Produktive Stadt Rotterdam - Bauwelt · Ein Museum zur Vergangenheit und Zukunft der...

3
Bauwelt 35.2016 46 THEMA Produktive Stadt Rotterdam Text Marco Broekman, Djamel Klouche, Daan Zandbelt Auch die alte Industriestadt Rotterdam muss sich mit dem Wandel der Produktion auseinandersetzen, will sie im postfossilen Zeitalter mithalten. Die Autoren haben Szenarien erarbeitet, wie die Stadt und mit ihr die ganze Region von der Next Economy profitieren könnten. Lokale Wirtschaftskreisläufe und das Einbeziehen der Stadtbe- wohner als Konsumenten und Produzenten sind die Stichworte. Um diese Prozesse sichtbar zu machen, brauche es Netzwerke – und neue architektonische Ikonen StadtBauwelt 211 47 THEMA Das GroLiWo-Konzept sieht neue Quartiere im Rotter- damer Industriehafen ent- lang der Maas vor, in denen Arbeiten und Wohnen ver- zahnt sind. Rechts: städte- bauliche Konkretisierung für das De-Veranda-Viertel Abb.: L‘AUC darüber nachdenken, wie sie diese Art der Produktion hierzulande för- dern können. Hinzu kommt, dass der technologische Fortschritt eine Demokratisie- rung von Produktionskapital bewirkt. Heute braucht es nicht viel mehr als eine geringe Investitionssumme, um aus einem Entrepreneur einen Pro- duzenten zu machen. Darüber hinaus macht der immer leichtere Zugang zu Produktionsmitteln wie dem 3D-Drucker in fab labs das Herstellen für jedermann möglich und verwischt so die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten. Netzwerke kreativer Hersteller (maker movements), die auf der Basis von Open-Source-Informationen und -Technologien arbeiten, nähren den Hunger nach Innovationen. Sie beschleunigen die Mobilisierung von Konsumenten und (Ko-)Produzenten und befördern Neuerungen, die bestehende Systeme aufbrechen (Stichwort: disruptive Technologien). Wie teuer ist eigentlich „billig“? Die in das städtische Leben integrierte Produktion steht dabei hoch im Kurs. Dank moderner Produktionstechniken sind Sicherheit und Umwelt- belastung keine Argumente mehr, um die Industrie an die Ränder der Städte zu drängen. Die Autowerkstatt an der Ecke ist nicht nur praktisch, sie trägt auch zur Lebendigkeit der Straße bei. Die allseits wachsende Wertschätzung für handgemachte und lokale Produkte erfährt mehr und mehr öffentliche Unterstützung. Man will wissen, woher die Sachen kom- men, und isst lieber teure Nahrungsmittel als industriell produzierte Mast- hähnchen oder genetisch verändertes Gemüse. Dubiose Arbeitsbedin- gungen in fernen Ländern lassen viele fragen, wie teuer eigentlich „billig“ ist. Die Industrie, die einst aus der Stadt auszog (zuerst als größter Um- weltverschmutzer an den Stadtrand, auf Restflächen und ins Umland, spä- ter bis in die entferntesten Länder), kann sich heute wieder mitten in der Stadt sehen lassen. Produktion – so lautet immer häufiger die Antwort auf die Frage, wie die Arbeit in die Stadt zurückgeholt werden kann. Dabei geht es nicht um die klassische industrielle Produktion, sondern um eine neue Art des Wirt- schaftens: kreislauforientiert, sozial inklusiv und mit lokaler Wertschöp- fung. Die Next Economy wäre auch für die alte Industriestadt Rotterdam eine Chance: Die Industrie ist dort immer noch eine wichtige wirtschaft- liche Säule, doch wenn keine Innovationen stattfinden, ist auch diese Säule einsturzgefährdet. Zudem steht die Stadt vor großen Herausforde- rungen, sie kämpft mit sozialen Problemen und Arbeitslosigkeit. Die Pio- nierinitiativen der Next Economy könnten neue Perspektiven bieten, im lokalen wie im regionalen Maßstab. Wie kann Rotterdam von dieser Ent- wicklung profitieren und auch in Zukunft eine produktive Stadt bleiben? Die Macht der Produktion Das Produzieren wird Schritt für Schritt wiederentdeckt. Neue Technolo- gien und die Globalisierung haben Herstellungsketten und Produktions- prozesse verändert. Die Smart Industry erlaubt maßgeschneiderte Pro- dukte on demand, ihre Kunden wollen schnell bedient werden. Wo immer es möglich ist, werden Produkte nicht mehr verkauft, sondern verliehen und am Ende ihres Lebenszyklus zurückgenommen; wertvolle Stoffe kön- nen dann wiederverwendet werden. An diesem Markt teilzuhaben, ver- langt allerdings nach einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der Pro- dukte und Dienstleistungen: billiger, länger haltbar, besser angepasst an Kundenbedürfnisse und gesellschaftliche Trends. Innovationen müssen immer schneller implementiert werden. Von Vorteil sind dabei eine enge Vernetzung mit dem Markt und der Zugriff auf gut ausgebildete Arbeits- kräfte. Die Arbeitsplätze, die auf diese Weise geschaffen werden, bieten eine differenzierte Spannbreite anspruchsvoller und gut bezahlter Arbeit. Gerade in der heutigen Zeit, wo die Verlagerung von Betrieben in Billiglohn- länder zunehmend weniger profitabel wird, müssen Städte und Regionen Growing Living Working

Transcript of Produktive Stadt Rotterdam - Bauwelt · Ein Museum zur Vergangenheit und Zukunft der...

Page 1: Produktive Stadt Rotterdam - Bauwelt · Ein Museum zur Vergangenheit und Zukunft der Wirt-schaftsgeschichte der Stadt Former industrial Space Ein bestehender Industriebau, der in

Bauwelt 35.201646 THEMA

Produktive Stadt RotterdamText Marco Broekman, Djamel Klouche, Daan Zandbelt

Auch die alte Industriestadt Rotterdam muss sich mit dem Wandel der Produktion

auseinandersetzen, will sie im postfossilen Zeitalter mithalten. Die Autoren haben

Szenarien erarbeitet, wie die Stadt und mit ihr die ganze Region von der Next Economy

profitieren könnten. Lokale Wirtschaftskreisläufe und das Einbeziehen der Stadtbe-

wohner als Konsumenten und Produzenten sind die Stichworte. Um diese Prozesse

sichtbar zu machen, brauche es Netzwerke – und neue architektonische Ikonen

StadtBauwelt 211 47THEMA

Das GroLiWo-Konzept sieht

neue Quartiere im Rotter-

damer Industriehafen ent-

lang der Maas vor, in denen

Arbeiten und Wohnen ver-

zahnt sind. Rechts: städte-

bauliche Konkretisierung

für das De-Veranda-Viertel

Abb.: L‘AUC

darüber nachdenken, wie sie diese Art der Produktion hierzulande för-

dern können.

Hinzu kommt, dass der technologische Fortschritt eine Demokratisie-

rung von Produktionskapital bewirkt. Heute braucht es nicht viel mehr

als eine geringe Investitionssumme, um aus einem Entrepreneur einen Pro-

duzenten zu machen. Darüber hinaus macht der immer leichtere Zugang

zu Produktionsmitteln wie dem 3D-Drucker in fab labs das Herstellen für

jedermann möglich und verwischt so die Grenzen zwischen Produzenten

und Konsumenten. Netzwerke kreativer Hersteller (maker movements),

die auf der Basis von Open-Source-Informationen und -Technologien

arbeiten, nähren den Hunger nach Innovationen. Sie beschleunigen die

Mobilisierung von Konsumenten und (Ko-)Produzenten und befördern

Neuerungen, die bestehende Systeme aufbrechen (Stichwort: disruptive

Technologien).

Wie teuer ist eigentlich „billig“? Die in das städtische Leben integrierte Produktion steht dabei hoch im

Kurs. Dank moderner Produktionstechniken sind Sicherheit und Umwelt-

belastung keine Argumente mehr, um die Industrie an die Ränder der

Städte zu drängen. Die Autowerkstatt an der Ecke ist nicht nur praktisch,

sie trägt auch zur Lebendigkeit der Straße bei. Die allseits wachsende

Wertschätzung für handgemachte und lokale Produkte erfährt mehr und

mehr öffentliche Unterstützung. Man will wissen, woher die Sachen kom-

men, und isst lieber teure Nahrungsmittel als industriell produzierte Mast-

hähnchen oder genetisch verändertes Gemüse. Dubiose Arbeitsbedin-

gungen in fernen Ländern lassen viele fragen, wie teuer eigentlich „billig“

ist. Die Industrie, die einst aus der Stadt auszog (zuerst als größter Um-

weltverschmutzer an den Stadtrand, auf Restflächen und ins Umland, spä-

ter bis in die entferntesten Länder), kann sich heute wieder mitten in der

Stadt sehen lassen.

Produktion – so lautet immer häufiger die Antwort auf die Frage, wie die

Arbeit in die Stadt zurückgeholt werden kann. Dabei geht es nicht um

die klassische industrielle Produktion, sondern um eine neue Art des Wirt-

schaftens: kreislauforientiert, sozial inklusiv und mit lokaler Wertschöp-

fung. Die Next Economy wäre auch für die alte Industriestadt Rotterdam

eine Chance: Die Industrie ist dort immer noch eine wichtige wirtschaft-

liche Säule, doch wenn keine Innovationen stattfinden, ist auch diese

Säule einsturzgefährdet. Zudem steht die Stadt vor großen Herausforde-

rungen, sie kämpft mit sozialen Problemen und Arbeitslosigkeit. Die Pio-

nierinitiativen der Next Economy könnten neue Perspektiven bieten, im

lokalen wie im regionalen Maßstab. Wie kann Rotterdam von dieser Ent-

wicklung profitieren und auch in Zukunft eine produktive Stadt bleiben?

Die Macht der ProduktionDas Produzieren wird Schritt für Schritt wiederentdeckt. Neue Technolo-

gien und die Globalisierung haben Herstellungsketten und Produktions-

prozesse verändert. Die Smart Industry erlaubt maßgeschneiderte Pro-

dukte on demand, ihre Kunden wollen schnell bedient werden. Wo immer

es möglich ist, werden Produkte nicht mehr verkauft, sondern verliehen

und am Ende ihres Lebenszyklus zurückgenommen; wertvolle Stoffe kön-

nen dann wiederverwendet werden. An diesem Markt teilzuhaben, ver-

langt allerdings nach einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der Pro-

dukte und Dienstleistungen: billiger, länger haltbar, besser angepasst an

Kundenbedürfnisse und gesellschaftliche Trends. Innovationen müssen

immer schneller implementiert werden. Von Vorteil sind dabei eine enge

Vernetzung mit dem Markt und der Zugriff auf gut ausgebildete Arbeits-

kräfte. Die Arbeitsplätze, die auf diese Weise geschaffen werden, bieten

eine differenzierte Spannbreite anspruchsvoller und gut bezahlter Arbeit.

Ge rade in der heutigen Zeit, wo die Verlagerung von Betrieben in Billiglohn-

länder zunehmend weniger profitabel wird, müssen Städte und Regionen

Growing Living Working

Page 2: Produktive Stadt Rotterdam - Bauwelt · Ein Museum zur Vergangenheit und Zukunft der Wirt-schaftsgeschichte der Stadt Former industrial Space Ein bestehender Industriebau, der in

Bauwelt 35.201648 THEMA

arbeitslose Jugendliche. Ein relativ großer Teil der Stadtbevölkerung ge-

rade in den südlichen Stadtteilen Rotterdams ist sozial benachteiligt und

wurde von der wirtschaftlichen Entwicklung links liegen gelassen. Lebens-

qualität ist eine Herausforderung in Rotterdam, ebenso die Stärkung wirt-

schaftlicher und gesellschaftlicher Resilienz.

Ein regionales Ökosystem des ProduzierensDie Politik der vergangenen Jahrzehnte hat viele produktive Aktivitäten

aus der Stadt getrieben. Das Erfinden und Produzieren findet getrennt

und weit voneinander entfernt statt. Die Next Economy verlangt dagegen

nach neuen Orten gemeinsamer Produktion und nach intelligenten Verbin-

dungen. Gesucht wird ein Milieu, in dem Große und Kleine, Produktion und

Konsumtion, Lernen und Ausprobieren, Herstellen und Entwickeln räum-

lich vernietet sind. Dazu bedarf es einer regulierenden Hand auf regionaler

Ebene, einen öffentlichen Akteur, der ein Ökosystem ausarbeitet, das die

räumliche Interaktion zwischen den Tätigkeiten und Akteuren fördert und

unterstützt.

Die Metropolregion Rotterdam-Den Haag hat eine ganze Reihe industri-

eller Milieus zu bieten, mit unterschiedlichen Ausprägungen in der Morpho-

logie, der Erreichbarkeit, der Funktionsmischung und der jeweiligen Posi-

tion innerhalb der Wertschöpfungskette. Jeder Standort verfügt dabei

über eigene räumliche Qualitäten (Infrastruktur, Architektur, Lage, soziale

Dynamik) und kann potenziell für diese kommenden Industrien genutzt

werden – auch wenn es auf den ersten Blick nicht immer so erscheinen

mag. Im Moment gleicht die Region eher einem Patchwork an Produktions-

milieus. Es mangelt an einer Verbindung untereinander und auch an der

Vernetzung innerhalb dieser Milieus.

Diese Verbindungen zu organisieren und die Interaktion auf regionaler

Ebene zu fördern, wird zunehmend wichtig. An einem leistungsstarken re-

gionalen Ökosystem des herstellendes Gewerbes zu arbeiten heißt also,

Produktive Stadt RotterdamIn Rotterdam werden diese Entwicklungen schon heute an verschiedenen,

über die Stadt verteilten Orten sichtbar – und mit ihnen auch die Verwer-

fungen, die dabei auftreten. So macht der Rotterdamer Hafen einerseits

wegen seines vollautomatisierten und emissionsfreien Containerterminals

international Schlagzeilen, andererseits streiken die Hafenarbeiter, die

genau deswegen um ihre Arbeitsplätze fürchten. In der Innenstadt entwi-

ckeln neue Akteure das lange leerstehende Badeparadies Tropicana zur

BlueCity010, einem Laboratorium für kreislauforientiertes Unternehmertum.

Und mitten im Gebiet des Rotterdamer Stadthafens, auf früheren Indust-

riegrundstücken, treffen auf dem RDM Campus Lehre und Forschung zu-

sammen. Eine „neue Industrie“ für Hafen und Stadt entsteht.

Stadt und Region Rotterdam bieten dabei ein großes Potenzial für das

moderne herstellende Gewerbe. Rotterdam ist gut aufgestellt: durch

seine Geschichte als industrialisierte Region, durch seine hochentwickel-

ten Wirtschaftszweige wie Gartenbau, Schifffahrts- und petrochemische

Industrie und durch die überragende Rolle des Seehafens für die globale

und europäische Logistik der Güter- und Warenströme. Die stärksten Wirt-

schaftszweige sind aber gerade diejenigen, die wegen des Endes des fos-

silen Energiezeitalters den höchsten Erneuerungsbedarf haben. Trotz der

enormen Summen an Kapital, die in diesen Sektoren stecken, tun sie der

Stadt nur wenig Gutes. Rotterdam könnte einen wesentlich größeren Nut-

zen aus den Stoffströmen ziehen, die zum Hafen und aus dem Hafen durch

die Stadt fließen. Das war zumindest das Forschungsergebnis eines frü-

heren IABR-Ateliers Rotterdam (Urban Meta bolism). In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Investitionen aber im-

mer noch nach der internationalen Wirtschaftsagenda gerichtet. Die Frage,

was diese Investitionen für die Stadt und ihre Einwohner gebracht haben,

wurde weniger laut gestellt. Diese Frage aber ist umso dringender, da die

Region soziale Fragen zu bewältigen hat: zu viele Schulabbrecher, zu viele

The Crystal Palace Network

The Democratic Dome

Der Dreh- und Angelpunkt des Crystal Palace. Ein Ort für

die Öffentlichkeit, für Politik und Unternehmen, an dem

verschiedene gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche

und stadtplanerische Ideen aufeinandertreffen

The Permanent Showroom

Ein Ort, an dem jeder seine Produkte, Projekte und Proto-

typen ausstellen kann. Ein Laboratorium für Begegnung

und Ideenaustausch

The Cities Next Economy Museum

Ein Museum zur Vergangenheit und Zukunft der Wirt-

schaftsgeschichte der Stadt

Former industrial Space

Ein bestehender Industriebau, der in das System des

Crystal Palace integriert wird. Ein flexibler Raum für kultu-

relle Veranstaltungen

Greenhouses

Eine Verbindung zur Gewächshausindustrie, der größten

und wichtigsten lokalen Produktionsstruktur

Library

Meeting Rooms

Wie könnte die architekto-

nische Ikone der Next Eco-

nomy aussehen? Schema

für den Crystal Palace, ein

Prototyp, benannt nach

Paxtons Ausstellungshalle

von 1851. Abb.: L‘AUC

StadtBauwelt 211 49THEMA

an Interaktionen zu arbeiten und an einem Netzwerk der Standorte, an

denen gemeinschaftliche Nutzung (Sharing) erwünscht ist. Und es heißt

auch, diese lokalen Netzwerke mit anderen Netzwerken zu verknüpfen,

national wie international. Die unternehmerfreundliche Kultur Rotterdams,

die lokale Kreativwirtschaft und eine große Bandbreite an Forschungs- und

Bildungseinrichtungen – von High-Tech-Wissenschaften über Business

Schools und spezialisierten Ausbildungseinrichtungen für gesuchte Berufe

– sind vielversprechende Zutaten für ein lebensfähiges Ökosystem.

EntwicklungsperspektivenZur Stärkung und Weiterentwicklung eines Ökosystems der Produktion

hat das IABR-Atelier Rotterdam eine Reihe von Perspektiven formuliert;

nicht so sehr im Sinne einer umfassenden Strategie, eher als prototypi-

sche Interventionen:

Öffentlichkeit schaffen

Um die Manufacturing Economy attraktiv zu machen und für unterschied-

liche Player Zugänge zu schaffen, ist es wichtig, dass sie sich aus dem

Einerlei des öffentlichen Raums heraushebt. Dazu bedarf es eines Fokus

der Aufmerksamkeit, so etwas wie einen „Kristallpalast des Produzie-

rens“, einen öffentlichen Showroom der produktiven Stadt. An diesem Ort

sollen sich die Ambitionen der Industrieregion zur Schau stellen, dort

findet der Diskurs statt und wirkt in die Öffentlichkeit. Dieser Standort hält

Flächen, Einrichtungen und eine Netzwerk-Infrastruktur bereit, so dass

Institutionen auf Start-Ups und den individuellen Erfinder treffen können.

Lernende Stadt

Innovation und Bildung sind der Treibstoff für die Zukunftswirtschaft. In-

Project Atelier Rotterdam: The Productive City

Stadtverwaltung Rotterdam, Stadtentwicklung

und Wirtschaft (2014–2016)

Das IABR-Projekt Atelier Rotterdam ist ein Part-

nerschaftsprojekt zwischen der IABR (Interna-

tionale Architectuur Biennale Rotterdam) und

der Stadt Rotterdam. Das Atelier steht unter der

Leitung von Daan Zandbelt (De Zwarte Hond).

Die Forschungsarbeiten wurden ausgeführt von

L’AUC (Paris), marco.broekman (Amsterdam) und

De Zwarte Hond (Groningen).

Fast so groß wie die Alt-

stadt: die Baukörper des

Crystal Palace, angeordnet

in der südholländischen

Gemeinde Schiedam

Abb.: L‘AUC

Page 3: Produktive Stadt Rotterdam - Bauwelt · Ein Museum zur Vergangenheit und Zukunft der Wirt-schaftsgeschichte der Stadt Former industrial Space Ein bestehender Industriebau, der in

Bauwelt 35.201650 THEMA

novation braucht Orte, an denen Bildungseinrichtungen, Forschungsins-

titute und Unternehmen zusammenkommen, wie etwa auf einem Open

Innovation Campus. Sie befördern Ideen und Entwicklungen, am besten in

einer größeren Gruppe von Gleichgesinnten und an einem leicht zugängli-

chen Standort. Die Metropolregion Rotterdam-Den Haag hält hierfür Mittel

bereit, aber sie werden noch nicht gänzlich ausgeschöpft. Eine lernende

Stadt bietet ein regionsweites Netz an zugänglichen, kleinformatigen und

verstreut liegenden Einrichtungen wie fab labs, maker spaces und hybri-

de Konstruktionen für die theoretische und praktische Ausbildung. Zu-

gleich lenkt sie die Aufmerksamkeit auf Orte, wo Neues passiert.

Ein neuer Blick auf alte Hauptstraßen

Historisch ist ein Netz an Straßen und Kanälen vorhanden, das die indust-

riellen Milieus in der Region verbindet. Entlang der großen Achsen dieses

Netzwerks, den High Streets, hat sich ein bandartiges Siedlungsmuster

von Nutzungsmischungen entwickelt. Neue Schichten der Verkehrsinfra-

struktur, Schienenverkehrsnetze, Schnellstraßen und Autobahnen haben

sich darüber gelegt, haben den Gebrauch und die Bedeutung dieser High

Streets verändert. Mit einer neuen Wertschätzung ihrer (räumlichen) Qua-

litäten entstehen Möglichkeiten, die verschiedenen Milieus zu vernetzen

und das produzierende Gewerbe in regionalem Maßstab zu stärken.

Die Neupositionierung der Quartiere der Arbeit

Industriegebiete und Geschäftsviertel werden oft als monofunktional an-

gesehen, in Wirklichkeit gibt es an diesen Standorten aber ganz unter-

schiedliche Aktivitäten, es existiert bereits eine Mischung von Produktion,

Dienstleistung und Logistik. Diese Quartiere liegen oft an den Rändern

der Städte und Gemeinden, gleich neben der Autobahn, sind aber mit den

Productive Service Stations

(PPS) Network

öffentlichen Verkehrsmitteln, auch aus der Innenstadt heraus, nur schwer

zu erreichen. Betrachtet man sie aus der regionalen Perspektive, liegen

diese Flächen zentral und strategisch günstig, ganz in der Nähe der gro-

ßen Fabriken, der Wissenschaftsparks und Hochschulen, und könnten

so als Zentren einer regional produzierenden Wirtschaft neue Bedeutung

erlangen.

Growing Living Working

Die Grenzen zwischen Arbeit und Wohnen sind fließend, und entspre-

chend wächst das Verlangen nach einem Umfeld, das alle Bereiche des

Lebens räumlich enger verbindet. Die Next Economy erfordert Nähe und

kurze Wege, auch auf der Ebene der Nachbarschaft. Das GroLiWo-Kon-

zept (GrowingLivingWorking) bezeichnet eine architektonische Typologie,

die diese gewollte Nähe im Quartiersmaßstab betrachtet und die gerade

bei der Hybridisierung der alten Industriequartiere entlang der Maas ein-

gesetzt werden kann.

Produktive Dienstleistungsstationen

Privatpersonen wie Unternehmen brauchen immer mehr On-Demand-

Funktionen, um in der Lage zu bleiben, die hochindividuellen On-Time-

Industriegebiete und Geschäftsviertel

werden oft als monofunktional angese-

hen. In Wirklichkeit existiert an diesen

Standorten bereits eine Mischung von

Produktion, Dienstleistung und Logistik

StadtBauwelt 211 51THEMA

Ein Netz aus kleinteiligen

Funktionen, die in der Met-

ropolregion Rotterdam-

Den Haag an verschiedenen

Orten verteilt werden, u.a.

Ladesäulen für Elektro-

autos (1), Lagerräume (2),

Läden (3), städtische Gär-

ten (4), Wartehäuschen (5).

Links ein städtisches

Szenario, rechts zwischen

Gewächshäusern

Abb.: L‘AUC

Produkte und Dienstleistungen zu liefern. Dieser sich herausbildende Habi-

tus erodiert bereits die Grenzen zwischen Zentrum und Peripherie, da die

Dienste überall und an jedem Ort nachgefragt werden. Productive Service

Stations (PSS) könnten eine große Bandbreite an Dienstleistungen inner-

halb der Metropolregion Rotterdam-Den Haag abdecken. Diese PSS wären

erst einmal vom Grund her alle identisch, aber doch angepasst an die

speziellen Bedürfnisse der jeweiligen Teilräume mit Ladestationen für Elek-

troautos, Bike-Sharing-Knotenpunkten, Lebensmittelläden und Lager-

möglichkeiten für Bestellungen aus dem Internet, verfügen aber auch über

einen Shared Space mit einer Grundausstattung an Werkzeugen und Ma-

schinen für die Herstellung, Instandsetzung und Instandhaltung. Gleich-

mäßig über die Region verteilt, bilden sie ein Identitätsmerkmal der Metro-

polregion Rotterdam-Den Haag mit einem egalitären Zugang für alle.

Kreislauflandschaft

Die Next Economy ist eine Kreislaufwirtschaft. Die lokalen Landschaften

werden dabei noch wertvoller werden – als erneuerbare Ressourcen für

Materialien, Produkte und Energie. Das Konzept der Kreislauflandschaft

verbindet Einzellandschaften zu einem maßstäblich größeren resilienten

und zirkulären System, in dem Abfall- und Energiekreisläufe zusammen-

geschlossen sind. Die sich ergänzenden Landschaften der Region bieten

die Gelegenheit, Produktions- und Konsumtionskreisläufe zu optimieren

und miteinander zu verbinden. Die Nordsee, der Hafen Rotterdam und die

Region Westland wie auch der ländliche Raum um Midden-Delfland und

die Polder im Südwesten von Rotterdam haben das Potenzial für Kreislauf-

landschaften, die lokale, nationale und internationale Ströme verbinden.

Übersetzung aus dem Englischen von Michael Goj