Prozesskette zur Werkzeugauslegung · sich zeitlich ändernde Temperaturprofil der Kavität wurde...

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Werkzeug-/Formenbau, Finite-Elemente-Methode (FEM), Kunststoffe Prozesskette zur Werkzeugauslegung * Methode zur simulationsgestützten Auslegung und Optimierung von Werkzeugen mit Temperiersystemen S. Westhäuser, C. Eschey, M. F. Zäh Der Fachartikel stellt eine Methode zur Auslegung von Spritzgießwerk- zeugen vor, in der die Vorteile der Spritzgieß-Simulationsprogramme mit denen von CFD-FEM (Computational Fluid Dynamics – Finite- Elemente-Methode)-Programmen verbunden werden. Auf diese Weise lassen sich die vielfältigen geometrischen Möglichkeiten in der Gestaltung und Auslegung der Temperiersysteme berücksichtigen, die durch die additiven Fertigungsverfahren in Form von konturnahen Temperierkanälen zur Verfügung gestellt werden. 1 Einleitung und Überblick Die Auslegung von Temperiersystemen in Spritzgießwerk- zeugen erfolgt bis heute überwiegend mithilfe von analy- tischen Abschätzungen und beruht auf den Erfahrungswerten des jeweiligen Konstrukteurs. Da ideale Formfüllgrade der Ka- vitäten eine bauteilspezifische Anordnung der Temperierung bedingen, nimmt die Komplexität der Temperiersysteme kon- tinuierlich zu und macht damit oftmals zeit- und kosten- aufwendige iterative Werkzeuganpassungen notwendig. Durch die Verwendung von konturnahen Temperiersystemen Dipl.-Ing. Sebastian Westhäuser M.Sc. Christian Eschey Prof. Dr.-Ing. Michael F. Zäh iwb Anwenderzentrum Augsburg – Institut für Werkzeug- maschinen und Betriebswissenschaften – TU München Beim Glaspalast 5, D-86153 Augsburg Tel. +49 (0)821 / 568-8344, Fax +49 (0)821 / 568-8350 E-Mail: [email protected] oder [email protected] Internet: www.iwb-augsburg.de Dank Der präsentierte Ansatz wurde im Rahmen des Forschungs- projekts „Prozesskette zur simulationsgestützten Auslegung von Werkzeugen mit konturangepassten Temperiersystemen“ (ProTEMP) entwickelt. Ein besonderer Dank geht an den Förderer dieses Projekts, die Bayerische Forschungsstiftung. Info * Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen wissenschaftlich begutachteten und freigegebenen Fachaufsatz („Peer-Review“). lässt sich beispielsweise die Zykluszeit signifikant reduzieren und die Bauteilqualität hinsichtlich Verzug und Oberflächen verbessern [1]. Um die Herstellung von temperaturgeregelten Werkzeugen mit konturnahen Temperiersystemen wirtschaftlich gestalten zu können, ist eine virtuelle Auslegung des Werkzeuges unter Berücksichtigung des gesamten Spritzgießprozesses not- wendig. 2 Stand der Technik zur Werkzeugauslegung Im Bereich der simulationsgestützten Auslegung von Tem- periersystemen für Spritzgießformeinsätze gibt es eine Reihe von Vorarbeiten, die Ihre Schwerpunkte auf verschiedene Bereiche der Simulation legen. Dimla, Camilotto und Miani beschäftigen sich mit der Ermittlung des optimalen und effi- zienten Temperierkanaldesigns [2]. Hierbei liegt der Schwer- punkt auf der Bestimmung der optimalen Anguss- und Kanal- position mithilfe der heuristischen Methode „trial and error“. Park und Pham entwickeln in ihrer Arbeit eine Methode zur gleichmäßigen Kühlung der gesamten Kavitätsoberfläche [3]. Sie fokussieren sich auf die Optimierung der Kühlkonfigura- tion für einzelne Subsysteme und vergleichen verschiedene Temperiersystemtypen. Ziel der Arbeit von Rännar ist es, die Anwendbarkeit von Optimierungsmethoden für die Spritz- gießsimulation zu untersuchen [4]. Er vergleicht verschie- dene Temperiersystemkonzepte und ermittelt signifikante Prozessparameter mit Einfluss auf die Maßhaltigkeit. Die Ansätze und Untersuchungen weisen jedoch eine Reihe von Defiziten und Unzulänglichkeiten auf. So wird in keiner der bekannten Arbeiten eine durchgängige Betrachtung hin- sichtlich Strömungsmechanik, Thermodynamik und Struktur- mechanik durchgeführt. Der überwiegende Teil der Unter- suchungen bezieht sich auf die Optimierung von konven- tionellen, also gebohrten Temperiersystemen. Die geome- trische Gestaltungsfreiheit, die sich durch den Einsatz der additiven Fertigungsverfahren ergibt, wird durch keinen der obigen Ansätze ausgenutzt. Außerdem erfolgt die thermische Auslegung des Spritzgießformeinsatzes in allen Arbeiten unter vereinfachter Berücksichtigung des Temperiermediums. Diese oben aufgeführten Defizite liegen hauptsächlich da- rin begründet, dass die Untersuchungen mit derzeit auf dem Markt verfügbaren Spritzgieß-Simulationsprogrammen durch- geführt worden sind. Bei diesen Programmen liegt der Fokus auf der Abbildung des eigentlichen Spritzgießprozesses, also der numerischen Beschreibung des Einspritzvorganges der plastifizierten Formmasse in die Kavität. Hierbei spielt die sogenannte Schmelzerheologie eine wesentliche Rolle. Mit- hilfe von geeigneten Materialgesetzen wird versucht, die stark scherdominierte Strömung der Kunststoffmasse zu mo- dellieren. Das Werkzeug wird in diesen Betrachtungen jedoch nur sehr vereinfacht berücksichtigt. Der Wärmeübergang von der plastifizierten Formmasse auf die Kavität wird beispiels- weise überwiegend mittels manuell gesetzter Wärmeüber- A process chain for tool design – A simulation-based method for design and optimization of tools, integrating temperature control systems In this paper, a method is presented, combining the advantages of injection moulding simulation programs and CFD-FEM-programs for constructing injection moulds. By this means, the almost unlimited geometric possibilities with regard to the configuration and design of the temperature control system, that are provided using additive manufacturing processes, can be fully taken into account. Titelthema – Aufsatz Copyright Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorf wt Werkstattstechnik online Jahrgang 101 (2011) H. 11/12 719

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Werkzeug-/Formenbau, Finite-Elemente-Methode (FEM), Kunststoffe

Prozesskette zur Werkzeugauslegung * Methode zur simulationsgestützten Auslegung und Optimierung von Werkzeugen mit Temperiersystemen S. Westhäuser, C. Eschey, M. F. Zäh

Der Fachartikel stellt eine Methode zur Auslegung von Spritzgießwerk-zeugen vor, in der die Vorteile der Spritzgieß-Simulationsprogramme mit denen von CFD-FEM (Computational Fluid Dynamics – Finite- Elemente-Methode)-Programmen verbunden werden. Auf diese Weise lassen sich die vielfältigen geometrischen Möglichkeiten in der Gestaltung und Auslegung der Temperiersysteme berücksichtigen, die durch die additiven Fertigungsverfahren in Form von konturnahen Temperierkanälen zur Verfügung gestellt werden.

1 Einleitung und Überblick

Die Auslegung von Temperiersystemen in Spritzgießwerk-zeugen erfolgt bis heute überwiegend mithilfe von analy -tischen Abschätzungen und beruht auf den Erfahrungswerten des jeweiligen Konstrukteurs. Da ideale Formfüllgrade der Ka-vitäten eine bauteilspezifische Anordnung der Temperierung bedingen, nimmt die Komplexität der Temperiersysteme kon-tinuierlich zu und macht damit oftmals zeit- und kosten-aufwendige iterative Werkzeuganpassungen notwendig. Durch die Verwendung von konturnahen Temperiersystemen

Dipl.-Ing. Sebastian Westhäuser M.Sc. Christian Eschey Prof. Dr.-Ing. Michael F. Zäh iwb Anwenderzentrum Augsburg – Institut für Werkzeug -maschinen und Betriebswissenschaften – TU München Beim Glaspalast 5, D-86153 Augsburg Tel. +49 (0)821 / 568-8344, Fax +49 (0)821 / 568-8350 E-Mail: [email protected] oder [email protected] Internet: www.iwb-augsburg.de

Dank Der präsentierte Ansatz wurde im Rahmen des Forschungs -projekts „Prozesskette zur simulationsgestützten Auslegung von Werkzeugen mit konturangepassten Temperiersystemen“ (ProTEMP) entwickelt. Ein besonderer Dank geht an den Förderer dieses Projekts, die Bayerische Forschungsstiftung.

Info * Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen wissenschaftlich begutachteten und freigegebenen Fachaufsatz („Peer-Review“).

lässt sich beispielsweise die Zykluszeit signifikant reduzieren und die Bauteilqualität hinsichtlich Verzug und Oberflächen verbessern [1].

Um die Herstellung von temperaturgeregelten Werkzeugen mit konturnahen Temperiersystemen wirtschaftlich gestalten zu können, ist eine virtuelle Auslegung des Werkzeuges unter Berücksichtigung des gesamten Spritzgießprozesses not -wendig.

2 Stand der Technik zur Werkzeugauslegung

Im Bereich der simulationsgestützten Auslegung von Tem-periersystemen für Spritzgießformeinsätze gibt es eine Reihe von Vorarbeiten, die Ihre Schwerpunkte auf verschiedene Bereiche der Simulation legen. Dimla, Camilotto und Miani beschäftigen sich mit der Ermittlung des optimalen und effi-zienten Temperierkanaldesigns [2]. Hierbei liegt der Schwer-punkt auf der Bestimmung der optimalen Anguss- und Kanal-position mithilfe der heuristischen Methode „trial and error“. Park und Pham entwickeln in ihrer Arbeit eine Methode zur gleichmäßigen Kühlung der gesamten Kavitätsoberfläche [3]. Sie fokussieren sich auf die Optimierung der Kühlkonfigura -tion für einzelne Subsysteme und vergleichen verschiedene Temperiersystemtypen. Ziel der Arbeit von Rännar ist es, die Anwendbarkeit von Optimierungsmethoden für die Spritz-gießsimulation zu untersuchen [4]. Er vergleicht verschie -dene Temperiersystemkonzepte und ermittelt signifikante Prozessparameter mit Einfluss auf die Maßhaltigkeit.

Die Ansätze und Untersuchungen weisen jedoch eine Reihe von Defiziten und Unzulänglichkeiten auf. So wird in keiner der bekannten Arbeiten eine durchgängige Betrachtung hin-sichtlich Strömungsmechanik, Thermodynamik und Struktur-mechanik durchgeführt. Der überwiegende Teil der Unter-suchungen bezieht sich auf die Optimierung von konven -tionellen, also gebohrten Temperiersystemen. Die geome -trische Gestaltungsfreiheit, die sich durch den Einsatz der additiven Fertigungsverfahren ergibt, wird durch keinen der obigen Ansätze ausgenutzt. Außerdem erfolgt die thermische Auslegung des Spritzgießformeinsatzes in allen Arbeiten unter vereinfachter Berücksichtigung des Temperiermediums.

Diese oben aufgeführten Defizite liegen hauptsächlich da-rin begründet, dass die Untersuchungen mit derzeit auf dem Markt verfügbaren Spritzgieß-Simulationsprogrammen durch-geführt worden sind. Bei diesen Programmen liegt der Fokus auf der Abbildung des eigentlichen Spritzgießprozesses, also der numerischen Beschreibung des Einspritzvorganges der plastifizierten Formmasse in die Kavität. Hierbei spielt die sogenannte Schmelzerheologie eine wesentliche Rolle. Mit-hilfe von geeigneten Materialgesetzen wird versucht, die stark scherdominierte Strömung der Kunststoffmasse zu mo-dellieren. Das Werkzeug wird in diesen Betrachtungen jedoch nur sehr vereinfacht berücksichtigt. Der Wärmeübergang von der plastifizierten Formmasse auf die Kavität wird beispiels-weise überwiegend mittels manuell gesetzter Wärmeüber-

A process chain for tool design –

A simulation-based method for design and optimization

of tools, integrating temperature control systems

In this paper, a method is presented, combining the advantages of injection moulding simulation programs and CFD-FEM-programs for constructing injection moulds. By this means, the almost unlimited geometric possibilities with regard to the configuration and design of the temperature control system, that are provided using additive manufacturing processes, can be fully taken into account.

Titelthema – Aufsatz

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gangskoeffizienten definiert. Eine Berechnung dieser Größen wird in den meisten Fällen nicht vorgenommen. Des Weiteren erfolgt weder für konventionelle noch für konturnahe Tempe-riersysteme eine Berechnung der Wärmeübergangskoeffizien-ten von dem Temperiermedium in das Werkzeug, da die Spritz-gieß-Simulationsprogramme bislang keine Strömungsanalyse des Temperiermediums durchführen. Wie im Fall des Wärme -überganges zwischen der Formmasse und des Werkzeuges werden auch hier die Größen basierend auf Erfahrungswerten gesetzt. Dies kann insbesondere bei der Auslegung von kom-plexen, stark verzweigten, konturnahen Temperiersystemen, welche eine hohe turbulente Strömung besitzen, zu großen Berechnungsfehlern führen, da die Wärmeübergangskoeffi -zienten eine starke Abhängigkeit von der jeweiligen Strö-mungsgeschwindigkeit des Mediums im Kanal aufweisen. Aufgrund der fehlenden Strömungssimulation von am Markt befindlichen Spritzgießprogrammen können derzeit keine Aussagen zu den Strömungsbedingungen, beispielsweise Druck verlusten, im Kanal getroffen werden.

Entscheidend für eine gute Temperierwirkung ist die An-ordnung der Temperierkanäle nahe der Werkzeugoberfläche, was durch die Anwendung von additiven Fertigungsverfahren ermöglicht werden kann. Eine Überprüfung der sich dabei einstellenden mechanischen Festigkeit des Werkzeuges durch eine Berechnung der auftretenden Werkzeugspannungen auf-grund des Einspritzdruckes sowie des Druckes im Temperier-kanal kann mithilfe von Spritzgießprogrammen bislang je-doch nicht durchgeführt werden. Daher beruht die struktur-mechanische Auslegung des Werkzeuges auf empirischen Untersuchungen, wie sie beispielsweise in Kazmer [5] zu finden sind. Die Wechselwirkungen zwischen mechanischer und thermischer Auslegung des Werkzeuges können damit bisher numerisch nicht durchgängig abgebildet und berück-sichtigt werden.

3 Modulbasierte Prozesskette für die Spritzgießwerkzeugauslegung

Um den in Kapitel 2 dargestellten Herausforderungen zu begegnen, wird eine Methode gewählt, welche die Vorteile und Stärken verschiedener Simulationsprogramme mit-einander kombiniert und auf diese Weise eine detailliertere Auslegung und Optimierung von Werkzeugen mit konturange-passten Temperiersystemen ermöglicht. Hierzu werden Simu-lationsdaten von einem Spritzgieß-Simulationsprogramm in ein CFD-FEM-Programm transferiert. Die gesamte modul -basierte Prozesskette für die Werkzeugauslegung ist in Bild 1

dargestellt. Sie untergliedert sich in sieben einzelne Modul-bausteine, welche im Folgenden näher erläutert werden.

Im ersten Modul werden Eingabeparameter mit dem Ziel definiert, Parameterfenster für die statistische Planung der Simulationsläufe festzulegen. Des Weiteren ist es notwendig, die Wertebereiche der einzelnen Variablen sowie die Schritt-weite, mit welcher diese Variablen variiert werden, zu de-finieren. Mögliche Parameter für die Spritzgießsimulation stellen Größen wie die Kühlzeit, Schmelzetemperatur und Ka-vitätsrandtemperatur dar. Auf Seite der CFD-FEM-Simulation kann zwischen Parametern, welche die Kanalgeometrie be-schreiben (Länge und Durchmesser, Position der Kanäle im Raum) und denjenigen, welche die Strömungsbedingungen abbilden (Durchfluss, Druck, Temperatur), unterschieden werden.

Das zweite Modul enthält die statistische Planung der Simulationsläufe und dient dazu, eine Simulationsdatenbasis zu erschaffen. Mithilfe einer Sensitivitätsanalyse werden Para meter mit signifikantem Einfluss auf die Zielgrößen er-mittelt. Darüber hinaus ist es durch diese Analysen möglich, den Wertebereich zu reduzieren, in welchem die Parameter variiert werden. Dadurch wird der Aufwand bei der späteren Optimierung stark verringert.

Das dritte Modul umfasst die Simulation des Bauteils. Hier werden die zur Simulation notwendigen CAD-Ausgangsdaten zur Verfügung gestellt und die zuvor definierten veränder -lichen Parameter berücksichtigt. Das Modul dient dazu, bei-spielsweise den Verzug und die Schwindung des Bauteils zu berechnen und eine Füllphasenanalyse durchzuführen.

Durch das vierte Modul werden die Bauteileigenschaften optimiert. Bei dieser Optimierung stehen die mechanischen und optischen Eigenschaften des Bauteils, beziehungsweise des Artikels, im Fokus. Das Werkzeug selbst wird nur durch das Aufbringen von Randbedingungen in der Simulation berück-sichtigt. Das Ziel dieser Optimierung ist es, die Prozesspara -meter zu ermitteln, welche eine gleichmäßige Temperaturver-teilung im Bauteil bewirken, da sich hierdurch nachweislich Bauteileigenschaften wie Verzug und Oberflächenqualität verbessern. Damit sollten Bauteilbereiche mit gleichem Ab-stand zum Werkzeug gleiche Temperaturen besitzen. Eine ent-scheidende Rolle spielt hierbei die Kavitätsrandtemperatur (siehe Bild 2), welche unter anderem eine variable Größe im Optimierungsprozess darstellt. Die Erfahrungswerte bezüglich der Wertebereiche der einzelnen Parameter aus der statisti-schen Versuchsplanung werden an dieser Stelle verwendet.

Im fünften Modul werden die in der Spritzgießsimulation optimierten, instationären Profile hinsichtlich Temperatur,

Bild 1. Modulbasierte Prozesskette für die Spritzgießwerkzeugauslegung

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Wärmestrom und Druck in das Simulationsmodul für das Werk-zeug (Modul 6) transferiert und dort als Randbedingungen für die CFD-FEM-Simulation aufgebracht. Das bedeutet, dass in der Werkzeugsimulation das Bauteil nur über die transferier-ten Randbedingungen aus der zuvor durchgeführten Spritz-gießsimulation Berücksichtigung findet. Der Fokus liegt in diesem Modul auf der fluidmechanischen Analyse des Tempe-riersystems sowie der Berechnung des sich daraus einstellen-den Temperaturfeldes im Werkzeug. Das Temperiersystem -design wird durch eine Spannungs- und Dehnungsanalyse des Werkzeuges abgesichert, um auf diese Weise etwaige Festig-keitsprobleme des Formeinsatzes aufzeigen zu können. Für die Optimierung des Temperierkanalsystems muss dieses als parametrisierte Geometrie vorliegen und die veränderlichen Parameter, welche im ersten Modul definiert worden sind,

berücksichtigen. Weiterhin macht die Komplexität der Tempe-riersysteme eine effiziente Anwendung von Optimierungsstra-tegien nur möglich, wenn Reduktionsstrategien für die Kanäle verwendet und diese mithilfe von Ersatzmodellen abgebildet werden.

Im siebten Modul wird das Werkzeug beziehungsweise das Temperiersystem optimiert. Hierbei wird das Ziel verfolgt, die optimalen Kanalgeometrien und Strömungsparameter unter Berücksichtigung der aus der Spritzgießsimulation übergebe-nen instationären Profile zu ermitteln. Auch hier findet das aus der statistischen Planung der Simulationsläufe erhaltene Wissen über die Parametergrenzen Anwendung. Ein Abgleich der durch die modulbasierte Prozesskette für die Werkzeug-auslegung erzielten Ergebnisse erfolgt mit realen Benchmark-geometrien.

Bild 2. Transfer von optimierten Spritzgießparametern in die Werkzeugsimulation

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Bild 3. Musterwerkzeug des Forschungsprojekts „ProTEMP“ der Auswerfer-seite (links) und der Düsenseite (rechts)

4 Ergebnisse

Um einen Abgleich zwischen den Simulationsergebnissen und den experimentell ermittelten Messwerten zu ermög -lichen, wurde ein Musterwerkzeug konstruiert und aufgebaut. Dieses Musterwerkzeug (siehe Bild 3) basiert auf einem Kennzeichenträger, welcher so modifiziert wurde, dass er weitere durch das Spritzgießen schwer abzubildende Geo -metriemerkmale aufweist, beispielsweise – Pyramiden, – Kegel, – Rippen unterschiedlicher Dicke, – Schraubdome oder – Hauptwanddicken-Änderungen. Darüber hinaus wurde der Formeinsatz für die Auswerferseite sowohl mit konventionellen, also gebohrten Kanälen, als auch mit konturnahen Temperiersystemen aufgebaut, um so die Temperierwirkung beider Varianten vergleichen zu kön-nen. Die konturnahen Temperierkanäle wurden mithilfe des additiven Fertigungsverfahrens Strahlschmelzen („Laser -Cusing“) realisiert. Der Formeinsatz der Düsenseite wurde

ausschließlich mit einem konventionellen Temperiersystem hergestellt.

In Bild 4 ist links das Temperiersystem des Formeinsatzes der Auswerferseite zu sehen, welches konventionell gefertigt wurde. Das mittlere Bild zeigt den Verlauf des Kanalsystems, welches additiv hergestellt wurde. Rechts ist der Formeinsatz der Düsenseite dargestellt, welcher aufgrund der ebenen Oberfläche ausschließlich mit einem konventionell herge -stellten Kanalsystem ausgestattet worden ist.

Die Formeinsätze sind mit entsprechenden Bohrungen für den Einbau von Messsensorik versehen. Die Temperatursenso-ren sind auf der Auswerferseite in unterschiedlichen Ab -ständen zur Kavität und im Fall der Düsenseite in unterschied-lichen Abständen zur Längsachse angeordnet, um so einen möglichst großen Messbereich abdecken zu können.

Um eine erste Validierung der für die Werkzeugsimulation eingesetzten Modellierungs- und Simulationsmethodik mit-hilfe realer Messwerte durchzuführen, wurden das Aufheiz- und das Abkühlverhalten der Formeinsätze untersucht. Dazu wurden diese mit ungefähr 75 °C warmem sowie mit ungefähr 10 °C kaltem Wasser für jeweils 15 Minuten durchströmt. Das

Bild 5. Beispielhafter Abgleich der Simulationswerte durch reale Messwerte mittels Thermografie

Bild 4. Links: konventionelles Temperiersystem der Auswerferseite, Mitte: konturnahes Temperiersystem der Auswerferseite, rechts: konventionelles Temperiersystem der Düsenseite

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sich zeitlich ändernde Temperaturprofil der Kavität wurde mithilfe einer Thermografiekamera über den gesamten Zeit-raum erfasst. Zusätzlich wurden Temperaturwerte mittels der in die Formeinsätze eingebrachten Thermoelemente doku-mentiert.

Zur virtuellen Abbildung des Aufheiz- und Abkühlvor -ganges wurde eine thermische Simulation der Formeinsätze durchgeführt. Dabei wurde die Strömung der Temperier-systeme mithilfe einer CFD-Simulation abgebildet. Auf diese Weise ist es möglich, die Temperaturverteilung im Werkzeug sowie die Druckverteilung auf die Temperierkanalwände zu berechnen. Die Eingangswerte für die Simulation, beispiels-weise Durchfluss oder Temperatur des Temperiermediums, sind in den realen Versuchen ermittelt worden.

In Bild 5 ist am Beispiel des konventionellen Formeinsat-zes der Auswerferseite an derselben Stelle der Temperatur -verlauf der realen Messwerte den simulierten Ergebnissen gegenübergestellt. Es ist erkennbar, dass die beiden Kurven eine sehr hohe Übereinstimmung aufweisen.

5 Fazit

Durch die Anwendung einer modulbasierten Prozesskette sowie die Aufteilung in Spritzgieß- und Werkzeugsimulation zur simulationsgestützten Auslegung von Spritzgießwerkzeu-gen sollen Unzulänglichkeiten von derzeit am Markt verfüg-baren Spritzgieß-Simulationsprogrammen erheblich reduziert werden. Die entwickelte Methodik sieht ein zweistufiges Vor-gehen für die Werkzeugauslegung vor. Im ersten Schritt wird der eigentliche Spritzgießprozess optimiert. Durch den an-schließenden Transfer von Kavitätsrandwerten (Temperatur, Druck und Wärmestrom) werden die zur Werkzeugauslegung benötigten Randbedingungen der Werkzeugsimulation zur Verfügung gestellt. Mithilfe von Optimierungsverfahren wird das Temperiersystem so ausgelegt, dass es die für den opti-

mierten Spritzgießprozess notwendigen Eigenschaften des Werkzeuges in den physikalisch möglichen Grenzen gewähr-leisten kann. Ein Abgleich mit realen Messwerten hat bereits erfolgreich gezeigt, dass die zur Werkzeugauslegung verwen-deten Modellierungs- und Simulationsmethoden in der Lage sind, sowohl das thermische als auch das strömungsmecha-nische Verhalten der Musterwerkzeug-Formeinsätze und ihrer Temperiersysteme abzubilden.

Im Fokus der weiteren Arbeiten steht die Generierung einer Schnittstelle zum Transfer der Kavitätsrandbedingungen aus der Spritzgieß- in die Werkzeugsimulation. Überdies werden bereits Untersuchungen durchgeführt, welche sich mit der Anwendung von Optimierungsalgorithmen für beide Simulationsbereiche beschäftigen. ?

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Literatur

[1] Menges, G.; Michaeli, W.; Mohren, P.: Spritzgießwerkzeuge – Auslegung, Bau, Anwendung. 6. Auflage. München: Carl-Hanser-Verlag 2007

[2] Dimla, D. E.; Camilotto, M.; Miani, F.: Design and optimization of conformal cooling channels in injection moulding tools. Journal of Materials Processing Technology 164-165 (2005), pp. 1294-1300

[3] Park, H. S.; Pham, N. H.: Design of Conformal Cooling Channels for an Automotive Part. International Journal of Automotive Technology 10 (2009) No. 1, pp. 87-93, Berlin, Springer-Verlag. University of Ulsan, Korea, 2008

[4] Rännar, L.-E.: On Optimization of Injection Molding Cooling. Dissertation, Norwegian University of Science and Technology, Trondheim, 2008

[5] Kazmer, D. O.: Injection mold design engineering. München: Carl-Hanser-Verlag 2007