Psychologische Therapie- und Beratungskonzepte - ReadingSample · 2018. 3. 20. · Psychologische...

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Psychologische Therapie- und Beratungskonzepte Theorie und Praxis Bearbeitet von Annette Boeger 1. Auflage 2009. Taschenbuch. 206 S. Paperback ISBN 978 3 17 020811 7 Format (B x L): 15,5 x 23,2 cm Gewicht: 316 g Weitere Fachgebiete > Psychologie > Psychotherapie / Klinische Psychologie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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  • Psychologische Therapie- und Beratungskonzepte

    Theorie und Praxis

    Bearbeitet vonAnnette Boeger

    1. Auflage 2009. Taschenbuch. 206 S. PaperbackISBN 978 3 17 020811 7

    Format (B x L): 15,5 x 23,2 cmGewicht: 316 g

    Weitere Fachgebiete > Psychologie > Psychotherapie / Klinische Psychologie

    Zu Inhaltsverzeichnis

    schnell und portofrei erhältlich bei

    Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

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  • PsychTherapieBehand_AK9 / TYPOSCRIPT[HK]Seite 1[1]206, 2009/08/13, 11:02 Uhr · 9.1.470/W (Jun 2 2008)9. Korrektur

    1 Einf�hrung

    1.1 Psychotherapie und psychosoziale Beratung:Gemeinsamkeiten und Unterschiede

    Im Folgenden werden vier psychologische Grundkonzepte der Psychotherapiedargestellt (vgl. Abb. 1). Gleichermaßen stellen sie auch die Grundlage psycho-sozialer Beratung dar.

    Abb. 1: S�ulen der Psychotherapie und Grundlagen der psychosozialen Beratung

    1. Die psychoanalytisch orientierte Beratung geht davon aus, dass weit zur�ck-liegende, emotional ber�hrende Erlebnisse das gegenw�rtige Erleben der Klien-tin pr�gen. Individuelle Stçrungen liegen in der eigenen Biographie begr�ndet.Die Beziehung zwischen Therapeutin und Klientin steht im Vordergrund.

    2. Die klientenzentrierte Beratung geht von einem selbstgesteuerten, wachstums-f�higen Individuum aus. Damit die Klientin sich selbst verwirklichen kann, istein wachstumsfçrderndes Beratungsklima notwendig. Die Beraterin mussbestimmte Bedingungen schaffen (eine Atmosph�re der Akzeptanz, Empathieund Echtheit). Damit steht die Therapeutin-Klientin-Beziehung im Vorder-grund.

    3. Verhaltenstheoretische Beratung orientiert sich an den Lerntheorien; hiernachist alles Verhalten gelernt und kann auch wieder verlernt bzw. modifiziert wer-

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    den. Das trifft auch f�r bestimmte negative Denkmuster zu, die ver�ndertwerden kçnnen. Erreichen l�sst sich dies durch bestimmte Techniken. DasSymptom steht im Vordergrund.

    4. Systemische Ans�tze: Familienberatung. Menschen leben in sozialen Gef�genund bilden dynamische Systeme. Die Beziehungen innerhalb eines Systems sindintensiv. Sie funktionieren nach einer eigenen Dynamik und ver�ndern sichst�ndig. Die Beziehungen im System stehen im Vordergrund.

    Die Abgrenzung zwischen psychosozialer Beratung und Psychotherapie ist nichteinfach und erscheint teilweise widerspr�chlich. Beginnen wir mit rechtlich vor-gegebenen Unterschieden: Nach dem im Jahre 1998 erlassenen Psychotherapeu-tengesetz (PsychThG) wird Psychotherapie in der Heilkunde verortet und soll sichmit der Behandlung psychischer Stçrungen befassen. Die Psychotherapie – so sieals „anerkanntes“ Verfahren gilt und das sind Verfahren der Psychoanalyse und derdavon abgeleiteten Tiefenpsychologie sowie die Verhaltenstherapie – kann nur vonapprobierten Psychotherapeuten/innen durchgef�hrt werden und wird von denKrankenkassen erstattet. H�ufig findet sie in freier Praxis statt. Die Approbation istgekoppelt an eine Psychotherapieausbildung in den so genannten Richtlinienver-fahren (siehe oben: Psychoanalyse und Verhaltenstherapie) und setzt ein Studiumder Psychologie oder Medizin voraus. Psychosoziale Beratung dagegen findet iminstitutionellen Rahmen statt und ist in der Regel kostenfrei. Die Psychotherapiebehandelt Stçrungen mit Krankheitswert, die Arbeitsunf�higkeit zur Folge haben.Dazu z�hlen u. a. neurotische Stçrungen und Konflikte, seelische Behinderungenals Folgezust�nde kçrperlicher Erkrankungen und Entwicklungsdefizite, falls psy-chodynamische Faktoren wesentlichen Anteil daran haben. Psychosoziale Beratunggreift bei aktuellen Lebenskrisen, in denen die Bew�ltigungskapazit�ten des Ein-zelnen �berfordert sind. Manchmal ist eine Abgrenzung nicht einfach, weil etwaauch Probleme wie z. B. Partnerschaftskonflikte, Selbstwertkrisen oder Motiva-tionsprobleme w�hrend der Ausbildung psychotherapeutisch behandelt werden.Das sind aber keine Krankheiten im eigentlichen Sinne, wie Barabas (2004,S. 1210 f) bemerkt. Eine formale Abgrenzung zwischen Stçrungen mit Krankheits-wert und beeintr�chtigenden Konflikten aus der Lebenswelt ist also bei genaueremHinsehen nicht unbedingt eindeutig, es gibt fließende �berg�nge.

    Sowohl im beraterischen Kontext als auch im therapeutischen Kontext sind diegleichen Berufsgruppen anzutreffen, sofern beides im institutionellen Rahmenstattfindet. Angehçrige psychosozialer Berufsgruppen kçnnen ebenfalls eine bera-terische oder psychotherapeutische Ausbildung machen, allerdings ohne dieApprobation zu erlangen. Eine Ausnahme stellt die Approbation zum/r Kinder-und Jugendlichentherapeuten/in dar. Diese kann auch mit dem Studienabschlussder P�dagogik oder Sozialp�dagogik erworben werden.

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    Gemeinsamkeiten von Psychotherapie und Beratung

    Psychotherapie und Beratung haben zun�chst inhaltlich viele �berschneidungs-punke (Engel et al. 2004, S. 36). Rein �ußerlich betrachtet, wird man in beidenKontexten h�ufig kaum Unterschiede feststellen.

    l Ablauf: Es finden professionelle Gespr�che �ber die seelische Verfassung unddie persçnlichen Probleme der Klientin statt. Im Rahmen eines Interaktions-prozesses soll die Ratsuchende mehr Klarheit �ber die eigenen Probleme undihre Bew�ltigung gewinnen.

    l Interventionen: Auch die Interventionen sind �hnlich, da sowohl Beratung alsauch Psychotherapie auf die gleichen Grundkonzepte zur�ckgreifen.

    l Entwicklung von Ressourcen: Sowohl in Therapie als auch in Beratung geht esimmer um die Entwicklung persçnlicher Ressourcen und die St�rkung derProblemlçsekompetenz.

    l Asymmetrische Beziehung: Bei beiden Interventionsformen muss von einemasymmetrischen Prozess gesprochen werden, auch wenn manche Konzepte dieGleichgewichtigkeit des Gegen�bers betonen: Die ratsuchende oder therapie-aufsuchende Person f�hlt sich in ihrer Situation hilflos und sucht professionelleHilfe auf.

    l Vertrauensvolle Beziehung: Beide Formen kçnnen nur erfolgreich sein, wennsich auf Seiten der Klientin eine vertrauensvolle Beziehung zur Beraterin/The-rapeutin einstellt.

    l Freiwilligkeit: Beratung und Therapie finden in der Regel freiwillig statt. Dem-zufolge ist die Klientin motiviert und ver�nderungsbereit. Beides kann jedochauch staatlich verordnet werden (z. B. Therapieauflage f�r den T�ter bei sexu-ellem Missbrauch oder Schwangerschaftskonfliktberatung).

    Unterschiede von Psychotherapie und Beratung

    l Dauer: W�hrend eine Beratung eher kurzfristig angelegt ist und ca. 3 – 5 Sitz-ungen umfasst, kann eine Therapie u. U. mehrere Jahre dauern.

    l Kosten: Die Beratung ist kostenfrei im Rahmen der psychosozialen Betreuung(Sozialgesetzgebung), die Therapie ist eine Kassenleistung und muss beantragtwerden.

    l Zugangsweg: Demzufolge ist bei der Beratung der Zugangsweg offen f�r jeden,das Angebot ist im Vergleich zur Therapie niederschwellig. Der Zugang zurTherapie erfolgt dagegen �ber ein Gutachten zur Therapiebed�rftigkeit, welchesvon der Krankenkasse genehmigt werden muss.

    l Anwendungsfeld und Zielsetzung: Die Bezeichnung Psychotherapie (griech.:Heilen der Seele) steht als Oberbegriff f�r alle Formen psychologischer Verfah-ren, die ohne Einsatz medikamentçser Mittel stattfinden. Sie zielen auf dieBehandlung psychischer und psychosomatischer Krankheiten, Leidenszust�ndeoder Verhaltensstçrungen ab und auf eine Ver�nderung und Entwicklung derPersçnlichkeit. Damit haben sie einen kurativen (heilenden) Anspruch.

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    Demgegen�ber ist das Anwendungsfeld der psychosozialen Beratung erheblichweiter und umfasst zahlreiche Beratungsfelder der P�dagogik und der SozialenArbeit. Sie ist nicht auf Heilen ausgerichtet, sondern gibt relativ gesunden Men-schen Hilfestellung bei der Auseinandersetzung mit allen Arten psychosozialerSchwierigkeiten, allgemeinen Lebensproblemen, normativen oder nicht-norma-tiven kritischen Lebensereignissen, welche die Persçnlichkeit „nicht zutiefstbeeintr�chtigen“ (vgl. Engel et al. 2004, S. 38; Nestmann et al. 2004, S. 599; Groß-maß, 2004, S. 100).Außerdem ist psychosoziale Beratung nach Engel et al. (2004, S. 35) doppeltverortet: Sie hat nicht nur den Auftrag, anhand von professionellen Beratungs-methoden zu beraten; sie muss dar�ber hinaus gew�nschte Informationen sach-kundig erteilen.Da sich Beratung eher mit relativ ungestçrten Personen befasst (Nußbeck, 2006,S. 22), liegt der Fokus bei der Beratung ausschließlicher auf der St�rkung vonRessourcen. Beratung findet h�ufig unter einem rehabilitativen Aspekt (Bew�l-tigung von Krankheit, Kompensation von Behinderungen) oder einem pr�ven-tiven (vorbeugenden) Aspekt statt: In letzterem Fall sollen durch Beratungs-angebote Probleme erst gar nicht entstehen. Beratung kann aber auch kurativenCharakter haben und hat in diesem Fall die grçßte N�he zur Psychotherapie.

    Abb. 1 a: St�rkung von Ressourcen durch die Beraterperson

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    s! MerkePsychosoziale Beratung und Psychotherapie bieten auf der Basis professioneller Konzep-te Hilfestellung bei der Lçsung von Problemen, der Bew�ltigung von Krisen und demAufbau von Ressourcen. Die Psychotherapie als Teil des medizinischen Versorgungssys-tems geht dabei von einem Krankheitsmodell aus, richtet ihr Augenmerk eher auf inner-psychische Probleme (Ausnahme: Familientherapie) und zielt auf eine �nderung derPerson und ihres Verhaltens. Die psychosoziale Beratung findet in vielf�ltigsten T�tig-keitsfeldern statt; sie betont mehr den lebensweltlichen Kontext, in dem die Konflikteentstehen. Im Gegensatz zur Psychotherapie hilft sie zus�tzlich konkret durch Informati-onsvermittlung und ist damit direktiver. Beide Konzepte setzen den Ver�nderungswillender Ratsuchenden voraus; Ver�nderungen kçnnen nur auf der Basis einer vertrauens-vollen Beziehung stattfinden.

    1.2 L�sst sich das Psychotherapiekonzept auf dasBeratungskonzept �bertragen?

    Achtung: Liebe Leserin und lieber Leser: Dieses Kapitel f�llt Ihnen leichter nach demStudium der vier Ans�tze!

    Wie dargestellt, sind die Gemeinsamkeiten zwischen Beratung und Psychothe-rapie groß und die �berg�nge fließend. Besonders, wenn Beratung unter demkurativen Aspekt stattfindet, sind die Unterschiede gering. Wie nehmen die ein-zelnen Ans�tze Stellung zu einer Abgrenzung zwischen beiden Konzepten?

    Familientherapie und VerhaltenstherapieWeder in der Literatur zur Familientherapie noch zur Verhaltenstherapie lassensich Hinweise auf eine differentielle Indikation bez�glich Beratung und Therapiefinden. Borg-Laufs (2004, S. 636) etwa betont die Gemeinsamkeiten hinsichtlichBeziehungsgestaltung, Technik und Durchf�hrung zwischen verhaltensorientierterBeratung und Therapie. Allerdings lehnt er – im Einklang mit zahlreichen anderenAutoren – die Definition von Beratung als „kleine Therapie“ ab und beschreibtBeratung vielmehr als erheblich weitergehend, da sie den lebensweltlichen Kontextzus�tzlich st�rker einbezieht. Die Bedingungen in der Umwelt, welche die Verhal-tensprobleme verursachen und aufrechterhalten, m�ssen zus�tzlich zu den indi-viduellen Problemen ver�ndert werden. Dies geschieht durch verhaltenstherapeu-tische Methoden und sozialarbeiterische Interventionen.

    PsychoanalyseBeim psychoanalytischen Ansatz steht die Beziehung zwischen Beraterin undKlientin und die bewusste und unbewusste Wahrnehmung dieser Beziehung imMittelpunkt. Die Beachtung dieser Beziehungserwartungen schließt nach Arge-

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    lander (1985, S. 168) aber keineswegs die Hilfestellung bei schwierigen Lebens-situationen aus. Rauchfleisch bezeichnet diese gleichzeitige Ber�cksichtigungsowohl der inneren Dynamik als auch der sozialen Realit�t als „bifokales“ Vor-gehen (Rauchfleisch, 2004, S. 90). Genau wie in Psychotherapien entstehen auch inBeratungssituationen gef�hlsm�ßige �bertragungen auf die Beraterperson, die aufKonflikte mit fr�hen Bezugspersonen zur�ckzuf�hren sind und die mit der aktu-ellen Situation nur wenig zu tun haben. Die Beraterperson wird damit zu einerProjektionsfl�che f�r �ngste, W�nsche und Konflikte, die fr�hen Bezugspersonengelten. Bei der Beraterperson werden ebenfalls durch das Gegen�ber Gef�hle aus-gelçst, was als Gegen�bertragung bezeichnet wird (vgl. Kap. 2.4.2, 2.4.4).

    Warum ist die Beachtung dieser �bertragungsvorg�nge und Gegen�bertra-gungsvorg�nge auch in einer Beratungssituation, die zeitlich befristet ist und oftnur der Informationserteilung dient, sinnvoll? Zun�chst entlastet das Wissen um�bertragungsprozesse die Beraterperson, sie kann gelassener mit schwierigenInteraktionen in der Beratung umgehen (Rauchfleisch, 2006, S. 168). Viele Bezie-hungskonflikte zwischen Beraterperson und Klientin kçnnen als Ausdruck dieser�bertragungs- und Gegen�bertragungsprozesse verstanden werden. Aufgrund desVerst�ndnisses dieser Prozesse wird es mçglich, mit Beziehungskonflikten kon-struktiver umzugehen. Die Beachtung von �bertragungsph�nomenen sollte inallen Beratungssituationen stattfinden, unabh�ngig vom theoretischen Modell.Ihre Beachtung kann Beratungsabbr�che verhindern, weil �bertragungsbedingteKonflikte angesprochen und bearbeitet werden.

    Klientenzentrierter AnsatzDer klassische klientenzentrierte Ansatz macht ebenfalls keinen Unterschied zwi-schen Beratung und Psychotherapie. Es h�tte Rogers Grundeinstellung widerspro-chen, zwischen beiden Bereichen zu unterscheiden. Er betont vielmehr, dass dievon ihm entwickelten Merkmale eines hilfreichen Gespr�chs eine geeignete undhilfreiche Kommunikationsform f�r alle Lebensbereiche seien. Allerdings habenvereinzelt Autoren/innen versucht, das klientenzentrierte Beziehungsangebot inBezug auf Beratung zu differenzieren und zu modifizieren (Sander, 2004; Bier-mann-Ratjen et al., 2003). Nach dem klientenzentrierten Therapiekonzept beste-hen Stçrungen des Individuums aus einer Inkongruenz (Unvereinbarkeit) zwi-schen zwei inneren Tendenzen (vgl. Kap. 3.3.1). Laut Sander (2004, S. 336 ff)geht es bei der Beratung dagegen eher um eine erlebte Inkongruenz zwischenAnforderungen aus der Umwelt und dem Eigenerleben. Dies ist z. B. der Fall,wenn Lebensereignisse als belastend wahrgenommen werden und gleichzeitig dieeigenen Bew�ltigungskapazit�ten als gering eingesch�tzt werden. Bei der Beratungspielt also die Bearbeitung des Selbst der Klientin eine geringere Rolle als bei derPsychotherapie. Die Gespr�chsthemen der klientenzentrierten Beratung sind dem-zufolge eher an den Belastungen der Außenwelt und an der Entwicklung vonHandlungskompetenzen orientiert als das bei der klientenzentrierten Psychothe-rapie der Fall ist. Biermann-Ratjen et al. (2003, S. 195 ff) gehen einen Schrittweiter, wenn sie sogar einen Widerspruch zwischen der Rolle der Sozialarbeiterin

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    und der klientenzentrierten Haltung herausarbeiten: Der çffentliche Auftrag, dendie Sozialarbeiterin hat (z. B. ein Kind aus der Familie zu nehmen), verlangt vonihr Beurteilung, Kontrolle und Verwaltung. Diese Aufgabe begrenzt und wider-spricht den klientenzentrierten Mçglichkeiten.

    Ebenfalls kann der Wunsch einer Klientin nach Informationen (finanzielleAnspr�che, Umgangsrecht usw. im Scheidungsfall) eine klientenzentrierte Hal-tung, etwa als Widerspieglung der Gef�hle, unangemessen erscheinen lassen:Die Klientin mçchte Informationen haben und sich nicht mit ihren Gef�hlenauseinandersetzen. Mçglicherweise verbirgt sich aber hinter dem Wunsch nachInformationen der Wunsch nach Unterst�tzung und Hilfestellung bei der psy-chischen Verarbeitung der Krisensituation. Empathie w�rde also in diesem Fallnicht das Widerspiegeln von Gef�hlen bedeuten, sondern das Verstehen, was dieKlientin wirklich will und das darauf folgende Eingehen auf diesen Wunsch. DieAufgabe der Beraterin ist es also, das Beziehungsangebot der Klientin wahrzuneh-men. Dar�ber hinaus muss sie sich selbst und ihre eigenen Gef�hle in Bezug aufdie Klientin wahrnehmen. �ber diese Wahrnehmung der eigenen Gef�hle erh�ltdie Sozialarbeiterin Aufschluss dar�ber, was die Klientin will. Nur dann kann sienach Bierman-Ratjen et al. (2003) angemessene Hilfsangebote finden. Nichtsanderes meint die Psychoanalyse mit den Prozessen der �bertragung und Gegen-�bertragung.

    s! MerkeVersuche, Psychotherapiekonzepte auf Beratungsmodelle zuzuschneiden, finden sich inder Literatur nur sp�rlich. Insbesondere das in der Sozialarbeit verbreitete klientenzen-trierte Konzept bedarf aufgrund des weiten Handlungsfeldes einiger Modifikationen. Sokann eine Sozialarbeiterin einer Beratungsstelle, die bei Entscheidungskonflikten Hilfe-stellung gibt, eher non-direktiv vorgehen als die Kollegin vom Allgemeinen Sozialdienst,die u. U. Entscheidungen ohne Zustimmung der Klientin treffen muss. In letzterem Fall istder f�r eine Beratung nçtige Vertrauensaufbau sehr erschwert. Einsichtsorientierte Ver-fahren eignen sich dann nur bedingt, da die Sozialarbeiterin ihre non-direktive Haltungverlassen muss. Umso zentraler ist die Beachtung des Beziehungskontextes in jedwedemBeratungskontext. Hier greift das Beziehungsmodell der �bertragung und Gegen�ber-tragung aus der Psychoanalyse, welches auch in der klientenzentrierten Literatur vor-geschlagen wird. Je eher die Beratung kurativen Charakter hat, desto eher kann dieBeraterin Methoden aus der Psychotherapie anwenden, sei sie psychoanalytisch, klien-tenzentriert, familientherapeutisch oder verhaltensorientiert ausgerichtet. Je mehrjedoch die psycho-soziale T�tigkeit auch typische sozialarbeiterische Aufgaben umfasst,wie Informationsvermittlung oder das Treffen von Entscheidungen gegen den Willen derKlientin, desto eher ergeben sich beraterische und therapeutische Begrenzungen.

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    1.3 Das Menschenbild in Psychotherapie undBeratung

    Mit dem Begriff Menschenbild wird die Vorstellung, das Bild, das jemand vomWesen des Menschen hat, bezeichnet. Es enth�lt das Selbstbild und das Bild vonanderen Menschen und besteht aus Annahmen und �berzeugungen �ber denMenschen, die nicht nachgewiesen sind. Zuschreibungen von Eigenschaften undUrsachen von Eigenschaften spielen dabei eine wichtige Rolle. Damit l�sst sich dasMenschenbild als eine subjektive Theorie, eine Alltagstheorie oder auch als Welt-anschauung bezeichnen.

    Menschenbilder sind „persçnliche Theorien“ (Fahrenberg, 2004, S. 11, S. 305),die im Gegensatz zu wissenschaftlichen Theorien weniger differenziert und aus-gearbeitet sind; es sind keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die empirischgepr�ft sind.

    Auch Forscher und Forscherinnen haben ein subjektives Bild vom Menschen.Meist bildet dieses die Grundlage f�r Persçnlichkeitstheorien, die sich z. B. fragen:Welches ist die grundlegende Natur des Menschen? Ist er ein irrationales, von unbe-wussten Trieben gesteuertes Wesen oder ist er selbst bestimmt und rational? Hat dieVergangenheit einen wesentlichen Einfluss auf sein gegenw�rtiges Handeln oder istder Mensch ausgerichtet auf die Zukunft? Ist sein Verhalten von der Umwelt abh�n-gig und steuerbar oder entscheidet er selbst aufgrund von inneren Prozessen?

    Alle psychologischen Theorien �ber den Menschen gehen davon aus, dass eswichtige Faktoren in seiner Umgebung oder innerhalb seines Organismus gibt, diesein Verhalten bestimmen. Extrempositionen, die heute nicht mehr in ihrer Aus-schließlichkeit vertreten werden, nehmen Freud und Skinner ein. W�hrend Skin-ner den Menschen als passives Opfer der Umwelt ansah, besch�ftigte sich Freudausschließlich mit dem, was im Inneren einer Person vorgeht. Sicher kann mansagen, dass die hier vorgestellten Menschenbilder, welche die Grundlage f�r diejeweilige Persçnlichkeitstheorie und das jeweilige psychotherapeutische Konzeptbilden, nicht ausschließlich gesehen werden kçnnen; sie stellen vielmehr Mosaik-teile eines Gesamtbildes der Persçnlichkeit dar.

    Man kann mit Pervin (2000, S. 490) �bereinstimmen, dass wir alle Persçnlich-keitsforscher und -forscherinnen sind: Menschen entwickeln Theorien �ber Men-schen und ihr Verhalten. Diese Theorien sind implizit, d. h. wir machen sie unsnicht bewusst, wir reflektieren sie nicht, sie bestimmen aber unser Verhalten.Unser individuelles Menschenbild ist biographisch begr�ndet. Es entstammt unse-rer eigenen Lebenserfahrung und beruht letztlich auf den Erfahrungen mit bedeut-samen Bezugspersonen. Diese Erfahrungen sind verantwortlich f�r unsere Mei-nung �ber den Menschen und diese Meinung beweisen wir uns t�glich selbst,indem wir ausschnitthaft nur das wahrnehmen, was in dieses Bild passt. Auchdas Menschenbild einer Beraterperson stammt aus ihrer individuellen Lebens-erfahrung, vielleicht wird es erg�nzt durch die Berufserfahrung.

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    Es ist nun die Aufgabe der psychotherapeutisch/beraterisch und auch p�dagogischT�tigen, sich ihr eigenes handlungsleitendes Menschenbild, das sie als etwas ganzSelbstverst�ndliches ansieht, bewusst zu machen und zu reflektieren. Die Reflek-tion �ber das eigene Menschenbild ist deshalb unerl�sslich, weil es das professio-nelle Handeln bestimmt: Bin ich �berzeugt davon, dass der Mensch ohne Anlei-tung und Kontrolle nicht zurechtkommt, weil er sonst seinen negativen Impulsennachgibt, oder glaube ich an die positiven Wachstumskr�fte im Menschen? Einsolches Nachdenken �ber das eigene Menschenbild f�hrt zur Auseinandersetzungmit der eigenen Biographie, was aus weiteren Gr�nden sinnvoll ist: Als Berater-person kann ich anderen Menschen nur soweit helfen, wie ich selbst mit derLçsung entsprechender Probleme in meinem eigenen Leben gekommen bin. Des-halb enthalten alle Curricula beraterischer und psychotherapeutischer Ausbildun-gen so genannte Selbsterfahrungseinheiten, die diese Auseinandersetzung mit sichselbst, dem eigenen Menschenbild und dem Selbstverst�ndnis als Beraterpersonermçglichen.

    1.4 Wirkfaktoren und Merkmale von Psychotherapieund Beratung

    Seit den 1960er Jahren (Frank, 1961) gibt es Forschungen zur Wirksamkeit vonpsychotherapeutischen Methoden. Wichtige Studien aus letzter Zeit stammen vonGrawe (Grawe et al. 1994; Grawe, 1995, 1999, 2000, 2007). Einen �berblick �berdie Forschung bieten u. a. Hautzinger und Eckert (2007). Da Psychotherapie undBeratung, insbesondere, wenn es sich um kurative Beratung handelt, zahlreiche�berschneidungen aufweisen, wird im Folgenden davon ausgegangen, dass dieBefunde zu Wirkfaktoren bei Psychotherapie auch auf Beratungsprozesse zutref-fen.

    Eine Richtung, die nach allgemeinen, den unterschiedlichen Psychotherapie-richtungen zugrunde liegenden positiven Wirkfaktoren sucht, vertritt Frank(1961). Franks These lautet, dass es nicht die Techniken selbst sind, sondern dieFunktionen, die sie entfalten, welche zu positiven Wirkungen f�hren. Demnachbietet der Therapiekontext laut Frank Lernchancen f�r neues F�hlen, Denken undHandeln. Er tr�gt zur Hoffnung auf Besserung bei, er gew�hrt Erfolgserlebnisseund eine vertrauensvolle Beziehung. Grawe entwickelte auf der Basis der Auswer-tung zahlreicher Psychotherapiestudien ein Modell genereller, psychotherapeuti-scher Wirkfaktoren. Sein Modell basiert ebenfalls auf der Idee, dass positive Wir-kungen auf verschiedene Weise herbeigef�hrt werden kçnnen und sich deshalb dieverschiedenen Psychotherapiekonzepte nicht ausschließen, sondern erg�nzen. Erbeschreibt folgende vier wesentliche Wirkfaktoren, wobei allerdings Zusammen-h�nge zwischen diesen Wirkfaktoren nicht erl�utert werden:

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    RessourcenaktvierungIn der Therapie sollen die vorhandenen positiven Mçglichkeiten, F�higkeiten,Motivationen der Klientin herausgestellt und genutzt werden Die Klientin sollsich in ihren positiven Seiten erfahren und in diesen best�rkt werden. Der The-rapieerfolg h�ngt maßgeblich davon ab, ob und in welchem Ausmaß die Klientinihre Therapeutin als unterst�tzend und den Selbstwert aufbauend erlebt. Der Blickauf die Ressourcen und nicht auf die Defizite findet sich insbesondere beimlçsungsorientierten Ansatz und auch in der Familientherapie.

    ProblemaktualisierungHier wird die Klientin in der therapeutischen bzw. beraterischen Situation mitihren Problemen konfrontiert, sie muss sich mit ihnen real auseinandersetzen. Ihreigener Beitrag zur Entstehung des Problems wird thematisiert. Beim klientenzen-trierten Ansatz geschieht dies, indem die emotionalen Erfahrungen der Klientin inWorte gefasst werden. In der Psychoanalyse werden die Probleme im Rahmen der�bertragung deutlich und im weiteren Verlauf thematisiert. In der Verhaltens-therapie setzt die Klientin sich mit ihren Problemen auseinander, indem sie mitrealen Angstauslçsern konfrontiert wird.

    Aktive Hilfe zur Problembew�ltigungDie Klientin erf�hrt, dass sie etwas bew�ltigen und etwas bewirken kann. Hiermitsind konkrete Hilfen gemeint, wie sie die Verhaltenstherapie anbietet (Angstreduk-tionsmaßnahmen, Verst�rker). Grawe (2007) bezeichnet das als bew�ltigungs-orientierte Hilfe. Auch in der klientenzentrierten Therapie erf�hrt die Klientin,dass sie etwas bewirken kann, z. B. lçst sie Empathie beim Gegen�ber aus. In derThematisierung der Gegen�bertragung vermittelt die psychoanalytisch ausgerich-tete Therapeutin ihre emotionale Reaktion, n�mlich das, was die Klientin bei ihrausgelçst hat.

    Motivationale Kl�rungDamit ist die Auseinandersetzung mit den Gr�nden f�r die Symptome, das Ver-halten und Erleben der Klientin gemeint. Es geht weiterhin um die Kl�rung derBedeutung, die das Symptom f�r die Klientin hat. Dieser Aspekt ist insbesonderebei den psychoanalytischen Richtungen, aber auch beim klientenzentriertenAnsatz zentral. Grawe bezeichnet diese Vorgehensweise als kl�rungsorientiert.

    1.4.1 Der wichtigste Faktor: Die Beziehung

    Als weiterer Wirkfaktor, der zugleich als der bedeutsamste angesehen wird und dievier Wirkfaktoren umschließt, wird die therapeutische Beziehung genannt. Dieshaben sowohl der psychoanalytische als auch der klientenzentrierte Ansatz seitlangem erkannt. Bei beiden ist der Beziehungsaspekt von zentraler Bedeutung.

    Wirkfaktoren und Merkmale von Psychotherapie und Beratung

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  • PsychTherapieBehand_AK9 / TYPOSCRIPT[HK]Seite 1[1]206, 2009/08/13, 11:02 Uhr · 9.1.470/W (Jun 2 2008)9. Korrektur

    Das Modell nach Grawe stellt zentrale Wirkmechanismen zusammen, macht aller-dings keine Aussage dar�ber, bei welchen Stçrungen welcher der vier Faktorenbesonders wirksam ist. Beherzigt man den Befund, dass der Beziehungsaspekt daszentrale Vehikel f�r den therapeutischen Erfolg ist, dann ist die Anwendungbestimmter Techniken als sekund�r anzusehen und nur insoweit wirksam, wiedie therapeutische Beziehung funktioniert. Das Passungsmodell von Hautzingerund Eckert (2007, S. 24) spiegelt den Zusammenhang von Wirkfaktoren undBeziehungsaspekt sowie Zusammenh�nge zwischen den Wirkfaktoren wider (vgl.Abb. 2).

    Abb. 2: Wirkfaktoren und Passungen im therapeutisch/beraterischen Prozess

    Demnach ist es mçglicherweise f�r die Klientin gar nicht ausschlaggebend, welcheArt von Therapie oder Beratung sie macht. Vielmehr ist f�r eine erfolgreicheTherapie dann das „Passungsproblem“ entscheidender: Wie gut passen Therapeu-tin und Klientin zusammen? Erst als zweites stellt sich die Frage: Wie gut passt diespezielle Therapiemethode zu der speziellen Klientin?

    Einf�hrung

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