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Produktbezogene Klimaschutzstrategien Product Carbon Footprint verstehen und nutzen

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Produktbezogene KlimaschutzstrategienProduct Carbon Footprint verstehen und nutzen

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IMPRESSUM

Herausgeber: Bundesministerium fur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) Referat Öffentlichkeitsarbeit • 11055 Berlin

E-Mail: [email protected] • Internet: www.bmu.de

Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) Abteilung Klima und Nachhaltige Entwicklung Breite Straße 29 • 10178 Berlin

Redaktion: Peter Blickwedel, Bundesministerium fur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Gerhard Brankatschk, OVID Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland e. V. Rainer Buchholz, WirtschaftsVereinigung Metalle e. V.

Dr. Tina Buchholz, Verband der Chemischen Industrie e. V. Peter Feller, Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e. V. (BVE)

Prof. Dr. Marina Franke, Procter und Gamble Service GmbH Dr. Rainer Grießhammer, Öko-Institut e. V. Institut fur angewandte Ökologie Norbert Hatscher, Stahlinstitut VDEh Dr. Marita Hilgenstock, RWE Aktiengesellschaft Christian Hochfeld, Öko-Institut e. V. Institut fur angewandte Ökologie Franz-Josef von Kempis, Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) Bjoern Kulmann, Ball Packaging Europe Holding GmbH & Co. KG Christina Meßner, Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e. V. Kerstin L. Ochs, Henkel AG & Co. KGaA Holger Ortleb, Bundesverband Baustoffe - Steine und Erden e. V. Nicola Paczkowski, BASF SE Stefan Rössing, Verein der Zuckerindustrie e. V. Dr.-Ing. Martin Ruhrberg, BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. Dr. Eva Spindler-Raffel, Tetra Pak GmbH & Co. KG Sheryl Webersberger, Bundesverband Glasindustrie e. V.

Gestaltung: Proesler Kommunikation GmbHDruck: Silber Druck, Niestetal

Abbildungen: S. 1 Photo_Ma - Fotolia.com S. 4 Matthias Ludecke

Stand: Juni 20101. Auflage: 5.000 Exemplare

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Inhalt 3

Inhalt

Vorworte des Bundesumweltministers und des Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

herausforderung Produktbe zogener Klimaschutz im Rahmen des nachhaltigen Konsums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Klimawandel als zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Klimaeffekte von Produkten und deren Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Unternehmen und Verbraucher: Gemeinsame Verantwortung fur den klimagerechten Konsum 16

Der Product Carbon Footprint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Definition des Product Carbon Footprint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Internationale Standardisierungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Nutzen des Product Carbon Footprint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Product Carbon Footprint versus produktbezogene Ökobilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Product Carbon Footprint in der Praxis: Organisation der Erhebung und methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Vorbereitungen zur Erfassung des PCF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Erhebung und Berechnung des Carbon Footprint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

Spezifische methodische Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

Bewertung und Anwendung des PCF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

Aufwand zur Ermittlung eines PCF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Kommunikation des Product Carbon Footprint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Empfehlungen fur eine klimabezogene Produktkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

CO2-Label versus Umweltlabeling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Perspektiven des Product Carbon Footprint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

Weiterführende literatur und nützliche links . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

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4 Vorwort des Bundesumweltministers

VORWORt VOn BUnDESUMWEltMInIStER DR. nORBERt RöttGEn

Der Klimawandel ist eines der größten Herausforderungen, vor denen die internatio-

nale Gemeinschaft steht. Um dem begegnen zu können, haben wir uns ambitionierte

Klimaschutzziele gesetzt, die nur erreicht werden können, wenn alle einen Beitrag dazu

leisten. Das gilt auch für Produzenten und Konsumenten.

Eine Voraussetzung, um klimafreundlich produzieren und konsumieren zu kön-

nen, ist, die Klimabilanz von Produkten zu kennen. Daher haben sich in den letz-

ten Jahren verschiedene Initiativen zur Ermittlung der CO2-Bilanz von Produkten

entwickelt, um deren konkreten „CO2-Fußabdruck“, den Product Carbon Foot-

print, abzubilden. Allerdings existieren hierzu mittlerweile ganz unterschiedliche

Berechnungsverfahren. Ein einheitliches Verfahren, um den Product Carbon Foot-

print zu ermitteln und darzustellen, gab es bisher nicht. Das Bundesumweltminis-

terium und das Umweltbundesamt haben daher das Öko-Institut Freiburg beauf-

tragt, Vorschläge für eine belastbare Methodik zu entwickeln. Die Ergebnisse sind

in dem Ende 2009 veröffentlichten Memorandum zum Product Carbon Footprint

festgehalten, das Empfehlungscharakter hat. Das wichtigste Ergebnis ist: Der

„CO2-Fußabdruck“ ist für die Hersteller ein hilfreiches Instrument.

Auf Basis dieser Arbeiten haben das Bundesumweltministerium, das Umweltbundes-

amt und der Bundesverband der Deutschen Industrie jetzt einen Leitfaden heraus-

gegeben, der sich in erster Linie an Unternehmen richtet, die den Product Carbon

Footprint ihrer Produkte erheben und nutzen wollen. Damit geben wir ihnen ein Instru-

ment an die Hand, das praktische Empfehlungen zum Vorgeben enthält. Die Ermittlung

des „CO2-Fußabdrucks“ kann den Unternehmen dazu dienen, die Potenziale zu ermit-

teln und zu nutzen, um die Emissionen zu reduzieren. So können Impulse für eine eige-

ne Klimaschutzstrategie und für die klimafreundlichere Gestaltung der Produkte gege-

ben sowie die Verbraucherinnen und Verbraucher über die Klimawirkungen informiert

werden. Produktkennzeichen sind ein wichtiges Instrument, um den Konsumenten den

Weg zum umweltfreundlichen Konsum zu weisen. Dabei geht es nicht darum, für den

„CO2-Fußabdruck“ ein neues Kennzeichen auf den Markt zu bringen, sondern auf be-

währte Zeichen, wie z. B. den Blauen Engel, zurückzugreifen.

Der größte Nutzen des Product Carbon Footprint wird darin gesehen, dass es möglich

ist, die Treibhausgasemissionen der Waren und Dienstleistungen entlang des gesam-

ten Produktionsweges zu reduzieren. Den optimalen Nutzen kann die Analyse des

Product Carbon Footprint allerdings nur entfalten, wenn nicht nur eindimensional der

Treibhauseffekt bilanziert wird, sondern wenn auch andere Umwelt- und Nachhaltig-

keitskriterien berücksichtigt werden. So sollten z. B. bei Baumwollprodukten auch der

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5Vorwort des Bundesumweltministers

Wasserverbrauch in der Herstellung oder die eingesetzten Chemikalien berücksichtigt

werden. Eine Produktbewertung über den gesamten Lebensweg hinweg ist die beste

Voraussetzung, um ein Produkt umfassend auf seine Auswirkungen auf das Klima und

die Umwelt zu beurteilen und diese reduzieren zu können.

Dr. Norbert Röttgen, Bundesumweltminister

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6 Vorwort des Präsidenten des BDI

VORWORt DES PRäSIDEntEn DES BUnDESVERBanDES DER DEUtSChEn InDUStRIE E. V. (BDI) PROF. hanS-PEtER KEItEl

Der Klimawandel ist eine der zentralen Herausforderungen, der sich Industrie und

Gesellschaft gegenübersehen. Das Instrument des Product Carbon Footprint (PCF) ist als

Lösungsbeitrag dazu in den Fokus gerückt. Ein PCF beziffert die Emissionen von Treib-

hausgasen, die ein Produkt während seines gesamten Lebensweges verursacht. Zahl-

reiche Initiativen auf internationaler und nationaler Ebene haben sich zum Ziel gesetzt,

Methoden oder Empfehlungen zur Berechnung oder Kommunikation eines PCF zu

entwickeln bzw. zu harmonisieren. Der Prozess des Product Carbon Footprinting kann

Unternehmen unterstützen, Transparenz über ihre Treibhausgasemissionen entlang

ihrer Wertschöpfungskette zu erlangen und sinnvolle Reduktionspotenziale zu identi-

fizieren. Der größte Nutzen des Product Carbon Footprinting liegt daher in der Chance,

die Klimawirkungen eines Produkts entlang seines gesamten Lebensweges zu optimie-

ren.

Die Aussagekraft von PCFs haben aber auch Grenzen. So haben bisherige Erfahrungen

zahlreicher Hersteller gezeigt, dass PCFs kein zuverlässiges Instrument zur Produkt-

kennzeichnung mit dem Ziel der Verbraucherkommunikation sein können. Das liegt

vor allem an den methodischen Schwierigkeiten: den Datenstreubreiten, Unwägbar-

keiten und Annahmen sowie den wechselnden Parametern entlang der Lieferkette bei

der Erfassung und Aufbereitung von PCFs als aussagekräftigen Kenngrößen für Ver-

braucher.

Außerdem beschreiben sie nur eine ökologische Kenngröße – die Treibhausgasemissio-

nen – von Produkten. Ein reines PCF-Label insbesondere mit einer CO2-Ziffer hat daher

insbesondere für die Verbraucher keinerlei Aussagekraft hinsichtlich der Umwelt- und

Klimaverträglichkeit von Produkten.

Der vorliegende Leitfaden will Unternehmen daher unterstützen, ihre PCFs so zu er-

fassen und zu kommunizieren, dass sie daraus den größtmöglichen Nutzen ziehen kön-

nen.

Prof. Dr.-Ing. Hans-Peter Keitel

Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V. (BDI)

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7Zusammenfassung

ZUSaMMEnFaSSUnG

Der Klimawandel ist eine der zentralen weltweiten Herausforderungen unserer Gesell-

schaft in diesem Jahrhundert. Um die Risiken der Erwärmung auf Mensch und Natur

überhaupt noch einzudämmen, muss der durchschnittliche Temperaturanstieg bis

zum Ende des Jahrhunderts weltweit auf zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindus-

triellen Niveau begrenzt werden. Das bedeutet nach dem heutigen Erkenntnisstand,

dass wir die Treibhausgasemissionen in den Industrieländern bis 2050 um mindestens

80 % im Vergleich zu 1990 reduzieren müssen. Das wiederum erfordert ein grundlegen-

des Umdenken nicht zuletzt bei der Produktion von Waren und Dienstleistungen1 und

deren Konsum. Hersteller und Verbraucher sind gefordert, ihre Beiträge für eine klima-

gerechte Produktion und einen klimagerechten Konsum zu leisten.

Gemäß der Regel „Nur was messbar ist, kann auch gemanagt werden“ muss die Voraus-

setzung erfüllt sein, dass Unternehmen und Konsumenten verlässliche Informationen

zu den Treibhausgasemissionen, die mit ihren Produkten über den gesamten Lebens-

zyklus hinweg verbunden sind, vorliegen. Diese Informationen sind eine wichtige Basis,

um die Klimawirkungen der Herstellung, Nutzung und Entsorgung von Produkten zu

minimieren.

Der sogenannte Product Carbon Footprint (PCF) könnte derartige Informationen ver-

fügbar machen:

„Der Product Carbon Footprint bezeichnet die Bilanz der Treibhausgas-

emissionen entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produkts in einer

definierten Anwendung und bezogen auf eine definierte Nutzeinheit.“2

Der vorliegende gemeinsame Leitfaden des Bundesministeriums für Umwelt, Natur-

schutz und Reaktorsicherheit (BMU) und des Bundesverbands der Deutschen Industrie

(BDI) verfolgt deshalb folgende Ziele:

»» interessierten Unternehmen Unterstützung und Empfehlungen bei der Ermitt-

lung des jeweiligen PCFs zu geben und

»» die Anforderungen an eine angemessene und erfolgreiche Kommunikation für

den Klimaschutz – bezogen auf die Produkte – zu formulieren sowie

»» eine gemeinsame Einschätzung des BMU und BDI zum Nutzen von PCF-Labeln

mit CO2 Ziffer zu vermitteln,

»» Grenzen und Probleme des PCF aufzeigen.

1 Im Rahmen dieses Leitfadens wird der Begriff „Produkt“ als Sammelbegriff für Waren und Dien-stleistungen verwendet.

2 Definition aus dem Entwurf der ISO 14067 „Carbon Footprint of Products“.

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Zusammenfassung8

Der Leitfaden richtet sich in erster Linie an Unternehmen, die den Product Carbon Foot-

print ihrer Produkte erheben und kommunizieren wollen. Er veranschaulicht das prak-

tische Vorgehen bei der Erhebung und Kommunikation des Product Carbon Footprint.

Die Empfehlungen zum Vorgehen werden sowohl für Produkte für Konsumenten als

auch für Produkte, die zwischen Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette ge-

handelt werden, gegeben.

Zahlreiche Initiativen auf internationaler und nationaler Ebene haben sich in den

letzten Jahren zum Ziel gesetzt, Methoden und Empfehlungen zur Berechnung oder

Kommunikation eines PCF zu entwickeln bzw. zu harmonisieren. In Deutschland hat

das BMU das Öko-Institut beauftragt, eine systematische Analyse zum Entwicklungs-

bedarf der Erfassungsmethodik und der entsprechenden Kommunikation bis hin zur

Produktkennzeichnung vorzunehmen. Dabei werden auch die Erfahrungen aus dem

„PCF Pilotprojekt Deutschland“3 herangezogen, in dem eine Reihe von Unternehmen

aus dem produzierenden Gewerbe und dem Handel die praktische Anwendbarkeit

der Berechnungsmethoden getestet und auch erste Erfahrungen zur Kommunikation

des PCF gesammelt haben. Darüber hinaus arbeiten bereits auch zahlreiche einzelne

Unternehmen verschiedenster Branchen an der Bilanzierung der Klima- und Um-

weltwirkungen ihrer Produkte.

Die Ergebnisse und Erfahrungen dieser Arbeiten sind die Grundlage für den vorliegen-

den gemeinsamen Leitfaden des BMU und des BDI zum Product Carbon Footprint.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine Reihe von Methoden und Analyseinstru-

menten entwickelt, mit deren Hilfe die Umweltverträglichkeit bzw. Nachhaltigkeit von

Produkten über den gesamten Lebensweg analysiert und bewertet werden kann: Öko-

bilanzen, Ökoeffizienzanalysen, produktbezogene Sozialbilanzen und Produkt-Nachhal-

tigkeitsanalysen. Auch mit diesen Methoden lässt sich bereits heute z. B. die Klimabilanz

von Produkten über den gesamten Lebensweg darstellen. Der große Vorteil dieser ganz-

heitlichen Methoden ist, dass eine Optimierung der Produkte über verschiedene Umwelt-

oder zusätzliche Nachhaltigkeitskategorien und damit auch über Zielkonflikte zwischen

den einzelnen Kategorien bei der Verbesserung der Produkte hinweg erfolgen kann.

Die Beschränkung nur auf die Wirkungskategorie „Treibhauseffekt“ hingegen ist ge-

rade im Hinblick auf eine gesamthafte Optimierung der Produkte nicht ausreichend,

kann sogar in Einzelfällen kontraproduktiv sein. So könnten z. B. Produkte mit gutem

PCF bevorteilt werden, obwohl sie vielleicht eine schlechte Gesamtumwelt- oder Nach-

haltigkeitsbilanz aufweisen. Um derartigen Fehlentscheidungen vorzubeugen, bedarf

es einer umfassenden Analyse und Produktbewertung über den gesamten Lebensweg

hinweg.

Der genauere Blick auf die Wirkungskategorie „Treibhauseffekt“ über den Product

Carbon Footprint hat jedoch gezeigt, dass zusätzliche Erkenntnisse in Bezug auf die

Methodik der Analyse der Klimarelevanz zu berücksichtigen sind. Ein Beispiel: Wie sind

3 Ausführliche Informationen und Dokumentationen zu den Ergebnissen des PCF Pilotprojekts Deut-schland finden sie unter www.pcf-projekt.de

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Zusammenfassung 9

Landnutzungsänderungen beim Anbau von biogenen Produkten in Bezug auf die pro-

duktbezogenen Treibhausgasbilanz zu berücksichtigen? Diese neuen methodischen

Erkenntnisse sind für alle Formen der produktbezogenen Umwelt- oder Nachhaltig-

keitsbewertung über den Lebensweg der Produkte relevant.

Deshalb»empfehlen»BMU»und»BDI»mit»diesem»Leitfaden,»die»folgenden»Erkennt­

nisse»zur»Methode»der»Ermittlung»des»Product»Carbon»Footprint»für»die»Pro­

duktbewertung»zu»nutzen.»Die»Ermittlung»des»Product»Carbon»Footprint»wird»

allgemein»besonders»dann»als»nützlich»angesehen,»wenn»es»darum»geht,»»Möglich­

keiten»zu»ermitteln,»wie»Treibhausgasemissionen»von»Waren»und»Dienstleistun­

gen»entlang»des»gesamten»Produktlebensweges»reduziert»werden»können.

Im»Falle»einer»umfassenderen»Bewertung,»die»alle»Dimensionen»der»Nachhal­

tigkeit»abdecken»soll,»müssen»auch»die»relevanten»sozialen»und»ökonomischen»

Kriterien»einbezogen»werden.»Dieses»Vorgehen»führt»nicht»unbedingt»zu»einem»

Mehraufwand.»Wohl»aber»verleiht»es»mehr»Sicherheit»bei»Bewertungen»und»der»

Ableitung»von»Handlungsempfehlungen»zur»Optimierung»der»Produkte.»Unter»

Berücksichtigung»aller»relevanten»Umwelt­»und»Nachhaltigkeitskriterien»kann»

der»ermittelte»PCF»so»den»maximalen»Nutzen»entfalten.

Die Ermittlung von Product Carbon Footprints kann Unternehmen dann dabei unter-

stützen,

»» Transparenz in der Wertschöpfungskette im Hinblick auf die vor- und nachgela-

gerten Prozesse und beteiligten Akteure zu schaffen,

»» Bewusstsein für die Treibhausgasemissionen entlang der Wertschöpfungskette

zu schaffen und besonders emissionsreiche Phasen zu identifizieren,

»» Potenziale zu identifizieren, wie Emissionen reduziert werden können, begin-

nend mit der Produktentwicklung,

»» Dokumentation von Verbesserungen des PCF, zum Beispiel über Produkt-

generationen, zu erstellen,

»» Impulse für die (Weiter-)Entwicklung der eigenen Klimastrategie zu gewinnen,

»» die Relevanz von Treibhausgasemissionen im Vergleich zu anderen Umwelt-

wirkungen eines Produkts zu analysieren und zu bewerten.

Ein international verbindlicher ISO-Standard (ISO 14067) zum Product Carbon Footprint

und eine international harmonisierte Richtlinie mit dem Charakter eines Standards

(Greenhouse Gas Product Protocol) sind derzeit in Arbeit. Die Bestrebungen zur Erarbei-

tung einer international einheitlichen Methodik werden begrüßt. Mit abschließenden

Ergebnissen ist allerdings nicht vor Ende 2011 zu rechnen.

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Zusammenfassung10

Das stellt Anwender in der Praxis vor die Herausforderung, dass bis zu diesem Zeitpunkt

keine international verbindliche Methodik zur Erfassung des Product Carbon Foot-

print vorliegt. Gerade in diesem Zeitraum aber werden viele Unternehmen sich mit der

Klima relevanz von Produkten auseinandersetzen müssen. Für diesen Zeitraum spricht

das BMU Empfehlungen zum methodischen Vorgehen ergänzend zur Ökobilanznorm

der ISO 14040 ff. aus4, die auch in die internationalen Standardisierungsprozesse einge-

speist werden. Die Public Available Specification 2050 (PAS 2050), die 2008 als Empfeh-

lung in Großbritannien publiziert wurde, wird nicht als hinreichend und zielführend

für die Erfassung des PCF angesehen.

Solange noch kein internationaler Standard zur Ermittlung eines PCF vorliegt, ist

die transparente Dokumentation des methodischen Vorgehens sowie der genutzten

Daten von höchster Bedeutung, um die Belastbarkeit und Glaubwürdigkeit der Ergeb-

nisse bewerten zu können. Das gilt insbesondere für den Fall, dass Unternehmen die

Ergebnisse eines PCF veröffentlichen wollen. Für den Fall der Veröffentlichung wird

zusätzlich eine kritische Prüfung (Critical Review) entsprechend den Anforderungen

bei der Erstellung einer Ökobilanz empfohlen.

Der Product Carbon Footprint als Grundlage für die Produktkennzeichnung insbeson-

dere über ein PCF-Label mit CO2-Ziffer wird international sehr kontrovers diskutiert. In

verschiedenen Ländern wie Großbritannien, Japan, Südkorea oder Thailand werden

entsprechende Labels bereits auf freiwilliger Basis getestet oder sind bereits probeweise

eingeführt. Auch eine Verpflichtung zur Produktkennzeichnung über ein PCF-Label mit

CO2-Ziffer ist in der Diskussion.

Mögen»CO2­Werte»über»ein»entsprechendes»Label»auf»Produkten»auf»den»ersten»

Blick»als»attraktive»und»wünschenswerte»Information»für»Verbraucher»erscheinen:

BMU»und»BDI»kommen»auf»Basis»der»bisherigen»Erkenntnisse»und»Erfahrungen»

zu»dem»Schluss,»dass»die»Angabe»des»rein»numerischen»Wertes»für»den»PCF»–»also»

PCF­Labels»mit»CO2­Ziffer»–»auf»dem»Produkt»kein»sinnvolles»und»zuverlässiges»

Instrument»für»eine»effektive»Verbraucherkommunikation»ist.

Die Gründe für diese Schlussfolgerung sind:

»» die noch nicht abschließend geklärten methodischen Herausforderungen.

»» die Varianzen in der Lieferkette in Bezug auf die verwendeten Annahmen, Daten

und Ergebnisse, die typisch sind für lebenszyklusbezogene Untersuchungen

und vor allen Dingen

»» die Streubreiten der Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette zum

Beispiel über wechselnde Zulieferer,

4 Bundesumweltministerium, Umweltbundesamt, Öko-Institut: Memorandum Product Carbon Foot-print, Berlin 2009 – Positionen zur Erfassung und Kommunikation des Product Carbon Footprint für die internationale methodische Standardisierung und Harmonisierung, www.bmu.de.

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Zusammenfassung 11

»» die fehlenden verbindlichen einheitlichen methodischen Standards für die Er-

fassung des Product Carbon Footprints.

Aus diesen Gründen ist es auf absehbare Zeit nicht vorstellbar, eine wettbewerbsrecht-

lich tragfähige vergleichende CO2-Kennzeichung von Produkten mit dem jeweiligen

numerischen Wert (PCF-Labels mit CO2-Ziffer) zu realisieren. – Dies gilt besonders für Le-

bensmittel, die momentan im Mittelpunkt der Diskussion stehen, aber auch für andere

kurzlebige Konsumgüter.

In der Praxis können Verbraucher zudem mit PCF-Label mit CO2-Ziffer wenig anfangen,

»» weil sie keinen Vergleichsmaßstab haben,

»» weil sich aus den Werten keine Handlungsempfehlungen für die optimale

Nutzung der Produkte unter Klimagesichtspunkten ergeben,

»» weil die Bedeutung anderer Umweltaspekte nicht berücksichtigt wird und

»» weil es eine zunehmende Verwirrung durch eine Vielzahl von Umweltlabels

gibt.

Deshalb lehnen auch die europäischen Verbraucherverbände PCF-Labels mit CO2-Ziffer

ab5.

Sobald Untersuchungen gezeigt haben, dass der PCF eine aussagefähige Größe in Bezug

auf die Umweltverträglichkeit einer Produktgruppe ist, sollte dieser eher in anerkannte

Umweltzeichen (Typ 1 nach ISO 14024) integriert werden. Statt neue PCF-Labels mit CO2-

Ziffer mit beschränkter Aussagekraft einzuführen, sollte eine verbrauchergerechte Kom-

munikation mit bestehenden Umweltzeichen – wie dem Blauen Engel – erfolgen. Für das

Umweltzeichen Blauer Engel werden derzeit in einem Projekt bis 2011 die Vergabekrite-

rien für die aus Klimasicht wichtigsten einhundert Produktgruppen erarbeitet.

Jenseits einer Produktkennzeichnung mit Label wird dem Product Carbon Footprint

durchaus das Potenzial zugesprochen, eine tragfähige Grundlage für eine sinnvolle

Produktkommunikation gegenüber Unternehmenspartnern und den Konsumenten

zu bilden. Gerade dann, wenn auch weitere Nachhaltigkeitskriterien für die Produkte

mit erfasst und bewertet werden, lassen sich für die Verbraucher auf Basis des PCF hand-

lungsrelevante Botschaften ableiten, die einen nennenswerten Beitrag für einen klima-

gerechteren Konsum leisten können. Ein Beispiel sind die Handlungsempfehlungen im

Bereich des nachhaltigen Waschens, die gemeinsam von Herstellern, Verbraucher- und

Umweltorganisationen sowie dem Umweltbundesamt erarbeitet und in der Vergan-

genheit erfolgreich kommuniziert wurden.6

5 ANEC, BEUC, ECOS, EEB: Joint Position – Sizing up Product Carbon Footprinting, Brüssel 2009.6 Mehr Informationen zur Initiative zur Förderung des nachhaltigen Handelns beim (Ab-)Waschen

finden Sie unter www.forum-waschen.de.

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Zusammenfassung12

BMU und BDI befürworten in diesem Sinne die Arbeit an glaubwürdigen Kommuni-

kationsformen jenseits der Produktkennzeichnung, die im Sinne der Klimarelevanz des

Konsums sensibilisieren und dabei helfen, Reduktionspotenziale auf der Nutzungsseite

der Produkte zu erschließen. Dabei regen sie Unternehmen zu Initiativen an, bei denen

möglichst frühzeitig die jeweils relevanten Experten für Umwelt- und Verbraucher-

schutz im Rahmen eines konstruktiven Dialogs eingebunden werden, um damit die

Akzeptanz, die Glaubwürdigkeit und die Wirksamkeit der entwickelten Maßnahmen zu

steigern.

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Einleitung 13

EInlEItUnG

hintergrund

In den letzten Jahren hat sich weltweit eine Vielzahl von staatlich oder privat getra-

genen Initiativen zur Erfassung und Kommunikation des Product Carbon Footprint

im Bereich produktbezogener Klimabilanzen entwickelt (z. B. mit dem PCF Projekt

Deutschland). Dabei wurde deutlich, dass erstens ein großer Bedarf für die Entwicklung

international verbindlicher harmonisierter Standards und Richtlinien für die Methodik

des Product Carbon Footprint besteht und dass zweitens eine angemessene Kommu-

nikation insbesondere im Hinblick auf den Nutzen von PCF-Labels mit CO2-Ziffer sehr

unterschiedlich bewertet wird.

Die British Standard Institution (BSI) hat zusammen mit dem britischen Umweltminis-

terium (defra) und dem Carbon Trust mit der Public Available Specification [PAS] 2050

„Specification for the assessment of the life cycle greenhouse gas emissions of goods and

services“ als eine Empfehlung in Großbritannien eingebracht. Dies war ein erster umfas-

sender Vorschlag für die Methodik des Product Carbon Footprint in der internationalen

Debatte. Obwohl die PAS 2050 in der finalen Version vom Oktober 2008 überwiegend

auf der Ökobilanznorm ISO 14040 ff. aufbaut, weicht sie aber auch in einigen wichtigen

Aspekten deutlich davon ab. Mittlerweile wurden Prozesse zur Erarbeitung interna-

tionaler Standards bei der Internatio nalen Standardisierungsorganisation (ISO) und

harmonisierter Richtlinien in Ergänzung zum Greenhouse Gas Protocol zum Product

Carbon Footprint initiiert. Mit Ergebnissen ist hier aber erst Ende 2011 zu rechnen.

Die Aktivitäten in zahlreichen Unternehmen zur Erfassung und Kommunikation des

PCF und entsprechender Maßnahmen zu seiner Reduktion finden also in

einer Zeit statt, in der noch keine ausgereiften internationalen Standards vorliegen und

bei der es gleichzeitig Unsicherheit über die angemessene Kommunikation gibt.

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) hat da-

her das Öko-Institut beauftragt, im Rahmen des Projekts „CO2-Kenn zeichnung von Waren

und Dienstleistungen“ eine systematische Analyse zum Weiterentwicklungsbedarf der

Methodik und zu CO2-Kennzeichungen vorzu nehmen.

Parallel dazu haben sich zehn Unternehmen in Deutschland in Kooperation mit dem

WWF, dem Öko-Institut, dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und Thema1 als

Projektträger zum PCF Pilotprojekt Deutschland zusammengefunden, um anhand von

praktischen Beispielen die Eignung bestehender Ansätze zur Erfassung und Kommunika-

tion des PCF zu erproben und Empfehlungen für die Weiterentwicklung zu erarbeiten.

In beiden Projekten wurden die Anforderungen an die Methodik des Product Carbon

Footprint und dessen Kommunikation theoretisch und an Fallbeispielen erörtert und

mit einer Vielzahl von Stakeholdern und Wissenschaftlern auf nationaler und interna-

Page 14: Produktbezogene Klimaschutzstrategien - bdi.eu · 8 Zusammenfassung Der Leitfaden richtet sich in erster Linie an Unternehmen, die den Product Carbon Foot-print ihrer Produkte erheben

Einleitung14

tionaler Ebene diskutiert. Basierend auf den Erfahrungen in diesen Projekten und einer

Vielzahl von Aktivitäten in einzelnen Unternehmen haben das BMU und der BDI be-

schlossen, den vorliegenden gemeinsamen Leitfaden „Produktbezogene Klimaschutz-

strategien: Product Carbon Footprint verstehen, anwenden und nutzen“ zu erstellen.

Der Leitfaden fasst wesentliche Praxishinweise zur Erfassung und der Kommuni kation

des Product Carbon Footprint zusammen. Er formuliert konkrete Em pfehlungen für

den praktischen Umgang bei der Ermittlung und Bewertung von Product Carbon Foot-

prints, die mindestens für den Zeitraum, in dem noch keine verbindlichen internatio-

nalen Normen und Standards vorliegen, gelten sollten.

Darüber hinaus werden die wesentlichen Positionen im Hinblick auf die Kom-

munikation des PCF formuliert, die auf den Erfahrungen mit der Erfassungsmethodik

aufbauen.

Der Leitfaden richtet sich insbesondere an

»» Anwender bei Produktherstellern und Handelsunternehmen sowie Dienstleister,

»» Politik (produktbezogene Klimaschutzpolitik, Umweltkennzeichnung) und

»» interessierte Öffentlichkeit.

Darüber hinaus wird auch ein Nutzen für die laufenden Standardisierungsprozesse ge-

sehen.

Ziele

Das Ziel des Leitfadens ist es,

»» die Erfahrungen mit dem Instrument des Product Carbon Footprint aus unter-

schiedlichen Projekten in gemeinsamen Analysen und Positionen darzulegen,

»» interessierten Unternehmen unabhängig von Ihrer Größe und Branche prakti-

sche Empfehlungen bei der Ermittlung, Bewertung und Kommunikation eines

PCF zu geben, insbesondere in einer Übergangszeit, in der keine gemeinsamen

international harmonisierten Standards existieren,

»» die Anforderungen an eine gute und erfolgreiche Kommunikation im produkt-

bezogenen Klimaschutz zu formulieren,

»» eine gemeinsame Einschätzung zu dem PCF-Label mit CO2-Ziffer zu vermitteln,

»» die Grenzen und Probleme des PCF aufzuzeigen.

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herausforderung Produktbe zogener Klimaschutz 15

hERaUSFORDERUnG PRODUKtBE ZOGEnER KlIMaSChUtZ IM RahMEn DES naChhaltIGEn KOnSUMS

Klimawandel als zentrale herausforderung des 21. Jahrhunderts

Der globale Klimawandel ist Realität und damit eine der zentralen Heraus forderungen

für Gesellschaft, Politik, Industrie und Wirtschaft. Um die Auswirkungen der globalen

Erwärmung auf Mensch und Natur in einem möglichst kontrollierbaren Rahmen zu

halten, muss der mittlere weltweite Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad Celsius

gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden. Das bedeutet, so betont der

Weltklimarat IPCC, dass die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2050 um mehr als

die Hälfte gegenüber dem Jahr 1990 gesenkt werden müssen. Dabei stehen Industrie-

länder besonders in der Pflicht – für sie leitet sich aus Klimamodellen eine erforderliche

Reduktion der jährlichen Treibhausgasemissionen von mindestens 80 % gegenüber dem

Jahr 1990 ab. Um das zu erreichen, sind auch erhebliche Änderungen bei Produkten

und Konsum – bei Produkt entwicklung und Produktdesign, Produktion und Vermark-

tung wie auch bei der Nutzung von Produkten – erforderlich. Zur Ableitung von ökolo-

gisch und ökonomisch effizienten Maß nahmen ist die Analyse der Klimaauswirkungen

von Produkten und Konsum essenziell.

Klimaeffekte von Produkten und deren Konsum

Der private Konsum über die Nutzung von Gütern, Nahrungsmitteln und Inanspruch-

nahme von Dienstleistungen ist für mehr als 40 Prozent der Pro-Kopf-Emissionen von

Treibhausgasen in Deutschland verantwortlich.7 Jeder Bürger in Deutschland emittier-

te im Jahr 2007 durchschnittlich rund elf Tonnen CO2-Äquivalente (ein Äquivalent ent-

spricht der Summe der im Kyoto-Protokoll erfassten Treibhausgase umgerechnet in die

Klimawirksamkeit von CO2). Diese Menge schließt die Emissionen aus Lebensbereichen

wie Wohnen, Mobilität und Ernährung und die Emissionen aus Herstellung und Kon-

sum von Gütern und Dienstleistungen aller Art ein.

Elf Tonnen pro Jahr ist deutlich zu viel. Denn die Klimaschutzziele bis 2050 erfordern rech-

nerisch eine Senkung der Treibhausgasemissionen pro Kopf im globalen Durchschnitt

von elf auf höchstens zwei Tonnen im Jahr. Dieser Vergleich macht deutlich: Um die Kli-

maziele zu erreichen, müssen insbesondere Industrieländer und darunter auch Deutsch-

land die Treibhausgasemissionen in allen Lebensbereichen erheblich senken. Während in

der Vergangenheit meist Energiewirtschaft und Industrie im Fokus der Emissionsdebat-

ten standen, wird mittlerweile auch die Bedeutung des privaten Konsums und den dahin-

ter stehenden Produkten für den Klimaschutz erkannt und diskutiert.

7 Quelle: Umweltbundesamt: Die CO2-Bilanz des Bürgers, Dessau 2007.

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herausforderung Produktbe zogener Klimaschutz 16

Unternehmen und Verbraucher: Gemeinsame Verantwortung für den klimagerechten Konsum

Unstrittig ist: Unternehmen und ihre Lieferanten sind für die Wertschöpfungskette und

das Design von Produkten verantwortlich. Unstrittig ist auch: Verbraucher haben durch

ihr Einkaufs- und Konsumverhalten einen erheblichen Einfluss darauf, welche Waren

nachgefragt und deshalb produziert werden. Sie bestimmen außerdem darüber, wie

und wie lange Güter und Dienstleistungen genutzt werden. Hersteller und Konsumen-

ten tragen also gemeinsam Verantwortung für weniger emissionsintensive und klima-

verträglichere Produkte und deren Konsum.

Hersteller von Produkten können die Emissionen entlang des Lebenszyklus von Waren

und Dienstleistungen auf vielfältige Weise mindern:

»» bei der Produktentwicklung über die verbesserte Energie- und Rohstoffeffizienz

inklusive der Nutzungsphase sowie durch Minderung des Materialverbrauchs

oder Optimierung der Materialauswahl im Produktdesign

»» beim Einkauf durch die Wahl emissionsärmerer Vorprodukte und die ent-

sprechende Kooperation mit Lieferanten entlang der gesamten Wert-

schöpfungskette

»» bei den Transporten entlang der Lieferkette über die Optimierung der Logistik

und klimagerechte Transportmittelwahl

»» bei der Herstellung, beispielsweise durch verbesserte Rohstoff- und Energie-

effizienz der Prozesse

Klimaverträglicher Konsum ist nur möglich, wenn Verbraucher die Klimaverträglich-

keit von Produkten einschätzen, bewerten und entsprechend handeln können. Wenn

Konsumenten und Unternehmen ein besseres Verständnis der Klimawirksamkeit von

Produkten und Dienstleistungen entwickeln, eröffnen sich damit Möglichkeiten, Emis-

sionen gezielt zu reduzieren. Konsumenten tragen zu einer Reduktion der Emissionen

bei, indem sie bevorzugt langlebige Waren kaufen und ganz bewusst nach umwelt- und

klimaverträglichen Geräten oder Produkten fragen bzw. ihr tägliches Einkaufs- oder

Nutzerverhalten überdenken und ändern.

In den vergangenen Jahren wurden einige nützliche Instrumente zur Information von

Konsumenten geschaffen, beispielsweise das europäische Energielabel für Haushalts-

großgeräte, der Energiepass für Gebäude oder die Vorgaben zum Ausweisen der Emis-

sionen von Personenkraftwagen (Pkw). Diesen Instrumenten liegt jeweils eine standar-

disierte Erfassungsmethodik zugrunde, sodass vergleichende Aussagen möglich sind.

Für Lebensmittel und kurzlebige Konsumgüter gibt es dagegen bislang kaum erprobte

und allgemein akzeptierte Instrumente, mit deren Hilfe gezielt über Klimaverträglich-

keit informiert werden kann. Es fehlen Informationen über die Bedeutung des privaten

Konsums für den Klimawandel, über klimaverträgliche Produkte und deren klima- und

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herausforderung Produktbe zogener Klimaschutz 17

umweltverträglichen Gebrauch. Das heißt: Unternehmen haben derzeit kaum die Mög-

lichkeit, die Klimaverträglichkeit von Produkten ihren Kunden gegenüber glaubwürdig

darzustellen. Und Kunden und Konsumenten können klimaverträgliche Waren und

Dienstleistungen nicht nachvollziehbar identifizieren oder vergleichen. Es gilt deshalb

die wichtige Frage zu beantworten, wie die Ergebnisse des Product Carbon Footprint

transparent und wirksam an Konsumenten und Industriekunden kommuniziert wer-

den können.

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Der Product Carbon Footprint18

DER PRODUCt CaRBOn FOOtPRInt

Definition des Product Carbon Footprint

Der Begriff Product Carbon Footprint wird international noch unterschiedlich definiert

und verwendet. Im Rahmen dieses Leitfadens wird folgende Definition zugrunde ge-

legt, die sich auch im internationalen Verständnis immer mehr durchsetzt:

„Der Product Carbon Footprint bezeichnet die Bilanz der Treibhausgas-

emissionen entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produkts in einer

definierten Anwendung und bezogen auf eine definierte Nutzeinheit.“8

Dabei werden als Treibhausgasemissionen all diejenigen gasförmigen Stoffe verstanden,

für die vom Weltklimarat (IPCC) ein Koeffizient für das Treibhauspotenzial (THP; engl.:

Global Warming Potential = GWP) definiert wurde. Der Lebenszyklus eines Produkts

umfasst dabei die gesamte Wertschöpfungskette: von Herstellung und Transport der

Rohstoffe und Vorpro dukte über Produktion und Distribution bis hin zu Nutzung und

Entsorgung. Der Begriff Produkt steht als Oberbegriff für Waren und Dienstleistungen.

Als deutsche Übersetzung für Product Carbon Footprint wird in der Regel der Begriff

„CO2-Fußabdruck“ verwendet.

CO2CH4

SF6N2O

HFCsPFCs

Gesamter Lebenszyklus von Produkten und Dienstleistungen

Rohstoff-gewinnung Produktion Distribution EntsorgungEinkauf

Nutzung

abbildung 1: Veranschaulichung zur Definition des Product Carbon Footprint

Internationale Standardisierungsprozesse

Bislang bestehen keine international verbindlichen Standards zur Erfassung oder Kom-

munikation des Product Carbon Footprint. Um diesen Bedarf zu decken, wurde auf der

Ebene der ISO ein Prozess zur Erarbeitung eines Standards für den „Carbon Footprint of

Products“ initiiert.

8 Definition aus dem Entwurf der ISO 14067 „Carbon Footprint of Products“

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Der Product Carbon Footprint 19

ISO 14067 „Carbon Footprint of Products“

Das Technical Committee (TC) 207 „Environmental Management“ mit dem Subcom-

mittee 7 „Greenhouse Gas Management and related activities“ der Internationalen

Standardisierungs organisation (ISO) hat 2008 den Auftrag angenommen, einen Stan-

dard für „Carbon Footprint of Products“ zu erarbeiten (ISO/NP 14067). Der Standard

wird zwei Teile umfassen: Teil 1 – Erfassung bzw. Quantifizierung des Product Carbon

Footprint; Teil 2 – Kommunikation des PCF. Wichtige Grundlagen für den Teil 1, die PCF-

Quantifizierung, sind die ISO-Normen 14040 ff. zur Ökobilanzierung. Teil 2, die PCF-

Kommunikation, wird sich auf die ISO 14025 zum Umweltlabeling von Produkten und

zur Produktdeklaration stützen. Es wird angestrebt, die Entwicklung des Standards bis

Ende 2011 abzuschließen.

Von deutscher Seite wird die Erarbeitung des Standards „Carbon Footprint of Products“

von einem Spiegelgremium beim Deutschen Institut für Normung (DIN) vom Normen-

ausschuss Grundlagen im Umweltschutz (NA 172 NAGUS) begleitet.

Greenhouse Gas Protocol Product Initiative des WRI/WBCSD

Über die Initiative zur Erarbeitung eines ISO-Standards hinaus haben das World Re-

source Institute (WRI) und das World Business Council for Sustainable Development

(WBCSD) im Herbst 2008 eine Initiative angestoßen, um die Lücken des Greenhouse-

Gas-Protokolls (GHG Protocol) zu schließen. Das GHG Protocol repräsentiert eine in der

Praxis weitverbreitete Richtlinie zur Berechnung der Treibhausgasemissionen von

Unternehmen und anderen Organisationen.

Neben einer Richtlinie für die Wertschöpfungsketten (im GHG-Protocol-Duktus: Sco-

pe 3) wird auch an einer produktbezogenen Richtlinie gearbeitet: dem Product Life Cyc-

le Accounting and Reporting Standard.

Ziel des Standards ist es, die Möglichkeit zu schaffen, über Treibhausgasemissionen

entlang des Lebenszyklus von Produkten zu berichten. Damit sollen Unternehmen und

andere Organisationen in die Lage versetzt werden, Entscheidungen zu treffen, wie

klimarelevante Emissionen durch Produktdesign, bei Herstellungsprozesssen, der Dis-

tribution, der Nutzung durch den Verbraucher und der Entsorgung gesenkt werden

können. Es wird bereits jetzt darauf verwiesen, dass der Standard keine hinreichenden

Grundlagen für direkte Produktvergleiche oder eine Produktkennzeichnung liefern

wird. Ebenfalls wird darauf verwiesen, dass der Standard nicht darauf ausgerichtet ist,

die Bilanzierung der Kompensation von Treibhausgasemissionen („Klimaneutralität“)

zu unterstützen.

Ende 2009 wurde ein erster Entwurf des Standards (erarbeitet in einem Multi-Stakehol-

der-Prozess) zur öffentlichen Kommentierung publiziert. Es ist vorgesehen, dass dieser

Standard von Unternehmen im Verlaufe des Jahres 2010 getestet, dann überarbeitet

und in der finalen Version etwa Ende 2011 publiziert wird.

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Der Product Carbon Footprint20

Geplante VeröffentlichungEnde 2011 bis Mitte 2012

Geplante VeröffentlichungEnde 2010

ISO TC 207„Carbon Footprint of

Products“

WRI / WBCSD„GHG Protocol product

accounting and reporting standard“

ISO 14040 / 44 Ökobilanzen

abbildung 2: Standardisierungs- und Harmonisierungsansätze fur den Product Carbon Footprint von Produkten

Public available Specification 2050 (PaS 2050)

Eine der ersten Aktivitäten zur Erarbeitung der Methodik des PCF wurde in Groß-

britannien von BSI British Standards Solutions in Kooperation mit dem Department for

Environment, Food and Rural Affairs (defra) und dem Initiator des Carbon Trusts an-

gestoßen. Im Oktober 2008 wurde diese Initiative mit der Veröffentlichung einer Public

Available Specification, „Specification for the assessment of the life cycle greenhouse gas

emissions of goods and services“, einer Empfehlung unterhalb eines britischen Standards

(PAS 2050:2008), abgeschlossen9.

Darüber hinaus gibt es in verschiedenen Ländern wie Frankreich, Japan oder Thailand

Ansätze, in denen an Methodikansätzen für die Erfassung des Product Carbon Footprint

gearbeitet wird; meistens als Grundlage für nationale Ansätze zur Produktkennzeich-

nung. BMU und BDI sehen derartige nationale Ansätze nicht als den richtigen Weg zur

internationalen Standardisierung und Harmonisierung. Sie haben deshalb auch von

der Erarbeitung eines nationalen Standards abgesehen und streben an, dass die vom

BMU und im Rahmen des PCF Pilotprojekts Deutschland erarbeiteten Empfehlungen

in die internationalen Standardisierungs- und Harmonisierungsprozesse insbesondere

auf der Ebene der ISO eingebracht werden.

Beide Prozesse zur Erarbeitung von Standards und Leitlinien werden als sinnvoll und

unterstützenswert angesehen. Sie sollten so schnell wie möglich vorangetrieben wer-

den, um allen Akteuren möglichst rasch Richtungssicherheit geben zu können und da-

mit einen verbindlichen Rahmen zu schaffen, der die Potenziale des PCF als Beitrag zum

Klimaschutz in Produktion und Konsum voll ausschöpft, aber auch „Missbräuchen“ in

der Anwendung insbesondere in der Nutzung in der Kommunikation vorbeugt.

Aber auch ohne einen internationalen Standard ist schon heute eine wissenschaftlich

fundierte und konsistente Erhebung des PCF möglich, in erster Linie, um management-

9 http://www.bsigroup.com/en/Standards-and-Publications/Industry-Sectors/Energy/PAS-2050/

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Der Product Carbon Footprint 21

bezogene Anwendungsziele zur Reduktion des CO2-Fußabdrucks zu erfüllen. Allerdings

geht es beim Product Carbon Footprint derzeit noch um „work in progress“. Mit fort-

schreitender internationaler Harmonisierung der Methoden wird sich der PCF durch

Weiterentwicklung bzw. Konkretisierung der Methodik verändern. Das ist insbesonde-

re für die Kommunikation mit Konsumenten wichtig und verdeutlicht die Bedeutung

einer transparenten Dokumentation der Ergebnisse eines PCF.

Die Auseinandersetzung mit dem PCF liefert schon heute eine ganze Reihe von wichti-

gen Hinweisen für Nutzen und Grenzen des PCF in der unternehmens- oder produktbe-

zogenen Kommunikation zur Klimaverträglichkeit von Waren und Dienstleistungen.

nutzen des Product Carbon Footprint

Die Ermittlung von Product Carbon Footprints kann Unternehmen dabei unterstützen,

»» Transparenz in der Wertschöpfungskette im Hinblick auf die jeweils vor- und

nachgelagerten Prozesse und beteiligten Akteure entlang der Lieferkette zu

schaffen,

»» Bewusstsein für die Treibhausgasemissionen entlang der Lieferkette zu schaffen

und besonders emissionsintensive Phasen bzw. Prozesse zu identifizieren,

»» Potenziale zu analysieren, wie Emissionen möglichst effizient, teilweise auch

verbunden mit einer Kostensenkung, reduziert werden können,

»» Impulse für die (Weiter-)Entwicklung der eigenen Klimastrategie zu gewinnen,

»» die Relevanz von Treibhausgasemissionen im Vergleich zu anderen Umweltwir-

kungen eines Produkts zu analysieren und zu bewerten.

In der Kommunikation entlang der Lieferkette – mit Produktherstellern, Handelsunter-

nehmen und Verbrauchern – kann die Kenntnis des PCFs dazu genutzt werden, um

»» die Klimarelevanz alltäglicher Produkte und Dienstleistungen zu verdeutlichen

und daraus die gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten für den Klima-

schutz abzuleiten,

»» gemeinsam mit Unternehmenspartnern Teile der Wertschöpfungskette

emissions ärmer zu gestalten,

»» Konsumenten über Handlungsalternativen bei Einkauf und Nutzung von Pro-

dukten zu informieren und sich somit vom Wettbewerber positiv abzuheben,

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Der Product Carbon Footprint22

»» über eine Kompensation des PCF z. B. durch Klimaschutzprojekte zu informie-

ren,

»» am Beispiel eines konkreten Produkts die gesellschaftliche Verantwortung des

Unternehmens für den Klimaschutz zu verdeutlichen.

Der»größte»Nutzen»des»Product»Carbon»Footprint»wird»darin»gesehen,»Unter­

nehmen»in»die»Lage»zu»versetzen,»Transparenz»über»die»produktbezogenen»Treib­

hausgasemissionen»zu»erlangen»und»sinnvolle»Reduktionspotenziale»über»den»

gesamten»Lebenszyklus»zu»identifizieren»und»zu»erschließen.»Den»Nutzen»entfaltet»

der»PCF»dann»am»besten,»wenn»andere»Umwelt­»und»Nachhaltigkeitskriterien»mit­

berücksichtigt»werden,»da»damit»Fehlentscheidungen»im»Hinblick»auf»die»ganz­

heitliche»Produktoptimierung»vorgebeugt»werden»können.

Grenzen des Product Carbon Footprint

Aufgrund des Stands der methodischen Entwicklung, der nicht ausreichenden inter-

nationalen Ab sprachen bzw. Harmonisierungen, vor allem aber aufgrund einer un-

zureichenden Datenbasis, unzureichendem Datenzugang und Streubreiten der Daten

entlang der Lieferkette können derzeit nicht alle möglichen Ziele des Product Carbon

Footprinting metho disch sauber bearbeitet werden.

Dies betrifft im Besonderen die beiden Ziele:

»» Produktvergleiche, insbesondere wenn diese von unterschiedlichen Auftragge-

bern und unterschiedlichen Bearbeitern durchgeführt werden

»» öffentlicher und wettbewerbsrechtlich vertretbarer Vergleich von Pro dukten

(z. B. durch Ausweisung von CO2e-Werten oder CO2e-Labels)

Beim PCF, wie bei Ökobilanzen generell, besteht immer ein gewisser Grad an Unsicher-

heit bzw. die Möglichkeit, dass Varianzen bzgl. Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

auftreten.

Gründe hierfür sind zum Beispiel:

»» unterschiedliche Herkunft und Qualität der verwendeten Daten(-basen)

»» uneinheitliche Definition bestimmter Annahmen in einzelnen Lebenszyklus-

phasen des Produkts

»» aber auch einfach verschiedene EDV-Tools

»» unterschiedliche Systemgrenzen

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Der Product Carbon Footprint 23

Ob alle daraus resultierenden Unsicherheiten mit einer international einheitlichen Me-

thodik behoben werden können, ist eher unwahrscheinlich. Diese Tatsache ist insbeson-

dere für die Kommunikation des PCF von Bedeutung.

Der Product Carbon Footprint wird nicht für alle Produkte eine sinnvolle Variante zur Be-

wertung der Klimarelevanz sein. Gerade im Hinblick auf Energie verbrauchende Güter

haben sich bereits hinreichende Leitindikatoren herausgebildet (Energieeffizienzklas-

sen), die weiterentwickelt, aber nicht zwangsweise durch den PCF ersetzt werden können.

Umgekehrt sollte das Portfolio derjenigen Produkte klarer umrissen werden, für die ein

PCF ein geeignetes Instrument ist, das in Management und Kommunikation sinnvoll und

zielgerichtet eingesetzt werden kann.

Product Carbon Footprint versus produktbezogene ökobilanzen

Im Fokus des Product Carbon Footprinting steht die Ermittlung und Bewertung der

Klimarelevanz von Produkten. Andere Umweltwirkungen oder soziale Aspekte werden

dabei häufig nicht berücksichtigt. Für bestimmte Anwendungen könnte diese Tatsache

die Aussagekraft und die Belastbarkeit von Empfehlungen und Handlungsoptionen ein-

schränken.

Wenn es darum geht, die Klimarelevanz von Produkten zu vergleichen, und dies aus-

schließlich über eine öffentliche Kommunikation des PCF geschehen soll, stellt sich die

Frage, ob andere Umweltkriterien hierdurch nicht vernachlässigt werden. Daher wird

empfohlen, auch andere Umweltwirkungen zu berücksichtigen. Dazu gehört beispiels-

weise die Eutrophierung, Flächennutzung, der Energie- und Rohstoffverbrauch, die

Toxizität oder Versauerung von Böden und Gewässern. Werden auch andere Umweltka-

tegorien mit einbezogen und auf ihre Relevanz geprüft, erhöht sich die Zuverlässigkeit

von PCF-bezogenen Aussagen und Fehlentscheidungen werden verhindert. In den Fall-

studien des PCF Pilotprojekts wurden andere Umweltkategorien berücksichtigt.

Wichtig ist, dass eine umfassende Nachhaltigkeitsbewertung von Produkten allein auf

Basis des PCF nicht möglich ist. Hierfür wurde in den letzten Jahrzehnten bereits eine

Reihe von Produktbewertungsmethoden entwickelt, die die Umweltverträglichkeit

oder auch die Nachhaltigkeit von Produkten über den gesamten Lebenszyklus berück-

sichtigen: Ökobilanzen, Ökoeffizienz- und Nachhaltigkeitsanalysen (z.B.: PROSA). Sie

haben nicht nur eine Umweltkategorie im Blick – wie die Treibhausgasemissionen beim

Product Carbon Footprint –, sondern schauen umfassender auf die relevanten Umwelt-

kategorien bzw. im Falle einer Nachhaltigkeitsbilanz auch auf die ökonomischen und

sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit (wie bei der social LCA) und beziehen diese mit in

die Bewertung ein.

In der Ermittlung sind sie in der Regel nicht viel aufwendiger als der PCF alleine. Aber

natürlich ist die Bewertung komplexer, da Zielkonflikte zwischen den einzelnen Wir-

kungskategorien abgebildet werden und zu bewerten sind. Zielkonflikte deuten aber

immer auch auf Interessenkonflikte hin, was die letztendliche Interpretation des Er-

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Der Product Carbon Footprint24

gebnisses komplexer macht. Einigen Stakeholdern ist die Komplexitätsreduktion nicht

weitreichend genug, sodass sie  vor einer breiten Anwendung der Produktbewertungen

zurückschrecken. Die Realität ist i. d. R. komplexer, als es die Modelle abbilden können.

Aus diesem Grund bestehen Interessenkonflikte auch dann, wenn sie nicht im Rahmen

der Bewertung offen dargestellt werden (können).

Hilft der Product Carbon Footprint als „Klimabilanz“ von Produkten als neue Methode

der Produktbewertung weiter? Aus den umfangreichen Erfahrungen mit der Öko bilanz

ist die Problematik einer objektiven Bewertung bekannt, insbesondere wenn nur eine

der möglichen Umweltkategorien bewertet wird, ohne die anderen Aspekte zu be-

rücksichtigen. Entscheidungen, die auf einer eindimensionalen Bewertung beruhen,

bergen die Gefahr der Fehlinterpretation der Ergebnisse. So können auf der Basis der

Ergebnisse falsche Entscheidungen getroffen werden, die diejenigen Produkte benach-

teiligen, die vielleicht in der CO2-Bilanz schlechter aussehen, aber von der Gesamtum-

weltperformance Vorteile haben. Um derartigen Fehlentscheidungen vorbeugen zu

können, bedarf es einer umfassenderen Produktbewertung der Umwelt- und auch der

Nachhaltigkeitsperformance.

Muss also die Empfehlung lauten: zurück zur Ökobilanz oder zur Ökoeffizienzanalyse?

Nun, ganz so einfach ist es nicht. Denn das besondere Augenmerk auf die Klimawirkun-

gen bei der Produktbilanz hat dazu geführt, dass eine Reihe von wichtigen methodi-

schen Herausforderungen neu hinzugekommen ist, die in der bisherigen Ökobilanz-

diskussion noch nicht beantwortet worden sind. Das heißt, wenn teilweise noch offene

methodische Fragen geklärt sind, wird sich auch die Ökobilanzdebatte weiterentwi-

ckelt haben.

Dementsprechend»wird»es»als»sinnvoll»angesehen,»sich»frühzeitig»mit»dem»Product»

Carbon»Footprint»auseinanderzusetzen,»um»die»Möglichkeiten»zur»Optimierung»

der»Klimabilanz»und»deren»Kommunikation»zu»evaluieren.»Die»Diskussion»zum»

PCF»setzt»quasi»auf»dem»aktuellen»Stand»der»Methodikdiskussion»zur»Ökobilanz»an.»

Sollen»weitergehende»Entscheidungen»zur»Optimierung»der»Nachhaltigkeitsper­

formance»von»Produkten»auf»Basis»eines»PCF»getroffen»werden,»so»sollten»immer»

auch»die»anderen»in»der»Öko­»und»auch»in»der»Nachhaltigkeitsbilanz»relevanten»

Umweltwirkungskategorien»mitberücksichtigt»werden.»–»Somit»kann»ohne»viel»

größere»Aufwendungen»sichergestellt»werden,»dass»man»sich»nach»dem»aktu­

ellsten»Stand»der»Bilanzierungsmethodik»richtet,»ohne»relevante»Umwelt­»und»

Nachhaltigkeitskategorien»aus»dem»Blick»zu»verlieren.»Nur»in»diesem»Fall»kann»das»

Potenzial»des»PCF»sinnvoll»genutzt»und»kommuniziert»werden.

Page 25: Produktbezogene Klimaschutzstrategien - bdi.eu · 8 Zusammenfassung Der Leitfaden richtet sich in erster Linie an Unternehmen, die den Product Carbon Foot-print ihrer Produkte erheben

Product Carbon Footprint in der Praxis 25

PRODUCt CaRBOn FOOtPRInt In DER PRaxIS: ORGanISatIOn DER ERhEBUnG UnD MEthODISChES VORGEhEn

Im folgenden Abschnitt wird das praktische Vorgehen bei der Analyse des Product Car-

bon Footprint beschrieben.

Der Leitfaden ist an dieser Stelle gegliedert in drei wesentliche Abschnitte:

»» Vorbereitung zur Erfassung des PCF,

»» Berechnung des PCF und

»» Bewertung und Anwendung des PCF.

Rohstoff-gewinnung Produktion

Produktauswahl, Festlegung von Ziel und funktioneller Einheit

Aufstellen der Prozessnetze, Festlegung der Systemgrenzen

Sammlung der Primär- und Sekundärdaten; Allokation

Berechnung des PCF

Validierung der Ergebnisse und Dokumentation

Distribution EntsorgungEinkaufNutzung

abbildung 3: Schematischer Ablauf der Erhebung eines Product Carbon Footprint

Das Vorgehen ist grundsätzlich gültig für

»» Business-to-Business (B2B)-Produkte, bei denen der Kunde ein weiteres Unter-

nehmen ist, das das Produkt als Grundlage für eigene Aktivitäten nimmt

(weiter verarbeitet),

»» Business-to-Consumer (B2C)-Produkte, bei denen der Kunde der Konsument =

Endverbraucher ist oder

»» Dienstleistungen (B2B, B2C) untersucht werden.

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Product Carbon Footprint in der Praxis26

Vorbereitungen zur Erfassung des PCF

In diesem Abschnitt sind die wesentlichen Schritte zur Vorbereitung der eigentlichen

Berechnung des PCF zusammengefasst. Sie sind eine wichtige Voraussetzung dafür,

dass die Erfassung des PCF effektiv und effizient durchgeführt werden kann und die Er-

gebnisse die angestrebten Entscheidungsprozesse optimal unterstützen. – Bei der Vor-

bereitung sind folgende Arbeitsschritte wichtig:

»» Zieldefinition

»» Auswahl des Produkts

»» Einbindung von Lieferanten und Unternehmenspartnern

Zieldefinition

Das häufigste Motiv eines Unternehmens zur Erfassung des Product Carbon Footprint ist

es, die Treibhausgasemissionen eines Produktes über den gesamten Lebenszyklus zu sen-

ken. Unabhängig davon können Unternehmen weitergehende Ziele haben, die sie ver-

anlassen, einen PCF zu erfassen. Die Definition und Darstellung dieser Ziele im Vorfeld

der Untersuchung bildet die Basis für einen effektiven und effizienten Prozess, der auch

»» eine gut begründete Produktauswahl,

»» die Wahl des Anwendungsbereichs (Scope), der Systemgrenzen und der

Datenerhebung und

»» die Wahl des Validierungsverfahrens einschließt.

Die Definition des Ziels der Untersuchung bestimmt in ganz wesentlichen Teilen das

Vorgehen bei der Erfassung des PCF. Gerade bei der Zieldefinition, wie auch später bei

der Erfassung eines PCF generell, ist es sinnvoll, alle relevanten Unternehmensbereiche

und Funktionen mit einzubeziehen. Welche Unternehmensbereiche einzubinden sind,

hängt mit von der Größe des Unternehmens ab. In größeren Unternehmen kann es sinn-

voll sein, Kollegen aus den folgenden Bereichen zu involvieren: Einkauf, Energie, Finan-

zen, Kommunikation, Logistik, Marketing, Produktion, Senior Management, Umweltab-

teilung. Die Koordination der Aktivitäten zur Erfassung des PCF wird von Unternehmen

zu Unternehmen in unterschiedlichen Abteilungen liegen.

Nicht alle genannten Unternehmensbereiche und -funktionen müssen in gleichem

Maße in die Erfassung des PCF eingebunden sein. Es sollte jedoch eine einvernehmliche

Verständigung zum Ziel der Untersuchung, zu der Verteilung der Aufgaben und zur

Interpretation der Ergebnisse bzw. zu möglichen daraus abzuleitenden Schritten erzielt

werden. Ist es das Ziel der Untersuchung, die Machbarkeit der Methodik zu testen und

ggf. auf mehrere Produkte auszuweiten, sollten von vornherein relevante Stakeholder

(Anspruchsgruppen) beteiligt werden.

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Product Carbon Footprint in der Praxis 27

Kleinere Unternehmen haben in der Regel nicht für alle Unternehmensfunktionen je-

weils eigene Abteilungen, deren Mitarbeiter einbezogen werden könnten. Es sollte aber

dennoch versucht werden, zu gewährleisten, dass die relevanten unterschiedlichen Be-

reiche innerhalb des Unternehmens in den Prozess einbezogen werden.

Wichtige Fragen bei der Vorbereitung des PCF, die im Rahmen der Zielstellung beant-

wortet werden sollten, können sein:

»» Warum wird der PCF erhoben? Was sind die konkreten Ziele und die erwarteten

Ergebnisse?

»» Was sind – auf der Basis der Ziele – die Kriterien für die Produktauswahl?

»» Welche Produkte aus dem eigenen Produktportfolio können diese Kriterien

erfüllen?

»» Welche sind die wichtigsten Lieferanten in Bezug auf die relevanten

Wertschöpfungsketten?

»» Welche Ressourcen (personell, zeitlich) und welches Budget kann zur

Verfügung gestellt werden?

»» Sind ausreichend Kompetenzen in der Organisation vorhanden? – Müssen

externe Kompetenzen einbezogen werden? Welche Aufgaben werden nach

außen vergeben, welche sollten intern bearbeitet werden?

»» Wie lange wird das Projekt dauern?

Die Erfassung des PCF erfordert grundlegende Kompetenzen in der Durchführung

von Ökobilanzen. In größeren Unternehmen sind diese Kompetenzen häufig bereits

vorhanden. Kleinere Unternehmen stehen vor der Herausforderung, dass diese Kapazi-

täten häufig nicht vorhanden sind und auch nicht finanziert werden können. Sollten

intern keine entsprechenden Kapazitäten und Kompetenzen vorhanden sein, sollte die

Einbindung externer Experten erwogen werden. Bei der Entscheidung darüber sind die

vorhandenen Kapazitäten und Kompetenzen gegenüber den Kosten für externe Berater

abzuwägen. Die notwendigen internen oder externen personellen und finanziellen Res-

sourcen hängen sehr stark von der Komplexität und dem Umfang der Produkte ab, für

die ein Carbon Footprint erstellt werden soll.

auswahl des Produkts und Bestimmung der funktionellen Einheit

Die Auswahlkriterien für die Produkte sollten sich an den Zielen des PCF orientie-

ren. Schlüsselfragen, die bei der Auswahl von Produkten für den PCF berücksichtigt

werden sollten, können die folgenden sein:

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Product Carbon Footprint in der Praxis28

»» Welcher Zeitraum und welche finanziellen Mittel stehen für die Untersuchung

des PCF zur Verfügung?

»» Wie transparent und stabil sind die Lieferketten für die unterschiedlichen Pro-

dukte?

»» Wie wird die Bereitschaft der Lieferanten und Unternehmenspartner einge-

schätzt, die Erfassung des PCF zumindest über die Bereitstellung von Daten zu

unterstützen?

»» Zu welchen Produkten können auch innerhalb des Unternehmens gut Primär-

bzw. Sekundärdaten erhoben werden? Bei welchen Produkten bestehen die

größten methodischen Herausforderungen?

»» Welche Produkte sind im Hinblick auf die Treibhausgasemissionen über den ge-

samten Lebenszyklus vermeintlich am bedeutsamsten?

»» Bei welchen Produkten werden die größten Möglichkeiten zur Emissionsminde-

rung gesehen?

»» Welche Produkte haben eine besondere Relevanz im Hinblick auf die Marktposi-

tionierung im Wettbewerb und die Differenzierung des Unternehmens?

»» Für welche Produkte des Unternehmens könnte der Product Carbon Footprint

die größte Bedeutung für die Marken- und Marktpositionierung haben?

»» Welche Bedeutung kann der PCF für wichtige Anspruchsgruppen des Unterneh-

mens haben?

Bestimmung der sogenannten funktionellen Einheit

Nach der Auswahl der Produkte gilt es, die funktionelle Einheit zu bestimmen. Die

Definition der funktionellen Einheit ist ein sehr wichtiger Schritt für die Berechnung

des Product Carbon Footprint. Sie ist auch die Basis für jeglichen Vergleich eines Pro-

dukts mit einem anderen Produkt, wenn es das Ziel innerhalb einer Untersuchung sein

sollte, einen Produktvergleich anzustreben. Die funktionelle Einheit reflektiert die

Menge bzw. Art und Weise, wie ein Produkt von Endkonsumenten oder auch Unterneh-

menskunden angewendet wird und welcher Nutzen damit verbunden ist.

Beispiele hierfür können sein:

»» 500 ml eines Erfrischungsgetränks in einer PET-Flasche

»» 1.000 Stunden/Jahr Licht von einer Glühbirne

»» 1 t eines chemischen Lösemittels für die Herstellung eines Farblacks

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Product Carbon Footprint in der Praxis 29

Für viele Produkte eines Unternehmens mag es unterschiedliche Anwendungen bzw.

Anwendungsformen geben. Die Bedeutung dieser Anwendungen für die Produkte des

Unternehmens sollte bei der Bestimmung der funktionellen Einheit berücksichtigt

werden. Häufig bestehen bereits über die Industrieverbände oder beispielsweise über

Produktnormen Anhaltspunkte zu wichtigen Anwendungen und damit funktionellen

Einheiten von Produkten.

Die Wahl der funktionellen Einheit ist auch besonders für die Berechnung eines PCF für

eine Dienstleistung von Bedeutung:

»» Was wird vom Kunden als gekaufte „Einheit“ einer Dienstleistung verstanden

(z. B. eine Übernachtung in einem Hotel)?

»» Welche Menge der Dienstleistung ist repräsentativ (z. B. Führung eines Giro-

kontos für ein Jahr)?

»» Mit welchem anderen Produkt vergleicht der Kunde die Dienstleistung (z. B.

Windeldienst versus Einwegwindeln)?

Einbeziehung von lieferanten und Unternehmenspartnern

Die Einbeziehung von Lieferanten und Unternehmenspartnern mit Bezug zu den rele-

vanten Wertschöpfungsketten ist wichtig für das Verständnis des Lebenszyklus des Pro-

dukts und die Datenerhebung. Typischerweise kennen die Unternehmen ihre eigenen

Produktionsprozesse sehr gut, während das Wissen jenseits der eigenen Werkstore in

Bezug auf Prozesse, eingesetzte Materialien, Energiebedarfe, Transporte oder auch Ab-

fallmengen sehr unterschiedlich sein kann.

Deshalb sollten bereits bei den internen Vorbereitungen zur Erfassung eines PCF fol-

gende Fragen für die ausgewählten Produkte erörtert werden:

»» Welches sind die wichtigsten Lieferanten oder Vertriebs- bzw. Entsorgungspart-

ner in der Lieferkette?

»» Wie und mit welchen Informationen können diese die Erfassung des PCF unter-

stützen?

»» Wie wird die Bereitschaft zur Unterstützung des Prozesses eingeschätzt? Wie

sensibel sind die von ihnen bereitzustellenden Informationen im Hinblick auf

die Positionierung der Partner im Wettbewerb?

»» Wer stellt sicher, dass die wesentlichen Lieferanten und Unternehmenspartner

eingebunden sind ?

Bereits im Vorfeld zur Erhebung und Berechnung des PCF sollte entschieden werden, wel-

che Partner in welcher Art und Weise in die Untersuchung einbezogen werden sollten.

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Product Carbon Footprint in der Praxis30

Zusammenfassend lässt sich sagen, je sorgfältiger und umfassender die Vorbereitung

zur Erfassung des PCF ist, desto effizienter wird die eigentliche Erhebung und Berech-

nung und desto wahrscheinlicher ist, dass die angestrebten Ziele und der Nutzen des

PCF auch in vollem Umfang erreicht werden.

Erhebung und Berechnung des Carbon Footprint

Die Erhebung und Berechnung des PCF folgt im Wesentlichen den Prinzipien der Öko-

bilanz bei der Analyse der Treibhausgasemissionen, die mit Produkten verbunden sind.

Hiermit soll es Unternehmen ermöglicht werden, diese Emissionen über den gesamten

Produktlebenszyklus möglichst kosteneffizient zu minimieren.

Der Prozess kann grundsätzlich in fünf Arbeitsschritte unterteilt werden, die ebenfalls

stark an die Erstellung von Ökobilanzen angelehnt sind:

»» Erstellen der Prozessnetze

»» Festlegung der Systemgrenzen

»» Sammlung der Primär- und Sekundärdaten

»» Berechnung des PCFs nach Festlegung der Allokationsregeln

»» Einschätzung der Unsicherheiten und Durchführung von Sensitivitätsüber-

legungen

Erstellen der Prozessnetze

Das Ziel dieses Schrittes im Rahmen der Erstellung eines PCF ist es, alle Materialien,

Aktivitäten und Prozesse zu identifizieren, die zum Lebenszyklus des untersuchten Pro-

duktes zählen. Um mit der Erstellung der Prozessnetze zu beginnen, ist es hilfreich, die

gewählte funktionelle Einheit entsprechend der wesentlichen Lebenszyklusphasen her-

unterzubrechen. Die wesentlichen Lebenszyklusphasen eines Produkts sind:

»» Gewinnung der Rohstoffe

»» Produktion

»» Distribution

»» Produktnutzung

»» Entsorgung/Recycling

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Product Carbon Footprint in der Praxis 31

Bei der Erhebung des PCF im B2B-Verhältnis kann es sinnvoll sein, diesen nur bis zur

Distribution abzubilden. Dies entspricht in der Ökobilanznorm ISO 14040 und folgende

dem „cradle to gate“-Ansatz.

CO2CH4

SF6N2O

HFCsPFCs

Gesamter Lebenszyklus der Produkte und Dienstleistungen

Rohstoff-gewinnung Produktion Distribution

Rohstoff-gewinnung Produktion Distribution EntsorgungEinkauf

Nutzung

B2B-Produkte: „cradle to gate“B2B-Produkte: „cradle to gate“

B2C-Produkte: „cradle to grave“

B2B-Produkte: „cradle to gate“

B2C-Produkte: „cradle to grave“

abbildung 4: Lebenszyklusphasen von B2B- und B2C-Produkten

Die Betrachtung des Lebenszyklus nur bis zur Distribution kann insofern sinnvoll sein,

da B2B-Produkte in vielfältige Anwendungen und Endprodukte für Konsumenten ein-

fließen können (z. B. kann Glas als Fensterglas im Auto eingesetzt werden).

Für Dienstleistungen unterscheiden sich Prozessnetze nicht grundsätzlich von denen für

Waren. Sie werden abgeleitet von den Prozessnetzen für die Kombination der Aktivitäten

und Waren, die für die Erbringung bzw. Nutzung einer Dienstleistung erforderlich sind.

Hat man erst einmal einen kompletten Überblick (siehe»Abbildung»5,»folgende»Seite)»

über die Prozessnetze des relevanten Produktlebenszyklus, geht es darum, die System-

grenzen festzulegen und innerhalb derer die Prozesse zu priorisieren.

Festlegung der Systemgrenzen

Die Systemgrenzen definieren den Anwendungsbereich (Scope) eines Product Carbon

Footprint, das heißt, sie definieren, welche Prozesse (Inputs und Outputs) in die Untersu-

chung einbezogen werden sollen. Für einige Produkte gibt es bereits – in sogenannten

Product Category Rules (PCR) – Vorgaben dazu.

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Product Carbon Footprint in der Praxis32

Verpackungssystem: TBA with light cap 1.0L

FossileRessourcen

Verschlüsse (wfd)Kartons (wfd)Zweit- u. Drittverpackung (wfd)

Verschlüsse (wfr)Kartons (wfr)Zweit- u. Drittverpackung (wfr)

Abfall für die Rückgewinnung (wfr)

Paletten

Wellpappe (wfr)

Emissionen in Luft und Wasser; Abfall

Holz (wfr)LPDE (wfr)Topliner (wfr)Ausschuss (wfr)

StromWärmeKartons u. Verschlüsse

PalettenSchrumpffolie

Gutschrift

FossileRessourcen

FossileRessourcen

FossileRessourcen

Flächen-nutzung C02

Flächen-nutzung C02

Flächen-nutzung C02

Mineralische Ressourcen

HDPE

LPB

LDPE

Aluminium-folie

Verschluss-produktion

Karton-produktion

Sammel-packung

Abfüll-anlage Verbraucher

Entsorgung

Sortierung Recycling

Palette

PE-Folie

Drucker-farbe

abbildung 5: Beispielhafte Darstellung eines Prozessnetzes fur den Product Carbon Footprint eines 1-Liter-Getränkekartons10

10 Die Darstellung entstammt einer Fallstudie der Tetra Pak GmbH im Rahmen des PCF Pilotprojekts Deutschland.

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Product Carbon Footprint in der Praxis 33

Definition: Product»Category»Rules»(PCR) beschreiben einen Satz spezifischer Regeln,

Anforderungen und Richtlinien zur Entwicklung von Umwelt-Produktdeklarationen

für ein oder mehrere Produktgruppen, die die gleiche Nutzeneinheit beschreiben. PCR

stellen einen konsistenten, international akzeptierten Ansatz zur Beschreibung des

Produktlebenszyklus dar. Sie befinden sich international im raschen Aufbau (auch an-

getrieben durch die aktuelle Debatte zum PCF), sind allerdings immer noch nur für eine

begrenzte Gruppe von Produkten verfügbar. Ob für das untersuchte Produkt bereits

PCR existieren, kann unter der folgenden Webadresse überprüft werden:

www.environdec.com

Liegen derartige PCR nicht vor, gilt es, die Systemgrenzen produktspezifisch festzu-

legen. Dabei gilt das Prinzip, dass alle Prozesse, die materiell zum Ergebnis des PCF bei-

tragen, innerhalb der Systemgrenzen zu berücksichtigen sind. Als materiell in Bezug

auf die Ergebnisse werden in der Regel mindestens solche Prozesse angesehen, die

mehr als 1 % in Bezug auf die Treibhausgasemissionen pro untersuchte funktionelle Ein-

heit zum Ergebnis beitragen

In der Praxis ist es sehr wahrscheinlich, dass die Erstellung und Verfeinerung der Pro-

zessnetze zusammen mit der Festlegung der Systemgrenzen ein Vorgang ist, der ite-

rativ in mehreren Schleifen verlaufen wird. Das Verständnis für den Lebenszyklus der

Produkte und die dahinterliegenden Prozesse wird kontinuierlich steigen, und man

wird ein gutes Gefühl dafür entwickeln, wie das zu untersuchende Prozessnetz und die

Systemgrenzen in Einklang gebracht werden können.

Systemgrenzen sind so zu setzen, dass diejenigen Treibhausgasemissionen erfasst wer-

den, die einen „materiellen“ Beitrag zu den direkten und indirekten Emissionen des

untersuchten Produkts bei der Herstellung, Nutzung oder Entsorgung leisten. In der

Praxis heißt dies, dass versucht wird, alle Emissionen mitzuerfassen, die einen Anteil am

zu erwartenden Gesamtergebnis von mindestens 1 % haben.

Datenerhebung

Die Sammlung der Daten entspricht im Wesentlichen dem Vorgehen bei Ökobilanzen.

Beim PCF erfolgt allerdings über die entsprechenden Treibhausgasemissionen eine Ein-

schränkung auf eine Wirkungskategorie – die des Treibhauseffekts. Da die Erfassungs-

prozesse aber so gleichartig sind, wird empfohlen, möglichst auch die Daten zu anderen

Umweltwirkungskategorien bzw. zu den zusätzlichen Nachhaltigkeitskriterien mit-

zuerfassen. Das ermöglicht es später, den Carbon Footprint ins Verhältnis zu anderen

Umweltauswirkungen bzw. Auswirkungen auf ökonomische und soziale Faktoren zu

setzen und damit Minderungsmaßnahmen im Sinne einer gesamtheitlichen Optimie-

rung vornehmen zu können.

Die Datensammlung erfolgt auf der Ebene der einzelnen Prozesse, die innerhalb des

Produktlebenszyklus stattfinden.

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Product Carbon Footprint in der Praxis34

In Bezug auf die Bewertung der Qualität der Daten sollten die folgenden Fragen syste-

matisch beantwortet werden:

»» Wie spezifisch sind die Daten für den gewählten Untersuchungszeitraum?

»» Wie spezifisch sind die Daten in Bezug auf den regionalen Anwendungsbereich?

»» Wie spezifisch sind die Daten in Bezug auf die konkreten Technologien im Rah-

men des untersuchten Produktlebenszyklus?

»» Wie genau sind die Daten und welche Unsicherheiten sind zu berücksichtigen?

»» Sind die vorliegenden Daten vollständig?

»» Sind die Datensätze konsistent?

»» Sind die Daten reproduzierbar?

»» Aus welchen Quellen kommen die Daten?

Datenauswahl

Grundsätzlich werden zwei verschiedene Typen von Daten unterschieden: Aktivi-

tätsdaten und Emissionsfaktoren. Aktivitätsdaten beziehen sich auf alle Material-,

Energie- und Transportmengen als Input und Output im Rahmen des Lebenszyklus.

Emissionsfaktoren hingegen beschreiben den Link dieses Mengengerüsts zu den

Treibhausgasemissionen pro untersuchte Einheit. Als Beispiel: Die Höhe des Strom-

bedarfs in einem Prozess wird als Aktivitätsdatum verstanden, während die Emissionen

bezogen auf eine Kilowattstunde als Emissionsfaktor bezeichnet werden.

Sowohl Aktivitätsdaten als auch Emissionsfaktoren können von primären als auch se-

kundären Datenquellen kommen:

»» Primärdaten»beziehen sich auf direkte Messungen im Rahmen des spezifisch

untersuchten Produktlebenszyklus.

»» Sekundärdaten»beziehen sich auf externe Messungen außerhalb des konkreten

Prozessnetzes, das im Rahmen des PCF untersucht wird. Sie sind weniger spezi-

fisch, sondern stellen eher einen Durchschnitt dar oder eine generelle Größe zu

vergleichbaren Prozessen.

Im Rahmen der Diskussion zur PCF-Methodik wird intensiv diskutiert, ob Primärdaten

generell besser zu bewerten sind als Sekundärdaten. Ohne eine detaillierte Bewertung

der Datenqualität ist diese Frage allerdings nicht zu beantworten. Generell sollte ver-

sucht werden, zumindest in Bezug auf die Aktivitätsdaten möglichst Primärdaten zu

gewinnen und deren Qualität unter Einbeziehung von Sekundärdaten zu bewerten,

um die bestmögliche Datengrundlage für die Berechnung des PCF zu schaffen. Je mehr

Primärdaten zur Verfügung stehen, desto mehr Verständnis für die konkreten Prozess-

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Product Carbon Footprint in der Praxis 35

netze kann geschaffen werden. In diesem Falle ist auch das Potenzial zur Reduktion von

Umweltwirkungen am größten. Grundsätzlich ist es aber möglich, Primär- und Sekun-

därdaten für die Erstellung des PCF zu verwenden.

Quellen für Sekundärdaten

Wo keine Primärdaten zur Verfügung stehen oder die Qualität nicht als gut einge-

schätzt werden kann, sind Sekundärdaten aus anderen Quellen zu verwenden. Relevan-

te Datenbasen werden kontinuierlich aufgebaut und ausgeweitet.

Datenbasen, die typischerweise für die Berechnung von PCFs genutzt werden, sind:

»» übergreifende Ökobilanzdatenbanken, die frei zugängig sind oder kommerziell

vertrieben werden

»» sektorspezifische Datenbanken (z. B. für Kunststoffe und Metalle)

»» Durchschnittsdaten der Verbände

»» länderspezifische Datenbanken (z. B. PROBAS des Umweltbundesamtes11)

In der Zukunft ist zu erwarten, dass weitere Datenbasen aufgebaut und zugänglich ge-

macht werden, wie die International Reference Life Cycle Data System (ILCD), die schon

heute Ökobilanzdatensätze für ausgewählte Materialien und Prozesse enthält.

Es ist zum aktuellen Zeitpunkt kaum möglich, eine abschließende Empfehlung zur

Nutzung spezieller Datenbanken für Sekundärdaten zu geben. Diese Entscheidung ist

jeweils im spezifischen Einzelfall zu treffen. Die Auswahl sollte aber später nachvollzieh-

bar sein und mit einer Einschätzung zur Datenqualität (entsprechend der oben als Fra-

gen formulierten Qualitätskriterien) dokumentiert werden.

Es wird empfohlen, die Datenerhebung mit standardisierten Erfassungsbögen zu syste-

matisieren und zu formalisieren. Diese können helfen, um

»» die Befragung von Lieferanten zu strukturieren,

»» die Vollständigkeit der Datenerhebung zu sichern,

»» die Priorisierung für potenzielle Emissionsminderungen zu unterstützen.

Ist die Datensammlung vorläufig abgeschlossen, kann die Berechnung des PCF nach der

Festlegung der Allokationsregeln erfolgen.

11 Mehr Informationen zu PROBAS unter www.probas.umweltbundesamt.de. – Eine Liste weiterer Ökobilanzdatenbanken, die von der EU publiziert wurde, finden sie unter http://lca.jrc.ec.europa.eu/lcainfohub/databaseList.vm.

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Product Carbon Footprint in der Praxis36

allokation

Die Allokation beschreibt ein Verfahren, das in der gesamten Diskussion um Ökobilan-

zen von großer Bedeutung ist. Im Kontext einer Ökobilanz bedeutet Allokation die Zu-

ordnung der über den Lebensweg auftretenden Umweltbelastungen – im Falle des PCF

die Treibhausgasemissionen – bei Koppelproduktion, Recycling und Abfallentsorgung.

Klassische Beispiele sind Fragestellungen wie

»» die Aufteilung der Emissionen der Kraft-Wärme-Kopplung auf die genutzte

Elektrizität und die genutzte Wärme oder

»» die Aufteilung der Emissionen eines Recyclingprozesses auf das rezyklierungs-

fähige Beiprodukt und das Produkt, in welchem das rezyklierte Material einge-

setzt wird.

Generell ist bei Anwendung des Allokationsverfahrens zu beachten, dass dieses Ver-

fahren das Ergebnis und die Höhe des Product Carbon Footprint im besonderen Maße

beeinflusst.

Im Grundsatz gelten bei der Berechnung des PCF die gleichen Regeln wie bei der Öko-

bilanz. Nach den Regeln der Ökobilanzierung ist besteht die Priorität darin, die ent-

sprechend gekoppelten Prozesse in einzelne Subprozesse herunterzubrechen. Wenn

das nicht möglich ist, wird eine Systemerweiterung vorgeschlagen. Erst wenn weder die

eine noch die andere Methode möglich ist, ist eine Aufteilung der Emissionen nach phy-

sikalischen (Masse oder Energie) oder ökonomischen Kriterien vorgesehen.

In einigen Fällen sind diese Regeln bereits für bestimmte Produktgruppen in den soge-

nannten Product Category Rules (PCR) festgeschrieben. Wo das nicht der Fall ist, sollten

auch beim PCF die Regeln für die Ökobilanzierung Anwendung finden und die vorge-

nommenen Allokationen transparent dokumentiert werden. Es wird empfohlen, den

Einfluss verschiedener Allokationsmethoden auf das Endergebnis über Alternativrech-

nungen bei der Berechnung des PCF, sogenannte Sensitivitätsanalysen, zu dokumentie-

ren und zu bewerten.

Berechnung des PCF

Die Berechnung bzw. Bilanzierung des Product Carbon Footprint kann grundsätzlich

auf Basis von ISO 14040 ff. erfolgen (perspektivisch auf Basis des ISO 14067). Die Berech-

nung des Product Carbon Footprint entspricht der Summe aller Massen-, Energie- und

Abfallströme über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts multipliziert mit den ent-

sprechenden Emissionsfaktoren. Die Berechnung selbst besteht im Wesentlichen aus

der Multitplikation der Aktivitätsdaten mit den zugehörigen Emissionsfaktoren.

Zur Prüfung der Konsistenz des PCF ist bei der Ökobilanz eine Energie- und Massenbi-

lanz vorgesehen. Sie vergleicht die Menge aller Stoffe und Energien, die in das Produkt-

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Product Carbon Footprint in der Praxis 37

system hineingehen mit den Stoffen und Energien, die das System wieder verlassen.

Die Massenbilanz liefert eine Bestätigung, dass alle Materialien und Energien adäquat

bilanziert worden sind und keine Ströme vergessen wurden.

Am einfachsten ist es, die Massenbilanz im Kontext der Datenerhebung vorzunehmen.

0

200

400

600

800

1000

Rohsto

ffgew

innun

g

Einheit: gCO2e / Waschgang

Waschgang bei 46 °C (durchschnittliche Waschtemperatur in Deutschland)Waschgang bei 30 °CWaschgang bei 60 °C

Produk

tion

Verpa

ckun

g

Distrib

ution

Einka

ufsfah

rt

Produk

tnutzu

ng

Entso

rgung

Total

abbildung 6: Beispielhafte Ergebnisse der Berechnung eines PCF fur einen Waschmaschinengang mit Waschmittel12.

Wie bereits erläutert, gibt es zum aktuellen Zeitpunkt, zu dem noch kein international

harmonisierter Standard zum PCF vorliegt, an einigen Stellen noch offene Fragen in

Bezug auf eine konsistente Methode für die Berechnung von Product Carbon Footprints.

Bei einigen methodischen Elementen widersprechen sich aktuell ISO 14040 ff. und be-

stehende methodische Ansätze wie der PAS 2050, oder die Elemente sind unzureichend

beschrieben oder methodisch und praktisch nicht sinnvoll.

Gerade aus diesem Grunde und für diese Fälle hatten das Bundesministerium für Umwelt,

Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) und das Umweltbundesamt (UBA) das Öko-In-

stitut beauftragt, im Rahmen des Projekts „CO2-Kennzeichnung von Waren und Dienstleis-

tungen“ eine systematische Analyse zum Weiterentwicklungsbedarf der Methodik und

zu CO2-Kennzeichungen vorzunehmen. Im Projekt wurden die Anforderungen an die Me-

thodik des Product Carbon Footprint und deren Kommunikation erörtert und mit einer

Vielzahl von Stakeholdern und Wissenschaftlern auf der nationalen und internationalen

Ebene diskutiert. Weiter wurden im Projekt zwei Experten-Workshops zur Methodik und

12 Die Darstellung entstammt einer Fallstudie der Henkel AG & Co. KGaA im Rahmen des PCF Pilot-projekts Deutschland.

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Product Carbon Footprint in der Praxis38

zwei Kongresse durchgeführt. Die Erfahrungen und Einschätzungen von Unternehmen

und Verbänden wurden darüber hin aus in einer ausführlichen Befragung ermittelt, an

der sich etwa 50 nationale und internatio nale Verbände und Unternehmen beteiligt ha-

ben. Von dem Kooperationspartner Systain Consulting wurden in enger Kooperation mit

der Otto Group mehrere PCFs in der textilen Kette erstellt. Hierbei wurden die praktischen

und methodischen Herausforderungen, zum Beispiel bei der Datenbeschaffung oder bei

Allokationen, beleuchtet und für die übergreifenden Arbeiten verfügbar gemacht.

Ergänzt und unterstützt wurde dieses Projekt durch das PCF Pilotprojekt Deutschland,

bei dem die Projektträger Öko-Institut, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

(PIK), Thema1 und WWF Deutschland zusammen mit 10 Unternehmenspartnern, die

Machbarkeit bei der Erhebung und Berechnung des PCF anhand von mehr als 15 Fall-

studien unterschiedlicher Produkte untersuchte.

Aus diesen Vorhaben können praktische Empfehlungen in Bezug auf Erfassungsmetho-

dik und Kommunikation des PCF abgeleitet werden.

Spezifische methodische Empfehlungen

Die wesentlichen Positionen zum Product Carbon Footprint, die auf den Ergebnissen

der genannten Projekte beruhen, sind in einem Memorandum»Product»Carbon»Foot­

print»zusammengefasst13. Das Memorandum stellt die wesentlichen methodischen He-

rausforderungen aus Sicht der Beteiligten dar und formuliert konkrete Empfehlungen

für die Standardisierungsprozesse und den praktischen Umgang mit diesen Punkten

bei der Erstellung von Product Carbon Footprints in der Übergangszeit bis zum Vorlie-

gen der internationalen Standards.

Das BMU empfiehlt interessierten Unternehmen, bzgl. der noch nicht abschließend

geklärten und harmonisierten methodischen Fragen der Ökobilanznorm ISO 14040 ff.

und der laufenden Normungsdebatte zur ISO 14067 zu folgen und zusätzlich die metho-

dischen Empfehlungen des Memorandums zu beachten.

Die wichtigsten Positionen aus dem Memorandum adressieren folgende Punkte:

1. Einbeziehung anderer Umweltkategorien

2. Product Category Rules (PCR)

3. Behandlung besonderer Quellen und Senken, hier insbesondere die Bilanzie-

rung von erneuerbaren Energien, die Speicherung von Kohlenstoff bzw. CO2 in

Produkten sowie Landnutzungsänderungen

4. Berechnung der Nutzungsphase

Die genauen Positionen zu diesen Punkten sind in dem genannten Memorandum aus-

führlich beschrieben.

13 Das Papier ist auf der Seite des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit veröffentlicht: www.bmu.de

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Product Carbon Footprint in der Praxis 39

Bewertung und anwendung des PCF

Prüfung der Unsicherheiten

Die Prüfung der Unsicherheiten (Uncertainty Analysis) der Ergebnisse der Berechnung

eines PCF ist eine wesentliche Voraussetzung, um Maßnahmen zur Verringerung des

PCF effektiv und effizient ausgestalten und auch die Möglichkeiten und Grenzen in Be-

zug auf die Kommunikation des PCF einschätzen zu können.

Die Untersuchung von Unsicherheiten hilft:

»» die Sinnhaftigkeit von Entscheidungen zu überprüfen, die auf Basis des PCF zur

Reduzierung des CO2-Fußabdrucks umgesetzt werden sollen,

»» zu identifizieren, wo ggf. Bedarf besteht, die Datenqualität zu verbessern,

»» die Robustheit der Ergebnisse besser einschätzen und darstellen zu können – so-

fern eine Kommunikation des PCF vorgesehen ist,

»» generell beim Verständnis der Modellerstellung von Ökobilanzen.

Grundsätzlich sollte die Berechnung des PCF so angelegt werden, dass die Unsicherhei-

ten minimiert werden.

Validierung des PCF über ein Critical Review

Im Vorfeld einer vorgesehenen Veröffentlichung ist bei Ökobilanzen nach ISO 14044 die

Durchführung einer „Kritischen Prüfung“ (Critical Review) erforderlich. Diese Form der

Validierung der Ergebnisse hat sich weitestgehend bewährt und sollte auch für den PCF

übernommen werden. Der PAS 2050 sieht hierfür ergänzend auch die Möglichkeit einer

Eigenüberprüfung vor (PAS 2050: 2008, p. 25 „Self Verification“). Dies sollte bei der inter-

nationalen Standardisierung nicht übernommen werden, da die Glaubwürdigkeit einer

Eigenüberprüfung (self-verification) nicht gegeben ist.

Bei Produktvergleichen und Fragen übergreifender Bedeutung (z. B. Produktpolitik)

sollte gemäß ISO 14044 eine „Kritische Prüfung durch einen Ausschuss interessierter

Kreise“ („Critical review by panel of interested parties“) erfolgen.

Dokumentation und Berichterstattung

Wie bereits erläutert, ist nicht vor Ende des Jahres 2010 – eher erst in der ersten Jahres-

hälfte 2011 – damit zu rechnen, dass international verbind liche Standards (ISO 14067.1)

bzw. harmonisierte Richtlinien (GHG Product Protocol) exis tieren werden. Bis zu diesem

Zeitpunkt wird es über die Ökobilanznorm ISO 14040 ff. hinaus keine Methodenkonven-

tion geben, die international verbindlich anerkannt ist. Man wird daher nicht verhin-

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Product Carbon Footprint in der Praxis40

dern können, dass das methodische Vorgehen beim Product Carbon Footprint und den

zahlreichen zu erwartenden Fallstudien nicht einheitlich sein wird.

Das hat zur Folge, dass die Nutzbarkeit des Product Carbon Footprint insbesondere in

der Kommunikation der Ergebnisse bis hin zum Vergleich von Produktgruppen oder

sogar einzelnen Produkten nur eingeschränkt möglich sein wird. Damit steht auch die

kurzfristige Integration des PCF als ein Indikator für die Umweltperformance von Pro-

dukten in den Kanon umweltpolitischer Instrumente (etwa Standards für die private

und öffentliche Beschaffung bis hin zur Deklaration und dem Labeling) vor sehr großen

Herausforderungen.

Um die Nutzbarkeit der PCF-Berechnungen für verschiedene der genannten Anwen-

dungen überprüfen zu können, ist eine transparente, öffentlich zugängige und aussa-

gefähige Dokumentation des PCF neben dem oben beschriebenen Critical Review eine

essenzielle Voraussetzung.

Wie oben beschrieben, wird die hinreichende Dokumentation wesentlich die Validität

und Nutzbarkeit von PCF-Fallstudien definieren. Dies gilt insbesondere für den Über-

gangszeitraum bis zum Vorhandensein einer international verbindlichen Standardi-

sierung und Harmonisierung der Richtlinien. Deshalb wird gerade für diese Zeit eine

transparente, öffentlich zugängliche und aussagekräftige Dokumentation em pfohlen.

Die Dokumentation sollte einleitend die Organisation und den Ablauf der Studie zum

PCF darstellen. Zentral wird die Beschreibung der Zielstellung und der Rahmensetzung

(Goal und Scope) in der Untersuchung zu dokumentieren sein.

Folgende Elemente werden dabei als wichtig angesehen:

»» Definition der Ziele der Studie

»» Definition der funktionellen Einheit

»» Beschreibung der Systemgrenzen

»» Darstellung der Datenquellen und Beschreibung der Datenqualität (s. o.)

»» Beschreibung der Auswahl der Allokationskriterien

Im Rahmen der Dokumentation des Inventars und der Berechnung sollten die einzel-

nen Lebenszyklusphasen erläutert und die zugehörigen Berechnungen dargestellt wer-

den. Dabei sind insbesondere für die Nutzungsphase der Produkte die Empfehlungen

des Memoran dums gerade in Bezug auf die klare Definition der Nutzungsprofile und

möglicher Szenarien zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollten in der Dokumentation

– wie auch bei Ökobilanzen – Sensitivitätsanalysen, Untersuchungen zur Unsicherheit

und eine Fehlerschätzung vorgestellt werden. Ferner sollte explizit transparent ge-

macht werden, ob und in welcher Detailtiefe andere Umweltkategorien der Ökobilanz

mit untersucht wurden.

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Product Carbon Footprint in der Praxis 41

aufwand zur Ermittlung eines PCF

Die Ermittlung eines PCF kann je nach Produkt mit erheblichen Aufwendungen in

Bezug auf Zeit, Personal und Geld verbunden sein und erfordert ähnlich wie bei Öko-

bilanzen Fachwissen und Erfahrung. Dies wird sich in absehbarer Zeit auch durch

erweiterte Datenbanken nicht ändern. Viele Unternehmen, insbesondere kleine und

mittlere, haben bislang keine eigene Expertise auf diesem Gebiet aufgebaut und sind

auf entsprechende externe Beratungsleistungen angewiesen. Die Forderung nach

einer breiten Anwendung von PCFs ist daher insbesondere bei einer erstmaligen Er-

hebung mit hohem Aufwand verbunden. Damit ist ein PCF derzeit vor allem für stra-

tegische oder exemplarische Produkte interessant, deren Ergebnisse auf andere Waren

der gleichen Produktgruppe oder gar auf andere Produktgruppen übertragbar sind.

Für Unternehmen mit einem breiten Produktportfolio ist es schwer vorstellbar, dass in

akzeptabler Zeit und zu vertretbaren Kosten für jedes einzelne Produkt ein PCF ermit-

telt werden kann. Die Entscheidung über die Auswahl der Produktkategorien liegt in

der Verantwortung der Unternehmen und erfolgt im Dialog mit den Stakeholdern.

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Kommunikation des Product Carbon Footprint42

KOMMUnIKatIOn DES PRODUCt CaRBOn FOOtPRInt

Die Entscheidung darüber, ob und wie die Ergebnisse des PCF kommuniziert werden

(können), hängt auf der einen Seite von der Zielstellung ab, aber auch ob die Zielstellung

über den Stand der Methoden und die Qualität der einzelnen Fallstudie gedeckt ist. Vor

dem Hintergrund fehlender internationaler Standards werden die kommunikativen

Potenziale des PCF noch als recht eingeschränkt angesehen. Dies gilt insbesondere in

Bezug auf die Diskussion der grundsätzlichen Anforderungen an eine adäquate und

glaubwürdige klimabezogene Produktkommunikation.

Eine produktbezogene Ausweisung von Treibhausgasemissionen kann dann sinnvoll

sein, wenn einige grundlegende Anforderungen bei der Kommunikation erfüllt wer-

den, die im Wesentlichen vom PCF Pilotprojekt Deutschland als Prüffragen herausge-

arbeitet wurden:

1. handlungsrelevanz

Eine Ausweisung der Treibhausgasemissionen sollte so gestaltet sein, dass die Entschei-

dung des Verbrauchers tatsächlich einen Beitrag zur Verringerung von Treibhausgas-

emissionen und der Gesamtumweltwirkung leisten kann.

Folgende Fragen geben dafür wichtige Anhaltspunkte:

»» Ist CO2 das relevante Thema im Lebenszyklus des Produkts? Oder sind andere

Faktoren wichtiger (wie z. B. der Wasserverbrauch?)

»» Kann die Art der dargestellten Information dem Verbraucher helfen, bewusst

einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten?

»» Gibt die Art der Darstellung Hinweise und Hilfestellung, wie der Verbraucher

klima bewusst handeln kann?

»» Sind die Informationen zur Klimarelevanz so dargestellt, dass sie die Entschei-

dungen zu Kauf und Gebrauch eines Produkts beeinflussen?

»» Stellt die Kommunikation sicher, dass die Ausweisung des CO2-Fußabdrucks

andere umweltrelevante Wirkungen eines Produkts nicht in den Hintergrund

drängt?

2. Glaubwürdigkeit

Kommunikation muss glaubwürdig sein, um Vertrauen und Akzeptanz zu schaffen und

somit Erfolg sicherzustellen.

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Kommunikation des Product Carbon Footprint 43

Für das Kriterium Glaubwürdigkeit sind folgende Fragen relevant:

»» Besteht Transparenz über die verwendete Methodik, über den Prozess zur Bilan-

zierung des PCF und über die beteiligten Akteure?

»» Wurden alle relevanten Treibhausgasemissionen entlang des gesamten Lebens-

zyklus eines Produkts berücksichtigt?

»» Wurden die Vorgaben zur Bewertung der Klimarelevanz von unabhängigen

Dritten überprüft und ggf. mitbestimmt?

»» Sehen die Vorgaben zu Ermittlung und Kommunikation des CO2-Fußabdrucks

auch Angaben zur Gesamtumweltwirkung eines Produkts vor?

»» Geht die Kommunikation von produktbezogenen Treibhausgasbilanzen über ein-

zelne Idealfälle hinaus?

3. Einheitlichkeit

Instrumente für die Kommunikation mit Kunden, Konsumenten oder Geschäftspart-

nern werden nicht nur von einzelnen Unternehmen verwendet. Daher sind einheitliche

Grundlagen wichtig:

»» Gelten für alle vergleichbaren Güter und Dienstleistungen die gleichen metho-

dischen Vorgaben für die Bilanzierung des PCF?

»» Sind die gemachten Annahmen transparent, vergleichbar oder einheitlich be-

schrieben und dokumentiert?

»» Sind individuelle Veränderungen (z. B. nachträgliche Änderung von Einheiten

oder Systemgrenzen) eindeutig und nachvollziehbar dargestellt?

4. Verständlichkeit

Kommunikation muss für die jeweiligen Empfänger verständlich sein. Verwendete

Informationsinstrumente müssen daher auf die Zielgruppe und Nutzungssituation an-

gepasst werden bzw. flexibel sein:

»» Treffen die Informationen den Informationsbedarf der Zielgruppe?

»» Orientieren sich die Informationen an den Kommunikationsfähigkeiten

(Abstraktionsfähigkeit, Sprachkenntnisse etc.) der Zielgruppe?

»» Ist eine der Situation gerechte Informationsdichte und -form gewählt?

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Kommunikation des Product Carbon Footprint44

5. Vergleichbarkeit

Informationen über die Klimarelevanz von Produkten machen oft erst dann Sinn, wenn

ein Vergleich mit Alternativen möglich ist:

»» Ermöglichen die angegebenen Informationen (z. B. Werte oder Wertespanne)

einen Vergleich mit alternativen Produkten, die einen identischen oder ähnli-

chen Nutzen haben?

»» Ist ein produktübergreifender Vergleich oder ein Vergleich verschiedener Ge-

brauchsformen möglich?

»» Geben die Informationen Hinweise für klimaverträglichere Handlungsalterna-

tiven?

Unter Beachtung dieser Anforderungen können PCFs Instrumente für eine sinnvolle

klimabezogene Produktkommunikation sein. Allerdings: Um einen klimaverträglichen

Konsum langfristig zu fördern, müssen zukünftig auf Basis einer harmonisierten Erfas-

sungsmethodik einheitliche und international akzeptierte Leitlinien für eine klimabe-

zogene Produktkommunikation etabliert werden.

Empfehlungen für eine klimabezogene Produktkommunikation

Aus eigenen praktischen Erfahrungen der gemeinsamen Bewertung verschiedener

internationaler Kommunikationsansätze und nach intensivem Dialog mit relevanten

Stakeholdern kamen die Beteiligten im PCF Pilotprojekt Deutschland zu folgenden

Empfehlungen:

»» Informationen über den CO2 -Fußabdruck eines Produkts oder einer Dienstleis-

tung sollten differenziert dargestellt werden: zum einen für den gesamten Le-

benszyklus, zum anderen nach einzelnen Phasen aufgeschlüsselt, beispielsweise

nach der Produktions-, Nutzungs- und Entsorgungsphase. Auf diese Weise sind

Aussagen möglich, beispielsweise über Reduktionspotenziale aufseiten des Her-

stellers oder über CO2-Minderungen in der Produktnutzung durch verändertes

Verbraucherverhalten.

»» PCF-Labels mit einer CO2-Ziffer (Angabe einer aggregierten Grammzahl auf dem

Produkt) – wie sie bereits von einigen Unternehmen getestet werden – sind nicht

sinnvoll und wenig handlungsrelevant. Eine solche Zahl suggeriert dem Ver-

braucher eine Genauigkeit und Aussagekraft, die nach dem derzeitigen Stand

der Methodik nicht erreicht werden kann.

»» Product Carbon Footprints sind ein Instrument, mit dem Hersteller über in-

dividuell erreichte oder geplante Minderungen von Emissionen informieren

können – allerdings nur dann, wenn der PCF über eine bestimmte Zeitspanne

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Kommunikation des Product Carbon Footprint 45

konsistent ermittelt und dokumentiert wurde. Besonders wichtig ist dabei eine

Offenlegung der zugrunde liegenden Annahmen.

»» Nach dem heutigen Stand der Methodikentwicklung bestehen Spielräume für

Auslegung, Interpretation und Spannbreiten in der Berechnung. Daher muss klar

dokumentiert werden, zu welchem Zweck ein PCF ermittelt wird und welche An-

nahmen und Gewichtungen zugrunde liegen. Die Veröffentlichung aller Daten

muss klar, verständlich, aussagekräftig und wissenschaftlich nachvollziehbar

sein. Nicht zuletzt ist von Bedeutung, welche Verlässlichkeit bzw. Unsicherheit der

PCF-Berechnung anhaftet und ob noch andere bedeutende Umweltwirkungen

berücksichtigt wurden.

»» Es ist wichtig, dass die Dokumentation der PCF-Berechnung transparent und

zugänglich ist. Die Projektpartner haben sich darauf verständigt, in der Kommu-

nikation von Ergebnissen aus den Fallstudien auf die zentrale Dokumentation

im Internet (www.pcf-projekt.de) zu verweisen und optional die gemeinsam ab-

gestimmte visuelle Referenz zu verwenden.

»» In der externen Produktkommunikation eingesetzte Informationen über die

Umwelt- und Klimaverträglichkeit von Produkten und Dienstleistungen sollten

durch unabhängige Dritte überprüft werden. Sobald ein allgemein anerkannter

Standard vorliegt, sollte die Überprüfung im Rahmen eines „Critical Review“ er-

folgen.

»» Vor dem Hintergrund der dynamischen internationalen Entwicklung sind pro-

dukt- und branchenübergreifende Ansätze hilfreich, um Glaubwürdigkeit her-

zustellen, isolierte Aussagen zu vermeiden und der jeweils aktuellen Methoden-

entwicklung Rechnung zu tragen.

Unter Beachtung dieser Empfehlungen können Product Carbon Footprints eine trag-

fähige Grundlage für eine sinnvolle Produktkommunikation bilden. Im Idealfall lassen

sich auf Basis des PCF einfache und handlungsrelevante Botschaften für die Verbrau-

cher ableiten.

CO2-label versus Umweltlabeling

Bei den Initiativen zur CO2-Kennzeichung oder CO2-Labels gab es anfangs wenig Bezug

auf andere bestehende Labels und auf Erfahrungen mit diesen Labels. Derzeit gibt es

ca. 400 unterschiedliche Labels und Kennzeichnungen. Die große Mehrheit der Ver-

braucher ist damit überfordert und setzt die Informationen nur wenig dahin gehend

um, vorteilhaftere Produkte mit entsprechendem Label zu kaufen. Das Angebot von

CO2e-Kennzeichnungen oder CO2–Labels trifft daher auf ein bereits übersättigtes In-

formationsangebot. Innerhalb der Labels und Kennzeichnungen gibt es einige wenige

Labels und entsprechend gekennzeichnete Produkte, die sowohl stärker be achtet als

auch häufiger gekauft werden. Dies sind das Umweltzeichen Blauer Engel (in anderen

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Kommunikation des Product Carbon Footprint46

Ländern andere nationale Umweltzeichen), das Biosiegel, die Energieeffizienz-

kennzeich nung, der Energy Star und das Fair-Trade-Label. Zu prüfen ist, wie mögliche

CO2-Labels im Vergleich zu diesen bekannten und anerkannten Labels gesehen werden.

Nachfolgend werden typische Initiativen für CO2-Labels und -Kennzeichnungen darge-

stellt und deren Bedeutung für verschiedene Produktgruppen erörtert.

Beispiele für CO2-labels und klimabezogene Produktkenn zeichnungen

Die Zahl der internationalen Initiativen zum CO2-Labeling und zur klimabezogenen

Produkt kennzeichnung hat im Verlauf des Jahres 2008 enorm zugenommen. Die Initia-

tiven können im Rahmen dieses Leitfadens nicht alle vorgestellt und ausführlich erläu-

tert werden. An dieser Stelle sollen lediglich die wichtigsten grundsätzlichen Typen der

Labels und Produkt kennzeichnungen eingeführt werden.

CO2-Label bzw. Carbon Reduction Label

Die wohl aktuell am intensivsten, aber auch am kontroversesten diskutierten Labels

sind die CO2-Labels (oder auch Carbon-Labels) bzw. Carbon Reduction Labels. Das

Carbon Reduction Label des Carbon Trust ist wohl das bekannteste dieser Vertreter.

Das Label weist einen konkreten Wert des Product Carbon Footprint aus, muss aber

nicht alle Lebenszyklusphasen des Produkts erfassen14. Zusätzlich wird zur Bedingung

gemacht, dass das Label nur an die Produkte vergeben wird, wenn sich die herstel-

lenden Unternehmen zu einer Reduzierung des entsprechenden PCF über zwei Jahre

ver pflichten. Dazu werden erläuternde Hinweise über das Label vermittelt, wie etwa

Produkt vergleiche oder Kundeninformationen, wie der PCF in der Nutzungsphase re-

duziert werden kann.

Das Label wird auf der Verpackung der Produkte genutzt werden, zum Beispiel im Han-

del (am Point of Sale) oder beispielsweise im Internet auf entsprechenden Websites der

Unternehmen. Das Label ist freiwillig und wird durch den Carbon Trust bzw. akkredi-

tierte Dienstleister geprüft.

Das Carbon Reduction Label ist Vorbild für eine Reihe vergleichbarer internationaler

Ansätze wie in Südkorea oder Japan, wo ähnliche Label eingeführt wurden.

CO2-Siegel

Darüber hinaus gibt es Ansätze, die den Product Carbon Footprint als Grundlage neh-

men, um die besten Produkte einer Produktgruppe (z. B. Waschmittel) mit einem Siegel

auszu zeichnen. Eine der prominenten Ansätze ist das Pilotprojekt um das CO2e-Siegel

„approved by climatop“, das von der schweizerischen Handelskette Migros genutzt

wird. Damit werden die Produkte einer Produktgruppe ausgezeichnet, die – gemessen

am PCF – mindestens 20 Prozent besser abschneiden als ein vergleichbares durch-

14 So weist Continental Clothing den Product Carbon Footprint eines T-Shirts über das Carbon Reduc-tion Label lediglich für die Erzeugung der Rohmaterialien, die Produktion und den Transport in das Vereinigte Königreich aus. Die Nutzungsphase bzw. die Entsorgung des Produkts wird dabei nicht berücksichtigt.

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Kommunikation des Product Carbon Footprint 47

schnittliches Produkt. Es wird dabei der gesamte Lebenszyklus der Produkte inklusive

der Nutzung und Entsorgung bilanziert15. Migros nutzt dieses Siegel allerdings lediglich

für Eigenmarken16. Die dem Labeling zugrunde liegenden Berechnungen werden von

einem externen Forschungspartner („climatop“) durchgeführt. Die größten Herausfor-

derungen werden von den Beteiligten im Bereich der Lebensmittel gesehen.

Klimaneutral-Label

Zusätzlich zu den genannten Labelformen auf Basis des PCFsgibt es auch immer mehr

Initiativen, die Produkte als klimaneutral kennzeichnen. Dabei wird der PCF für die

Produkte ermittelt und über Investitionen in Klimaschutzprojekte kompensiert. Die An-

sätze sind noch sehr unterschiedlich.

Wichtige Differenzen gibt es in Bezug auf die Fragen:

»» Welche Treibhausgase wurden bilanziert?

»» Wurden alle Lebenszyklusphasen berücksichtigt oder nur bestimmte Abschnitte?

»» Gibt es Anforderungen an die Reduzierung des PCF vor der Kompensation?

»» Welche (Qualitäts-)Anforderungen werden an die Kompensationsprojekte ge-

stellt?

Ein bekanntes Beispiel in Deutschland ist das Label „Stop Climate Change“. Dabei werden

die THG-Emissionen während der gesamten Produktion inklusive der Transporte bis

zum Point of Sale bilanziert (Nutzung und Entsorgung ist nicht eingeschlossen). Es wird

die Reduzierung der THG-Emissionen geprüft, wobei die verbleibenden Emissionen

über Klimaschutzprojekte verifiziert werden, die transparente Standards erfüllen. Die

Berechnungen der THG-Bilanzen werden von AGRA-TEG GmbH vorgenommen, die wie-

derum von einem unabhängigen Zertifizierer (Gesellschaft für Ressourcenschutz mbH)

aus dem Umwelt bereich geprüft werden. Bisher haben hauptsächlich Lebensmittelher-

steller ihre Produkte aus dem Bioanbau freiwillig mit diesem Siegel gekennzeichnet.

Umweltkennzeichen mit Klimafokus

Neben diesen Produktkennzeichnungen, die hauptsächlich auf THG-Bilanzen aufbau-

en, findet auch eine Ausdifferenzierung der „klassischen“ Umweltlabels (Typ1 nach

ISO 14024) statt, unter anderem mit dem Schwerpunkt Klimaschutz. Dabei werden

Vergabekriterien für diverse Produktgruppen erarbeitet, die die Klimarelevanz der

Produkte charakterisieren. Das ist nicht notwendiger weise der PCF, sondern insbeson-

dere bei Energie verbrauchenden Produkten in der Regel der Energiebedarf. Darüber

hinaus werden aber auch andere Umweltkategorien in Form von Mindestkriterien bei

der Vergabe des Umweltlabels berücksichtigt. Ausgezeichnet werden etwa die besten

20 % einer Produktgruppe im Markt, vorausgesetzt, der Hersteller bewirbt sich um die-

15 Wurden zu Beginn des Projekts lediglich CO2e-Bilanzen erstellt, fußt das System inzwischen auf Ökobilanzen unter der Berücksichtigung der anderen relevanten Umweltkategorien.

16 Fremdmarken werden bei Migros nicht mit dem Siegel gekennzeichnet, auch wenn sie eine ver-gleichbar gute Performance hätten wie die gelabelten Produkte.

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Kommunikation des Product Carbon Footprint48

ses freiwillige Label. Die Kriterien werden zunehmend regelmäßig aktualisiert und da-

durch dynamisiert, sodass ein Top-Runner-Ansatz verfolgt wird.

Das prominenteste und auch neueste Beispiel für ein derartiges Umweltlabel ist das

deutsche Umweltzeichen („Blauer Engel“).

Das Umweltzeichen Blauer Engel wird künftig in vier unterschiedlichen Clustern ver-

geben: „Schützt das Klima“, „Schützt die Ressourcen“, „Schützt das Wasser“ und „Schützt

die Gesundheit“. Die Schwerpunktsetzung wird jeweils als Zusatz im Logo des Blauen En-

gel ergänzt. Unabhängig von dieser Schwerpunktsetzung berücksichtigt der Blaue Engel

auch weiterhin alle relevanten umwelt- und gesundheits bezogenen Eigenschaften von

Waren und Dienstleistungen. Schließlich achten Verbraucher innen und Verbraucher

auch auf andere Umwelt- und Gesundheitsaspekte, wie etwa Schutz vor Schadstoffen,

Lärm oder Wasserverbrauch. Ein weiterer Vorteil des Umweltzeichens ist, dass die auf

Basis von Ökobilanzen abgeleiteten Kriterien – bevor sie in einem Stakeholder-Gremium

festgelegt werden – zunächst von einem Expertengremium diskutiert werden.

Für das Cluster Klimaschutz werden in einem laufenden Projekt bis 2011 die Vergabe-

grundlagen für die 100 wichtigsten klimarelevanten Produktgruppen erarbeitet. Für

die ersten neun Produktgruppen wurden bereits die fachlichen Expertenanhörungen

durchgeführt: Netbooks, DVD-Rekorder/Blu-Ray-Disk-Rekorder, Kühl- und Gefriergerä-

te, Wäschetrockner, Waschmaschinen, Gasherde, Espressomaschinen, Wasserkocher

und automatische Steckerleisten (Masterslaves).

Neben dem Umweltzeichen gibt es weitere laufende Prozesse zum produktbezogenen

Klimaschutz, wie etwa die Ökodesign-Richtlinie und die geplante Neufassung der ge-

setzlichen EU-Vorgaben zur Energieeffizienzkennzeichnung. Insbesondere angesichts

der Änderungen bei der EU-Energieeffizienzkennzeichnung in den nächsten Jahren

könnte bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern Verunsicherung bei der Kaufent-

scheidung entstehen, wohingegen das lang etablierte Umweltzeichen Blauer Engel für

Verbraucher eine verlässliche Orientierung darstellen wird.

Eine vergleichbare Vorgehensweise ist auch aktuell beim europäischen Umweltzeichen

(„Euro-Blume“) verankert. Auch in China werden derartige Ansätze diskutiert (Sack

Reis). Die meisten Initiativen zu den oben genannten Produktlabels sind derzeit auf

freiwilliger Basis angelegt. In einigen Fällen – zum Beispiel in Frankreich – wird aber

auch über verpflichtende Formen des Labeling diskutiert. Im Rahmen der sogenannten

Umwelt-Grenelle wurde ein Vorschlag erarbeitet, dass ab Januar 2011 die Konsumen-

tinnen und Konsumenten mit einem Label oder anderen geeigneten Prozessen über die

Treibhausgas emissionen und andere Umweltauswirkungen sowie den Verbrauch an

Ressourcen im Lebenszyklus der Produkte informiert werden müssen. Diese Regelung

ist bisher noch nicht vom französischen Parlament verabschiedet. Auch steht noch nicht

fest, welche Umwelteigenschaften der Produkte mit dem Labeling erfasst werden sol-

len und in welcher Form die Kennzeichnung erfolgen soll. Um diese Fragen zu klären,

wurde eine Plattform initiiert unter der Leitung von Ademe (der französischen Umwelt-

agentur) mit Unterstützung der französischen Standardisierungsorganisation Afnor

und unter Beteiligung aller relevanter Anspruchsgruppen (wissenschaftliche Experten,

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Kommunikation des Product Carbon Footprint 49

Handelsunternehmen, NGOs, Produzenten). Die Arbeit erfolgt in Arbeitsgruppen ge-

trennt nach Produktgruppen. In 12 Arbeitsgruppen werden zu betrachtende Umwelt-

kategorien, sinnvolle Erfassungs methoden und mögliche Kommunikationsformen

produktgruppenspezifisch diskutiert, bevor dann das weitere Vorgehen möglichst noch

2010 auf Basis der Ergebnisse vereinbart werden soll.

Zusätzlich zu den genannten Kategorien von Produktkennzeichnungen gibt es eine

große, inzwischen unübersichtliche Anzahl von Lösungen einzelner Unternehmen, wie

besonders klimagerechte Produkte aus ihrem Portfolio gekennzeichnet werden – auch

jenseits von Labels der oben genannten Formen.

In den kommenden Jahren ist zu erwarten, dass noch weitere Initiativen hinzukom-

men. Vor diesem Hintergrund besteht die Gefahr, dass Verbraucherinnen und Verbrau-

cher aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Informationen eher verwirrt oder

sogar zu Fehlentscheidungen geführt werden, als eine Orientierung zu erhalten . Um

dem vorzubeugen, braucht es gerade in Bezug auf die Klima- und Umweltrelevanz noch

deutlich mehr Wissen in Bezug auf die folgenden Fragen:

»» Welche glaubwürdigen und belastbaren Informationen und Aussagen in Bezug

auf die Klimarelevanz von Produkten sind auf der derzeitigen Basis unseres Wis-

sensstandes zur Methodik der Ermittlung möglich?

»» In welcher Form können diese Informationen an die Verbraucherinnen und

Ver braucher am besten kommuniziert werden, sodass sie handlungsleitend

und zugleich richtungssicher im Sinne des Klimaschutzes verstanden werden

können?

Aus diesen Fragen ergeben sich wichtige Anforderungen an die Kommunikation zur

Klima relevanz von Produkten und deren Nutzung.

Systematische analyse für unterschiedliche Produktgruppen

Wie oben dargelegt, liegt der Schwerpunkt der derzeitigen Aktivitäten und der Kom-

munikation zum Product Carbon Footprint bei der Produktgruppe Lebensmittel und

nicht bei den aus Klimasicht weit wichtigeren Energie verbrauchenden Produkten (wie

etwa Heizungen, Pkw oder Elektrogeräte). Dies ist auch deshalb überraschend, weil

man eine Nicht-Berücksichtigung anderer Umweltkategorien, wenn überhaupt, dann

noch am ehesten bei den Energie ver brauchenden Produkten begründen könnte, aber

viel weniger bei Lebensmitteln. Interes santerweise wird in den Medien vergleichsweise

wenig über die bestehenden Kennzeich nungspflichten für Strom und Pkw berichtet, da-

gegen sehr ausführlich über vorgeschlagene Kennzeichnungen von Lebensmitteln.

Bislang gibt es auch keine klaren Vorstellungen, wie CO2e-Labels zu anderen Labels oder

Kenn zeichnungspflichten wie etwa dem EU-Energieeffizienzlabel positioniert werden

sollten. Nachfolgend wird die Sinnhaftigkeit von CO2e-Labels für verschiedene Produkt-

gruppen er örtert.

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Kommunikation des Product Carbon Footprint50

Klimarelevante Produkte

Bei den Pro-Kopf-Emissionen an Treibhausgasen haben einige wenige Produkte einen

besonders hohen Anteil. Dies sind Heizungen (mit Brennstoffen wie Öl und Gas), Pkw

und Flüge sowie Strom (bzw. die Strom verbrauchenden Elektrogeräte). Mit wenigen

Produkten und Kaufentscheidungen werden hier von einem Bundesbürger und pro Jahr

etwa 5–6 Tonnen CO2e verursacht, wohingegen sich die Treibhausgasemissionen aus

Lebensmitteln (insgesamt etwa 1,5 bis 2 Tonnen CO2e) aus dem Kauf Tausender unter-

schiedlicher Lebens mitteln in jährlich 100 oder mehr Einkäufen zusammensetzen.

Bei Strom und Pkw bestehen hier bereits klimarelevante Kennzeichnungspflichten

(Gramm CO2/km bei Pkw17 und Art der Stromproduktion bei Strom).

Elektrogeräte mit großem Energiebedarf

Energieeffizienzkennzeichnung

Ausgewählte Elektrogeräte müssen gemäß ihrer Energieeffizienz ausgezeichnet

werden. Bei der laufenden Umsetzung der Ökodesign-Richtlinie wird die Kennzeich-

nungspflicht über die großen Haushaltsgeräte hinaus auf weitere große Geräte wie

etwa IT-Geräte, perspektivisch aber auch auf kleinere Geräte (z. B. Staubsauger oder

Espressomaschinen) ausgeweitet. Ökobilanzen zeigen, dass bei den meisten Energie

verbrauchenden Geräten der Anteil des Energiebedarfs in der Nutzungsphase am Ge-

samtenergiebedarf sehr hoch ist (meist 80–90 %) und entsprechend der Energiebedarf

bei der Her stellung und Entsorgung weniger relevant ist. Dies gilt in ähnlichem Maße

für die Klimabilanz bzw. den PCF. Der PCF der großen Elektrogeräte liegt in der Größen-

ordnung von hundert bis einigen Hundert kg CO2e pro Jahr und über die gesamte Le-

bensdauer meist oberhalb von 1.000 kg CO2e.

Obwohl die Produkte also einen hohen PCF haben, gibt es derzeit keine wesentlichen In-

itiativen, den PCF der Geräte zu erfassen und am Gerät auszuweisen oder die Geräte mit

einem Label mit CO2e-Ziffer zu versehen.

Allerdings kann man davon ausgehen, dass die Angabe des PCF ohne eine Vergleichs-

skala für Verbraucher wenig aussagekräftig wäre. Ist ein Kühlschrank mit einem PCF

von 3.000 kg (Angabe für 15 Jahre Lebensdauer) ein guter oder schlechter Kühlschrank?

Man müsste also für die Elektrogeräte jeweils eine Vergleichsskala aufstellen und wäre

dann nahe beim bestehenden Energieeffizienzsystem. Ein PCF-Label mit Ausweisung

eines CO2-Werts wäre wenig sinnvoll. Denkbar ist allenfalls beim Energieeffizienzlabel

die zusätzliche Angabe des durchschnittlichen Stromverbrauchs, des Stromverbrauchs

für wichtige einzelne Programme beim Betrieb der Geräte und die Angabe des durch-

schnittlichen PCF für Strom.

Umweltzeichen

Für mehrere Elektrogeräte gibt es über die Energieeffizienzkennzeichnung hinaus auch

nationale Umweltzeichen (in Deutschland den Blauen Engel) oder das europäische Um-

weltzeichen (die Euro-Blume). Bei den Kriterien für die Umweltzeichen werden meist

17 Angegeben werden hier allerdings nur CO2-Emissionen ohne Vorkette. Der PCF wird damit um ca. 15 % unterschätzt.

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Kommunikation des Product Carbon Footprint 51

anspruchsvolle Anforderungen an den Energiebedarf, aber auch Anforderungen an

weitere Umweltaspekte gestellt (Kriterien für Lärm, Wasserverbrauch, eingesetzte Ma-

terialien, Schadstoffe, Strahlung etc.). Umweltzeichen wie der Blaue Engel stellen eine

umfassende und integrierte Umweltbewertung dar (nicht nur Bewertung des PCF) und

sind damit aussagekräftiger und höherwertiger als die Energieeffizienzkennzeichnung.

Der PCF selbst wird bisher bei Umweltzeichen nicht ausgewiesen, dies könnte aber – wie

oben bei der Energieeffizienzkennzeichnung beschrieben – problemlos ergänzt werden.

Empfehlung: Bei Elektrogeräten mit hohem Energiebedarf sollte die Energieeffizienz-

kennzeichnung um die Angabe relevanter Stromverbräuche oder Leistungswerte er-

gänzt werden. Die Elektrogeräte sollten darüber hinaus in das Umweltzeichen-System

aufgenom men werden.

Elektrogeräte mit geringem Energiebedarf

Hier stellt sich die Sachlage ähnlich dar wie bei den Elektrogeräten mit dem hohen

Energie bedarf – mit dem wesentlichen Unterschied, dass die Herstellungsphase einen

größeren Anteil haben kann und dass die Bedeutung anderer Umweltaspekte eher zu-

nimmt. Dies spricht noch mehr für eine integrierte Umweltbewertung bzw. Umweltzei-

chen.

Neben dem absoluten Energieverbrauch kann das Einsparpotenzial von großer Bedeu-

tung sein. Beispielsweise hat eine Untersuchung zu Espressomaschinen gezeigt, dass das

Einsparpotenzial zwischen durchschnittlichen und Best-Geräten bei rund 100 kWh pro

Jahr liegt – das entspricht etwa dem Unterschied von Kühlschränken der Klasse A++ und A.

Energiesparende Produkte

Produkte wie Dämmmaterialien, Steckerleisten oder 20-Grad-Waschmittel können

in der Nutzungsphase zu erheblichen Einspareffekten führen und den PCF anderer

Produkte reduzieren. Der PCF der energiesparenden Produkte selbst ist im Vergleich

dazu meist klein und weniger relevant. Die Bilanzierung der indirekten Einsparung ist

methodisch anspruchs voll und nicht einfach mit dem energiesparenden Produkt in

Bezug zu setzen (das ist auch der Grund, warum der PAS 2050 eine solche Bilanzierung

ausschließt!).

Die Angabe des PCF von energiesparenden Produkten ohne Angabe des PCF-Einspar-

effekts würde keinen Sinn machen. Dies gilt vergleichbar für ein denkbares CO2e-Label.

Energiesparende Produkte werden aber oft bereits mit einem Umweltzeichen gekenn-

zeichnet. Dabei werden das Treibhausgaspotenzial des Produkts selbst und der Einspar-

effekt berücksichtigt, aber auch andere Umweltkriterien wie etwa Schadstoffe (Beispiel

Dämmmaterialien!).

Technische Produkte ohne Energiebedarf in der Nutzungsphase

Bei diesen Produkten spielen meist mehrere Umweltaspekte und nicht nur der Energie-

bedarf bei der Herstellung eine wichtige Rolle. Dies spricht für eine integrierte Umwelt-

bewertung bzw. Umweltzeichen und gegen isolierte CO2e-Labels. Angesichts der Viel-

zahl der Produkte sollte zuvor eine Relevanzprüfung erfolgen.

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Kommunikation des Product Carbon Footprint52

Lebensmittel

Herausforderungen der Datenerhebung

Der Anteil von Lebensmitteln an den Pro-Kopf-Emissionen liegt in Deutschland in der

Größenordnung von etwa 2,0 Tonnen CO2e und damit bei etwa 20 %. Je nach Abgren-

zung (mit oder ohne Getränke, mit oder ohne Außer-Haus-Verzehr, mit oder ohne Ver-

packungen, mit und ohne Kühlung und Kochen) finden sich dazu unterschiedliche Zah-

len. Dieser durchaus hohe Wert verteilt sich allerdings auf Tausende unterschiedlicher

Lebensmittel und Hunderte von Einkäufen. Der PCF einzelner Lebensmittel liegt in der

Größenordnung von einigen Dutzend Gramm bis mehreren Kilo CO2e. Sehr hohe Werte

hat beispielsweise Rindfleisch mit rund 13 kg CO2e pro Kilo.

Die Bestimmung des PCF von Lebensmitteln ist in der Regel aufwendig und erfordert

vor allem dann viel Aufwand und Kosten, wenn spezifische (und nicht generische)

Daten erhoben werden sollen – was ja die Ursprungsidee der Tesco-Initiative war.

Die Gründe für den hohen Datenaufwand sind:

»» sehr viele und unterschiedliche große Agrarbetriebe

»» häufige Wechsel der Zulieferer

»» starke Unterschiede in der Art des Anbaus

»» jährlich und saisonal schwankende Erträge

»» viele unterschiedliche Verarbeitungstechniken und -betriebe

»» eine Bandbreite von relativ einfachen Produkten wie Äpfel oder Bananen bis hin

zu komplexeren Convenience-Produkten

»» sehr unterschiedliche Transportwege – von regional bis global, vom Traktor bis

zum Flugzeug

»» hoher und zeitabhängiger Einfluss von Lagerhaltung und Kühlung

»» eine Vielzahl unterschiedlicher Packungsgrößen und Verpackungen

»» unterschiedliche Zubereitungsarten und große Unterschiede zwischen Conve-

nience-Produkten und selbst zubereiteten Produkten

Aus den genannten Gründen können die PCF-Werte von Lebensmitteln erheblich

schwan ken und es können zum Teil erhebliche Reduktionspotenziale abgeleitet werden.

Es ist daher sinnvoll, den PCF von Lebensmitteln zu bestimmen und Optimierungspoten-

ziale beim Anbau, bei der Verarbeitung, bei Transporten oder Lagerung abzuleiten und

zu realisieren. Weitaus schwieriger ist es dagegen für Handelsunternehmen, den PCF von

Tausenden unterschied licher Lebensmittel kontinuierlich und wettbewerbsrechtlich ver-

lässlich auszuweisen und den Verbrauchern adäquate Vergleichsmaßstäbe zu bieten.

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Kommunikation des Product Carbon Footprint 53

Die Schwierigkeit zur Ermittlung des spezifischen PCF von Lebensmitteln und Auszeich-

nung mit CO2e-Ziffer kann schon an einem „einfachen“ Produkt verdeutlicht werden  –

an Äpfeln:

Der Energieaufwand zur Produktion und Lagerung von Äpfeln schwankt von Betrieb

zu Betrieb und kann zwischen großen und kleinen Betrieben um den Faktor 2–3 unter-

schiedlich sein. Die Transportentfernung kann ebenfalls sehr unterschiedlich ausfallen

– das Boden see-Obst wird am Bodensee verkauft, aber auch in Kassel oder Berlin. Die Äp-

fel können aber auch aus Neuseeland oder Chile importiert werden. Die in Deutschland

erzeugten Äpfel werden bis ins späte Frühjahr hinein gelagert und dabei gekühlt. Der

PCF steigt damit von Monat zu Monat.

Um den PCF von Äpfeln in einer Verkaufsstätte auch nur einigermaßen spezifisch anzu-

geben, müssten jeweils die Produktionswerte vom Anbaubetrieb, die Transportentfer-

nung und -mittel sowie die Dauer und Art der Kühlung bekannt und individuell berech-

net werden – und das für jede verkaufte Apfelsorte. Das ist grundsätzlich möglich, aber

sehr aufwendig und sollte ja nicht nur für Äpfel, sondern Tausende anderer Produkte

durchgeführt werden.

Damit Verbraucher die Angabe des spezifischen PCF adäquat bewerten können, müss-

ten darüber hinaus – wie bei den Elektrogeräten – für vergleichbare Produkte Ranking-

systeme entwickelt werden – zum Beispiel für Äpfel der Klimaklasse A, B, C … (wenn man

wirklich alle Äpfel in eine Klasse werfen wollte).

Angesichts der oben genannten Schwierigkeiten ist es offensichtlich, dass in absehbarer

Zeit (und vermutlich auch zukünftig) kein System entstehen wird, bei dem Tausende

unter schiedlicher Lebensmittel in den Handelsgeschäften regelmäßig und wettbe-

werbsrechtlich zuverlässig mit ihrem jeweiligen und aktuellen CO2e-Wert gekennzeich-

net bzw. gelabelt und zudem auch jeweils entsprechende Rankingsysteme entwickelt

werden.

Biosiegel

Bei Lebensmitteln spielen darüber hinaus weitere Umweltaspekte eine große Rolle:

Flächenverbrauch, Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, Wasserverbrauch, Einsatz von Pes-

tiziden, schädliche Inhaltsstoffe, Zusatzstoffe. Gerade deshalb wurde ja das Biosiegel

entwickelt. Die isolierte Angabe des PCF stellt dagegen keine ausreichende Verbrau-

cherinformation dar. Denkbar ist dagegen, das Biosiegel um das Kriterium Treibhaus-

gaspotenzial zu ergänzen. Aufgrund der oben genannten Schwierigkeiten dürfte aber

auch dies eine erhebliche Herausforderung darstellen.

Verbraucherinformationen zur Umwelt- und Klimarelevanz

Die unvollständige und unsystematische Veröffentlichung von CO2e-Werten ohne Ver-

gleichsmaßstäbe und ohne Bezug auf andere Umweltaspekte von Lebensmitteln trägt

NICHT zur Verbraucherorientierung, sondern zur Verwirrung von Verbrauchern bei.

Stattdessen sollten für die aus Klimasicht wichtigsten Produktgruppen Ökobilanzen

durchge führt werden, bei denen alle relevanten Umweltaspekte (Durchschnittswerte

und Band breiten) erhoben werden. Auf dieser Basis können – wenn die Datenlage be-

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Kommunikation des Product Carbon Footprint54

lastbar ist – für die Verbraucherinformation Grundaussagen und Handlungsoptionen

abgeleitet und typische Fragen beantwortet werden:

»» Sind Ökobilanz und Klimarelevanz von Regional-Äpfeln oder Äpfeln aus Übersee

besser? Sind Bioäpfel aus Übersee besser als konventionelle Regional-Äpfel? Gibt

es Regional-Bioäpfel, die nicht gekühlt werden? Welche sind die aus Umwelt-

sicht besten Äpfel? Stimmt es, dass bei der Herstellung und Sterilisierung von

Apfelsaft in kleinen Kelteranlagen meist viel mehr Energie verbraucht wird als

in großen Anlagen?

»» Ist es aus Umwelt-, Gesundheits- und Klimasicht sinnvoll, weniger Fleisch zu

essen? Soll man beim Fleischverzehr aus Klimasicht eher auf Hühnerfleisch

setzen? Ist Biofleisch auch aus Klimasicht besser als konventionell erzeugtes

Fleisch?

»» Ist industriell gefertigte Tiefkühlkost aus Klimasicht schlechter als im Privat-

haushalt frisch zubereitete Lebensmittel? Oder gibt es hier deutliche Unter-

schiede je nach Lebensmittel und Kühlzeit im Privathaushalt?

»» Wie fällt aus Umwelt- und Klimasicht der Vergleich unterschiedlicher Ernäh-

rungsstile aus? Stimmt es, dass ein höherer Anteil von Milchprodukten einen

niedrigeren Anteil von Fleischprodukten aus Klimasicht kompensiert?

Die Qualität der ernährungsbezogenen Verbraucher/ -innen-Information würde erheb-

lich zu nehmen, wenn diese Fragen auf der Basis von Ökobilanzen (geprüft mit Critical

Reviews) beantwortet werden könnten. Allerdings ist auch hier der Aufwand erheblich,

sodass vorab eine Schwerpunktsetzung für die zu untersuchenden Produktgruppen

erfolgen sollte. Bei der Frage des Einsatzes zusätzlicher Informationen sind neben den

Aspekten der technischen Machbarkeit auch die Aspekte der Aufnahme- und Verarbei-

tungskapazitäten von Informa tionen bei den Verbraucher/-innen selbst zu berücksichti-

gen. Je nach kognitivem Involvement (handelt es sich beispielsweise eher um Alltagsrou-

tinen wie bei Lebensmitteln oder um besondere Investitionen wie bei Haushaltsgeräten)

nutzen Verbraucher/-innen unterschied liche Informationskanäle und Anlässe, um sich

zu informieren – und müssen dement sprechend differenziert angesprochen werden.

Die vorgenannten Überlegungen sprechen klar dafür, Umweltzeichen nach ISO 14024

(Typ 1) wie das Umweltzeichen Blauer Engel beizubehalten. Die Vorteile gegenüber

Labels mit Ausweisung von CO2-Werten sind nachfolgend noch einmal für das Umwelt-

zeichen zusammen gefasst (die Argumente gelten sowohl für den Blauen Engel als auch

sinngemäß für andere nationale Umweltzeichen und das europäische Umweltzeichen):

»» einfach zu verstehende und verlässliche Information für Verbraucher: Das mit

dem Umweltzeichen ausgezeichnete Produkt ist aus Gesamtumweltsicht deut-

lich besser als vergleichbare Produkte

»» Einbeziehung aller relevanten Umwelt- und Gesundheitsaspekte

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Kommunikation des Product Carbon Footprint 55

»» Ableitung der Kriterien auf der Basis von Ökobilanzen und ökotoxikologischer

Bewer tungen

»» anschließende Diskussion in einem Expertengremium

»» abschließender Beschluss in der „Jury Umweltzeichen“, in der die relevanten

gesell schaftlichen Gruppen vertreten sind

»» zertifizierte Vergabe und Überprüfung der Kriterien für die mit dem Umwelt-

zeichen ausgezeichneten Produkte

Die Herausgeber dieses Leitfadens kommen auf Basis der bisherigen Erkenntnisse

und Erfahrungen zu dem Schluss, dass der numerische Wert des PCF kein sinnvolles

und zuverlässiges Instrument zur Produktkennzeichnung mit dem Ziel der Verbrau-

cherkommunikation ist.

Deshalb ist es auf absehbare Zeit nicht vorstellbar, eine wettbewerbsrechtlich trag-

fähige vergleichende CO2-Kennzeichung von Produkten mit dem numerischen Wert

zu realisieren. Dies gilt besonders für Lebensmittel, die momentan im Mittelpunkt der

CO2-Label-Diskussion stehen, aber auch für andere Konsumgüter.

In der Praxis können Verbraucher zudem mit Labels mit CO2-Ziffer wenig anfangen,

»» weil sie keinen Vergleichsmaßstab haben,

»» weil sich aus den Werten keine Handlungsempfehlungen für die wichtige Nut-

zungsphase ergeben,

»» weil die Bedeutung anderer Umweltaspekte unklar bleibt und

»» weil es eine zunehmende Verwirrung durch eine Vielzahl von Umweltlabels

gibt.

Deshalb lehnen auch die europäischen Verbraucherverbände Labels mit Ausweisung

von CO2 -Werten ab18.

Wenn Untersuchungen gezeigt haben, dass der PCF eine aussagefähige Größe in Bezug

auf die Umweltverträglichkeit einer Produktgruppe ist, sollte dieser eher in Umwelt-

qualitätssiegel oder andere anerkannte Umweltlabels (Typ 1 nach ISO 14024) integriert

werden. Statt neue Labels mit CO2-Ziffer mit beschränkter Aussagekraft einzuführen,

sollte eine verbrauchergerechte Kommunikation mit der Aufwertung bestehender

Umweltzeichen – wie dem Blauen Engel – erfolgen. Beim Umweltzeichen Blauer En-

gel werden die einbezogenen Produktgruppen derzeit erweitert, so dass es für die aus

Klimasicht wichtigsten einhundert Produktgruppen Vergabegrundlagen für den soge-

nannten „Klimaengel“ geben wird.

18 ANEC, BEUC, ECOS, EEB: Joint Position – Sizing up Product Carbon Footprinting, Brüssel 2009.

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Kommunikation des Product Carbon Footprint56

Jenseits der Produktkennzeichnung über Labels hinaus wird jedoch das Potenzial des

Product Carbon Footprint gesehen, eine tragfähige Grundlage für eine sinnvolle Pro-

duktkommunikation gegenüber Unternehmenspartnern und den Endkonsumenten

zu bilden. Gerade wenn auch andere Nachhaltigkeitskriterien der Produkte miterfasst

und bewertet werden, lassen sich auf Basis des PCF handlungsrelevante Botschaften für

die Verbraucher ableiten, die einen nennenswerten Beitrag für einen klimagerechteren

Konsum leisten können. Ein Beispiel sind die Handlungsempfehlungen im Bereich des

nachhaltigen Waschens, die gemeinsam von Herstellern, Verbraucher- und Umwelt-

organisationen sowie dem Umweltbundesamt abgeleitet und in der Vergangenheit

erfolgreich kommuniziert wurden.19

Die Herausgeber befürworten in diesem Sinne die Arbeit an glaubwürdigen Kommu-

nikationsformen jenseits der Produktkennzeichnung, die für die Klimarelevanz des

Konsums sensibilisieren und helfen, Reduktionspotenziale auf der Nutzungsseite der

Produkte zu erschließen. Dabei regen sie interessierte Unternehmen zu Initiativen an,

bei denen Unternehmenspartner, aber vor allen Dingen auch Anspruchsgruppen der

Unternehmen im Bereiche des Umwelt- und Verbraucherschutzes frühzeitig eingebun-

den werden, um damit die Akzeptanz, die Glaubwürdigkeit und die Wirksamkeit zu

steigern.

19 Mehr Informationen zur Initiative zur Förderung des nachhaltigen Handelns beim (Ab-)Waschen finden Sie unter www.forum-waschen.de.

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Perspektiven des Product Carbon Footprint 57

PERSPEKtIVEn DES PRODUCt CaRBOn FOOtPRInt

In den nächsten Jahren sollten folgende Aktivitäten durchgeführt werden:

»» zügiger Abschluss der internationalen Standardisierung (wie geplant)

»» wissenschaftliche Aufbereitung offener methodischer Punkte und Füllen von

Daten lücken

»» Durchführung weiterer PCF-Analysen, unter Berücksichtigung der Empfehlun-

gen des Memorandums für PCF im Übergangszeitraum

»» transparente Dokumentation von PCF sowie begleitende Durchführung von Cri-

tical Reviews

»» besondere Hervorhebung von Reduktionen gegenüber dem Status quo, Umset-

zung und Erfolgskontrolle

»» Erarbeitung von Product Category Rules für besonders relevante Produkte

»» Identifizierung und Priorisierung von Produktgruppen, bei denen der PCF ein

guter Indikator zur Bewertung der Klima- und Umweltrelevanz ist

»» Arbeit an Kommunikationsformen jenseits von Labels, um für die Klimarelevanz

des Konsums zu sensibilisieren und Reduktionspotenziale auf der Nutzungsseite

zu erschließen

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Glossar58

GlOSSaR

Aktivitätsdaten»

Aktivitätsdaten bezeichnen alle Material-, Energie- und Transportmengen, die als Input

und Output im Produktlebenszyklus relevant sind.

Allokation

Die Allokation ist ein Zurechnungsverfahren, das zur Anwendung kommt, wenn bei

einem Prozess zwei oder mehr Produkte beteiligt sind und die ökologischen Aufwen-

dungen oder Belastungen auf die beteiligten Produkte verteilt werden müssen. Beispie-

le sind: Anbau von Weizen (Produkte: Weizenkörner und Stroh); Chloralkalielektrolyse

mit den Produkten Natronlauge, Chlor und Wasserstoff; Lkw, der mehrere unterschied-

liche Produkte transportiert.

Biosiegel

Das Biosiegel ist ein Prüf- und Gütesiegel, das Produkte kennzeichnet, die nach den

Richtlinien des ökologischen Landbaus erzeugt und verarbeitet werden. Ein Biosiegel

entspricht mindestens den Anforderungen der Europäischen Öko-Verordnung Nr.

834/2007, die Einhaltung der Kriterien wird durch die jeweils zuständige Öko-Kontroll-

stelle überwacht.

Business­to­Business»(B2B)

Der aus dem Bereich des Marketings stammende Begriff bezeichnet Geschäftsbeziehun-

gen entlang der Wertschöpfungskette zwischen zwei oder mehr Unternehmen.

Business­to­Consumer»(B2C)

Business-to-Consumer bezeichnet sämtliche Kommunikations- und Handelsbeziehun-

gen zwischen Unternehmen und Privatpersonen (Konsumenten).

Carbon»Trust

Die seit 2001 existierende Carbon Trust ist eine von der britischen Regierung ins Leben

gerufene gemeinnützige Organisation. Sie berät Unternehmen und den öffentlichen

Sektor, um Strategien zur Minderung von àTreibhausgasemissionen zu entwickeln

und Umwelttechnologien zu fördern.

Critical»Review

Ein Critical Review („kritische Begutachtung“) ist die Überprüfung oder Kommentie-

rung einer Ökobilanz oder eines PCF durch unabhängige Gutachter. Für normkonforme

Ökobilanzen ist die Art des Critical Review in der ISO-Norm 14040 Abschnitt 7.3.3 be-

schrieben.

Emissionsfaktor

Ein Emissionsfaktor stellt bei PCF das Verhältnis von àTreibhausgasemissionen zur ein-

gesetzten Menge eines Ausgangsstoffs (z. B. Benzin) dar, der in einem Prozess eingesetzt

wird (z.B. Treibhausgasemissionen von Heizöl bei der Wärmebereitstellung bzw. Hei-

zung).

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Glossar 59

Energieeffizienzkennzeichnung»

Die seit 1998 eingeführte verpflichtende Produktkennzeichnung auf Elektrogeräte,

auch als europäisches EU-Energie-Label oder Energieetikett bekannt, gibt Auskunft

über die relative Energieeffizienz der Produkte. Die Geräte werden danach in Energie-

effizienzklassen (A+++, A++, A+, A, B, C …) unterteilt.

Energy»Star»

Energy Star ist eine Produktkennzeichnung für energiesparende Haushaltsgeräte, elek-

tronische Geräte und Bauprodukte (wie Fenster oder Baustoffe). Der Energy Star wurde

von der Amerikanischen Umweltschutzbehörde (EPA), dem U.S. Department of Energy

(DOE) und Herstellern entwickelt. Seit 2001 wird das Energy-Star-Programm auch in der

EU eingesetzt und vom Energy-Star-Büro der Europäischen Gemeinschaft (EGESB) ver-

waltet.

Fair­Trade­Label»

Der seit 1992 existierende gemeinnützige Verein TransFair vergibt das Fair-Trade-Label

an Produkte (überwiegend Lebensmittel) nach den Standards der Fairtrade Labeling

Organizations International (FLO). Die Standards setzen Kriterien zur Verbesserung

der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Produkten. Bisher werden Fair-Trade-Labels

hauptsächlich für landwirtschaftliche und kleingewerbliche Produkte sowie Textilien

eingesetzt.

Funktionelle»Einheit

Die funktionelle Einheit beschreibt den Nutzen des untersuchten Produkts und die

Basis, auf die die Ergebnisse der Ökobilanz oder des PCF bezogen werden (Beispiele: Ver-

packung für 500 ml Mineralwasser; 1.000 kg gewaschene und getrocknete Haushalts-

wäsche; 100 km Pkw-Fahrt).

Global»Warming»Potential»(GWP)

Die Treibhausgase (àTreibhausgasemissionen) werden anhand des Treibhausgas-

potenzials (engl.: àGlobal Warming Potential) in Kohlendioxid-Äquivalente (CO2-Äqui-

valente) umgerechnet, um eine Vergleichbarkeit und Verrechnung verschiedener

Treibhausgase zu ermöglichen. Das Treibhausgaspotenzial von Kohlendioxid wird da-

bei als 1 gesetzt.

Greenhouse»Gas»Protocol»

Das Greenhouse Gas Protocol (GHP) ist eine in der Praxis weitverbreitete Richtlinie zur

Berechnung von àTreibhausgasemissionen von Unternehmen und Organisationen.

Das GHP wurde vom World Resources Institute (WRI) und dem World Business Council

for Sustainable Development (WBCSD) 1998 entwickelt. Das GHG Protocol erfasst die

direkten Emissionen der unternehmerischen Kernbereiche (Scope 1) und die indirek-

ten Emissionen (z. B. zugekaufter Strom) (Scope 2). Seit 2008 wird das GHG-Protokoll

hinsichtlich zugekaufter Güter und Dienstleistungen (Scope 3) und einer produktbezo-

genen Richtlinie (Product Life Cycle Accounting and Reporting Standard) weiterentwi-

ckelt.

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Glossar60

International»Reference»Life»Cycle»Data»System»

Das International Reference Life Cycle Data System (ILCD) ist eine Datenbank, die im

Auftrag der Europäischen Kommission entwickelt wird. Die ILCD soll einheitliche und

überprüfte Ökobilanzdatensätze für ausgewählte Materialien und Prozesse enthalten.

Intergovernmental»Panel»on»Climate»Change»(IPCC)

Der 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der World Me-

teorological Organization (WMO) gegründete Zwischenstaatliche Ausschuss für Klima-

änderungen (engl.: Intergovernmental Panel on Climate Change) mit Sitz in Genf stellt

alle fünf Jahre einen Sachstandsbericht zu globalen Klimaveränderungen vor. Der IPCC,

auch Weltklimarat genannt, analysiert die Ergebnisse von wissenschaftlichen Veröf-

fentlichungen und bewertet die Folgen und Risiken der Klimaveränderung.

Koppelprodukt

Wenn bei einem landwirtschaftlichen chemischen oder technischen Prozess zwei oder

mehrere Produkte gleichzeitig entstehen, werden die entstandenen Produkte als Kop-

pelprodukte bezeichnet (Beispiel: Natronlauge, Chlor und Wasserstoff bei der Chlor-

Alkali-Elektrolyse).

Life»Cycle»Assessment»(LCA)

siehe àÖkobilanz

Ökobilanz

Eine Produkt-Ökobilanz20»(engl. àLife Cycle Assessment) erfasst und analysiert systema-

tisch die ökologischen Auswirkungen von Produkten während des gesamten Lebens-

weges („von der Wiege bis zur Bahre“). Dazu zählen die Umweltauswirkungen (wie

z. B. umweltrelevante Entnahmen aus der Umwelt sowie Emissionen in die Umwelt)

während der Produktion, der Nutzungsphase und der Entsorgung des Produktes sowie

die damit verbundenen vor- und nachgeschalteten Prozesse (z. B. Herstellung der Roh-

stoffe). Die Normenreihe DIN EN ISO 14040 ff. legt allgemeine Grundsätze für die Durch-

führung von Ökobilanzen fest.

Ökoeffizienzanalyse

Bei Produkten beschreibt die Ökoeffizienz das Verhältnis zwischen der Umweltaus-

wirkung eines Produkts bzw. einer Alternative und den damit verbundenen Kosten. Im

Gegensatz zur CO2-Effizienz oder Energieeffizienz werden hier mehrere Umweltauswir-

kungen zusammen betrachtet, sodass es notwendig ist, im ersten Schritt die Umwelt-

auswirkungen nach einem zu beschreibenden Bewertungsmodell auf einen Wert bzw.

eine Maßeinheit zu aggregieren.

PCF­Pilotprojekt»Deutschland

Das PCF-Pilotprojekt wurde unter der Trägerschaft von THEMA1, Öko-Institut e. V.,

WWF, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in Kooperation mit Unternehmen aus

dem produzierenden Gewerbe und dem Handel durchgeführt (www.pcf-project.de).

20 Im Vergleich z. B. zu einer Betriebsökobilanz, einer Verfahrensökobilanz oder Dienstleistungsökobi-lanz.

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Glossar 61

Ziel ist es, Praxiserfahrungen mit dem àProduct Carbon Footprint zu sammeln (Erstel-

lung, Reduktionspotenziale, Kommunikation) und die internationale Methodenent-

wicklung zu begleiten. Die erste Phase des PCF-Pilotprojekts wurde 2009 abgeschlossen,

die zweite Phase wurde 2010 begonnen.

Primärdaten

Unter Primärdaten versteht man bei Ökobilanzen und PCF die Daten, die direkt und

spezifisch bei einem Unternehmen oder Prozess erhoben bzw. gemessen werden (z. B.

Lösemittelemissionen aus einer bestimmten Lackierung). Die von den Primärdaten

abgeleiteten oder zusammengefassten Daten nennt man àSekundärdaten (Beispiel:

durchschnittliche Emissionen bei der Herstellung von Strom in Deutschland).

Product»Carbon»Footprint»(PCF)

Der Product Carbon Footprint (sog. „CO2-Fußabdruck“) bezeichnet die Bilanz der

àTreibhausgasemissionen entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produkts in einer

definierten Anwendung und bezogen auf eine definierte Nutzeinheit (Entwurf der

ISO 14067 „Carbon Footprint of Products“). Der PCF stellt ein geeignetes Instrument dar,

um Möglichkeiten der Reduzierung von àTreibhausgasemissionen von Produkten ent-

lang des gesamten Produktlebensweges zu ermitteln.

Product»Category»Rules»(PCR)

Product Category Rules beschreiben einen Satz spezifischer Regeln, Anforderungen

und Richtlinien zur Entwicklung von Umwelt-Produktdeklarationen für ein oder meh-

rere Produktgruppen, die die gleiche Nutzeneinheit beschreiben. PCR stellen einen

konsistenten, international akzeptierten Ansatz zur Beschreibung des Produktlebens-

zyklus dar.

Produktbezogene»Sozialbilanz

Bei der Erstellung einer produktbezogenen Sozialbilanz (Social Life Cycle Assessment

– SLCA) werden die sozialen Auswirkungen von Produkten über den gesamten Lebens-

weg analysiert und bewertet.

Produkt­Nachhaltigkeitsanalyse»(PROSA)

Bei PROSA handelt es sich um eine vom Öko-Institut e. V. entwickelte und an Fallbeispie-

len erprobte Methode zur integrierten Analyse und Bewertung ökologischer, sozialer

und ökonomischer Aspekte von Produkten, Produktportfolios und Dienstleistungen

(siehe www.PROSA.org).

Prozessnetz»

Das Prozessnetz beschreibt die für die Bilanzierung eingesetzten Materialien, Aktivitä-

ten und Prozesse, die zu den einzelnen Lebenszyklusphasen eines Produktes gehören.

Public»Available»Specification»(PAS)»2050»

Der PAS 2050: „Specification for the assessment of the life cycle greenhouse gas emissions of

goods and services“, wurde vom British Standards Institution (BSI), dem britischen Um-

weltministerium (defra) und dem Carbon Trust entwickelt und im Oktober 2009 veröf-

fentlicht. Er liefert eine methodische Grundlage für die Erfassung des àProduct Carbon

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Glossar62

Footprint und basiert, abgesehen von spezifischen Modifikationen, überwiegend auf

der Ökobilanznorm ISO 14040.

Scope

Der Scope beschreibt das Ziel und den Untersuchungsrahmen für die Erstellung einer

Ökobilanz oder eines PCF (vgl. ISO 14040). Er definiert die Bereiche der zu erfassenden

Treibhausgasemissionen im Rahmen eines Produktlebenszyklus und beschreibt, welche

Prozesse in die Untersuchung mit einbezogen werden. Imà Greenhouse Gas Protocol

bezieht sich der Begriff auf drei unterschiedliche Erfassungsbereiche (Scope 1, 2, 3).

Sekundärdaten

Unter Sekundärdaten versteht man bei der Ökobilanz oder PCF-Daten, die aus àPrimär-

daten abgeleitet oder zusammengefasst werden (Beispiel: durchschnittliche Emissio-

nen bei der Herstellung von Strom in Deutschland).

Top­Runner­Ansatz

Als Top-Runner-Ansatz wird ein produktpolitischer Ansatz verstanden, der auf die

Durchdringung des Marktes mit der umweltverträglichsten bzw. ressourcen- und/oder

energieeffizientesten Technologie abzielt. Für seine Umsetzung stehen unterschied-

liche Instrumente zur Verfügung. Der Top-Runner-Ansatz wurde erstmals in Japan ein-

gesetzt bzw. als solcher benannt.

Treibhausgasemissionen

Treibhausgase sind Stoffe, die zum Treibhauseffekt beitragen. Das bekannteste und

wichtigste Treibhausgas ist Kohlendioxid. Beispiele für weitere Treibhausgase sind

Methan oder Lachgas. Gasförmige Stoffe in der Atmosphäre, die zum Treibhauseffekt

beitragen- werden als Treibhausgasemissionen bezeichnet. Treibhausgas-Emissionen

bezeichnen dabei diejenigen Gase, für die der Weltklimarat das àTreibhausgaspoten-

zial bestimmt hat.»

Umweltzeichen»Blauer»Engel

Das Umweltzeichen Blauer Engel ist ein Prüf- und Gütesiegel, das 1978 vom Bundesmi-

nister des Inneren und den für Umweltschutz zuständigen Ministern der Bundesländer

ins Leben gerufen wurde. Es wird nach bestimmten Kriterien von der unabhängigen

Jury Umweltzeichen (Vertretern aus Umwelt- und Verbraucherverbänden, Industrie,

Wissenschaft etc.) für umweltschonende Produkte vergeben. Seit Ende 2008 wird der

Blaue Engel mit Schwerpunktsetzungen („Cluster“) auf Klima, Wasser, Ressourcen und

Gesundheit vergeben.

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Weiterführende literatur und nützliche links 63

WEItERFühREnDE lItERatUR UnD nütZlIChE lInKS

literatur

ANEC, BEUC, ECOS, EEB: Joint Position – Sizing up Product Carbon Footprinting, Brüssel

2009

British Standard Institution (BSI), Public Available Specification [PAS] 2050 „Specification

for the assessment of the life cycle greenhouse gas emissions of goods and services“,

2008

Bundesumweltministerium, Umweltbundesamt, Öko-Institut: Memorandum Product

Carbon Footprint – Positionen zur Erfassung und Kommunikation des Product Carbon

Footprint für die internationale methodische Standardisierung und Harmonisierung,

Berlin 2009

Thema 1 (Hrsg.), „Product Carbon Footprinting – ein geeigneter Weg zu klimaverträg-

lichen Produkten und deren Konsum?“, Ergebnisbericht des PCF-Pilotprojekts, Berlin

2009

Umweltbundesamt: Die CO2-Bilanz des Bürgers, Dessau 2007

links

www.blauer-engel.de

www.bsigroup.com/en/Standards-and-Publications/Industry-Sectors/Energy/PAS-2050/

www.energystar.gov

www.environdec.com (zu Product Category Rules)

www.forum-waschen.de

www.ghgprotocol.org

www.iso.org

www.pcf-project.de

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BEStEllUnG VOn PUBlIKatIOnEn:

Bundesministerium fur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU)Postfach 30 03 6153183 BonnTel.: 0228 99 305 -33 55Fax: 0228 99 305 -33 56E-Mail: [email protected]: www.bmu.de

Diese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums fur Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zumVerkauf bestimmt. Gedruckt auf Recyclingpapier.

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigenGenerationen die natürlichen Lebensgrundlagen ...“

Grundgesetz, Artikel 20 a