Psychodiagnostik und Therapie bei somatoformen autonomen ... · Symptome (Guthrie et al., British...

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Fallvorstellung am 22. April 2008 Psychodiagnostik und Therapie bei somatoformen autonomen Funktionsstörungen Anna Matheis Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Innere Medizin Abteilung VI

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Fallvorstellung am 22. April 2008

Psychodiagnostik und Therapie bei somatoformen autonomen

Funktionsstörungen

Anna MatheisAbteilung für Psychosomatische Medizin und

Psychotherapie, Innere Medizin Abteilung VI

• Fallvorstellung

• Somatoforme autonome Funktionsstörungen

• Prävalenz/ Ätiologie

• Psychosomatische Diagnostik

• Therapieoptionen

Fallvorstellung

• Fr. K., 33 Jahre, Assistentin der Geschäftsleitung bei einer Wohnungsbaugesellschaft in Stuttgart, ledig, lebt zurückgezogen im Haus der Mutter in eigener Wohnung

• Pat beschreibt folgende Symptome:- seit 6 Jahren Blähungen, Zunahme im Laufe des Tages- Pat hat Gefühl, Darmgase „abzuatmen“- 2-3x/ Tag breiigen, dünnen Stuhlgang, damit verbunden starke Unterbauchschmerzen

• Komplette gastroenterologische Abklärung extern, „Doctorhopping“, schließlich Diagnose einer Lactose- und Fructoseintoleranz

Fallvorstellung

• Entwicklung eines restriktiven Eßverhaltens, Gewichtsabnahme von 12 kg, BMI bei Vorstellung in der Ambulanz 17,9 kg/m²

• Zunehmender sozialer Rückzug, Flatulenzen und „Abatmen“ von Darmgasen ist extrem schambesetzt

• Häufige Krankschreibung

• Keine Partnerschaft

• Keine Besserung der Symptomatik

• Pat stellt sich auf eigenen Wunsch bei uns in der Reizdarmsprechstunde vor, bis dahin sehr auf somatische Diagnose fixiert

SAF des unteren GastrointestinaltraktsDefinition – ROM III

Hauptkriterien:für wenigstens 3 Tage im Monat in den vergangenen 3 Monaten wiederkehrende abdominelle Schmerzen oder Beschwerden, die zwei oder mehr der folgenden Merkmale haben:

- Vermindert nach der Defäkation- Verbunden mit einer Änderung der Stuhlfrequenz- Verbunden mit einer Änderung der Stuhlkonsistenz

Fakultative Kriterien:- Gefühl der inkompletten Entleerung- Schleimbeimengung- Blähungen oder das Gefühl des Aufgetriebenseins

AWMF Leitlinie Somatoforme autonome Funktionsstörungen von 11/2001 Definition in Anlehnung an ICD- 10

� Wiederholte Darbietung körperlicher Symptome

� Forderung nach weiteren Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse

� Und trotz der Versicherung der Ärzte, daß die Symptome nicht bzw. nicht ausreichend körperlich begründbar sind

� Patient ist von einer körperliche Genese überzeugt

� Häufige Symptome sind außerdem: Schweißausbrüche, Mundtrockenheit, Hitzewallungen, Druckgefühl im Epigastrium, Kribbeln oder Unruhe im Bauch, Singultus oder Brennen im Epigastrium, häufiger Stuhlgang, Völlegefühl, Überblähung etc.

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Score

aus: Gwee et al., 1996

Ätiologie

Theorien zur Pathogenese des Reizdarmsyndroms Viszerale Perzeptionsstörung (Hypersensibilität)

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Ballonvolumen (ml)

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Patienten mitReizdarmsyndrom

Ritchie, Gut 1973; 14: 125

Gesunde

Prävalenz

• Prävalenzrate in Nordeuropa, USA und Japan 6,6-25%

• Jüngere Menschen häufiger betroffen

• Nur 20%-30% suchen ärztliche Hilfe auf

• In der allgemeinmedizinischen Praxis 12%

• 20-50 % der Pat. beim Gastroenterologen

Prävalenz

Assoziation zu psychischen Erkrankungen wie Depression, Angst-und Panikstörungen bei:

• 40% - 65% der Patienten mit IBS

• 19% bei Patienten mit organischen gastrointestinalenErkrankungen

• 16% bei körperlich gesunden Kontrollgruppen

Psychosomatische Diagnostik

Ziele der Psychosomatischen Diagnostik:

• Diagnose stellen/ Diagnose aufgreifen

• psychische Komorbidität erfassen

• Ausmaß der Belastung erfassen

• Anhaltspunkte für Stressoren, Trigger finden

• Ggf. geeigneter Therapieform zuführen

Psychosomatische Diagnostik

Erweiterte Anamnese (nach Hahn) mit den Schwerpunkten:

� Aktuelle Beschwerdesymptomatik

� Beschwerdeentwicklung

� Auslösesituation

� Subjektive Krankheitstheorie

� Krankheitserleben, Krankheitsverhalten und –verarbeitung

� Sozialer Bereich: Familie, Arbeit, Freizeit

� Depressivität und Angst

Fallvorstellung

• Stationäre Aufnahme der Patientin

• Diagnose:- somatoforme autonome Funktionsstörung des unteren Gastrointestinaltraktes

- mittelgradig depressive Episode

- Anfänglich Ausschluß einer Essstörung

Psychotherapiestudien

• Psychotherapie verbessert bei Patienten mit einem chronischen Reizdarmsyndrom sowohl die psychischen als auch physischen Symptome (Guthrie et al., British Journal of Psychiatry 1993)

• Verhaltenstherapie verbessert den mit den Beschwerden verbundenen Stress und die Einschränkungen (Boyce, P. et al., Australian and New Zealand Journal of Psychiatry 2000)

• Psychotherapie verbessert bei Patienten mit schwerem Reizdarmsyndrom die gesundheitsbezogene Lebensqualität (Creedet al., Gastroenterology 2007)

• Verhaltenstherapie hat einen direkten Effekt auf die Verbesserung der gesamten Reizdarmsymptome ( Lackner et al., Gastroenterology 2007)

Therapie allgemein

• Diagnosemitteilung und Information über die Gutartigkeit der Erkrankung

• Erläuterung der Zusammenhänge zwischen Symptomen, objektivierbaren Befunden und der Befindlichkeitsstörung

• Aufklärung über mögliche Ursachen

• Erarbeiten eines psychosomatischen Krankheitsmodells

• Vermeidung wiederholter Diagnostik

Kreislauf psychosozialer Zusammenhänge

Somatoforme Störung

Angst, mangelnde Krankheitsbewältigung (Scham)

Verminderung von Aktivität und Lebensfreude

Verminderung der Leistungsfähigkeit Verlust des Selbstvertrauens

Depression, Angst, Sozialer Rückzug

Stress

Senkung der Empfindungsschwelle

Symptomtagebuch

Sonstiges

Medikamente(1)-(2)-(3)-(4)-(5)(1)-(2)-(3)-(4)-(5)(1)-(2)-(3)-(4)-(5)(1)-(2)-(3)-(4)-(5)

Entspannung1=entspannt5=angespannt

(1)-(2)-(3)-(4)-(5)(1)-(2)-(3)-(4)-(5)(1)-(2)-(3)-(4)-(5)(1)-(2)-(3)-(4)-(5)

Streß1=keine Belastung5=starke

Essen/GetränkeMenge, Uhrzeit

StuhlgangAnzahl

(1)-(2)-(3)-(4)-(5)(1)-(2)-(3)-(4)-(5)(1)-(2)-(3)-(4)-(5)(1)-(2)-(3)-(4)-(5)

BeschwerdenDauer1=keine5=starke

Abend/NachtNachmittagMittagMorgen

Psychosomatische Grundversorgung

• Psychoedukation: Verhaltenshinweise, Stressmanagement, Ernährungsberatung

• Krankheitsbewältigungsstrategien (was kann der Pat. selber tun, wenn es ihm schlecht geht)

• Entspannungstherapien:Autogenes Training, progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, Yoga u.a.

(Psycho-) Therapieformen

• Psychosomatische Grundversorgung

• Psychotherapie- Verhaltenstherapie- Psychodynamische Psychotherapie- Psychoanalyse- ambulant, teilstationär, stationär- alleine oder in Gruppe

• Körperorientierte Psychotherapieverfahren

• Kreativtherapien

• Selbsthilfegruppen

Medikamentöse Therapie

• Neben der symptomorientierten Therapie

• Behandlung der komorbiden Störungen

- Gabe von SSRI (bspw. Escitalopram)

- oder eines TCA (bspw. Amitriptylin)

Therapie- stationär

• Indiziert, wenn ambulante Therapie nach 6 Monaten keine Verbesserung der Beschwerden bringt

• Indiziert bei Simultandiagnostik

• Indiziert bei erheblicher Beeinträchtigung des Patienten (beruflich, privat etc)

• Ziel: Besserer Umgang mit den Beschwerden, Erlernen von Krankheitsbewältigungsstrategien, Verstehen von Zusammenhängen, (Wieder-) Herstellen einer höheren Lebensqualität etc

• Dauer ca. 4- 8 Wochen

Danke für Ihre Aufmerksamkeit