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Repetitorium ÖR Prof. Dr. Friedrich Schoch Sondernutzung öffentlicher Straßen Friedrich Schoch: Der Autor ist Direktor des Instituts für Öffentliches Recht Abt. 4 (Verwaltungsrecht) an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg und Mitherausgeber der Zeitschrift. Das Recht der öffentlichen Sachen ist Teildes Allgemeinen Verwaltungsrechts. Ein zentrales Thema ist die Benutzung öffentlicher Straßen. Herausragende Bedeutung hat in Abgrenzung zum Gemeingebrauch die Sondernutzung. An dieser Rechtsfigur lassen sich vor allem Probleme zum be- hördlichen Handeln durch Verwaltungsakt, zum Ermessen und zur Einwirkung des Verfassungsrechts auf das Verwal- tungsrecht aufzeigen. Ausgehend von der Rechtsprechung werden nachfolgend ausbildungs- und prüfungsrelevante Rechtsfragen behandelt. I. Die »Sondernutzung« als verwaltungsrechtliches Institut Fall1: K betreibt in der Stadt S»BierBikes«; dies sind vierrädrige Fahrzeuge, die für bis zu 16 Personen Platz bieten, wobei sechs quer zur Fahrtrichtung sitzende Personen Pedale tretend das »BierBike« antreiben, während ein Mitarbeiter des K das Gefährt lenkt und bremst. Das »BierBike« ist mit einem Bierfass, einer Zapfanlage und einer Musikanlage ausgestattet. Die Fahrt- geschwindigkeit beträgt 6km/h. Bedienstete der Stadt bereiten eine Untersagungsverfügung vor und fragen K nach der Sonder- nutzungserlaubnis für die »rollende Partytheke«; K entgegnet, er brauche keine Erlaubnis, weil er mit seinem »Fahrrad« Stadt- rundfahrten veranstalte, also ganz normal am Straßenverkehr teilnehme 1 . Fall2: Geschäftsführer A einer Getränkehandelsgesellschaft hat sein Kfz so umbauen lassen, dass dieses hinten einen geschlos- senen Aufbau hat, der über die Fahrgastzelle und die Ladefläche gezogen ist. An der Front, am Heck und an den Seiten des Kfz sind Aufschriften für Werbezwecke angebracht. A hat das Kfz mehrfach für etliche Wochen schräg zur Fahrbahn auf dem Park- streifen der X-Straße in der Stadt Sabgestellt, so dass die Wer- bung von Verkehrsteilnehmern gut wahrgenommen werden konnte. In der zuständigen Behörde von Swird überlegt, A nach der einschlägigen Gebührensatzung zu Sondernutzungsgebüh- ren heranzuziehen 2 . Fall3: Bankkauffrau B fertigt in ihrer Freizeit in der Fußgänger- zone der Stadt SScherenschnitte (Silhouetten) an und verkauft diese an Passanten; für diese Tätigkeit stellt B eine Staffelei und einen Klappstuhl auf. Bedienstete von Skündigen gegenüber B den Erlass eines Bußgeldbescheides an, falls B sich weiterhin weigere, eine Sondernutzungserlaubnis einzuholen. B meint, da sie (Straßen-)Kunst ausübe, benötige sie kraft Verfassungsrechts keine Erlaubnis 3 . 1. Abgrenzung zwischen Sondernutzung und Gemeingebrauch Die Benutzung der öffentlichen Straßen (Wege, Plätze) erfolgt durch »Gemeingebrauch« 4 oder im Wege der »Son- dernutzung«. Nach positivem Recht ist Sondernutzung die Benutzung einer Straße über den Gemeingebrauch hinaus, und sie bedarf der Erlaubnis 5 . Gemeingebrauch ist die erlaubnisfreie Benutzung der Straßen im Rah- men der Widmung und der (Straßen-)Verkehrsvorschrif- ten; kein Gemeingebrauch liegt vor, wenn eine Straße nicht vorwiegend zum Zwecke des Verkehrs benutzt wird 6 . Diese Begriffsbestimmung gilt auch für dasjenige Landes- recht, das zur Definition des Gemeingebrauchs nicht aus- drücklich auf den Verkehrszweck verweist; denn nach der 1 Fall nach BVerwG DVBl 2012, 1434 (m. Anm.Lund) = NVwZ 2012, 1623 = BayVBl 2013, 217 = NWVBl 2013, 20 Schoch JK 6/13, StrWG NW §22/4. 2 Fall nach OVG NW NJW 2005, 3162 = DÖV 2006, 125 = NWVBl 2006, 58 Schoch JK 3/06, StrWG NRW §14/2. 3 Fall nach BVerwGE 84, 71 = NJW 1990 (m. Anm.Würkner) = JZ 1990, 336 (m. Anm.Hufen) = DVBl 1990, 163 = DÖV 1990, 252; dazu Bespr. Goerlich JURA 1990, 415; ferner Heinz NVwZ 1991, 139. 4 Dazu Mager/Sokol JURA 2012, 913ff. 5 §16 I 1 StrG BW; Art.18 I 1 BayStrWG; §11 I BerlStrG; §18 I 1 u. 2 BbgStrG; §18 I 1 BremLStrG; §19 I 1 u. 2 HbgWG; §16 I 1 HessStrG; §22 I 1 StrWG MV; §18 I 1 NdsStrG; §18 I StrWG NW; §41 I 1 LStrG RP; §18 I 1 StrG SL; §18 I 1 u. 2 SächsStrG; §18 I StrG LSA; §21 I 1 StrWG SH; §18 I 1 u. 2 ThürStrG. Für die Bundesfernstraßen (Bundesautobah- nen, Bundesstraßen; §1 I 1 u. II FStrG Sartorius I 932) §8 I 1 u. 2 FStrG. 6 §13 I StrG BW; Art.14 I BayStrWG; §10 II 1 u. 3 BerlStrG; §14 I 1 BbgStrG; §15 I BremLStrG; §16 I HbgWG; §14 S.1 HessStrG; §21 I StrWG MV; §14 I NdsStrG; §14 I 1 u. III 1 StrWG NW; §34 I 1 u. III LStrG RP; §14 I StrG SL; §14 I 1 SächsStrG; §14 I 1 StrG LSA; §20 I StrWG SH; §14 I ThürStrG; §7 I 1 u. 3 FStrG. DOI 10.1515/jura-2013-0115 Juristische Ausbildung 2013(9): 911924 Angemeldet | [email protected] Heruntergeladen am | 14.09.14 18:49

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Repetitorium ÖR

Prof. Dr. Friedrich Schoch

Sondernutzung öffentlicher Straßen

Friedrich Schoch:Der Autor ist Direktor des Instituts für ÖffentlichesRecht – Abt. 4 (Verwaltungsrecht) an der RechtswissenschaftlichenFakultät der Universität Freiburg undMitherausgeber der Zeitschrift.

Das Recht der öffentlichen Sachen ist Teil des AllgemeinenVerwaltungsrechts. Ein zentrales Thema ist die Benutzungöffentlicher Straßen. Herausragende Bedeutung hat – inAbgrenzung zum Gemeingebrauch – die Sondernutzung. Andieser Rechtsfigur lassen sich vor allem Probleme zum be-hördlichen Handeln durch Verwaltungsakt, zum Ermessenund zur Einwirkung des Verfassungsrechts auf das Verwal-tungsrecht aufzeigen. Ausgehend von der Rechtsprechungwerden nachfolgend ausbildungs- und prüfungsrelevanteRechtsfragen behandelt.

I. Die »Sondernutzung« alsverwaltungsrechtliches Institut

Fall 1: K betreibt in der Stadt S »BierBikes«; dies sind vierrädrigeFahrzeuge, die für bis zu 16 Personen Platz bieten, wobei sechsquer zur Fahrtrichtung sitzende Personen Pedale tretend das»BierBike« antreiben, während ein Mitarbeiter des K das Gefährtlenkt und bremst. Das »BierBike« ist mit einem Bierfass, einerZapfanlage und einer Musikanlage ausgestattet. Die Fahrt-geschwindigkeit beträgt 6 km/h. Bedienstete der Stadt bereiteneine Untersagungsverfügung vor und fragen K nach der Sonder-nutzungserlaubnis für die »rollende Partytheke«; K entgegnet, erbrauche keine Erlaubnis, weil er mit seinem »Fahrrad« Stadt-rundfahrten veranstalte, also ganz normal am Straßenverkehrteilnehme1.

Fall 2: Geschäftsführer A einer Getränkehandelsgesellschaft hatsein Kfz so umbauen lassen, dass dieses hinten einen geschlos-senen Aufbau hat, der über die Fahrgastzelle und die Ladeflächegezogen ist. An der Front, am Heck und an den Seiten des Kfzsind Aufschriften für Werbezwecke angebracht. A hat das Kfzmehrfach für etlicheWochen schräg zur Fahrbahn auf dem Park-streifen der X-Straße in der Stadt S abgestellt, so dass die Wer-bung von Verkehrsteilnehmern gut wahrgenommen werdenkonnte. In der zuständigen Behörde von S wird überlegt, A nach

der einschlägigen Gebührensatzung zu Sondernutzungsgebüh-ren heranzuziehen2.

Fall 3: Bankkauffrau B fertigt in ihrer Freizeit in der Fußgänger-zone der Stadt S Scherenschnitte (Silhouetten) an und verkauftdiese an Passanten; für diese Tätigkeit stellt B eine Staffelei undeinen Klappstuhl auf. Bedienstete von S kündigen gegenüber Bden Erlass eines Bußgeldbescheides an, falls B sich weiterhinweigere, eine Sondernutzungserlaubnis einzuholen. B meint, dasie (Straßen-)Kunst ausübe, benötige sie kraft Verfassungsrechtskeine Erlaubnis3.

1. Abgrenzung zwischen Sondernutzungund Gemeingebrauch

Die Benutzung der öffentlichen Straßen (Wege, Plätze)erfolgt durch »Gemeingebrauch«4 oder im Wege der »Son-dernutzung«. Nach positivem Recht ist Sondernutzungdie Benutzung einer Straße über den Gemeingebrauchhinaus, und sie bedarf der Erlaubnis5. Gemeingebrauchist die – erlaubnisfreie – Benutzung der Straßen im Rah-men der Widmung und der (Straßen-)Verkehrsvorschrif-ten; kein Gemeingebrauch liegt vor, wenn eine Straßenicht vorwiegend zum Zwecke des Verkehrs benutzt wird6.Diese Begriffsbestimmung gilt auch für dasjenige Landes-recht, das zur Definition des Gemeingebrauchs nicht aus-drücklich auf den Verkehrszweck verweist; denn nach der

1 Fall nach BVerwG DVBl 2012, 1434 (m. Anm.  Lund) = NVwZ 2012,1623 = BayVBl 2013, 217 = NWVBl 2013, 20 →  Schoch JK 6/13, StrWGNW § 22/4.

2 Fall nach OVG NWNJW 2005, 3162 = DÖV 2006, 125 = NWVBl 2006,58→  Schoch JK 3/06, StrWGNRW § 14/2.3 Fall nach BVerwGE 84, 71 = NJW 1990 (m. Anm.  Würkner) = JZ1990, 336 (m. Anm.  Hufen) = DVBl 1990, 163 = DÖV 1990, 252; dazuBespr.Goerlich JURA 1990, 415; fernerHeinzNVwZ 1991, 139.4 DazuMager/Sokol JURA 2012, 913 ff.5 § 16 I 1 StrG BW; Art. 18 I 1 BayStrWG; § 11 I BerlStrG; § 18 I 1 u. 2BbgStrG; § 18 I 1 BremLStrG; § 19 I 1 u. 2 HbgWG; § 16 I 1 HessStrG; § 22I 1 StrWG MV; § 18 I 1 NdsStrG; § 18 I StrWG NW; § 41 I 1 LStrG RP; § 18I 1 StrG SL; § 18 I 1 u. 2 SächsStrG; § 18 I StrG LSA; § 21 I 1 StrWG SH;§ 18 I 1 u. 2 ThürStrG. – Für die Bundesfernstraßen (Bundesautobah-nen, Bundesstraßen; § 1 I 1 u. II FStrG – Sartorius I 932) § 8 I 1 u. 2FStrG.6 § 13 I StrG BW; Art. 14 I BayStrWG; § 10 II 1 u. 3 BerlStrG; § 14 I 1BbgStrG; § 15 I BremLStrG; § 16 I HbgWG; § 14 S. 1 HessStrG; § 21 IStrWGMV; § 14 I NdsStrG; § 14 I 1 u. III 1 StrWGNW; § 34 I 1 u. III LStrGRP; § 14 I StrG SL; § 14 I 1 SächsStrG; § 14 I 1 StrG LSA; § 20 I StrWGSH; § 14 I ThürStrG; § 7 I 1 u. 3 FStrG.

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Grundregel des (Landes-)Straßenrechts dienen öffentlicheStraßen (Wege, Plätze) dem öffentlichen Verkehr, so dassder Verkehrsbezug des Gemeingebrauchs durch die Wid-mung der Straße hergestellt wird7.

Nach der Gesetzeslage ist eine »Sondernutzung« dem-nach immer dann gegeben, wenn die Benutzung einerStraße nicht als »Gemeingebrauch« zu qualifizieren ist.Essentiell für den Gemeingebrauch ist der Verkehrsbezug.Der Begriff Verkehr umfasst zunächst die verkehrstech-nische Funktion der Straße und bezieht sich daher auf dieBenutzung der Straße zur Fortbewegung (Ortsverände-rung) unter Einschluss des »ruhenden Verkehrs«; eineverkehrsbezogene Nutzung öffentlicher Flächen – jeden-falls im innerörtlichen Bereich und hier insbesondere inFußgängerzonen sowie in verkehrsberuhigten Bereichen –wird seit geraumer Zeit zudem im »kommunikativen Ver-kehr« gesehen8. Dies ist eine Nutzung, »die den öffent-lichen Straßenraum auch als Stätte der kommunikativenBegegnung, der Pflege menschlicher Kontakte und desInformations- undMeinungsaustauschs begreift«9.

Die Abgrenzung des (erlaubnisfreien) Gemeinge-brauchs von der (erlaubnispflichtigen) Sondernutzung er-folgt nach dem Zweck der Straßenbenutzung, bei meh-reren Zwecken nach dem überwiegenden Zweck. Danachsoll es auf das objektive Verkehrsverhalten und nicht aufdie (innere) Motivation der Straßenbenutzung ankom-men10. Allerdings könne ein äußerlich am Verkehr teilneh-mendes Fortbewegungsmittel aus der Sicht eines objekti-ven Beobachters durchaus eine verkehrsfremde Funktionerfüllen11. Eine etwas andere Akzentuierung betont die»Maßgeblichkeit des äußeren Erscheinungsbildes« ausGründen der Rechtssicherheit; es müssten »klare, ermittel-bare und überprüfbare Anknüpfungspunkte für die wege-

rechtliche Zuordnung einer Tätigkeit bzw. eines Verhal-tens vorgegebenwerden«12.

Im Ergebnis sollen der erlaubnispflichtigen Sonder-nutzung diejenigen Fallgestaltungen zugeordnet werden,die den widmungsgemäßen Verkehr beeinträchtigen. DieBeeinträchtigung des Gemeingebrauchs als rechtlicheGrenzziehung ist im Gesetzesrecht vorgezeichnet13: Dieden Gemeingebrauch übersteigende Benutzung von Stra-ßen richtet sich nach Bürgerlichem Recht, wenn die Benut-zung den Gemeingebrauch nicht beeinträchtigt14. Darausergibt sich im Gegenschluss, dass für eine öffentlich-recht-lich zu beurteilende Sondernutzung der Gemeingebrauchtangiert sein muss. Eine tatsächliche Gefährdung der Aus-übung des Gemeingebrauchs Dritter ist allerdings nichtgefordert; entscheidend ist, ob die Gemeingebrauchsnut-zung abstrakt beeinträchtigt wird15.

2. Typologie straßenrechtlicherSondernutzungen

Die Erscheinungsformen der »Sondernutzung« sind zahl-reich und kaum zu erfassen16. Hilfreich für die Gewinnungvon Orientierungswissen sind die Bündelung vergleich-barer Phänomene und die Bildung von Fallgruppen. Derfolgende Überblick orientiert sich an besonders häufig vor-kommenden Sondernutzungen und an strittigen Zuord-nungen seitens der Rechtsprechung. Die Typologie weistauch Überschneidungen aus.

a) Fahrtenmit besonderer Zwecksetzung

Öffentliche Straßen sind nach ihrer Zweckbestimmungdem Verkehr gewidmet. Die Widmung bezieht sich sowohlauf den Fußgängerverkehr als auch auf den Fahrzeug-verkehr. Wer mit einem Fahrzeug am Straßenverkehr teil-

7 VGH BWNVwZ 1998, 91; NVwZ-RR 2002, 740 (742); NVwZ-RR 2003,238 (240) = VBlBW 2002, 297 (299)→  Schoch JK 11/02, StrG BW § 16/2.8 VGH BW NVwZ-RR 2002, 740 (742); NdsOVG NVwZ-RR 1996, 247(248); vgl. ferner m. w. N. v. Danwitz in: Schoch (Hrsg.), BesonderesVerwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 7. Kap. Rdn. 65; ausf. Sauthoff Öf-fentliche Straßen, 2. Aufl. 2010, Rdn. 301 ff.9 So BVerwGE 84, 71 (73).10 VGH BW NVwZ-RR 2002, 740 (743); NVwZ-RR 2003, 238 (241) =VBlBW 2002, 297 (301) →  Schoch JK 11/02, StrG BW § 16/2; OVG Bln-Bbg BeckRS 2012, 48179 →  Schoch JK 12/12, BlnStrG § 10/1; NdsOVGNVwZ-RR 1996, 247 (248); OVG NW NJW 2005, 3162 = DÖV 2006, 125(126) = NWVBl 2006, 58 (59) →  Schoch JK 3/06, StrWG NRW § 14/2;OLG Düsseldorf NVwZ 1991, 206 (207) = JZ 1991, 49 = GewArch 1991,158 (159).11 OVG Bln-Bbg, Fn. 10; OVG NW GewArch 2012, 93 = NWVBl 2012,195 (196) →  Schoch JK 5/12, StrWG NW § 22/2; OVG NW NVwZ-RR2012, 422 (423).

12 OVG Hamburg DVBl 2012, 504 (506); ähnlich bereits OVG Ham-burg NJW 1996, 2051 (2052).13 § 21 I StrG BW; Art. 22 I BayStrWG; § 23 I BbgStrG; § 19 BremLStrG;§ 20 I HessStrG; § 30 I Nr. 1 StrWG MV; § 23 I NdsStrG; § 23 I StrWGNW; § 45 I LStrG RP; § 22 S. 1 StrG SL; § 23 I SächsStrG; § 23 I StrG LSA;§ 28 I 1 Nr. 1 StrWG SH; § 23 I ThürStrG; § 8 X FStrG.14 Beispiele sind unterirdische Ver- und Entsorgungsrohre sowieKabelleitungen, ferner Hinweisschilder (Verkehrszeichen); vgl. Stahl-hut, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, Kap. 28 Rdn. 3 undRdn. 12 ff.15 v. Danwitz in: BesVwR (Fn. 8) Rdn. 62; Sauthoff Öff. Straßen(Fn. 8) Rdn. 358.16 Ein »ABC der Sondernutzungen« präsentiert Stuchlik GewArch2004, 143 (148 ff.).

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nimmt, bewegt sich folglich im Rahmen der Widmung undübt Gemeingebrauch aus. Auf die Motive der Fortbewe-gung im öffentlichen Verkehrsraum kommt es, wie er-wähnt, nicht an. Folgerichtig hat das BVerwG (unter Hin-weis auf § 7 I FStrG) erklärt, aus welchen Motiven herauseine Ortsveränderung zum Personen- oder Gütertransporterfolge, sei gleichgültig; auch derjenige, »der spazieren-fährt oder abends planlos einen Wagen durch die Straßensteuert, strebt diese Ortsveränderung zum Zwecke des Per-sonentransports an«17.

Dennoch ist entschieden worden, das Anbieten vonKutschfahrten auf einem Parkstreifen einer öffentlichenStraße stelle eine straßenrechtliche Sondernutzung dar,weil ein über die bloße Verkehrsteilnahme (Teilnahme amruhenden Verkehr) hinausgehender Zweck (Anbieten einerLeistung in Form von Kutschfahrten) verfolgt werde; es seiunerheblich, dass die angebotene Leistung ihrerseits inder Teilnahme an Verkehrsvorgängen bestehe18. Hier wirdder gewerbliche Zweck in den Vordergrund gerückt, derals verkehrsfremder Zweck den Gemeingebrauch aus-schließt19. Auf dieser Linie liegt auch eine Judikatur, diereine Werbefahrten mit einem Kleinlastfahrzeug (Werbe-tafeln auf der Ladefläche) als Sondernutzung qualifiziert,weil ausschließlich verkehrsfremde Zwecke verfolgt wür-den20.

In der Entscheidung zu Fall 1 hat das BVerwG die umstritteneEntscheidung der Vorinstanz21 bestätigt und den Betrieb des»BierBike« als erlaubnispflichtige Sondernutzung eingestuft. Ei-ne Gesamtschau der äußerlich erkennbaren Merkmale aus derPerspektive eines objektiven Betrachters ergebe, dass das »Bier-Bike« vorwiegend nicht zur Teilnahme am Verkehr, sondern zuanderen Zwecken benutzt werde (»rollende Theke«, verkehrs-fremde Sache).

Die Rechtsprechung wäre überzeugend(er), wenn sie sa-gen könnte, worin die abstrakte Beeinträchtigung des Ge-meingebrauchs liegt.

b) Werbung im öffentlichen Verkehrsraum

Die Straßenwerbung für wirtschaftliche Zwecke ist weitverbreitet und tritt in ganz unterschiedlichen Erschei-nungsformen auf22. Ein prominentes Beispiel stellen Pla-katträger im öffentlichen Verkehrsraum dar; dazu istnicht zweifelhaft, dass es sich um Sondernutzung handelt,da verkehrsfremde Zwecke verfolgt werden23. BeimAbstel-len eines Kfz zu Werbezwecken (z. B. mittels Reklame-tafel) wird differenziert: Ist das auf einer öffentlichen Ver-kehrsfläche geparkte Kfz zugelassen und betriebsbereit,wird grundsätzlich eine Benutzung der Straße im Rahmendes Gemeingebrauchs angenommen24. Etwas anderes sollgelten, wenn ein Fahrzeug allein oder überwiegend zueinem anderen Zweck als der späteren Wiederinbetrieb-nahme geparkt werde; trotz einer scheinbar äußerlichenTeilnahme am Straßenverkehr werde der Verkehrsraum zuverkehrsfremden Zwecken (Werbung) in Anspruch genom-men, so dass eine Sondernutzung vorliege25. Zu dem be-reits erwähnten Problem der Werbefahrten gilt, dass dieregulär am Straßenverkehr teilnehmenden Firmenfahrzeu-ge mit Werbeaufschriften Gemeingebrauch ausüben, weildie Werbung nur einen Nebenzweck darstellt; dient dieTeilnahme am Straßenverkehr jedoch allein bzw. überwie-gend der Werbung (»rollende Straßenwerbung«), wird ei-ne Sondernutzung angenommen26.

In der Entscheidung zu Fall 2 hat das OVG festgestellt, dass dasKfz des A zu Werbezwecken geparkt worden sei. Die spezielleKonstruktion und die auffälligen Werbeaufschriften erwecktenden Eindruck einer »fahrenden Litfaßsäule«; die schräge Auf-stellung des Kfz spreche ebenfalls für einen Werbezweck. DieSondernutzung ergebe sich daher anhand objektiver Gegeben-heiten und nicht etwa auf Grund der inneren Motivation desSondernutzers.

FürpolitischeWerbung gilt bei der Abgrenzung zwischenGemeingebrauch und Sondernutzung nichts anderes als

17 BVerwGMDR 1971, 608 (609).18 NdsOVG NVwZ-RR 1998, 205 (206) = NdsVBl 1997, 280 (281); abl.dazu OVG Hamburg NVwZ-RR 2010, 34 (36), das in seiner Entschei-dung das Abstellen von Mietfahrrädern auf öffentlichen Wegeflächen(zulässiges Parken i. S. d. StVO) als Gemeingebrauch qualifiziert.19 SauthoffÖff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 296.20 OVG Bln-Bbg BeckRS 2012, 48179 →  Schoch JK 12/12, BlnStrG§ 10/1.21 OVG NW GewArch 2012, 93 = NWVBl 2012, 195 →  Schoch JK 5/12,StrWG NW § 22/2; krit. Kümper/Milstein GewArch 2012, 180 ff. – Zu derThematik ferner Lund DVBl 2011, 339 ff.; ferner FallbearbeitungenKobitzsch VBlBW 2012, 198 f. und 235 ff., sowie Schulz/Tallich NWVBl2012, 199 ff.

22 Überblick dazu bei Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 104 ff.23 BVerwGNVwZ 1996, 1210; OLG HammNVwZ 1991, 205.24 OVG NW NVwZ 2002, 218 = NWVBl 2001, 358 →  Schoch JK 6/02,StrWG NW § 14/1. – Gegenspiel: OVG NW NVwZ-RR 2004, 885 = DÖV2004, 800 = GewArch 2004, 350: Abstellen eines nicht zum Verkehrzugelassenen Kfz auf einer öffentlichen Verkehrsfläche als Sonder-nutzung.25 OVG NW NJW 2005, 3162 = DÖV 2006, 125 (126) = NWVBl 2006, 58(59) →  Schoch JK 3/06, StrWG NRW § 14/2; OLG Düsseldorf NVwZ1991, 206 (207) = JZ 1991, 49 = GewArch 1991, 158 (159); Smith NVwZ2012, 1001 (1002).26 Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 110 f.

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bei der Wirtschaftswerbung27. Erfolgt die politische Wer-bung durch Plakatständer auf öffentlichen Verkehrsflä-chen, liegt ohnehin eine Sondernutzung vor28.

c) Aufstellen von Hilfsvorrichtungen und Behältnissen

Generell kann gesagt werden, dass das Aufstellen vonHilfsvorrichtungen (z. B. Tische, Stühle, Bänke, Sonnen-schirme, Zelte)29 und Behältnissen (z. B. Alttextilcontai-ner, sonstige Wertstoffcontainer)30 im öffentlichen Ver-kehrsraum eine Sondernutzung der Straße ist. JedesVerbringen von Gegenständen auf die öffentliche Straßeüberschreitet den Gemeingebrauch und stellt eine erlaub-nispflichtige Sondernutzung dar. Das gilt insbesondere fürVerkaufsstände31 und Informationsstände32. PolitischeParteien genießen insoweit kein Privileg33. Auch die Kunstkann für sich bei der Abgrenzung zwischen Gemein-gebrauch und Sondernutzung keine Sonderbehandlungbeanspruchen; frühzeitig ist geklärt worden, dass die – inAusübung der Kunstfreiheit (Art. 5 III 1 GG) erfolgende –Aufstellung von Kunstgegenständen im Fußgängerbereicheiner Stadt straßenrechtlich als Sondernutzung zu qualifi-zieren ist34.

In der Entscheidung zu Fall 3 hat das BVerwG erkannt, dass dieBetätigung der B, auch wenn sie als Straßenkunst durch Art. 5 III1 GG geschützt seinmag, als Sondernutzung zu qualifizieren ist35.Das Verhalten der B kann auch nicht als »kommunikativer Ver-kehr« anerkannt werden. Wer den öffentlichen Verkehrsraummit Hilfsvorrichtungen und sonstigen Utensilien in Anspruchnimmt, bewegt sich nicht mehr im Rahmen des Gemein-gebrauchs36. – Keine Aussage ist damit zu der Frage getroffen, obder Künstler einen Anspruch auf die Sondernutzungserlaubnishat.

d) Ansprechen von Passantenmit besondererZielsetzung

Das in werbender Absicht (für eine Weltanschauung, füreine politische Haltung, für ein Produkt etc.) erfolgendeAnsprechen und ggf. Anhalten von Passanten auf öffent-lichen Straßen (insbesondere in Fußgängerzonen) wirftoftmals schwierige Abgrenzungsfragen auf. Das unauf-dringliche und unentgeltlicheVerteilen vonHandzetteln(Faltblätter, Broschüren, Werbezettel etc.) und Zeit-schriften – ohne Hilfsmittel – wird weithin als gemein-gebräuchlicher kommunikativer Verkehr anerkannt37. Da-gegen sei das Verteilen politischer Schriften durch dieFahrbahn betretende Fußgänger an Kraftfahrer, die voreiner »Rot« zeigenden Lichtzeichenanlage halten, Sonder-nutzung; diese Zuordnung geböten die Sicherheit undLeichtigkeit des Verkehrs38.

Im Falle einer gezielten Ansprache zwecks Wer-bung (auch unter Einsatz von Handzetteln, Broschürenetc.) soll der Gemeingebrauch überschritten sein; die Stra-ße werde nicht mehr vorwiegend zum Verkehr genutzt,auch nicht zum kommunikativen Verkehr, da diese Formdes Gemeingebrauchs das gezielte Ansprechen von be-stimmten Passanten in werbender Absicht im öffentlichenVerkehrsraum nicht mehr erfasse39. Auch das Verteilenvon Gratis-(Tages-)Zeitungen im Straßenraum sei als ge-

27 Vgl. demgegenüber zur Einwirkung des Art. 21 I GG auf das Er-messen bei der Sondernutzungserlaubnis unten Text zu Fn. 114 ff.28 NdsOVG NVwZ-RR 1993, 393; bestätigt durch BVerwG NVwZ-RR1995, 129.29 VGH BW NVwZ-RR 1997, 677 (Imbissstand); VGH BW NVwZ-RR1997, 679 = VBlBW 1997, 107 (Tische, Stühle, Sonnenschirme); VGHBW NVwZ-RR 2000, 837 = VBlBW 2000, 282→  Schoch JK 01, StrG BW§ 16/1 und NVwZ-RR 2010, 164 = VBlBW 2010, 113 (Ständer für An-sichtskarten); BayVGH NVwZ-RR 2003, 244 (Aufstellung von Zelten);BayVGH BayVBl 2012, 147 (Sitzbänke); HessVGH NVwZ 1994, 189(Klapptisch); NdsOVGNVwZ-RR 1996, 244 (Tisch).30 BayVGH NVwZ-RR 2000, 390 (Wertstoffcontainer für Ver-packungsmaterial); OVG Bremen NVwZ-RR 1997, 385 (Altkleidersam-melbehälter); NdsOVG NVwZ-RR 1998, 728 (Wertstoffsammelbehälterfür Altglas, Altpapier, Metalle, Alttextilien); NdsOVG DVBl 2013, 454(Container für Altkleider); OVG NW NVwZ-RR 1997, 384 = NWVBl1997, 269 und NVwZ-RR 2000, 429 = NWVBl 2000, 216→  Ehlers JK 11/00, StrWG NRW § 22/1 (Behälter für Alttextilien); VG BraunschweigKommJur 2009, 299 (Altkleider- und Schuhcontainer).31 Überblick dazu bei Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 296, sowieStahlhut in Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 97.32 Instruktiv OVG NW NWVBl 2007, 64 →  Schoch JK 7/07, StrWGNRW § 18/1.33 BVerwG DÖV 1981, 226; VGH BW VBlBW 1987, 310; OVG SL LKRZ2009, 313; OVG SHNVwZ 1992, 70.34 BVerwG DÖV 1981, 342. – Zur Veranstaltung von Straßenmusikals Sondernutzung BVerwGNJW 1987, 1836.

35 Anders noch VGH BW NJW 1989, 1299 = DÖV 1989, 128 (m. Anm. Goerlich) = VBlBW 1989, 58: Art. 5 III 1 GG gebiete eine verfassungs-konforme Auslegung der Begriffe »Verkehr« und »Gemeingebrauch«.36 VGH BW GewArch 1992, 452 (mit der – im Fall verneinten – Ein-schränkung, die Verkehrsanschauung könne zur Qualifizierung vonStraßenkunst als Gemeingebrauch führen).37 BayVGH NVwZ-RR 1997, 258 = BayVBl 1996, 665; NVwZ-RR 2010,830 (831) = BayVBl 2011, 176 →  Schoch JK 5/11, BayStrWG Art. 18/5;NdsOVG NVwZ-RR 1996, 247 (248); OLG Stuttgart NJW 1976, 201 (203);Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 113 und Rn. 115.2. –Ausdrück-lich: § 18 II 1 BremLStrG.38 BayObLGDÖV 2002, 829.39 BVerwGE 35, 326 (329); OVG Hamburg DÖV 1992, 37; NdsOVGNVwZ-RR 1996, 247 (248); NVwZ-RR 2004, 884 →  Ehlers JK 7/05, GG

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werbliche Betätigung Sondernutzung, falls durch die Ver-gütungen von Anzeigekunden Gewinn erzielt werden sol-le40. Das BVerfG41 hat indes – allerdings in einer singulärgebliebenen Entscheidung – erkannt, das Verteilen vonFlugblättern, Broschüren etc. in Fußgängerzonen, ver-kehrsberuhigten Zonen und auf innerörtlichen Gehwegensei als Gemeingebrauch zu qualifizieren, weil der Schutzder Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht generelleinen Erlaubnisvorbehalt42 rechtfertige; diese Begründungist zwar unzutreffend43, hören lässt sich jedoch die zusätz-liche Erwägung, dass bei einer kaum merklichen Beein-trächtigung des Gemeingebrauchs44 im Einzelfall eine Son-dernutzung zu verneinen sein kann45.

Zielt das Ansprechen von Passanten nach den er-kennbaren Umständen auf ein Verkaufsgeschäft, liegtstets eine Sondernutzung vor46. Das gilt für Druckerzeug-nisse jeglicher Art47. Das BVerfG hat die Qualifizierung desStraßenverkaufs von Sonntagszeitungen durch ambulanteStraßenverkäufer als Sondernutzung akzeptiert48. Erfolgtder Zeitungsverkauf mit Hilfe eines Zeitungsentnahme-gerätes, liegt schon auf Grund der Aufstellung des Zei-tungsautomaten im öffentlichen Verkehrsraum Sonder-nutzung vor49. Auch das Ansprechen und Fotografierenvon Besuchern eines öffentlichen Platzes durch einen Ani-mateur in der Absicht, die Fotos an die Besucher zu ver-kaufen, ist als Sondernutzung eingestuft worden50. Dassel-be gilt für den gewerblichen Verkauf von Nikolausmützenaus einem Bauchladen in einem Fußgängerbereich einerInnenstadt51.

3. Folgen der Qualifizierung einerStraßennutzung als Sondernutzung

Die Qualifizierung der Benutzung einer Straße als »Son-dernutzung« ist folgenreich. Diese Kategorisierung löst zu-nächst eine Erlaubnispflicht aus; auf die Erteilung derSondernutzungserlaubnis besteht gesetzlich kein An-spruch, die zuständige Behörde entscheidet vielmehr nachpflichtgemäßem Ermessen (s. u. II. 2.). Ferner kann dieSondernutzung – im Unterschied zum grundsätzlich kos-tenfreien Gemeingebrauch52 – eine Gebühr nach sich zie-hen (dazu IV.). Die unerlaubte Sondernutzung kann zuverschiedenen Konsequenzen führen; einerseits wird derVerwaltung die Befugnis eingeräumt, die illegale Sonder-nutzung hoheitlich und notfalls zwangsweise zu been-den, andererseits ist eine Ordnungswidrigkeit festzustel-len, diemit einerGeldbuße geahndet werden kann (V.).

a) Erlaubnisvorbehalt

Im Zentrum der rechtlichen Probleme steht der straßenge-setzliche Erlaubnisvorbehalt53. Soweit die Benutzung derStraße Ausdruck einer grundrechtlich (an sich) geschütz-ten Freiheitsbetätigung ist54, erschwert das Erfordernis,zuvor eine behördliche Erlaubnis einzuholen, die Grund-rechtsausübung; rechtsdogmatisch liegt in dieser Beein-trächtigung ein Grundrechtseingriff55. Dieser Eingriff istallerdings verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil er dasÜbermaßverbot wahrt und das behördliche Kontrollver-fahren (s. u. II. 1.) auch dem Schutz der GrundrechteDritter dient: Die Notwendigkeit, eine Erlaubnis für die

Art. 4 I/32; BayObLG NVwZ 1998, 104; abl. zu dieser Rspr. Stahlhut in:Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 113.40 BayVGH NVwZ-RR 2000, 726 = BayVBl 2000, 408→  Schoch JK 9/00, BayStrWG Art. 18/2.41 BVerfG-K NVwZ 1992, 53 = BayVBl 1992, 83; dazu Bespr. EndersVerwArch 83 (1992), 527 ff., sowie Lorenz JuS 1993, 375 ff.42 Dazu Einzelheiten unten II. 1.43 Vgl. die Entscheidung des BVerfG zu Fall 4.44 Zum Erfordernis einer abstrakten Beeinträchtigung der Ausübungdes Gemeingebrauchs vgl. Nachw. o. Fn. 15.45 Dies deckt sich mit der in Fn. 37 nachgewiesenen Auffassung.46 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 297; Stahlhut in: Kodal (Fn. 14)Kap. 25 Rdn. 99, 100.47 VGH BW NVwZ 1998, 91; NVwZ-RR 2002, 740 (743); NVwZ-RR2003, 238 (240 f.) = VBlBW 2002, 297 (300 f.) →  Schoch JK 11/02, StrGBW § 16/2.48 BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 = AfP 2007, 437→  Schoch JK 3/08, GGArt. 5 I 2/32. –Näher dazu unten Fall 4.49 BayVGHNVwZ-RR 2002, 782; OVG LSA LKV 2002, 335.50 OVG LSA LKV 2001, 45 (46).51 VG Karlsruhe GewArch 2005, 39 (40).

52 Vgl. dazu Mager/Sokol JURA 2012, 913 (918), mit Hinweisen zuAusnahmen (Maut, Autobahnbenutzungsgebühr, Parkgebühr).53 Vgl. dazu Nachw. oben Fn. 5.54 Zu Art. 4 I, II GG (Aktivitäten von Religions- und Weltanschau-ungsgemeinschaften) BVerwG NJW 1997, 408; VGH BW NVwZ-RR2002, 740 (744); BayVGH NVwZ-RR 2003, 244 (245); VG Berlin NJW1989, 2559. – Zu Art.  5 I 1 GG BVerwGE 56, 63 (66 f.): Aufstellen vonInformationsständen; VGH BW NVwZ-RR 2003, 238 (243) = VBlBW2002, 297 (303) →  Schoch JK 11/02; StrG BW § 16/2: Verteilung vonHandzetteln und Broschüren; OVGHamburg DÖV 1992, 37: Verteilungvon Prospekten. – Zu Art. 5 III 1 GG BVerwG DÖV 1981, 342: Aufstel-lung von Kunstgegenständen in der Fußgängerzone; VGH BW NJW1987, 1839 (1842) = VBlBW 1987, 137 (141): Straßenmusik; ferner dieEntscheidung zu Fall 3. – Zu Art.  9 I GG BayVGH NVwZ-RR 2010, 830= BayVBl 2011, 176 →  Schoch JK 5/11, BayStrWG Art. 18/5: Spenden-sammlung und Mitgliederwerbung durch gemeinnützigen Verein inFußgängerzone. – Zu Art. 12 I GG VG Karlsruhe GewArch 2005, 39(41): Straßenhandel mit einem Bauchladen in Fußgängerzone.55 BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 = AfP 2007, 437 (439) →  Schoch JK 3/08, GG Art. 5 I 2/32.

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Sondernutzung einzuholen, stellt eine verhältnismäßigeBelastung des Grundrechtsträgers dar, weil die Freiheits-beeinträchtigung gering ist; zudem ist die Erlaubnispflichtnur eine formale Schranke, die über die Zulässigkeit derbeabsichtigten Sondernutzung nichts aussagt56. Auf deranderen Seite ist der störungsfreie Gemeingebrauch (unterEinschluss des Anliegergebrauchs) der Verkehrsteilneh-mer durch Art. 2 I, 3 I, 14 I GG gewährleistet57. Diese Grund-rechte Dritter vermögen auch vorbehaltlos normiertenGrundrechten des Sondernutzers (z. B. Art. 4 I u. II, 5 III 1GG) Schranken zu ziehen. Das BVerfG hat bestätigt, dassder Erlaubnisvorbehalt im Straßenrecht legitimen Zwe-cken (Wahrung der Sicherheit und Leichtigkeit des Ver-kehrs, Ausgleich konfligierender Nutzerinteressen) dient,zur Zielerreichung geeignet und erforderlich ist und wegendes verhältnismäßig geringen Aufwands für einen entspre-chenden Antrag auf Erlaubniserteilung keine unangemes-sene Belastung darstellt58.

b) Vorrang spezieller Erlaubnistatbestände

Eine straßenrechtliche Sondernutzung kann zugleich stra-ßenverkehrsrechtlich erheblich sein und einer besonderenZulassung bedürfen. Für derartige Fallgestaltungen ist ei-ne Konzentrationswirkung vorgesehen: Falls nach Stra-ßenverkehrsrecht eine Erlaubnis für eine übermäßigeStraßenbenutzung oder eine Ausnahmegenehmigung er-forderlich ist, bedarf es keiner straßenrechtlichen Sonder-nutzungserlaubnis59. So benötigen »stationäre« Veranstal-tungen (d. h. Verbringen von Gegenständen – Tische,Bänke etc. – auf die Straße), bei denen Straßen mehr alsverkehrsüblich in Anspruch genommen werden, eine stra-ßenverkehrsrechtliche Erlaubnis nach § 29 II StVO60. Aus-nahmegenehmigungen gemäß § 46 StVO kommen z. B. inBetracht für ein nach § 29 I StVO verbotenes Rennen (§ 46II StVO)61, für i. S. d. § 32 I StVO unzulässige Informations-

stände (§ 46 I 1 Nr. 8 StVO)62 und für ein nach § 33 I 1 Nr.  2StVO verbotenes Warenangebot auf der Straße (§ 46 I 1Nr. 9 StVO)63. In derartigen Fällen bedarf es keiner –zusätzlichen – straßenrechtlichen Sondernutzungserlaub-nis.

Die Verfahrenskonzentration begründet – nachaußen – die alleinige Zuständigkeit der Straßenver-kehrsbehörde64. Die straßengesetzlichen Vorschriften65

schreiben jedoch vor, dass die an sich für die Sonder-nutzungserlaubnis zuständige Behörde vor der straßen-verkehrsrechtlichen Entscheidung zu hören ist; zudemmüssen von der Straßen(bau)behörde geforderte Bedin-gungen, Auflagen und Sondernutzungsgebühren dem An-tragsteller in der Erlaubnis oder Ausnahmegenehmigungnach der StVO auferlegt werden.

Der Vorrang einer Zulassung nach der StVO gegenüberder Sondernutzungserlaubnis greift nicht erst dann ein,wenn jene Zulassung erteilt worden ist; es genügt, dasseine Erlaubnis oder eine Ausnahmegenehmigung der Stra-ßenverkehrsbehörde objektiv »erforderlich« ist66. In die-sem Punkt ist der Wortlaut der einschlägigen Bestimmun-gen67 eindeutig und eröffnet keinen Auslegungsspielraum.

c) Privilegierung von Versammlungen

Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel sindanmeldepflichtig (§ 14 VersG), aber nicht erlaubnispflich-tig (vgl. Art. 8 I GG). Folglich bedarf die Durchführungeiner Versammlung im öffentlichen Verkehrsraum wedereiner straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis nocheiner straßenverkehrsrechtlichen Erlaubnis68. Die recht-liche Steuerung des Versammlungsgeschehens obliegt derzuständigen Versammlungsbehörde; insbesondere § 29 IIStVO ist wegen des Vorrangs der §§ 14, 15 VersG nichtanwendbar69. In der Sache überwacht die Versammlungs-behörde die Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichenVorschriften und damit die Sicherheit und Leichtigkeit des

56 BVerwGE 84, 71 (76, 78) = NJW 1990, 2011 (2012).57 BVerwG NJW 1997, 408; VG Berlin NJW 1989, 2559; Sauthoff Öff.Straßen (Fn. 8) Rdn. 324; Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 6.58 BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 (1307) = AfP 2007, 437 (439 f.) → 

Schoch JK 3/08, GG Art. 5 I 2/32.59 § 16 VI StrG BW; Art. 21 BayStrWG; § 19 BbgStrG; § 18 IIIBremLStrG; § 16 VII HessStrG; § 22 VII StrWG MV; § 19 NdsStrG; § 21StrWG NW; § 41 VII LStrG RP; § 18 VII StrG SL; § 19 SächsStrG; § 19StrG LSA; § 21 VI StrWG SH; § 19 ThürStrG; § 8 VI FStrG.60 BVerwGE 82, 34 = NJW 1989, 2411 = DVBl 1989, 995 = DÖV 1989,1038.61 BVerwGE 104, 154 = NVwZ 1998, 1300; NdsOVG DVBl 1996, 1441;OVG NWNVwZ-RR 1997, 4.

62 VGH BWVBlBW 2005, 391.63 BVerwGE 94, 234 = NJW 1994, 1082 = DVBl 1994, 347; HessVGHNVwZ-RR 1992, 3 = DÖV 1992, 38; VG Karlsruhe GewArch 2005, 39(41).64 HessVGHNVwZ-RR 1992, 2; SauthoffÖff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 393.65 Vgl. zum folgenden Text Satz 2 u. Satz 3 der in Fn. 59 nachgewie-senen Vorschriften.66 BVerwGE 94, 234 (236) = NJW 1994, 1082 = DVBl 1994, 347;Sauthoff in: Müller/Schulz, FStrG, 2008, § 8 Rdn. 68.67 Vgl. Satz 1 der in Fn. 59 nachgewiesenen Vorschriften.68 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 391; Stahlhut in: Kodal (Fn. 14)Kap. 27 Rdn. 53.69 BVerwGE 82, 34 (39 f.) = NJW 1989, 2411.

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Verkehrs auf der Grundlage des Gesetzesmerkmals »öf-fentliche Sicherheit« (§ 15 I u. III VersG).

Besondere Rechtsprobleme stellen sich in Bezug aufBundesautobahnen. Diese sind gesetzlich nur demSchnellverkehr mit Kraftfahrzeugen gewidmet (§ 1 III 1FStrG). Danach darf auf einer Bundesautobahn kein Fuß-gängerverkehr und kein Verkehr mit nicht motorisiertenFahrzeugen stattfinden70. Dennoch hat der HessVGH eineFahrraddemonstration auf der A 44 für zulässig erklärt;straßenrechtlich könne das Befahren der Autobahn mitFahrrädern als Sondernutzung zugelassen (§ 8 I 1 u. 2FStrG), und straßenverkehrsrechtlich dürfe das Befahrens-verbot (§ 18 I StVO) bzw. das Betretensverbot (§ 18 IX StVO)gemäß § 29 II 1 StVO erlaubt werden71. Überzeugend ist daskaum. § 29 II 1 StVO erfasst nur Veranstaltungen, die dieStraße innerhalb des Widmungszwecks mehr als verkehrs-üblich in Anspruch nehmen; der Dispens von dem Befah-rens- bzw. Betretensverbot (§ 18 I u. IX StVO) bedarf einerAusnahmegenehmigung nach § 46 I 1 Nr.  2 StVO. Vordiesem Hintergrund kann die auf Grund der Verfahrens-konzentration mit den straßenverkehrsrechtlichen Fragenbefasste Versammlungsbehörde eine geplante Fahrrad-demonstration auf der Autobahn ermessensfehlerfrei ge-mäß § 15 I VersG untersagen, wenn die straßenverkehrs-rechtlichen Wertungen (§§ 18 I u. IX, 46 I 1 Nr. 2 StVO)hinreichend in Rechnung gestellt werden72.

II. Entscheidung über dieSondernutzungserlaubnis

Fall 4: L ist Teil des Vertriebswerks des AS-Verlages für Sonn-tagszeitungen und liefert derartige Zeitungen an ambulante Stra-ßenverkäufer, die die Zeitungen aus mitgeführten Tragetaschenan Passanten verkaufen. Die zuständige Behörde teilt L mit, dassder Straßenverkauf als Sondernutzung erlaubnispflichtig sei. Lmeint, das Grundrecht der Pressefreiheit stehe einer gesetzlichenErlaubnispflicht, falls diese eine behördliche Ermessensent-scheidung vorsehe, entgegen und bittet um eine Auskunft zurRechtslage73.

Fall 5: T betreibt in der Fußgängerzone der historischen Altstadtder Stadt S einen Taschenbuchladen. T möchte außerhalb ihresLadens rechts und links neben der Ladentür unmittelbar vor derHauswand des Gebäudes einen Ständer für Ansichtskarten auf-stellen. Die von T beantragte Sondernutzungserlaubnis wird un-

ter Hinweis auf die vom Stadtrat beschlossenen »Richtlinien fürgewerbliche Sondernutzungen im Fußgängerbereich Altstadt«abgelehnt. Danach soll das Erscheinungsbild der Straßen undPlätze im »Fußgängerbereich Altstadt« in erster Linie durch denFußgängerverkehr und im Übrigen durch Kommunikation undstädtebauliche Tradition (Bewahrung des historischen Altstadt-bildes) bei gleichzeitiger Vermeidung eines »touristischen An-strichs« (»Drosselgasse«) bestimmt sein. T fragt, ob derartigeErwägungen ihren geschäftlichen Interessen entgegengehaltenwerden können74.

Fall 6: Der Tierschutzverein V e. V. beantragt bei der Stadt S fürdas übernächste Wochenende eine Sondernutzungserlaubnisfür einen Informationsstand in der Fußgängerzone in der Innen-stadt zur Information der Bevölkerung über in Not geratene Tiereund zwecks Mitgliederwerbung. S erteilt die Erlaubnis mit derEinschränkung, dass Fördermitgliedschaften nicht abgeschlos-sen werden dürfen; es sei gängige Verwaltungspraxis, dass fürgeschäftsanbahnende Tätigkeiten keine Erlaubnis erteilt werde,weil die Bevölkerung vor voreiligen Vertragsabschlüssen aufGrund der Überrumplungssituation geschützt werden müsse. Vfragt nach der Rechtmäßigkeit dieser Einschränkung der Erlaub-nis75.

Zuständig für die Erteilung einer Sondernutzungserlaub-nis ist – je nach landes-/bundesrechtlicher Regelung – dieStraßenbaubehörde (für Ortsdurchfahrten die Gemeinde,falls diese nicht ohnehin Straßenbaubehörde ist)76 bzw.der Träger der Straßenbaulast (für Ortsdurchfahrten dieGemeinde, falls diese nicht ohnehin Träger der Straßen-baulast ist)77. Mitunter sehen die Gesetze auch noch dieZustimmung anderer Behörden vor.

1. Funktion und Bedeutung desErlaubnisvorbehalts

Rechtsdogmatisch sind die gesetzlichen Erlaubnistat-bestände als präventives Verbot mit Erlaubnisvor-behalt ausgestaltet78. Die Statuierung der (formalen)Erlaubnispflicht besagt nicht etwa, dass die erlaubnis-

70 Sauthoff in: Müller/Schulz (Fn. 66) § 1 Rdn. 18.71 HessVGHNJW 2009, 312 (313) = DVBl 2008, 1322 (1323).72 Schoch JK 3/09, GG Art. 8/26.73 Fall nach BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 = AfP 2007, 437 →  SchochJK 3/08, GG Art. 5 I 2/32.

74 Fall nach VGH BW NVwZ-RR 2000, 837 = VBlBW 2000, 282 → 

Schoch JK 01, StrG BW § 16/1.75 Fall nach BayVGH NVwZ-RR 2010, 830 = BayVBl 2011, 176 → 

Schoch JK 5/11, BayStrWGArt. 18/5.76 § 16 II StrG BW; Art. 18 I BayStrWG; § 11 I BerlStrG; § 18 I 1 u. 2BbgStrG; § 16 I 1 u. § 17 I HessStrG; § 18 I 2 u. 3 StrWG NW; § 41 I LStrGRP; § 18 I 1 StrG SL; § 18 I 1 u. 2 SächsStrG; § 18 I 1 u. 2 StrG LSA; § 18 I 2u. 3 ThürStrG; § 8 I 2 u. 3 FStrG.77 § 22 I 1 StrWG MV; § 18 I 2 NdsStrG; § 21 I 1 u. 2 StrWG SH. – InBremen entscheidet die Ortspolizeibehörde, § 18 IV 1 LStrG; in Ham-burg ist dieWegeaufsichtsbehörde zuständig, § 19 I 2WG.78 OVG NW NWVBl 2007, 64 (65) →  Schoch JK 7/07, StrWG NRW§ 18/1; ThürOVG ThürVBl 2001, 109 (110) →  Schoch JK 10/01,

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pflichtige Tätigkeit an sich (materiell) verboten ist; mit derRechtsausübung darf allerdings erst begonnen werden,wenn die Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Benutzungdes öffentlichen Straßenraums in einem Verwaltungsver-fahren geprüft und festgestellt worden ist79. Im Regelfallstellt die Sondernutzungserlaubnis einen mitwirkungs-bedürftigen Verwaltungsakt (VA) dar; er wird nur auf An-trag des Sondernutzers erteilt80. Der Erlaubnis wird nichtdie Qualität eines VA mit Drittwirkung attestiert, weil dieBestimmungen zur Erteilung der Sondernutzungserlaub-nis grundsätzlich keinen Drittschutz vermittelten81. DieErlaubnis für eine Sondernutzung des öffentlichen Ver-kehrsraums kann auch durch einen verwaltungsrecht-lichen Vertrag (§§ 54 ff. VwVfG) eingeräumt werden82; die-se Form des Verwaltungshandelns wird insbesondere beider Erlaubnis zur werbemäßigen Nutzung öffentlicherStraßen, Wege und Plätze für Werbeanlagen gewählt(»Werbenutzungsvertrag«)83.

In der Sache dient das Verwaltungsverfahren zunächstder behördlichen Überprüfung möglicher Auswirkungeneiner Sondernutzung auf die Straße und den Verkehr. Zuverhindern sind etwaige Beschädigungen und Verschmut-zungen der Fahrbahn; abzuwehren sind sodann Beein-trächtigungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Ver-kehrs, dem die Straße schließlich gewidmet ist84.Unabhängig davon kommt es nicht selten zu einem Zu-sammentreffen unterschiedlicher undmanchmal sogar ge-genläufiger Nutzungsinteressen verschiedener Straßenbe-nutzer; insoweit ist ein Interessenausgleich zu schaffen,der der Sondernutzungserlaubnis eine Ausgleichs- undVerteilungsfunktion zuweist85. Die Gefahr der Kollisionder Grundrechtsausübung verschiedener Straßenbenutzerrechtfertigt und verlangt eine behördliche Kontrolle in

Form des Erlaubnisverfahrens86. Anschaulich ist davongesprochen worden, das der Sondernutzungserlaubnisvorgeschaltete Verwaltungsverfahren diene der Präventiv-steuerung87.

2. Ermessensentscheidung der Behörde

a) Verfassungsmäßigkeit der Ermessensnormen

Auf die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis bestehtkein Anspruch88. Die einschlägigen Gesetzesbestimmun-gen normieren keine gebundene Verwaltungsentschei-dung. Folglich entscheidet die zuständige Behörde nachpflichtgemäßem Ermessen über den Antrag89. Tat-bestandlich sind keine (materiellen) Voraussetzungen fürdie Erteilung oder Versagung der Erlaubnis statuiert. Ein-zige Voraussetzung ist, dass kein Gemeingebrauch vor-liegt; für dessen Ausübung wird eine behördliche Zulas-sung nicht benötigt (I. 1.). Kann die zuständige Behördeindes allein nach Ermessen entscheiden, stellen sich ausdem Blickwinkel des Grundrechtsschutzes und des Be-stimmtheitsgebots Fragen zur Verfassungsmäßigkeit dereinschlägigen Gesetzesbestimmungen.

In der Fall 4 zu Grunde liegenden Entscheidung hat das BVerfGdie Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen Regelung(en) be-stätigt. Der Begriff »pflichtgemäßes Ermessen« erlaube eine Aus-legung in dem Sinne, dass der Anspruch auf die Erlaubnisertei-lung bestehe, wenn die Versagung nicht zur Erreichung derGesetzesziele (Schutz der Straße, Wahrung der Sicherheit undLeichtigkeit des Verkehrs, Ausgleich unterschiedlicher Nutzer-interessen) erforderlich und unter Berücksichtigung des Grund-rechtsschutzes angemessen sei. Das behördliche Ermessen be-schränke sich auf Fälle, in denen entweder die Sondernutzungnicht den grundrechtsrelevanten Bereich betreffe oder in denentrotz Grundrechtsbeeinträchtigung ein Versagungsgrund beste-he; dann könne die Behörde die Erteilung der Erlaubnis ableh-nen.

ThürStrG § 18 I/1; Stuchlik GewArch 2004, 143 (146); v. Danwitz in:BesVwR (Fn. 8) 7. Kap. Rdn. 63.79 OVG SHNVwZ 1992, 70.80 VGH BWNVwZ-RR 1990, 225.81 BayVGH NVwZ-RR 2004, 886 (887) = BayVBl 2004, 533 →  SchochJK 1/05, BayStrWG Art. 18/3. – Zu möglichen Ausnahmen BayVGHBayVBl 2008, 276 Tz. 15 →  Schoch JK 9/08, BayStrWG Art. 18/4:Erlaubnis zur Aufstellung eines Baugerüsts beeinträchtigt Nutzungs-recht eines Anliegers (benachbartes Café); ähnlich BayVGH GewArch2010, 420 Tz. 37.82 v. Danwitz in: BesVwR (Fn. 8), 7. Kap. Rdn. 63, 64; Sauthoff Öff.Straßen (Fn. 8) Rdn. 358.83 Aus der Praxis z. B. VGH BW NVwZ 1993, 903; NdsOVG NdsVBl1994, 38.84 So bereits BVerwGE 35, 326 (330 f.).85 BVerwG DÖV 1981, 226; BVerwGE 84, 71 (75 f.) = NJW 1990, 2011(2012); VGH BW NJW 1987, 1836 (1837); NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244(245); OVG NWNVwZ 1988, 269 (270); VG Karlsruhe GewArch 2005, 39(41).

86 BVerwG DÖV 1981, 342; VGH BW NJW 1987, 1839 (1842) = VBlBW1987, 137 (141).87 OVG SHNVwZ 1992, 70.88 BVerwGE 35, 326 (330); OVG Bremen NVwZ-RR 1997, 385 (386). –Ausdrücklich: § 19 I 3 HbgWG.89 Ausdrücklich angeordnet durch § 16 II 1 StrG BW; § 18 II 3BbgStrG; § 18 IV 1 BremLStrG; »kann«-Regelung in § 19 I 4 HbgWG;»soll«-Regelungen indes gem. § 11 II 1 u. 2 BerlStrG.

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b) Zweck des Ermessens: Berücksichtigungstraßenrechtlicher Belange

Für die Beurteilung der rechtsfehlerfreien Betätigung desbehördlichen Ermessens gilt § 40 (L)VwVfG90. Bei der Ent-scheidung über die Erteilung der Sondernutzungserlaub-nis sind zunächst die inneren Ermessensgrenzen91 ein-zuhalten92. Sie ergeben sich aus dem Zweck derErmächtigung. Unter Rückgriff auf die Funktion des Er-laubnisvorbehalts (s. o. II. 1.) besteht Einigkeit darüber,dass sich die Ermessensbetätigung an straßenrechtlichenBelangen orientieren muss93. Das sind nur solche Gesichts-punkte, die einen sachlichen Bezug zur Straße aufweisen:Schutz des Straßenkörpers und Gewährleistung eines stö-rungsfreien Gemeingebrauchs (d. h. straßenrechtliche Be-lange im engeren Sinne) sowie mit dem Widmungszweckder Straße noch in einem engen Zusammenhang stehendeBelange94. Darüber hinausgehende Ermessenserwägun-gen (z. B. ordnungsrechtlicher Natur) sind von dem Zweckder Ermächtigung nicht mehr gedeckt95. Etwas anderes giltnur, wenn das positive Recht dies ausdrücklich zulässt96.

In der Praxis kommt bei den straßenrechtlichen Belan-gen im weiteren Sinne vor allem städtebaulichen Erwä-gungen (z. B. bauplanerische und baupflegerische Belan-ge, baugestalterische Aspekte zum Schutz bestimmter

Straßen oder Plätze, Abwehr einer wochenlangen Ver-schandelung und Verschmutzung des Stadtbildes etwadurch wildes Plakatieren) eine große Bedeutung im Rah-men des behördlichen Ermessens zu97. Die Rechtspre-chung akzeptiert städtebauliche Ermessenserwägungenzum Schutz eines bestimmten Straßen- und Ortsbildes,sofern diese wirklich einen Bezug zur Straße haben98. Ver-langt wird allerdings ein städtebauliches Konzept, damitentsprechende Erwägungen im Rahmen des behördlichenErmessens willkürfrei umgesetzt werden können99. Einderartiges Konzept beruht häufig auf verwaltungsinternenRichtlinien. Sofern, wie dies in der Regel der Fall ist, dieZuständigkeit für die Entscheidung über die Sondernut-zungserlaubnis bei einer Kommune (Stadt, Gemeinde)liegt, müssen die Richtlinien von der kommunalen Ver-tretungskörperschaft (Gemeinderat) beschlossen wordensein; andernfalls ist die auf derartige Richtlinien gestützteAblehnung einer Sondernutzungserlaubnis ermessensfeh-lerhaft100.

In der Entscheidung zu Fall 5 hat der VGH BW anerkannt, dassdie Ablehnung der von T beantragten Sondernutzungserlaubnisauf städtebauliche Erwägungen gestützt werden durfte (Schutzdes Ortsbildes). Ein konkretes Gestaltungskonzept der StadtS lag vor; dieses zielte darauf, dem Fußgängerbereich eine be-stimmte Ausstrahlungswirkung (ein spezifisches »Flair«) zu ver-leihen. Das Konzept war in Gestalt von Richtlinien vom Gemein-derat (Stadtrat) beschlossen worden; der VGH betont, dassverwaltungsinterne Richtlinien für die Steuerung des Ermessensgenügten und eine Satzung nicht erforderlich sei.

c) Ermessensreduzierung

Nach der zweiten Ermessensdirektive des § 40 (L)VwVfGmuss die behördliche Entscheidung zur Sondernutzungs-erlaubnis die gesetzlichen Grenzen des Ermessenseinhalten. Diese äußeren Ermessensgrenzen werden ins-besondere durch die Grundrechte (i. V. m. dem Übermaß-verbot) repräsentiert101. Angezeigt ist eine sorgfältige Prü-

90 VGH BW NVwZ-RR 1997, 679 (680) = VBlBW 1997, 107 (108);NVwZ-RR 2001, 159 (160); NdsOVG UPR 1992, 455; NVwZ-RR 1996, 244(245); OVG NW NWVBl 2007, 64 (65) →  Schoch JK 7/07, StrWG NRW§ 18/1.91 Zur Unterscheidung zwischen »inneren« und »äußeren« Ermes-sensgrenzen Schoch JURA 2004, 462 (466 f.).92 Die äußeren Ermessensgrenzen sind vor allem für die Ermessens-reduzierung von Bedeutung; vgl. dazu II. 2. c).93 VGH BWNVwZ-RR 1997, 677 (678); NVwZ-RR 2006, 835; NVwZ-RR2010, 164 = VBlBW 2010, 113 (114); HessVGH NVwZ 1994, 189 (190);NdsOVGNVwZ-RR 1993, 393; OVG NWNWVBl 2012, 435.94 VGH BW NVwZ-RR 1997, 679 (680) = VBlBW 1997, 107 (108);BayVGH BayVBl 2012, 147 Tz. 19; NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244 (245);OVG NW NWVBl 2007, 64 (65) →  Schoch JK 7/07, StrWG NRW § 18/1;OVG SH NVwZ 1992, 70 (71).95 BayVGH BayVBl 2012, 147 Tz. 19: immissionsschutzrechtlicheoder sicherheitsrechtliche Belange; HessVGH NVwZ 1994, 189 (190):allgemein-ordnungsbehördliche Gesichtspunkte. – OVG NW NWVBl2012, 435 (436) betont, ggf. müsse die Straßenbehörde die zuständigeOrdnungs- bzw. Polizeibehörde informieren und diese um entspre-chendeMaßnahmen bitten.96 § 11 II BerlStrG, dazu OVG Berlin GewArch 1988, 130: »pflicht-gemäßes Ermessen« umfasst jeden sachlichen Grund; ferner z. B.OVG Bln-Bbg NVwZ-RR 2012, 217 (218) →  Schoch JK 9/12, BerlStrG§ 11/1: Ablehnung einer Sondernutzungserlaubnis auch aus straßen-fernen öffentlichen Interessen wie z. B. »Klimaschutz« zulässig (amBeispiel von Heizpilzen im Vorgarten einer Gaststätte). – Zur Rechts-lage in Bremen § 18 IV 5 LStrG, zu Hamburg vgl. § 19 I 4 Nr. 3WG.

97 SauthoffÖff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 366.98 VGH BW NVwZ-RR 2000, 837 (839) = VBlBW 2000, 282 (283) → 

Schoch JK 01, StrG BW § 16/1; NVwZ-RR 2001, 159 (160); BayVGHBayVBl 2012, 147 Tz. 22; VG Braunschweig KommJur 2009, 299 (301 f.);VG Karlsruhe GewArch 2005, 39 (41 f.).99 VGH BW NVwZ-RR 2000, 837 (839) = VBlBW 2000, 282 (283);BayVGH BayVBl 2012, 147 Tz. 25; VG Braunschweig KommJur 2009,299 (302).100 VGH BW VBlBW 1987, 344 (346); NVwZ-RR 1997, 677 (678);NdsOVG DVBl 2013, 454 (455).101 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 373 ff.; Stahlhut in: Kodal(Fn. 14) Kap. 27 Rdn. 51 ff.

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fung des Einzelfalles. Die Figur des »intendierten Ermes-sens«102 findet keine Anwendung; die Behörde muss imkonkreten Fall »die für und gegen eine Sondernutzungs-erlaubnis sprechenden Gesichtspunkte prüfen, gewichtenund abwägen«103. Überwiegen die rechtlich geschütztenInteressen des Antragstellers derart, dass nur die Erteilungder Erlaubnis rechtmäßig ist, liegt ein Fall der »Ermessens-reduzierung auf Null« vor, und es besteht ein Anspruchauf die beantragte Sondernutzungserlaubnis104.

Als wichtigste Ermessensdirektive fungieren die Frei-heitsgrundrechte. Ist der beabsichtigte Straßengebrauchals Grundrechtsausübung zu werten, muss die zuständigeBehörde bei ihrer Ermessensentscheidung über die Erlaub-nis der Sondernutzung die Bedeutung des einschlägigenGrundrechts berücksichtigen105. Nach den Vorgaben desBVerfG106 ist die Erlaubnis zu erteilen, wenn die beabsich-tigte Straßenbenutzung weder Rechte der Verkehrsteilneh-mer (Art. 2 I, 3 I GG) noch das Recht der Anlieger aufAnliegergebrauch (Art. 14 I GG i. V. m. der Anliegerschutz-vorschrift des Straßengesetzes) beeinträchtigt107. Bestehthingegen eine Kollisionslage, muss die Behörde einenAusgleich zwischen den konfligierenden Grundrechtsposi-tionen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz(z. B. durch die Verhängung von Auflagen) anstreben108.Gelingt dies nicht, kann die Behörde den Antrag ablehnen;sie kann insbesondere der Sicherheit und Leichtigkeit desVerkehrs Vorrang einräumen gegenüber der Grundrechts-ausübung109. Das gilt insbesondere, wenn die Versagungder Sondernutzungserlaubnis nur zu einer geringen Ein-buße an grundrechtlicher Freiheitsbetätigung beim An-tragsteller führt.

Die Ermessensausübung kann auch durch den all-gemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) gesteuert werden.Danach ist eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbe-handlung wesentlich gleicher Sachverhalte rechtswidrig.

Das gilt z. B. bei der Zulassung von Plakatwerbung im in-nerörtlichen Bereich; die zuständige Behörde kann denAntrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis nichteinfachmit Hinweis darauf ablehnen,mit einemDritten seiein Werbenutzungsvertrag geschlossen worden110. Richt-linien für die Verteilung von Standplätzen auf einem nichtnach § 69 GewO festgesetzten Markt dürfen für die Sonder-nutzungserlaubnis keine marktähnlichen Kriterien (»be-kannt und bewährt«) vorgeben; eine gleiche Zulassung-schance ist nur bei einem neutralen Verfahren gegeben111.Dagegen liegt kein Verstoß gegen Art. 3 I GG, wenn Richt-linien nur den Bereich der historischen Altstadt schützen(Fall 5) und »Vergleichsfälle« für die Erlaubnis zur Sonder-nutzung in anderen Stadtteilen angesiedelt sind112. Alssachlich gerechtfertigt wurde die Ablehnung einer Sonder-nutzungserlaubnis für die Aufstellung von Alttextilcontai-nern im öffentlichen Verkehrsraum mit Hinweis darauf er-achtet, die Gemeinde wolle die Entsorgung »aus einerHand« sicherstellen, nachdem eine Drittfirma (abfallrecht-lich)mit derWertstoffsammlungbeauftragtwordenwar113.

Befinden sich politische Parteien imWahlkampf undbeantragen sie die Erlaubnis zur Sondernutzung des öf-fentlichen Verkehrsraums für eine angemessene Wahl-sichtwerbung, ist das behördliche Ermessen durch die Ein-wirkung des Art. 21 I GG in der Regel auf Null reduziert114.Der Umfang der politischen Werbung bestimmt sich nachdem Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit (§ 5 IParteiG); kleinen Parteien ist zur Wahrung der Chancen-gleichheit eine überproportional zugemessene Zahl vonStellflächen für die Aufstellung von Werbetafeln zuzuer-kennen115. Die Ermessensreduzierung bezieht sich nur aufdie »angemessene« Wahlsichtwerbung; insoweit sind dieUmstände des Einzelfalles zu analysieren. Das Aufstellengroßflächiger (»überdimensionierter«) Wahlwerbetafelndarf abgelehnt werden116. Wird die Wahlsichtwerbung au-ßerhalb der Wahlkampfschlussphase (sechs Wochen vorder Wahl) angestrebt, gelten die üblichen Ermessensdirek-

102 Dazu Schoch JURA 2010, 358 ff.103 So BayVGH NVwZ-RR 2010, 830 (832) →  Schoch JK 5/11,BayStrWGArt. 18/5.104 Überholt ist die Auffassung, eine Ermessensreduzierung auf Nullkomme nur ausnahmsweise in Betracht, so noch OVG NW NVwZ1988, 269 (270).105 BVerwGE 56, 63 (68); NdsOVG NVwZ-RR 1993, 393 (394); NVwZ-RR 1996, 244 (245).106 BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 (1307) = AfP 2007, 437 (439) → 

Schoch JK 3/08, GG Art. 5 I 2/32.107 BayVGH NVwZ-RR 2000, 726 = BayVBl 2000, 408 = AfP 2000,210 →  Schoch JK 9/00, BayStrWG Art. 18/2 (am Beispiel des Art. 5 I 2GG); ferner BayVGHNVwZ-RR 2002, 782.108 BVerwGE 84, 71 (78) = NJW 1990, 2011 (2012).109 VGH BW NVwZ-RR 1994, 370 = DÖV 1994, 568 = VBlBW 1994,199; NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244 (247), bestätigt durch BVerwG NJW1997, 408; OVG LSA LKV 2002, 335 (336).

110 NdsOVGNVwZ-RR 1993, 393 (395).111 VGH BW NVwZ-RR 2001, 159 (160 f.); dazu Bespr. MeßmerJuS 2002, 755; ferner FallbearbeitungMückl JURA 2002, 627.112 VGH BW NVwZ 2000, 837 (840) = VBlBW 2000, 282 (285) → 

Schoch JK 01, StrG BW § 16/1; SauthoffÖff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 382.113 VG Braunschweig KommJur 2009, 299 (304).114 VGH BW VBlBW 1987, 310 (311); OVG SH NVwZ 1992, 70; VGGießen NVwZ-RR 2001, 417 (418); VG München BayVBl 2007, 732(734); Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 375; Stahlhut in: Kodal(Fn. 14) Kap. 27 Rdn. 58.115 VG Gießen NVwZ-RR 2001, 417 (418); VG München BayVBl 2007,417 (418).116 OVG SL LKRZ 2009, 313 (314): Verkehrssicherheit, Wahrung desStadtbildes.

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tiven; die Ablehnung des Antrags auf Sondernutzung kannermessensfehlerfrei sein117.

3. Erteilung der Sondernutzungserlaubnis

Wird die Erlaubnis antragsgemäß erteilt, ist die Sondernut-zung der Straße behördlich gestattet. Die Sondernutzungs-erlaubnis darf allerdings nur auf Zeit oder auf Widerrufergehen118. Dadurch wird das öffentliche Interesse darangewahrt, dass der Gemeingebrauch und die Sicherheit undLeichtigkeit des Verkehrs nicht durch den dauerhaftenBestand straßenfremder Nutzungen beeinträchtigt wer-den119. Die Sondernutzung kann auchmit einerBedingungerlassen oder mit einer Auflage verbunden werden120. So-fern das Landesstraßenrecht diese Nebenbestimmungennicht ausdrücklich nennt, ergibt sich ihre Zulässigkeit un-ter Rückgriff auf § 36 II Nr. 2 bzw. Nr. 4 LVwVfG121.

Ebenso wie die Sondernutzungserlaubnis selbst müs-sen Bedingung und Auflage einen sachlichen Bezug zurStraße haben122. Andere Erwägungen sind ermessensfeh-lerhaft. Das gilt etwa für die Verfolgung allgemeiner ord-nungsrechtlicher Zwecke123 oder für den Einsatz einer Ne-benbestimmung zum Zwecke der Abfallvermeidung124.Auch der Widerruf einer straßenrechtlichen Sondernut-zungserlaubnis auf Grund des Widerrufsvorbehalts gemäߧ 49 II 1 Nr. 1 (L)VwVfG muss straßenrechtlichen Maßstä-ben genügen; allgemeine ordnungsrechtliche Gesichts-punkte (z. B. Verhinderung gewalttätiger Auseinanderset-zungen) rechtfertigen denWiderruf nicht125.

In Fall 6 ist die Einschränkung der Sondernutzungserlaubnis alsAuflage (§ 36 II Nr. 4 LVwVfG) zu qualifizieren. Sie weist jedochkeinen Bezug zur Straße auf. Die Auflage ist vielmehr auf Ver-braucherschutzerwägungen gestützt. Sie ist daher ermessens-fehlerhaft und stellt mithin eine rechtswidrige Einschränkungder Sondernutzung dar.

III. Sondernutzungssatzungen

Fall 7:Die Stadt S erlässt eine Sondernutzungssatzung, nach derSondernutzungen auf allenMarktplätzen und Kirchenvorplätzensowie in der X-Straße untersagt sind. Ausgenommen davon sindSondernutzungen bei genehmigten Jahrmärkten, Straßenfestenund Informationsveranstaltungen politischer Parteien. Ist dieSatzung rechtswirksam126?

Nach demStraßenrecht der Flächenländer und des Bundeskönnen die Gemeinden (z. T. auch die Landkreise) durchSatzung bestimmte Sondernutzungen (in den Ortsdurch-fahrten etc.) von der Erlaubnis befreien und die Ausübungregeln127. Nach der ersten Variante erfolgt eine Freistel-lung von der Erlaubnis; die Kommune kann anhand derjeweiligen örtlichen Situation überprüfen, ob und inner-halb welcher Grenzen in bestimmten Bereichen (z. B. Fuß-gängerzonen) bestimmte Benutzungen des öffentlichenVerkehrsraums generell als gemeinverträglich angesehenwerden können128.

Neben der Erlaubnisfreistellung kann mittels Satzungdie Ausübung von Sondernutzungen geregelt werden.Keine Befugnis besteht, die – gesetzlich vorgegebene (s. o.I. 1.) – Grenze zwischen Gemeingebrauch und Sondernut-zung zu verändern129. Folglich ist eine Umdefinition desGemeingebrauchs in eine Sondernutzung ausgeschlos-sen130. Deshalb kann z. B. der rechtlich zulässige Alkohol-genuss auf öffentlichen Straßen131 satzungsrechtlich nicht

117 OVG SH NVwZ-RR 1999, 218 (219); Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8)Rdn. 376.118 § 16 I 2 StrG BW; Art. 18 II 1 BayStrWG; § 11 IV 1 BerlStrG; § 18 II 1BbgStrG; § 18 IV 2 BremLStrG; § 19 II HbgWG; § 16 II 1 HessStrG; § 22 I2 StrWG MV; § 18 II 1 NdsStrG; § 18 II 1 StrWG NW; § 41 II 1 LStrG RP;§ 18 II 1 StrG SL; § 18 II 1 SächsStrG; § 18 II 1 StrG LSA; § 21 I 3 StrWGSH; § 18 II 1 ThürStrG; § 8 II 1 FStrG.119 BayVGHGewArch 2010, 420 Tz. 40.120 § 11 IV 2 BerlStrG; § 18 II 2 BbgStrG; § 18 IV 2 BremLStrG; § 16 II 2HessStrG; § 22 I 3 StrWGMV; § 18 II 2 NdsStrG; § 18 II 2 StrWGNW; § 41II 2 LStrG RP; § 18 II 2 StrG SL; § 18 II 2 SächsStrG; § 18 II 2 StrG LSA;§ 21 I 4 StrWG SH; § 18 II 2 ThürStrG; § 8 II 2 FStrG.121 BayVGH NVwZ-RR 2010, 830 (831) = BayVBl 2011, 176 →  SchochJK 5/11, BayStrWG Art. 18/5; BayVGH BayVBl 2011, 147 Tz. 19 (m.Bespr. Scheidler GewArch 2012, 285).122 BayVGH, Fn. 121; SauthoffÖff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 390.123 OVG NW NWVBl 2007, 64 (65) →  Schoch JK 7/07, StrWG NRW§ 18/1.124 VGH BW NVwZ-RR 1997, 679 (681) = VBlBW 1997, 107 (109);ebenso BVerwGE 104, 331 gegen BayVGH NVwZ 1994, 187 = BayVBl1994, 20.125 OVGNWNWVBl 2012, 435.

126 Fall nach ThürOVG ThürVBl 2001, 109 →  Schoch JK 10/01,ThürStrG § 18 I/1.127 § 16 VII StrG BW; Art. 22 a S. 1 BayStrWG; § 18 I 4 BbgStrG; § 24 I1 StrWG MV; § 18 I 4 NdsStrG; § 19 StrWG NW; § 42 II LStrG RP; § 19 III1 StrG SL; § 18 I 4 SächsStrG; § 50 I Nr. 1 StrG LSA; § 23 I StrWG SH;§ 18 I 4 ThürStrG; § 8 I 4 FStrG. – Bremen: § 18 IX LStrG (Ortsgesetz);Hamburg: § 19 VII WG (Verordnung).128 BVerwGE 84, 71 (77) = NJW 1990, 2011 (2012).129 BayVGHNVwZ-RR 2004, 879 (880) = BayVBl 2004, 336 (337).130 BayVGH BayVBl 2009, 661 (662); OLG Hamm NVwZ 2010, 1319(1320) →  Schoch JK 4/11, GO NW § 8/3; OLG Saarbrücken NJW 1998,251.131 Zur Zulässigkeit des Alkoholkonsums im öffentlichen RaumSchoch JURA 2012, 858 (859 ff.).

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als erlaubnispflichtige Sondernutzung qualifiziert wer-den132.

In Fall 7 hat die Stadt S ihre Satzungsbefugnis überschritten. DieErmächtigungsgrundlage erlaubt Regelungen nur zur »Befrei-ung« von der Erlaubnispflicht und zur »Ausübung« der Sonder-nutzung. S hat jedoch ein generelles Verbot von Sondernutzun-gen in Teilen des Stadtgebiets ausgesprochen und damitBestimmungen zum »Ob« der Straßenbenutzung getroffen, diedem Gesetzgeber vorbehalten sind. Die Sondernutzungssatzungist unwirksamund damit nichtig.

IV. Sondernutzungsgebühren

Fall 8: Die Scientology Church Deutschland (C) beantragte eineSondernutzungserlaubnis für Veranstaltungen ihrer »ehrenamt-lichen Geistlichen« in drei Zelten auf drei zentralen Plätzen derStadt S. C erhielt eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahme-genehmigung133 die dem Antrag von C inhaltlich Rechnung trägt.Nach Maßgabe der Sondernutzungssatzung von S i. V. m. demGebührenverzeichnis wurde gleichzeitig eine Sondernutzungs-gebühr i. H. v. 18.568,– Euro festgesetzt; für eine »Werbever-anstaltung (Promotion)« ist je angefangene 3 qm täglich eineGebühr von 61,- Euro vorgesehen. Muss C zahlen134?

Für Sondernutzungen können nach dem Straßenrecht135

Gebühren erhoben werden, wobei Gemeinden (und Land-kreise) die Gebührenerhebung durch Satzung regeln, wäh-rend der Staat/das Land mittels Rechtsverordnung ope-riert; zur Gebührenbemessung ist in den Vorschriftenbestimmt, dass Art und Ausmaß der Einwirkung auf dieStraße (und den Gemeingebrauch) sowie das wirtschaftli-che Interesse des Gebührenschuldners zu berücksichtigensind.

Die gesetzliche Ermächtigung zur Gebührenerhebungstellt eine eigenständige straßenrechtliche Grundlage dar,die das KAG verdrängt136. Die Gebühr wird für die Benut-zung der Straße erhoben (Sondernutzungsgebühr), nicht

für die Erteilung der Erlaubnis137. Maßgebend ist die tat-sächliche Inanspruchnahme des öffentlichen Verkehrs-raums in Gestalt der Sondernutzung. Deshalb wird derGebührentatbestand auch dann verwirklicht, wenn dieSondernutzung ohne die Erlaubnis ausgeübt worden ist138.Andererseits können Sondernutzungsgebühren anfallen,wenn die Gestattung der Sondernutzung auf einer straßen-verkehrsrechtlichen Erlaubnis (§ 29 StVO) oder Ausnah-megenehmigung (§ 46 StVO) beruht139; teilweise ist diesgesetzlich ausdrücklich klargestellt140.

Beim Satzungs- bzw. Verordnungserlass verfügt derNormgeber über ein gewisses Gestaltungsermessen. Erentscheidet, ob und für welche Sondernutzungstatbestän-de Gebühren erhoben werden sollen141; er legt insbeson-dere den Gebührenmaßstab fest, wobei mit Blick aufdas wirtschaftliche Interesse der Gebührenschuldner eineTypisierung (Pauschalisierung) zulässig ist142. Das gebüh-renrechtliche Äquivalenzprinzip ist für den Satzungs-bzw. Verordnungsgeber durch die beiden Eckpunkte fürdie Gebührenbemessung vorgegeben: Art und Ausmaßder Einwirkung auf die Straße, wirtschaftliches Interessedes Gebührenschuldners143. Umstritten ist, ob das öffent-liche Interesse an bestimmten Erscheinungsformen derSondernutzung (z. B. Wertstoffsammlung mittels Contai-ner) bei der Gebührenbemessung Berücksichtigung fin-den muss144.

132 OLG Hamm und OLG Saarbrücken wie Fn. 130; ferner z. B. Saut-hoffÖff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 430.133 § 46 I Nr. 8 StVO i. V. m. der straßenrechtlichen Norm nachFn. 59.134 Fall nach VGH BW VBlBW 2008, 298→  Schoch JK 1/09, StrG BW§ 19/1 und BVerwGNVwZ 2009, 185 = VBlBW 2009, 56.135 § 19 StrG BW; Art. 18 IIa BayStrWG; § 11 IX BerlStrG; § 21BbgStrG; § 18 X BremLStrG; § 19 III 1 HbgWG i. V. m. GebG; § 18HessStrG; § 28 I u. IV StrWG MV; § 21 NdsStrG; § 19 a StrWG NW; § 47LStrG RP; §§ 18 III, 19 III StrG SL; § 21 SächsStrG; § 21 i. V. m. § 50 IIbzw. § 49 I 1 Nr. 6 StrG LSA; § 26 I u. V StrWG SH; § 21 ThürStrG; § 8 IIIFStrG.136 BayVGH NVwZ-RR 2007, 223 (225); a. A. (wenig überzeugend)SächsOVGNVwZ-RR2007, 549.

137 BVerwGE 56, 63 (64, 70, 71); BayVGHNVwZ-RR 2000, 390;NVwZ-RR 2007, 223 (224); NdsOVG DVBl 2013, 456 (457); OVG NW NVwZ-RR2004, 885 (886) =DÖV 2004, 800 (801) = GewArch 2004, 350.138 BayVGH NVwZ-RR 2007, 223 (224); OVG NW NVwZ-RR 2004, 885= DÖV 2004, 800 (801) = GewArch 2004, 350; Sauthoff Öff. Straßen(Fn. 8) Rdn. 408.139 BayVGHNVwZ 1988, 624; NdsOVG DVBl 2013, 456 (458).140 Vgl. § 16 VI 3 StrG BW; § 16 VII 3 HessStrG; § 22 VII 3 StrWG MV;§ 41 VII 3 LStrG RP; § 19 S. 3 StrG LSA; § 21 VI 3 StrWG SH; § 8 I 3FStrG.141 Typische Beispiele betreffen Anlagen im öffentlichen Verkehrs-raum; Beispiele: VGH BW VBlBW 1988, 140: Leuchtwerbeanlage;BVerwGE 80, 36 = NVwZ 1989, 456 →  Erichsen JK 90, FStrG § 8 III/1:mobiler Verkaufswagen; BVerwG NVwZ 1989, 557 = DVBl 1999, 415:Kaugummiautomat; BayVGH NVwZ-RR 1999, 337: Vordach, das inden Gehsteig hineinragt; OVG Bln-Bbg NVwZ-RR 2011, 587: öffentlicheTelefonstelle.142 VGH BW VBlBW 2008, 298 (299) →  Schoch JK 1/09, StrG BW§ 19/1; NdsOVG NVwZ-RR 1998, 728 (729); OVG NW NVwZ-RR 2004,885 (886) = DÖV 2004, 800 (801) = GewArch 2004, 350.143 Näher dazu SauthoffÖff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 410.144 Verneinend NdsOVG NVwZ-RR 1998, 728 (734 f.): kein Anhalts-punkt im StrG; bejahend BayVGH NVwZ-RR 2000, 390: Teil des Äqui-valenzprinzips; ähnlich SauthoffÖff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 410.

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In der Entscheidung zu Fall 8 hat der VGH BW betont, das Maßder Einwirkung auf die Verkehrsfläche werde ordnungsgemäßdadurch berücksichtigt, dass die beanspruchte Fläche je Zeitein-heit in Rechnung gestellt werde. Zum wirtschaftlichen Interessevon C hat der VGH herausgestellt, dass eine »Werbeveranstal-tung (Promotion)« betrieben werde und es daher um »Verkaufs-förderung« gehe, so dass der Gebührensatz von 61,- Euro ge-rechtfertigt sei. Das BVerwG hat darauf hingewiesen, demÄquivalenzprinzip lasse sich kein bestimmter Gebührenhöchst-satz für Sondernutzungen entnehmen. Cmuss demnach zahlen.

V. Behördliches Vorgehen gegenunerlaubte Sondernutzung

Fall 9: C (Scientology Church Deutschland) lässt durch Mitglie-der in der Innenstadt von S Passanten ansprechen, in Gesprächeverwickeln, zu Persönlichkeitstests einladen, Handzettel vertei-len und Bücher verkaufen. Die zuständige Straßenbehörde un-tersagt C diese Aktivitäten, weil C keine Erlaubnis habe. Der-artige gewerbliche Tätigkeiten im öffentlichen Verkehrsraumseien nicht hinnehmbar; Fußgänger sollten sich unbehelligt fort-bewegen können. C fragt nach der Rechtmäßigkeit der Untersa-gungsverfügung145.

1. Beendigung der Sondernutzung

Die Straßengesetze der Länder und des Bundes sehen fürden Fall der unerlaubten Benutzung einer Straße besonde-re behördliche Eingriffsbefugnisse vor146: Wird eine Straßeohne die erforderliche Erlaubnis benutzt (oder kommt derErlaubnisnehmer seinen Verpflichtungen nicht nach),kann die zuständige Behörde die erforderlichen Maßnah-men zur Beendigung der Benutzung (oder zur Erfüllungder Auflagen) anordnen; falls solche Anordnungen nichtoder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglichoder nicht erfolgversprechend sind, kann die Behörde denrechtswidrigen Zustand auf Kosten des Pflichtigen besei-tigen (lassen). Diese Ermächtigungsgrundlage normierteine – das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht ver-drängende – spezielle straßenrechtliche Befugnis zumhoheitlichen Einschreiten gegenüber Personen, die dieStraße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzen147.

a) Voraussetzung: unerlaubte Sondernutzung

Tatbestandlich genügt für das behördliche Einschreitendie formelle Illegalität der Straßenbenutzung, weil dasGesetz lediglich auf das Fehlen der »erforderlichen Erlaub-nis« abstellt; eine Anordnung wird indes als ermessens-fehlerhaft erachtet, wenn der Betroffene offensichtlich ei-nen Anspruch auf Erteilung der Sondernutzungserlaubnishat148. Ob eine Sondernutzungserlaubnis »erforderlich«ist, hängt davon ab, dass im konkreten Fall kein Gemein-gebrauch vorliegt. Im Zweifelsfall muss – gleichsam imWege einer inzidenten Prüfung – anhand der aufgezeigtenAbgrenzungskriterien (s. o. I. 1 u. 2) geklärt werden, ob eineSondernutzung der Straße gegeben ist.

In der Entscheidung zu Fall 9 hat der VGH BWdie Straßenbenut-zung durch C als Sondernutzung qualifiziert. Der öffentlicheVerkehrsraum werde nicht zum Zwecke des Verkehrs (Fortbewe-gung) benutzt; auch »kommunikativer Verkehr« im Rechtssinnesei nicht gegeben, weil die Straße zu gewerblichen Zweckenprimär als »Verkaufsraum« genutzt werde. Auch unter Berück-sichtigung einschlägiger Grundrechte (Art. 4 I u. II, 5 I 1 GG)werde der Gemeingebrauch an den Verkehrsflächen überschrit-ten.

b) Rechtsfolge: Maßnahmen zur Beendigung derSondernutzung

Nach der gesetzlichen Rechtsfolge der Befugnisnorm149

kann die zuständige Behörde die Beendigung der illega-len Sondernutzung der Straße anordnen. Gedeckt istdavon zunächst die behördliche Untersagung derjenigenAktivitäten, die die Sondernutzung darstellen150. Das be-trifft den Fall der aktuell noch andauernden unerlaubtenSondernutzung. Die Ermächtigung erstreckt sich aberauch auf illegale Arten von Sondernutzungen, die bereitsstattgefunden haben, deren Wiederholung jedoch zu er-warten ist151. Auch die Entfernung von Gegenständen (z. B.unerlaubt aufgestellte Wertstoffsammelbehälter) ausdem öffentlichen Verkehrsraum kann angeordnet wer-den, wenn damit die illegale Sondernutzung beendet

145 Fall nach VGH BW NVwZ-RR 2003, 238 = VBlBW 2002, 297 → 

Schoch JK 11/02, StrG BW § 16/2.146 § 16 VIII StrG BW; Art. 18 a I BayStrWG; § 14 I BerlStrG; § 20 IBbgStrG; § 17 a I HessStrG; § 25 I StrWG MV; § 22 NdsStrG; § 22 StrWGNW; § 41 VIII LStrG RP; § 18 VIII StrG SL; § 20 I SächsStrG; § 20 I 1 u. 3StrG LSA; § 21 VII StrWG SH; § 20 I ThürStrG; § 8 VIIa FStrG. – ZuBremen vgl. § 21 LStrG; zu Hamburg vgl. § 19 VII 2 WG.147 NdsOVGNVwZ-RR 1996, 247 (248).

148 VGH BW VBlBW 2006, 239; OVG NW NVwZ-RR 1997, 384 =NWVBl 1997, 269; Stuchlik GewArch 2004, 143 (150); v. Danwitz in:BesVwR (Fn. 8) 7. Kap. Rn. 63; SauthoffÖff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 443.149 Vgl. Nachw. o. Fn. 146: jeweils Satz 1 der entsprechenden Be-stimmung.150 VGH BW NVwZ 1998, 91; NVwZ-RR 2003, 238 (239) = VBlBW2002, 297 (298)→  Schoch JK 11/02, StrG BW § 16/2; NdsOVG NVwZ-RR1996, 247, bestätigt durch BVerwG NJW 1997, 406; Sauthoff Öff. Stra-ßen (Fn. 8) Rdn. 443.151 VGH BWNVwZ-RR 2002, 740 (741); VBlBW 2006, 239.

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wird152. Die die behördliche Anordnungsbefugnis ergän-zende Ermächtigung zur unmittelbaren Ausführung ei-ner Maßnahme153 – Beseitigung des rechtswidrigen Zu-stands auf Kosten des Pflichtigen – hat in der Praxis z. B.dazu geführt, dass aus dem öffentlichen Verkehrsraumbehördlich entfernte Container für Altkleider sicher-gestellt werden durften154.

Die Anordnung bzw. Durchführung von Maßnahmen,die die unerlaubte Sondernutzung beenden, stehen imErmessen der zuständigen Behörde. Für die fehlerfreieErmessensausübung gelten die Direktiven des § 40 (L)VwVfG. Das Verwaltungshandeln nach dem »Zweck derErmächtigung« (innere Ermessensgrenze) bereitet kaumrechtliche Probleme. Die »gesetzlichen Grenzen« des Er-messens (äußere Ermessensgrenzen) werden insbesonderedurch die Grundrechte repräsentiert. In Verbindung mitdemÜbermaßverbotmuss im konkreten Fall geprüft wer-den, ob die behördliche Anordnung (z. B. Untersagungs-verfügung) zur Verfolgung des legitimen Ziels (Be-endigung der unerlaubten Sondernutzung) geeignet,erforderlich und verhältnismäßig ist; vor allem der letzt-genannte Punkt (Angemessenheit, Zumutbarkeit für denGrundrechtsträger) kann in concreto schwierigeWertungs-fragen aufwerfen155.

In der Entscheidung zu Fall 9 hat der VGH BWbestätigt, dass dieBehörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächti-gung betätigt hat: Beendigung der Straßenbenutzung ohne dieerforderliche Erlaubnis. Zu den äußeren Ermessensgrenzen hatder VGH etwas knapp Stellung bezogen und eher funktionell-rechtlich argumentiert: Wenn der öffentliche Verkehrsraum fürgewerbliche Aktivitäten nicht zur Verfügung gestellt werde, da-mit sich die Fußgänger unbehelligt bewegen könnten, werde dasprivate Interesse von C hinter das öffentliche Interesse zurück-gestellt, was mit Blick auf den Zweck der Ermächtigung gericht-lich nicht zu beanstanden sei (§ 114 S. 1 VwGO).

2. Ahnung unerlaubter Sondernutzungdurch Bußgeld

Wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen der gesetzlichenErlaubnispflicht eine öffentliche Straße über den Gemein-gebrauch hinaus ohne Erlaubnis benutzt, begeht eineOrd-nungswidrigkeit156. Diese Ordnungswidrigkeit kann miteiner Geldbuße geahndet werden. Ob der Ordnungswidrig-keitentatbestand erfüllt ist, muss im Streitfall das zustän-dige Gericht157 dadurch klären, dass es ermittelt, ob dasvon der zuständigen Verwaltungsbehörde158 beanstandeteVerhalten tatsächlich als Sondernutzung (und nicht etwaals Gemeingebrauch) zu qualifizieren ist159. Auch insoweitgelten die eingangs dargestellten Abgrenzungskriterien(s. o. I. 1. u. 2.).

Liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, kann diese miteiner Geldbuße geahndet werden. Die Ahndung erfolgtdurch Bußgeldbescheid (§ 65 OWiG). Zur Höhe der Geldbu-ße (vgl. allg. § 17 OWiG) enthält das Straßenrecht spezielleRegelungen. Auffällig ist, dass der Bußgeldrahmen zwi-schen den Landesgesetzen erheblich variiert; er reicht vonhöchstens 500,- Euro bis zu höchstens 50.000,- Euro160.Für die Zumessung der Geldbuße im konkreten Fall sinddie gesetzlichen Direktiven (§ 17 III u. IV OWiG) zu beach-ten.

152 OVG Bremen NVwZ-RR 1997, 385; OVG NWNVwZ-RR 1997, 384 =NWVBl 1997, 269; zur Entfernung eines mobilen Werbeträgers VGHBWVBlBW 2006, 239.153 Näher dazu SauthoffÖff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 444.154 OVG NW NVwZ-RR 2000, 429 (430) = NWVBl 2000, 216 (218) → 

Ehlers JK 11/00, StrWGNRW § 22/1.155 NdsOVG NVwZ-RR 1996, 247 (248 f.): keine gravierende Beein-trächtigung der Grundrechte von Scientology (Art. 4 I u. II, 5 I 1 GG)durch Untersagung der illegalen Sondernutzung.

156 § 54 I Nr. 1 StrG BW; Art. 66 Nr. 2 BayStrWG; § 28 I Nr. 2 BerlStrG;§ 47 I Nr. 2 BbgStrG; § 48 I Nr. 1 BremLStrG; § 72 I Nr. 2 HbgWG; § 51 INr. 3 HessStrG; § 61 I Nr. 1 StrWG MV; § 61 I Nr. 1 NdsStrG; § 59 I Nr. 1StrWG NW; § 53 I Nr. 5 LStrG RP; § 61 I Nr. 1 StrG SL; § 52 I Nr. 3SächsStrG; § 48 I Nr. 3 StrG LSA; § 56 I Nr. 1 StrWG SH; § 50 I Nr. 4ThürStrG; § 23 I Nr. 1 FStrG.157 AmtsG, § 68 OWiG; auf Grund der Rechtsbeschwerde OLG, vgl.dazu § 80 a OWiG.158 §§ 35, 36 I Nr. 1 OWiG i. V. m. dem jeweiligen Landesrecht.159 Vgl. etwa BayObLG NVwZ 1998, 104: Straßenwerbung von Scien-tology als Sondernutzung; BayObLGDÖV 2002, 829: Verteilung politi-scher Schriften an Autofahrer, die vor einer Ampel mit »Rot« halten,als Sondernutzung; OLG Düsseldorf NVwZ 1991, 206: für Werbezwe-cke eingesetzter Lkw als Sondernutzung; OLG HammNVwZ 1991, 205:Anbringen von Plakatträgern mit gewerblicher Werbung als Sonder-nutzung.160 § 54 II StrG BW; § 28 II BerlStrG; § 47 II BbgStrG; § 72 II HbgWG;§ 61 II StrWG MV; § 59 II StrWG NW; § 53 II LStrG RP; § 61 II StrG SL;§ 52 II SächsStrG; § 48 II StrG LSA; § 56 II StrWG SH; § 50 II ThürStrG;§ 23 II FStrG.

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