Querschnittsermittlung für PV-Anlage€¦ · Querschnittsermittlung für PV-Anlage Problem Im Zuge...

2
Querschnittsermittlung für PV-Anlage PROBLEM Im Zuge der Errichtung einer 88-kW-Photo- voltaikanlage wollen wir die AC-Seite über einen Elektrofachbetrieb durchführen lassen. Der Solateur soll nur die Anlage selbst sowie die Wechselrichter (WR) auf dem Dach mon- tieren und die von uns gelegte AC-Leitung an die WR anschließen. Zum Einsatz kommen zwei WR à 50kW. Der maximale Ausgangs- strom der beiden WR ergibt zusammen 145 A. Nimmt man diese 145 A und fügt sie in die Formel aus meinem Tabellenbuch A = (√3 · I·l·cosφ)/(Y · ∆U) ein, so erhält man zusammen mit allen anderen Werten (Län- ge = 50 m; zulässiger Spannungsfall von 3 %, cos φ  = 1 und die Leitfähigkeit von Kupfer) folgende Rechnung: A = (√3 · 145 A · 50 m · 1)/ (56 · 12) = 18,7 mm 2 . Wenn man den Strom von 145 A noch wegen Dauerbelastung mit dem Faktor 1,25 multipliziert kommt man auf 182 A. Der errechnete Querschnitt mit 182 A würde damit 25,78 mm 2 betragen. Wir gehen also mit einem Querschnitt von 35 mm 2 ins Rennen. Wenn man die Formel nach I umstellt, so erhält man hier einen Strom von 271 A bei 50 m Leitungslänge. Auf dasselbe Ergebnis kam die beauftrage Elektrofirma, die für uns die Leitung legen soll. Der Solateur behauptet allerdings, dass ein Querschnitt von 70 mm 2 das absolute Mi- nimum wäre. Ich kann auch nachvollziehen wie der Solateur auf diese Angabe kommt: Betrachtet man die Tabelle aus VDE 0298-4 muss bei 182 A mit 200 A abgesichert wer- den, was dann mit der Verlegeart E wiederum einen Querschnitt von 70 mm 2 ergibt. Eine dritte (vom Projekt unabhängige) Fachfirma schlägt uns einen Querschnitt von 50 mm 2 als Minimum vor. Wir rätseln jetzt also, warum wir drei ver- schiedene Angaben haben und was uns da- mals in der Ausbildung oder dem Studium beigebracht wurde, als wir mit der o. g. For- mel den notwendigen Querschnitt berech- nen sollten – war das alles für die Katz, weil es in der Praxis nicht so angewendet wird? Oder wäre tatsächlich ein Querschnitt von 35 mm 2 ausreichend, weil es sich nur um 50 m Leitung handelt? Wie steht es um das Thema »Übersicherung«? Wir verbinden die WR direkt mit dem Zählerschrank, es gibt al- so keine weiteren Verzweigungen, die durch eine zu große Sicherung Schaden nehmen könnten. Wir haben mittlerweile mit vielen Leuten über dieses Thema diskutiert, kom- men aber zu keiner abschließenden Aus- sage, wann die Formel und wann die Tabelle zum Einsatz kommt und was davon denn nun richtig ist. Die Grundlagen der Werte aus der Tabelle in der VDE sind nach unserer Auffassung auch nicht klar definiert. Wie wurden diese Werte ermittelt? Rechnet man hier absicht- lich mit größeren Leitungslängen o. Ä. um auf jeden Fall auf der sicheren Seite zu sein, oder wie kam das zustande? P. P., Baden-Württemberg ANTWORT Ermittlung der Berechnungsgrundlage Bei der Auslegung von Querschnitten für Ka- bel und Leitungen sind mehrere Berechnun- gen und Betrachtungen notwendig. Dass Sie verschiedene Antworten erhalten haben, liegt vermutlich daran, dass jedem eine an- dere Berechnungsgrundlage bekannt ist. Ihrer Anfrage entnehme ich folgende Berech- nungsgrundlagen: Es handelt sich um eine fest angeschlos- sene Photovoltaikanlage, Abschaltzeit 5 s nach DIN VDE 0100-410, Sicherung gG 200 A. Der Wechselrichterbemessungsstrom be- trägt I B = 145 A. Der Leistungsfaktor sollte – entgegen Ihrer Angabe von cos φ  =1,0 – besser mit 0,9 angesetzt werden, da Wechselrichter Blindleistung bereitstellen müssen. Die Leitungslänge beträgt 50 m und der Spannungsfall soll 3 % nicht überschrei- ten. Als Zuleitung wird ein Kabel mit Kupferleitern gewählt (dies ist wichtig für die Festlegung der Leitertemperatur und Leitfähigkeit). Nähere Angaben zur Umgebung, Netz- vorimpedanz, Verlegeart und Umgebungs- temperatur sind nicht enthalten, so dass keine abschließende Berechnung erfolgen kann. Schutzmaßnahme nach DIN VDE 0100-410 Zunächst ist zu ermitteln, welcher Quer- schnitt für die Einhaltung der Abschaltzeiten erforderlich ist. Dieses kann man nach fol- gender Formel überschlägig berechnen: R U I f Z A l R Ltg N V Ltg und = = 0 2 κ Zunächst wird die Netzspannung 230 V durch den Bemessungsstrom der Abschalt- einrichtungen von 200 A geteilt und dann mit dem Abschaltfaktor von 6 für NH-Sicherun- gen und einer Abschaltzeit von 5 s multipli- ziert. Das ergibt einen maximal zulässigen Leitungswiderstandswert. Von diesem wird die vorgelagerte Netzimpedanz abgezogen, so dass der verbleibende Restwiderstand für DIN VDE 0100-410, DIN VDE 0100-520, DIN VDE 0100-430, DIN VDE 0100 Beiblatt 5 Sven Bonhagen Sven Bonhagen ist Elektrotechnikermeister, Betriebswirt und Fachplaner für Elektro- und Informationstechnik. Heute ist er Inhaber des Sachverständigenbüros – elektroXpert. Das Unter- nehmen befasst sich mit allen Fragen rund um Elektrotechnik, Photovoltaik, Blitz- und Überspannungsschutz sowie Arbeits- schutz. Er gilt als erfahrener Experte in diesen Bereichen und ist von der Handwerkskammer Oldenburg öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger sowie vom VdS anerkannter Sachver- ständiger zum Prüfen elektrischer Anlagen und VdS anerkannter Sachverständiger für Photovoltaikanlagen. PRAXISPROBLEME 2 de .

Transcript of Querschnittsermittlung für PV-Anlage€¦ · Querschnittsermittlung für PV-Anlage Problem Im Zuge...

Page 1: Querschnittsermittlung für PV-Anlage€¦ · Querschnittsermittlung für PV-Anlage Problem Im Zuge der Errichtung einer 88-kW-Photo-voltaikanlage wollen wir die AC-Seite über einen

Querschnittsermittlung für PV-Anlage

Problem

Im Zuge der Errichtung einer 88-kW-Photo-voltaikanlage wollen wir die AC-Seite über einen Elektrofachbetrieb durchführen lassen. Der Solateur soll nur die Anlage selbst sowie die Wechselrichter (WR) auf dem Dach mon-tieren und die von uns gelegte AC-Leitung an die WR anschließen. Zum Einsatz kommen zwei WR à 50kW. Der maximale Ausgangs-strom der beiden WR ergibt zusammen 145 A. Nimmt man diese 145 A und fügt sie in die Formel aus meinem Tabellenbuch A = (√3 · I·l·cosφ)/(Y · ∆U) ein, so erhält man zusammen mit allen anderen Werten (Län-ge = 50 m; zulässiger Spannungsfall von 3 %, cos φ = 1 und die Leitfähigkeit von Kupfer) folgende Rechnung: A = (√3 · 145 A · 50 m · 1)/(56 · 12) = 18,7 mm2. Wenn man den Strom von 145 A noch wegen Dauerbelastung mit dem Faktor 1,25 multipliziert kommt man auf 182 A. Der errechnete Querschnitt mit

182 A würde damit 25,78 mm2 betragen. Wir gehen also mit einem Querschnitt von 35 mm2 ins Rennen. Wenn man die Formel nach I umstellt, so erhält man hier einen Strom von 271 A bei 50 m Leitungslänge. Auf dasselbe Ergebnis kam die beauftrage Elektro firma, die für uns die Leitung legen soll. Der Solateur behauptet allerdings, dass ein Querschnitt von 70 mm2 das absolute Mi-nimum wäre. Ich kann auch nachvollziehen wie der Solateur auf diese Angabe kommt: Betrachtet man die Tabelle aus VDE 0298-4 muss bei 182 A mit 200 A abgesichert wer-den, was dann mit der Verlegeart E wiederum einen Querschnitt von 70 mm2 ergibt. Eine dritte (vom Projekt unabhängige) Fachfirma

schlägt uns einen Querschnitt von 50 mm2 als Minimum vor.

Wir rätseln jetzt also, warum wir drei ver-schiedene Angaben haben und was uns da-mals in der Ausbildung oder dem Studium beigebracht wurde, als wir mit der o. g. For-mel den notwendigen Querschnitt berech-nen sollten – war das alles für die Katz, weil es in der Praxis nicht so angewendet wird? Oder wäre tatsächlich ein Querschnitt von 35 mm2 ausreichend, weil es sich nur um 50 m Leitung handelt? Wie steht es um das Thema »Übersicherung«? Wir verbinden die WR direkt mit dem Zählerschrank, es gibt al-so keine weiteren Verzweigungen, die durch eine zu große Sicherung Schaden nehmen könnten. Wir haben mittlerweile mit vielen Leuten über dieses Thema diskutiert, kom-men aber zu keiner abschließenden Aus-sage, wann die Formel und wann die Tabelle zum Einsatz kommt und was davon denn nun richtig ist.

Die Grundlagen der Werte aus der Tabelle in der VDE sind nach unserer Auffassung auch nicht klar definiert. Wie wurden diese Werte ermittelt? Rechnet man hier absicht-lich mit größeren Leitungslängen o. Ä. um auf jeden Fall auf der sicheren Seite zu sein, oder wie kam das zustande?

P. P., Baden-Württemberg

Antwort

ermittlung der berechnungsgrundlage

Bei der Auslegung von Querschnitten für Ka-bel und Leitungen sind mehrere Berechnun-

gen und Betrachtungen notwendig. Dass Sie verschiedene Antworten erhalten haben, liegt vermutlich daran, dass jedem eine an-dere Berechnungsgrundlage bekannt ist. Ihrer Anfrage entnehme ich folgende Berech-nungsgrundlagen: • Es handelt sich um eine fest angeschlos-sene Photovoltaikanlage, Abschaltzeit 5 s nach DIN VDE 0100-410, Sicherung gG 200 A.

• Der Wechselrichterbemessungsstrom be-trägt IB = 145 A.

• Der Leistungsfaktor sollte – entgegen Ihrer Angabe von cos φ =1,0 – besser mit 0,9 angesetzt werden, da Wechselrichter Blindleistung bereitstellen müssen.

• Die Leitungslänge beträgt 50 m und der Spannungsfall soll 3 % nicht überschrei-ten. Als Zuleitung wird ein Kabel mit Kupfer leitern gewählt (dies ist wichtig für die Festlegung der Leitertemperatur und Leitfähigkeit).

• Nähere Angaben zur Umgebung, Netz-vorimpedanz, Verlegeart und Umgebungs-temperatur sind nicht enthalten, so dass keine abschließende Berechnung erfolgen kann.

Schutzmaßnahme nach DIn VDe 0100-410

Zunächst ist zu ermitteln, welcher Quer-schnitt für die Einhaltung der Abschaltzeiten erforderlich ist. Dieses kann man nach fol-gender Formel überschlägig berechnen:

RUI

f Z

AlR

LtgN

V

Ltg

und

= ⋅

=⋅⋅

0

Zunächst wird die Netzspannung 230 V durch den Bemessungsstrom der Abschalt-einrichtungen von 200 A geteilt und dann mit dem Abschaltfaktor von 6 für NH-Sicherun-gen und einer Abschaltzeit von 5 s multipli-ziert. Das ergibt einen maximal zulässigen Leitungswiderstandswert. Von diesem wird die vorgelagerte Netzimpedanz abgezogen, so dass der verbleibende Restwiderstand für

DIN VDE 0100-410, DIN VDE 0100-520, DIN VDE 0100-430, DIN VDE 0100 Beiblatt 5

Sven Bonhagen

Sven Bonhagen ist Elektrotechnikermeister, Betriebswirt und Fachplaner für Elektro- und Informationstechnik. Heute ist er Inhaber des Sachverständigenbüros – elektroXpert. Das Unter-nehmen befasst sich mit allen Fragen rund um Elektrotechnik, Photovoltaik, Blitz- und Überspannungsschutz sowie Arbeits-schutz. Er gilt als erfahrener Experte in diesen Bereichen und ist von der Handwerkskammer Oldenburg öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger sowie vom VdS anerkannter Sachver-ständiger zum Prüfen elektrischer Anlagen und VdS anerkannter Sachverständiger für Photovoltaikanlagen.

PraxisProbleme

2 de .

Page 2: Querschnittsermittlung für PV-Anlage€¦ · Querschnittsermittlung für PV-Anlage Problem Im Zuge der Errichtung einer 88-kW-Photo-voltaikanlage wollen wir die AC-Seite über einen

Tabellenwerte in der Praxis i. d. R. nicht zu-treffend. Als Basis für die Dimensionierung wird der Betriebsstrom gewählt.

Sollte Ihr Kabel als einzelnes Kabel, in ei-ner eigenen offenen Kabelbahn verlegt sein und die Umgebungstemperatur maximal 30 °C betragen, so benötigen Sie nach Tabel-le 4, Verlegeart E, drei belastete Adern, einen Mindestquerschnitt von 50 mm2 (Referenz-strom 153 A). Abweichungen von den An-nahmen können zu erheblichen Quer-schnittssteigerungen führen. Die Faktoren für die Häufung (fH) und Umgebungstempe-ratur (fT) sind den Tabelle 21, 22 und 17 zu entnehmen. Die Berechnung des fiktiven Belastungsstromes erfolgt nach der Formel:

IIf fAuswahl

B

H T

=⋅

Dieser ist dann für die Auswahl des jeweili-gen Querschnittes in Tabelle 3 oder 4 anzu-wenden. Für die ausreichende Strombelast-barkeit ist ein Kabel mit einem Leiterquer-schnitt von 50 mm2 erforderlich.

Überlastschutz nach DIn VDe 0100-430

Die gleiche Berechnungsmethodik ist für den Überlastschutz anzuwenden, wobei hier der Sicherungsbemessungswert von 200 A zum Ansatz kommt. Damit ergibt sich ein Querschnitt von 95 mm2 mit einem Refe-renzstrom von 238 A. Abschließend wird noch geprüft, ob die Bedingung IB ≤ IN ≤ IZ eingehalten wird. Das ist in dieser Konstella-tion der gewählten Kabel, Sicherungen und Umgebungsvariablen gegeben. Für den Überlastschutz ergibt sich somit ein Kabel-querschnitt von 95 mm2.

Fazit

Wie Sie sehen können, ist die Kabel- und Lei-tungsberechnung viel komplexer als ange-nommen. Für das von Ihnen beschriebene Projekt ist ein Kabel NYY-J 5 x 95 mm2 zu wählen. Ggf. können Umgebungsfaktoren ei-ne Reduzierung oder Erhöhung der Quer-schnitte bedingen.

Sven Bonhagen

das Kabel in der Kundenanlage bekannt ist. Bei einer Vorimpedanz von 100 mΩ ergibt sich ein Wert von 0,01917 Ω. Der notwendige Querschnitt wird über die erste Formel be-rechnet und ergibt 19,48 mm2 (gewählt 25 mm2).

Das Beiblatt 5 zu DIN VDE 0100 enthält im Grundsatz ebenfalls diese Berechnung und berücksichtigt zusätzlich den Erwärmungs-einfluss der Leitung bei einem Kurzschluss. Nach der Tabelle A.19 ist ein Querschnitt von 50 mm2 bei einem Sicherungsbemessungs-wert von 200 A ausreichend. Die Leitungslän-ge darf nach der Tabelle maximal 65 m betra-gen. Andere Leitungslängen und Netz-vorimpedanzen können unheimlich Einfluss auf den zu verwendenden Querschnitt ha-ben. Zur Sicherstellung des Schutzes gegen elektrischen Schlag ist also ein Kabel NYY-J 5x50 mm2 ausreichend.

Spannungsfall nach DIn VDe 0100-520

Viele Fachleute berechnen immer den Span-nungsfall, da die hierfür notwendigen For-meln in jedem Tabellenbuch enthalten sind. Der Spannungsfall ist aber nicht das ent-scheidende Kriterium für Sicherheit, sondern hat eher eine funktionale oder wirtschaftliche Bedeutung. Ihrer Berechnung ist an der Stel-le korrekt. Bei einem cos φ = 0,9 ergibt sich ein Querschnitt von 18,69 mm2.

Oftmals wird für Photovoltaikanlagen zur Senkung der Kabelverluste mit einem Span-nungsfall von nur 1 % gerechnet. Dann wür-de sich ein Querschnitt von 56 mm2 (gewählt 70 mm2) ergeben. Zur Einhaltung des Span-nungsfalls von 3 % ist ein Kabel NYY-J 5 x 25 ausreichend.

Strombelastbarkeit nach DIn VDe 0298-4

Für eine PV-Anlage ist insbesondere die Strombelastbarkeit der Kabel von immenser Bedeutung. Die Idee dahinter ist relativ ein-fach. Ein Kabel darf eine maximale Leiter-temperatur von 70 °C aufweisen. Somit ergibt sich eine gewisse maximal zulässige Strom-wärme und damit einhergehend Strombe-lastbarkeit. Diese wird in den entsprechen-den Tabellen der Norm angegeben. Hierbei sind nur zwei wesentliche Punkte zu beach-ten, nämlich die Umgebungsvariablen wie Verlegeart und Verlegebedingungen sowie die Umgebungstemperatur. Daher sind die

PraxisProbleme

3www.elektro.net