sagen kann, sie sei mit dem Menschen geboren, dann besitzt die

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Religion außerdem nodt eine "umweltliche" Universalität - eben, weil sie den gewöhnlichen Menschen angeht, genauer gesagt : weil sie nicht an besondere Gegebenheiten gebunden ist, die sie zum Phänomen einer Eli te machen. Und doch is t die Religion auf ihre Weise ebenfalls das Phänomen einer Elite, denn die religiöse Handlung, jene, die vom gewöhnlichen Menschen vollzogen wird. ist im Vergleich zum profanen Tun wirk­lich etwas ganz anderes. Sobald der gewöhnliche Mensch das Heilig­tum betritt oder einen Ritus zu vollziehen beginnt, wird er zu einem Elitemenschen: er wird mit einem heiligen Merkmal begabt, das ihn von den anderen, den profanen Menschen absondert, ja, das ihn von sich selbst absondert, von dem, was er vorher war, und in gewissen Fällen auch von dem, was er nachher wieder sein wird. Heilige Handlungen werden für gewöhnlich nicht von Menschen vollzogen, die dazu nicht qualifiziert sind, und diese Qualifizierung ist sakraler Art ; sie ist es - in gewissen Religionen - auch, wenn sie mit Geld oder als Folge einer bürger- bzw. familienrechtlichen Ernennung erworben wird, wie im Falle der beamteten Priester des 'römismen Heidentums. Bevor in diesen Erwägungen fortgefahren wird, sei dem Smreiben­den eine gewisse Vorsimt geboten und dem Leser empfohlen . Sie betrifft die Notwendigkeit, auf religionsgesrnichtlichem Gebiet die Vermengung von Vorstellungen zu vermeiden, die verschiedenen kulturhistorischen Kreisen angehören. Ebenso ist zu vermeiden, daß diese Vorstellungen auf Grund einer materiellen Anwendung von Begriffen interpretiert werden, die einer bestimmten, klar umris­senen religiösen Umwelt eigen sind. Deshalb brauch t man jedoch nicht in einen pseudo-historischen Relativismus zu verfallen oder die mögliche Objektivität der Interpretation und des Ve rgleichs mensch­licher Phänomene, die verschiedenen geschichtlichen Welten an­gehören, überhaupt zu leugnen. Wenn wir hier von Religion und von sakralen und profanen Mani­festationen sprechen, so offensichtlich deshalb, weil wir - und die geschichtliche und ethnologische Forschung berechtigt uns dazu -an die Nicht-Heterogenität, also an die Vergleichbarkeit, die keine Vermengung, sondern im Gegenteil oft eine genauere und be­g ründete re Unterscheidung in sich schließt, von Phänomenen glauben, die schon der empi risrnen Beobachtung und weiter der wissenschaftlichen Analyse einige typische und in gewisse r Weise gemeinsame oder ähnliche Aspekte darbieten. Und einer dieser Aspekte betrifft die Möglichkeit, bei den verschiedenen Völker­schaften, mit denen Geschichte und Ethnographie uns in Berührung bringen, zwischen heiligen und profanen Verhaltensweisen unter­scheiden zu können.

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Zunächst ist zu fragen, ob die Unterscheidung der menschlichen Ver­haltensweisen in heilige und profane universal ist. Wir werden später die Bedeutung des Wortes "Unterscheidung" sehen, das hier etwas ganz anderes bedeutet als Zerlegung des menschlichen Tuns in hermetisch abgeschlossene Fächer. Wir müssen also fragen, ob nidn der Atheismus, d. h. das Nichtvorhandensein heiliger Ver­haltensweisen, oder der Indeterminismus, d. h. die noch nicht ver­wirklichte Unterscheidung von heilig und profan, als gesch icht­liche Situationen nachweisbar oder rekonstruierbar sind. Was die erste Frage betrifft, so ist klar, daß hier in erster Linie der sogenannte "einfache" Atheismus zu untersuchen ist - jener, der die religiösen Begriffe nicht ausdrücklich negiert, sondern dem sie un­bekannt sind. Die Existenz eines solchen Atheismus ist nicht nach­weisbar; auf Grund der historischen Tatsachen ist sie im Gegenteil auszuschließen. Im übrigen ist diese Frage im Zusammenhang mit ideologisch-systematischen Positionen, die jetzt außerhalb unseres Interesses liegen, wohl mehr als andere erörtert worden. Ins­besondere liegt die Existenz einer atheistischen Phase der Urmensch­heit außerhalb jeder objektiven historischen Perspektive, und eben­sowenig begünstigen die histori schen Tatsachen Mutmaßungen in diesem Sinne, sie widerlegen sie vielmehr. Von beachtlichem Interesse ist auch die Frage nach dem negierenden Atheismus, also die Frage, die sich auf eine bewußte Ausschließung jedes religiösen Gedankens und Erlebnisses bezieht, die persönlich vollzogen oder durch umweltliche Zufälligkeiten erworben oder unter Umständen ererbt werden. Als erstes ist in dieser Hinsicht zu bemerken, daß dieser Atheismus sich stets gegen einen be­stimmten Glauben richtet oder gerichtet hat . Es handelt sich also im allgemeinen um eine persönliche Anschauung, die erst in der Folgezeit und unter bestimmten Voraussetzungen an Koll ektive oder Massen weitergegeben werden kann, entweder vermittels eine r ge­ziehen ideologischen Aktion oder zum Teil auch mittels der drasti­schen Unterbrechung der normalen Kanäle, über die religiöse Lehren und Glaubenstatsachen weitergeleitet werden. Dergleichen Kanäle sind übrigens so viel fähig und in religiöse, soziale und familiäre Ordnungen so eingehettet, daß dieser zweite Weg nur schwer zu endgültigen und voll ständigen Erfolgen führen wird. Sehr wichtig ist auch folgende Feststellung: während ein polemischer individueller Atheismus wahrscheinlich und innerhalb gewisser Grenzen ein in vielen Epochen vorhandenes Phänomen ist (dies sei gesagt, ohne die bekannte Frage vorwegnehmen zu wollen, ob viele sogenannten Atheismen auch tatsächlich welche sind) , läßt sich nicht das gleiche für einen negierenden Massenatheismus sagen. Dieser ist durch Situationen historisch bedingt, die, zumindest bis heute, zufälliger

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Art sind und jedenfalls auf der historisch-ethnischen Ebene keine Ausnahme der Regel bilden, daß es keine areligiöse Völker gibt. Bleibt die zweite Frage: sie betrifft einen möglichen ursprünglichen Indete rm inismus, welcher der Unterscheidung von heiligen und profanen Verhaltensweisen, von undeutlich religiösen und nicht­religiösen menschlichen und kulturellen Instanzen voranginge. Hier gilt es, sich vor einem Mißverständnis zu hüten : die Trennung des Heiligen vom Profanen (z. B. die Abgrenzung heiliger Stätten und heiliger Zeiten, aber noch vorher jene Verwirklichung des qualifizierten Zustandes des religiösen Menschen, auf die wir oben hingewiesen haben) ist nicht abhängig von einerprimitiven Ununter­scheidbarkeit, sondern sie bezieht sich auf die formalen Individua­tionen des Heiligen: sie weiSt al so nicht auf ein zeitliches Vorher, sondern auf eine menschliche Verhaltensweise, die, wie aus der Untersuchung der Tatsachen hervorgeht, jede ethnische Mani­festation der Menschheit sowie auch jene prähistorischen und paläo­ethnischen Manifestationen begleitet, deren Kenntnis uns durch die kulturhi storische Forschung ermöglidtt ist (wir meinen die prä­~histori sdten Funde, die sich nicht nur ausschließlich auf physische und organische überreste beziehen, sondern auch Aufschlüsse über die kulturellen Bedingungen geben können, unter denen die Mensch­heit jeweils lebte und wirkte) . In der Praxis also wäre die vermutete Ununterscheidbarkei t kein prius, sondern liefe ganz einfach auf das NichtvOrhandensein des religiösen Faktums hinaus: also auf den niemals feststellbaren "einfachen" Atheismus, von dem oben die Rede war. K~hren wir also zu dem Begriff zurück, von dem wir ausgegangen sind : zum Begriff des Heiligen . Er ist in der religionsgeschichtlichen Forschung große Mode, seitdem die irrationalistische Schule und besonders das berühmte Buch von Ruclolf Otto ihn fast zum Haupt­charakteristikum religiöser Phänomene gemacht haben . Dieses Phänomen ist von Ono und seiner Schule mittels eines Reduktions­verfahrens, das eine gewisse method ische Verwandtschaft mi t dem von Tylor angewandten Verfahren (siehe Einleitung) aufwei st, ob­wohl er von diametral en tgegengesetzten geistigen Voraussetzungen und religiösen Empfindungen ausgeht, in seiner Wesenhaftigkeit "beschrieben" und gleichsam du rch "Selbstbeobachtung" ,..erschaut" worden, und zwar mit Hilfe anderer Begriffe oder l:lesser : ähnlimer "Erfahrungen" wie: numinos, fllscincms, tremcndum usw. Dieses Verfahren ve rdient, daß wir bei einigen Erwägungen memo­dologismer und religionspsychologischer Natur venveilen. Wie jede andere Reduktionsmethode bringt das Verfahren, das zurCharakteri­sierung der religiösen Phänomene als Erlebnis des Heiligen geführt hat, sogleich eine Gefahr mü sich: die Gefahr, von der Konkretheit

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und Gesamtheit der jeweiligen Situation abzusehen und die formalen Umstände, irgendeine psychische oder auch eine spezifisch religiöse Konstante der untersuchten Tatsachen zu erfassen, nicht aber zu einer erschöpfenden Analyse der Tatsachen, nämlich zu gar keiner Analyse, zu gelangen, geschweige denn zu einem letzten Ver­ständnis. Mit anderen Worten: das "Heilige an sich" als mit Worten kaum zu fassende Kategorie des Geistes oder als abstrakte Ver­haltensform, die ungerechtfertigt und nicht zu rechtfertigen ist gegenüber allem, was nicht passive Konstarierung seiner Gegenwart ist, gibt es nicht. Es gibt im Menschen kein awe (religiöse Ehrrurdlt) - um eine von Ouo oft verwendete Bezeichnung zu benutzen - an sich, es gibt nur awe vor jemanden oder vor etwas. In ihren theoretischen Aussagen ist die Schule von Otto dit'ser Ge­fahr tatsächlich nicht ganz entgangen; denn ihre Aussagen betreffen nicht so sehr Art und Beschaffenheit des religiösen Faktums als seine psychischen oder zumindest einen Teil seiner psychischen Begleit­umstände. Wir wollen hiermit die Tragweite der Erfahrung oder aes Innewerdens, des Numinosen, der awe usw. im Bereich der religiösen Manifestationen, zu deren Lebendigkeit solche "Gefühle" gehören, nicht vermindern . Bestritten wird lediglim, daß eine solche Er­fahrung oder ein psymischer Umstand dieser Art abstrahiert und zu einer Gesamtqualifikation des religiösen Faktums erhoben werden kann: daB also das religiöse Faktum sich in der Erfahrung des Numinosen, im Heiligen erschöpft, wie Otto es definiert oder besser : beschrieben und in gewissem Sinne erschaut hat. Hinzu kommt, daß auch die der spezifischen Erfahrung des Numinosen zue rkannte Uni­versalität, so wie Otto sie auffaßt, Probleme aufwirft ; denn ihr haftet ein Empfinden protestantisch-romantischer Prägung, aber eher noch völkisch-germanischer Eigenart an. Ein Empfinden also sehr spezifischer Art : z. B. entsprach es einesteils den rein irrOltionalisti­schen und synkretisti schen Neigungen des Modernismus latein­katholischer Herkunft - Ernesto Buonaiuti übersetzte" Das Heilige" von Otto - , andererseits war es nich t einmal mit ihnen völlig ver­einbOlr, wie Buonaiuti selbst in seinem Vorwort zugeben mußte. Das Problem wird also vor allem darin bestehen, in der vergleichen­den Untersuchung der religiösen Tatsachen sowohl jede Materiali­sierung und willkürliche Reduzierung Oluf eine Einheit zu vermeiden, die nur anOllogisch und rel ativ, d. h. historisch wie lehrmäBig ver· ankert sein kOlnn, als amn jede Rückführung auf ein Minimum, das nicht immer das Wesentliche ist, also mit anderen Worten : jede Zerstückelung auszuschließen. Ferner hat jede Religion ihre Kom­plexität - je nach dem Kulturstand der Gemeinsmaft, der sie zu­gehört - und ihre Totalität; das bedeutet, daR sie einen mehr oder minder integrierten Komplex bUdet, der in seiner Gesamtbeschaffen·

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heit beurteilt werden muß. Aus diesem Grunde geht es vor allem und in erster Linie, wie schon in der Einleitung gesagt wurde, um die Untersuchung und den Vergleich von Religionswelten. Nur auf dieser Basis können also die religionsgeschichtliche For­schung und die Religionsphänomenologie den Versuch unternehmen, eine möglichs t große Anzahl von Aspekten jenes quid zu identifi­zieren, das der objektiven Beobachtung gestattet, von gewissen Tat­sachen als von "religiösen" zu sprechen. Uns will scheinen, daß ein erster und besonders augenfälliger Aspekt dieses religiösen qllid in der inneren Einstellung und den äußeren Verhaltensweisen zu erkennen ist, die - um auf einen, wenn auch in teilweise anderen Zusammenhängen von Mircea Eliade geprögten Ausd ruck zurückzugreifen - auf einen "Bruch der Ebene" (rup/ ure de nivea u) hinauslaufen. Mit anderen Worten, uns will scheinen, daß ein erster Aspekt des religiösen qllid in der Herstellung einer nicht sich tbaren, aber mitunter erfahrbaren Beziehung zu einem Oben (supra) und einem Vorher (prills), die als die Grundlagen der Existenz selbst der Welt angesehen werden, erkennbar ist. Das supra

.. betrifft das oder die Wesen, die als transzendent oder jedenfalls an Macht und Hierarchie über dem Menschen stehend angesehen wl!rden. Das prills betrifft das oder die Wesen, die als die uranfäng­lichen Triebkräfte jener Geschehnisse gelten, die zur jetzigen Ord­nung des Kosmos gefüh rt haben und noch immer Verehrung ge­nießen oder einfach angerufen werden. Diese beiden Gruppen von religiösen Beziehungen - die zum supra und die zum prius -schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich meist oder decken sim. Das oder die Wesen, die arn Anfang der Welt wirkten, haben noch Mamt über sie, obgleich der Grad ihres Eingreifens und ihrer Präsenz, wie auch die materielle und psychische Intensität der ih nen entgegengebrachten Verehrung sehr unterschiedlich sein kann. Die rllpl ure de lliVeall kennzeichnet gut die Sonderstellung des reli­giösen Menschen, der, wie gesagt, der Weltlichkeit entzogen und in einen Zustand religiöser Qualifizierung versetzt wurde, die einen solchen Bruch zugleich verwirklicht und kundtut. Andererseits ist ein solcher Bruch eine Fühlungnahme - in gewissem Sinne eine Vereinigung - mit dem Sllpm und dem prills, Das gleiche gilt für die religiösen Handlungen und Zeremonien; auch diese verwirklichen eine rup/ure de niveau hinsichtlich der profanen Verhaltensweisen. Sie macht diese den letzteren un­angleichbar, auch wenn es, besonders bei weniger bekannten Reli­gionen, nicht immer leicht sein wird, die genaue Grenze zwischen den beiden Verhaltensordnungen deutlich werden zu lassen. Es wäre übrigens schwierig, diese Grenze richtig einzuschätzen, wenn man

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über die ebenso wühtige Tatsache hinwegsehen wollte, daß auch hier, einem berühmten Ausdruck zufolge, die Unterscheidung "der Einigung dient". Recht selten sind beim religiösen Menschen die natürlichen Verhaltensweisen, die keine religiöse Weihe, d. h. keine - in dem oben erwähnten allgemeinen Sinn - transzendente Funk­tion haben. Geburt und Heirat, Essen und Wohnen, das Wohl der Stadt und das Gedeihen des Feldes, die wirtschaftliche Entwicklung und das überleben in Notzeiten, kurz: alle existenziellen Si tuationen des menschlichen Lebens sind mit religiösen Verpflichtungen ver­bunden oder können es wenigstens sein. Deshalb verwirklicht die TI/p tl/Te de niveau, die Trennung vom Pro­fanen, im Menschen keine hermetisch abgeschlossenen Bereiche, sondern eine höhere Einheit: die Vereinigung mit dem su.pra und dem prills, jene Einheit und Harmonie, jene pax deomnJ, nach der auf verschiedene Weisen die der menschlichen Veranlagung inne­wohnende Kontingenz strebt; nach der, um einen christlich gefärbten Ausdruck zu verwenden, die kreatürliche Beschaffenheit des Men­schen verlangt. Aber die Unterscheidung und Vereinigung verwirklicht sim nicht ohne Spannung: also nicht ohne etwas, das eine entfernte Ähnlich­keit hat mi t jener Anziehung und Abstoßung des Heiligen, auf die die irrationalistische Schule die Aufmerksamkeit gelenkt hat, wo­bei sie sie dennoch - nimt mehr und nicht weniger als das Heilige - auf der Ebene eines rein psychologischen Faktors beläßt. Die Spannung, eben die rupture de niveau, gehört zum eigentlichen Wesen der religiösen Beziehung zum supra oder zum priu.s. Die religiösen Belange sind verpflimtend, oft hart, mitunter aufrüttelnd in ihren inneren oder äußeren Umständen ; verpflichtend und hart nicht weniger - ja, sogar in noch stärkerem Maße - als andere Lebensbelange, denen der Mensm von Natur aus mehr noch als ihnen unterworfen ist. Auch schwächt sich dieser Wesenszug nicht leicht ab, nicht einmal in jenen Religionswelten, welche die reli­giösen Beziehungen am engs ten denen des do ut des angenähert haben. So pflegt man zum Beispiel in den Agrarkulten bei gewissen Naturvölkern und in der damit verbundenen Hinwendung der Schwerpunkte des religiösen Interesses zu Erd- oder Vegetations­geistern oder -gottheiten einen unmittelbareren Bezug der Religion zu den dringenden und in gewissem Sinne zwingenden Notwendig­keiten des jahreszeitlichen Kreislaufs zu sehen: eine Notwendigkeit, gleichsam die Religion den Dringlichkeiten einer vom Ackerbau ab­hängigen Lebensweise dienstbar zu machen. Und doch bedeutet dies nicht immer, daß jene Völker sich eine bequeme Religion geschaffen haben, im Gegenteil: ihre Götter und Geister sind außerordentlich anspruchsvoll, die Praktiken schmerzhaft und blutig.

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In den höheren Religionen verwirklicht sich die Spannung durch vorwiegend innere Manifestationen. Die Begriffe von Trennung und Vernichtung, der Begriff "Welt" (der an sich keine dualisti­schen Inhalte - im oben definierten Sinne - hat, sich aber gerade auf die Spannung zwischen dem Sichtbaren und dem Transzenden­ten, dem Profanen und dem Religiösen bezieht oder beziehen kann) liefern, obwohl durch die Lehre bedingt - wir denken hier haupt­sächlich an den christl ichen Gehalt dieser Termini - , doch die Mög­lichkeit, sich von irgendeiner Seite her wieder jenem Begriff der Spannung zu nähern, der in der Transzendenz des Religiösen im­plizit enthalten ist .

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Die psychischen und sozialen Begleitumstände

Es gilt nun, die Modalitäten jener TuptuTe de niveau zu untersuchen, auf die im vorigen Kapitel hingewiesen wurde, und ihren Sinn ge­nau zu bestimmen. Es war oben von den naturalistischen und insbesondere von den psychologischen und soziologischen Schulen die Rede. Auch für alle diese Schulen könnte der Ausdruck rupture de niveau in gewisser Weise annehmbar sein, freilich mit ganz anderen und spezifische­ren Bedeutungen, als wir sie auf den vorhergehenden Seiten dar­gelegt haben. Der Begriff der Sublimierung, dessen sich die Psychoanalyse oft be­dient, um gewisse Phänomene zu erklären, die auch im religiösen Bereich auftreten, ist auf seine Weise eine ruptllTe de niveau. Und das gleiche läßt sich von jenem Postulat der französischen soziolo­gischen Schule sagen, d ie in der Religion und ihrer Transzendenz die Transzendenz der Gesellschaft und des Sozialen hinsichtlich des Individuums sieht - jenes Sozialen, in dem di e Ursprunge des reli­giösen Faktums verwurzelt seien und aus dem die Religion die Merkmale ihrer Erhabenheit, Großartigkeit und Zwangsläufigkeit beziehe. Dies ist nicht der Ort für eine kritische Darlegung dieser Systeme, die übrigens schon mehrmals und ausführlich erfolgt ist. Hier geh t es nur darum, kurz zu zeigen, wie sich der Begriff ruplure de niveau in den Postulaten der Psychoanalyse und der soziologischen Schule nicht verwirklicht. Die Sublimierung sowie jene Begriffe, mit denen sie verbunden ist, können auch auf dem Gebiet des Profanen gültig sein und sie sind es tatsächlich ; sie betreffen nicht allein die Besonderheit des reli­giösen Faktums. Ferner: die auf jene Begriffe bezüglichen Tatsachen

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erschöpfen sich im Individuum; sie sind nimt dazu angetan, soziale Fakten zu werden, da sie nicht allein und unmittelbar, wie es für die Gültigkeit der Theorie notwendig wäre, im Fall der Volksreligionen die ethnische Aktivität oder im Fall der gestifteten Religionen die Aktivität religiöser Gemeinschaften bedingen, die in ihrem Schoße verschiedene Individuen untersdüedlicher und mitunter gegensätz­licher psychologischer Beschaffenheit aufnehmen. Mit anderen Worten: sie können einen psychologischen Umstand der rIIpture de niveau betreffen, aber sie verursamen diesen Bruen nicht, und erst recht nicht qualifizieren sie ihn im religiösen Sinn. Ähnlien ist der Einwand, der gegen die soziologische Erklärung Durkheims zu erheben ist: das soziale Faktum bestimmt nicht die Eigenart des religiösen Faktums, also kann dieses nicht durch jenes erklärt und aufgelöst werden. Es gibt auch bei Naturvölkern soziale Begriffe, Fakten und Institutionen, die nicht deswegen allein schon unbedingt religiös sind, und eine phänomenologische Gleichstellung von der "Erhabenhei t" der sozialen Institution, jeder sozialen rn­stitution, und der "Erhabenheit" der religiösen Institution wäre nur ein Apriorismus. Tatsache ist, daß die gegenseitige Durendringung beträchtlidl ist und daß in vielen und verschiedenen Fällen jede soziale Manifestation nach einer religiösen Kennzeichnung, ja bei­nahe Weihe strebt: dies gehört zu den oben dargelegten Begriffen. Aber dergleichen Verbindungen existieren nient nur für die sozia­len, sondern auch für die ideologisch bedingten Aspekte des reli­giösen Glaubens und Lebens (religiöse Motivierungen der Vorstel­lungen vom Menschen, vom Kosmos usw.). Sie betreffen ganz all­gemein jede menschliene kulturelle und existentielle Manifestation, und sie hängen von der der religiösen Weltanschauung innewoh­nenden Totalität ab, die in einer einheitlichen Schau - auch da, wo unterschieden wird, was Gottes und was des Kaisers ist - alle exi­stentiellen Belange des Menschen weiht und heiligt : dazu gehört die Tendenz zur Gemeinsmaft, also die Gesellschaft in ihren ver­schiedenen Formen, seien es jene, die unmittelbar naturgegeben sind wie die Familiengesellschaft, deren Primärcharakter ethnologisch fests teht, seien es die anderen, die stärker von spezifischen kulturel­len Situationen bestimmt sind. Dies bedeutet nicht, daß nicht aum die sozialen Formen und Ord­nungen ihrerseits auf die Ideologie in ihren verschiedenen - reli­giösen, kosmologischen, mythologischen usw. - Aspekten Einfluß genommen haben. Es würde genügen, an gewisse Theorien zu er­innern, die sich auf die kosmische Ordnung beziehen, sei es auf hierarchischer (die Gottheit in königlichem Ornat), kosmologischer (Raumordnung gemäß der Lagerordnung) oder mythologischer Ebene (z. B. die beiden Urwesen, welche der zweigleisigen Organi-

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sation m.:mrner Gesellsmaften entsprechen) . Aber aum in diesen Fällen ist jcdesmal nachzuprüfen, ob nimt auch das Gegenteil mög­lich ist - also ein Einfluß der Ideologie auf die sozialen Ordnungen, etwa wenn d ie kosmologismen Bezeichnungen - der Mittelpunkt und die vier Himmelsrichtungen - im König und seinem Thron und in seinen Würdenträgern personifiziert werden i oder wenn Machtbefugnisse und Legitimität der Könige den göttlichen nach­gebildet und ihnen verbunden sind: man denke an die Bezeichnun­gen der himmlischen Titulatur der turko-mongolischen, chinesismen und iranismen Herrscher, Bezeichnungen, die in deudichem Bezug zur himmlismen Natur der jeweiligen Gottheiten stehen. (Ein an­deres Beispiel : man mag noch so sehr auf der Bezeichnung "myke­nisch" für den Hof der olympischen Götter bestehen, der in man­chen Aspekten den Höfen des vorhomerismen Griechenland nur all­zu sehr gleicht; aber auf Grund des himmlismen Charakters des Zeus und seiner Zugehörigkeit zu einem ganz bestimmten Typ himm­lischer Herrscn.erwesen wird seine Rolle niemals auf die Projektion irgendeiner mykenischen Herrsmergestalt zurückzuführen sein.) Einen in gewisser Weise mittleren Standort J;wischen der soziolo­g ischen Sdlule von Durkheim und der irrationalistischen Schule -die sich ebenfalls auf den Begriff der rupture de niveau berufen könnte - nimmt die Theorie von Lucien Levy-Bruhl ein, deren Kcmgcdanken der französisme Philosoph "Prälogismus" nannte. Diese Bezeichnung hat inner- und außerhalb der ethnologisdten Wissenschaft einen ungeheuren Erfolg gehabt und eine ebensolche Verbreitung gefunden, obwohl sie in den letzten Arbeiten von Uvy-Bruhl selbst als ungenau und QueUe von Mißverständnissen abgelehnt wurde. Dies hat nicht verhindert, daß sie in Laienkrei­sen weiter verwendet wird, um etwas verworren gewisse religiöse Ta tsachen oder mythische Vorstellungen zu bezeichnen, die im Be­reich der primitiven Völkersmaften, aber nimt nur dort, auf Wahr­nehmungen des Wirklichen gegründet scheinen, die dem positivisti­schen Denken oder dem durchschnittlichen Verstand der Menschen von heute heterogen sind und als minderwertig verstanden werden. Diese Meinung berücksidltigt nicht, wor3uf smon der späte Uvy­Bruhl sowie andere Forsmer, welche dieser Problematik in mehr oder minder engem Ansmluß :m seine Schemata kürzlich nachge­gangen sind, hingewiesen haben: daß es nämlich nicht möglich ist, d ie primitive Mentalität als eine der modemen Mentalität zeitlich unbedingt vorangehende zu definieren - eine primitive Mentali­tät, die als dynarnismer Faktor mehr oder minder aus den zivili­sierten Gesellschaften versmwunden sei und als solcher nurmehr in der Welt der " Wilden" oder allerhöchstens in der Welt der Folk-

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lore weiterlebe. Statt dessen ziehen diese Forsdter es vor, von zwei Mentalitäten zu sprechen, die in jedem Mensdten zusammenleben - ganz gleich, welcher Zei t oder welchem Volk er angehört - und die einander gewissermaßen im Gleichgewicht halten . Wenn manche, z. B. van der Leeuw, weiterhin von primitiver und moderner Men­talität sprechen, so geschieht es nur in Verbindung mit der Tat­sache, daß die Manifestationen der ersten besonders in der primi­tiven Gesellschaft und jene der letzten bei den modemen zivilisie r­ten Gesellschaften augenfällig sind . Ehe wir uns fragen, ob unser Begriff von der rupture de niveau mit dieser dualistischen Theorie von der menschlichen Mentalität in irgendeinem Zusammenhang steht, sollten wir überlegen, warum und wie eine Formulierung wie die von LCvy-Bruhl, einem fran­zösischen Philosophen positivis tischer und rationalistischer Tradi­tion und soziologischer Schulung, bei einigen Vertretern der irra­tionalistischen Schule so großen Anklang finden konnte.

• Der Grund ist offenkundig. Jene Unterscheidung, die Levy-Bruhl vom Standpunkt seiner cartesianischen Logik aus machte, und sein Bemühen um Einsicht waren geeignet, sich trotz allem - vor allem trotz der radikalen Fremdheit des jeweiligen religiösen Empfindens - mit jener Unterscheidung zwischen numinos und rational, mit jener Trennung zwischen Gefühl und Vernunft zu begegnen, die jede irrationalistische Deutung des religiösen Faktums sich zwangs­läufig zu eigen machen muß. Und nachdem die irrationalistische Schule die negative Bedeutung, weldte die positivistische Ethnolo­gie in die Bezeichnungen "prälogischN

, solange diese in Ehren stand, und "primitivH gelegt hatte, einmal ausgeräumt hatte, be­stand für sie kein Grund mehr, sich über diese Term ini aufzuregen, um so weniger, als die von ihr durchgeführte phänomenologische Analyse das Vorhandensein von primi tiven Verhaltensweisen und Gefühlen im Schoße der moderne ren Zivilisationen nachzuweisen sdlien. Wer darangeht, die Behauptungen, die kategorisch und grundsä tz­lich das Primitive oder das Numinose und das Moderne ode r das Rationale voneinander trennen, kritisch zu durchleuchten, der ge­rät automatisch in Konflikt sowohl mit den Positionen des Irratio­nalismus als auch mit jenen, die in irgendeiner Form an Levy-Bruhl anknüpfen. Für den, der sim die letzten philosophischen Voraus­setzungen, auf die diese Positionen sich letztlich gründen, vergegen­wärtigt, ist dies eine ganz natürlime Tatsame. Mir will jedoch smcinen, als ob schon auf der unmittelbareren Ebene der religions­geschichtlichen Problematik die Diskussion meh r als nötig durch den sofortigen Vorwurf des Rationalismus - nicht im theologischen, sondern im gnoseolog ischen und psychologismen Sinn des Wortes

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- gestört wird , den diese Kritik an Levy-Bruhl und an den Irratio­nalisten alsbald bei denen auslöst, welche sich die Deutungen dieser Forscher zu eigen gemacht haben. Wenn wir weiterhin von der Diskussion um die letzten philosophi­schen Voraussetzungen absehen und uns auf das Gebiet einer ersten Erörterung und Deutung des ethnologischen und religionsgeschicht­lichen Materials beschränken, so scheint mir die Feststellung erlaubt, daß ein solcher Vorwurf an sich nicht berechtigt ist. Das gilt selbst dann, wenn er durch polemische Behauptungen und gewisse Inter­pretationen ethnisch-religiöse r Tatsachen erleichtert wird, in denen Begriffe wie Kausaldenken, Rationalität usw. übertrieben oder bes­ser: ausschließlich benutzt oder vergegenständlicht sind. Mit :lOde­ren Worten: es ist zweierlei, ob man den Prälogismus kritisiert oder zur Interpretation der religiösen Tatsachen und der Mythen das Kriterium eines Logizismus verwendet, der Kategorien und Deu­tungssys teme einführt, die außerstande sind, die Tatsachen in ihrer Komplexität und Vielfalt sowie in ihren geschichtlichen und psychi­schen Situationen wirklich zu erfassen (vg!. dazu unter anderem ,den Anhang). Von demselben Gesichtspunkt aus ist aber - zusammen mit dem logi­zismus oder Rationalismus im obigen Sinn - auch die prälogistische Deutung der primitiven religiösen Tatsachen zu kritisieren. Es geht nämlich nicht an, die religiösen und psychischen Fakten, die mit der profanen Erfahrung von heute unvereinbar erscheinen, in eine unter­schiedslose prälogisdlc oder partizipative Kategorie zu verbannen: denn wer das täte, würde in einen naturalisti schen Psychologismus zurückfallen. Es geht vielmehr darum, jede einzelne dieser Tat­sachen in ihrem objektiven Zusammenhang zu analysieren . Ebenso wie es verfehlt wäre, was alle anerkennen, auf die eine Seite die Primi tiven und auf die andere die Modernen zu stellen, wäre es auch verfehlt, im Bereich der Menschheit a.ller Zeiten zwei Denk­formen, ja fast zwei geistige Welten scharf voneinande r zu tren­nen: die logische und die pa rtizipative oder - wie sie auch genannt wird - die mystische oder - im phänomenologischen, nicht chrono­logischen Sinn - die primitive. Sonst müßte man erklären, wie es kommt, daß der den primitiven Kulturen angehörende Mensch so mühelos von einer Denkform zur anderen hinüberwcmselt, ohne auch nur jene möglichen Unstimmigkeiten zu verspüren, die der moderne Mensch, der den vielfältigen Verlockungen der verschie­denen Kulturströmungen ausgesetzt ist, unter Umständen in der inneren Harmonie seiner Welterfahrung fühlen kann . Denn nie­mand würde behaupten wollen, es fehle dem primitiven, d. h. hier dem unkultivierten Menschen an dem, was Levy-Bruhl Rationalität nennt.

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Der Primitive, der sog. "Wilde", ist ein einheitlicher Mensch. und seine religiöse und profane Welt sind vollkommen integriert. In ihl bewegt er sich. ganz unbefangen; die Verbindung ist so vollkom­men, daß ihre Trennung auf der psych.ologisdten Ebene ein wahret Apriorismus wäre. Im übrigen ist die völlige Integration, dic im allgemeinen zwisch.en sämtlich.en geistigen und materiellen, ratio­nalen und partizipariven Elementen der primitiven bzw. niederen Kulturen besteht, durch. die Untersuchungsergebnisse der funktio­nalistisch.en Schulen, die die Funktion der einzelnen Kulturelemente im Bereich der verschiedenen Kulturen festzustellen versuchen, bei zahlreichen Gelegenheiten deutlich. geworden. Allerdings bedeute1 die Feststellung einer Funktion noch. keine Erklärung ihres Ursprung~ oder ihre wissenschaftliche Deutung; und hier liegt die Grenze die­ser Untersuchungen. Als unleugbares Verdienst bleibt aber, dazu beigetragen zu haben, den Begriff einer integrierten kulturellen Umwelt zu vertiefen und den Zusammenhang ihrer einzelnen Be­standteile sowie die Funktion eines jeden aufzuzeigen. AbschlieRend ist zu sagen, daß sich eine Unterscheidung zwischen heiligen und profanen Verhaltensweisen nicht auf die Ebene deI naturalistischen Bestimmungen, so wie sie sich aus der rein psycho­logischen Boohamtung ergeben, grunden läßt; ehensowenig kann man das Wesen des Heiligen, das Wesen der religiösen Tatsamen, auf der Ebene einer rein psychologismen Analyse erkennen, die be· strebt ist, zwischen logismen und partizipativen Geisteshaltunger zu untersmeiden. Eine thoorerisme Position, die sich dem Naturalismus in der reli· gionsgeschimtlimen Forschung widersetzen will, ist kürzlim ir einigen historistisch inspi rierten italienischen Abhandlungen, dil das Thema dieser Seiten betreffen. eingenommen worden. Eine die· ser Theorien erklärt die Hierogenese mit Hilfe der - psychologischer

... -- ' - Gegenwart, in der die Existenz des Einzelnen lebensgefährlid bedroht ist: diese Bcdrohung verwirklicht sich entweder - wobei c! zu Spaltungserscheinungen, die Entäußerung und Verlust der Ge­genwa rt zur Folge haben, also zu pathologismen Ersch.einunger kommt - , oder aber sie wird ausgeglichen oder abgewendet mittel! einer Technik des Zurückgewinnens, aus der eben jene Hierogenese d. h . der Ursprung der Religion, entstehen soll. Diese wäre also Zl

definieren al s Technik der Erlösung aus einem Chaos, das im Be· reim der Gegenwart droht: das Heilige wäre so Gegengewimt uni sogar Garant des Profanen in dessen Krise, angefangen mit der Krisen des Kreislaufs von Wirtschaft und Produktion. Oie Religior hätte infolgedessen eine enthistorisierende Funktion des Ausgleim! und der Errettung aus den die Existenz bedrohenden geschidttlicher

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Gefahren, und dies eben im Bereich einer über-Geschichte, in der solche Gefahren auf paradigmatisme Weise abgewendet würden. Um nun diese Begriffe konkret, also in Beziehung zu den religiösen Tatsachen, zu bestimmen, bezieht sich die betreffende Theorie auf eine Rcihe klassischer Ausdrücke jener irrationalistisch-phänomeno­logischen Schule, die sie andrerseits im Namen eines absoluten Historismus kritisiert. Mit anderen Worten: Fundament der Theorie von der Hierogenese ist noch immer jene Beschreibung der religiösen Tatsachen auf phänomenologisch-psychologistischer (häufiger para­psychologistischer) Grundlagc, bei der die irrationalistische Schule mi t ihrem protes tantisch-romantischen Empfinden so gerne aber auch so ausschließlich verweilt hat. Aber wenn die Religion sich in dem ganz anderen, der awe, dem es spukt nicht erschöpft? (Sie tut es tatsächlich nicht, vgl. das vorige Kapitel.) Also wenn sie sich nicht mit diesen Erfahrungen, wie die Irrationalisten wollen, iden­tifiziert und auch diese Erfahrungen nicht zurückgewinnt, wie die in Frage stehende Theorie behauptet? Und wenn die Eigenart des religiösen Faktums, aller Fakten, ja, des gesamten religiösen Fak­

, turns sich in jener psychologischen Gegebenheit - Abstoßung des Heiligen und seine geheimnisvolle Anziehung -, in die eine solche Theorie ihre Technik der überwindung der Gefahr des Nichtdaseins cinmünden läßt, nicht erschöpft? Die objektive - und auch heuri­stische - Unvollständigkeit der von der irrationalistisch-phänome­nologischen Schule durmgeführten Analyse wirkt sich unweigerlich auf die Analyse und dann auch auf die Synthese jeder, aum der scheinbar historistischen Interpretation aus, die auf ihr fußt. Und vor allem : jedwede histo ristische Position steht auf Kriegsfuß mi t dem Naturalismus und Psychologismus und unterstreicht die geschichtliche Bedingtheit der religiösen Tatsachen. Bleibt jedoch, daß das sta.rre Schema Angst-Krise-Errettung, wenn es als univer­sal erschöpfend und daher ausschließlich dargestellt wird, selbst eine Deutung von psychologistischer und naturalistischer Beschaffenheit ist. Gewiß können die histori schen Umstände, die ein solches Schema hervorbringen, verschieden sein und in ihrer konkreten Vielfalt untersucht werden, es bleibt jedoch, daß der Kern der Theo­rie ein beständiger Appell an eine stets gleiche psychologische Reak­tion: die Krisis der Gegenwart, ist. Diese Reaktion, mögen ihre Umstände noch so unterschiedlich sein, unterliegt einer memani­sehen, allgemeinen, naturalistischen Notwendigkeit. Denn : entweder ist besagtes Schema in sämtlichen möglichen geschichtlichen Einzel­situationen gerade auf naturalistische Art determini stisch zwingend oder aber es verlangt nach einer weiteren Erklärung des Phänomcns, die also nicht mit der einfadten Bestimmung jener Umstände zu· sarnmcnfällt, die in den ve rschiedenen vorliegenden Fällen die Tech-

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nik der Errettung aus einer gegenwärtigen Gefahr ausgelöst und so jene religiöse Tatsache hervorgerufen hätten. In der ersten Hypothese, die sich besagter Theorie wirklich anzu­passen scheint, verflüchtigt sich - und könnte gar nicht anders -gerade die religionsgeschichtliche Wirklichkeit des Faktums. Es wird wohl in einigen Umständen seiner Entstehung geklärt, aber restlos wird es weder erklärt noch als Problem gelöst: ja, es kann nicht einmal mehr in seinem So-sein erreicht werden. Etwas, das auch im phänomenologischen Irrationalismus geschah, der übrigens, wenn er auch mitunter geschichtliche Tatsachen und eigene Erfah­rungen vermengte, das Problem nicht aus der Welt schaffte, obgleich er der Ansicht war, es erledigt zu haben. Abschließend möchten wir sagen, daß das religiöse Faktum nicht auf seine psychischen oder sozialen Begleitumstände zurückgeführt werden kann . Das religiöse Faktum, alle religiösen Fakten ereig­nen sich in ganzheitlicher Fülle in einer Welt, zu der als integr~er­tern Ganzen Ideen, Empfindungen, Glaubenstatsachen, Riten und Institutionen gehören. Wie gesagt wurde, gibt es keine awe (ehr­fürdltige Scheu) ohne ein Objekt, auf das dieses Gefühl sich bezie­hen kann; kein Heiliges ohne übermenschliche Wesen oder WeSf.:n­heiten ; keine Erlösung, die nicht diese oder jene Weltanschauung voraussetzt (wobei unter Weh eine weitgespannte Skala von Be­griffen verstanden wird: vom universalistischen Begriff des Kos­mos bis zum bescheideneren einer existentiellen Umwelt) und die nimt diese oder jene Anschauung von der in ihr herrschenden Ord­nung und von den Wesen, die in ihr leben oder sich in ihr manife­stieren, voraussetzt. Aus diesem Grunde muß die Geschichte der Religionen - oder der Religion - auch die Geschichte dieser ver­schiedenen Elemente und ihres Gleichgewichts sowie ihrer Integra­tion innerhalb verschiedener Kulturwelten se in. Die religionsge­schichtliche Forschung muß, durm den Vergleich, die möglichen Kon­stanten dieser verschiedenen GleichgewidHe festzustellen versuchen .

111.

Das Oben und das Vorher

Die religiöse rIlpture de niVCQll zum Oben (supra) und zum Vorher (prius), die eine - generische - Form der Transzendenz, d. h. eine religiöse Anschauung des Weltbildes verwirklicht, deckt sich mit der Transzendenz des Heiligen angesimts des Profanen. In Wirk­lichkeit ist die Welt des supra und des prius, auf die die religiöse Weltanschauung Bezug nimmt, unreduzierbar hinsichtlich der Welt

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des Profanen, auch wenn sie, wie gesagt, mit ihr existentiell ver­bunden ist. Wir wollen nun versuchen - wenn auch nur im allgemeinen - die Beschaffenheit dieser Begriffe zu bestimmen. Das religiöse prius ist kein einfaches historisches prius oder nur in einem von der üblichen Bedeutung abweichendem Sinn. Die Ge­schehnisse der Uranfänge, die die Welt begründeten oder durch die sie ihre jetzige Gestalt annahm, gleichen nicht den alltäglichen Ge­schehnissen: a) sie sind in der Obergeschichtlichkeit verwurzelt und beziehen sich unmittelbar auf die Gestalten der urzeitlichen Wesen; b) sie haben ein im Hinblick auf sämtliche Geschehnisse, die sich im jetzigen Verlauf der Geschichte ereignen, einzigartigen definito­rischen Wert. Wir ziehen die Bezeidmung "definitori sch" den Bezeichnungen "pro­totypisch", "paradigma tisch" und "expressiv" vor, weil sie besser den Tatsachen entspricht und weil es ungerechtfertigt wäre, die hei­ligen Erzählungen stets auf eben prototypische, paradigmatische oder expressive Projektionen aktueller Geschehnisse oder lnstitu­ßonen zurückzuführen. So halten wir z. B. die Theorie von Lee Frobenius für ungerechtfertigt, der zufolge die Kosmogonien ledig­lich eine sekundäre, also relative und abgeleitete Bildung gegenüber den kosmologischen Mythen wären. So sind - nach Frobenius -die Mythen, die vom Ursprung der Welt mit dem Werden des Lichts usw. erzählen ursprünglich Ausdrucksmythen einer täglichen Erfahrung: dem Aufstieg der Morgendämmerung und des Tages aus der nächtlichen Finsternis, die sekundär dann zur Urfinstemis erhoben wird. Es gibt tatsächl ich Mythen, in denen die kosmogo­nische - oder mitunter ätiologische - Funktion primär ist und nicht Ausdruck jetziger Zustände oder kosmischer Erscheinungen; man denke an die auf das kosmische Ei bezüglichen Mythen. Ihre rein solare Deutung, wie Frobenius sie vorschlägt, wäre im höchsten Grade einsdtig und würde den mythologisdlen Reichtum des The­mas beseitigen; das Ei ist potentiell der Kosmos und en thäl t die Person des Demiurgen selbst (vergleiche den chinesischen Mythos von P'anku, den orphischen von Phanes und den indischen von Prajapati). Noch klarer liegen die Dinge im Zusammenhang mit den kreationistischen Darstellungen, welche die Gestalt eines Schöpfers voraussetzen. Das religiöse prills ist also nicht nur ein chronologisches, sondern auch ein definitorisches und in gewissem Sinn hierarchisches prills, wenn auch nicht immer im gleichen Sinne wie das supra. Denn es gibt, wie gesagt, Mythen, in denen die ursprünglichen Wesen, die am Anfang tä tig und die Urheber des jetzigen Zustands der Welt waren oder auch den Anlaß zu ihrer Entstehung gegeben haben,

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nicht mehr Gegenstand von Verehrung und Gebet, sondern ledig­lich von Gedenkfeiern im Rahmen des von ihnen vollbrachten Werks sind (das gilt z. B. für die Gestalt des Unkulunkulu in der Religion der Zulu oder für den von Adolf EUegard Jensen auf der indonesi­schen Insel Ceram untersuchten und in seinem Buch "Das religiöse Weltbild einer frühen Kultur" dargestellten mythisch-religiösen Komplex). Zu bemerken ist jedoch, daß keine religiöse Vorstel­lungswelt sich im Gedenken an ein prius erschöpft, daß es also keine Religionen gibt, deren göttliche Gestalten ausschließlich in der Zeit des Anfangs tätig sind. Und hier stellt sich die Fmge nach der Grenze der geschichtlichen und methodischen Gültigkeit einer Unter­suchung, wie es die oben erwähnte von Jensen ist. Jensen dehnt die Bezeichnung dema-Gottheit auf jene primitiven Wesen aus, welche als der Ursprung des in den betreffenden Gegenden wich­tigsten Pflanzenprodukts, nämlich der Knollengewächse, gelten ; sie erschöpfen als solche nicht die religiöse Vorstellungswelt jener Ge­meinschaften und schließen das Vorhandensein anderer, nicht- zu diesem Typ gehörender Gottheiten und Aspekte nicht aus. übri­gens ist - nach Jensens Auffassung - aktuelle Untätigkeit weit davon entfernt, aktuelle Unwirksamkeit zu bedeuten. Im allgemeinen aber wurzelt die Welt der Religion in einem supra, welches zuglekh das prills ist. Die Art und Weise, wie das ge­schieht, ist verschieden. Wie schon in einem früheren Kapitel ge­sagt wurde, muß man hier zwischen kreationistischen Darstellun­gen, die um die Gestalt einer Urgottheit kreisen, deren smöpferi­scher Initiative die Welt zu verdanken ist, und Darstellungen ele­mentarer, theogonischer Art unterscheiden. Diese enthalten im all­gemeinen die Gestalt eines göttlichen Wesens, das als Demiurg die jetzige Welt gegen die Urwesenheiten mit ihrem elementaren, selbst­süchtigen Charakter hervorbringt ; insofern sie besiegt und über­wunden sind, bedeuten sie lediglich ein prius: wie beispielsweise der Apsß (Abgrund) der babyloniS<hen Kosmogonie, der die Grund­lage jeder Existenz bildet (auf ihn gründet sich ja der Herrschafts­palast, in dem der Demiurg ManIuk geboren wird) , gleichzeitig ist er aber dem Kult und der aktuellen Religiosität völlig fremd. Eine Sonderstellung nehmen jene Anschauungen ein, in denen das Schöpferwesen sich nach verwirklichter Schöpfung in unerreichbare Höhen oder Femen zurückgezogen und - eventuell - anderen die Sorge um die irdischen Angelegenhei ten überlassen hat: der soge­nannte müßige (ariose) Schöpfer, der für verschiedene Mythologien charakteristiS<h ist, in denen er vorwiegend mit einem hödtsten Himmelswesen oder sogar, in gewissen Formen und innerhalb ge­wisser Grenzen, mit dem Himmel selbst identifiziert ist. Man muß hier zwei ganz verschiedene Dinge deutlich unterscheiden : die Er-

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zählungen von einem Gott, der sich über das Tun der Menschen verärgert zurückzieht, also nicht sofort nach Vollzug der Schöp­fung, und die Erzählungen von einem Höchsten, seiner Natur nach otiosen Wesen. Eine dritte, ihren geschid'ltlichen Ursprüngen nach völlig andere Möglichkeit ist der Himmel als elementare -personifizierte oder nicht-personifizierte- Wirklidtkeit, der im Inter­esse und durch die Gewalt der überirdisdten Wesen von der Erde entfernt wird. Es fehlt jedoch nicht an Fällen, in denen diese Typen sekundär ineinander übergehen können. Der otiose Schöpfer kommt in der Religionsgesdtichte nidtt so häu­fig vor, wie man glaubt; denn der Müßiggang zahlreicher Höherer Wesen ist nur smeinbar, nicht wirklich. Beim otiosen Schöpfer haben wir es mit einem prius zu tun, das auch ein supra ist, aber mehr im Sinne einer formal hierarchisdten und kosmologischen Vollkom­menheit als im Sinn einer tatsädtlidt bestehenden Herrsdtahsüber­legenheit - auch, wenn das miose Höchste Wesen nicht aufhört, selbst die Quelle der Macht darzustellen. Vor kurzem ist von Raf­faele Pettazzoni eine Erklärung für diesen Müßiggang mancher

, Sdtöpferwesen vorgesdtlagen worden: nachdem einmal die Schöp­fung als endgültig verwirklichte Ordnung aufgefaßt ist, in der und auf deren Grundlage die Mensdten auf dieser Welt leben müs­sen, wäre ein weiteres und späteres Eingreifen von seiten des Ur­hebers dieser Ordnung gefährlich und umwälzend und keinesfalls von Nutzen, da es die Grundfesten selbst des Kosmos und die Exi­stenzbedingungen des Menschen erschüttern würde. Aus diesem Grunde überlasse man dem Schöpfer ein Primat, das ihn zu den unerreidtbaren Ursprüngen und Höhen entrückt, und überlasse es anderen übermensmlichen oder menschlichen Wesen, in die Ange­legenhe iten dieser Welt einzugreifen und sie nach ihrem Willen und ihren Interessen zu lenken - jedoch ohne die gefährliche Möglich­keit, die Grundlagen der Schöpfung selbst zu verändern. Diese Deutung erfolgte im Rahmen einer magischen Erklärung der Schöpfertätigkeit des Hödtsten Wesens: dieses sei der erste und mächtigste Inhaber einer magismen Kraft, die fähig sei, die Daseins­bedingungen zu bestimmen, die Welt heraufzubesmwören und ihre Gesetze festzulegen: ihnen gegenüber würde ein Wiederaufleben der Schöpfertätigkeit des Unnagiers Verwirrung stiften. Aber wir meinen, daß diese Deutung auch außerhalb dieses hermeneut!sdten Rahmens, der an sich zu mancherlei Einwendungen Anlaß gibt, Gültigkeit haben kann. Der erste Einwand ist folgender : der Magier (vergleiche oben Einleitung) und nodt mehr der Schamane üben eine Tätigkeit aus, die trotz ihres beschwörenden Charakters eine Ordnung der Dinge voraussetzt, ei.nen Kosmos mit aktiven Wesen

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und Kräften; der Schamane beschwört Geister, die schon "da sindN,

und Welten, die schon "irgendwo" existieren : sein Können besteht aus dem "sie beschwören", d. h. sie in dem - vor allem - räum­lichen Sinn des Wortes gegenwärtig zu machen, daß heißt nicht: sie existent zu mamen und aus der Welt des Möglichen heraufzu­besmwören. Mit diesem Vorbehalt könnte die vorgebrachte Erklärung, warum der otiose oder abgedankte Schöpfer seine Tätigkeit aufgibt, eini­germaßen stichhaltig sein; in diesen Fällen ist der Schöpfer gleim­sam ein Grundlagenschöpfer: auf der von ihm geschaffenen Grund­lage spielt sich dann die weitere Tätigkeit anderer göttlicher, über­menschlimer Wesen ab. Zu den göttlichen Wesen zählt der Luft­gott, der mitunter die tatsächliche Herrsmaft über die Erde ausübt und mehr oder weniger dem Schöpfer oder einem Hömsten Wesen, auch wenn dieses nicht ausdrücklich als Schöpfer aufgefaßt wird, untergeordnet ist. So der babylonische Enlil gegenüber dem Hlm­melsgott (oder Gott "Himmel") Anu, so der kanaanäische Baal ge­gegenüber EI in den ugaritischen Texten, so der Gott Teshub gegen­über dem Himmelsgott der churritischen Mythen. Den übermensch­lichen Wesen zuzurechnen ist jene seltsame, zahlreichen dualistisch orientierten Mythologien eigene Gestalt des schelmischen Demiur­gen (Trickster-Demiurg, tran s/ormer), welcher-nachdem derSchöp­fer die Grundlagen des Kosmos und des Daseins gelegt hat - in Widerspruch zu eben diesem Schöpfer die Regeln bestimmt, die das Leben und den Tod der Menschen beherrschen werden. Eine Ge­stalt, die sich, geschichtlidt erkennbar, durch eine lange Entwick­lungsreihe hindurchzuziehen scheint: vom tiergestaltigen Demiur­gen der amerikanischen und paläoasiatischen Mythen (der Rabe, der Coyote) bis zu dem atmosphärischen und planetarischen Archon­ten-Demiurgen zahlreicher gnostischer Mythen. Er gilt als Schöp­fer dieser Welt und nimmt ebenfalls eine interferierende und Stö­rungen hervorrufende Stellung zwischen der himmlisch-göttlidten und der irdisch-menschlichen Sphäre ein. Allerdings gehört der tier­gestaltige Demiurg eher der Sphäre des prius an, denn seine Tätig­keit erschöpft sich mit den Anfängen der Welt, was bei den Archon­ten der gnostischen Systeme nicht der Fall ist, obgleich bei ihnen das Aufhören ihrer Tätigkeit in der Endzeit zu berücksichtigen ist. Als letztes kommen wir zu jenen Religionen und religiösen An­schauungen, in denen das supra und das prills zusammenfallen und in ihrer Integrität ihre Verwirklichung finden: hier ist der Schöpfer zugleich Fürsorger und Herr von allem und aller, nicht nur in dem Sinne, daß er am Anfang der Dinge und der Menschheit steht, son­dern in dem Sinne, daß er gegenwärtige und liebende Vorsehung

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ist. Charakteristisch für diese Religionen ist, in übereinstimmung mit dem bisher Gesagten, einerseits die monotheistische Einstellung: Einheit und Integrität des supra, andererseits der Ausschluß eines prius der Elemente, der arduli, d. h. der Ausschluß jenes Begriffes von immanenter Heil igkeit und Göttlichkeit der Elemente, der für das heidnische Religionsempfinden charakteristisch ist (zur Bedeu­tung dieses religionsgeschichtlimen Terminus siehe oben Erster Teil, Kap. I1I).

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Anhang: Der Mythos

Ein besonderes, in der Welt der Religionen weitverbreitetes Phä­nomen, der Mythos, ist eines der Beispiele und eine der Formen jener rupfure de niveau, jener Integration des Profanen mit dem supra und dem prius, auf die auf den vorangegangenen Seiten hin­gewiesen wurde. Wenn es in der religionsgeschidnlidten Forschung ein Thema gibt, in dem geringe, vor allem terminologisch geringe Klarheit herrscht, dann ist es der Mythos. Die geläufigste Bedeutung dieser Bezeichnung stellt Mythos und ob­jektiv festgestellte Wahrheit einander gegenüber. Als Folge be­stimmter ideologisdter Tendenzen romantischen Ursprungs enthält die Bezeichnung ",Mythos '" mitunter einen voluntaristischen Beige­schma<k; der Mythos wird hier zu einer Art idee-force, zu einer mythisch oder vielmehr : irrationalistisdt erschauten Idealvorstel­lung; man denke an die Verwendung dieser BezeidulUng im Be­reich der totalitä ren Ideologien dieses Jahrhunderts. Auf dem Gebiet der hi storiographismen Studien über das Altertum bildet der My­thos ein Teilproblem innerhalb des allgemeineren Problems, das sich mit Entstehung und Methode der Gesdtichtssdueibung beschäftigt, die dem Mythos gegenübergestellt wird. Nicht alle diese verschiedenen Bedeutungen der Bezeichnung ",Mythos'" - vor allem nicht die zweite - sind in der Relisions­geschichte gleichermaßen berechtigt, angewendet zu werden. Nichts verbietet jedoch, sie zu Forschungszwe<ken gegenwärtig zu haben . Verschiedene neuere Untersuchungen neigen dazu, in der Mythen­forschung einen Aspekt zu betonen, der aus den oben erwähnten Bedeutungen nicht klar genug hervorgeht : die Beziehung des Mythos zum Leben, zu den Einrichtungen und zur Weltanschauung der Völkerschaften, bei denen er gültig ist. Als erstes wollen wir uns deshalb der Gültigkeit des Mythos zu­wenden: es ist zu unterscheiden zwischen dem Mythos als - der ge­läufigen Bedeutung dieser Bezeichnung gemäß - einer reinen, viel­leicht auch großartigen Erzählung und dem Mythos als einer dem Leben verbundenen Erzählung, zwischen dem unterhaltsamen und fesselnden und dem gültigen Mythos, der unmittelbaren und greif­baren Bezug zu einer lebendigen Ideologie hat . Vom religions-

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gesmichtlimen Standpunkt aus ist ein Mythos, der aus einer aus jedem existenziellen Zusammenhang gelösten Erzählung besteht und auf eine smöne Fabel besmränkt ist, weit entfernt von seiner eigentlichen Fülle , Dort, wo der Mythos Gültigkeit besitzt, ist er dem Leben und der Ideologie verhaftet, ja, er ist ein wesentlimer Bestandteil von ihnen und in ihm spiegelt sim in gewisser Hinsicht die ideologisme und existenzielle Erfahrung der Völkersmaft, die ihn ihr eigen nennt. bOls folgende Beispiel bezieht sim auf das Verhältnis des Mythos zur rituellen WirkJjchkeit : im Ursprungsmythos der Arapaho (AI­gonkinstämme, Noroamerika) hat ein ritueller Gegenstand, der für verschiedene Präriestämme charakteristisch ist, eine wichtige Funk­tion : die F1ampfeife, in der sich die Heilkraft konzentriert, die von der Vollziehung eines gewissen Ritus ausgeht, der mehr oder minder zutreffend IlSonnentanz" genannt wird, und in dem unter anderem die Geschichte vom Ursprung der Welt heraufbeschworen wird. Der Kampf des Arapaho gegen das Böse und die Krankheit ist mit den gleichen Wesen und Wesenheiten verbunden, die im Anfang für die

~Entstehung der Welt verantwortlich waren: jene Geschehnisse, so wie der Mythos sie erzählt, sind nicht etwas von den Angelegen­hei ten und Bedürfnissen der Gegenwart weit Entferntes, sondern um sie kreist auf die lebendigste Weise die rituelle und existentielle Gegenwart. Oie Mythologie also, die lebendige und gültige Mythologie, ist nicht das Reich der Willkür und Zufälligkeit, sie ist, von diesem Gesichts­punkt aus, nicht das Reich des Traumes. Bevor man übrigens irgend­e;r.e Einzelheit irgendeines Mythos als willkürlich abstempelt, muß man ganz sicher sein, sie im Lichte der Vorstellungen und Erfahrun­g<.'n des Volkes, auf den dieser Mythos sich bezieht, bewertet zu haben . In diesem Limte findet das, was wunderlim oder zufällig er­scheint, häufig sein Warum. Aber wenn der Mythos weder willkürlich noch zufällig ist, so ist er ebensowenig prälogism und irrational. Es fehlt ihm weder das rationale nom das kausale oder finale Denken. Wohl verstanden, es geht hier nicht darum, veraltete Anschauungen aufzuwerten, die bei Philologen und Philosophen noch weiterleben und sich auf natura­listische Erklärungen berufen, oder gewisse logizistische oder aus­schließlich kausalistische, symbolistische oder allegoris tische Ver­einfachungen des Mythos anzunehmen. Es geht nicht darum, sich den Erzähler oder Erfinder eines Mythos, insbesondere eines Ur­sprungsmythos, als einen Philosophen auf uneigennütziger und spekulativer Suche nach dem Warum der Dinge vorzustellen, oder als ei nen, der eine expressive Thematik mit naturalistisch-psymo­logis tisch anmutender Starrheit anwendet.

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Es geht vielmehr darum, den Mythos als einen Ausdruck der Mensch­lidtkeit, und zwar einer engagierten Menschlichkeit, einer Kultur, zu sehen; den Mythos also als Theorie (- Vision), als eine Art, die n Welt zu erzählenN

, zu sehen; eine Erzählung, in der, gewissen Formen und gewissen Neigungen entsprechend, der ganze Mensch und nicht nur ein Teil von ihm engagiert ist. Nicht im Namen eines existentialen Wertes des Mythos wird man also Einwände gegen die Deutung des Mythos als Theorie, als Vision erheben können ; auch ein so beschaffener Mythos stellt eine Inbesi tznahme des Lebens durch den Menschen dar, eine Inbesi tz­nahme, die nicht minder wirklich ist als die wirtschaftliche und bio­logische Inbesitznahme der Natur und des Lebens durch den Men­schen. Ein so beschaffener Mythos sieht auch nicht ab von diesen Inbesitznahmen und von ihrem phantastischen, emotionalen und sentimentalen Beiwerk, das oft genug im Mythos bestimmend ist . Aber dem Mythos jeden Ausdruck von Rationalität und Kausalität

• abspremen zu wollen, hieße über das Ziel hinaussch ießen. Und weil die Mythen und ihre versmiedenen Fassungen im allgemeinen einen Spielraum für Varianten haben, der ihnen jene drastische Bestimmt­heit nimmt, die einige allzu ausschließlich auf den expressiven Wert des Mythos bedachte Deutungen ihm zuerkennen möchten, ist das Postulat der Myth and Ritual-Schule in seiner strengeren Formu­lierung, der zufo!ge jeder Mythos unmittelbaren Bezug zu einem Ritus hat, nichts weiter als eine Arbeitshypothese, und eine oben­drein einseitige; etwas anderes ist es, wie gesagt, wenn man dem Mythos einen existentiellen Bezug zuspricht. Ebenso übertrieben scheint die Behauptung, im Mythos spiegele sich die besondere Er­fahrung einer besonderen Gesellschaft, deren imaginative Vo r­stellungswelt keinen anderen .... Glauben ... zulasse. Der Mythos ist also eine Theorie des Lebens, aber eine Theorie, die besonders oder allgemein, erschöpfend oder annähernd, keimhaft oder entwickelt sein kann : eine Annäherung, die in der gleichen kulturellen Umwelt andere Annäherungen, d. h. andere mythische Fassungen nimt ausschließt; diese können mitunter sogar teilweise widersprüchlim sein, aber, von verschiedenen Gesichtspunkten aus­gehend, danam streben, sich zu vereinen . Und ge rade in dieser Eigenschaft als Theorie hat, wie gesagt, der Mythos existentiale Be­deutung und Verpflichtung. Der Mythos ist weder ve rborgene Weis­heit noch Allegorie, weder aufkeimende wissenschaftliche Neigung nom irrtümliche Wissenschaft, nom unbed ingt Mangel an kritischem Sinn oder Geschichtsmethodologie, sondern eine menschliche Ver­haltensweise, welche - Modalitäten und Gründen zufolge, die fest­zustellen Aufgabe der Religionswissenschaft ist - jenseits jeder psymo!ogistisch bedingten Reflexion die Phantasie nimt weniger als

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die Gegebenheiten der existentiellen Erfahrung und der Rationalität in Anspruch nimmt und danach trachtet, sich in dieser Welt zurecht­z.ufinden und z.u orientieren, diese Welt zu nehmen, wie sie ist. Auch der Mythos stellt also eine rupture de niveau dar. Er führt Personen ein und zeigt Situationen, dic nicht der profanen Wirk­lichkeit angehörcn. Und deshalb wäre es trügerisch, den Mythos in der Gegenüberstell ung zur Geschichtsschreibung und deren Methode a la Thukydides etschöpfen zu wollen. Es geht nicht nur darum, zu wissen, ob eine Tatsache, die zu lebzeiten des Erzählers oder in alten Zeiten geschehen ist, durch Dokumente und Zeugenaussagen genügend belegt ist : es geht auch darum zu wissen, um welche Tat­sachen es sich handelt. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es zweier­lei, ob man die Legende - oder den Mythos - einer Stadtgründung untersucht, an die eine Kritik a la Thukydides mit voller Krah herangehen kann, oder ob man beispielsweise den Heraklesmythos oder den Persephonemythos erforscht. In letzteren Fällen würde die Anwendung eines ungeeigneten Kriteriums nur zu Kindereien führen, wie bei Hekataios oder Euhemeros, oder zu einer ebenso

,üblen Verflachung des Mythos durch eine platte agnostisme Er­klärung. Als Hekataios sich seines eigenen göttlichen Stammbaums rühmte und von den ägyptischen Priestern zur Antwort erhielt, daß seit mehr als unvordenklichen Zeiten die Menschen auf dieser ur­alten Erde aufeinander folgten, wurde ihm im Grunde eher eine rein ch ronologische Perspektive dargeboten als ein antimythologisrnes Geschichtsbewußtsein. Denn auch die Ursprünge der tausendjährigen ägyptischen Dynastien verschwimmen nimt weniger als die der g;-iechisrnen in einer Welt, die ganz anders ist als jene, welche die ununt'erbromene Aufeinanderfolge der Generationen zur Welt von heute geformt hat und noch formt.

SayerlSChe Staatsbibliothek

München

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Anmerkungen Die Zahlen linkt "n Rillncl bezeldmen cllt: ~ugehö";lt:n Seilen

Diese Anmerkungen wollen keine erschöpfende Auskunh geben; sie betreffen nur die in den einzelnen Kapiteln und in der Einleitung be· handelten Hauptfragen.

Einll!itung 6 Die methodisdte Fehlerhaftigkeit der TyJorsdten Theorie ergibt sich

sdion aus folgendem Satz : "The first requisite in a systematic study of the religion of lower races, is to Jay down a rudimenta ry definition of religion ... 11 sterns best to fall back at oncc on this essential source, and simply 10 claim, as a minimum definition of Religion, the belief in Spiritual Being,'" (Primitive Culture, 2. Auf!. London 1873, Bd. I, p . 424) . Aber in dieser Definition ist bereits Tylors Theorie vom Ani· mismus enthalten; andernfalls hätte man den Begriff .. Spiritual Being'" bestimmen - zunächst in seinen vielfachen möglichen Bedeutungen erkennen - müssen .. .

13 Zu einer Untersuchung der verschiedenen Zweige der Religionswissen· sdtah vgl. H. Pinard de la Bou1laye, L'etude comparee des religions, 3. Auf!. Paris 1929-31.

14 Eine Vorstellung von einem so gearteten phänomenologischen Ver­fahren läßt sich gewinnen aus dem Index von G. van der Leeuw, La religion dans son ('ssenee CI ses manifestations. Phenomenologie de la religion, Paris 1948, dt. Phänomenologie der Religion, 2. Aull. Tübin­gen 1956, einem Verzeichnis minutiöser Religions-Typologie, gleidlsam einer Klassifizierung von einzelnen Mosaiksteinchen, die aus ihrem größeren Zusammenhang hertlUsgelöst sind ; aber keineswegs eine leblose Anatomie. Nüchterner, wenn auch einem ähnlichen Grundsatz folgend, ist die Morphologie von M. Eliade, Traite d'histeire d9 reli­giens, Paris 1949; dt. Die Religionen und das Heilige, Salzburg 1954.

I. Teil

1. Kapitel 22 Eine neuere Bibliographie zu den Fragen der Orphik findet sidl bei

K. Prümm, in: Zeitschrih für katholische Theologie Ud. 78, 1956, Heh 1.

U. Zu diesen Aspekten des Islam vgl. M. Guidi, Storia e cultura degli Arabi fino aUa morte di Maometto, Firenze 1951.

Z5 Zum Zoroastrismus und zu seinem Dualismus vg!. vom Verf., Zamän i Ohnnazd : Lo zomastrismo nelle sue origini e nella sua essenza, Torino 1958, sowie 11 dualismo religiose, Saggio storico ed etnolegico, Roma 1958.

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26 Einen allgemeinen überblick über die Texte von Qumrän bietet M. Burrows, Die Schrift rollen vom Toten Meer, München 1957; ders., Mehr Klarheit über die SduiftroUen, ebd. 1958; A. Dupont-Sommer, Die essenismen Smriften vom Toten Meer, Tübingen 1960; vg!. aum die Bibliographie in der Revue de Qumran und Chr. Burchard, Bibliographie zu den Handschriften vom Toten Meer (Beihefte z. Zeitschrift f. d. Alt­testamendime Wissensmaft 76), Beflin 1957.

Zl Zu den prophetischen Kulten bei den Primitiven siehe G. Guariglia, Prophetismus und Heilserwartungs-Bewegungen als völkerkundlimes und religionsgeschichtlimes Problem (Wiener Beiträge z. Kulturge­smichte u. Linguistik Bd. XIII), Horn-Wien 1959; W.E.Mühlmann, Chiliasmus und Nativismus, Berlin 1961.

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11. Kapitel 31 Ein nach neuesten Erkenntnissen zusammengestelltes Bild der Verbrei­

tung der Mithras-Mysterien ergibt sim aus M. J. Vermaseren, Corpus inseriptionum et monumentorum religionis Mithriaeae, 2 Bde, Den Haag 1956. 1960.

33 Zu dem Vergleich zwischen der jüdismen und der iran ismen Religion vgl. R. Mayer, Monotheismus in Israel und in der Religion Zara­thustras, in: Biblische Zeitschrift, N. F.I, 1957. Zur Ansmauung der Khane vg!. Roux in: Revue de l'histoire des religions 149, 1956, p.49-82; 197-230; 150, 1956, p. 27-54. 173--212.

35 Eine auf den heutigen Stand gebrachte und kommentierte Bibliographie der Mysterien bei K.Prümm, Mysthes, in: Dictionnaire de 10. Bible, Suppl. VI, Paris 1960; ders., Religionsgeschichtlimes Handbuch für den Raum der altchristlichen Umwelt, Freiburg i. B. 1943, Neudruck Rom 1954. Eine Quellensammlung zu den Mysterien in N. Turmi, Fontes Historiae Mysteriorum, Roma 1930 (anastat. Neudruck) . Zu den Dionysischen Mysterien vg!. M. P. Nilsson, The Oionysiae Mysteries of the Hellenistic and Roman Age {Acta Inst. Athen . R.Sueciae V}, lund 1957.

38 Zum religionsgeschichtlichen Problem der Gnosis vgl. vom Verf., Il dualismo religioso, Roma 1958, Kap. I und 11 und : Revue de l'histoire des religions 159, 1961 (p. 1--46). Zur Phänomenologie der Gnosis vg!. die Resümees der Vorlesungen von H. Ch. Puem in: Annuaire du College de Franee 1953 (p. 163- 172) , 1954 (p.191-199), 1955 (p. 169-183), 1956 (p. 186-209), 1957 (p.231-246). Der Essay: Gnosis als Weh­religion, von G.Quispel, Zürich 1951, betont den Psychologismus zu sehr und vernachlässigt das religionsgesmimtliche Problem. Wichtige Diskussion bei K. Rudolph, Die Mandäer I, Göttingen 1960, 5.195 H.

39 Die Aussage von Celsus findet sich bei Origenes, Contra Celsum VI, 31 ; zu dem gnostischen Dokument vg!. ebd. 22.

40 Als ein Beispiel tendenziöser Deutung mristlicher Texte durm die gnostischen Apokryphen vg\. das apokryphe Evangelium Veritatis aus der gnostischen Bibliothek von Nllg Hammadi, das von M. Malinine, H.-ch. Puem und G.Quispel veröffentlich wurde (Zürich 1956). Vgl. auch das Evangelium nach Thomas (veröff. Leiden 1959) und J. Doresse,

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Les Livres secreis des gnostiques d'tgypte, Paris 1958-1959, engl. The Seeret Books oE the Egyptian Gnostics, London 1960, und W. c. van Unnik, Evangelien aus dem Nilsand. Frankfurt/Main 1960.

41 Eine interessante Typologie und Tenninologie bringt G. Mensching, Die Religion, Stuttgart 1959. der zwismen ",gewadtsenen" und .. gestifteten" Religionen untersdteidet, eine Unterscheidung. die mit jener zwisdten Volks- und Universalreligionen nidtt identism ist : .. denn es gibt Volksreligionen, die gestihet wurden, wie z. B. die Relision Israels durdt Mose, und wir kennen Universalreligionen, die keinen Stiher haben, wie die hellenistisdten Mysterienreligionen" (a.a .O. S.108). Wir können dieser Einteilung nur teilweise zustimmen, d., die ge­wadtsenen und im Grunde ethnischen Myslerienreligionen gerade nimt universal, sondern vielmehr kosmopolitism zu benennen sind (vgl . oben Teil I, Kap. 11) und die Religion Moses' und der Propheten eine einmalige Fonn von Volks religion, vielmehr ; von Nationalreligion, darstellt, die eine ganze Anzahl von universalistisdten Zügen besitzt, die den reinen Volksreligionen im allgemeinen unbekannt sind (ebd.). Es stimmt allerdings, daß nidtt alle gestifteten Religionen universalistisdt sind : es gibt unter ihnen typische sektiererisdte und nationalistisme bzw. rassistische Religionen und Kulte, wie z. B. einige überlebende gnostische Sekten des Abendlandes - Mandäer, Druzen - oder die prophetism-völkismen Kuhe (vgl. unsere Ausführungen zu die~en bt!iden Typen angesidlls des Typus der gestifteten Religion). Hier aber liegt der Grund dafür, daß die Untersdteidung zwischen ethnismen oder Volksreligionen und gestiheten Religionen uns treffender er­sdteint. Sie ist vielleimt nimt so systematisdt und symmetrisch wie die - im übrigen gut durmdamte - zwischen gewachsenen und ge­stifteten Religionen, vom historischen Standpunkt aus ist sie jedodt konkreter und erlaubt, die von Mensching angeführten Schwierig­keiten (a.a.O. 5.115) zu überbrücken . Eine ethnische Religion wämst ja gerade im Smoße einer Kultur und eines Volkes, und die Frage nadt ihren Ursprüngen fließt mit der Frage nam den Ursprüngen jener Kuhur und jenes Volkes zusammen . WIIS endlich die Frage nam der Größe des Untersdtiedes zwismen ethnismen und ges tift~tcn R~li­gionen betrifft, so ist d~r Unte.rsdtied nimt von allen Gesichtspunkten aU5 absolut (5. o. T~iI I, Kap. I) ; es handelt sidt jedoch um mehr als nur um Graduntersdtiede.

Ill . Kapild

44 Vgl. W. Sdtmidt, Handbum d~r vergleimenden Religionssesdtidttt, Ursprung und Wesen der Religion, Münster i. W. 1930; sein Haupt­werk ist : Der Ursprung der Gottesidee, 12 Bde, Münster i. W. 1912- 1955. Die Theorie von R. Pettazzoni wird entwickelt in : Dio, Formazione e sviluppo deI monoteismo nella storia delle religioni, vol. I : L'essere ce.lcste nelle credenz~ dei popoli primitivi, Roma 1922, und in : L'onniscienza di Dio, Torino 1955, engl. The All-knowing God, London 1956, und : l'ess~re supremo nelle religioni primitive, Torino 1957, dt. Der allwissende Gott. Frankfurt/M. 1960 (Fisdter-Büdterei 319) . Ein d~ullimes Anzeim~n für das hohe ethnism~ Alter des Be-

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griffs vom Höchsten Wesen sicht Goctz (s. die folgende Arun.) in der Universalitä t dieser Idee, die soga r noch vor dem Auseinanderlaufen der uns bekann ten kulturellen Entwicklunglinien existiert.

49 Goetz, in : Rernerches de seienee religieuse 46,1958, p.118ff.

IV. Kapitel

53 Zu einer solchen Unterscheidung im Rahmen der polynesischen Ethno­logie vg!. R. W . Williamson, Religious and cosmic beliefs of Central Polynesia 1, Cambridge 1933. Für die indischen archai vgl. W . N. Brown, The creation myth of the Rigveda, in : Joum. Amer. Orient. Sodety 62, p. 85 ff. über die Ideo· logie des ,fa vg!. vom Verf. Zamän i Ohrmazd, 8.8.0., und über Dike, Hybris und das Schicksal bei den Gricdten: ,dU), alaa Destino, uomini e divinita nell'epos, nelle trogonie e nel cuho dei Grcei (Studi pubbl. dall'Istituto italiano per la storia antiea XI), Roma 1953.

SI W.Nesde, Anfänge einer Götterburleske bei Homer, in: Neue Jahr­bümer f. d . klassische Altertum 15, 1905, 5.162. Für die Theogonie Hcsiods vg!. Llw," alaa 3.3.0. Kap. II und P. Philippson, Untersuchungen über den griechischen Mythos, Zürich 1944. Zu einigen typischen 5mwierigkeiten und Widersprümen innerhalb des theogonischen Denkens angesichts der Würdigung der archai vg!. die Diskussion bei Verf., Teogonie e cosmogonie, Roma 1960, p.IS8 H.

61 Zu diesen Mythen vg!. beispielsweise W. Münsterberger. Ethno­logisme Studien an indonesischen smöpfungsmythen, Den Haag ]939. A. Kühn, Berichte über den Weltanfang bei den indochinesischen und ihren Nachbarvölkern, Leipzig 1935, untersmeidet ganz richtig zwi­schen ausgebildeten Kosmogonien und einzelnen Motiven, die älter sein können . Zu den kosmogonismen Vorstellungen des Taoismus (Tao, Yin und Yang, Panku) siehe W. Grube, Taoistisrner Schöpfungs­mythos nach dem Sen-sien-kien, in : Festgruß A. Bastian 1896, 5.477 f.; A.fo rke, Die Gedankenwelt des minesischen Kulturkreises, 1927, 5.88-90. C. Hentze, Bronzegerät, Kuhbauten, Religion im ältesten China der 5hang-Zeit, Antwerpen 1951, widersetzt sich mit Recht der von Ro usselle und Erkes verlretenen Hypothese einer matriarmalischen Bindung des Tao und seiner Deutung als Multergottheit.

62 Eine Ma.terialsammlung zur Verbreitung der oben erwähnten mythi­schen Motive findet sich bei E. Franz, Die Beziehungen der japanischen Mythologie zum Griechischen, Diss. Bonn 1932. Vg!. die seltsame, l aotsc zugesmriebenc Lehre von den Urbildern der Dinge; siehe dazu A. Kühn, Beridue, a.a .O. 5.19; eine zum Teil ähnliche Auffassung existiert bei den Sumerern - die " Urfonnen" der Dinge - und bei den Irokesen.

63 Zur geistigen Verwandtsmaft des Tao mit dem l:Iuddhismus vgl. W.Grube, Religion und Kultus der Chinesen, Leipzig ] 910, 5.86. 1m gleimen Jahrhundert soU der Tradition cnlspremend aum Za.ra­thustra gelebt haben, der sich allerdings i.n einer anderen ideologismen Umwelt bewegt.

101

Page 102: Probleme Der Religionsgeschichte

64 über die beiden Formen des Taoismus vgl. den Artikel von Creed in: Journal of Amer. Orient. Society 1946.

66 Die Hypothese wird von Geo Widengren in Religionens värld, Reli­gionsfenomenologiska studier odl översikter, 2. Auß. Stockholm 1955, entwickelt.

67 Biandü, Zamän i Ohrmazd, a.a.O. Kap.XI. Ober den religiösen Dualismus vg!. die Anm. zu 5.25. Vg!. H. Söder­berg, La religion des Cathares, Uppsala 1949. Eine absolut dualistisme Stellungnahme bei den Katharern : ... sunt duo principia ab aetemo, videlicet boni et mali . .. " .duos esse deos: unum principium et causam invisibilium nobis et omnium bonorum : aherum veto principium et causam omnium visibilium nobis ruc et omnium malorum.· Eine gemäßigte - aber dennoch emt dualistisme - Stellungnahme: da es nur einen einzigen smöpfer gibt, .. diabolus ... suas formas specificas dedit his rebus, unde eum proprie factorem dicunt visibilium rerurn". über den Manimäismus : H.Ch. Puedl, le Manim~isme : son fondateut, sa doctrine, Paris 1949; C. Widengren, Mani und der Manimäismus, Stuttgart 1961 (Urban-Bümer 57). OberdieBogomilen: H. Ch. Puedt und A. Vaillant, Le trait~ contre les Bogomiles de Cosmas le preue, Paris 1945 ; D. Obolensky, The Bogomils, Cambridge 1948.

70 Zum Sabbataismus und Frankismus vg!. die Artikel von G. Smolem in : Revue de I'histoire des religions 153, 1953, p.3~90. 209-232 ; 154, 1953, p. 42-77 ; ders., Die jüdisme Mystik in ihren Haupt­strömungen, frankfurt/Mo 1957, 5.315-355.

72 Zum Hermetischen Schrifttum vg!. A.J. Festugiere, La rev~lation d'Herme, Trism~giste, Paris 1944 54.

73 Zu den Grabtäfeldien vg!. die literatur bei Ed. des Places, Les religions de la Grece antique, in: Histoire des religions von M. Brillant und R. Aigrain, Vol, JII , Paris 1955, p. 199 H.

11. Teil

11. Kapitel

8J Vgl. M. P. Nilsson, The Mycenaean origin of Creek mythology, Berkeley-Los Angeles 1932. Vgl . L. Uvy-Bruhl, Les Camets, Paris 1949 (posthum) .

84 Vgl. G. van der Leeuw, L'homme primitif et la religion, Paris 1940.

111. Kapi tel

89 Zu dieser Theorie von L. frobenius vg!. Die Wehansdtauung der Naturvölker, Weimar 1898, 5.357f. und Das Zeitalter des Sonnen­gottes I, Berlin 1904, 5. 265.

90 Zur Gestalt des Unkulunkulu vgl. O. Pettersson, Chiefs and Gods. Religious and Sodal Elements in the South Eastem Bantu Kingship, Lund 1953, pp. 141-157. Das Fehlen einer Verehrung von Unkulunkulu wird von den Eingeborenen mit der Tatsame erklärt, dag er keine

102

Page 103: Probleme Der Religionsgeschichte

Söhne hatte, die ihm Opfergaben darbringen konnten. Hinzu kommt du Problem der Beziehung von Unkulunkulu zu einer ä1teren Gestalt, Unveliqangi, dem schöpferische Tätigkeit zugesprochen wird (Pettersson, n.a.O. p. 1S7). Baumann unterscheidet zwischen diesen heiden Wesen. Zu Unkulunkulu und der smöpferkraft vgl. auch J.5<hapera, The Bantu speaking tribes of South Afriea. An ethnologkal survey, London 1937, p. 263 f. A. E. Jensen, Das religiöse Weltbild einer frühen Kultur, Stuttgart 1948.

Anhang

94 Zu den derzeitigen Diskussionen über den Mythos und die ... Wahrheit des Mythos" vgl. die umfangreiche übersicht von J. Henninger, Mythe : Le mythe en Ethnologie, in : Dictionnaire de la Bible, suppt. VI, Paris 1960, Sp. 225 H.

95 Zum Arapaho-Mythos vg!. G. A. Dorsey, The Arapaho Sun Dance, in : Field Colwnbian Museum, PubUcat. 75, Anthropolog. Series, vol. IV, 1903.

CJ7 Die Episode findet sich bei Herodot 11, 143.

103

Page 104: Probleme Der Religionsgeschichte

00047»92

Erklärung einiger Fachausdrücke

Von Kur! Rudolph, Leipzig

Achämeniden: altpersisches Herrschergesdt1edtt, reg. 558-331 v. e hr. Aion (gr.): Zeit, Zeitalter; Gott der Zeit Amesha Spenta (iran.): "heilwirkende Unsterbliche", Titel der den

höchsten Gott Ahura Muda umgebenden Genien in der zoroastrischen Religion

Animismus: l ehre von der .. Beseelung" (anima .. Seele"), .. Glaube an geistige Wesen" (Tylor)

Animalismus: l ehre von der .. AJlbelebung" (animatus .. belebt, lebendig") Anthropologie: hier immer = Ethnologie ~ Awesta: die Sammlung der ahzoroastrischcn Religionsurkunden, darunter

der Hymnen Zarathustras (Githas) Babism us: schiitisch·islam. Sekte, entstanden 1844 im Iran durch Saiyid

Ali Mohammed, gen. Bab (Tür) Balul'ismus: Abspaltung des Babismus mit kosmopolitischem Charakter ;

gestihet v. Mirza Husain Ali gen. Baha Allah (Glanz Gottes) Boddhisattvu: .. Erleuchtungswesen" , ein Anwärter auf die Buddhaschaft Bogomilen (slav.): Vertreter einer dualistischen (neomanichäismen) Reli­

gion auf dem mittelalterlichen Balkan, die auf Bogomil (Theophilos, 10. Jh .) zurückgeht

Brahman ism us : 1. Periode in der altindismen Religionsgesmichte, in der eine besondere Form der Priesterspekulation entstand; 2. Bezeimnung rur Hindui smus oder Brahmanenherrsmaft

dJl/l onisch (gr.) : dem Bereich der "irdischen" und unterirdischen Gotthei ten (bes. der Fruchtbarkeit) zugehörig

Demiurg (gr.) : Baumeister, Schöpfer do ut des (Iat.): .. ich gebe, damit du g ibst ", die Formel soll das Nützlich-

keitsprinzip im Opferkult zum Ausd ruck bringen Emanation (lat.) : "Ausfluß", unmittelbarcs Hervorgehen ethnisch: volksgebunden, völki sch Ethnologie: Völkerkunde Evocatio deorum (Iat.): ".HerausruJung der Götter", altrömischer Ritus,

durch den die Gottheiten veranlaßt werden sollten, ihre Stätte (z. B. eine feindliche Stadt) zu verlassen

Folklore (engi.) : Volksübcrlit!fcrung, Volkskunde forma m C711is (lat.): Gestalt, Fonn des Gei stes, Verstandes, der Einsicht Frmktionalistisdle Sd,ule: ethnologisme ahistorisme Ridltung, die eine

kultureJle oder rel igiöse Erscheinung aus ihrem lebendigen Funktions· zusammenhang in eincr intakten Kultur zu verstehen sucht ; Haupt­vertreter: B. Malinowski, M. Mead, R. Benedict

104

Page 105: Probleme Der Religionsgeschichte

00047tJ92

Ga,llas (iran .): die "Lieder" oder .. Hymnen" Zarathustras Hanif (arab.) : Vertreter einer monotheistisdten Religionsform im vor­

islamischen Arabien, an die Mohammed anknüpfte Hermetik: spätantike theosophism-gnosti,dte und okkulte Lehre, die als

Offenbarung des Hermes Tri smegistos galt (Hennetisme Sduihen) Hierogenese (gL): Entstehung des Heiligen, der Religion Inkllbation (laI.): Tempclschlaf zur Ertangung eines Traumorakels Karman (ind.): die Summe des mensdtlidten Wirkens, die nach indisdter

Lehre das Los des Mensmen nach seinem Tode und bei seiner Wieder­geburt best immt

Komparalist : vergleichender Sprach-, Religions- oder Kulturwi ssenschaftler, spez. im 19. )h.

konsubstantiel/: von gleicher Substanz Krealionismu s: Lehre von der Smäpfung der Welt durch ein göttlühCß

Wesen ; Gegensatz: Emanation Magie. sympat/lctisme: eine Form des Zaubers. die auf der Voraussetzung

basiert, daß zwei Dinge in einem inneren (sympathetisc:hen) Zusam­menhang stehen (nam I . G. Frazer)

Magier: hier immer für .. Zauberer, Zauberpriester" Magna Mater (laI.) : .. Große Mutter", kleinasiat. Mutter- und Fruchtbar­, keitsgättin (Kybele); ihr Kult wurde 204 v. ehr. offiziell in Rom über-

nommen Mahayiina (ind.): "G roßes Fahrzeug", eine Hauptrichtung des Buddhismus,

die der Erlösung breiterer Ma ssen angepaßt ist, bes. in Ostasien ver­breitet

Mazdaismus: Verehrung des Ahura Mazda ; Religion des Zarathustra bzw. Zoroastrismus

Mon tanismus: apokalyptisch-enthus i ~s t ische duistliche Sekte des 2. Ih.s in Kleinasien, gestih et von Montanus und zwei Prophetinnen

Mysterien (gL) : Geheimkulte, die den .. Eingeweihten" Sündenreinheit, ein glückliches Leben nam dem Tode u. a. vermitteln wollten

Nalufinythologie: eine besondere Art der Mythendeutung, die alle Mythen und Gottheiten von den Naturersdteinungen her zu verstehen sudtte (19. lh.)

Nflg Hammadi: vermutlimer oberägyptisdter Fundort einer Bibliothek gnostismer Handschriften in koptischer Sprache (1945 oder 1946)

numinos (131.): eine modeme Ableitung von lat. numen, .. göttliche Wirk­kraft, das Göttliche", durch R.Otto, um das spezifisch Irrationa1e in der Religion zu bezeimnen; dieses .. Numinose" hat nach ihm eine .. sc:ha uervolle" (mysterium trcmendum) und eine .. anziehende" (m. fascinosu m) Seite

Orpheote/esten (gr.) : die mit keinem guten Ruf behafteten Weihepriester der orphischen Mysterien, Winkelpnesler des degenerierten Orphi­zismus

Orphik: religiös-mys tisdte Bewegung, die seit dem 6. }h. v.ehr. in Grie­chenland und Unteritalien zu einflußreicher Bedeutung gelangte; ihre kosmologischen und sOIenologischen Lehren wurden auf den legen­dä ren Sänger Orpheus zurüd<geführt

105

Page 106: Probleme Der Religionsgeschichte

00047892

Panentheismus : die Vorstellung, daß "alles in Gott" ist, aber Gott nimt iJ allem aufgeht

Pantheismus: Lehre von der Identität Gottes mit dem "AU" (Wt:h, Natur Plliinomenologie: Lehre von den Ersmeinungsformen, hier bes. der ReH

gionen (Religionsphänomenologie); ihre Auffassung in der neuerer Philosophie (Husserl u. seine Sdtule) ist von G. van der Leeuw aud in die Religionswissensmah eingeführt worden

Pneuma (gr.) : .. Geist'" Polis (gL): "Stadt"staat Präanimismu,: religionswissensdtahlime Bezeidtnung für cin SttJdiun

vor dem Animismus (5. d.) als älteste Religionsstufe, die nam dei Theoretikern des Pr. entweder den Glauben an eine unpersönlidt. Mamt (Dynamismus) bzw. eine Zauberkrah (Magismus) oder einel mehr oder weniger ausgeprägten Theismus einsdtloß

Prälogismus : die von L Levy-Bruhl in seinen älteren Werken vertretem Auffassung, daß bei den Naturvölkern ein vor- oder alogismes Denker herrsme und ihre Handlungen bestimme; man ist inzwischen zu de: Ansidtt gelangt, do.ß der PL keine sperjfisme Ersdteinung der Natur· völker und aum dort nur bcsmränkt vorhanden iSI (myslisme, magi sme oder emotionale Seite des Denkens, Irrationalismus)

quid (Iat.): das .. Was", die besondere Eigenart einer Erscheinung Reintegration: eine .. Wieder-Zusammenfassung" einzelner Teile (einer

Kultur) zu einem geordneten, sinnvollen Gnnzen Reinkarnation: Wiederverkörperung, Seelenwanderung sensus mristianus (Iat.) : mristlidter Sinn, mristlimes Verständnis Sh intoismus: die alt japanische Nationalreligion ("Weg der Götter") Sophia (gr.): .. Weisheit", personifiziert als weibliches Urprinzip, Smöp·

fungsmittlerin und göttlime Hyposto.se Synkretismus (gr.): Versmmelzung und Gleimsetzung verschiedener Reli·

gionssysteme und Götterkulte, bes. in der Spätanlike (Hellenismus. gricdtisch-orientalischer 5.)

theologoi (gL): Seher, Propheten oder Lehrer der ahorphismen Religion, die sim speziell mit der Entstehung der Götter, der Weh und dt'S Men· smen beschäftigten

Tlleopan(t)ismlls: religiöse Lehre, in der Gott als das .. All" (Kosmos) auf­gefaGt wird

Upanismaden (ind.): altindische religionsphilosophi sme Litera turwerkc. in denen zentrale Gedanken der indismen Geistesgeschichte erstmalig fonnuliert sind

Valentinianismrl5: gnostisches System des 2. und 3. Jh.s n.Chr., das auf Valentinus aus Alexandreia zurüdc:geht

Vedisch: den Veden, den ältesten indischen literaturdenkmälern und ihrel Zeit zugehö rig

Veji : bedeutende etruskische Stadt, die 396 v.ehr. von Rom erobert wurde Yezidismus, Yezidis: synkretistism-islamismes Religionssystem unter den

Kurden des Vorderen Orients

-106

Page 107: Probleme Der Religionsgeschichte

DIE KLEINE VANDENHOECK-REIHE Einfacher Band 11,80, ~pp.lb'Dd 5,80, Dreilubb&lId .,80, Sonde,rband (5) 7,80 DM

1/1. O. Pr.~. If'nu,leker Die Oetebiehtt der Ndu.

2 HlJrl &rl1I lIeDMh und Mitmtnteb

3 Nicolai lIar/ ..... nn PbU<nophi5ebe Gttprlcbe

-4 GWWl> h'6dtm<cA Klei ne. Hech!.lb rel' lor

5 ~ 0011 Hanke Die erotlen loI iebUl Polititebu GMprkb

8 Viktor _ IV eWncko Y elite be nfilh ru 111

9 IIrrl1nl ScMnkr Kleine Geogn.pb le dei deutaoben WiuK

10 IJnmo SrIdl Neull T",. latein

11 J/nnridl _ 1'rril~

Du d,uUche Ordentlatl.d Preullen

12/13/138 Fril: R6rig Die tUNl pl ieeb, 8tt.dt im Mltt,l.ltu und die Kultur da. Ilül1'enuml

~ 14 A , LII .. . &'>"kv Ed4ing/!1f1 Sterne (lDd Atom.

16/1h S6rm K~klgoard Cbn.tliebe Reden

17 IInou.' llord ScA,cV Weltbild IIßd Gll.ubt Im 20. JA.b rbllnde,~

18 1.'(1 ,1 Ktrhtvi Urnc.ne mit Gllttliehem

111/1lla EricA Pr"'tr Di, Zukunft a IIIoenl. Wirt­teba.ft.ordDII q

:!O (ltoda" Ra4bnWI Der Geitt d. enrl. Recbt.l

21 J e/u""" N.pomuk D~t';d 01, Jupiter· Sympbonie

22)23 lVGUMr KiUII W andl\llli'trl. dH Iyritchell Bilde-

24f25i25a P(NI J oadti_ "om deuc..cheD "olk l um deuttellen Staat

28 IltrlHrl Sdl6f11n LIGh~pbel1'

27/27a IItm101l" IIn mptl Kapit.tdation vor der G .. IoChiehte~

28J2II/2ia TINotI« W. Ac!omo oiuoDan:UD

30 Ko.1 ~ \\'IMeIl, Glaube \I. !lltepl;'

31 r!bnlllml Buc!"CI!;dd IJilduDt dureIl Pby, llt

32 J"li ... SdI"iMowI 01. Freude der 8111l •. Zlif Orllndfrag, du Dibel

34/34a/34b JoA • .v",. Dat'id 01, Iweilt. I nvenliollU .... J. S. Baah

35 ~'ri«lrVA GOj/II .ttn w .. ilt Cbritt.elltum?

36 Ulndt lIbb«b Wirklichlttit ulld T&n­IoChu",

31/31a Vittor e. Wrin&tn' Am AIlIa.ng tehnt Gott Himmel \llId Erde

38 JMII O. AlcCQnlluk Amerik.niloChe Lyrik der lelltell. 60 J ah r.

41 Gudde &dbrudI Karitaturell. der Jnl tia lIit 27 Lltho. v. Oallmiu

42 C. Fr. ~. W,;u6rkr Di. V.,alltwoftl.lDf de r WitMllMlbaJt im Atom­uitalt.e r

43 C.Fr.D. lI',;u6cbrl J. J"iJl. Phrt.ik der G~g.nwart

44 f.'rida TAier 0 .. )leDKhell.llild d., jungeIl Marl<

45 Fl'Illlk E. Acltock Clur 1.1, Sehrift4t.eUe r

46/41 F,;tOmll M ein«kf 0 .. Zelt.alt.er der deut-. tebell. Erb.buB:

48 K o.1 & . U! Weib llacb t

49 Rud4lf SIq:/to" Neu. MUlik

5O/SOI M arii .. lHinn. Oott und Menseb ill no,toje ... ,kij, Wuk

51/52 OuUnD Ro4tmldt Inr MelIseh im Recbt

53 MorillliUall Brcull Der Ka.rnpl Um die Wlrk­lieb bit i. d. rull. Literatu r

54 WoIJgfI"V Lon~ Cbrutl. Skaldendlebtunr

55 nmrl411 NMI En.ieherrNtalteli

56 Goetha Qb!or deli Fand 11 ...... T. Alfr«;I Di«k

51/51a/5lb Ridtord A1twVII Cber lIugo 'fOIl 1I0f­mlllnllbJ.!

58 J oad!ill\ l..cuWonn' Volt und Raum Zum S111 du lI.tioll~ Ualiltiaehen AllllellpOlitit

59/&1 Reinltard WiII",1II Du l literuse &11 der Oetehiellte

62 II .-R. Miil/n'·Sc/u«/. Der Standort der Tb,olo­rie 111 unMnr Zei t

63/&4 Lrriae.b.,l..ebtllll,lelt4 Dtu.t.ac.b, Lyrit VOll Eicblll.dortf bil Rilh

&5 A",.,. N . WUdtr Welllrtrnd. Chriltu t \lm?

158 ErVA KM In Mueel Prou.t

51/&; &be,1 ,.·ricktr Der mode ' lII ell&'l. Rom. 1I.

10m BnnlttJrd Rnudt Homo .. pil ll.l Vom Tier tUm lIalbfott

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18 Kw/ .Ymnill1t'T lIathematik und K\llI.It

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82 AIt.rd IIIMP " .. Iult der Getehieht.e

83 AIJ.td O. B. !..oNU Der Eiaum, ulI.d du Ullivemlln

84 11. 11. ":g!Jf1lruhi lIeierich i!ellü~ MUlieua poeticul

85/8511 Ewlo C. M"""" Deut.ac.h. uad e",litcb. RolDLII.lIk

86{W7 lA ... und Einborn ElI(litch Lyrik der Oegen ... rt

88/89 Wa Ulltr K i l/II Ober 0 &011' T, . k1

110/111 W. K. CJMII';' Die ,riech. Ph!1olOpllell 'rOll Tbl.lu bil Amtot.ele.

D2 Vü:lor ~. lV.i...",b.r GIIl&lt und Zeit

03 ,\Ia:ll: 80l'Il Phy.i t und Politik

\HIts/iSa JMn O. McC_uk Inr amerik'lI.itch, Rom&ll d .. Gegen .. an

116/111 Ptln' ",lIpn~; Inuteeh Lit.eratur du llitt.el&l~ ..

118/119 Ka .1 L6uIilII lIeid&gJ'e r, Deehr la dü rft;''' Ze it

100 Kritik in Illlllrer Zei t Literatur I Thea ter J 1IIUik J Bildend, Kumt. VOll G. HUkkn', " '. Lu/I, 11.11. Shdm.w..WU "IOd fV. G~lIIGn"

101 Ebn/tord Sc"",id.I ZucbthiuIMr ulI.d G.lill(lIi ...

102 Ed.."rd LMn hrael u. dia Cbmtenhei t

103/4 11,",",,, NoM "om Siall. der Kumt

10!5 E ..... TI!. StllrI WaadluD"n der Shaltt­I~ueaebee Komödie

Page 108: Probleme Der Religionsgeschichte

106/108 KIl.1 S. Gulhk, Gerhrt Hluptml llll

109 Pet" Bn,""(\'" Luther 1111\1. die Welt dei 20. Jahl'hlluderta

110/12 Gt414~ Hadlmld Der inll,r, Weg. Aufriß meinet Lehen,

116117 SopMkSu AlItirolli. (ZweilpraQhirl Ubertetd 111'14 ein!,I.lt.t .011 Kul ReiDhar t

118/18 EllffluJrd Sclllnidl Die Sach. der Ju,tis

120/21 Marvrd &-ri IDdieebet Kal,idolkop

122f23 FroM E. Acfeorlc Rlimiteh, StutltUQt

12" OUo WolIl' Radhakrilhcln

125/27 IYoU!tr KiUy D,uteehr Klt.ech Xit labIr. ItIultrltion' lI

128/29 lYolf/1(ltlg K(J~tT Kumt und Spiel. Fünf Goetbe.-Studi'lI

130/31 H. Gon.rki I H. G6pferi / H .Hilln I E. Hauno«klJ I H .F. ScA..t.J Dar d.ut8cbe Bu.bhnd.l ;11 IInll&~r ZlIit

132 WiUl/ Hu, BHtboyeDl Bllb ll'lI'11',rke

133/35 WiIMlm Hotrmann HllDllib&l

138137 M.u: LiWli E, "101' eipmal. Vom We-­II&U du Vo]umInlh,1U

138 B ... ftO Snea Di,altauGrieeb'D uad wir

139140 WolfM" Pon~, W .. I,t der Me_h? Die Allthropolo(i. der Oerlll'n.rt im Liebte der Theolorl'

141 H_"n Rri",pd Z .. ,I Hi,toribr. F. Chr. DaMminD lind Ju.b Burekbardt

142 Model'1le nlllllllCbe Lyrik. Hrag. '0ll JIIIIlfml. Peter H,ia

143/143a Eb. SchmidMu.ftr Vom Sion der Strafe

1 .... /45 GoUlob Fr.g~ }'uuktioll, Begriff, Bedeu· tulll. AU'fewlhlte Auf· litze, brag. v. Gil lltber r,Wr

146/48 Woll'lflnV F.onk.! emu und du Abelldlilld

149f50 WaUhto- R.1Im JUli Paul - DOltoje.· lkij. Eill' Studielur dieb­terillCb,n Gelt&ltulig du UtlfluMD.I

151 Poul TiUWI Symbol und Wirkliebkeit

152/53 Hmna"n K"morowicl Der Begriff det Reebtl

154/56 WoUeoo RtlIm GOllteoblrow u. JlcobHII oder LIIIJ •• eile ulld Seb.ermut

157/58 Tute deutacber )1yltit d .. 16. Jlhrb. Hrag. , . Jouhim 8l!yppel

159/61 K61. Hombu'geoo Tolltoi. Ge.talt und Pro­blem

162/63 Gwloo RodbrueII Apborilme ll IUr Rellbtl· •• ilbeit. JIrt(. v. A. Kulmlllll

185 H" ... Joru:. Zwiaeben Nioht. ulld E.irkeit. Drei Aufllt.ze Iur Lebre vom lIeD.lClbOD

166/68 W"UJuor ZimllWli Du O,"tl ulld die Pro­phetell. Zum VorsUlldlli, dei Alt.ell Tettaroelltl

169 (5 ) Jlo,.. Sl.t.Hm {lIrag.) Formkrl!te der deuteehall Diehtu IIJ vom BUDek hi, lur Ge .. ell .... t

110 (5 ) OlM. Sridlin VOll Goetbe n TbOIllII 111111111 . Z.GIJ Vorsuob,

171 (5 ) H a.., R;Xhfw Zoliteeacbiebtiiebl EI· traobtungell. Vo~ 11. Aublil u

172/74 Rob.,1 Fridar Du modem. 01111. Drtm.

175m IV. A. JMr I H. lV. Singeoo Die Nitiolllllitono ... ie im DieD.lte der Wirtatbaftt· politit

178/SO Ftau~lillC b e Lyri t im 20. Jabrh. ('.Iilpr.) (1Iorald 11' einnrlll Eil. UOllek)

181 183 H" ... 1l.meooll4~", Moderne italiellileheLyrik

184 G«JHnll Ba,.,.odour llo Die Einheit Europu IIr Gedlnke lind Tat

H15/l!8 Hn>R(I"" Diem SGren Kierkagurd. I!:i . EinJübrungo

187 F. K. Slomd Typilcbe Formen dll Romani -

188/90 Sir B.",ar~ (A.C.B.) Loo<lI Neue Wege lur Er· forsebung dei WeltrIum.

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Die großen Religionen Herausgegeben von Gerherd Güntncr · 1961. InS';/"" UiM/f 14,80 DM

Inhalt : F. Heiler. Religion und Religionen I H. v. Glasenapp. Der Hinduiunul I G. Rosenknnz, Der Buddhismus 1 K. H. Rengstorf. Das Judentum 1 B. Spuler , Der Islam I P. Meinhold, Das katho lische Christentum 1 \VI. Ttillhaas, Protcslantile~ Christentum { R. Stuppc:rich , Das östl ieh-orthodOlle Christentum 1 H.·R. Müller­Seh_ fe, Atheismus { J. Hermclink, Zukunft der Religion.

"Bei aller Weite und o ft Fremdheit begegnen wi. überall Ul\SCtCn Fngen in "oorrer Zeit!" ArbtillbilJ'" fiir MfI nong. RtligiofIJllfltitrTirbl

VANDENHOECK &: RU PR ECHT I N GOTTI NGEN UND ZO R. ICH