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Psychologie des Alterns
Vorlesung im Rahmen des Querschnittfachs „Medizin des Alterns und des alten Menschen“
04. Juni 2014
Dipl. Psych. Angela FuchsInstitut für Allgemeinmedizin, Medizinische Fakultät, Universität Düsseldorf
Ab wann ist man alt?
Für Kinder sind schon die über 30-Jährigen alt. Die über 50-Jährigen erleben sich selbst meist nicht
als alt und sehen die über 60-Jährigen zwar als älter, aber ebenfalls nicht als alt an.
Das „Alter“ beginnt für alternde Menschen meist mit dem Zeitpunkt, wenn Aktivitäten eingeschränkt werden und die körperliche Pflegebedürftigkeit beginnt/zunimmt.
Altern liegt im Trend
Soziale und gesellschaftliche Bedingungen des Alterns
VL Medizinische Soziologie:
veränderte Lebenserwartungveränderte Bevölkerungsstruktur (relativer Anteil und
absolute Zahl älterer Menschen steigt)veränderter Lebenszyklus (BALTES : drittes Alter – viertes
Alter – Hochaltrigkeit)
Auswirkungen auf den Alternsprozess
Psychologische Alternsforschung
Die Psychologie der menschlichen Entwicklung war lange Zeit fast ausschließlich auf die Entwicklung im Kindes- und Jugendalter bezogen.
Das Erwachsenenalter wurde als Phase der vollständig entwickelten Persönlichkeit betrachtet.
Das Altern war mit der Vorstellung von Abbau, Defiziten, Krankheit und Abhängigkeit verknüpft (Entwicklungsumkehr).
Modelle des Alterns: Mechanistische Defizitmodelle
Modelle des Alterns: Mechanistische Defizitmodelle
Grundannahme eines generellen Abbaus psychophysiologischer Funktionsfähigkeit
Prämisse biologischer Alternsforschung Postulat einer „Adoleszenz-Maximum-Hypothese“ Abkehr gelang nur mühsam, obwohl durch viele
gerontologische Forschungsergebnisse zur fortbestehenden Kompetenz und Plastizität im Alter widerlegt
Paradigmenwechsel erst im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte
Theorien „erfolgreichen Alterns“
Aktivitätstheorie: positiver Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit, hoher sozialer Aktivität und Interaktion viele empirische Belege; Kritik am universellen Anspruch
Modell der Selektiven Optimierung und Kompensation (SOK): Metamodell erfolgreichen Alterns (BALTES & CARSTENSEN 1996): drei konstituierende Komponenten erfolgreicher Anpassung an Lebensveränderungen, Belastungen und Älterwerden
Das SOK-Modell
Ressourcen-verluste
SelektionOptimierung
Kompensation
Eingeschränktesaber
selbstwirksamesLeben
PsychologischePsychologischeAnpassungsprozesse: Anpassungsprozesse:
Modelle des Alterns:Das SOK-Modell
Selektion: Auswahl und Veränderung von Zielen, Erwartungen und Wünschen
Optimierung: Stärkung und Nutzung vorhandener Handlungsmittel und Ressourcen
Kompensation: Schaffung, Training und Nutzung neuer Handlungsmittel
► zugrunde liegende Konzepte: Plastizitäts-These und Inaktivitätsatrophie-Annahme
Das SOK-Modell: Der Pianist Arthur Rubinstein
Selektion: Das Repertoire begrenzen. Optimierung: Die ausgewählten Stücke verstärkt
üben. Kompensation: Einen Kunstgriff anwenden:
Vor besonders schnellen Passagen das Tempo verlangsamen. Im Kontrast erscheinen diese Passagen dann wieder ausreichend schnell.
Schwerpunkte alterspsychologischer Forschung
Übersicht:
Konstanz und Veränderung der Intelligenz Konstanz und Veränderung des Gedächtnisses Befundlage zur Emotion
Befundlage zur Intelligenz
Korrektur vieler Vorstellungen durch Fortschritte gerontologischer Längsschnittforschung
Unterscheidung „fluider“ und „kristalliner“ Intelligenz (HORN & CATELL 1966)
aktuelle Befundlage (SLS, BOLSA u.a.):- hohe Stabilität der Intelligenz- kein genereller altersassoziierter Abbau- Einbußen ab ca. 75 J. primär bei fluider Intelligenz
Befundlage zur Intelligenz
Befundlage zur Intelligenz
relevante Einflussfaktoren:- sozialer Status- Gesundheitszustand: Lungenfunktion, sensorische Defizite, spätere Demenz
Bedeutsamkeit der interindividuellen Variabilität in der Altersgruppe in Relation zu den Unterschieden zwischen den Altersgruppen
Befundlage zum Gedächtnis
keine bzw. geringe Altersveränderungen bei - impliziten (prozeduralen) Gedächtnisleistungen- Leistungen des Primärgedächtnisses
Altersveränderungen im- Arbeitsgedächtnis- episodischen Gedächtnis
relevante Einflussfaktoren:Begabung, Übung, Gesundheit, Motivation, innere Überzeugung deutlich höhere Varianzaufklärung als durch das Lebensalter!
Befundlage zur Emotion
keine Hinweise auf emotionale Verarmung im Alter, aber verstärktes Verbergen der Emotion
keine generelle Zunahme an Angstreaktionen Hinweise auf Zunahme spezifischer Angstgefühle
(Kriminalität; Sturz u. Einschränkung der körperl. Aktivität)
geringere Sorge um Finanzen und soziale Beziehungen als bei jungen Erwachsenen
weniger Angst vor dem Tod als im mittleren Erwachsenenalter
häufigeres Erleben von Einsamkeit
Prävention und Intervention:Prädiktoren subjektiven Wohlbefindens
subjektiver Gesundheitszustand als bester Prädiktor (BOLSA, ILSE u.a.)
weitere Prädiktoren:- Gesamt- bzw. Freizeitaktivitäten- hohe subjektive Alltagskompetenz- positive Selbstbild- Ausmaß an Zielerreichung- Zufriedenheit mit der Sexualität (♂)- religiöse Aktivität (♀)
Prävention und Intervention
Biologische Maßnahmen: Behandlung von Krankheiten Bewegung und ausgewogene Ernährung
Kognitive Maßnahmen: Mentales Training, Anregungen, Lernchancen Ausgleich des Rollen- und Funktionsverlustes
Aktivitätstheorie Entwicklungsregulation durch flexible Zielanpassung
(und realistische Zielvorgaben) SOK-Modell
Prävention und Intervention
Individuelle Ressourcen- und Stärkenanalyse Lebensspannenpsychologie: Gewinn- und
Verlustbilanzierung
Gewinne Verluste
Reifere Bewältigungs- und Lebenserfahrungen
Spontanheilung psychischer Störungen
Motivationale und emotionale Veränderungen
Angepasste Wohlbefindens-regulation
Physiologische und kognitive Funktionseinbußen
Somatische Erkrankungen und sensorische Behinderungen
Verstärkerverlust
Tod nahe stehender Personen
Kumulation von Belastungen
Beratung und Therapie
Ressourcen- und Stärkenanalyse Partnerschaft im Alter Umgang mit kritischen Lebensereignissen Abklärung psychischer Veränderungen:
Depression, Demenz Pflege, pflegende Angehörige, pflegendes Personal Umgang mit Tod und Sterben Umgang mit chronischem Schmerz Umgang mit Erkrankungen Umgang mit Verlust und Trauer Vermittlung spezieller Hilfeangebote
Rahmenmodell der Alterspsychotherapie (Maercker 2002)
Erschwerende Faktoren:- Multimorbidität- Interpersonelle Verluste- Fähigkeitseinschränkungen- eingeschränkte Lebenszeit
Erleichternde Faktoren:- kumulierte Bewältigungs- und Lebenserfahrung- motivationale und emotionale Veränderungen- angepasste Wohlbefindensregulation
neu
StörungenStörungen aus früheren Lebensphasen aus früheren Lebensphasen
Altersspezifik
angepasste Psychotherapien
Psychotherapie im Alter: Altersspezifik
Erschwerende Faktoren: Multimorbidität interpersonelle Verluste Fähigkeitseinschränkungen eingeschränkte Lebenszeit
Erleichternde Faktoren: angepasste Wohlbefindensregulation kumulierte Bewältigungs- und Lebenserfahrung
(„Reife“) motivationale und emotionale Veränderungen
Psychotherapie im Alter: Störungsspezifik
demenzielle Syndrome depressive Syndrome Angststörungen
weitere relevante psychische Störungen: hohe Suizidrate Älterer (insb. ♂) Schlafstörungssyndrome somatoforme Störungen, Substanzmissbrauch und
-abhängigkeit, Formenkreis wahnhafter Störungen (keine zuverlässigen Prävalenzschätzungen)
Psychotherapie im Alter: Therapieformen und -ziele
Altersspezifische Therapien: Kognitive Verhaltenstherapie Psychodynamische Kurzzeit- und Fokaltherapie Interpersonelle Psychotherapie Lebensrückblick-Interventionen Lebensende-Begleitung
Therapieziele: Symptomreduktion Wohlbefinden Reifung, Wachstum, Sinnfindung
Psychotherapie im Alter: Versorgungssituation
Generell: Unterrepräsentation Älterer in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung
Zurückhaltung bereits bei Patienten > 50
Bereitschaft zur Behandlungsübernahme älterer Patienten abhängig von bereits vorhandenen Behandlungserfahrungen mit dieser Altersgruppe
Begrenztes gerontopsychologisches Wissen bei den Therapeuten
Psychotherapie im Alter: Besonderheiten und Ziele
Anpassung an die kognitive Situation Älterer (Fokussieren auf aktuelles Thema, multimodale Instruktionen, Gedächtnishilfen, Strategien für den Aufmerksamkeitserhalt)
Berücksichtigung der Ressourcen und Kompetenzen (eigenes Wissen über Stärken, Erfahrungen aus früheren Problemlösungen)
Akzeptanz eines gewissen Grades von Abhängigkeit (Hauptziel ist nicht Autonomie!)
Anpassung an veränderte Lebensbedingungen Engagement in begrenzten Bereichen
Grundprinzipien psychotherapeutischen Handelns mit Älteren
Bedenke: multiple ProblematikKenne: Phänomene und Besonderheiten des Alters und des AlternsBeachte: Prinzip der minimalen, angemessenen InterventionPlane: zusätzliche, externe HilfenArbeite: auch mit Bezugspersonen, Angehörigen, sozialem UmfeldBeginne: bei vorhandenen KompetenzenFördere: soziale, psychische und somatische KompetenzenInformiere: über alle geplanten Interventionen und deren SinnErkenne: eigene Gerontophobie und FehlurteileNutze: Lebenserfahrungen älterer PatientenErfahre: Lernen ist immer und für jeden möglichBeachte: Ältere können meist mehr aushalten als Therapeuten glaubenVerringere: Vorurteile in der Öffentlichkeit