Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

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Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit Prof. Dr. Stephan Bundschuh Hochschule Koblenz Stephan Bundschuh Fachbereich Sozialwissenschaften 1

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Page 1: Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

Prof. Dr. Stephan Bundschuh Hochschule Koblenz

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Gliederung

1.) Differenzkategorien der Gesellschaft

2.) Rassismus als kultureller Code

3.) Definition und Erscheinungsformen von Rassismus

4.) Rassismus in der Sozialen Arbeit

5.) Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

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1.) Differenzkategorien der Gesellschaft

• class Klasse arm – reich

• gender Geschlecht divers – weiblich – männlich

• race Rassismus ethno-natio-kulturell diskriminiert – privilegiert

• body Körper dis/abled – un/fähig

• ...

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Rassismus lässt sich in Anlehnung an Shulamit Volkov (2000) als „kultureller Code“ des neuzeitlichen Europas beschreiben.

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2.) Rassismus als kultureller Code

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2.) Rassismus als kultureller Code: Chiffre 1492

• Vertreibung der Muslime aus Spanien (Reconquista)

• Zwangstaufe und Vertreibung der Juden aus Spanien

• Kolumbus findet im Auftrag der spanischen Krone den Seeweg nach Amerika

• Um die gleiche Zeit entwickelt sich Kastilisch zur Hauptsprache im Königreich Spanien (Priester 2003, 17ff.)

• Urgeschichte der Nationenbildung: Homogenisierung nach innen, Expansion nach außen

• Kolonialismus und transatlantischer Sklavenhandel

• Rassismus als Rechtfertigung

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Quelle: Aus Politik und Zeitgeschichte "Sklaverei", www.unesco.org "The Slave Route"

Lizenz: Creative Commons by-nc-nd/3.0/de

Bundeszentrale für politische Bildung, 2016, www.bpb.de

Transatlantischer Dreieckshandel 17. - 19. Jahrhundert

BritischFranzösisch Spanisch Dänisch Niederländisch Portugiesisch

Koloniale Herrschaftsgebiete um 1750

www.bpb.de/cache/images/6/242226-1x2-galerie_gross.jpg?C9EAEs

Page 6: Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

3.) Definition und Erscheinungsformen von Rassismus

Rassismus ist Realität, „Rasse“ ist ein Konstrukt! Ta-Nehisi Coates (2015, 15): „Rasse ist das Kind des Rassismus, nicht seine Mutter“ Colette Guillaumin (1995, 107): „Race does not exist. But it does kill people.“ Annita Kalpaka/Nora Räthzel (1990/2017): Rassismus. Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. Hamburg: Argument Rassismus legitimiert durch Herrschaft erzeugte Machtungleichheit als biologische oder kulturelle Differenz

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Page 7: Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

Definition des Rassismus Im Zentrum steht die Unterscheidung zwischen „Wir“ und „Sie“, „Wir“ und „Ihnen“, „Wir und „die Anderen“ unter Rekurs auf natio-ethno-kulturelle Zuordnungen:

Stuart Hall (2000, 14)

„Der rassistische Diskurs […] bündelt die den jeweiligen Gruppen zugesprochenen Charakteristika in zwei binär entgegengesetzte Gruppen. Die ausgeschlossene Gruppe verkörpert das Gegenteil der Tugenden, die die Identitätsgemeinschaft auszeichnet. […] weil wir rational sind, müssen sie irrational sein, weil wir kultiviert sind, müssen sie primitiv sein, […] wir denken, sie tanzen usw. Jede Eigenschaft ist das umgekehrte Spiegelbild der anderen. Dieses System der Spaltung der Welt in ihre binären Gegensätze ist das fundamentale Charakteristikum des Rassismus, wo immer man ihn findet.“

Rassismus richtet sich gegen Menschen, denen von der Dominanzkultur eine “andere” Nationalität, ethnische Abstammung oder Kultur/Religion zugeschrieben wird.

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Definition des Rassismus

Albert Memmi (1964, 164)

„Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen.“

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Page 9: Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

Definition des Rassismus Erläuterung zur Definition von Albert Memmi

• Voraussetzung für rassistisches Denken und Handeln ist, dass

ich zwischen mir und einer anderen Person Unterschiede feststelle. Diese Unterschiede können real sein, z.B. eine unterschiedliche Sprache, oder fiktiv, z.B. die Annahme unterschiedlicher Intelligenzen.

• Die Unterschiede werden gewertet, d.h. nach Gut und Böse, fortschrittlich und rückschrittlich, entwickelt und primitiv beurteilt.

• Die (Be-)Wertung einer Eigenschaft wird verallgemeinert, d.h. zum allgemeinen Charakter der einzelnen, besonderen Person erhoben und von dieser auf weitere Personen übertragen, es wird also eine Gruppe gebildet, die sich durch diese Eigenschaft auszeichnen soll.

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Definition des Rassismus Erläuterung zur Definition von Albert Memmi

• Zur Verallgemeinerung tritt die Verabsolutierung, d.h. diese allgemeine Eigenschaft gilt als wesentlicher und unveränderlicher Charakterzug einer Gruppe von Menschen.

• Die rassistische Botschaft hat Absender und Adresse: Die rassistischen Ankläger_innen werten und urteilen zu ihrem Nutzen und zum Schaden der Angeklagten, der Opfer. Rassismus nützt also bestimmten Menschen und schadet anderen.

• Rassismus dient der Rechtfertigung von Privilegien und Aggressionen

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Page 11: Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

Definition des Rassismus

Albert Memmi (1964, 164)

„Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden des Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen.“

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Page 12: Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

Rassismus als gesellschaftliche Macht

„Wir sprechen von Rassismus, wenn die Gruppe, die eine andere als minderwertige ‚Rasse‘ konstruiert, auch die Macht hat, diese Konstruktion gesellschaftlich durchzusetzen.“ (Kalpaka/Räthzel 1990/2017, 147) Rassismus ist eine Ideologie, die sich in der gesellschaftlichen Struktur als soziale Hierarchie materialisiert und in Institutionen als diskriminierend-differenzierendes, sich als „neutral“ verstehendes Verwaltungshandeln äußert.

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Page 13: Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

„Wenn du ohne Genehmigung Zigaretten verkaufst, kann

dein Körper zerstört werden. Wenn du dich gegen die

Menschen auflehnst, die deinen Körper einfangen wollen,

kann er zerstört werden. Wenn du ein dunkles Treppenhaus

betrittst, kann dein Körper zerstört werden. [...] Zerstörung

ist auch nur die Steigerung einer Herrschaft, die Filzen,

Festnehmen, Schlagen und Demütigen vorsieht. All das ist

normal für Schwarze. Ein alter Hut. Verantwortlich gemacht

wird dafür niemand.“ (Coates 2015, 17)

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Wirkungen des Rassismus

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„[W]ann immer ich keine Lust habe,

Fragen nach meiner ‚Herkunft’ zu beantworten

Wann immer ich meine Meinung zu Worten wie Negerküssen [...] sagen soll

Höre ich von euch, dass das alles kein Rassismus ist,

dass ich zu empfindlich bin, wenn sich mir der Atem zuschnürt,

dass all das in der Vergangenheit liegt und heute in Deutschland keine Bedeutung mehr hat,

[...] euer Rassismus ist so unschuldig

weil ihr weder Böses wollt, meint, noch tut und einfach nicht versteht,

was ihr Tag für Tag, Spruch für Spruch und Frage für Frage anrichtet

Aber ich bin genau so unschuldig wie ihr

[...] und bin und war trotzdem

ständig konfrontiert

mit eurem

innocent

racism“

Robinson, Victoria B.: Innocent Racism, zitiert nach Sow 2008, 103f.

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Erscheinungsformen des Rassismus

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www.belltower.news/lexikontext/was-ist-rassismus-0

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4. Rassismus in der Sozialen Arbeit

Defizit-Denken wird von Ethnozentrismus/Eurozentrismus geleitet (Kalpaka/Räthzel [1990/2017]: Rassismus. Hamburg, 136). „Die Sozialarbeit mit eingewanderten Frauen ist voll von [...] kolonisierenden Verhaltensweisen“ (Kalpaka/Räthzel 1990/2017, 136, siehe auch Kolonisierende Integration: 116-132). Das Helfer-Syndrom der Sozialarbeit ermöglicht Macht, Unterwerfung, Kontrolle (Kalpaka/Räthzel 1990/2017, 137). Interkulturelle Soziale Arbeit: Gefahr kultureller Stereotype Sekundärer Rassismus: Ignorieren, Bagatellisieren und Umkehren von Rassismuserfahrungen (Melter 2007)

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Page 17: Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

„Die Jungs und jungen Männer, als Libanesen, Syrer, Araber, türkische Kurden, Yeziden. Alles, was da so kommt. Die erzählen mir was über die ‚Scheiß-Kartoffeln‘. Und Scheiß-Kartoffeln sind Scheiß-Deutsche. So. ... Und, ehm, ... sie erzählen mir, wie sie behandelt werden, wo sie Dinge nicht verstehen, dass sie so sind, wie sie sind. ... Und, ehm, ich merke, dass ich manchmal genau danach gucke, wenn sie über Deutsche reden, ... also inwiefern piekst mich das selber an? Also wo merke ich dann irgendwie, das, das, also das gefällt mir nicht, wie der da jetzt über die Deutschen spricht. (…) Und wenn, wenn mir das dann zu weit geht, so wie sie das denn erzählen. (…) Dann frag ich auch schon mal, was er hier [in Deutschland] macht, was er hier will? (…) So, dann merk ich aber, dass das in eine Richtung geht, die den Kontakt dann früher oder später beendet an der Stelle.“

(zitiert nach Melter 2007, 121)

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Page 18: Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

„Aber was bei mir manchmal oft ist, was bei mir ab und zu ist, dass mich die Haltung manchmal ärgert. (…) Mit was für ner Selbstverständlichkeit, es ist ja auch so, dass deine Familie und auch du, ihr kostet dem Staat ja auch ziemlich viel Geld hier, neh? (…) Sondern sie selber mussen auch was machen. Oder sie müssen sich an bestimmte Regeln und auch bestimmte, eh, und an die Kultur, die wir hier haben, also, dass, da muss man sich vielleicht auch an bestimmte Sachen anpassen, wenn man irgendwo Gast ist.“

„Also, er hat sein Leben komplett darauf [auf Ausgrenzungspraxen] abgestimmt.“

(zitiert nach Melter 2007, 121)

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5. Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

„Die Umdefinierung des ‚Ausländerproblems‘ zu einem Problem der deutschen Gesellschaft ist eine Voraussetzung dafür, das gemeinsame Projekt der Demokratisierung dieser [...] Gesellschaft auch gemeinsam anzugehen.“ (Kalpaka/Räthzel [1990/2017]: Rassismus. Hamburg, 142) Deshalb sprechen wir heute von

Migrationspädagogik

Pädagogik in der (Post-)Migrationsgesellschaft

Sozialer Arbeit in der (Post-)Migrationsgesellschaft

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Page 20: Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

Rassismussensibilität

RASSISMUS ALS RELEVANTES

PROBLEM WAHRNEHMEN

DIE EIGENE POSITION IM GEFLECHT DES

RASSISMUS REFLEKTIEREN

DISKRIMINIERUNGS-ERFAHRUNGEN ERNST NEHMEN

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Page 22: Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit

• Coates, Ta-Nehisi (2015): Zwischen mir und der Welt. Berlin.

• Guillaumin, Colette (1995): Racism, Sexism, Power and Ideology. London 1995

• Hall, Stuart (2000): Rassismus als ideologischer Diskurs, in: Räthzel, Nora (Hg.): Theorien über Rassismus, Hamburg.

• Kalpaka, Annita (2015): Pädagogische Professionalität in der Kulturalisierungsfalle – Über den Umgang mit ‚Kultur‘ in Verhältnissen von Differenz und Dominanz. In: Leiprecht, Rudolf/Steinbach, Anja (Hg.): Schule in der Migrationsgesellschaft. Ein Handbuch. Schwalbach/Ts., S. 289-312.

• Kalpaka, Annita/Räthzel, Nora/Weber, Klaus (Hg.) (2017): Rassismus. Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. Hamburg.

• Melter, Claus (2007): Sekundärer Rassismus in der Sozialen Arbeit. In: Geisen, Thomas/ Riegel, Christine (Hg.): Jugend, Partizipation und Migration. Orientierungen im Kontext von Integration und Ausgrenzung. Wiesbaden, S. 107-128.

• Memmi, Albert (1964): Versuch einer kommentierten Definition des Rassismus. In: Memmi, Albert (1964): Rassismus. Frankfurt am Main, S. 164-178.

• Ogette, Tupoka (2017): Exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen. 2. Auflage. Münster.

• Priester, Karin (2003): Rassismus. Eine Sozialgeschichte. Leipzig.

• Sow, Noah (2008): Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. München.

• Volkov, Shulamit (2000): Antisemitismus als kultureller Code. 2. Auflage. München.

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Literatur