Programm-Magazin Atmosphères

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Programm-Magazin Nr. 5 Saison 14/15 Atmosphères MITTWOCH, 4. FEBRUAR 2015

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Programm-Magazin Nr. 5 Saison 14/15

AtmosphèresMittwoch, 4. FEbruar 2015

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W er fürchtet sich nicht vor einer Sackgas-se? Eine gewaltige Wand aus Klängen erwartet den Konzertbesucher, wenn er

György Ligetis Orchesterwerk Atmosphères zum ers-ten Mal hört. 87 Einzelstimmen umfasst die Partitur. Unser Ohr hat scheinbar keine Chance einen Weg zu finden: kein Metrum, kein Rhythmus, keine Motive oder hörbare Strukturen. Alles flirrt und rauscht in diesem unendlichen Klangdickicht. Und doch – je mehr man sich auf diesen Zustand der Strukturlosig-keit einlässt, desto faszinierender wird das Klanger-lebnis. Ligeti schrieb im Zusammenhang mit seinen Atmosphères: «Manchmal zeigen uns gerade Sackgas-sen unversehens eine verdeckte Öffnung, die ins Freie führt.» Vielleicht war es ja das, was den Filme-macher Stanley Kubrick inspiriert hat, diese Musik in seinem Film über das unendliche Universum 2001 – A Space Odyssey zu verwenden.

Für Dmitri Schostakowitsch war der unerwartete Tod Stalins ein Wendepunkt. Nach fast zehnjährigem Komponieren für die Schublade muss die Arbeit an seiner 10. Sinfonie geradezu ein Akt der Befreiung gewesen sein.

Wir freuen uns sehr, dass der junge, aus Freiburg im Breisgau stammende Dirigent David Afkham zum ersten Mal unser Orchester dirigieren wird.

Dr. Hans-Georg HofmannKünstlerische Planung, Dramaturgie und Vermittlung

Sinfoniekonzert ‹Atmosphères›

3Programm

4Interview mit

Francesco Piemontesi

8David Afkham

10György Ligeti:

Atmosphères für grosses Orchester

14György Ligeti über

Atmosphères

17Ludwig van Beethoven:

Klavierkonzert Nr. 3

21Dmitri Schostakowitsch:

Sinfonie Nr.10

Intermezzo

24Vorlaut – Eine Serie

von Alain Claude Sulzer

26Casino-Geschichte(n), Teil 5

28Phoebe Lin und Katarzyna Nawrotek

im Gespräch

Vorschau

31Cube Session #10

31mini.musik: Beim Förster

32Agenda

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Sinfoniekonzert SOBAtmosphères

Mittwoch, 4. FEbruar 2015

19.30 Uhr, Musiksaal des Stadtcasinos Basel18.45 Uhr: Einführung durch Annelis Berger

György Ligeti (1923–2006)Atmosphères für grosses Orchester (1961)

Ludwig van Beethoven (1770–1827)Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37 (1803 /04)

1. Allegro con brio2. Largo

3. Rondo. Allegro – Presto

Pause

Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)Sinfonie Nr. 10 e-Moll, op. 93 (1953)

1. Moderato2. Allegro

3. Allegretto4. Andante – Allegro

Konzertende ca. 21.45 Uhr

Sinfonieorchester BaselFrancesco Piemontesi, Klavier

David Afkham, Leitung

Das Konzert wird von Radio SRF 2 Kultur aufgezeichnet.

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sik, denke darüber nach und spreche gerne, aber doch nicht zu viel über Musik.

Neben Studien bei Cécile Ousset und Arie Vardi haben Sie wichtige Impulse durch die Zusammenarbeit mit Alexis Weissenberg und Alfred Brendel erhalten. Wie kam es zur Begegnung mit Alfred Brendel?

Er hat eine Aufnahme von mir gehört und mir ge-schrieben, dass ich ihn gerne einmal in London besuchen dürfe. Ich bin dann zwei Wochen später zu ihm gereist, und seitdem treffen wir uns regel-mässig. Alfred Brendel ist übrigens jemand, der sehr gut über Musik reden und schreiben kann. Diese Freundschaft ist für mich gerade deshalb faszinierend, weil wir nicht immer derselben Meinung sind. Er hat einen klaren eigenen Stand-punkt und eröffnet mir oft ganz neue Perspekti-ven. Es ist eine grosse Hilfe, mit einer anderen Auffassung konfrontiert zu werden.

Hans-Georg Hofmann: Es gibt Künstler, die sprechen ger-ne über Musik, wie der Pianist Rudolf Buchbinder. Andere, wie Martha Argerich, bevorzugen das Schweigen. Wie ist das bei Ihnen?

Francesco  Piemontesi: Ich kann beide Stand-punkte sehr gut verstehen. Es ist einerseits wich-tig, dass Interpreten, die sich den ganzen Tag mit Musik befassen, einem breiteren Publikum ihre Gedanken zu den musikalischen Werken mittei-len. Andererseits verstehe ich Martha Argerich. Es ist extrem schwierig, über Musik zu reden, weil sie gleichzeitig so viel ausdrückt. Es passiert so vieles auf rhythmischer, harmonischer und melo-discher Ebene, und bei grossen Komponisten ist das alles mit vielen Emotionen verbunden. Es braucht vielleicht die Gabe eines Charles Rosen oder Ernst Gombrich, um über Kunst so präzise und eloquent zu reden. Vielleicht liege ich dabei irgendwo in der Mitte. Ich lese sehr viel über Mu-

Interview mit Francesco Piemontesi«Als Interpret verbringen wir  

das ganze Leben damit, die richtige Farbe und  den richtigen Anschlag zu finden»

Francesco Piemontesi über Bilder in der Musik, Literatur und den Steinway der Villa Wahnfried in Bayreuth

aufgezeichnet von Hans-Georg Hofmann

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dien und Tragödien von Shakespeare zuordnet. Ich habe vor ein paar Monaten mit Murray Perahia gesprochen. Er hat diesen starken Bezug bestätigt und mir erzählt, dass er sich für seine Interpreta-tion der Appassionata eine Version mit verschiede-nen Szenen aus Hamlet zusammengestellt hat. Man verliert am Klavier schnell den Blick für das Ganze, weil so viele Stimmen zu ordnen sind und technische Sachen erarbeitet werden müssen. Es besteht die Gefahr, dass man sich in Details ver-liert, statt Gefühle auszudrücken. Ein Bild oder eine bestimmte Geschichte, auch eine, die man sich selber ausdenkt, müsste man bei einem Kon-zert immer in sich tragen. Ich übe oft mit dem No-tentext und habe links und rechts Bilder aus Kunstbüchern, die mir helfen, den richtigen Klang zu finden.

Wie wichtig ist denn die Alte Musik für Sie?Ich habe an der Hochschule in Hannover viel Alte Musik studiert. Dabei habe ich erkannt, dass die Werke von Bach nicht gut auf dem Klavier klingen. Bach wusste genau, welches Stück er für welches Instrument geschrieben hat. Die Goldberg-Varia-tionen kann man nur am Cembalo spielen. Ich habe sie mit Masaaki Suzuki am Cembalo gehört, und das war wunderschön. Warum sollte ich Bach auf einem modernen Flügel in der Öffentlichkeit spielen? Privat spiele ich gerne Alte Musik auf dem Cembalo.

Ein anderer Aspekt der Alten Musik ist die Improvisation. Als Beethoven Ende des 18. Jahrhunderts nach Wien kam, hat man ihn in den Salons zunächst als Tastenvirtuosen gefeiert. Seine Art des Improvisierens faszinierte das Pub-likum. Die Fixierung der musikalischen Ideen auf ein No-tenblatt für eine Druckausgabe könnte man heute auch als Einschränkung verstehen. Gibt es speziell im 3. Klavierkon-zert noch Momente des Improvisierens?

Ganz sicher – aber das 3. Klavierkonzert markiert schon einen Moment, wo Beethoven die Art der Improvisation verändert. Ich habe einmal ein In-terview mit dem französischen Jazz-Pianisten Martial Solal gehört, der gesagt hat, dass es wahn-sinnig schwer sei, Improvisationen auf Papier zu bringen. Ich kann mir vorstellen, dass Beethoven

Spielen technische Fragen, wie zum Beispiel die des An-schlags, auch eine Rolle bei den Gesprächen? Der Pianist Igor Levit hat gesagt, dass der Anschlag von der Art des Sitzens abhängig sei und dass er aus der Hüfte heraus spiele. Wie ist das bei Ihnen?

Ich arbeite viel mit dem Gehör. Das Physische hat mich nie so richtig interessiert. Auch bei Alfred Brendel habe ich nicht den Eindruck, dass er ein Verfechter der Anschlagtechnik ist. Bei Krystian Zimerman sieht dagegen alles so wunderbar äs-thetisch aus. Ich habe mich immer sehr auf das Ergebnis konzentriert, auf das, was kommt. Das ist ein langer Prozess: Zuerst studiere ich die Ent-stehungsgeschichte eines Stücks, dann analysiere ich die Stimmführung und versuche herauszufin-den, wie die Harmonik und die Phrasen aufgebaut sind. So kann ein Bild entstehen, das ich dann in klangliche Impressionen verwandeln kann. Der Klang ist eine Suche, ein Prozess. Deshalb ist es auch wichtig, dass der Anschlag flexibel ist. Ich kann von Beethoven nicht eine frühe Sonate und eine späte Sonate wie op. 110 mit demselben An-schlag spielen. Das funktioniert nicht. Das sind ganz andere Bilder, die man nicht mit einem Stan-dard-Klang spielen kann. Man muss sich immer wieder anpassen.

Wie wichtig ist Ihnen der biografische Hintergrund für die Interpretation einer Komposition?

Man muss schon wissen, wer dieser Mensch war, woher er kam, mit wem er studiert hat und mit wem er befreundet gewesen ist. Im Falle von Beet-hoven finde ich es sehr interessant, dass er die Kontrapunktbücher von Johann Joseph Fux gut kannte. Oft studiere ich auch Gemälde von Kom-ponisten, da sie in der Darstellung von Emotionen sehr unmittelbar sind. Ich kann sofort bestimmte Merkmale oder Gefühle in einem Bild entdecken. Das ist viel leichter als in der Musik, wo ich lange suchen muss, um herauszufinden, worum es da eigentlich geht. Die Bilder helfen mir, Spuren zu entdecken.

Kann die Literatur auch bei dieser Suche helfen? Es gibt ein grossartiges Buch von Arnold Schering, in dem er die Sonaten von Beethoven den Komö-

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der von Rachmaninov in seiner Villa in Herten-stein bei Weggis am Vierwaldstättersee.

Im Roman des Basler Autors Alain Claude Sulzer Aus den Fugen spielt der Protagonist, ein international erfolg-reicher Pianist, in einem Konzert Beethovens Hammer-klavier-Sonate. Doch schon nach den ersten Takten hört er auf, schliesst das Klavier, verlässt den Saal und beginnt ein neues Leben. Hatten Sie schon mal so einen Gedanken?

Ja, manchmal habe ich solche Gedanken … meine Leidenschaft für die Musik wird allerdings immer da sein. Aber die Vorstellung, einmal für eine be-stimmte Zeit von der Bühne weg zu sein, weniger zu reisen, mehr in der Natur zu sein, die gefällt mir. Ich schlage einen Kompromiss vor: Ich ma-che zum Beispiel ein Sabbatical. ●

beim Fixieren des Notentexts für den Notendruck gedacht hat, dass er die Improvisationen verein-fachen muss.

Sänger sprechen bei Mozart und Beethoven immer wieder von der Schwierigkeit, die ideale Klangfarbe zu treffen. Kann man so etwas auch für die Klavierwerke sagen?

Sänger haben das grosse Glück, dass sie eine Linie und einen Text singen, die bestimmte Emotionen zum Ausdruck bringen können. So eine Brücke haben wir Instrumentalisten leider nicht. Sänger haben bestimmt keine leichte Aufgabe, aber was das Treffen einer Klangfarbe angeht, da haben sie einen Vorteil. Es gibt so viele Werke für Klavier, aber es gibt bis in das 20. Jahrhundert hinein ei-gentlich keine Beschreibungen von dem, was ge-spielt werden soll. Als Interpret verbringen wir das ganze Leben damit, die richtige Farbe, den richtigen Anschlag zu finden.

Es kommt noch eine Sache hinzu: Geiger haben ihre Stradi-vari, Cellisten ihr Guarneri, wie ist es für die Pianisten? Ständig lernen sie ein neues Instrument kennen. Wie baut man in der kurzen Vorbereitungszeit an immer wieder neuen Veranstaltungsorten eine Beziehung zu den Instru-menten auf?

Ja, das ist schon nervend. Ich habe mir immer mehr angewöhnt, mit einem eigenen Instrument zu reisen. In England, wo die Qualität der Instru-mente in den Konzertsälen schlecht ist, reise ich gerne mit einem Flügel des italienischen Klavier-bauers Fazioli, der für mich in London bereitsteht. Bei Aufnahmen habe ich immer mit eigenen In-strumenten gespielt.

Welches ist Ihr Lieblingsinstrument?Mein allerliebstes Instrument ist der Steinway der Villa Wahnfried in Bayreuth. Der ist unglaublich. Er ist ein wenig länger als die anderen Steinways aus derselben Zeit, aber er ist wie ein Orchester – die letzten beiden Oktaven oben sternenklar, und in den tiefen Oktaven spielt ein Kontrabassregis-ter mit Cellogruppe. In der Schweiz gibt es zwei wunderbare Instrumente. Eines hätte ich fast ge-kauft. Das war der Flügel von Edwin Fischer, der von Hug restauriert wurde. Der andere Flügel ist

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zählt ihnen mit seinen sprechenden Augen und sei-ner klaren Gestik, wie es in seinem Inneren klingt. Er geht mit jeder melodischen Figur körperlich mit und strahlt doch eine hoch konzentrierte Ruhe aus. Das zeigt sich gut in Videos des schwedischen Gothen-burg Symphony Orchestra, mit dem er gerne zusam-menarbeitet und unter anderem Johannes Brahms Sinfonie Nr. 2 und Alban Bergs Violinkonzert, Im Andenken eines Engels (mit Alina Pogostkina als Solis-tin), aufgeführt hat. Er lässt die Musik für sich spre-chen. Den verschiedenen Seiten und Aspekten, den unterschiedlichen Schichten einer Komposition will er musikalische Gestalt geben.

Als sein eigentliches Zuhause, die Basis seiner mu-sikalischen Arbeit, nennt Afkham das klassisch-ro-mantische Repertoire mit Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann und Brahms. Ebenso gross ist sein Interesse für das 20. Jahrhundert, für Prokofjew und Schostakowitsch oder Berg. Afkham ist ein aus-gezeichneter Schostakowitsch-Interpret. In seinem Konzert mit dem Sinfonieorchester Basel werden wir die 10. Sinfonie hören. Und wie er Alban Bergs Vio-linkonzert tief ergreifend hat sprechen lassen, macht neugierig auf seinen Zugriff auf György Ligetis traumhaftes Werk Atmosphères.

Afkham, der zur ersten Gilde der jungen Dirigen-ten gehört, stammt aus einer Familie, «in der es nur Ärzte und Musiker» gebe. Von klein auf gehörte Mu-sik zu seinem Alltag. Er studierte bereits mit fünf-zehn Jahren Klavier, Musiktheorie und Dirigieren in seiner Heimatstadt. Dass er nicht Pianist werden würde, war ihm von Anfang an klar, wie er in einem Interview erzählt. Er probierte mehrere berufliche

« Musik kommt aus der Seele», sagt der junge Dirigent David Afkham in einer Art Werbespot für die Musik. Natürlich weiss er, dass sie ge-

nauso im Kopf entsteht. So beantwortet er in einem Fernsehinterview die Frage, wie ein Dirigent übe: «Partituren studieren und nochmals studieren, er-gründen, was hinter den Noten steht.» Er versucht zum Beispiel herauszufinden, was die Tiefenschich-ten von Dmitri Schostakowitschs Musik erzählen. Oder was man bei Beethoven hinter den Noten lesen kann. Man brauche ein Leben, um das alles zu verste-hen, fügt er an.

Das was Afkham an Musik in seinem Inneren hört, soll aus dem Orchester klingen, das ist sein Be-streben. Der 31-jährige Deutsche persischer Abstam-mung, der seit dieser Saison Chefdirigent des Orquesta Nacional de España Madrid ist, will mit einem Or-chester das Beste erreichen. Das sagt Afkham nicht nur, das hört und sieht man, wenn er dirigiert. Die Arbeit mit einem Orchester bezeichnet er als ein ge-genseitiges Geben und Nehmen. Sein Ausgangspunkt ist: «Die Orchestermitglieder brennen für die Musik.» Er erklärt: «Zuerst muss man reinhören ins Orchester und das Spiel dann von innen formen», sagt er. Wenn die Energien von ihm weg- und wieder zu ihm zurück-fliessen, stelle sich der Zauber ein. Es gebe die wun-derbaren Momente, in denen man loslassen, die Mu-sik einfach entstehen lassen könne. Genauso gibt es auch Momente, sagt der Dirigent, da müsse man ein-greifen, fordern. Afkham weiss, was er will, sagt es mit ruhigen Worten und doch bestimmt.

Im Konzert ist der junge Dirigent in stetem Blick-kontakt mit den Musikerinnen und Musikern, er-

David AfkhamEin Mann voll von Musik

von Christian Fluri

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einem anspruchsvollen Programm auf Tournee ging. Als 2010 erstmals der Nestlé and Salzburg Festi-

val Young Conductors Award ausgeschrieben wurde, wählte ihn die Jury aus einer Vielzahl von Kandida-ten zum Preisträger. Dies hat ihm die Tore zu den grossen Orchestern geöffnet. Auf die Frage, was er mit dem Preisgeld mache, sagte der Mann, der so voll von Musik ist und sein Leben ganz der Musik verschrieben hat, er werde sicher viele Partituren kaufen. ●

Möglichkeiten aus, dachte auch daran, Schauspieler zu werden – bis er erkannte, dass seine Welt die Mu-sik und das Dirigieren ist.

Er schloss sein Dirigierstudium an der Hoch-schule für Musik Franz Liszt in Weimar ab. Unter anderem wurde er Stipendiat des Bernard Haitink Fund for Young Talent. Haitink wurde zu seinem Mentor. Erfolge feierte Afkham mit dem Gustav Mahler Jugendorchester, als er 2012 für den erkrank-ten Ingo Metzmacher einspringen musste und mit

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wäre denn auch die Ursache der Ursache? «Musique informelle wäre eine», schreibt Adorno, «in der das Ohr dem Material lebendig anhört, was daraus ge-worden ist.» Genauso ein Phänomen trägt sich in Li-getis Atmosphères zu. Das war sensationell, in der Tat.

Wenn man sich die Studienpartitur einmal kurz vor Augen führt: Sie sieht aus wie ein miniaturisier-ter Wolkenkratzer, schmal und hoch, den gewöhn-lichen Papierformaten nicht auch nur im Geringsten

U lrich Dibelius, ein wachsamer Begleiter der Neuen Musik seit den 50er-Jahren erinnert sich an die erste Aufführung von György

Ligetis Atmosphères: «Die Uraufführung ... bei den Do-naueschinger Musiktagen trug alle Anzeichen des Sensationellen. Denn diesem Grad von ‹Destruktion› nach zehn Jahren fleissiger Konstruktion [Dibelius meint damit alle Formen seriellen Komponierens, eines systematischen Umgangs mit Tondauern, Ton-höhen, Tonlagen, Lautstärken usw.] hatte bisher noch keiner zu verwirklichen gewagt.» Destruktion ist hier uneingeschränkt positiv gemeint: als das Öff-nen einer Tür in neue musikalische Gestaltungs- und Klangbereiche.

Zur gleichen Zeit verfasst der Philosoph, Soziolo-ge, Komponist und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno seinen Aufsatz Vers une musique informelle, in welchem er die Frage nach der Möglichkeit und Not-wendigkeit einer freien Musik stellt, die jenseits formaler, mathematischer oder traditioneller Musik-behandlung auf der Suche nach einer neuen Musik-sprache ist: zum Beispiel einer Musik, die schlüssig ist, aber nicht in einer Wenn-dann-Logik, in der man immer nachweisen kann, dass dies aus jenem folge – also einer musikalischen Logik nachspürt, die nicht durch Ursache und Folge/Wirkung bestimmt ist; was

György Ligeti: Atmosphères für grosses OrchesterSensationen in der Luft

Wie György Ligeti eine logische Tonsprache jenseits einer mathematisch-formalen Musikbehandlung findet.

von Martin Hufner

ATMOSPHÈRESBesetzung: 4 Flöten, 4 Oboen, 4 Klarinetten, 3 Fagotte, Kontrafagott, 6 Hörner, 4 Trompeten, 4 Posaunen, Tuba, Klavier, Streicher

Entstehung: Kompositionsauftrag des Südwest-rundfunks Baden-Baden, 1961

Uraufführung: 22. Oktober 1961, Donaueschingen (SWF-Sinfonieorchester, Leitung: Hans Rosbaud)

Dauer: ca. 9 Minuten

Widmung: «In memoriam Mátyás Seiber»

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György Ligeti unterrichtet in Darmstadt (1965)

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Wolken in diesem Stück, die sich gegenseitig durch-dringen. Für Cluster der Streicher nehme man viel-leicht die Farbe orange- braun, für die Blechbläser meinethalben gold und für die Holzbläser beispiels-weise weiss. Mal sieht man dieses komplette Ge-misch und dann doch immer wieder, wie sich eine goldene Wolke herausschält, wie sie bald jedoch wie-der überlagert wird und ein neues Wolkengemisch entsteht, das an- und ausdauernd verschiedenfarbig schimmert und schillert. Selten sind die Farben ein-deutig, die Wolkenformen selbst verändern sich ständig und auch die Tempi, mit denen sich die Wol-ken in- oder gegeneinander bewegen. Etwa in der Mitte des Stückes gibt es eine ganz deutliche Kont-rastbildung, wenn die Querflöten eine kleine Ton-wolke immer weiter in der Tonhöhe nach oben schrauben oder schieben, lauter und lauter werden, die dann von einer tiefen Tonwolke der Kontrabässe abgelöst wird. Gerade so wie bei einem filmischen Umschnitt von Tagessonnenlicht zu Nachtmond-licht, von direktem Licht zu indirektem Wider-scheinlicht. Das gesamte Stück wird in diesem Bild hoch differenziert in der Substanz wie zugleich intu-itiv nachverfolgbar auf der Oberfläche des Gesamt-klanges. Alles wirkt plausibel, und man fühlt keine Not, im Detail erklären zu wollen, warum die Klang-gemische sich mal hier-, mal dorthin bewegen – so, wie wenn man sich dem tatsächlichen Wolkenspiel am Himmel hingibt.

Luft, Weltraum und  Geschwindigkeit

Sensationell, überraschend, ungewöhnlich, sonder-bar: So hat dieses Stück damals gewirkt. Die Jahre um die Uraufführung waren auch ausserhalb der Musik teilweise sensationell. Der amerikanische Soziologe Daniel Bell beschrieb einmal den Übergang zwi-schen den 1950er- in die 1960er-Jahren als einen Sprung zwischen einer Zeit der Stille (Beckett und Cage) hin zu einer Zeit der Lärms. Damit meinte er sowohl die sich über weite Publikumsschichten aus-breitende Popularkunst als auch die politische Hal-tung zur Rebellion. In seinem Buch Die Zukunft der westlichen Welt. Kultur und Technologie im Widerstreit

ähnlich. Notensysteme, bis zu 87 türmen sich über-einander, jedes System repräsentiert eine Stimme im Orchester und folgt einer eigenen, durchaus komple-xen rhythmischen Struktur und Melodie.

Das Stück scheint im Detail geradezu undurch-schaubar. Anders der Effekt beim Hören: Es tritt auf wie eine grosse orchestrale Plastik. «Die Gesamtform des Stückes ist wie ein einziger weit gespannter Bo-gen zu realisieren, die einzelnen Abschnitte schmel-zen zusammen und werden dem grossen Bogen un-tergeordnet», schreibt Ligeti in seinen Bemerkungen zur Einstudierung. Dieser Bogen reicht von einem ganz nebulösen Anfangsklang bis zum «Verschwin-den im Nichts» in den Klavierklängen am Ende des Stückes. Auch das spiegelt die Partitur eigenartig iro-nisch wieder. Während auf allen Seiten der Partitur diese Systemtürme sind, ist auf der letzten ein ein-ziges System übrig, welches nicht einmal die fünf Notenlinien benutzt, sondern aus nur einer Linie besteht, ganz dünn, denn der Rest der Partiturseite ist leer.

Cluster, Farben und  Klangwolken

Ligetis Stück ist zwar keine Programmmusik, aber sie scheint bildliche Struktur zu haben. Das Orches-ter ist in lauter Einzelstimmen zerlegt, wobei deren Töne dicht an dicht (chromatisch, in Halbtonabstän-den nebeneinander) liegen. Solche Tontrauben nennt man ‹Cluster›. Diese Cluster sind bei Ligeti perma-nent in Bewegung, werden umgeschichtet, geweitet oder verengt, als ob sie durch einen Trichter durch-gepresst würden. Den schwebenden Charakter er-hält Atmosphères dadurch, dass, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, jeder Stimmeneinsatz unbe-merkt zu erfolgen hat, die Töne also gewissermassen immer aus dem Nichts kommen («unmerklich», «noch leiser als möglich» schreibt Ligeti). Vielleicht hilft beim Hören dieser Musik das folgende Bild, das Ligeti selbst in seinen Bemerkungen zur Einstudie-rung erwähnt («alle sollen zu einer zarten Klangwol-ke verschmelzen»): So mag man sich vorstellen, dass diese Cluster sich wie ein Wolkenspiel verhalten, das man aus der Ferne verfolgt. Es gibt unterschiedliche

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aus dem Jahr 1976 schreibt er: «Die 50er-Jahre, so möchte man fast sagen, waren, was die Sensibilität angeht, eine Zeit der Stille gewesen. Die Stücke von Samuel Beckett suchen ein Gefühl der Stille zu ver-mitteln, die Musik von John Cage strebte sogar eine Ästhetik der Stille an. Die 60er-Jahre hingegen waren vorwiegend eine Zeit des Lärms und der Unruhe. An-gefangen mit dem ‹neuen Sound› der Beatles [...] er-klomm die Rockmusik solch tosendes Crescendo, dass es schier unmöglich wurde, sein eigenes Den-ken zu hören, und dies mag in der Tat Absicht gewe-sen sein.» Neben die Beatles mag man auch Atmos-phères stellen, allerdings mit der genau umgekehrten Folge: Hier konnte man gerade wieder beginnen, das musikalische Denken zu hören. Darin trifft sich auf

einer dialektischen Ebene das beginnende Zusam-mengehen von sogenannter hoher und niedriger Kunst, aber auch die neue Vermischung von Kunst und Politik, die so sehr Kennzeichen der 60er-Jahre wurde. «Dies alles bedeutete ‹Demokratisierung› der Kultur, eine Demokratisierung, die nichts mehr als hoch oder niedrig durchgehen liess, ein Synkretis-mus der Stile, der alle Sinneserregungen vermischte und eine Welt der Sensibilität schuf, die allen zugäng-lich war», schreibt Daniel Bell. Ligetis Atmosphères entsteht genau in dieser Umbruchphase, und so ist es kein Zufall, dass dieses Stück später in Stanley Ku-bricks Film 2001 – A Space Odyssey Verwendung fand (übrigens ohne Wissen des Komponisten): ein Film, den Ligeti offenbar sehr schätzte. In einem Interview in die Welt aus dem Jahr 2001 sagte Ligeti: «Als ich die-se Stücke komponierte, habe ich nicht an kosmische Dinge gedacht. Atmosphères meint nur die Luft. Meine Musik – in Kubricks Auswahl – passt ideal zu diesen Weltraum- und Geschwindigkeitsfantasien.» Der neue Klang von Ligetis Atmosphères korrespondierte wunderbar mit dem neuen Klang der Welt der aufbre-chenden 60er-Jahre. ●

GYÖRGY LIGETIDer 1923 geborene österreichische Komponist rumä-nisch- ungarisch- jüdischer Herkunft begann im Alter von dreizehn Jahren Klavier zu spielen und versuchte sich schon kurz darauf an ersten sinfonischen Kom-positionen. Das von ihm angestrebte Physik- und Mathematik-Studium wurde ihm aufgrund seiner jü-dischen Herkunft verwehrt. So begann er eine musi-kalische Ausbildung am Konservatorium von Klau-senburg. 1944 wurde er zum Arbeitsdienst in die ungarische Armee einberufen. Ligeti geriet in sowje-tische Gefangenschaft, konnte aber während eines Bombenangriffs fliehen. Nach dem Krieg beendet er seine Studien und arbeitete völlig abgeschnitten von den Nachkriegsentwicklungen eine Zeit lang als Lehrer für Harmonielehre, Kontrapunkt und Musik-analyse in Budapest. Um 1956, nach dem Volksauf-stand in Ungarn, floh Ligeti mit seiner späteren Ehe-frau Vera Spitz unter dramatischen Umständen nach Wien. In Köln begegnete er zum ersten Mal den elek-tronischen Möglichkeiten und der Neuen Musik An-ton Weberns. Die neuen technischen Möglichkeiten in der Musik inspirierten Ligeti, und auch wenn er sich später auf Instrumental- und Volksmusik konzent-rierte, war er in seiner Denkweise doch durch die elektronische Musik geprägt.

Impressum

Sinfonieorchester Basel, Steinenberg 14, 4051 Basel, +41 ( 0 )61 205 00 95, [email protected], www.facebook.com/ sinfonieorchesterbasel, twitter.com/symphonybasel

Geschäftsleitung : Franziskus Theurillat Künstlerische Planung, Dramaturgie und Vermittlung : Dr. Hans-Georg Hofmann Konzeption und Redaktion Programm-Magazin : Simon Niederhauser, Simone Staehelin Korrektorat: Ulrich Hechtfischer Gestaltung : Neeser & Müller, Basel Druck : Schwabe AG, Basel/Muttenz Auflage : 6000 Exemplare

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die Klangfarbe hat eine rhythmische, genauer gesagt mikrorhythmische Komponente. Der Rhythmus wird, da er seine Funktion als selbständiges musika-lisches Element verliert, mit der Klangfarbe fast völ-lig identisch. […]

Aus allem Gesagten geht hervor, dass die formale Gliederung des gesamten Stückes keinem der tradi-tionellen Formschemata folgen kann; es muss sich vielmehr um eine ihrer Erscheinung nach einmalige Form handeln, die aus der Balance und dem Wechsel verschiedener Zustände des globalen, chromatisch geschichteten Klanggebildes entsteht. Die Reihen-folge der teils kontrastierenden, teils ineinander gleitenden klanglichen Zustände ist scheinbar zufäl-lig, allerdings nur scheinbar: Dem Formverlauf liegt eine genau festgelegte Planung zugrunde, die die zeitlichen Proportionen der einzelnen Zustände, die Proportionen von Ambitus und Lautstärke sowie die Veränderungen der Klangfarbe (in all ihren Bedeu-tungen) und der Verwebungsmuster betrifft. Obwohl diese Planung für die Konstruktion entscheidend ist, hat sie für das Hörerlebnis nur indirekt Bedeutung. Sie erfüllt ihre Funktion gleichsam unter der klang-lichen Oberfläche, indem sie die hörbare musikali-sche Form, die für die Erscheinung der Komposition einzig massgebend ist, von innen her artikuliert – eine Form, die in ihrer Veränderung Unveränder-liches widerspiegelt: in ihrer Bewegung Stillstand, in ihrer Endlichkeit Unbegrenztheit der Zeit. ●

Geschrieben 1962 (?) als Manuskript für eine Sendung des Baye rischen Rundfunks am 27. Mai 1963 [Aus György Ligeti, Gesammelte Schriften, hrsg. von M. Lichtenfeld, Bd. 2, Schott, Mainz 2007, Veröffentlichungen der Paul Sacher Stiftung, 10,2 ].

D as Orchesterstück Atmosphères entstand im Frühjahr und Frühsommer 1961 als Auf-tragswerk des Südwestfunks für die Do-

naueschinger Musiktage. […] Die kompositorische Idee, die ich in Atmosphères zu verwirklichen versuch-te, bedeutete einerseits die Überwindung des ‹struk-turellen› kompositorischen Denkens […] und stellte andererseits eine Absage an jegliche Dialektik inner-halb der musikalischen Form dar. Es gibt in einer der-art konzipierten Form keine gegensätzlichen Ele-mente und keine Wechselwirkungen mehr: Die verschiedenen Zustände des musikalischen Materials lösen einander ab oder verwandeln sich unmerklich einer in den anderen, ohne dass es zu kausalen Zu-sammenhängen innerhalb des Formverlaufs käme.

Mit der Beseitigung aller deutlichen Einzelereig-nisse und Konturen und jeder ‹Struktur› werden die beiden musikalischen Elemente, die bisher die Hauptrolle spielten, nämlich Tonhöhe und Rhyth-mus, auf eine sekundäre Ebene zurückgedrängt. […] Das Rhythmische wird dadurch ausser Kraft gesetzt, dass sich in den ‹bewegten› Stellen des Stückes zahl-reiche verschieden rhythmisierte Einzelstimmen überlagern, die so ineinander verknäuelt sind, dass man sie nicht mehr gesondert wahrnehmen kann.

Durch die Verschleierung von Harmonik und Rhythmik treten zwei andere Elemente in den Vor-dergrund, und zwar Klangfarbe und Dynamik. Vor allem was die Klangfarbe betrifft, gibt es in Atmos-phères Ansätze zur Erschliessung neuer kompositori-scher Bereiche. […] Es gibt nämlich in Atmosphères Sonoritäten, die nicht aus der hier beschriebenen Übereinanderschichtung und Mischung resultieren, sondern aus der Verwebungsart der einzelnen, in sich bewegten Instrumentalstimmen. […] Man könn-te also von einer ‹Bewegungsfarbe› sprechen, denn

György Ligeti über Atmosphères

«Das Rhythmische  wird ausser Kraft gesetzt»

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1963

György Ligeti, Atmosphères (1961), Reinschrift, S. 13

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in Moll, hallt im weitesten Sinn die Orientierung an Mozarts Klavierkonzert in c-Moll, KV 491, nach. Es gehört aber auch in die Gruppe jener höchst indivi-dualisierten c-Moll-Werke Beethovens, deren Kom-position seit etwa 1798 sprunghaft zunimmt: Streich-

D ie Gattung des Klavierkonzerts hatte Mo-zart zu einer unvergleichlichen Höhe der grossen klassischen Instrumentalmusik

geführt. Formal bedeutsam war dabei die Verbin-dung von Prinzipien des vorklassischen Konzerts – dem Wechsel von Tutti- und Soloepisoden – mit solchen der Sonatenform, d. h. der Entfaltung gegen-sätzlicher Tonartenverhältnisse sowie vielfältiger Charaktere. Für Beethoven nicht erreichbar (und da-her auch nicht erstrebenswert) war jedoch Mozarts souverän, doch stets diskret ausgespielte Welthaltig-keit: «Während Mozart festgeprägte, anthropomor-phe musikalische Gestalten wie Bühnenfiguren gegeneinanderstellt, und zwar in gewaltloser Integ-ration, die zu seinen Formgeheimnissen gehört, ent-wickelt Beethoven sein Satzgeschehen aus absichtlich einfachen Motiven, die erst im weiteren Verlauf ent-hüllen, was in ihnen an Potenzial verborgen liegt.» (Dietmar Holland, 1987)

Beethoven, der seine Karriere in Wien, wohin er Ende 1792 übersiedelt war, zunächst auch als Klavier-virtuose begründet hatte, hatte insbesondere Mo-zarts grosse Moll-Konzerte (c-Moll und d-Moll) ge-spielt, weil sie seiner energisch zusammengefassten ‹ungestümen› Natur entgegenkamen. Und in seinem 3. Klavierkonzert, zugleich seinem einzigen Konzert

Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 3«in Absicht auf Geist  

und Effekt eins der vorzüglichsten»

In einem Zeitraum von acht Jahren komponiert Ludwig van Beethoven ein Klavierkonzert, das die Gattung

neu definiert. Erstmals ist das Soloinstrument vollkommen in den orchestralen Fluss eingebettet.

von Walter-Wolfgang Sparrer

KLAVIERKONzERT NR. 3 c-MOLL, OP. 37Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Streicher

Entstehung: Erste Skizzen im Jahr 1796, Ausarbeitungen des 1. und 2. Satzes um 1799 / 1800, vorläufige Fertigstellung um 1802/03 und eine letzte Überarbeitung im Jahr 1804. Die Kadenz zum 1. Satz entstand wahrscheinlich 1809 für Erzherzog Rudolph.

Uraufführung: 5. April 1803, Wien, Beethovens Akademie im Theater an der Wien

Dauer: ca. 35 Minuten

Widmung: Prinz Louis Ferdinand von Preussen

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«Der Styl und Charakter dieses Concerts ist weit ernster und grossartiger als in beiden frühern.» Das c-Moll-Konzert ist Beethovens erstes sinfonisches Konzert, das heisst, es ist sein erstes Instrumental-konzert (wie auch das erste in der Geschichte der Musik überhaupt), in dem das Soloinstrument in den orchestralen Fluss vollkommen eingebettet ist. Auch insofern gilt es als den späteren Klavierkonzerten in G-Dur, op. 58 (1805 /06) und Es-Dur, op. 73 (1808 /09) ebenbürtiges Werk. Es steht – wie die Egmont- Ouvertüre – an der Schwelle zweier Schaffensperio-den, krönt eher die erste Wiener Phase als dass es Ausdruck der ‹mittleren› Periode Beethovens wäre, in welcher er auf sinfonischem Gebiet einen «hero-ischen Stil» (Romain Rolland) entfaltete, zu dem ei-nerseits nach aussen gekehrtes Pathos sowie ande-rerseits latente, meist chromatisch durchsetzte strukturelle Zusammenhänge gehören.

Entstehung und Widmung 

Die Entstehungsgeschichte ist verwickelt und reicht von 1796 bis 1804. «Concerto 1803» schrieb Beethoven über die erste fertige Niederschrift für die Urauffüh-rung im Theater an der Wien am 5. April 1803, wobei der Komponist den Solopart selber spielte. In diesem Autograph sind drei Arbeitsstufen in drei verschie-denen Tinten dokumentiert. Ursprünglich hatte Beethoven die Absicht, das Konzert in c-Moll in sei-nem ersten Benefizkonzert am 2. April 1800 im Hof-burgtheater aufzuführen. Aus dem Autograph wird aber deutlich, «dass für den 2. April 1800 nicht mehr als der erste Satz in ungefährer Endversion und der zweite bloss rudimentär mit einer erster Tinte zu Pa-pier gebracht wurde. Beethoven war deshalb ge-zwungen, auf sein Konzert in C-Dur zurückzugreifen, das er nun nicht mehr nach dessen erster, sondern nach der aus diesem Anlass neu geschriebenen End-version darbot.» Versuche, das c-Moll-Werk in den Jahren 1801 oder 1802 zur Aufführung zu bringen, schlugen fehl, weil die Termine für die Fastenakade-mien in der Hofburg bereits vergeben waren, doch führte ein solcher Versuch im Jahr 1802 Beethoven zur Überarbeitung des Kopfsatzes. Für die erste Auf-führung im Jahr 1803 arbeitete er dann den zweiten

trio, op. 9 Nr. 3 (1798), Klaviersonaten, op. 10 Nr. 1 (1796/98) und op. 13 (Pathétique, 1798/99), Streich-quartett, op. 18 Nr. 4 (1799), Violinsonate, op. 30 Nr. 2 (1802) bis hin zur 5. Sinfonie, deren erste Skizzen ab 1803 entstehen.

Dem dritten Klavierkonzert vorausgegangen wa-ren ein Jugendkonzert des Vierzehnjährigen in Es-Dur (WoO 4, 1784), das nur im Klavierauszug überlie-fert ist, sowie die beiden Konzerte op. 15 (C-Dur, 1795–1800) und op. 19 (B-Dur, ca. 1790–1798). Tref-fend schrieb 1846 Beethovens Schüler Carl Czerny:

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Ludwig van Beethoven (Druck nach einer Zeichnung von Johann Peter Lyser)

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schem Quintgang abwärts. Der wieder erreichte Grundton wird bestätigt durch ein zweitöniges Mo-tiv im punktierten Rhythmus: Dieses sog. ‹Pauken›- oder ‹Pochmotiv›, gelegentlich auch ‹Klopfmotiv› genannt, schliesst die Kreisbewegung der ersten Phrase wieder auf c und fungiert, wie der weitere Verlauf zeigt, als eine der formbildenden Zellen des ersten Satzes. Die Bläser wiederholen das viertaktige Modell; in kontrastierender Ableitung entwickeln die Streicher das Material des Hauptsatzes bis zur ersten Kadenz.

Die Tutti-Exposition ist mit 111 Takten die längs-te (und umfassendste) aller Orchestereinleitungen von Beethoven sowie aller Instrumentalkonzerte bis zum frühen 19. Jahrhundert. Sie bringt wiederum einen Kreislauf, ein in sich geschlossenes System, das in c-Moll beginnt und mit c-Moll endet: Auf den piano eingeführten Hauptsatz (in der Grundtonart c-Moll) folgt nach einer kurzen Überleitung eben nicht der Seitensatz, sondern zunächst eine variierte Wiederholung des Hauptsatzes (in Es-Dur und es-Moll, mit verarbeitender Dramatik). Für den Seiten-satz (Es-Dur) adaptiert und modifiziert Beethoven ein liedhaftes Thema von Franz Xaver Sterkel (1750 – 1817), das hier über c-Moll (pianissimo geflüstert) in der Pia-no-Region eines mit Pauken und Trompeten beglei-teten C-Dur aufleuchtet. Als Überleitung zur Schluss-gruppe erklingt dreimal der (um das Pochmotiv verkürzte) Hauptgedanke. Innerhalb der Schluss-gruppe – mit Tonrepetitionen piano con espressione durch die Holzbläser eingeleitet – taucht das Drei-klang- bzw. Kopfmotiv wie auch das Poch- oder Klopfmotiv erneut auf, erst fragmentarisch, dann unisono zusammengefasst im ganzen Orchester.

Nicht weniger ausgedehnt ist die Solo-Exposi-tion: eine in ihrem Ablauf geringfügig variierte, vor allem aber vom Klavier ornamentierte Wiederho-lung der Tutti-Exposition, die mit einem dreimaligen Anlauf des Solisten im fast martialischen forte ein-setzt, mit heftigem sforzato jeweils in der höheren Oktav mündend. Die variierte Wiederholung des Hauptthemas fungiert hier (zunächst mit kurzen Di-alogen zwischen Tutti und Solo) als Überleitung zum Seitensatz. Durch reiche Figurationen des Klaviers wird die (das Pochmotiv enthaltende) Schlussgruppe ungewöhnlich ausgedehnt.

Satz aus und schrieb den dritten Satz erstmals nieder («Concerto 1803»). Der Solopart war nun «zwar kon-tinuierlich und in seinem Ablauf beinahe endgültig, aber bei weitem noch nicht für beide Hände vollstän-dig notiert» (Hans-Werner Küthen im Vorwort zur Neuausgabe der Partitur, 1987.)

Am 19. Juli 1804 erfuhr das c-Moll-Konzert eine zweite Aufführung durch Beethovens Schüler Ferdi-nand Ries, der sich mit diesem Werk in Schuppan-zighs Augarten-Konzerten erstmals öffentlich prä-sentierte. Aus diesem Anlass wurde der Solopart des «Concerto 1803» in allen drei Sätzen mit einer dritten Tinte von neuem überarbeitet, wobei Beethoven den «ursprünglich mit g3 begrenzten Tonraum bis c4 er-weiterte» (Hans-Werner Küthen, 1987). Zugleich ent-stand ein separates Solostimmheft für Ferdinand Ries, der sich 1838 erinnerte: «Die Clavierstimme des C Moll Concerts hat nie vollständig in der Partitur gestanden. Beethoven hatte sie eigens für mich in einzelnen Blättern niedergeschrieben.» Die (heute verschollene) Klavierstimme von Ries fungierte dann als Stichvorlage für die Originalausgabe im Bu-reau des Arts et d’Industrie im November 1804.

Die erste Idee zu einem Konzert in c-Moll notier-te Beethoven jedoch bereits während seiner grossen Tournee im Jahr 1796, wahrscheinlich im Mai oder Juni, nach einem Hofkonzert in Berlin. Während die-ses Berlin-Aufenthalts lernte Beethoven auch den späteren Widmungsträger des c-Moll-Konzerts ken-nen, Prinz Louis Ferdinand von Preussen (1772–1806), Neffe Friedrichs des Zweiten. Wie Ferdinand Ries berichtet, machte Beethoven dem jungen Offizier «ein grosses Kompliment, als er ihm einst [damals] sagte: er spiele gar nicht königlich oder prinzlich, sondern wie ein tüchtiger Clavierspieler».

«Zum Concert aus C moll pauke  bej der Cadent»

Beethovens erste, in Berlin 1796 niedergeschriebene Notiz besteht nur aus einer einzigen – für die Konzeption des Kopfsatzes jedoch entscheidenden – Bemerkung: «Zum Concert aus C moll pauke bej der Cadent». Die erste viertaktige Phrase exponiert den aufwärts geführten c-Moll-Dreiklang samt diatoni-

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kann» (Wilhelm von Lenz, 1860). Nur zwei Tutti-Tak-te blenden in den Mittelteil, der von der extrem kon-trastierenden Tonart G-Dur aus nach E-Dur zurück-moduliert.

Der veränderten Wiederkehr des Beginns folgt eine Coda, die von «mit Mordenten heruntertröp-felnden Gruppetti» (Wilhelm von Lenz, 1860) über eine kleine Solokadenz zu einem Ausklang «wie in Schlummermotiven» (Hermann Kretzschmar) führt. «Nur hat Beethoven diesen Schlusseindruck in einem der wunderlichen Humore, die von seiner Person nicht zu trennen sind, durch einen letzten erschre-ckenden Akkordschlag im ff zerstört.» (Kretzschmar)

Lieto Finale 

Der abschliessende dritte Satz, ein Sonatensatz-Ron-do, zeigt nun erstmals gehäuft die Rundung periodi-sierter Formulierungen. Der festgefügte Gestus des Kopfsatzes, gleichsam Aufbegehren und Zurückfal-len, erscheint hier verwandelt und verflüssigt in pul-sierende Achtelbewegung mit immer wieder präsen-ten Sechzehntelgruppen.

Ungewöhnlich lang (55 Takte) ist der Refrain, der erste Themenkomplex (mit einer kleinen Solokadenz des Klaviers in der Mitte), dessen Eckteile zunächst vom Klavier vorgestellt und dann vom Orchester wiederholt werden; charakteristisch das Changieren zwischen c-Moll und C-Dur. Punktierte Bläserrhyth-men – Klopfrhythmen – künden das 1. Couplet in Es-Dur an, das im Klavier im ‹hüpfenden› lombardi-schen Rhythmus einsetzt. Ein erstes knappes Fugato leitet die Wiederkehr des Refrains ein.

Mit einem Klarinettensolo beginnt das 2. Couplet bzw. der Seitensatz in As-Dur; die Kantabilität des Klavierparts scheint Chopin fast schon vorauszuneh-men. Mit dem unmittelbar anschliessenden Fugato setzt der Refrain ein, in dem das Hauptthema durch die Tonarten geführt wird. Die Reprise bringt die Wiederkehr des 1. Couplets in c-Moll, beginnend mit den Klopfrhythmen der Bläser. Im letzten Refrain mündet das Rondothema in einen kleinen solisti-schen Auftakt zum lieto finale, dem glücklichen Aus-gang im tänzerisch-wirbelnden C-Dur-Presto. ●Mit freundlicher Genehmigung der Münchner Philharmoniker.

Ein zweites, kurzes Tutti (mit dem Pochmotiv sowie dem der Schlussgruppe) leitet über zur Durchfüh-rung, die wie die Solo-Exposition mit einem energi-schen Tonleiter-Eingang im Klavier (nun in D-Dur) beginnt. Der Hauptgedanke kehrt zunächst wie eine Scheinreprise in g-Moll wieder und wird sodann in steter Begleitung durch das Pochmotiv verarbeitet. Vom Klavier flankierte Seufzer der Holzbläser führen zur Reprise im schweren Fortissimo. Von nun an gibt es ständige Wechsel von Solo und Tutti.

Erneut eine Kreisfigur umschreibt die Kadenz, die Beethoven wahrscheinlich 1809 für den Erzher-zog Rudolph komponierte. Er verarbeitet hier den Hauptgedanken, sodann das Seitenthema, kehrt schliesslich in dramatischer Steigerung presto zum aufbegehrenden Gestus des Kopfmotivs und zuletzt zum Klopf- oder Pochmotiv zurück.

Wie Gebet und Wandlung 

Überraschend – und neu – erscheint der langsame Satz im idyllisch-erhabenen E-Dur. Den extremen Tonarten-Gegensatz begründete Christian Martin Schmidt 1994 mit der Tonartendisposition des ge-samten Konzerts, dem Grossterz-Zyklus C-E-As-C (As-Dur erklingt im 2. Couplet des Finalrondos) bzw. (bezogen auf die sekundär wesentlichen Tonarten) Es-G-H-Es. Das Largo kann als dreiteilige Liedform gelesen werden, wobei Beethoven aus zwölftaktigen bzw. je zwei zwölftaktigen Einheiten ein strophi-sches Prinzip entfaltet (A A‘ B A‘‘ plus Coda).

Der Beginn – zwölf Takte Klavier solo – wird im Allgemeinen als Reflex von Beethovens improvisato-rischem Klavierspiel und seiner Kunst der Ornamen-tierung gewürdigt. Ungewöhnlich ist hier vor allem der harmonische Gang, der über die Tonika-Parallele cis-Moll hinaus auch entfernte G- und C-Dur-Klänge einbezieht. Labyrinthische Harmonik wie seufzende Vorhaltsmelodik kennzeichnen diesen kontemplati-ven Beginn, der vielleicht als ‹preghiera›, als Gebet, verstanden werden kann.

Vergleichsweise konventionell ist das Tutti, das dem Solisten antwortet, wie auch das nächste, sehr figurative Solo in H-Dur mit «Melismen […], in denen man etwas vom italiänischen Melodiestyl finden

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daktionseigener Artikel gedruckt. Das heisst, er ver-kündete die Meinung der Partei. In Wirklichkeit die Stalins, und das wog bedeutend mehr.» Mit einem Male galt Schostakowitsch als Volksfeind. Seine Werke durften nicht mehr gespielt werden, der Kom-ponist fürchtete sogar um sein Leben.

In den Jahren 1936 bis 1953 wechselten sich die Extremsituationen ab. Mit der fünften und der sieb-ten Sinfonie (1937 bzw. 1942) gelang dem Komponis-ten die Rehabilitierung, aber andere Werke gerieten

A m 5. März 1953 starben in Moskau Josef Sta-lin und Sergei Prokofjew. Der Diktator war radikal gegen jede Art von Opposition vor-

gegangen und hatte der Durchsetzung seiner Ziele Millionen von Menschen geopfert. Der Tod des Ober-befehlshabers über die sowjetischen Streitkräfte be-schäftigte die Menschen deshalb nicht nur in der Sowjetunion, der Tod des Komponisten Sergei Pro-kofjew wurde weitaus weniger beachtet.

Dass der Diktator Josef Stalin seine Macht über das politische Geschehen hinaus ausgedehnt hatte und selbst das kulturelle Leben seines Landes kon-trollierte, bekam auch der Komponist Dmitri Schos-takowitsch zu spüren. Schostakowitsch war fünf-zehn Jahre jünger als Prokofjew, und nachdem seine Oper Lady Macbeth von Mzensk 1934 in Leningrad ur-aufgeführt worden war, fand das Werk zunächst im-mer weitere Verbreitung. Das änderte sich schlagar-tig, als der Diktator 1936 eine Aufführung der Oper besuchte. Wenig später erschien der berühmt gewor-dene Prawda-Artikel ‹Chaos statt Musik›, und der Komponist erinnerte sich: «Diesen Tag werde ich nie vergessen. Er ist vielleicht der denkwürdigste in mei-nem ganzen Leben. Der Artikel auf der dritten Praw-da-Seite veränderte ein für allemal meine ganze Existenz. Er trug keine Unterschrift, war also als re-

Dmitri Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 10 e-Moll, op. 93

Eine monumentale viersätzige  Komposition

von Michael Tegethoff

SINfONIE NR. 10 E-MOLL, OP. 93Besetzung: 3 Flöten, 3 Oboen, 3 Klarinetten, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, Xylophon, Streicher

Entstehung: Juni bis Oktober 1953

Uraufführung: 17. Dezember 1953, Leningrad (Leningrader Philharmonie, Dirigent: Jewgeni Mrawinski)

Dauer: ca. 50 min

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entsprechen den Dimensionen, wie man sie von ei-ner knapp einstündigen Sinfonie erwartet.

Der eröffnende Moderato-Satz hat einen pessi-mistischen, fast tragisch zu nennenden Charakter. Der Satz steht ganz regelmässig in der Sonatenform. Die Abschnitte Exposition, Durchführung und Repri-se sind deutlich zu erkennen, denn die beiden Rah-menteile sind äusserst sparsam instrumentiert, während die Durchführung unablässig auf einen Hö-hepunkt zusteuert. Zunächst aber werden verschie-dene Themen vorgestellt: das gequält in tiefer Lage sich seinen Weg bahnende erste Thema, das von der Klarinette begonnene zweite Thema und ein viel leichter wirkendes drittes Thema, bei dem die Flöte die Führung übernimmt.

Dem sich langsam ausbreitenden Kopfsatz schliesst sich ein kurzer Allegro-Satz von beispiel-loser Brutalität und Härte an. Erst spät hat Schosta-kowitsch sich über das mit diesem Satz Gemeinte

in Misskredit oder wurden ängstlich zurückgehalten. Zuletzt gerieten Schostakowitsch und seine Familie sogar in existenzielle Not. Diese Situation änderte sich mit Stalins Tod. Dmitri Schostakowitsch begann zwei Monate später mit der Komposition seiner zehn-ten Sinfonie.

Acht Jahre hatte Dmitri Schostakowitsch die Ar-beit an einer neuen Sinfonie aufgeschoben: Die neunte Sinfonie war 1945 vorgestellt worden, doch wollte sie so gar nicht die an sie gerichteten Erwar-tungen erfüllen. Sie war knapp dimensioniert und kam mit einer reduzierten Besetzung aus, doch vor allem irritierten die ironischen Züge, wo man doch zumindest bei einer Neunten Pathos erwartet hätte. Monumentalen Charakter besassen dagegen die ach-te Sinfonie von 1943 und vor allem die Leningrader Sinfonie Nr. 7 von 1942, von denen aber lediglich die Leningrader grosse Popularität erlangte. Tatsächlich schliesst die neue Komposition wieder mehr an die siebte und achte Sinfonie an als an die knappe Neun-te. Die Zehnte ist wieder eine monumentale viersät-zige Komposition, aber sie ist persönlicher gehalten als einige Vorgängerwerke.

Dmitri Schostakowitsch begann die Beschäfti-gung mit der zehnten Sinfonie im Juni 1953. Zunächst kam der Komponist mit der Arbeit nur mühsam vor-an. Schwierigkeiten bereitete vor allem die Ausarbei-tung des Kopfsatzes, und Schostakowitsch wusste zunächst nicht, wie es mit dem Werk weitergehen sollte. Klingt der erste Satz noch lastend und suchend, so nimmt das Orchesterwerk in den weiteren Sätzen eine völlig andere Wendung. Allmählich ging dem Komponisten die Arbeit an der Sinfonie auch immer schneller von der Hand: Nach der Vollendung des Kopfsatzes am 5. August lag am 27. August bereits das Scherzo vor, die beiden folgenden Sätze wurden am 8. Oktober beziehungsweise am 25. Oktober vollendet.

Bei oberflächlicher Beschäftigung wirkt die zehn-te Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch wie eine re-gelmässige viersätzige Sinfonie. Doch die Eigentüm-lichkeiten tun sich bei näherer Betrachtung schnell auf. So erreicht der Kopfsatz fast schon die Länge der halben Sinfonie, noch dazu ist er im langsamen Tem-po gehalten. Der zweite Satz wiederum ist der kür-zeste Scherzo-Satz, den Schostakowitsch jemals ge-schrieben hat. Lediglich die beiden Schlusssätze

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Dmitri Schostakowitsch (um 1942)

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harmonie, die musikalische Leitung hatte Jewgeni Mrawinski. Bald nahmen sich auch weitere Interpre-ten der Sinfonie an. Schostakowitschs Zehnte wurde auch in Moskau gespielt und im Westen vorgestellt. Dmitri Mitropoulos, Leopold Stokowski und Eugene Ormandy machten das Werk in Amerika bekannt. Die Sinfonie erklang 1956 zur Eröffnung des War-schauer Herbstes, und Herbert von Karajan dirigierte das Werk im März 1959 in Berlin, machte 1966 eine bis heute sehr geschätzte Aufnahme und leitete 1969 bei einem Gastspiel der Berliner Philharmoniker in Moskau eine Aufführung in Anwesenheit des Kom-ponisten. ●

geäussert: «Und niemand hat bis heute erraten, wo-rum es in dieser Symphonie geht: um Stalin und die Stalin-Ära. Der zweite Satz, ein Scherzo, ist, grob ge-sagt, ein musikalisches Porträt von Stalin. Natürlich enthält dieser Satz auch noch sehr viel anderes. Aber er basiert auf diesem Porträt.» Dazu hat der Schosta-kowitsch-Biograph Krzysztof Meyer ein Zitat aus der Oper Boris Godunow erkannt: Es handelt sich um ein Thema aus dem Prolog, bei dem das Volk mit der Peit-sche zur Huldigung des neuen Zaren gezwungen wird. Jedenfalls nimmt der Sinfoniesatz immer här-tere Züge an, wobei die kleine Trommel sich un-barmherzig einmischt, immer weitere Dissonanzen hinzugefügt werden und die Lautstärke gegen Ende immer noch um weitere Grade zunimmt. Es ist ein äusserst verstörender und ungemütlicher Satz.

In die beiden Schlusssätze nimmt Dmitri Schos-takowitsch dann sein tönendes Monogramm ‹D-Es-C-H› hinein. Dieses Motiv kommt in verschiedenen Werken vor. Am bekanntesten ist das Beispiel des achten Streichquartetts, das den Opfern des Faschis-mus und des Krieges gewidmet wurde und hier wie dort einen persönlich-autobiographischen Charakter impliziert. Als weiteres Motiv mit Zitatcharakter ist der bedeutungsvolle Hornruf zu nennen, der wo-möglich ebenfalls Mussorgskys Oper Boris Godunow entlehnt ist: Ganz ähnlich tritt im letzten Akt der Oper der Mönch Pimen auf, bevor der Wahnsinn des Zaren einsetzt. Zwanghaft verzweifelter Optimismus spricht aus dem Schluss des Satzes, bei dem das ‹D-Es-C-H›-Motiv mehrfach wiederkehrt.

Schliesslich schwindet im Finale nach einer langsamen Einleitung die gedrückte Stimmung. Der Allegro-Teil vermittelt zunächst den Ausdruck gelös-ter Heiterkeit. Doch Vorsicht: Ungebrochen bleibt auch dieses Finale nicht. Anklänge aus den vorange-gangenen Sätzen tauchen erneut auf, selbst das un-gemütliche Scherzo kehrt wieder zurück. Aber auch das ‹D-Es-C-H›-Motiv wird zum Schluss zu einem bestimmenden Bestandteil. Persönlicher Ausdruck ist also wieder angestrebt, doch wieder mischen sich einige Störungen ein, ist der Charakter zuletzt nicht mehr so ungetrübt wie bei seinem gefälligen Beginn.

Die Uraufführung der zehnten Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch fand am 17. Dezember 1953 in Leningrad statt. Es spielte die Leningrader Phil-

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kann, weshalb er überhaupt auf dem Podium sass. Doch wohl nicht deshalb, um der Nachwelt wenigs-tens als Notenwender im Schatten Beethovens in Erinnerung zu bleiben?

Laut Seyfrieds Aussage – die Worte eines nicht durchweg um die Wahrheit bemühten Mannes – war das Notenpapier, auf das er seine Augen richtete, bis auf ein paar «mir rein unverständliche Hierogly-phen» nämlich leer. Viele Gelegenheiten, zu früh oder zu spät umzublättern und damit den Zorn des ertaubenden Eigenbrötlers (als der Beethoven gern dargestellt wird) auf sich zu ziehen, gab es also nicht. So dürfen wir uns diesen Umblätterer als geneigten intimen Zuhörer vorstellen, der der Verfertigung der Gedanken und Töne aus nächster Nähe beiwohnte.

Wenn er als Notenwender schon überflüssig war, hätte er sich zumindest ein paar Notizen über den Verlauf des Abends machen können, über die Über-einkünfte, die Beethoven mit den ihn begleitenden-den Musikern getroffen hatte, oder über die Art der Improvisationen, Verzierungen und Tempi. Nichts dergleichen ist aus Seyfrieds Feder von diesem Abend überliefert.

Dass Seyfried den Widmungsträger Prinz Louis Ferdinand von Preussen, der ein höchst talentierter Pianist (und Komponist) war, nicht erwähnte, ist hin-gegen verständlich. Beethoven widmete ihm sein drittes Klavierkonzert erst ein Jahr nach der Urauf-führung, zu einem Zeitpunkt also, da die Hierogly-phen die Form von Noten angenommen hatten, die nachzuspielen der ‹preussische Apoll› allerdings nicht mehr viel Zeit hatte. Er starb im Alter von 33 Jahren durch die Hand eines französischen Unter offiziers, dem die Tat allerdings so wenig gedankt wurde wie Seyfried das Umblättern. Napoleon wäre ein gefange-ner Prinz lieber gewesen, weswegen der Mörder Louis Ferdinands nicht einmal befördert wurde. ●

V on manchen Musikern despektierlich als Blattläuse bezeichnet, gibt es doch keinen, der nicht selber einer ist: Notenwender in

Zeiten der Not. Not ist immer dann am Mann, wenn ohne Unterbrechung weitergespielt werden muss, notfalls bei kurzzeitig fast halbierter Musikerzahl. Ungezählt sind die Augenblicke, in denen einer von zwei Orchestermusikern an einem Pult umblättern muss, damit zumindest der andere, der gerade spielt, weiss, wie es weiter geht. Insofern kann man von ei-nem ganzen Heer von sinfonischen Blattläusen spre-chen.

Meist aber ist damit jene im Zwielicht ver-schwimmende Gestalt im Faltenwurf des Solisten gemeint, die stets zeitverzögert nach dem Pianisten auftritt und vor ihm abgeht, indes dieser den Applaus entgegennimmt, von dem kein bisschen auf den auf-merksam gefügigen Assistenten abfärbt, dessen Da-seinsberechtigung sich im Dienen erschöpft. Selbst seine Anwesenheit scheint der Güte des gastfreund-lichen Musikers geschuldet, der – so glaubt jeder zu wissen – seine Noten zur Not auch ohne ihn in Töne umsetzen könnte, so wie sich ja auch der Schauspieler gegebenenfalls ohne Souffleur weiterzuhelfen weiss. Spielen ist schliesslich auch immer Improvisation (das Wort stammt vom italienischen ‹improvviso›, was nichts anderes als ‹unvorhergesehen› bedeutet).

Viel Unvorhergesehenes erwartete offenbar auch Beethovens Freund Ignaz Xaver von Seyfried bei der Erstaufführung des dritten Klavierkonzerts am 5. Ap-ril 1803. Seyfried, der nicht als Komponist von Opern, Messen und Sinfonien, sondern als Uraufführungs-dirigent des Fidelio (und als Fälscher von Beet hovens Studien im Generalbass) in die Musikgeschichte ein-ging, blätterte an jenem Abend zu des Meisters Lin-ken um. Doch viel zu blättern gab es nicht, wie er uns überliefert hat, weshalb man sich natürlich fragen

Vorlaut – Eine SerieVom Undank grosser Männer

von Alain Claude Sulzer

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Ignaz Seyfried (Lithographie von Josef Kriehuber, 1829)

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Das Jahr 1918 war ein ‹rotes› Jahr, nicht nur in der So-wjetunion, die im Jahr zuvor mit der Oktoberrevolu-tion einen massiven historischen Schnitt vollzogen hatte. In Deutschland rief Philipp Scheidemann die Republik aus. Ebenfalls im November brach in der Schweiz ein Generalstreik aus, der das gesamte Land erfasste und von der Armee unterdrückt wurde. An-zeichen für ein gesellschaftliches Gären gab es schon früher. Im Juni hatte eine Protestbewegung das be-schauliche Basel erschüttert. Die Sozialdemokrati-sche Partei hatte am 20. Juni 1918 auf dem Marktplatz eine Demonstration gegen die mangelhafte Lebens-mittelversorgung der Bevölkerung organisiert. Es sollen sich zwölf- bis fünfzehntausend Personen an der Kundgebung beteiligt haben.

Den gemässigten Reden sozialdemokratischer Funktionäre folgten die Aktivitäten einer «Rotte jun-ger Leute», wie das Basler Stadtbuch von 1919 sie nennt. Die Basler Nachrichten vom 21. Juni 1918 berich-teten ausführlich, wie die «Jungburschen» den Trambetrieb lahmlegten, die Führung der Demon-stration an sich rissen und «unter Absingung eines Kampfliedes» zum Stadtcasino zogen. Dort kam es zum «Sturm auf die Terrasse» des Casino-Restau-rants. Die Demonstranten forderten die Gäste des Glaspavillons zum Gehen auf. Als niemand dieser Forderung nachkam, begann die Zerstörung des Mo-biliars. «In wenigen Minuten», berichtet der Lokal-journalist, «war das Innere der Terrasse ein wirrer Trümmerhaufen». Fensterscheiben, Gläser und Ge-schirr gingen zu Bruch. Der Protestzug zog weiter ins St. Albanquartier, wo sich die Wohnhäuser wohlha-bender Basler befanden. Die Polizei schaute hilflos zu, bis sie kurz vor Mitternacht einige der Demonstran-ten verhaftete.

«Nun hat auch Basel seine Revolution», hiess es am Tag darauf in den Basler Nachrichten. Die Zeitung

Z ürich hatte die Opernhaus-Krawalle, und Ba-sel hatte den Casino-Krawall. Diese beiden Ereignisse liegen zwar 62 Jahre auseinander,

aber man darf den Vergleich trotzdem ziehen. Denn 1918 ereignete sich in Basel etwas Ähnliches wie in Zürich 1980 – der Kampf der Strasse gegen das Kul-turbürgertum und seine Symbolorte. Im Zentrum stand das Stadtcasino Basel als Treffpunkt des eta-blierten Bürgertums. Hier ging man vornehm spei-sen, hier trafen sich die Burckhardts und Staehelins, die Vischers und VonderMühlls, die Paravicinis und Koechlins. Dass zwischen den Architekten aus der Familie Stehlin und den Vorständen der Casino-Ge-sellschaft enge Verflechtungen bestanden, war völlig normal.

Casino-Geschichte(n), Teil 5Wie Joggi Herzog das Casino stürmte

von Sigfried Schibli

Jakob Joggi Herzog (Fotografie von Edy Meyer, 1922)

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Joggi Herzog auf einen Sockel, zog seine Uhr aus der Tasche und verkündete laut: ‹Wir geben den Spie-ssern drei Minuten Zeit, das Lokal zu räumen, dann wird es gestürmt.›» Die Restaurantgäste flohen ins Innere des Lokals. «Wildes Handgemenge entstand, Stühle und Tische zerkrachten, der grosse Kron-leuchter an der Decke wurde mit allen erreichbaren Gegenständen bombardiert, bis er klirrend zu Boden sauste.» Als einziger der Rädelsführer wurde Joggi Herzog zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Das Musikleben im Stadtcasino wurde von diesen Vorfällen nicht tangiert – schon deshalb, weil zwi-schen Ende Mai und Mitte Oktober eine lange Kon-zertpause klaffte. Das Basler Streichquartett hatte die Saison 1917/18 der Allgemeinen Musikgesellschaft mit einem Zyklus beendet, der an sechs Abenden sämtliche Streichquartette von Beethoven zu Gehör brachte. Das Konzertjahr 1918/19 begann mit Kam-mermusik von Schubert und wurde mit einem Or-chesterkonzert mit Werken von Schubert, Grieg, Jaques-Dalcroze, Franck und Berlioz eröffnet. Der Pul-verdampf der Arbeiterunruhen hatte sich verzogen. ●

verurteilte diese Vorkommnisse scharf und forderte die Behörden auf, «mit allen Mitteln für Aufrecht-erhaltung von Ruhe und Ordnung und für ausgiebi-gen Schutz des Privateigentums zu sorgen». Sie warf den Sozialdemokraten vor, durch «hetzerische und aufwieglerische Reden» in jungen Köpfen ein «Revo-lutionsfieber» entfacht zu haben. «Die Bewegung kam nach den Reden zum Ausbruch und wuchs den Führern über den Kopf.» Die National-Zeitung berich-tete ähnlich ausführlich, brachte aber mehr Ver-ständnis für die Anliegen der Demonstranten auf und kritisierte heftig die überforderte Basler Polizei. Verletzte gab es übrigens keine.

Paul Thalmann erinnert in seinem Buch Wo die Freiheit stirbt an den Casino-Krawall. Ein Anführer des gewaltsamen Protests hiess Mamie, ein anderer war Jakob oder Joggi Herzog, ein Schreiner aus Bero-münster, der in Zürich Bekanntschaft mit Lenin ge-schlossen hatte und 1919 erster Zentralpräsident der Kommunistischen Partei der Schweiz wurde. Thal-mann beschreibt dessen Auftritt so: «Auf dem Barfü-sserplatz schwang sich der Zürcher Jungbursche

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Ausschnitt aus den Basler Nachrichten (21. Juni 1918)

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habe viel darüber nachgedacht, und meine Eltern lies-sen mich dabei völlig frei entscheiden.

Du musstest dir dein Studium in Amerika auch selbst fi-nanzieren. Wie hast du das gemacht?

Meine Eltern haben mich in diesem Prozess sehr un-terstützt. Aber es stimmt: Ich musste zuerst für das Probespiel nach Amerika, um zu sehen, ob die Lehrer mich überhaupt unterrichten würden. Und dann habe ich mich um ein Stipendium beworben.

Im Vergleich zu meiner eigenen Ausbildung war das wirk-lich ein schwieriger Weg! Du weisst ja, wie die Schulen da-mals in Polen waren, überhaupt im Ostblock. Das frühe Fördern der Künste war glaube ich das einzig Gute an dem damaligen Regime. Im Kindergarten wurden Tests im Rhythmusklopfen und Singen veranstaltet, um die musika-lisch begabten Kinder möglichst früh zu fördern. Es gab

Katarzyna Nawrotek: Du hast mir einmal während einer Zugfahrt erzählt, wie du zur Musik gekommen bist. Du wusstest genau, was du wolltest, aber es war kein einfacher Weg für dich …

Phoebe Lin: Ja, es war schwierig. In Taiwan hat klas-sische Musik keinen hohen Stellenwert. In der Schu-le sind Punkte und Noten viel wichtiger. Und die Art und Weise, wie in den Schulen Musik unterrichtet wird, widerstrebt mir. Es geht dabei nur um Noten, nicht um Kreativität.

Du hast sehr früh mit dem Gedanken gespielt, nach Ameri-ka zu gehen. Deine Eltern haben dich, soweit ich weiss, da-rin unterstützt, aber es war deine Idee, und du warst sehr jung, als du gegangen bist.

Ja, ich war erst fünfzehn, als ich ausgewandert bin. Die – in einem negativen Sinn – wettbewerbsorien-tierte Musikausbildung in Taiwan deprimierte mich. Es war auch schwierig für meine Eltern. Sie hatten nie etwas mit Musik zu tun gehabt, und auf einmal war ich Teil dieser sehr kompetitiven Welt. Ich war nahe daran, mit dem Musikmachen aufzuhören. Ei-ner meiner Freunde und mein Lehrer empfahlen mir dann, in die USA zu gehen, wegen der besseren Mög-lichkeiten im Bereich der klassischen Musik. Ich

Phoebe Lin und Katarzyna Nawrotek im Gespräch«Du bist die Antithese eines Orchestermusikers»

Phoebe Lin, stellvertretende Solo-Cellistin, und Katarzyna Nawrotek, Stimmführerin der 2. Violinen, unterhalten sich

über ehrliche Porträts, Interior Design und Tom Waits.

aufgezeichnet von Simone Staehelin

Phoebe Lin wurde 1984 in Taiwan geboren. Ihr Studi-um hat sie hauptsächlich in den USA und dort u.a. an der Juilliard School absolviert. Seit 2012 lebt Phoebe Lin in Basel und ist stv. Solo-Cellistin beim SOB.

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Und hast du selber entschieden, Geige zu spielen?

Ja, ich habe mich schon früh für die Geige entschieden. Und wie gesagt, es war für mich ein einfacher Weg.

Du hast dich zwar für das Cello entschieden, aber du machst ja auch noch viele andere spannende Sachen: Ma-len, Zeichnen, DJing … zeig mir dein iPhone (lacht). Da findet man keine Arien aus Hoffmans Erzählungen drauf, oder?

Ja, du hast Recht. Ich habe einen Intensivkurs im DJing absolviert, weil ich wissen wollte, was die DJs an den Turntables eigentlich machen. Ich habe ge-lernt, wie die Maschinen funktionieren und wie man von einem Track zum nächsten kommt. Auf meinem iPhone habe ich ganz unterschiedliche Musik. Für mich gibt es nicht nur klassische Musik, darum mag ich unsere Cube Sessions auch so gern.

Kommissionen, die uns Fünfjährige untersucht haben, um danach Empfehlungen abzugeben. In so einer Schule hast du dann alles bekommen, gratis, von der ersten Klasse an: Mor-gens gab es normalen Unterricht und nachmittags die Mu-sikfächer. Zweimal pro Woche erhielten wir Instrumental-unterricht, und schon mit sechs Jahren haben wir Solfège und Musikgeschichte gelernt. Und das zwölf Jahre lang!

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Katarzyna Nawrotek und Phoebe Lin

Katarzyna Nawrotek wurde in Bytom (Polen) ge-boren und studierte in Katowice. 1991 ist sie mit ihrer Familie in die Schweiz ausgewandert und hat nach einer vierjährigen Kinderpause beim Sinfonieorches-ter Basel mit einer Tutti-Stelle angefangen. Sie war zwölf Jahre lang im Amati Quartett Zürich und spielt seit 2003 2. Violine Solo beim SOB.

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Ehrlich gesagt, hatte ich keine Ahnung, wo Basel überhaupt liegt, bevor ich zum Probespiel angereist bin. Ich habe zwei Jahre lang in Hamburg studiert, ein Praktikum absolviert und mich dann in Basel be-worben. Und an diesem Tag hatte ich wohl einfach Glück, und ihr habt mich ins Orchester aufgenom-men (lacht).

Es war auch für uns ein Glück! Das war so beeindruckend: Innerhalb kurzer Zeit kamen viele neue, junge Leute ins Orchester. Am Anfang dachte ich mir: Die kennen sich ja schon alle! Ihr habt sehr schnell Freundschaften geschlos-sen, und es gab auf einmal eine ganz andere Vertrautheit im Orchester. Die Atmosphäre hat sich sehr verändert. Manch-mal sehe ich meine älteren Kollegen und bin ganz begeis-tert, auf was für Sachen sie sich einlassen.

Hörst du denn auch andere Musik ausser Klassik?

Im Moment habe ich eine stille Phase und sage meinen Kin-dern, dass mein Lieblingsstück 4’33 von John Cage ist (lacht). Wir haben gerade so viel zu tun und spielen drei bis vier verschiedene Programme, da tut Ruhe gut. Die Stille ist genauso wichtig wie die Pausen in der Musik. Es ist ein Traum von mir, einmal wirklich stille, hustenfreie Pausen und Fermaten während eines Konzerts zu erleben. Wie hälst du es denn mit dem Musikhören? Du wolltest mir ja noch deine Tracklist zeigen …

Bei mir gibt es fast gar keine klassische Musik zu Hause. Manchmal, wenn ich etwas Klassisches ler-nen muss, höre ich mir zu Hause das Stück an. Aber normalerweise höre ich gerne andere Stilrichtungen. Als ich auf der Highschool war, hörte ich Justin Tim-berlake, NSync und Britney Spears. Danach kam Hip-Hop, Old School HipHop. Und elektronische Musik, auch Techno. Ich liebe Musik mit einem starken Beat, zu dem ich tanzen kann. Und auch ältere Musik.

Kennst du Tom Waits?

Ähm … (lautes Lachen)

Du kennst Tom Waits nicht? Den solltest du dir mal anhö-ren! ●

Mir gefallen die Cube Sessions auch. Vielleicht sind sie für einige Kollegen etwas gewöhnungsbedürftig. Aber sie sind eine grosse Chance, nicht nur fürs Publikum, sondern auch für uns. Es bringt uns als Orchester näher zusammen. Man muss einfach offen sein dafür. Für mich bist du, Phoebe, die Antithese eines typischen Orchestermusikers. Du übst dich als DJ, spielst wunderschöne Soli, scheust dich aber auch nicht, mal im letzten Pult zu sitzen, trägst Jeans mit Lö-chern …

Viele Leute haben Vorurteile gegenüber klassischen Musikern. Ich möchte gerne herausfinden, weshalb, und versuchen, diese zu ändern.

Genau – das eine schliesst das andere nicht aus. Du malst ja auch oft Karikaturen von den Dirigenten, sehen die die?

Bei manchen hoffe ich es nicht, bei den anderen ist es mir egal (lacht). Die Porträts, die ich zeichne, sind immer sehr ehrlich. Meistens kann man aus ihnen herauslesen, wie ich über die porträtierten Men-schen denke. Aber eigentlich freue ich mich schon, wenn die Dirigenten die Zeichnungen sehen.

Aber du, Kasia, machst ja auch noch mehr als nur Musik. Ich habe gehört, dass du diplomierte Innen-dekorateurin bist.

Ja, das stimmt. Ich habe vor Kurzem ein Fernfachhoch-schulstudium in Innenarchitektur absolviert. Ich interes-siere mich schon lange für Interior Design und wurde oft auch von Freunden um Rat gebeten. Als ich mit dem Studi-um angefangen habe, war ich bereits seit siebzehn Jahren im Orchester. Ich wollte einfach einmal etwas anderes ma-chen, etwas, das nichts mit Musik zu tun hat. Im Moment mache ich nichts in dem Bereich, habe mir jedoch den Plan für meine umgebaute Wohnung selbst gezeichnet. Aber wer weiss, was in zwanzig Jahren ist ...

Wie bist du denn überhaupt nach Basel gekommen?

Ganz profan: über meine Familie. Ich war in Basel wegen meiner Familie und bin so zum Orchester gekommen. Wie war das bei dir?

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Cube Session #10 Chasing Johann Sebastian

mini.musik Beim Förster

In den viermal jährlich stattfindenden Cube Sessions in der Kuppel Basel treffen klassische und elektroni-sche Musik aufeinander. In der Session #10 kommen Bachs Brandenburgische Konzerte Nr. 2 und Nr. 4 zur Aufführung. Die Band Amped & Wired führt Bachs Musik weiter, und es kommt zur explosiven Fusion. Das Konzert mündet in eine tanzbare Afterparty.

DonnErstag, 5. FEbruar 201521.00 Uhr, Kuppel Basel

Im zweiten mini.musik-Konzert dieser Saison su-chen Musikerinnen und Musiker des Sinfonieor-chesters Basel nach dem höchsten und mächtigsten Baum. Der Förster hegt und pflegt den Wald und führt die Kinder durchs Dickicht zu einer Lichtung, wo sie die Geheimnisse des Waldes entdecken: Musik von Mozart, Brahms, Koechlin und Ligeti, gespielt auf Flöte, Horn, Violine und Klavier. Ein Konzert für Familien mit Geschichten und Tanz. Die Kinder sind aktiv ins Konzertgeschehen eingebunden. Mit Mit-gliedern des SOB und Irena Müller-Brozovic (Kon-zept und Moderation) und Norbert Steinwarz (Cho-reografie und Tanz).

saMstag, 7. FEbruar 201516.00 Uhr, Stadtcasino, Grosser Festsaal

Ein pulsierender Mix aus Klassik und Elektronik Der Förster im Wald

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Stadtcasino, Musiksaal Eintritt frei

Stadtcasino, Musiksaal

Kuppel Basel VV: starticket.ch

Stadtcasino, Grosser Festsaal

Stadtcasino, Grosser Festsaal

Stadtcasino, Musiksaal

Palais de la Musique et des Congrès Strassburg

Stadtcasino, Musiksaal

Basler Papiermühle

Basler Papiermühle

Di 03.02.12.00–12.30

Mi 04.02.19.30

Do 05.02.21.00

sa 07.02.16.00

Do 12.02.18.15

Mi 04.03.19.30

Do 05.03.

Mi 11.03.Do 12.03.19.30

sa 14.03.17.00

so 15.03.17.00

Punkt 12: offene orchesterprobeSOB / David Afkham

sinfoniekonzert sob: atmosphèresGyörgy Ligeti: AtmosphèresLudwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37Dmitri Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 10 e-Moll, op. 93SOB / Francesco Piemontesi / David Afkham

cube session #10: chasing Johann sebastianJohann Sebastian Bach: Brandenburgische Konzerte Nr. 2 und Nr. 4 Mitglieder des SOB feat. Amped & Wired

mini.musik: beim FörsterMitglieder des SOB

cocktailkonzert: salon de cuivresBlechbläser des SOB / Robert Emery

sinfoniekonzert sob: bruckner 4Wolfgang Amadé Mozart: Sinfonie Nr. 34 C-DurAnton Bruckner: Sinfonie Nr. 4 Es-Dur, RomantischeSOB / Stanisław Skrowaczewski

Zu gast in strassburgWerke von Wolfgang Amadé Mozart und Anton BrucknerSOB / Stanisław Skrowaczewski

Viertes coop-/VolkssinfoniekonzertWerke von Wolfgang Amadé Mozart, Gioacchino Rossini und Ludwig van BeethovenSOB / Amira Elmadfa / Pietari Inkinen

schwarz auf weiss: Echoes of the Jazz ageMusik von George Gershwin, Cole Porter und Erik Satie, Aus-schnitte aus Tender is the night (englisch) von F. Scott FitzgeraldMitglieder des SOB / Christian Sutter / Marissa Blair

schwarz auf weiss: Echos des Jazz ageMusik von George Gershwin, Cole Porter und Erik Satie, Aus-schnitte aus Zärtlich ist die Nacht (deutsch) von F. Scott FitzgeraldMitglieder des SOB / Christian Sutter

Agenda

Vorverkauf ( falls nicht anders angegeben ) : Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus mit Musik Wyler, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf : www.sinfonieorchesterbasel.ch

 

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