Psychische Traumatisierung in der Kindheit...innerhalb der dafür zuständigen Institutionen nicht...
Transcript of Psychische Traumatisierung in der Kindheit...innerhalb der dafür zuständigen Institutionen nicht...
Luise Reddemann - Universität
Klagenfurt
Psychische Traumatisierung
in der Kindheit
Und einige Ansätze zum Umgang
mit den Folgen
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Zu unterscheiden:
Typ I Traumata, einmalige Traumatisierung,
z.B. Unfälle – Folge: PTBS
Typ II Traumata, Mehrfachtraumatisierung
oder lange anhaltend oder gar beides: u.a.
Folge komplexe posttraumatische
Belastungsstörung
Durch Menschen zugefügte Traumata
wirken sich gravierender aus
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Diagnosen
Posttraumatische Belastungsstörung
Mit den Symptomen Übererregung,
Intrusion, Vermeidung
Aber:
80% der Pat. sind komplex traumatisiert!
Und zeigen daher komplexere
Störungsbilder
Ein trauriges und typisches Beispiel
„Der Balg mußte heimlich auf Großmutters Befehl
in Brixen zur Welt kommen.
Er wurde bei den grauen Schwestern belassen...
Diese Nonnen ließen mich tagelang in nassen
Windeln liegen bis mein kleiner Hintern fleischig
war, und man mich nach Kastelruth in Pflege gab.“
(Norbert Kaser)
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Folgen von Traumatisierungen in der Kindheit
Kaser z.B beschreibt, was ihm widerfuhr:
"wie ich gewesen? ganz ehrlich: brav. einfach brav. & weil ich
so brav war haben sie mich geschlagen. sie fuerchten sich in
der blindheit. (...) jetzt lieber norbert keine 28jaehrigen
gefuehlchen. ein schrei am anfang einer zum schluß genügt."
Kaser starb mit 31 Jahren an den Folgen einer Alkohol
bedingten Leberzirrhose
Misshandlung in der Kindheit
90 % aller Misshandlungsfälle werden
innerhalb der dafür zuständigen Institutionen
nicht wahrgenommen.
18 Millionen Kinder in Europa sind von
sexuellem Missbrauch betroffen
44 Millionen Kinder sind von körperlicher
Misshandlung betroffen
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Es fehlt ein Bewusstsein für die
Dimension des sexuellen Missbrauchs
an Kindern Eltern, Lehrer, Erzieher, zuständige
Behörden hören und schauen weg.
Aktueller Fall von Lüdge
Familie ist der häufigste Tatort.
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Kindheitstrauma erhöht Risiko für spätere psychische Störungen und die
Tendenz zu Alkoholabhängigkeit
Berglund und ihr Team zeigten einen direkten
Zusammenhang zwischen traumatischen
Kindheitserlebnissen und einem niedrigen
Serotoninspiegel bei alkoholabhängigen Erwachsenen
Forscherin rät alkoholabhängige Patienten auf
Kindheitstraumata hin zu untersuchen, denn die
Kombination aus frühen Missbrauchserfahrungen und
späterem exzessivem Alkoholkonsum sei „extrem
schädlich für das Gehirn“.
Quelle: "Childhood Maltreatment Affects the Serotonergic System in Male
Alcohol-Dependent Individuals"; Kristina J. Berglund et al.; Alcoholism: Clinical
& Experimental Research
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Körperliche Erkrankungen
Können auch Folge von frühen
Traumatisierung sein
Mindestens 15 % der Pat. einer
Allgemeinpraxis haben auch eine
Traumageschichte!
ACE Studie 1
mehrere belastende Kindheitserlebnisse
gehen einher mit :
Mangelhaftem Gesundheitsverhalten
höherer körperliche Morbidität
Hospitalisierungen
Übergewicht
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Lungenkrankheiten
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ACE Studie 2
mehrere belastende Kindheitserlebnisse
gehen einher mit : höherer psychischer Morbidität•
Alkoholismus•
Depressivität•
Suizidalität•
höhere Mortalität
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Belastung nach ACE -
Kindheitstraumata
bei mehreren Belastungen erhöhte
Wahrscheinlichkeit für verschiedene
psychische Störungen und Delinquenz
sowie
Sensitivierung der hormonellen und
neuronalen Stressreaktion•
Orientierung auf Bedrohungsreize
Probleme in der Regulation von Emotionen
Unsicher/Vermeidende Bindung
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Medizinische Diagnostik
PTBS und Komorbidität
Oder
Komplexe posttraumatische
Belastungsstörung: DESNOS =
Disorder of extreme stress not otherwise
specified
Demnächst im ICD 11: Komplexe
posttraumatische Belastungsstörung
Aber:
Was ist mit all denen, die zwar an Folgen hoch
komplexer Traumatisierung leiden, aber keine
PTBS Symptomatik aufweisen?
Wo keine ICD – oder DSM-Diagnose - keine
Forschung im Sinne von Evidence based Medicine
Diagnose Manuale erfassen die Tragik zu wenig,
die sich hinter Gewalt, Vernachlässigung und
sexualisierter Gewalt verbirgt.
Das entspricht auch der gesellschaftichen
Verdrängung der Themen Luise Reddemann - Universität
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Basales Verstehen:
Alle Traumafolgestörungen zeichnen sich
durch eine hohe Stressvulnerabilität aus
D.h. minimaler Stress wird als maximaler
Stress erlebt
Cave: Pat. möglichst durch
Behandlungsangebote nicht zusätzlich
Stress bereiten!
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Weitere diagnostische
Überlegungen
PTBS und komplexe posttraumatische Belastungsstörung sind nicht die einzigen Erkrankungen, die als Traumafolgen angesehen werden können.
Vor allem bei Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen, ebenso wie bei Persönlichkeitsstörungen spielen Traumatisierungen häufig eine ätiologische Rolle
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Behandlung:
Bei stabilen Pat.: Konfrontation mit dem
auslösenden Ereignis so schnell wie
möglich
Oder:
Zunächst ausreichende Stabilität prüfen und
ggfs Stabilisierung
Zur Erinnerung: Nicht zusätzlicher Stress
durch Therapie
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Grundsätzliches zur ärztlichen
Begegnung
Zunächst sollte das Leiden gewürdigt
werden,
Manchmal lange, manchmal weniger lang
Immer auch mit dem Ressourcenohr
zuhören als Grundhaltung
Auf kleinste Hinweise achten und sie zur
Verfügung stellen
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Einige therapeutische Schritte, die ggfs. auch
in der Allgemeinpraxis sinnvoll sein können
Leiden würdigen
„Überlebenskunst“ würdigen, etwa durch
die Frage „Wie haben Sie das Schlimme
überlebt“
Daraus kann sich meist auch ein Gespräch
über gute Momente ergeben
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Schritte 2
Eine vertrauensvolle, Sicherheit spendende Beziehung aufbauen. Resilienz-und Ressourcenorientierung kann dabei helfen
Die Überlebensbiographie ist häufig eine Resilienz- und Ressourcenbiographie,
Aber!!
Es muss immer auch Raum und Zeit sein für Leidvolles, das sich zeigen will
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Schritte 3
Zu einem Minimum an sicherer
Beziehungserfahrung trägt immer auch
Information über Trauma und die Folgen
bei.
Therapieressource: die gut informierte
Patientin/ der gut informierte Patient als
Partner auf Augenhöhe
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Ressourcenaktivierung
Ausgehend von dem, was bereits da ist – es
ist fast immer etwas da, selbst wenn Pat.
sehr beschädigt wurde
Gezieltes Fragen nach Ressourcen: z.B.
Stärken, Fähigkeiten, Fertigkeiten
Fragebogen können manchmal hilfreich sein
Gezielte Nutzung der Vorstellungskraft
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Ressourcenaktivierung 2
Mit dem „Ressourcenohr“ zuhören und feed-
back dazu geben. Traumatisierte Menschen
würdigen selten ihre Ressourcen, weil sie
allzusehr auf das Schlimme, das
Nichtgelingende fokussiert sind
Auch das hat gute Gründe und sollte als
solches gewürdigt werden!
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Basale psychotherapeutische
Schritte
Pat. ist mehr als ihre/seine Probleme
Nutzung des Konzeptes verschiedener Teile oder
auch „ego-states“
Zunächst wenn möglich ressourcenvolle finden
und nutzen
Traumatisierte Anteile „versorgen“
Prinzip Nachbeelterung
Diese Schritte können häufig und in beinahe
jedem Setting möglich und sinnvoll sein!
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Voraussetzung für ein Gelingen der
Behandlung:
Der mitfühlende Arzt ist am erfolgreichsten
Hoffnung auf Seiten des Pat. wichtig, daher
Bei traumatisierten Pat. Hoffnung nähren
und aufbauen (Benedetti 2011)
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Trauern und neu Beginnen
Alle vorhandenen, bereits bekannten
Ressourcen nutzen
Erlernen neuer Fähigkeiten und Fertigkeiten
aufbauend auf bereits Vorhandenem
Trauern können ist eine große
Stärke/Ressource/ Resilienzfaktor
Trauerprozesse sind nicht immer gleich!
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Eine möglicherweise unbequeme
Einsicht
Veränderungen sind nicht immer möglich.
Es gibt Dinge, mit denen kann man nicht
„fertig“ werden.
Akzeptanz dessen, was ist, kann sehr
wichtig sein
Zur Resilienz gehört nicht nur „mastery“ von
allem, sondern auch Akzeptanz der Dinge,
die man nicht ändern kann.
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Einige Literaturempfehlungen
Benedetti, F. (2011) The patients brain
Boss, P. (2008)Verlust, Trauma und Resilienz, Klett-Cotta
Fegert,J.Uni Ulm „Traumatisierte Kinder: gemeinsame Herausforderungen an die Kinder‐undJugendpsychiatrie und–psychotherapie und an die Jugendhilfe“ Power point Präsentation im Internet unter:
https://www.uniklinik-ulm.de/fileadmin/default/Kliniken/Kinder-Jugendpsychiatrie/Praesentationen/FE_2017_11_08_Trauma_Kinder_Schloss_Pretzsch.pdf
Maercker, A. Posttraumatische Belastungsstörungen, Springer
Reddemann, L. (2001/2016) Imagination als heilsame Kraft. Klett-Cotta
Reddemann, L.(2011) Psychodynamisch imaginative Traumatherapie. Das Manual. Überarbeitete Neuauflage, Klett-Cotta
„Es gibt keine großen Entdeckungen und
Fortschritte, solange es noch ein
unglückliches Kind auf Erden gibt.“
Albert Einstein
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Vielen Dank für Ihr Interesse!