Programm-Magazin Hoch auf dem Berg

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Programm-Magazin Nr. 3 Saison 14/15 Hoch auf dem Berg MITTWOCH, 3. DEZEMBER 2014

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Programm-Magazin Nr. 3 Saison 14/15

Hoch auf dem Berg

Mittwoch, 3. DezeMber 2014

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A uf einer Postkarte aus Thun notierte Johan-nes Brahms für Clara Schumann eine Alp-hornmelodie mit dem Text: «Hoch auf’m

Berg, tief im Thal, grüss ich dich viel tausendmal!» Nahezu unverändert taucht dieser musikalische Kar-tengruss als Hauptthema im Finalsatz seiner 1. Sinfo-nie auf. Sie steht auf dem Programm unseres 3. Abon-nementkonzerts und entstand 1876, im gleichen Jahr, als im Stadtcasino Basel der neue Musiksaal eröffnet wurde. Im Cellokonzert des polnischen Komponisten Witold Lutosławski bewegt sich der Solist auf einer gefährlichen Fall höhe. 1970, mitten im Kalten Krieg komponiert und uraufgeführt, verstand man dieses Werk als Darstellung eines Zweikampfs zwischen In-dividuum und Gesellschaft. Der Komponist und Freund Paul Sachers sah in seinem Werk allerdings keinerlei politisches Bekenntnis. Wir freuen uns auf den ungarischen Cellisten Miklós Perényi.

Zwar nicht hoch auf dem Berg, aber auf dem Ge-lände eines ehemaligen Bergwerks in Katowice wur-de vor wenigen Tagen der vielleicht schönste neue Musiksaal Europas eröffnet. Er ist die Spielstätte des renommiertesten polnischen Orchesters NOSPR (Natio nales Symphonieorchester des Polnischen Rundfunks), das sich auch eng mit Lutosławski und seinem Werk verbunden fühlt. Chefdirigent dieses Orchesters ist seit 2012 Alexander Liebreich. Er wird im Dezember zum ersten Mal am Pult unseres Or-chesters stehen. Mehr darüber erfahren Sie auf den nachfolgenden Seiten.

Viel Vergnügen bei der Lektüre und im Konzert

Dr. Hans-Georg HofmannKünstlerische Planung, Dramaturgie und Vermittlung

Sinfoniekonzert ‹Hoch auf dem Berg›

3 Programm

4 Interview mit

Miklós Perényi

8 Alexander Liebreich

10 Johannes Brahms:

Sinfonie Nr. 1

14 Witold Lutosławski:

Konzert für Violoncello und Orchester

16 Randbemerkungen zu

Lutosławskis Cellokonzert

18 Beat Furrer:

strane costellazioni für grosses Orchester

Intermezzo

20 Vorlaut – Eine Serie

von Alain Claude Sulzer

22 Casino-Geschichte(n), Teil 3

24 Raphael Blechschmidt und

Franziskus Theurillat im Gespräch

Vorschau

27 Weihnachtskonzert

27 Familienkonzert: Jingle all the way

28 Agenda

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Sinfoniekonzert SOBHoch auf dem Berg

Mittwoch, 3. DezeMber 2014

19.30 Uhr, Musiksaal des Stadtcasinos Basel18.45 Uhr: Einführung durch Dr. Hans-Georg Hofmann

Beat Furrer (*1954)strane costellazioni (2013, Schweizer Erstaufführung)

Witold Lutosławski (1913–1994)Konzert für Violoncello und Orchester (1969/70)

Pause

Johannes Brahms (1833–1897)Sinfonie Nr. 1 c-Moll, op. 68 (1876)

1. Un poco sostenuto – Allegro2. Andante sostenuto

3. Un poco allegretto e grazioso4. Adagio – Più andante – Allegro non troppo, ma con brio

Konzertende ca. 21.45 Uhr

Sinfonieorchester BaselMiklós Perényi, Violoncello

Alexander Liebreich, Leitung

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mich unterrichten dürfe. Er wurde mein erster Lehrer. Mit fünf Jahren hatte ich meinen ersten Unterricht, Zsámboki kam zu uns nach Hause. Ich begann auf einem ¼-Cello und hatte später ein schönes ½-Cello. Mit sieben Jahren wurde ich in eine Förderklasse für junge hochbegabte Schüler in Budapest aufgenommen. Mit neun gab ich mein erstes öffentliches Konzert in Budapest. Ich war ein Kind und gleichzeitig Musikstudent – das war eine grosse Herausforderung.

Hans-Georg Hofmann: Sie haben noch als Schüler Pablo Casals kennengelernt. Wie kam es dazu?

Als ich fünfzehnjährig war, gewann ich den zwei-ten Preis am Internationalen Casals-Wettbewerb in Budapest. Casals selber kam dann 1964 nach Buda pest, wo er sein berühmtes Oratorium El Pessebre einstudiert und aufgeführt hat. Pablo Ca-sals war gut mit dem Komponisten Zoltán Kodály befreundet. Auf seine Vermittlung hin durfte ich mich bei Casals vorstellen.

Konnten Sie auch Unterrichtsstunden bei Casals nehmen?Ja. Das erste Mal trafen wir uns 1965 in Zermatt. Ein Jahr später lud mich Pablo Casals zu sich nach Puerto Rico ein. Es folgte eine Einladung zu sei-nem Marlboro-Festival, wo er auch das Festivalor-chester leitete. Für mich war das ein Geschenk. Ich konnte bei diesem Festival mit bedeutenden Ensembles und Musikern zusammen musizieren.

E s muss im Herbst 1974 gewesen sein. Zum ersten Mal erlebte ich ein Orchesterkonzert. Die Ruinen des früheren Leipziger Gewand-

hauses wurden gerade abgerissen. Der Grundstein für das neue Gewandhaus war noch nicht gelegt. Die Konzerte mit dem Leipziger Gewandhausorchester fanden in einem provisorischen Saal direkt am Ein-gang zum Leipziger Zoo statt. Vielleicht ist meine Erinnerung an das Gebrüll des Leipziger Löwen (der es bis in das Stadtwappen geschafft hat) während des Konzerts eine Verklärung. Aber ohne Zweifel hat mich der ungarische Cellist Miklós Perényi, er spiel-te das Cellokonzert in D-Dur von Joseph Haydn, da-mals stark beeindruckt. Ein Jahr später hatte ich auf einem ½-Cello meine erste Unterrichtsstunde. Heute, vierzig Jahre später, gehört Miklós Perényi immer noch zu den international ganz grossen Cellisten. Nach Basel kommt er mit jenem Werk, das er auch auf seiner letztjährigen Tour mit den Berliner Philhar-monikern und Simon Rattle im Gepäck hatte: dem Cellokonzert von Witold Lutosławski. Das Autograph dieses Werks befindet sich heute in der Paul Sacher Stiftung. Doch am Beginn unseres Gesprächs steht die Frage, wie er als Kind zum Cello gekommen ist.

Miklos Perényi: Das Cello war das Lieblings-instrument meines Vaters. Zu seinen Bekannten zählte Miklós Zsámboki, ein Schüler des berühm-ten Cellisten David Popper. Noch vor meiner Ge-burt hatte ihm mein Vater versprochen, dass er

Interview mit Miklós Perényi«Lutosławskis Musik hat immer eine Logik

und ist sehr verständlich»

Der Cellist Miklós Perényi über seinen Lehrer Pablo Casals, Lutosławskis Cellokonzert und den Fall der Mauer

aufgezeichnet von Hans-Georg Hofmann

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Miklós Perényi

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Galina Wischnewska, Rostropowitschs Frau, nannte die Cello-Solostimme den «Don Quixote des 20. Jahrhunderts», weil dabei das Cello zu einer tragisch-heroischen Figur wird. Wie sehen Sie das?

Für mich ist dieses Konzert kein Kampf, sondern ein Dialog mit verschiedenen Teilen des Orches-ters. Das vierteilige Werk beginnt mit einem lan-gen Monolog des Soloinstruments. Fast fünf Mi-nuten wird mit ganz unterschiedlichem Ausdruck nach innen gesprochen. Es gibt abstrakte, plau-dernde Momente bis hin zu konzentrierten, kon-kreten Passagen. Langsam und immer deutlicher kommen Kommentare von verschiedenen Instru-menten hinzu. Es entsteht ein vielfältiges und differenziertes Gespräch. Dieser Teil ist formal ein Variationssatz mit ad-libitum-Stellen. Es geht aber vor allem auch um Klangfarben. Nur die Blech-bläser sind nicht in diesen Dialog eingebunden und beenden mit brutaler Kraft diesen Teil. Im dritten Teil, der wie eine Arie aufgebaut ist, spielt das Cello zunächst eine Kantilene. Die verschie-denen Orchestergruppen begleiten und überneh-men diesen Gesang. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn das Orchester komplett mit mir einsetzt. Der Schlussteil ist dann ein stürmisches Finale. Lutosławskis Musik hat immer eine Logik und ist sehr verständlich.

Sie selber komponieren ja auch?Ich habe einige Stücke für Cello solo und für grös-sere Kammerensembles komponiert. Wenn ich Zeit habe, kompo niere ich sehr gerne. Das Bedürf-nis zu komponieren kommt von innen.

Vor 25 Jahren, im Herbst 1989, fiel die Mauer. Wie haben Sie damals Budapest erlebt?

Ich habe schon einige Zeit vorher gespürt, dass etwas passieren wird. Im Unterschied zur DDR hatten wir in Ungarn schon früher die Möglich-keit zu reisen. Aber nicht jeder hatte das Geld dazu. Obwohl ich nicht zuletzt durch meinen Beruf in verschiedenen Ländern viel Schönes erleben durfte, hat das Zuhause für mich doch eine immer wichtigere Bedeutung. ●

Wie war er als Lehrer? War er autoritär?Nein, Casals war kein autoritärer Lehrer. Er war zu diesem Zeitpunkt fast neunzig Jahre alt. Aber er war noch voller Vitalität und hatte ganz präzise Vorstellungen, wie man Musik technisch und in-terpretatorisch zu spielen hat. Um seine Ideen zu vermitteln, nahm er immer sein Instrument in die Hand. Manchmal hat er mir ganze Sätze vorge-spielt, um seine Ansichten zu erklären. Es waren tiefgreifende Erfahrungen, die ich mit Pablo Ca-sals erleben durfte. Die gemeinsamen Stunden waren sehr prägend für mich. In Erinnerung bleibt auf jeden Fall sein kraftvolles, intensives Spiel auf dem Cello.

Nun unterrichten Sie selber seit vierzig Jahren junge Cello-studenten an der Budapester Musikakademie. Wie wichtig ist das Unterrichten für Sie?

Nach dem Erlebnis mit Pablo Casals begann ich immer selbstständiger zu werden und habe mir meine eigenen Methoden erarbeitet. Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dieses Wissen an die nächste Generation weiterzugeben. Es ist interessant, dass die Studenten früher einen individuelleren Zu-gang zum Cellospiel hatten. Die Unterschiede wa-ren viel grösser. Heute spielt sich alles auf einem sehr hohen technischen Niveau ab. Dadurch ist vieles auch einheitlicher geworden, und es ist für den Einzelnen auch viel schwieriger daraus einen Personalstil zu entwickeln.

Das Cellokonzert von Lutosławski entstand auf Wunsch des grossen russischen Cellisten Mstislaw Rostropowitsch. Die Uraufführung fand 1970 in London statt. Wann haben Sie das Konzert zum ersten Mal gespielt?

Das war 1973, mit dem Rundfunkorchester Buda-pest. Am 1. Oktober 1978, zum Tag der Musik, kam Lutosławski nach Budapest und hat das Werk mit mir als Solisten dirigiert. Er hat mich sehr beein-druckt durch seine innere Ruhe und Genauigkeit. Lutosławski war auch ein prachtvoller Dirigent. Letztes Jahr habe ich das Konzert zum 100. Ge-burtstag des Komponisten unter der Leitung von Sir Simon Rattle mit den Berliner Philharmoni-kern gespielt und mit dem Orchester des Polni-schen Rundfunks unter Alexander Liebreich.

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dem das Nationale Symphonische Orchester des Pol-nischen Rundfunks. Beide Orchester hat er in der Klang- und Spielkultur weit nach vorne gebracht, und in der Musikstadt München mit ihrem riesigen Kon-zert- und Opernangebot gewann er mit ungewohn-ten Formaten ein grosses, interessiertes Publikum.

Liebreich gehört zu der jüngeren Generation von Dirigenten, die wie selbstverständlich die Erkennt-nisse der historisch informierten Aufführungspraxis aufnehmen und sie in den Orchestern, die auf mo-dernen Instrumenten spielen, umsetzen. Schlanker, kammermusikalischer Klang, Drive, Bewegung, Dra-matik sind für ihn zentrale Elemente des orchestra-len Spiels – nicht nur im klassischen Repertoire, sondern ebenso im romantischen oder spätromanti-schen, das ein Schwerpunkt von Liebreichs künstle-rischer Arbeit ist, sowie in der Moderne und bei zeit-genössischen Werken. Sein Repertoire zieht sich vom Barock bis zur Gegenwart. Er arbeitet auch oft mit Komponisten wie Beat Furrer, Salvatore Sciarrino oder Heiner Goebbels zusammen und im Opern-bereich mit profilierten Regisseuren wie zum Bei-spiel Hans Neuenfels. So werden sich auch in seinem Konzert mit dem Sinfonierochester Basel die Gegen-wart und die Romantik begegnen: Auf den Schweizer Beat Furrer und den Polen Witold Lutosławski trifft Johannes Brahms.

Mit zum Charakter der jüngeren Dirigenten-generation gehört der dialogische Umgang mit den Orchestermusikern und -musikerinnen. Dabei weiss Liebreich selbstverständlich sehr genau, wohin die interpretatorische Reise mit einem Orchester gehen soll. Und das versteht er, dem Orchester genau mitzu-teilen.

Der im fruchtbaren musikalischen Umfeld der Stadt Regensburg mit ihrer hohen Chorkultur (man denke etwa an die Domspatzen) und dem Stadtthea-

K ein Pathos, kein weihevoller Klang, son-dern zugespitzte Dramatik, ein aufwüh-lendes, in den Farben geschichtetes Klang-

gemälde. Mit dem Nationalen Symphonieorches - ter des Polnischen Rundfunks führt Chefdirigent Ale xander Liebreich den ersten Akt von Richard Wagners Walküre konzertant auf. Er dirigiert mit ei-ner höchst präzisen Gestik, hoch konzentriert und in steter Blicksprache mit den Musikerinnen und Musi-kern. Das Drama entwickelt sich in seiner enormen Spannung aus der Musik, da macht kein sich selbst stilisierender Dirigent auf Dramatik.

In seiner unspektakulären, aber sehr genauen Art des Dirigierens zeigen sich wohl auch die Vorbilder und Orientierungspunkte des 46-jährigen deutschen Dirigenten. Der Regensburger hatte an der Münch-ner Hochschule und am Mozarteum in Salzburg Di-rigieren und Gesang studiert. Von Michael Gielen, der ihn in Salzburg unterrichtete, habe er das analy-tische Denken gelernt, die Entwicklung der Drama-tik, aber auch die Dialektik in der Musik, die den Blick auf die dunklen Seiten öffnet. «Man sucht sich als Student einen Partner im Geist», erklärt Liebreich in einem Videointerview. In Gielen fand er ihn. Und von Nikolaus Harnoncourt habe er die Bedeutung des Dialogischen gelernt – zu verstehen, was Musik erzählt, ihr Wesen zu eruieren. Neben diesen beiden bedeutenden Lehrern ist Liebreichs grosses Vorbild Claudio Abbado, der auch die spätromantischen Or-chesterwerke von Gustav Mahler oder Anton Bruckner aus dem Geist des Kammermusikalischen heraus entwickelt hat.

Liebreich liebt denn auch nicht nur den grossen Orchesterapparat, sondern genauso den geschmeidi-gen Klangkörper des Kammerorchesters. Seit 2006 /07 ist er Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Münchener Kammerorchesters. Seit 2012 leitet er zu-

Alexander LiebreichMusikalischer Weltbürger und

analytischer Geistvon Christian Fluri

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kann. Das sei für seine Arbeit eine wichtige Inspira-tion, erklärt er. Musik ist für ihn auch eine internati-onale Sprache, die nationale Grenzen aufhebt. Lieb-reich ist ein Weltbürger, der sich für ein globales Denken ausspricht, in dem wir eruieren, «wie wir unter uns Menschen mit einander umgehen und wie mit unserem Planeten. Und wie wir gemeinsam die Zukunft gestalten.» ●

ter aufgewachsene Liebreich, der im Alter von sieb-zehn Jahren seinen ersten Chor gegründet hat, ver-steht Musik als eine Metapher des Lebens. Er, der sich und seine Sichtweisen immer wieder hinter-fragt, meint, dass Musik zwar nicht die Fragen nach dem Warum im Leben beantworte, aber Visionen dazu vermittle. Liebreich ist überzeugt, dass Musik die Menschen in einem humanen Sinn verändern

Alexander Liebreich

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ins erste Klavierkonzert eingeflossen. 1862 war dann der Kopfsatz einer ‹neuen› Sinfonie, nun in c-Moll, in einer ersten Fassung fertig (noch ohne die langsame Einleitung). Aber das Projekt blieb liegen. Weitere zwölf Jahre mussten vergehen, bis Brahms sich wie-der an das Vorhaben heranwagte. Zwischen 1874 und 1876 erfolgte die Hauptarbeit an dem Werk, das auch noch nach der Karlsruher Uraufführung von Brahms einschneidende Veränderungen erfuhr und erst 1877 in einer endgültigen Fassung gedruckt werden konnte.

Als die Sinfonie fertig war, liess man den ‹Riesen› Beethoven wieder hinter Brahms aufmarschieren: Hans von Bülow setzte den Begriff von Beethovens «Zehnter» in die Welt, der seither an dem Werk zu haften scheint – und sei es, um die Bülowsche Einschätzung zu widerlegen. Sicherlich gibt es Ver-

D reiundvierzig Jahre alt und bereits ein nam-hafter Komponist war Johannes Brahms, als er nach mehr als sechzehnjährigem

Ringen am 4. November 1876 seine erste Sinfonie in Karlsruhe der Öffentlichkeit vorstellen konnte. Schwer hatte das Erbe Beethovens gewogen, der mit seiner Neunten in vieler Augen (v. a. in denen der Wagner-Anhänger) einen Schlusspunkt innerhalb der Gattung gesetzt hatte. Dem Dirigenten Hermann Levi gestand Brahms diesbezüglich noch zu einer Zeit, als der Kopfsatz zur ersten Sinfonie schon ent-worfen war: «Ich werde nie eine Symphonie kompo-nieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unser-einem zu Mute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.» Aber auch der Druck von aussen – von Freunden, dem Verleger Fritz Sim-rock und der Öffentlichkeit, die ungeduldig auf eine erste Sinfonie von Brahms war teten – dürfte das Un-terfangen nicht vereinfacht haben.

Brahms’ erste und Beethovens zehnte Sinfonie

Bereits 1854 hatte Brahms den ersten Versuch zu ei-ner Sinfonie unternommen. Wie Beethovens Neunte sollte sie in d-Moll stehen. Es wurde nichts daraus, Teile dieses Versuchs sind ins Deutsche Requiem sowie

Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 1«Hoch auf’m Berg, tief im Thal, grüss ich dich

viel tausendmal!»

Mit einem Riesen im Rücken und einer Alphornmelodie im Ohr wagt sich Brahms an seine 1. Sinfonie.

von Stefanie Eberhardt

SINfoNIe Nr. 1, oP. 68Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Streicher

Entstehung: 1862–1876

Uraufführung: 4. November 1876

Dauer: ca. 40 Minuten

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Johannes Brahms (um 1875)

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während der Themenvorstellung in den Celli zu hö-ren. Die Einleitung ist mit der dort zu hörenden Oboen melodie auch Ursprung des Seitensatzes. Brahms zeigt hier, was alle vier Sinfonien aus seiner Feder auszeichnen wird: eine ungeheure Dichte und Konzentration durch enge motivische Beziehung zwischen allen Teilen. Alles entwickelt sich aus den Anfangstakten, hängt infolgedessen miteinander zu-sammen. Doch indem der Hörer Zeuge von Umfor-mung, Entwicklung und Ausbildung der einzelnen Keimzellen wird, verlagern sich ursprünglich der Durchführung vorbehaltene Techniken auf alle Formteile. «Der Satz ist voll wunderbarer Schönhei-ten, mit einer Meisterschaft sind die Motive behan-delt, wie sie ihm [Brahms] ja so mehr und mehr eigen wird. Alles ist so interessant ineinander verwoben, dabei so schwungvoll wie ein erster Erguss; man ge-niesst so recht aus vollen Zügen, ohne an die Arbeit erinnert zu werden», schrieb Clara Schumann an Jo-seph Joachim über den ersten Satz bereits zu einer Zeit, als dieser noch nicht einmal die langsame Ein-leitung hatte.

Zwischen den beiden gewichtigen Ecksätzen er-scheinen die mittleren Sätze fast episodenhaft. Der zweite Satz erfuhr noch kurz vor der Uraufführung eine umfassende Kürzung, vermutlich um die dem Finale gebührende Geltung nicht zu schmälern. Auch hier taucht das Kernmotiv auf, es ist Teil des ruhigen

bindungen, oft wird in diesem Zusammenhang auf den Schlusssatz verwiesen, mit seinem einleitenden Teil und einem (wie in Beethovens Neunter) hymni-schen Hauptthema. Doch Brahms selbst soll, auf die-se Parallele angesprochen, erklärt haben, es sei noch merkwürdiger, «dass jeder Esel es hört». Auch den Stimmungsverlauf mit seiner «Durch- Nacht- zum- Licht- Dramaturgie» hat man mit Beethovens Neun-ter verglichen, jedoch hat Brahms, was die Gewich-tung der Sätze betrifft, mit dem Kopfsatz einen dem Finale adäquaten Gegenpol geschaffen.

Ein immer wieder auftauchendes Kernmotiv

Dem Anfangs-Allegro geht eine langsame Einleitung voran, seit Haydn Quelle des musikalischen Materi-als, aus der heraus sich das Folgende entwickelt. Das ist auch hier der Fall, die Einleitung exponiert als Kernmotiv über dramatisch pochenden Pauken-schlägen eine chromatisch aufsteigende, dann wie-der absteigende Streicherlinie (espressivo e legato), der die Bläserstimmen in gegenläufiger Bewegung ent-gegengesetzt werden. Dieses Kernmotiv, zweimal in der Einleitung vorgestellt, kehrt sogleich zu Beginn des Allegro wieder, kündigt das Hauptthema an, das dann in den ersten Geigen erscheint, und ist noch

Albumblatt für Clara Schumann (Hoch auf’m Berg, tief im Thal), Autograph von Johannes Brahms (1868)

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über einen grossen Ambitus auf- und abführende Melodie. In der Durchführung kehren schliesslich auch Elemente aus der Einleitung (z.B. die Pizzicati) wieder, sie führt zu einem kämpferischen Höhe-punkt, der sich nach kurzem Innehalten in die Alp-horn-Melodie entlädt, schliesslich zur Ruhe kommt und dann mit dem zweiten Thema zur Reprise führt. Ein letzter Höhepunkt dann in der stretta-artigen Coda: Der kurze Posaunenchoral aus der Einleitung strahlt nun im Blech übers Orchester und führt zum triumphalen Ende.

«Von herrlichster, grossartigster Vollendung»

Wie sehr Brahms’ erste Sinfonie in ihrer formalen Dichte und Geschlossenheit den Weg in die Zukunft weisen würde, konnte man damals nicht wissen, doch hat man wohl die neuen Anforderungen, die ein solch konzentriert gearbeitetes Werk an den Hö-rer stellen kann, geahnt. Da darf man dem Chirurgen und Brahms-Freund Theodor Billroth die unverhoh-lene Überheblichkeit verzeihen, die in seiner enthu-siastischen Einschätzung des Werks mitschwingt (an Brahms am 10. Dezember 1876):

Verzeih, dass ich Dir erst heute Deine Partitur zurück-schicke! Doch ich konnte mich schwer davon trennen! (...) Den letzten Satz habe ich am vollkommensten be-wältigt; er erscheint mit von herrlichster, grossartigster Vollendung (...) Dass der ganzen Symphonie ein ähn-licher Stimmungsgang zugrunde liegt wie der Neunten von Beethoven, ist mir beim Studium immer mehr auf-gefallen, doch tritt gerade Deine künstlerische Indivi-dualität in diesem Werke besonders rein hervor. (...) Ich wollte, ich könnte die Symphonie ganz allein hören im Dunkeln, und fange an, König Ludwigs Sonderbarkei-ten zu verstehen. Alle die dummen, alltäglichen Men-schen, von denen man im Konzertsaal umgeben ist und von denen im günstigsten Falle fünfzig Sinn und künst-lerische Empfindung genug haben, um ein solches Werk in seinem Kern beim ersten Hören zu erfassen – von Verstehen gar nicht zu reden – (...) Ich kann nur sagen: Der Herr erleuchte die Herde, welche am nächsten Sonntag sich in den Musikvereinssaal versammelt. ●

Streicherthemas und wird durch ein Cres cendo vom Pianissimo-Beginn hervorgehoben. Nach der letzten Überarbeitung ist der Satz in dreiteiliger Liedform gehalten, wobei Soloinstrumenten (Oboe, Klarinette, Solovioline) besonderer Raum verliehen wird.

An dritter Stelle steht statt des erwarteten be-schwingten Menuetts oder Scherzos ein zartes Alleg-retto ebenfalls in dreiteiliger Form gehalten. Ein Kla-rinettenthema mit ungeradzahligen Phrasen bestimmt die Eckteile, der Mittelteil hebt sich mit seinem wiegenden 6/8-Takt und seinem kurzzeiti-gen sinfonischen Aufschwung vom verträumten Charakter der Eckteile ab.

Ein Gruss zum 49. Geburtstag

Wie bereits beim Kopfsatz stellt Brahms auch dem Finale eine langsame Einleitung (Adagio) voran. Nach den intermezzohaften Zwischensätzen richtet sich dabei die Spannung bereits nach den ersten Takten auf die Frage, was denn nun kommen möge. Denn die Anfangstakte nehmen mit den oktavierten Gei-gen und den Paukenschlägen zunächst den Charak-ter der Kopfsatz-Einleitung auf, geben diesen aber sogleich wieder ab. Geheimnisvolle huschende Pizzicati, scheinbar ohne Metrum, hektische Zwei-unddreissigstel-Floskeln sorgen für fast theatra-lische Effekte und Spannungsaufbau. Später wird sich wieder herausstellen, dass bis hier bereits die Themen des Hauptteils versteckt vorweggenommen wurden. Die Einleitung mündet in ein berühmtes Horn-Solo: Brahms hatte es Clara Schumann, mit ei-nem Text versehen («Hoch auf’m Berg, tief im Thal, grüss ich dich viel tausendmal!») und dem Hinweis «Also blus das Alphorn heut’», zum 49. Geburtstag geschickt. Erstmals scheint der Satz dabei festen Bo-den unter die Füsse zu bekommen, gleichzeitig wechselt er von c-Moll nach C-Dur. Nach einem kur-zen Posaunen-Choral kehrt das Horn-Solo wieder und – als sei der Knoten geplatzt – ergiesst sich die Einleitung in die hymnisch anmutende Streicher-Melodie, die wie oben erwähnt dem Charakter des Freuden-Hymnus aus Beethovens Neunter nahe-kommt und den Beginn des Hauptteils markiert. Die Geigen stellen dann auch das zweite Thema vor, eine

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tungen. Er setzte sich darin für den Schriftsteller und Dissidenten Alexander Solschenizyn ein und protes-tierte gegen die staatliche Kulturpolitik. Vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund liess sich das Cello-konzert als Darstellung eines Gegensatzes deuten, näm lich des Gegensatzes zwischen einem streng organisierten Kollektiv (dem Orchester) und dem nach seinen autonomen Möglichkeiten suchenden Individuum (dem Solisten). Dass Lutosławski sich heftig, ja fast schon überempfindlich gegen jede aus-sermusikalische Interpretation seines Werks wehrte, änderte nichts daran: Das Konzert galt im Westen als subversive Aktion gegen ein totalitäres System. Der Komponist, so hiess es, könne seine wahren Absich-ten nun einmal nicht öffentlich äussern. Und selbst wenn er keine programmatische Aussage gewollt habe, sei sie doch – ‹objektiv› – in dem Stück enthalten.

Tatsächlich spricht auch einiges für die politische Deutung. Wie Lutosławski in einem Interview be-merkte, zeigt das Cellokonzert Züge eines Theater-stücks. Eindeutig wird hier ein Konflikt ausgetragen, «das Orchester ist ein Faktor, der interveniert, unter-bricht oder auch beinahe stört. Dann folgen ‹Verstän-digungsversuche› – Dialoge. Aber auch diese werden wieder durch eine Gruppe von Blechblasinstrumen-ten unterbrochen, denen in dem Werk die ‹Interven-tionsfunktion› zufällt.» Rein musikalisch betrachtet,

W ie kaum ein anderes Werk seiner Zeit wurde Witold Lutosławskis Cellokon-zert von der Musiköffentlichkeit als po-

litisches Bekenntnis verstanden. Das lag nahe, denn die Arbeit an dem Stück begann der polnische Kom-ponist 1969. Im Vorjahr hatten sowjetische Panzer den ‹Prager Frühling› beendet, und 1970, im Jahr der Uraufführung des Konzerts, schrieb dessen Wid-mungsträger, der Cellist Mstislaw Rostropowitsch, einen offenen Brief an die grossen sowjetischen Zei-

Witold Lutosławski: Konzert für Violoncello und Orchester

Abstraktes oder politisches Theater?

Über die politische Deutung eines Cellokonzerts, das Züge eines Theaterstücks trägt, und den Konflikt

zwischen Solocello und Orchester

von Jürgen Ostmann

KoNzert für VIoloNcello uNd orcHeSterBesetzung: 3 Flöten, 3 Oboen, 3 Klarinetten, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, Celesta, Klavier, Harfe und Streicher

Entstehung: Juli 1970

Uraufführung: 14. Oktober 1970, London (Bournemouth Symphony Orchestra, Violoncello: Mstislaw Rostropowitsch, Dirigent: Edward Downes)

Widmung: Mstislaw Rostropowitsch

Dauer: ca. 24 Minuten

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fügt sich Lutosławskis Konzert bruchlos in die Tradi-tion der Gattung. Zwar sind die Formen der einzel-nen Werkteile durchaus neuartig, doch der Ge-samtablauf entspricht dem eines herkömmlichen Solokonzerts, dessen drei Sätze (schnell, langsam, schnell) lediglich um eine kadenzartige Einleitung erweitert sind. Die Teile gehen ohne Pause ineinan-der über und sind auch nicht durch Satztitel kennt-lich gemacht, aber durch ihre unterschiedliche Fak-tur leicht zu erkennen.

Die Introduktion bleibt dem Solocello vorbehal-ten: Zu Anfang und später noch häufiger wiederholt es den Ton D auf der leeren Saite – ausdruckslos, gleichgültig, vollkommen entspannt. Diese Phasen der ‹Selbstvergessenheit› wechseln sich jedoch ab-rupt ab mit solchen der Konzentration. Verschiedene Charaktere, in der Partitur als grazioso, un poco buffo ma con eleganza oder marziale bezeichnet, deuten sich an, werden aber nicht weiterverfolgt. Eine erste ‹In-tervention› der Trompeten leitet den folgenden be-wegten Satz ein; Lutosławski gab ihm in einem Brief an Rostropowitsch den Titel ‹Vier Episoden›. Immer heftiger prallen die Gegensätze aufeinander: Hier die spielerisch-phantasievollen Aktivitäten des Solisten und einiger zum Dialog ein ge ladener Instrumente. Dort die straff verwalteten Klänge des Orchesters, durch die ernsten oder gar «ärgerlichen» (so Lutos-ławski) Interventionen der Blechbläser erzwungen. Der Antagonismus scheint überwunden in der lang-samen, ausdrucksvollen Kantilene.

Die lang gezogenen Melodielinien des Solocellos werden hier zunächst von den Kontrabässen mit ih-rem tiefsten Ton (E) begleitet, dann von komplexen Akkorden der in Einzelstimmen geteilten Streicher. Eine Intervention des gesamten Orchesters beendet diesen Abschnitt jedoch, und das Finale nimmt die Konfrontation wieder auf. Sie treibt den Solisten schliesslich zu klagenden, winselnden Klängen, mit denen das Konzert enden könnte – die Übermacht des Orchesters hätte sich dann durchgesetzt. Ein we-nig überraschend schliesst sich aber noch eine kurze, lebhafte Coda an. Sollte am Ende doch der Solist, das Individuum triumphieren? Lutosławski erklärte die Stelle anders: «Denken wir uns, das Licht auf der Bühne ist erloschen, und vor dem Vorhang wird ein Kommentar zum Theaterstück gegeben.» ●

WItold lutoSłaWSKIWitold Lutosławski wurde 1913 in Warschau geboren, wo er sein ganzes Leben bis zu seinem Tod 1994 ver­brachte. Er lernte früh Klavier und Violine zu spielen und schrieb mit neun Jahren seine erste Kompo si­tion. Sein Plan, in Paris zu studieren, scheiterte am Ausbruch des 2. Weltkrieges. Nach der Flucht aus deutscher Gefangenschaft musste er sich in War­schauer Cafés als Salonmusiker durchschlagen. 1948 wurde seine erste Sinfonie vom stalinistischen Re­gime als formalistisch bezeichnet und verboten. Das kulturpolitische Tauwetter im Polen von 1954 eröff­nete ihm wieder neue Experimentiermöglichkeiten.

Witold Lutosławski

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Skizzen findet sich ein Blatt (Abb. 1), auf dem Lutosławski mehrere Einzelideen festhielt. Oben in der Mitte ist eine einfache Entwicklung notiert – zwei, drei, vier Impulse –, die fortzusetzen ist («etc»). Im Particell (Abb. 2) findet sich diese Idee in einen Verlauf eingefügt: Sie tritt, im Klavier («pf.», erkenn-bar in der Mitte des Blatts), zur langen Linie des Cel-los hinzu. In der Partiturreinschrift (Abb. 3) ist die entsprechende Stelle detailliert ausnotiert.

Die beschriebene Stelle, im vierten Abschnitt des Werks, ist stark geprägt vom wechselseitigen Ineinan-dergreifen unterschiedlicher Klanggruppen (Soli, Ensembles, Tutti) und Gestalten (Blöcke, Linien). In-nerhalb dieser Gestaltung spielt die erwähnte Figur eine formdramaturgische Rolle. Sie kontrapunktiert einerseits die lange Linie des Cellos, andererseits lei-tet sie im weiteren Verlauf eine Entwicklung ein: Der Impulszunahme schliesst sich ein Crescendo von Pauken und Tom-Toms an, was in einen scharfen Blechbläser-Akkord mündet, der die Cellolinie unter-bricht.

Auch wenn es in solcher Beschreibung scheint, als habe sich die Stelle aus einer losen Idee über ihre Anordnung hin zu einem formdramaturgischen Be-standteil entwickelt, ist Vorbehalt angebracht. Denn Skizze, Particell und Partitur zeigen lediglich, was ein Komponist festgehalten hat. Ob aber Lutosławski bereits zu Beginn der Arbeit eine solche Formkon-zeption im Kopf hatte und daraufhin die umzuset-zenden Details (er-)fand, geht aus den Manuskripten nicht hervor. ●

W ie bei vielen Komponisten, so lässt sich auch im Schaffensprozess von Witold Lutosławski eine relativ klare Dreiteilung

feststellen: Zunächst werden Gedanken und Ideen gesammelt (und auch wieder verworfen). Sodann folgt eine Phase, in der das Material in einen Ver-laufszusammenhang gebracht wird. Daran schliesst sich die detaillierte Fixierung dessen an, was bei ei-ner Aufführung erklingen soll. Gewiss weisen diese drei Phasen keine festen Grenzen auf – die Übergän-ge sind fliessend, in beide Richtungen. Es ist ein of-fener Prozess, der zwar ein Ziel, aber keinen vorge-zeichneten Weg hat. Lutosławski selbst hat einmal diese Offenheit zum Ausdruck gebracht, indem er den Schaffensprozess mit zwei gegensätzlichen Bil-dern verglich: Zu komponieren sei für ihn wie der Flug über eine Stadt, der allmählich an Höhe verliere, sodass immer mehr Details erkennbar werden. Dem-gegenüber beginne er auch häufig ein Werk «am Bo-den», mit Einzelheiten, und erarbeite sich daraufhin einen Überblick. Im Kompositionsprozess dennoch eine gewisse Ordnung zu erkennen, rechtfertigt sich aus den unterschiedlichen Manuskripttypen, die da-bei entstehen: In Skizzen werden Ideen festgehalten, im Particell wird der musikalische Verlauf in einer Art reduzierter Partitur notiert, welche schliesslich, in ausgeschriebener Form, die Klanggestalt darlegt.

Dieser Prozess lässt sich auch anhand der Mate-rialien beobachten, die bei der Arbeit am Konzert für Violoncello und Orchester entstanden sind. Das sei an einem kleinen Detail verdeutlicht: Unter den

Randbemerkungen zu Lutosławskis Cellokonzert

Skizze – Particell – Partiturvon Simon Obert, Paul Sacher Stiftung

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Witold Lutosławski: Konzert für Violoncello und Orchester (1969 / 70)Abb. 1: Skizze, Abb. 2: Particell, Abb. 3: Partitur

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kannten Land verband», hatte hingegen rein instru-mentale Folgen: ein gleichnamiges Orchesterwerk, das Furrer 2013 als Auftragswerk der Jungen Deut-schen Philharmonie und der Alten Oper Frankfurt komponierte. Das Festival der Alten Oper zum 100. Jubiläumsjahr von Igor Strawinskys Le Sacre du prin-temps, in dessen Rahmen die Uraufführung 2013 stattfand, regte ihn zudem dazu an, die musikalische Faktur in einer Art kubistischem Kontext anzusie-deln: «Die Entdeckung der Relativität, der Bewegung und der Zeit führen zur Polyfokussierung eines ku-bistischen Bildes. Es gibt nicht mehr einen Flucht-punkt, sondern viele. Das ist etwas, das mich zu der Form des Orchesterstücks strane costellazioni für die Junge Deutsche Philharmonie inspiriert hat, zu einer für mich neuen Art von Montagetechnik. Diese vollzieht in der Art eines Kaleidoskops klein gliedrige Mon tagen aus ineinander geschnittenen Strukturen, die stark kontrastierende Bewegungs formen darstellen können.» Furrer knüpft damit an ein Verfahren an, das er in Stücken wie der Studie für Klavier (2011), Enigma V für Chor a cappella und linea

D er Dichter Dino Campana (1885–1932) ist eine der eigenwilligsten Gestalten im Um-feld der italienischen Moderne – ein Grenz-

überschreiter, den der unbändige Erfahrungsdurst bis nach Argentinien verschlug und der die letzten vierzehn Jahre seines kurzen, früh schon von anoma-len ‹Auffälligkeiten› gezeichneten Lebens in einer psychiatrischen Anstalt bei Florenz verbrachte. Der literarischen Welt ist er mit dem einzigen Werk in Erinnerung geblieben, das er veröffentlicht hat: den 1914 auf eigene Kosten gedruckten Canti orfici (Orphische Gesänge), deren so bildmächtige wie sog-hafte Dichtung ihn als einen Nachfahren der ‹poètes maudits› (neben anderen François Villon, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud) ausweist.

Dino Campanas Leben ist, so Beat Furrer, «der Arche typus eines Künstlerschicksals im frühen 20. Jahr hundert und eines Pathos des Sich-Verschwen-dens an die Welt, das sofort von der Gesellschaft durch verschiedenste Massnahmen der Resozialisie-rung im Irrenhaus oder Gefängnis beantwortet wird. Dino Campana hat vielleicht als erster zum Ausdruck gebracht, dass es keine Flucht gibt, dass kein utopi-sches Amerika mehr existiert. Seine Reise ist nicht mehr eine Winterreise in ein fremdes zauberhaftes Land. Vielmehr liegt das Geheimnis in ganz alltäg-lichen Phänomenen, im Wind, den er beschreibt, im Wasser … »

Campanas Dichtung hat den Komponisten Beat Furrer mehrfach inspiriert: 2011/12 entstand der fünfteilige Liederzyklus Canti della tenebra; zurzeit arbeitet er an einer Oper, deren Libretto auf Campanas Gedichten basiert. Der Ausdruck strane costellazioni (Seltsame Konstellationen), den Campana im Zusam-menhang mit seiner Argentinienreise verwendete und mit dem er, so Furrer, «seine Eindrücke und Zu-kunftshoffnungen umschrieb, die er mit dem unbe-

Beat Furrer: strane costellazioni für grosses Orchester

Orchester-Kaleidoskopvon Horst A. Scholz

StraNe coStellazIoNIBesetzung: 3 Flöten, 2 Oboen, Sopransaxophon, 3 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Klavier, Akkordeon, Schlagzeug, Streicher

Entstehung: 2013

Uraufführung: 20. September 2013, Frankfurt (Junge Deutsche Philharmonie, Dirigent: David Afkham)

Dauer: ca. 14 Minuten

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hältnis von Wiederholung und Prozesshaftigkeit. Es gibt Wiederholungen, Verschiebungen und Trans-formationen von Schichten, die sich zunächst in ver-schiedenen Tempi und mit verschiedenen rhythmi-schen Mustern überlagern. Mit der Zeit treten dann die einzelnen Temposchichten immer mehr allein hervor, indem sie kaleidoskopartig ineinander ge-schnitten werden. Die Gleichzeitigkeit wird also ab-gelöst durch ein Nacheinander.» Was sich nüchtern liest, aber ein faszinierendes Hörerlebnis darstellt. ●

dell’orizzonte für Ensemble (beide 2012) erkundet hat. «In der Komposition für Orchester», führt Furrer aus, «wird all dies viel komplexer, weil es mir die Mög-lichkeit gibt, das Orchester in all dem klanglichen Reichtum vom Tutti bis zum Solistischen in den Griff zu bekommen. Ich empfinde das Orchestertutti im-mer wieder als eine besondere Herausforderung: zu verhindern, dass alles zur grauen Masse verschmilzt.»

Und daher ist es ihm stets um eine kammermu-sikalische Auflichtung des orchestralen Geschehens zu tun, das einem klar disponierten Formprinzip folgt. «Es geht im Prinzip um das dialektische Ver-

Beat furrerFurrer wurde 1954 in Schaffhausen geboren und er­hielt an der dortigen Musikschule seine erste Ausbil­dung in Klavier. Später studierte er in Wien Dirigieren und Komposition. Im Jahr 1985 gründete er das Klangforum Wien, das er bis 1992 leitete und dem er seitdem als Dirigent verbunden ist. Im Auftrag der Wiener Staatsoper schrieb er seine erste Oper, Die Blinden. Furrer schrieb mehrere Opern und Musik­theaterwerke, u.a. auch Wüstenbuch, das 2010 am Theater Basel uraufgeführt wurde. Seit Herbst 1991 ist Furrer ordentlicher Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Graz. 2004 erhielt er den Musikpreis der Stadt Wien, seit 2005 ist er Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. 2006 wurde er für FAMA mit dem Goldenen Löwen bei der Biennale Venedig ausgezeichnet. 2014 wurde ihm der Grosse Österreichische Staatspreis zuerkannt.

Beat Furrer

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Impressum

Sinfonieorchester Basel, Steinenberg 14, 4051 Basel, +41 ( 0 )61 205 00 95, [email protected], www.facebook.com/sinfonieorchesterbasel, twitter.com/symphonybasel

Geschäftsleitung : Franziskus Theurillat Künstlerische Planung, Dramaturgie und Vermittlung : Dr. Hans-Georg Hofmann Konzeption und Redaktion Programm-Magazin : Simon Niederhauser, Simone Staehelin Gestaltung : Neeser & Müller, Basel Druck : Schwabe AG, Basel/Muttenz Auflage : 5000 Exemplare

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sass. Das 19. Jahrhundert hat diese unüberhörbaren Naturtöne als musikalische Reisebegleiter in eine Vielzahl von Liedern, Arien, Klavierstücken und Sin-fonien integriert. All jene Tyroliennes, Schalmeien-klänge und Hornrufe aufzuzählen, die die Kompo-nisten in ihren Werken zum Ausdruck brachten, um ihre Nähe zur Natur zu dokumentieren, die sie als Geburtsstätte ihrer Kunst entdeckt hatten – was noch einem Mozart nicht in den Sinn gekommen wäre –, würde Bände füllen.

Ob Brahms, Schumann oder Mendelssohn, ob Mahler oder Strauss, ihrer sinfonischen Musik haftet unzweifelhaft etwas Alpinistisches an. Hier wird bei Nacht und Nebel aufgebrochen, geklettert, gestürzt und gerettet, das scheinbar Unvereinbare versöhnt und mutig ewiges Eis betreten, mit Gefahr und Tod gerungen und ins gähnende Nichts geblickt und da-bei ständig jene dünne Luft geatmet, in der nur das Genie zu überleben versteht. Gipfelstürmer sind hier am Werk, die Schicht um Schicht ihre eigenen Berge auftürmen, ohne je das Ziel aus den Augen zu verlie-ren: Was es auch kosten möge, den Gipfel zu errei-chen, den keiner sonst erreicht, um dann vom Denk-mal, das man selbst erschaffen hat, gebieterisch ins Tal hinabzublicken. Aus Blöcken wird ein Gefüge gefertigt, das die Welt als etwas Einheitliches erklärt. Den überall lauernden Gefahren – Felsvorsprüngen, Gletscherspalten, bröckelndem Gestein, meutern-den Trägern – begegnet der Komponist, den Kontra-punkt beherrschend, indem er die Übersicht bewahrt. Er ist der Baumeister, der das Gebäude errichtet. Gott gleich, der sich den eigenen Thron zusammen zim-mert. Ist es ein Wunder, wenn nach 1918 das schein-bar sichere Gebäude zusammenbricht? ●

D ie Landschaft in ihrer Urform ist erst spät dazu erkoren worden, in Romanen, Ge-dichten, Epen und Berichten bestaunt und

bewundert, beschrieben und gefeiert zu werden. Eine unüberschaubare Karawane von reisenden Schriftstellern und Reiseschriftstellern – darunter nicht wenige Frauen – machte sich ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts aus allen Winkeln Europas auf, um die Natur als ästhetisches Abenteuer zu erobern. Was lag näher als die Schweiz, in der sich die Berge nur so häuften, wo das beschauliche Kleine, das bie-dermeierlich Rustikale bestenfalls als Vorwand dazu dienten, den majestätischen Hintergrund hervorzu-heben und damit den Menschen ins richtige Verhält-nis zur Macht der Natur zu setzen?

Pferd und Wagen führten die kontinentalen Ent-decker zu den gigantischen Naturdenkmälern, von denen die beeindruckendsten die Berge waren: Aus Eiseshöhen, von Wolken verhangen oder in strahlen-der Klarheit wies schiere Erhabenheit den Menschen in seine Schranken – und forderte die Mutigsten he-raus, sie zu überwinden. So bedeutsam, so heilig war seit dem verhältnismässig lieblichen Olymp das Ge-birge nicht mehr gewesen. Wenn hier auch keine Götter wohnten, so hatte doch unzweifelhaft ein Gott etwas geschaffen, was dem Menschen seine Nichtig-keit zeigte. Wer solche Gipfel auch nur annähernd erreichen wollte, musste ihnen die Stirn bieten. Nicht wenige fanden dabei den Tod.

Lieblich an diesem Naturbild waren allenfalls die Alphornklänge, Kuhreihen und Jodelweisen, die an-genehm ans Ohr des Reisenden drangen, der, vertieft in den Anblick des Sonnenuntergangs, die unverdor-bene Sennerin im Augenwinkel, vor einer Alphütte

Vorlaut – Eine SerieDer Komponist als Alpinist

von Alain Claude Sulzer

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Gornergratbahn mit Matterhorn um 1900

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Casino-Geschichte(n), Teil 31876 – ein wahres Schlüsseljahr

von Sigfried Schibli

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Musiksaal Stadtcasino um 1878

E s gibt Zufälle, die bei näherer Betrachtung gar keine sind. Ein solches Zusammentref-fen im Basler Musikleben fällt aufs Jahr 1876.

Damals wurde der neue Musiksaal des Stadtcasinos mit 1300 Plätzen eingeweiht. Im selben Jahr war die Allgemeine Musikgesellschaft Basel gegründet wor-den, ein Zusammenschluss von Concertgesellschaft und Capell- Verein, die bisher Konkurrenten gewesen

waren. Im gleichen Jahr löste der Dirigent Alfred Volkland den verstorbenen Orchesterleiter Ernst Rei-ter ab, der 36 Jahre lang den Capell-Verein geführt hatte. Zwar stand nicht Volkland, sondern der in Ba-sel geborene Friedrich Hegar zuoberst auf der Beru-fungsliste, aber die Zürcher Tonhalle hatte Hegar ein Angebot gemacht, das dieser nicht ausschlagen konnte.

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Fischer – der Vater des später berühmten Pianisten Edwin Fischer – 1860 als Stimmführer zu den zwei-ten Violinen. Im Festkonzert zur Eröffnung des neu-en Musiksaals am 2. Dezember 1876 spielten und sangen drei Basler Chöre mit Solisten und dem Or-chester unter anderem die 9. Sinfonie von Beethoven.

Schon im Januar 1877 konnte man mit Joseph Joachim einen äusserst renommierten Solisten begrüs sen, der mit dem Orchester das Violinkonzert in e-Moll von Mendelssohn sowie ein eigenes Adagio in A-Dur spielte. In den nächsten Jahren hörte man – um nur wenige illustre Namen zu nennen – Johannes Brahms, Clara Schumann, Camille Saint-Saëns, Anton Rubinstein, Eugen d’Albert und Pablo de Sarasate mit dem Basler Orchester. Sie logierten nicht im Hotel, sondern privat bei den Kommissions-mitgliedern der AMG. Da dürfte sich manche Gele-genheit zu einem Hauskonzert ergeben haben. ●

Man könnte meinen, die Gründung der AMG sei in der bürgerlichen Öffentlichkeit Basels als kapita-les Ereignis gefeiert worden. Dem war aber nicht so. Die ‹Basler Nachrichten›, das Sprachrohr der Libera-len, vermeldeten die erste konstituierende Sitzung der AMG in ihrer Ausgabe vom 8. April 1876 mit ei-nem Kurzbericht. Darin war zu lesen, dass die Ver-sammlung «bloss von 19 Mitgliedern besucht» wur-de und der designierte Präsident Johann Jacob Burckhardt – Staatsanwalt und später Regierungsrat – sanft zur Annahme dieses Amtes gedrängt werden musste.

Nun hatte man gleichzeitig einen neuen reprä-sentativen Konzertsaal, einen neuen Chefdirigenten und einen neuen Orchesterträger beziehungsweise Konzertveranstalter – wahrlich ein Schlüsseljahr für das Basler Musikleben. Die Anregung zum Bau des Musiksaals war vom ersten Präsidenten der AMG ausgegangen. Johann Jacob Burckhardt nannte in seinen Memoiren ökonomische, soziale und künst-lerische Motive für seine Idee: «Ich wollte die Kon-zerte billiger und einem grössern Publikum zugäng-lich machen und gleichzeitig die Einnahmen aus denselben mehren, um Besseres bieten zu können.» Der an den alten Berri-Bau angebaute Musiksaal war architektonisch ein Werk von Johann Jakob Stehlin d. J., der auch das Bernoullianum, die Hauptpost, die Kaserne, das Stadttheater, die Kunsthalle und noch viele weitere Gebäude entworfen hatte. Da sein Vater Johann Jakob Stehlin-Hagenbach Bürgermeister in Basel war, liess der Vorwurf der Vetternwirtschaft nicht lange auf sich warten. Qualitativ erfüllen die Bauten des fleissigen Architekten Stehlin aber hohe Ansprüche. Insbesondere der nach dem klassischen ‹Schuhschachtel-Prinzip› gebaute Musiksaal – länger als breit und breiter als hoch, mit parallelen Seiten-wänden – gilt bis heute als akustisches Meisterwerk und ist zu Recht denkmalgeschützt.

Neben Orchesterkonzerten veranstaltete die AMG Kammermusikabende, meist mit dem Basler Streichquartett, das aus den Stimmführern des Or-chesters zusammengesetzt war. Im AMG-eigenen Orchester spielten damals neben 38 Berufsmusikern 14 sogenannte Dilettanten mit. Damals kam es noch häufig vor, dass ein Musiker mehrere Instrumente beherrschte. So wechselte der erste Oboist Johannes

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Johann Jacob Stehlin (Maler unbekannt)

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finanzielle Unterstützung hinaus sehe ich den Freundeskreis auch als wichtige Lobby für das Or-chester. Es soll darum gehen, neue Interessenten zu finden, die vielleicht mit dem Orchester noch wenige Berührungspunkte haben. Ich denke zum Beispiel, dass man das Orchester auch einmal an einer Tagung des Gewerbeverbands vorstellen könnte. Es gibt im-mer noch viele Leute in Basel, die sich nicht bewusst sind, wie gut dieses Orchester ist, wie stark es sich verjüngt hat und wie motiviert die Musikerinnen und Musiker sind. Der Verein kann helfen, das Sinfo-nieorchester noch bekannter zu machen. Andere Orchester haben riesige Freundeskreise, die das seit mehreren Jahrzehnten erfolgreich tun und substan-zielle Stützen ihres Orchesters sind. Unser Verein ist, wie gesagt, erst zehn Jahre alt und somit auch noch relativ klein.

Das stimmt. Das hat damit zu tun, dass die Geschichte des Orchesters in regelmässigen Abständen immer wieder von vorne begann. Gegründet wurde das Orchester 1876, als der Musiksaal gebaut wurde. Über Jahrzehnte war das Orches-ter fest mit der Allgemeinen Musikgesellschaft (AMG)

Franziskus Theurillat: Bei der letzten Jahresversamm-lung des Vereins ‹Freunde Sinfonieorchester Basel› wurdest du einstimmig zum Präsidenten gewählt. Herzliche Gratu-lation! Was genau hat dich dazu bewogen, dieses Amt zu übernehmen?

Raphael Blechschmidt: Barbara Schneider, die Prä-sidentin der Stiftung Sinfonieorchester Basel, hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, das Amt des Präsidenten zu übernehmen. Die Anfrage hat mich natürlich sehr gefreut. Mir war bewusst, dass einiges auf mich zukommen würde. Aber ich habe sehr gerne zugesagt. Was mich daran reizt, ist das: Ich gehe gerne in die Konzerte des Sinfonieorches-ters. Ich mag dieses Orchester, und oft kommen mir während der Konzerte auch gute Ideen. Zudem ha-ben ich und mein Partner viele Musiker in unserem Bekanntenkreis. Und nicht zuletzt habe ich das Ge-fühl, ich könnte etwas dafür tun, dass sich der Freun-deskreis erweitert.

Den Verein Freunde gibt es seit rund zehn Jahren. Das Jubi-läum wäre also ein guter Moment, die Fahne neu zu hissen. Worin siehst du denn konkret das Entwicklungspotenzial?

Ich bin überzeugt davon, dass wir noch viel mehr Leute an Bord holen können, allein durch die Kon-takte, die jeder in seinem persönlichen Umfeld hat. Mehr Mitglieder heisst dann auch mehr Mitglieder-beiträge. Und das wiederum heisst, dass wir das Or-chester besser unterstützen können. Über die rein

Raphael Blechschmidt und Franziskus Theurillat im Gespräch

«Der Verein Freunde ist die Lobby des Orchesters»

Raphael Blechschmidt, Präsident des Vereins ‹Freunde Sinfonieorchester Basel›, und Franziskus Theurillat, Geschäftsleiter des Orchesters,

unterhalten sich über die Notwendigkeit eines starken Freundeskreises.

aufgezeichnet von Simon Niederhauser

Raphael Blechschmidt ist seit September 2014 Präsident der Freunde des Sinfonieorchesters Basel. Er ist Couturier und führt seit 25 Jahren ein eigenes Geschäft an der Bäumleingasse.

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das in Zukunft noch verstärken, indem wir sagen: Wir unterstützen nicht nur das Orchester als Institu-tion, sondern dieses oder jenes konkrete Projekt, das sich das Orchester von sich aus vielleicht nicht leis-ten kann.

Das ist ein wichtiger Punkt. In vielen Köpfen herrscht die Vorstellung, dass das Orchester ja subventioniert wird und somit keine zusätzliche Unterstützung braucht. Tatsäch-lich wird das Orchester zur Hauptsache von staatlichen Mitteln getragen, aber eben nicht nur. Das ist anders als früher oder wie zum Beispiel heute noch in Deutschland,

verbunden, und dort war dann auch der eigentliche Freun-deskreis angesiedelt. Später wurde es in die Basler Or ches- tergesellschaft (BOG) überführt, wo es ebenfalls eine relativ grosse Community aufbauen konnte und auch politisch gut verankert war. Als dann 1988 die BOG von der Stiftung Bas-ler Orchester abgelöst wurde, hat man wieder einmal bei Null angefangen. In dieser Situation war es unmöglich, ei-nen Freundeskreis zu etablieren, weil die Stiftung ein rein technisches Gefäss war, ein Trägerorgan der Nutzer des Orchesters. Das Orchester war Zudiener der AMG, des Theaters und anderer Veranstalter, die jeweils ihre eige-nen Freundes- und Gönnerkreise hatten. Der Verein, der 2004 gegründet wurde, hatte so gar keine Möglichkeit zu wachsen.

Das sehe ich auch so: Erst seit der Loslösung von der AMG vor drei Jahren wird das Sinfonieorchester als autonomer Klangkörper mit eigenem künstleri-schen Profil wahrgenommen. Vorher hat man sich gefragt: Wen unterstütze ich nun genau, wenn ich Mitglied der Freunde bin? Jetzt ist es klar: Wir unter-stützen das Sinfonieorchester Basel. Und wir wollen

Raphael Blechschmidt und Franziskus Theurillat

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Franziskus Theurillat ist seit 2000 Geschäftsleiter des Sinfonieorchesters Basel. Zuvor spielte er als Hornist mehrere Jahre im Radio­Sinfonieorchester Basel, für das er ab 1993 auch als Präsident des Or­chestervorstands tätig war.

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für die Institution selber zu engagieren. Mit ihrem Spirit stecken die jungen Musiker auch jene Orchestermitglieder an, die schon etwas länger dabei sind. Und so ist das Or-chester für Sachen zu haben, die vor fünfzehn oder zwanzig Jahren kaum zu realisieren gewesen wären. Wir können zum Beispiel für unsere Freunde Sonderevents veranstal-ten, in grösseren oder kleinen Formationen, in besonderem Ambiente oder an besonderen Orten.

Das nehmen wir natürlich sehr gerne an! Zusammen mit den Generalprobenbesuchen im Theater und un-seren eigenen Anlässen haben wir unseren Mitglie-dern einiges zu bieten. Und nicht zuletzt bietet der Verein Freunde auch die Gelegenheit, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Aber es ist mir auch wichtig, dass der eigentliche Zweck des Vereins nicht vergessen geht: Man sollte nicht primär Mitglied werden, um eine Gegenleistung zu erhalten, sondern weil man unserem Basler Orchester jene Unterstüt-zung zukommen lassen möchte, die es verdient. ●

wo es immer noch Orchester gibt, die zu 100 Prozent staat-lich finanziert werden. Die Subventionen müssen wir ziel-gerichtet gemäss unserem Leistungsauftrag einsetzen. Wir sind zum Beispiel rege tätig im edukativen Bereich und in der Musikvermittlung. Ebenso wird von uns eine breite Palette im E-Musik-Bereich erwartet. Für Sachen, die nicht zuoberst auf der Prioritätenliste stehen, haben wir dann oft kaum mehr Mittel zur Verfügung.

Welche Sachen sind das zum Beispiel?

Wir sind ja viel unterwegs, allein schon in der Stadt selber. Wir pendeln nicht nur zwischen Theater und Stadtcasino, sondern haben auch Proben, Konzerte und Aufnahme-sessionen in anderen Lokalen, wie im Volkshaus, im Müns-ter oder im Landgasthof Riehen. Für den Materialtrans-port müssen wir jedes Mal einen Kleintransporter mieten. Das ist für unsere Orchestertechniker sehr umständlich und kostet auch relativ viel Geld. Ein Transporter, der mit einem PW-Ausweis gefahren werden kann, würde uns also sehr entlasten. Ein anderer Punkt sind Instrumente. Es gibt immer mal wieder Instrumente, die in die Jahre kom-men und ersetzt werden müssen: Harfen, Kontrabässe, Pauken und Schlagzeug oder zum Beispiel ein Kontrafagott. Das kann teuer werden, eine Harfe kostet schnell einmal 80 000 Franken.

Genau hier könnte der Verein Freunde dem Orches-ter unter die Arme greifen. Wenn wir mehr Mitglie-der haben, werden solche Projekte auch sehr bald möglich sein. Um mehr Mitgliederbeiträge zu erhal-ten, haben wir an der letzten Vereinsversammlung zudem die Struktur der Mitgliedschaft überarbeitet: Die bisherige Mitgliederkategorie mit einer Einzel-mitgliedschaft für 100 Franken bleibt zwar bestehen, neu wird es aber möglich sein, für einen höheren Betrag auch eine Gönnermitgliedschaft oder eine Firmenmitgliedschaft zu erwerben. Wir sind der Meinung, dass es viele Leute gibt, die gerne etwas mehr geben, wenn sie wissen, wofür das Geld kon-kret eingesetzt wird.

Das Orchester ist ja auch sehr gerne bereit, für diese Unter-stützung etwas zurückzugeben. Inzwischen haben wir im Orchester eine junge Musikergeneration, die weiss, wie wichtig es ist, sich nebst den Diensten im Orchester auch

Der Verein ‹Freunde Sinfonieorchester Basel› setzt sich zum Ziel, das Sinfonieorchester Basel ide­ell und finanziell zu unterstützen. Entsprechend der Beitrags höhe profitieren die Mitglieder des Vereins von verschiedenen Angeboten: vom Besuch einer General probe im Theater Basel für alle Mitglieder bis hin zum exklusiven Konzert mit Apéro für Gönner.

Details entnehmen Sie bitte www.sinfonieorchesterbasel.ch/freunde

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BEiTRag in CHF (EinzElmiTgliED /PaaR)

Freundschaft 100 / 150

Gönnerschaft Andante 500 / 750

Gönnerschaft Allegro 800 / 1200

Gönnerschaft für Firmen 3000

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Weihnachtskonzert zugunsten der Stiftung ‹BaZ hilft›

Familienkonzert: Jingle all the way

Das traditionelle Weihnachtskonzert des Sinfonie-orchesters Basel zugunsten der Stiftung ‹BaZ hilft› wird neu vom Sinfonieorchester Basel selber veran-staltet, und auch die Programmgestaltung liegt in der Verantwortung des Orchesters. Das heisst jedoch nicht, dass das beliebte Format völlig auf den Kopf gestellt wird. Denn auch dieses Jahr wird der Haupt-teil des Programms aus erlesenen Opernarien und Orchesterstücken bestehen, und wie bisher werden die Solopartien von hervorragenden Sängerinnen und Sängern des Opernstudios OperAvenir gesun-gen. Mit von der Partie ist auch wieder die Mädchen-kantorei Basel, die im letzten Teil des Konzerts ge-meinsam mit den Solisten und dem Publikum ein Medley der schönsten Weihnachtslieder singen wird. Geleitet wird das Benefizkonzert von Alexander Liebreich.

Sonntag, 7. DezeMber 201411.00 Uhr, Stadtcasino, Musiksaal

Nach dem Erfolg von ‹Klingelingeling› geht das SOB-Weihnachtsspektakel für Kinder und Erwachsene in die nächste Runde. Wiederum ist ein Besuch des weltweit einzigen Samichlaus’ mit Kontrabass ange-kündigt, und auch die Kinder der Streicherklasse Schulhaus Insel sind wieder mit von der Partie. Freu-en Sie sich auf eine bunte Mischung aus klassischen und weniger bekannten Weihnachtsliedern mit Lilia Tripodi (Mezzosopran) und Thomas Herzog (Lei-tung).

SaMStag, 20. DezeMber 201414.30 Uhr, Stadtcasino, Grosser Festsaal

Weihnachtsstimmung in Basel Das letztjährige Weihnachtsspektakel ‹Klingelingeling›

Vorschau

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Stadtcasino, Grosser Festsaal

Basler Papiermühle

Kuppel Basel VV: starticket.ch

Stadtcasino, Musiksaal Eintritt frei

Stadtcasino, Musiksaal

Stadtcasino, Musiksaal

Stadtcasino, Grosser Festsaal

Palais de la Musique et des Congrès Strassburg

Stadtcasino, Musiksaal Eintritt frei

Stadtcasino, Musiksaal

Fr 14.11.16.00

So 16.11.17.00 (ausverkauft)

Do 27.11.21.00

Di 02.12.12.00–12.30

Mi 03.12.19.30

So 07.12.11.00

Sa 20.12.14.30

So 21.12.17.00

Di 06.01.12.00–12.30

Mi 07.01. Do 08.01.19.30

Familienkonzert : grille und ameiseSOB / Patricia Kopatchinskaja / Reto Bieri u.a.

Kammerkonzert : romanze mit einem KontrabassMusik von György Kurtág, Franz Schubert, Camille Saint-Saëns u.a., Texte von Max Frisch, Anton Tschechow und Christopher ZimmerChristian Sutter / Christopher Zimmer

cube Session #9 : Digging for SchubertFranz Schubert : Der Tod und das Mädchen, Fassung für StreichorchesterMitglieder des SOB feat. Amped & Wired

Punkt 12 : offene orchesterprobeSOB / Alexander Liebreich

Sinfoniekonzert Sob : hoch auf dem berg Beat Furrer : strane costellazioniWitold Lutosławski : Konzert für Violoncello und OrchesterJohannes Brahms : Sinfonie Nr. 1 c-Moll, op. 68SOB / Miklós Perényi / Alexander Liebreich

weihnachtskonzert zugunsten der Stiftung ‹baz hilft›SOB / Solistinnen und Solisten des Theater Basel / Alexander Liebreich

Familienkonzert : Jingle all the waySOB / Streicherklasse Schulhaus Insel / Thomas Herzog u.a.

noël à StrasbourgSOB / Solistinnen und Solisten des Theater Basel / Alexander Liebreich

Punkt 12 : offene orchesterprobeSOB / Michal Nesterowicz

Sinfoniekonzert Sob : ostwärtsWitold Lutosławski : Mała suitaKrzysztof Pendercki : Concerto doppioSergei Prokofjew : Sinfonie Nr. 5 B-Dur, op. 100SOB / Julian Rachlin / Fumiaki Miura / Michal Nesterowicz

Agenda

Vorverkauf ( falls nicht anders angegeben ) : Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus mit Musik Wyler, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf : www.sinfonieorchesterbasel.ch

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Trafina Privatbank AG, Rennweg 50, CH-4020 Basel, Telefon +41 61 317 17 17, www.trafina.ch

Es geht um Verlässlichkeit.