Prof. Dr. Birgit Lütje-Klose Inklusiver Unterricht als ... · Prof. Dr. Birgit Lütje-Klose...
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Prof. Dr. Birgit Lütje -Klose
Inklusiver Unterricht als gemeinsame Gestaltungsaufgabe
Essen, 03.03.2012
Vortrag im Rahmen des 6. bildungs-politischen Symposions NRW am 3.3.2012
"Alle Potenziale nutzen - Vielfalt und Verschiedenheit"

22Titelfoto zum Film „Klassenleben“ von Hubertus Redl ich

Gliederung
1. Heterogenität in der Schule als Herausforderung für den Unterricht
2. Stand der Inklusion in Deutschland und NRW
3. Forschungsergebnisse zum Unterricht in heterogenen Lerngruppen
33
heterogenen Lerngruppen
4. Konsequenzen für eine inklusive Didaktik
5. Kooperation und Teamentwicklung
6. Perspektiven

Zunahme von Heterogenität
Gesellschaft-licher Wandel
Familiäre Veränderungen
Sozio-ökonomische Lebensbedingungen
Verzicht auf
Migration und Mehrsprachigkeit
Unterschiedliche Lernvoraussetzungen
44
Bildungspolitische Veränderungen Jahrgangsmischung
Verzicht auf Rückstellungen und Klassenwiederholungen
UN-Behindertenrechts-konvention
Prinzip Inklusion als pädagogische Antwort auf vielfältige Entwicklungsbedingungen ?

UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
� Soziale Partizipation aller Menschen als Leitbild
� Recht auf „Zugang zu einem inklusiven, hoch-wertigen und unentgeldlichen Unterricht an Grund-schulen und weiterführenden Schulen “ (Art. 24)
55
� Recht auf „wirksame individuell angepasste Unterstützungsangebote in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet “ (Art. 24)
Inklusion als Aufgabe für das gesamte Schulsystem

Inklusion – ein neues Leitbildfür die Schul- und Unterrichtsentwicklung
� Verändertes Verständnis von Normalität und Vielfalt:
� De-Kategorisierung und De-Institutionalisierung
� Nicht auf Menschen mit Behinderungen
66
� Nicht auf Menschen mit Behinderungen beschränkt:
� Der Begriff Inklusion „bezieht sich auf alle Menschen, die mit Lernbarrieren konfrontiert sind, ob diese mit Geschlechterrollen, sozialen Milieus, Religion oder Behinderung zu tun haben“ (Hinz 2009, 172)

Inklusion - ein Perspektivenwechsel
Traditional Approach Integration - Focus on student- Assessment of student byspecialist- Diagnostic/ prescriptiveoutcomes
Inclusionary approach
- Focus on classroom
- Examine teaching/ learning factors
- Collaborative problemsolving
- Strategies for teachers- Student programme
- Placement in appropriateprogramme
- Strategies for teachers
- Adaptive und supportiveregular classroomenvironment
Feste Verankerung von besonderen pädagogischen Unte rstützungs-systemen in allen Schulformen und Unterrichtsfächer n der allgemeinen Schule, Keine Delegation von Verantwortung für einze lne Kinder mehr
Porter 1997; siehe auch Hinz 2009

Einstellungen und Haltungen von Lehrkräften
50
60
70
Ist es im Rahmen der Lehrpläne generell möglich, individuell auf einzelne Schüler einzugehen, Schüler individuell zu fördern, oder ist das nur eingeschränkt oder gar nicht möglich?
8
0
10
20
30
40
generell möglich nur eingeschränkt gar nicht möglich unentschieden
536 Lehrer
Institut für Demoskopie Allensbach 2011

Umgang mit Heterogenität
Veränderung Veränderung
Inklusion als professionelle Herausforderung
99
Veränderung der
Einstellungen
Veränderung der Didaktik
Schulentwicklung (Kooperation)
Rahmenbedingungen und Ressourcen
Veränderung der Schulstruktur
Abb. nach Miller 2011

2. Stand der Inklusion in Deutschland und NRW
1010

Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarfin Förderschulen und in allgemeinen Schulen in D un d NRW
Förderschwerpunkt Förderquote in % in D
Davon inklusiv
Förderquo-te in NRW
Davon inklusiv
Lernen 2,641 21,0 2,5 17,1
Sehen 0.09 27,9 0,1 14,0
Hören 0,19 27,0 0,2 14,5
Sprache 0,67 28,0 0,8 16,9
Körperliche und motorische Entwicklung
0,40 21,2 0,5 17,3
11
motorische Entwicklung
Geistige Entwicklung 1,01 4,5 1,1
Emotionale und soziale Entwicklung
0,76 38,2 1,0
Übergreifend 0,31 1,80 0,0 0,0
Kranke 0,14 3,40 0,1 2,6
insgesamt 6,20 20,1 6,30 15,5
11
7,1
20,6
KMK-Doku 189, 2010; Klemm/Preuss-Lausitz 2011

Sonderpädagogische Förderung in Europa
European Agency 2010, Hausotter 2008

3. Forschungsstand zum Unterricht in heterogenen Lerngruppen
1313

LAU-Studie Hamburg
1414

LAUF-Studie Wocken 2005
Sonderschuljahre -> Rechtschreiben
Geschätztes Randmittel von Rechtschreiben
220
230
240
Gra
phem
tref
fer
15
Nicht-schätzbare Mittelwerte werden nicht dargestellt
1 2 3 4 5 6 7
190
200
210
Sonderschuljahre
Gra
phem
tref
fer

LAUF-Studie Wocken 2005
Sonderschuljahre -> Intelligenz (BB)
Geschätztes Randmittel von Rechtschreiben
82
85
88
Inte
llige
nz
16
Nicht-schätzbare Mittelwerte werden nicht dargestellt
1 2 3 4 5 6 7
75
78
80
Inte
llige
nz
Sonderschuljahre

Ergebnisse der Inklusionsforschung
• Leistungsentwicklung: für SchülerInnen mit Förderbedarfen im GU mindestens gleich hoch, meistens aber höher als in FöS (Bless/Mohr 2007)
• Keine Nachteile für gut begabte SchülerInnen (Dumke 1993, ebd)
• Positiveres Leistungsselbstkonzept und höheres Selbstwertgefühl bei SchülerInnen mit Förderbedarf im GU Primarbereich (ebd.)
• Höheres Maß an Individualisierung und günstigeres Klassenklima im GU (ebd., Feyerer/Prammer 2009)
• Größeres Maß an Wohlbefinden der Kinder mit und ohne Förderbedarfe in GU-Klassen (ebd.)
• allerdings: niedrigere soziale Rangpositionen für Kinder mit Förderbedarf (Huber 2009)
• Deutlich bessere Berufsaussichten für SchulabgängerInnen aus GU-Klassen (Eckhart/Haeberlin 2011)
• stabilere und größere soziale Netzwerke im Erwachsenenalter17
Dumke / Schäfer 1993, Biewer 2006, Bless/ Mohr 2007 , Feyerer/ Prammer 2009,Huber 2009, Eckhart/ Haeberlin 2011, Myklebust 2006 , Meijer et al. 2006 u.a.

4. Konsequenzen für eine inklusive Didaktik
1818
1. Unterricht mit hohen Freiheitsspielräumen
2. Individuelle Bezugnormorientierung/ individuelles Feedback
3. Strukturierung und hohes Anregungsmilieu
Kammermeyer/ Martschinke 2004, Möller et al. 2004

Prinzipien und Strategien inklusiver Didaktik
� Schulversuche zur Integration als Hintergrund
� Pädagogik der Vielfalt (Prengel 1995, 1998; Hinz 1996, 2007):
� Heterogenität jeder Lerngruppe als Normalfall,
� Unterstützung und die Gewährleistung fachkompetenter Hilfen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen
� Inklusive Didaktik nicht als eine spezifische, sonde rn als
19
� Inklusive Didaktik nicht als eine spezifische, sonde rn als „gute allgemeine Didaktik “ (Hinz 1993, 117; Feuser 1987, 1995 u.a.; Werning 1997; Graumann 2003)
Kriterien „guten Unterrichts“
� Individualisierung und innere Differenzierung � bewusste Herstellung von Gemeinsamkeit

Inklusive Didaktik
� Didaktische Theorie der „integrativen Prozesse“
Reiser et al. (1986, 1991, 2006 u.a.)
� Gemeinsame Lernsituationen (Wocken 1998, 2011):
- Koexistente Lernsituationen
- Kommunikative Lernsituationen: „gemeinsame Themen“
- Subsidiäre Lernsituationen: Kinder als Helfer
- Kooperative Lernsituationen i.S. von Feusers „Kooperation am gemeinsamen Gegenstand“
Transparenz als zentrales Prinzip zur Herstellung
von Gemeinsamkeit (Prengel 1995, 2009)

Bausteine lern- und entwicklungsfördernden Unterrich ts
(nach Werning/ Lütje-Klose 2006)
Handlungsorientierter Unterricht
Entdeckendes
Wochenplan/Freiarbeit
Kooperative
KOOP
INDIVID
OFFENHEIT
2121
Entdeckendes Lernen
Individuelle Förderpläne
Kooperatives Lernen
Kooperative Lernbegleitung
PERATION
DUALISIERUNGSTRUKTURIERUNG
GesprächskreiseKlassenrat

Zeitmanagement (Wann bearbeite ich welche Aufgabe? Mit wem muss ich einen Termin vereinbaren?)
Individualisierung und selbstbestimmtes Lernen
bei der Wochenplanarbeit
Prinzipien und Strategien inklusiver Didaktik
Mitsprachemöglichkeiten bei der Arbeitsform und dem Arbeitsort
Formen der Selbst- und Partnerkontrolle
Verantwortung für das eigene Lernen
Unterstützung von Mitschülern

Forschungsprojekt EmSoz Berlin
Schüler mit dem FSP Emotionale und soziale Entwicklung verhalten sich in schriftlichen Arbeitsphasen der Hauptfächer im Grundschulunterricht aufgabenorientiert:
Mitentscheidungsmöglichkeiten:
23
Mitentscheidungsmöglichkeiten:
1. zu 43 % in einem Unterricht ohne Mitentscheidungsmöglichkeiten
2. zu 60 % in einem Unterricht mit organisatorischen Mitentscheidungsmöglichkeiten
Textor 2007

Forschungsprojekt EmSoz Berlin
Schüler mit dem FSP esE verhalten sich in schriftlichen Arbeitsphasen der Hauptfächer im Grundschulunterricht aufgabenorientiert:
Differenzierung
1. zu 37 % in einem Unterricht ohne
24
1. zu 37 % in einem Unterricht ohne Binnendifferenzierung
2. zu 64 % bzw. 62 % in einem Unterricht mit Differenzierung im Anforderungsniveau bzw. im Niveau und in der Sozialform
3. zu 26 % in einem Unterricht mit drei und mehr Differenzierungsaspekten
Textor 2007

Forschend -entdeckendes und kooperatives Lernen
� Entdeckendes Lernen : schließt „alle Formen des Wissenserwerbs mit Hilfe des eigenen Verstandes“ ein (Bruner 1981, 16)
� Schüler erschließen sich ein
� Kooperatives Lernen : Strukturierte Form der Unterrichtsorganisation, „bei der die Schüler in kleinen Gruppen arbeiten, um sich beim Lernen des Stoffs gegenseitig zu unterstützen“
25
� Schüler erschließen sich ein Wissensgebiet selbstständig, allein oder in Gruppen,
� mit mehr oder weniger Unterstützung durch die Lehrkraft
gegenseitig zu unterstützen“ (Slavin 1989)
Werning/ Lütje-Klose 2006, 2007

„Kooperatives Lernen verringertnicht nur Barrieren für das Lernen und die Teilhabe, es steigert beides beträchtlich und wird vielfach als „best practice“ bezeichnet.“
(Hinz/ Boban 2007, 124)
Kooperatives Lernen
26
(Hinz/ Boban 2007, 124)
Kooperatives Lernen als
Königsweg für inklusiven
Unterricht (Wocken 2011)

Forschungsprojekt EmSoz Berlin
Schüler mit dem FSP Emotionale und Soziale Entwicklung verhalten sich in schriftlichen Arbeitsphasen der Hauptfächer im Grundschulunterricht aufgabenorientiert:
27
Sozialform
1. zu 38 % in einem Unterricht mit Einzelarbeit
2. zu 61 % in einem Unterricht mit Partner- oder Gruppenarbeit
Textor 2007

Umgang mit Störungen
� Zügiger Stundenbeginn mit gemeinsam erarbeiteten Ritualen
� Schnelle, nonverbale Reaktion auf Störungen
� Einführungen einfacher, gemeinsam erarbeiteter Regeln bei Störungen und Beleidigungen
28
bei Störungen und Beleidigungen
� Einbeziehung der Klasse bei Verhaltensabsprachen
� Steuerung der Partner- und Gruppenzusammensetzung
� Vermeidung zu vieler und diffuser Wahlmöglichkeiten
� Beratung einzelner Schüler/innen, die Probleme haben
Textor 2007, 219; Klemm/Preuss-Lausitz 2011, 35

5. Kooperation und Teamentwicklung
Untersuchungsergebnisse
� In nachweislich guten Schulen ist das Ausmaß der Kooperation zwischen Lehrkräften größer und die Art anspruchsvoller
� Besonders erfolgreiche Schulen: hohe Leistungen auch bei
29
� Besonders erfolgreiche Schulen: hohe Leistungen auch bei SchülerInnen aus sozial benachteiligten Lebenslagen
� Professionelle Lerngemeinschaften: Lehrer als Lerner
Zusammenhänge zwischen Lern-leistungen und Sozialverhalten der Schüler und Qualität der Lehrerkooperation
Terhart/ Klieme 2006; Rosenholtz 1991, Hord 2004, Bohnsen/ Rolff 2006, Bonsen 2011

Zentrale Gelingensbedingung: Übernahme von Verantwortung für die Kinder mit Förderbedarf durch die Grundschule
� Inklusive Grundhaltung des Kollegiums
• Sonderpädagogik als „Serviceleistung“ (Reiser 1998): Unterstützung bei der Unterrichtung heterogener Lerngruppen
30
heterogener Lerngruppen
� (Weiter-)Entwicklung eines schuleigenen Förderkonzepts
� Verzahnung zwischen grundschulischen und sonderpädagogischen Förderressourcen
� Kooperation der Lehrkräfte und SchülerInnen

Formen des Co -Teaching
31Friend / Bursuck 2006; Friend / Cook 2004

6. Perspektiven Inklusiver SchulentwicklungWidersprüche
� Widerspruch zur Systemlogik des gegliederten Schulsystems
� und zur zunehmenden Output-Orientierung
� Widersprüchliche Rollenanforderungen an Lehrkräfte:
- Leistungsbewertung und Selektion vs.
3232
- Leistungsbewertung und Selektion vs.
- Individuelle Förderung und soziale Partizipation
� Individuelle vs. Systembezogene Ressourcenzuweisung
Werning 2011, Amrhein 2011
� Mindeststandards statt Regelstandards!� Inklusion bleibt eine Vision, solange Klassen mit
gemeinsamem Unterricht Inseln bleiben!

Rahmenbedingungen für guten inklusiven Unterricht
� Heterogene Klassenzusammensetzung, möglichst mehrere Kinder mit Förderbedarfen
� Kleinere Klassen: bei mehr als 24 Schüler/innen pro Klasse sinkt die innere Differenzierung!
� Kinder mit ausgeprägtem Förderbedarf ESE verteilen
� feste Verankerung von sonderpädagogischer Expertise für Lernen,
33
� feste Verankerung von sonderpädagogischer Expertise für Lernen, Sprache, Emotionale und soziale Entwicklung an jeder Schule
� Schwerpunktschulen oder Koop-Klassen für weitere Förderbedarfe
� Etablierung strukturierter Formen von Lehrerkooperation,
� Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe; gemeinsame Hilfeplanung von Schule und Jugendamt
Europaen Agency 2003, 2006, 2009; Klemm/ Preuss-Lau sitz 2011, 53f

Perspektiven inklusiver Schulentwicklung: Chancen
� Größere soziale Teilhabe für alle SchülerInnen: Chancengleichheit
� Vermeidung einer frühzeitigen schulischen Trennung, Etikettierung und Diskriminierung
� Verlässlichkeit einer vertrauten Umgebung in der
3434
� Verlässlichkeit einer vertrauten Umgebung in der wohnortnahen Schule, kein belastender Schulwechsel
� Anregungsreichere Umgebung in einer heterogenen Gruppe, Gelegenheiten zum kooperativen Lernen
� Kooperation und gegenseitige Unterstützung für Lehrkräfte
Hildeschmidt/Sander 1996, Hinz 1998, 2009, Wocken 2000, 2010