Rauschdrogen - Drogenrausch
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Matthias Bastigkeit
isbn 978–3–943174–12–0 www.skverlag.de
Rauschdrogen Drogenrausch2., überarbeitete und erweiterte Auflage
M. Bastigkeit Rauschdrogen – D
rogenrausch
Rauschdrogen Drogenrausch
Warum wird ein Mensch süchtig? Was passiert bei Abhängigkeit und Drogen-konsum im Körper? Wel-che Drogen gibt es und wie „funktionieren“ sie? Wann und wie kommt es zu Dro-gennotfällen, und was ist dann zu tun? Welche Wege aus der Sucht gibt es?
All diesen Fragen geht das vorliegende Buch nach – in gut lesbarer, fachlich an-spruchsvoller Form. Einem allgemeinen Teil mit gene-rellen Informationen folgt ein umfassender Abschnitt mit Drogenmonografien. Darin werden die Drogen
selbst mit ihren Wirkungen, Anwendungsweisen, Eigen-schaften und Gefahren be-schrieben und es werden die Vergiftungssymptome, der Nachweis am Notfallort und die medizinische Behand-lung dargestellt. Rechtliche Aspekte und Fallbeispiele finden ebenso Berücksich-tigung.
Ein gesonderter dritter Ab-schnitt liefert ein komplettes Verzeichnis der notwendigen Medikamente bei Drogen-notfällen. Abgerundet wird das Werk durch den Anhang mit Slang-Ausdrücken und nützlichen Adressen.
Matthias Bastigkeit
Eigenschaften, Wirkungen und Notfallbehandlung
2., überarbeitete und erweiterte Auflage
Anmerkungen des Verlags
Der Autor und der Verlag haben höchste Sorgfalt hinsichtlich der Angaben von Therapie-Richtlinien, Medikamentenverordnungen und -dosierungen aufgewendet. Für versehentliche falsche Anga-ben übernehmen sie keine Haftung. Da die gesetzlichen Bestim-mungen und wissenschaftlich begründeten Empfehlungen einer ständigen Veränderung unterworfen sind, ist der Benutzer auf-gefordert, die aktuell gültigen Richtlinien anhand der Literatur zu überprüfen und sich entsprechend zu verhalten. Die Angaben von Handelsnamen, Warenbezeichnungen etc. ohne die besondere Kennzeichnung ®/™/© bedeuten keinesfalls, dass diese im Sinne des Gesetzgebers als frei anzusehen wären und ent-sprechend benutzt werden könnten. Der Text und/oder das Literaturverzeichnis enthalten Links zu exter-nen Webseiten Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat. Deshalb kann er für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jewei-lige Anbieter oder Betreiber der Seite verantwortlich.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publi-kation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet abrufbar über: <http://www.d-nb.de>
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© Copyright by VerlagsgesellschaftStumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2013Umschlagfotos: Eugen Latka (Hintergrund), Drug Enforcement Administration (Vordergrund unten), Verlag (Vordergrund)Druck: M. P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100
Paderborn
ISBN 978–3–943174–12–0
Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2013
Rauschdrogen – Drogenrausch
Eigenschaften, Wirkung und Notfallbehandlung
Matthias Bastigkeit
2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2013
Kontakt zum Verfasser
Matthias BastigkeitFachdozent für PharmakologieMedizinjournalist (DJV)E-Mail: [email protected]
5
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen 10
Abschnitt A: Allgemeines
1 Faktoren der Sucht 171.1 Gründe für die Sucht 171.2 Faktoren der Sucht 18
1.2.1 Mensch 181.2.2 Mittel/Droge 191.2.3 Milieu/Gesellschaft 19
1.3 Arten der Abhängigkeit 201.3.1 PhysischeAbhängigkeit 201.3.2 PsychischeAbhängigkeit 21
1.4 ICD-10-Klassifizierung 221.5 Konsumtypen 25
2 Hirnphysiologische Grundlagen der Suchtentwicklung 27
3 Neuroanatomie und Physiologie 313.1 Neurophysiologische Vorgänge in den Nervenzellen 343.2 Das Dopaminsystem 373.3 Das Adrenalin- / Noradrenalinsystem 383.4 Das Serotoninsystem 393.5 Das GABA-System 403.6 Das Glutamatsystem 413.7 Das Acetylcholinsystem 443.8 Endorphine 443.9 Angriffspunkte und Wirkungen von Drogen 45
4 Gründe für einen Drogennotfall 474.1 Häufige Krankheiten unter intravenös
injizierenden Heroinkonsumenten 48
Inhaltsverzeichnis
6 A ˘ Allgemeines
5 Indizien für Drogenkonsum 51
6 Einteilung der Rauschdrogen 556.1 Analeptische Drogen 566.2 Halluzinogene Drogen 576.3 Sedative Drogen 586.4 Sonstige 586.5 Wirkung von Drogen 59
7 Grundlagen und Strategien bei Intoxikationen 61
7.1 Toxikokinetik 627.1.1 Applikation 637.1.2 Resorption 637.1.3 Verteilung 647.1.4 Metabolisierung 657.1.5 Ausscheidung 65
7.2 Therapiestrategien 657.2.1 AchtungEigenschutz 66 7.2.2 AufrechterhaltungderVitalfunktionen 667.2.3 Anamnese 667.2.4 AquazumVerdünnen 687.2.5 Aktivkohlegabe 697.2.6 AuslösenvonErbrechenistout! 707.2.7 Ausnahme:Magenspülung 707.2.8 Antidotgabe 717.2.9 Asservierung 717.2.10 AnrufeneinesGiftinformationszentrums 727.2.11 Analytik 727.2.12 AbtransportineinegeeigneteKlinik 72
8 Mischintoxikationen 73
9 Nachweis von Rauschdrogen 779.1 Metabolisierung von Drogen 77
Inhaltsverzeichnis
7
9.1.1 Benzodiazepine 789.1.2 Kokain 789.1.3 Opiate 789.1.4 Tetrahydrocannabinol(THC) 789.1.5 TrizyklischeAntidepressiva(TCA) 78
9.2 Hinweise zur Probengewinnung und Auswertung 79
9.3 Anforderungen an Schnelltests 809.4 Testsysteme im Überblick 80
9.4.1 TriageTM8 819.4.2 Multi6 849.4.3 ToxiQUICK® 869.4.4 Drugwipe® 879.4.5 TestsimÜberblick 889.4.6 NachweismöglichkeitenvonDrogen
undMedikamentenimUrin 899.5 Anwendbarkeit im Rettungsdienst 899.6 Nachweis von Drogen mit physikalisch-chemischen
Methoden 90
10 Drogensubstitution – Weg aus der Sucht? 9310.1 Voraussetzungen für eine Substitution 9310.2 Substitutionsmittel im Überblick 94
10.2.1 Methadon 9510.2.2 Buprenorphin 96
10.3 Missbrauch von Opiatanalgetika und Substitutionsmitteln 97
10.4 Weitere rechtliche Aspekte 104
Abschnitt B: Drogenmonografien
1 Analeptika 1071.1 Ecstasy – der Hirnzellenkiller 1081.2 Speed – Geschwindigkeit für das Herz 1221.3 2-CB – das „Super Speed“ 1301.4 Yaba – die Droge aus der Batterie 134
Inhaltsverzeichnis
8 A ˘ Allgemeines
1.5 Meth – die Zeitmaschine 1391.6 Andere Amphetaminderivate 145
1.6.1 MDA(3,4-Methylendioxyamphetamin) 1451.6.2 MDE(Methylendioxy-N-Ethylamphetamin) 1451.6.3 MBDB(N-Methyl-1-(1,3-Benzodioxol-5-yl)-
2-Butanamin 1461.6.4 DOB(2,5-Dimethoxy-4-Bromamphetamin) 146
1.7 Kokain – nasale Stimulation in Weiß 147
2 Halluzinogene 1612.1 Ketamin – Narkotikum als Rauschmittel 1622.2 Lachgas – Trip aus dem Sahnespender 1702.3 LSD – damit man Farben schmecken kann 1792.4 PCP – Horrorgift aus der Retorte 1902.5 Naturdrogen 195
2.5.1 Aga-Kröte–geleckteHalluzination 1972.5.2 Nachtschattengewächse–heiße
FlugerlebnissemitTollkirsche&Co. 2012.5.3 Hanf–DrogemitmedizinischenAmbitionen 2162.5.4 Shishas–auchohneHanfnichtungefährlich 2302.5.5 Khat–frischanregend 2352.5.6 HalluzinogenePilze–mystischeErfahrungen
ausderNatur 2402.6 Inhalate 249
2.6.1 LösungsmittelundSchnüffelstoffe 2502.6.2 Poppers–Schnüffelstoffmitgefährlichem
Interaktionspotenzial 2592.7 Drogen aus Bar und Küche 266
2.7.1 Absinth–grüneFee 2662.7.2 Muskat–psychoaktiveNussausdem
Gewürzregal 2702.7.3 MexikanischerSalbei–BackeoderLunge? 272
2.8 „Legal Highs“ 2742.8.1 Badesalz 2742.8.2 4-MMC 2752.8.3 M-CPP 276
Inhaltsverzeichnis
9
3 Sedativa 2773.1 Opiate – grenzenlose Euphorie aus dem
Saft des Mohns 2783.2 Opioide 291
3.2.1 DerivatedesNarkoanalgetikumsPethidin 2913.2.2 DerivatedesNarkoanalgetikumsFentanyl 2913.2.3 Krokodil(Desomorphin) 2923.2.4 Loperamid–ruhigerDarm,berauschtesHirn 293
3.3 Liquid Ecstasy – Sedativum mit trügerischem Namen 295
Abschnitt C: Medikamente bei Drogen-Intoxikationen
1 Anexate® 3042 Atosil® 3073 Atropin 3114 Anticholium® 3135 Brevibloc® 3176 Dormicum® 3207 Ipecacuanha-Sirup 3248 Isoptin® 3259 Kohle 32710 Lasix® 32911 Narcanti® 33212 Nitrolingual 335
Abschnitt D: Anhang
1 Slang-Ausdrücke aus der Drogenszene 3392 Vergiftungszentralen 3533 Organisationen 3574 Top-Links zum Thema
Rauschdrogen und Sucht 3635 Literatur 365
Inhaltsverzeichnis
61
7 GrundlagenundStrategienbeiIntoxikationen
Philosophisch und definitionsgemäß kann man als Gifte nicht bestimmte Stoffe klassifizieren. Erst die aufgenommene – oder besser: resorbierte – Menge macht einen Stoff zum Gift. Dies erkannte bereits um 1573 der Wissenschaftler und Arzt Paracel-sus, als er eine bis heute gültige Aussage prägte:
„Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohn’ Gift – allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“
Anders ausgedrückt, gibt es für fast jeden Stoff eine Dosis, die entweder giftig oder ungefährlich ist. Natürlich gibt es Stoffe, die bereits in einem unteren Dosisbereich eine schädigende Wirkung auf den tierischen oder menschlichen Organismus ausüben, diese bezeichnen wir im allgemeinen Sprachgebrauch als Gifte.
Die Namensgebung Rauschgift macht deutlich, dass der Kon-sument beim Drogenkonsum mit toxischen Substanzen hantiert. Entsprechend ist der Drogennotfall in den meisten Fällen eine Intoxikation. Vergiftungen machen 5 – 10 Prozent der klinischen Gesamtaufnahmen aus, von 100 Notarzteinsätzen sind 15 – 20 Vergiftungen. Im Erwachsenenalter stellen Intoxikationen die häufigste Ursache nicht-traumatischer Komata dar.
Ob Drogen-Intoxikationen Folgen einer Überdosierung sind oder durch Verschnitt mit toxischen Streckprodukten hervorge-rufen wurden, ist für den Rettungsdienst meist nicht erkennbar. Für die Therapie ist dieser Umstand auch nur in wenigen Fällen relevant. Wichtig ist hingegen ein lückenloses Monitoring, da Ver-giftungen meist ein dynamisches Notfallereignis darstellen. Am Anfang häufig nicht abzuschätzen ist, als wie schwerwiegend die Situation zu bewerten ist.
7 ˘ Intoxikationen
62 A ˘ Allgemeines
7.1 Toxikokinetik
Analog zur Pharmakokinetik beschreibt die Toxikokinetik das „Schicksal“ eines (Rausch-)Giftes im Körper. Dieses „Schicksal“ besteht aus
˘ Applikation˘ Resorption˘ Verteilung˘ Metabolisierung˘ Ausscheidung.
Pharmakokinetik von Arzneistoffen
Drogenzufuhr
Verteilung,Speicherungin anderen Organenund Geweben
Exkretion
Biotransformation(vorwiegend in der Leber)
Zielorgan mitWirkort
Metaboliten
gebundene Substanz
freieSubstanz
Blut
Abb. 9 ˘ Toxikokinetik eines Giftstoffes
63
7.1.1 ApplikationDrogen werden in unterschiedlicher Weise konsumiert. In der fol-genden Übersicht wird die rektale Anwendung nicht genannt, da sie mehr dem Schmuggeln von Drogen als dem Konsum dient.
7.1.2 ResorptionUnter der Resorption versteht man den Übertritt eines Stoffes durch eine Barriere in das Blut oder die Lymphe. Solche Barrieren können die Magen-, Darm- oder Mundschleimhaut sein. Die Kon-zentration des Stoffes, also das An- und Abfluten am Wirkort, ist abhängig vom Wechselspiel zwischen Resorption, Verteilung und Elimination.
7 ˘ Intoxikationen
Tab. 13 ˘ Applikationswege von DrogenOral Kath
Amphetamine
Ecstasy
Speed
GHB
Yaba
Hasch (selten)
Meth(-amphetamin)
Nasal Kokain
Bukkal/sublingual Kokain
Aga-Kröte
LSD
Pulmonal Lachgas
Lösungsmittel
Crack
Hasch
Intravenös Opiate
Kokain
Amphetamine (selten)
64 A ˘ Allgemeines
Bei der intravenösen Injektion entfällt die Resorption. Besonders für Opiate ist dies der übliche Aufnahmeweg.
Bei der oralen Einnahme findet meist eine Resorption aus dem Dünndarm statt. Nach der Passage der Darmwand gelangen die Stoffe entweder in die Lymphe oder über die Pfortader und die Leber in den Körperkreislauf. Wird ein Stoff von der Leber mit der Gallenflüssigkeit in das Duodenum ausgeschieden, kann es zu einem Pfortaderkreislauf kommen. Hierbei findet eine erneute Aufnahme mit mehrfacher Leberpassage statt. Die Folge ist eine Inganghaltung der Intoxikation, wenn dieser Kreislauf therapeu-tisch nicht unterbrochen wird.
Rauschgifte, die fettlösliche Eigenschaften besitzen, wer-den bereits im Magen resorbiert. Der saure pH-Wert des Magens be günstigt eine Aufnahme von sauren oder neutralen orga-nischen Verbindungen. Dissoziierte Basen hingegen werden hier nicht aufgenommen, können sogar mit dem Magensaft ausge-schieden werden, wenn sie bereits resorbiert waren. Diese Tat-sache erklärt auch, warum der Nachweis basischer organischer Gifte im Mageninhalt kein sicherer analytischer Beweis für eine orale Aufnahme ist. Ist die Resorptionsgeschwindigkeit größer als das Ausmaß der Elimination, kommt es zu einer Kumulation, zu einem Anstieg des Wirkstoffspiegels. Dieser tritt entweder dann ein, wenn die Ausscheidung gehemmt, oder aber, wenn die Resorption abnorm stark gefördert ist.
7.1.3 VerteilungIn der Verteilungsphase werden Substanzen mit dem Blutstrom durch den Körper transportiert. Hierbei überschreiten sie mög-li cher weise auch weitere Barrieren, wie beispielsweise die Blut-Hirn-Schranke oder die Plazenta. Rauschgifte, die in das Gehirn gelangen und besonders lipophil sind, können dort gespeichert werden. Ein Beispiel hierfür ist der Inhaltsstoff vom Haschisch, das THC.
65
7.1.4 MetabolisierungSubstanzen werden selten so ausgeschieden, wie sie in den Körper gelangt sind. Sie werden vorwiegend in der Leber umgewandelt. Dieser Vorgang wird als Metabolisierung (Verstoffwechselung), die Produkte als Metabolite bezeichnet.
7.1.5 AusscheidungDer Ausscheidungsweg des körperfremden Stoffes geht meist über die Galle in das Duodenum. Kommt es zu einer erneuten Resorp-tion, spricht man von einem Pfortaderkreislauf. Das Gift bleibt so längere Zeit im Körper:
Darmwand – Kapillaren – Pfortader – Leber – Galle – Darm.Neben einer Ausscheidung und damit Entgiftung kann es im
Körper auch zu einer Giftung kommen. Hierbei wird ein eigentlich indifferenter Stoff durch metabolische Veränderungen im Körper erst zum Gift.
7.2 Therapiestrategien
Bei Vergiftungen allgemein bietet sich das folgende Schema an (modifiziert nach M. Brockstedt):
7 ˘ Intoxikationen
12-A-Regel bei Intoxikationen
Achtung: Eigenschutz!Aufrechterhaltung der VitalfunktionenAnamneseAqua zum VerdünnenAktivkohlegabeAuslösen von Erbrechen ist out!Ausnahme: Magenspülung
parallel hierzu erfolgen:
AntidotgabeAsservierungAnrufen eines Giftinforma-tionszentrumsAnalytikAbtransport in eine geeig-nete Klinik
66 A ˘ Allgemeines
7.2.1 Achtung EigenschutzGerade bei Drogenintoxikierten und/oder psychisch verwirrten Patienten ist der Eigenschutz des Rettungsteams wichtig. Das Aggressivitätspotenzial dieser Patientengruppe ist nicht selten höher, die Rate an Infektionen wie Hepatitis und HIV zwingt zum Tragen von Einmalhandschuhen etc. Mitunter verstecken die Konsumenten benutzte Kanülen in Taschen oder den Haaren.
7.2.2 Aufrechterhaltung der VitalfunktionenDer erste Blick gilt dem Patienten, erst der zweite dem Gift!
Gerade weil man eine Drogen-Intoxikation nicht so einfach „abarbeitet“ wie einen Herzinfarkt, sollte man Ruhe bewahren. Da Vergiftungen mit Rauschdrogen meist Mischintoxikationen sind und der Patient nicht immer kooperativ ist, steht die Aufrechter-haltung der Vitalfunktionen im Mittelpunkt der präklinischen Therapie.
7.2.3 AnamneseAm einfachsten gelingt die Diagnosestellung durch das Betrach-ten von Leitsymptomen, da meist vor Ort keine genaue Giftana-lytik betrieben werden kann. Zwar stehen Schnellnachweise zur Identifikation gängiger Drogen zur Verfügung, diese haben sich jedoch noch nicht durchgesetzt. Wichtig ist eine strukturierte kör-perliche Untersuchung:
˘ Allgemeinzustand (Kleidung, äußeres Erscheinungsbild, Zahnstatus, Einstichstellen, gerötete Augen)
˘ neurologische Untersuchung˘ körperliche Untersuchung.
Die Differenzialdiagnostik bei Verdacht auf Drogen-Intoxikation ist anspruchsvoll. Zwar gibt häufig das Umfeld einen Hinweis auf den Rauschmittelmissbrauch, doch die Klischees können trügen. Ein torkelnder Gang kann auch durch Hypoglykämie und ein aku-ter Verwirrtheitszustand durch Schilddrüsenerkrankungen aus-gelöst werden.
67
Die Tabelle „Anamnese bei Drogen-Intoxikationen“ beschreibt die Veränderungen an den jeweiligen Organsystemen, die durch Drogen oder Medikamente hervorgerufen werden. Außerdem wird der Differenzialdiagnose Platz eingeräumt.
7 ˘ Intoxikationen
Tab. 14 ˘ Anamnese bei Drogen-IntoxikationenOrgansystem Symptome Drogen Differenzial
diagnose
Zentrales Nerven-system
SomnolenzSoporBewusstlosigkeitKrämpfeLähmungen
AnalgetikaOpiateHypnotikaAnticholinergikaNeuroleptikaEthanolLösungsmittel
Stoffwechsel-störungenSchädel-verletzungenweitere Erkran-kungen
Psyche VerwirrtheitHalluzinationenAggressivitätDelirium
HalluzinogeneAntihistaminikaAnticholinergikaEthanol
HypoglykämieFieberHirnabszesseexogene und endogene Psychosen ohne GifteinwirkungSchilddrüsen-erkrankungen
Herz Tachykardie
Bradykardie
Rhythmus-störungen
AmphetamineKokainAtropinderivate
GHBSekret der Aga-Kröte
KokainCrack
organische HerzerkrankungenSchrittmacher-störungenLungenödem
Blutdruck Hypertonie AmphetamineEcstasyKokainCrack
diverse
Atmung Tachypnoe
spezifischer Ge-ruch der Atemluft
AmphetamineKokain
SchnüffelstoffePoppersPropangasButangas
diverse
DiabetesMagen-erkrankungen
B ˘ Drogenmonografien108
1.1 Ecstasy – der Hirnzellenkiller
Synthetische Drogen wie Ecstasy und Amphetamin werden in Europa aus importierten Vorprodukten illegal hergestellt. Rund 11 Millionen Europäer (3,2% der europäischen Erwachsenen) haben bereits Ecstasy probiert und rund 12,5 Millionen (3,8%) haben ein-mal oder mehrmals Amphetamine genommen, das geht aus dem EU-Drogenbericht 2011 hervor.
Obwohl Ecstasy kein einzelner, chemisch exakt definierter Stoff, sondern eine Gruppe von sogenannten Amphetaminen ist, soll es hier gesondert und ausführlich besprochen werden. Die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe sind MDA, MDMA und MDE. MDA und MDMA wurden in den sechziger Jahren als „Love Drugs“ benutzt. Nach strenger Definition gehört MDMA nicht zu den Desi-gnerdrogen, da es bereits 1914 synthetisiert wurde. Ursprünglich wurde es von der Firma Merck als Appetitzügler getestet. Doch die Geschichte der Droge lässt sich noch weiter zurückverfolgen. Als psychoaktiver Inhaltsstoff der Muskatnuss ist er seit über 180 Jah-ren bekannt. Im Jahr 1829 schrieb der Biochemiker Purkinje dem Stoff aus frisch gemahlener Muskatnuss halluzinogene Eigen-schaften zu. Mitte der 1960er Jahre wurde MDMA von dem ame-rikanischen Biochemiker Alexander Shulgin wiederentdeckt und in die Psychotherapie eingeführt. Bis Ende 1994 wurde es in der Schweiz therapeutisch als Psychopharmakon eingesetzt.
Als Liebesdroge Ecstasy verbreitete sich MDMA dann rasch in den Vereinigten Staaten, besonders in der Studenten- und Yup pie-szene. Die Verbreitung ist extrem groß, die Kenntnis der Schädi-gungen unter den Anwendern im Gegensatz dazu erschreckend gering.
EigenschaftenDie Amphetaminderivate, aus denen sich Ecstasy zusammen-setzen kann, sind weiße kristalline Pulver, die als Kapseln oder Tabletten vertrieben werden. Diese sind vom „Hersteller“ mit für ihn typischen Mustern und Symbolen bedruckt.
109
Zur Synthese dienen Piperonal, Safrol, Isosafrol, Piperonalace-tat, 2-Brom-1-(3,4-Methylendioxyphenyl)-propan oder MDA als Ausgangssubstanz.
Im Unterschied zu Noradrenalin, Dopamin, Kokain und Amphetamin tragen die katecholaminverwandten Psychedelika, zu denen Ecstasy gehört, am Kohlenstoffring eine oder mehrere Methoxygruppen, was eine Verstärkung des psychedelischen Effekts bewirkt.
SzenenamenEs gibt wohl nur wenige Drogen, die unter so wenig Szenenamen gehandelt werden, wie Ecstasy. Zwar existieren unterschiedliche Slangs und Schreibweisen, aber der Name Ecstasy ist zum Begriff für eine ganze Generation geworden. Selbst der Hersteller eines Erfrischungsgetränkes nennt sein Produkt XTC.
AnwendungEcstasy wird fast ausschließlich oral als Tablette eingenommen.
Vergiftungsmöglichkeit˘ Überdosierung der Droge˘ Vergiftung durch Beimengungen.
1 ˘ Analeptika: Ecstasy
Abb. 25 ˘ Bezeichnungen von EcstasyAbkürzung Chemische Bezeichnung Szenenamen
DMA Dimethoxyamphetamin
DOM Dimethoxymethylamphetamin
DOB Dimethoxybromamphetamin
MDA Methylendioxyamphetamin Love drug
MDE Methylendioxy-N-Ethylamphe-tamin
Eve
MDMA Methylendioxymethamphe-tamin
Ecstasy, E, XTC, Adam, Vitamin E
MMDA Methoxymethylendioxy-amphetamin)
B ˘ Drogenmonografien110
RauscherlebnisMDMA und MDE gehören zur Gruppe der Entaktogene (lat. tactus = Takt, gr. en = innerlich, gen = produzieren). Stoffe dieser Gruppe erzeugen „im Inneren ein Gefühl“ und fördern das „In-sich-Hineinversinken“. Die Bereitschaft, Probleme zu erkennen, sie dif-ferenziert zu betrachten und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, wird gefördert. Die Kommunikations- und Kontaktfreudigkeit wird gesteigert. Anwender beschreiben folgende psychische Wir-kungen:
˘ Entspannung˘ Empathie˘ milde Euphorie und Ekstase˘ Glück und Wärme˘ Gefühle der Liebe und Zuneigung˘ Gefühl von Friede, Mitgefühl, Fürsorge˘ gesteigertes Selbstwertgefühl˘ unerschöpfliche Energie und Antriebssteigerung˘ intensiveres Erleben
Abb. 15 ˘ Verschiedene Ecstasy-Tabletten (Foto: DEA)
111
˘ Abbau von Hemmungen bei erhaltener geistiger Klarheit˘ seelische Ausgeglichenheit.
Die körperliche Leistungsfähigkeit wird gesteigert, das Schlafbe-dürfnis nimmt ab und der Konsument verspürt keinen Hunger und Durst.
Auch das sexuelle Empfinden wird verändert. Die verstärkte Berührungsempfindlichkeit und das Gefühl des Verliebtseins intensivieren den zwischenmenschlichen Kontakt. Zärtlichkeit spielt die dominierende Rolle, während die sexuelle Potenz meist reduziert ist. Set und Setting bestimmen maßgeblich die Wirkung. Wird die Droge nicht in Gesellschaft konsumiert, wird das „In-sich-Hineinversinken“ gefördert. Auf Techno-Partys wirkt Ecstasy eher euphorisierend.
Wirkung
Die Wirkung tritt nach etwa 1 Stunde ein und hält bis zu 12 Stun-den an.
Amphetaminderivate greifen an Serotonin-Rezeptoren an und wirken dort als indirekte Agonisten. Der Botenstoff Serotonin spielt im Körper als „Glückshormon“ eine wichtige Rolle. Wenn er in ausreichender Konzentration vorhanden ist, ist man gut gelaunt, fehlt er, ist der Betroffene depressiv. Die Einnahme von
1 ˘ Analeptika: Ecstasy
Abb. 16 ˘ Wirkung von Ecstasy
analeptisch
halluzinogen sedierend
Ecstasy
B ˘ Drogenmonografien112
Abb. 17 ˘ Erwünschte und unerwünschte Wirkungen von Ecstasy
88%
62%
51% 50%43% 40%
28%
15%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
anregend
bewusstseinserweiternd
entspannend
erregend
freimachend
aufweckend
kommunikationssteigernd
angstlösend
18% 18%
15% 15% 15%
8% 8%
35%
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
Tachykardie
innere Unruhe
Harndrang
Hyperthermiemassiver Durst
ÜbelkeitGesichtskrämpfesonstige
20%
18%
12%
8% 8%
15%
0%
5%
10%
15%
20%
Angst
Wahrnehmungsstörungen
depressive Züge
Sorge um Abhängigkeit
Antriebslosigkeit
sonstige
113
Ecstasy führt am Anfang zu einer vermehrten Freisetzung von Serotonin. Die Folgen sind eine Steigerung der Stimmungslage und ein Rauschzustand. Nach der anfänglichen Freisetzung des Neurotransmitters wird die Aktivität der Tryptophanhydrolase gehemmt, was zu einer lang anhaltenden Verringerung des Sero-tonins im Gehirn führt, denn dieses Enzym ist maßgeblich an der Neubildung von Serotonin beteiligt. Hiermit kann auch ein Wir-kungsverlust bei wiederholter Einnahme erklärt werden.
Weiterhin bewirkt Ecstasy eine Ausschüttung des Stresshor-mons Adrenalin und wirkt so als indirektes Sympathomimetikum. Eine Steigerung von Blutdruck und Herzfrequenz ist die Folge, das Durstgefühl ist reduziert. Die strukturelle Verwandtschaft mit DOM und Meskalin erklärt die leichten halluzinogenen Effekte.
Am dopaminergen Neuron wird permanent die Dopaminsyn-these gesteigert. Im Belohnungssystem des Gehirns (mesolim-bisches dopaminerges System) löst dies ein euphorisches Gefühl aus.
Extra-Info: Ecstasy und SpeedNeben dem Beigebrauch von Alkohol wird Ecstasy gern mit dem Amphetamin Speed kombiniert. Besonders Konsumenten, denen die aufputschende Wirkung von Ecstasy nicht ausreicht, nehmen Speed zusätzlich nasal.Ein weiterer Grund für den ansteigenden Speed-Konsum ist die Tatsache, dass der aufputschende Effekt erhalten bleibt, wenn der Konsument entsprechend der entwickelten Toleranz die Dosis erhöht. Die Kombination dieser beiden Substanzen ist deshalb so problematisch, weil sich die Effekte im Körper potenzieren, wo-durch der Organismus stark belastet wird. Die „therapeutische“ Breite dieser Kombination ist gering.Die Meinungen über die psychische Wirkung dieser Kombination sind geteilt: Einige Konsumenten behaupten, mit Speed halte die Ecstasy-Erfahrung länger an, andere berichten, dass die feine, „ein-fühlsame“ Wirkung von Ecstasy hierdurch verloren gehe.
1 ˘ Analeptika: Ecstasy
Matthias Bastigkeit
isbn 978–3–943174–12–0 www.skverlag.de
Rauschdrogen Drogenrausch2., überarbeitete und erweiterte Auflage
M. Bastigkeit Rauschdrogen – D
rogenrausch
Rauschdrogen Drogenrausch
Warum wird ein Mensch süchtig? Was passiert bei Abhängigkeit und Drogen-konsum im Körper? Wel-che Drogen gibt es und wie „funktionieren“ sie? Wann und wie kommt es zu Dro-gennotfällen, und was ist dann zu tun? Welche Wege aus der Sucht gibt es?
All diesen Fragen geht das vorliegende Buch nach – in gut lesbarer, fachlich an-spruchsvoller Form. Einem allgemeinen Teil mit gene-rellen Informationen folgt ein umfassender Abschnitt mit Drogenmonografien. Darin werden die Drogen
selbst mit ihren Wirkungen, Anwendungsweisen, Eigen-schaften und Gefahren be-schrieben und es werden die Vergiftungssymptome, der Nachweis am Notfallort und die medizinische Behand-lung dargestellt. Rechtliche Aspekte und Fallbeispiele finden ebenso Berücksich-tigung.
Ein gesonderter dritter Ab-schnitt liefert ein komplettes Verzeichnis der notwendigen Medikamente bei Drogen-notfällen. Abgerundet wird das Werk durch den Anhang mit Slang-Ausdrücken und nützlichen Adressen.
Matthias Bastigkeit
Eigenschaften, Wirkungen und Notfallbehandlung
2., überarbeitete und erweiterte Auflage