Recht Transparent: Gläubigerschutz
-
Upload
schulthess-juristische-medien-ag -
Category
Documents
-
view
213 -
download
1
description
Transcript of Recht Transparent: Gläubigerschutz
KAPITEL 1KONKURSSZENE SCHWEIZ KURZ VORGESTELLT
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 1 20.01.10 10:21
KAPITEL 1KONKURSSZENE SCHWEIZ KURZ VORGESTELLT
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 2 20.01.10 10:21
3 INSOLVENZ UND ZAHLUNGSVERHALTEN
1. Insolvenz und Zahlungsverhalten
Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte gibt Anlass zur Sorge. Zum einen
ist ein markanter Anstieg der Konkurse zu beobachten. Zum anderen hat sich die
Zahlungsmoral kontinuierlich verschlechtert. Beide Faktoren zusammen tragen zu
einem rauen wirtschaftlichen Klima bei. Unternehmerisches Handeln ist heute mit
grossen Risiken verbunden. Die Folgen dieser Entwicklung tragen aber nicht nur
die Unternehmen. Am Ende muss die Allgemeinheit für die Kosten der Misswirt-
schaft aufkommen, und zwar in Form von höheren Sozialausgaben und den damit
verbundenen steuerlichen Mehrbelastungen.
1.1 Wie haben sich die Konkurse in der Schweiz entwickelt?
Die Zahl der Pleiten bei Privaten und Firmen hat sich in den letzten Jahren auf
einem sehr hohen Niveau eingependelt. Eine Verbesserung ist nicht in Sicht.
12 000
11 000
10 000
9 000
8 000
7 000
6 000
5 000
4 000
3 000
2 000
1 000
0
Privatkonkurse
1975
1976
1977
1978
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
Firmenkonkurse
1322
1326
1515
1445
1415
1589
1414
1499
1367
1702
1394
1686
1428
1612
1643
1845
1915
2020
1845
2150
1873
2425
2055
2550
2001
2716
1919
3044
2180
3314
2631
3576
3545
4103
3952
5867
4451
6062
4183
6163
3820
5941
4156
6036
4552
4630
4363
4487
4196
4294
3842
4471
3613
4532
4002
4800
4539
5140
4955
5469
4751
5714
4528
5840
4314
6140
4221
6007
Abbildung: Privat- und Firmenkonkurse in der Schweiz (Creditreform)
1.2 Wie gross ist der wirtschaftliche Schaden aus Konkursen?
Gemäss dem Bundesamt für Statistik betrugen die Verluste aus erledigten Kon-
kursverfahren im Jahr 2008 2 555 108 000 Franken. Diese Zahl bezieht sich aber
allein auf die in Konkursen angemeldeten Forderungen. Darin nicht enthalten sind
die Verluste aus erfolglos eingestellten Konkursverfahren, aus Pfändungen und
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 3 20.01.10 10:21
4KONKURSSZENE SCHWEIZ KURZ VORGESTELLT
Nachlassverträgen sowie aus nicht weiterverfolgten Zahlungsbefehlen. Die effek-
tiven Verluste lassen sich also nur erahnen. Schätzungen gehen von über 10 Milli-
arden Franken aus.
5 000 000 000
4 500 000 000
4 000 000 000
3 500 000 000
3 000 000 000
2 500 000 000
2 000 000 000
1 500 000 000
1 000 000 000
Bundesamt für Statistik 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
1 40
0 00
0 00
0
1 59
6 00
0 00
0
1 31
0 00
0 00
0
2 46
7 00
0 00
0
2 84
3 00
0 00
0
4 01
7 00
0 00
0
3 87
2 00
0 00
0
4 31
3 00
0 00
0
4 38
2 00
0 00
0
4 32
6 00
0 00
0
3 95
5 16
9 00
0
3 72
3 76
3 00
0
3 66
5 76
3 00
0
3 55
2 80
7 00
0
4 69
8 21
6 00
0
4 45
2 50
1 00
0
3 03
9 80
8 00
0
3 36
3 85
3 00
0
2 55
5 10
8 00
0
Abbildung: Verluste aus erledigten Konkursverfahren (Bundesamt für Statistik)
1.3 Wie steht es um die Zahlungsmoral?
Mahnungen und Betreibungen werden viel eher in Kauf genommen als noch vor
einigen Jahren. Schuldenmachen bis hin zum Betrug ist für so manchen zur Norm
geworden. So wissen notorische Schuldner, dass Firmen kleine Forderungen lieber
abschreiben, als sie auf dem zeitintensiven und kostspieligen Rechtsweg durch-
zusetzen. In der Schweiz leiden vor allem kleine und mittlere Unternehmen unter
dieser Entwicklung. Ganz generell lässt sich in Sachen Geld ein gesellschaftlicher
Wandel feststellen. Wir leben in einer Zeit, wo man alles sofort haben und konsu-
mieren will. Auf die Dauer kann aber niemand mehr ausgeben, als er verdient.
Der Wandel spiegelt sich auch in der Zahl der eingeleiteten Betreibungen. Die Zah-
lungsbefehle haben sich in der Schweiz seit 1980 mehr als verdoppelt. Das Bun-
desamt für Statistik meldet rund 2,5 Millionen Zahlungsbefehle pro Jahr. Und regio-
nale Untersuchungen belegen, vier von fünf Rechnungen werden zu spät bezahlt.
Der durchschnittliche Zahlungsverzug beträgt dabei gut 20 Tage. Eine von zehn
Rechnungen bleibt schliesslich ganz unbeglichen.
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 4 20.01.10 10:21
5 INSOLVENZ UND ZAHLUNGSVERHALTEN
Säumige Zahler gehen direkt zulasten der eigenen Liquidität. Im schlimmsten Fall
gefährden sie die Existenz eines Unternehmens. Zudem gilt die Faustregel: Je län-
ger eine Rechnung offen bleibt, desto geringer werden die Chancen, die Zahlung
doch noch zu erhalten.
1.4 Welche Rolle spielt die Konjunktur?
In den verschiedenen Konjunkturphasen wiederholen sich gewisse Verhaltens-
muster. So liegt in Zeiten des wirtschaftlichen Wachstums der Fokus der Akteure
hauptsächlich auf der Befriedigung der steigenden Nachfrage. Typisch ist dabei
der Verteilkampf um das grösste Stück Kuchen. Man will so viel Umsatz wie mög-
lich erzielen. Entsprechend grosszügig sind die Konditionen für Kredite. In wirt-
schaftlich schwierigen Zeiten dagegen werden jene Massnahmen verstärkt, welche
die Rentabilität sichern. Dazu gehört besonders die Reduzierung der Debitorenbe-
stände durch Kürzung von Kreditlimiten. Die Akteure wollen über möglichst viele li-
quide Mittel verfügen. Die Folge ist ein Dominoeffekt, der sich über alle Wirtschafts-
zweige hindurchzieht.
Aufschwung Krise
Allgemeine Tendenzen
Investitionsbereitschaft, Wachstumsstrategien, Produktionsausweitung
Kostenoptimierung,Personalabbau, Investitions-verzögerungen
Kreditmanagement Systemintegration zur Optimierung der Anfrage-volumen, Erhöhen der Kreditlimiten
Vorsicht, Pessimis-mus, Kostenbewusstsein, Liquiditätsengpass
Debitoren-management
Tendenzielle Vernachlässigung, Konzentration auf Neukunden, zaghaftes Vorgehen zur Ver-meidung von Kundenabgän-gen, Ansteigen der Debitoren
Straffung der Abläufe, Mass-nahmen zur Liquiditätssiche-rung, Bearbeitung von Alt-beständen, Ansteigen der Debitorenverluste
Abbildung : Verhaltensmuster im Kredit- und Debitorenmanagement
Aus Distanz betrachtet machen Krisen durchaus Sinn. Es kommt zu Bereinigun-
gen in unrentablen Sektoren. Zunächst einmal trifft es Firmen, die über ihre Verhält-
nisse gelebt oder Risiken falsch kalkuliert haben. Aber auch Firmen, die rentabel
wirtschaften, sind nicht vor dem Kollaps gefeit. Vor allem Klein- und Mittelbetriebe
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 5 20.01.10 10:21
6KONKURSSZENE SCHWEIZ KURZ VORGESTELLT
sind oft machtlos gegen Strukturrisiken. Grund ist meist ihre zu grosse Abhängig-
keit von einzelnen Auftraggebern. Beispielhaft ist die gegenwärtige Lage der Zu-
lieferer in der Autoindustrie. Mit verursacht werden solche Pleitewellen durch die
zunehmende Spezialisierung und den wachsenden Kostendruck durch Billigpro-
duktionen aus wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen.
2. Privatkonkurse
Nach dem Jahr 1997 sind die Privatkonkurse zeitweise stark zurückgegangen. Grund
dafür war nicht eine verbesserte Wirtschaftslage, sondern die auf den 1. Januar 1997
in Kraft getretene Revision des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG).
Damit wurden die Hürden für den Privatkonkurs erhöht. Der Schuldner muss dem
Konkursrichter seither glaubhaft machen, dass keine Aussicht auf eine Schuldberei-
nigung besteht. Seit dem Jahr 2002 nehmen die Privatkonkurse wieder zu.
2.1 Welches sind die Ursachen für private Pleiten?
Rund die Hälfte der Personen, über die in den letzten Jahren der Konkurs eröff-
net wurde, steht mitten im Erwerbsleben. Die drei wichtigsten Ursachen für private
Überschuldung sind Arbeitslosigkeit, Scheidung und Krankheit. Dazu kommt ein
prekäres Konsumverhalten. Die Verlockungen in Form von Kleinkrediten und Lea-
sing sind gross, wobei es den Konsumenten oft auch an Eigenverantwortung man-
gelt. Experten rechnen damit, dass die Zahl der Privatkonkurse in den nächsten
Jahren noch weiter steigen wird.
2.2 Wer ist besonders gefährdet?
Betroffen sind alle Altersgruppen. Spitzenreiter bei den Pleiten sind die 40- bis
60-Jährigen, wobei die Gruppe der Jungen und die Gruppe der Rentner mächtig
aufholen. Unter den Geschlechtern sind nach wie vor die Männer klare Verlierer.
Gut 80% aller Privatkonkurse gehen auf ihr Konto, wobei die Folgen einer Pleite
natürlich auch eine Partnerin oder die Kinder zu spüren bekommen. In den letzten
Jahren ist der Anteil der Frauen auffallend angestiegen. Hier sind besonders die Al-
leinerziehenden einem hohen Risiko ausgesetzt.
Eine weitere besorgniserregende Tendenz ist die zunehmende Jugendverschul-
dung. Auch hier gibt es verschiedene Ursachen. Zum einen spielt der Konsum-
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 6 20.01.10 10:21
7 FIRMENKONKURSE
druck eine wichtige Rolle. Zum anderen haben viele Jugendliche den Umgang mit
Geld nie richtig gelernt. Die Dunkelziffer in diesem Bereich dürfte gross sein. So-
lange die Jugendlichen noch im Haushalt der Eltern leben, können sie bei finan-
ziellen Schwierigkeiten oftmals mit elterlicher Unterstützung rechnen. Sind sie erst
einmal unabhängig geworden, droht ihnen dann der ungebremste Fall in die Schul-
denspirale.
2.3 Kann ein Privatkonkurs die Probleme lösen?
Wer bis zum Hals in Schulden steckt, glaubt vielleicht, mit einem Privatkonkurs alle
Probleme ein für allemal zu lösen. Das aber ist ein Trugschluss. Am Ende des Ver-
fahrens erhält jeder Gläubiger einen Verlustschein. Verjährungsfrist: 20 Jahre. Zu-
dem kann diese Frist durch eine neuerliche Betreibung immer wieder verlängert
werden. Das heisst: Auch nach einem Privatkonkurs fängt man nicht bei Null an.
Früher oder später holt einen die Vergangenheit ein.
3. Firmenkonkurse
Für eine Analyse der Firmenkonkurse ist wichtig zu wissen, wie viele Firmen es in
der Schweiz überhaupt gibt. Im Jahr 2008 waren 475 395 Firmen im Handelsregis-
ter (HR) eingetragen und zwar mit folgender Zusammensetzung:
0
50 000
1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
100 000
150 000
200 000
250 000
300 000
350 000
400 000
450 000
500 000
Genossenschaft
16 206 23 164 31 190 38 579 46 035 53 863 61 442 68 633 76 428 84 291 92 448 101 462 109 713
14 174 14 162 14 083 13 839 13 590 13 221 12 975 12 529 12 198 11 860 11 609 11 306 10 977
3 549 3 523 3 299 3 192 3 118 2 917 2 836 2 727 2 665 2 632 2 617 2 504 2 441
16 734 16 703 16 793 16 460 16 360 15 862 15 680 15 455 14 951 14 524 14 662 13 934 13 750
131 285 134 815 138 466 140 900 142 314 142 579 144 839 147 311 148 263 148 982 150 050 152 388 154 626
170 439 170 503 171 154 171 057 171 984 173 127 173 332 174 370 174 149 173 944 175 459 179 761 183 888
GmbH
Kommanditgesellschaft
Kollektivgesellschaft
Einzelfirma
AG
Abbildung: Im Handelsregister eingetragene Firmen (Bundesamt für Statistik)
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 7 20.01.10 10:21
8KONKURSSZENE SCHWEIZ KURZ VORGESTELLT
Dazu kommen rund 150 000 nicht im HR eingetragene Firmen. Es handelt sich da-
bei um Einzelfirmen, bei denen der Eigentümer als Privatperson mit seinem ganzen
Vermögen haftet. Anzunehmen ist, dass viele dieser Einzelfirmen eintragungspflich-
tig wären. Denn grundsätzlich ist ein Eintrag im Handelsregister bereits ab einem
Umsatz von 100 000 Franken vorgeschrieben.
3.1 Welche Rolle spielt die Rechtsform?
Auffallend ist, dass die Insolvenzen bei den GmbH in den letzten Jahren am stärks-
ten zugenommen haben. Eine der Ursachen dürfte im relativ geringen Kapitalbe-
darf zu suchen sein. Für die Gründung einer GmbH ist nur ein Stammkapital von
20 000 Franken erforderlich, das bis Ende 2007 nicht einmal voll einbezahlt wer-
den musste. Es genügten 50%. Das Mindestkapital für eine AG beträgt immerhin
100 000 Franken, wovon die Hälfte zwingend liberiert werden muss. Eine weitere
Ursache dürfte darin gelegen haben, dass die GmbH im Gegensatz zur AG keine
Revisionsstelle benötigte. Die am 1. Januar 2008 in Kraft getretene Revision des
Obligationenrechts führte zu einer Annäherung beider Gesellschaftsformen. Die
GmbH benötigt zwar nach wie vor nur ein Stammkapital von 20 000 Franken. Die-
ses muss jedoch vollständig einbezahlt werden. Die Pflicht zur Einsetzung einer Re-
visionsstelle ist neu von der Rechtsform unabhängig. Sie richtet sich nur noch nach
der wirtschaftlichen Bedeutung beziehungsweise Finanzkraft und Betriebsgrösse
eines Unternehmens, nicht mehr nach dessen rechtlichem Gewand. Die Bedeutung
der Rechtsform für das Insolvenz- und Konkursrisiko hat damit deutlich abgenom-
men. Die Grafik zeigt, dass das Insolvenzrisiko für eine GmbH im Jahr 2008 rund
15‰, für eine AG rund 7‰ betrug.
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 8 20.01.10 10:21
9 FIRMENKONKURSE
0
Einzelfirmen AG KG KomG GmbH Übrige Total
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
10
,9
11
,2
11
,0
10
,8
8,7
9,6
10
,7
9,5
7,9
7,3
7,1
10
,7
4,5
3,1
3,5
2,3
3,2
2,9
4,4
4,1
1,9
2,7
1,2
3,2
19
,7
17,
5
17,
0
15
,7
15
,1
19
,4
1,0
0,8
0,5
0,5
0,7
0,9
10
,8
10
,2
9,6
9,1
8,5
10
,1
2003 2004 2005 2006 2007 2008
Abbildung: Insolvenzrisiko nach Rechtsform (Creditreform) [pro 1000 Unternehmen]
3.2 Welche Branchen sind besonders gefährdet?
Neben der Rechtsform spielt die Branche eine wichtige Rolle. Manche Geschäfts-
felder sind gefährdeter als andere:
0
2
4
6
8
10
12
14
16
Bau Industrie Dienstleistungen Gross-/Detailhandel Übrige Mittelwert
10
,9
9,7
9,0
8,0
7,5
7,1
13
,5
14
,0
13
,1
13
,2
12
,3
13
,3
11
,1
12
,1
11
,6
10
,4
10
,0
9,1
12
,2
14
,3
13
,0
12
,4
11
,0
10
,1
1,8
1,7
1,7
1,8
1,3
1,4
10
,4
11
,1
10
,4
9,8
9,1
8,7
2003 2004 2005 2006 2007 2008
Abbildung: Insolvenzrisiko nach Branchen (Creditreform) [pro 1000 Unternehmen]
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 9 20.01.10 10:21
10KONKURSSZENE SCHWEIZ KURZ VORGESTELLT
3.3 Welche Rolle spielt das Alter einer Firma?
Ein weiterer Faktor ist das Alter des Unternehmens. Die Gefahr, dass eine junge
Gesellschaft Konkurs geht, ist weit höher als bei einer älteren. In den letzten Jah-
ren zeigt sich hier jedoch eine markante Verschiebung:
0%1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
10%
20%
30%
40%
40%
60%
bis 2 Jahre 2 bis 10 Jahre über 10 Jahre
Abbildung: Firmenkonkurse nach Alter (Creditreform)
Auffallend ist, dass 50% der Firmenkonkurse zwischen einem Firmenalter von 2
und 10 Jahren erfolgen. Besonders kritisch ist die Gründungsphase: Das Startka-
pital reicht oft nur für rund 2 Jahre. Ab einem Firmenalter von 10 Jahren geht die
Konkurswahrscheinlichkeit stark zurück. Konkurse von Unternehmen, die älter als
20 Jahre sind, machen nur noch einen Anteil von 9,1% aus.
3.4 Wie entwickelt sich eine typische Firmenpleite?
Der Eintritt einer Insolvenz läuft oft nach einem ganz bestimmten Muster ab. Die
Grafik veranschaulicht die schrittweise Entstehung einer Zahlungsunfähigkeit.
Wichtig zu wissen ist: Fast immer gibt es Warnzeichen, wie beispielsweise verspä-
tete Zahlungseingänge oder Lieferschwierigkeiten.
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 10 20.01.10 10:21
11 HAFTUNGSVERHÄLTNISSE
Personengesellschaften
Kapitalgesellschaften (AG, KomAG, GmbH)
Absatz-schwie-rigkeiten
Ertrags-vermin-derung
Ein-nahmen-vermind.
VerlustUnter-bilanz
Über-schul-dung
Zahlungs-schwierig-keiten
Zahlungs-stockung
Zahlungs-unfähig-keit
Insol-venz
Umsatz-rück-gang
Abbildung: Entwicklung einer Insolvenz (Rödl/Winkels)
4. Haftungsverhältnisse
Wer haftet bei einem Forderungsausfall oder bei einer Vertragsverletzung? Die Ant-
wort auf diese wichtige Frage richtet sich wesentlich nach der Person oder den
Personen, die dem Gläubiger gegenüberstehen. Handelt es sich um eine natürli-
che Person, eine aus mehreren Personen bestehende Rechtsgemeinschaft (übli-
cherweise als Personengesellschaft bezeichnet) oder um eine sogenannte juristi-
sche Person (Körperschaft)?
Haftung: Natürliche Person Haftung: Juristische Person
Gesellschaften
Rechtsgemeinschaften Körperschaften
Personengesellschaften
EinfacheGesellschaft
Kollektiv-gesellschaft
Kommandit-gesellschaft
ter Haftung
Genossen-schaft
VereinNatürlichePerson
Privatperson
Aktien-gesellschaft
Gesellschaftmit beschränk-ter Haftung
Kapitalgesellschaften
Abbildung: Rechtsformen (Meier /Forstmoser)
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 11 20.01.10 10:21
12KONKURSSZENE SCHWEIZ KURZ VORGESTELLT
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Kommanditaktiengesellschaft in
der obigen Aufstellung fehlt. Sie kommt jedoch so selten vor, dass sie vernachläs-
sigt werden kann.
4.1 Wie sieht die Haftung bei natürlichen Personen und Personengesellschaften
aus?
Natürliche Personen haften mit ihrem ganzen Vermögen für ihre Verbindlichkeiten,
ebenso wie Mitglieder von Personengesellschaften für die Gesellschaftsschulden.
Eine Ausnahme gilt für die Kommanditgesellschaft, deren Kommanditäre grund-
sätzlich nur bis zur Höhe der im Handelsregister eingetragenen Kommanditsumme
in Anspruch genommen werden können; die Komplementäre haften hingegen un-
beschränkt. Bei einfachen Gesellschaften (häufiges Beispiel: Arbeitsgemeinschaf-
ten, die gemeinsam ein Bauprojekt realisieren) spielt die persönliche Haftung di-
rekt und unmittelbar. Mitglieder einer Kollektivgesellschaft können erst persönlich
in Anspruch genommen werden, wenn sie in Konkurs geraten sind oder die Gesell-
schaft z. B. durch Konkurs aufgelöst oder erfolglos betrieben worden ist. In allen
Fällen haften die Gesellschafter untereinander solidarisch, d.h., der Gläubiger kann
jeden Einzelnen für seine gesamte Forderung in Anspruch nehmen.
4.2 Wie ist die Haftung bei juristischen Personen geregelt?
Bei Körperschaften haftet für die Schulden der Gesellschaft grundsätzlich nur das
Gesellschaftsvermögen. Bei Genossenschaften und Vereinen können die Statuten
jedoch eine persönliche Haftung der Mitglieder vorsehen. Die Möglichkeit der Haf-
tungsbeschränkung spielt eine wichtige Rolle bei der Wahl der Form eines Unter-
nehmens. Sie erklärt auch die ausgesprochene Beliebtheit von AG und GmbH.
Die Haftung bei den verschiedenen Gesellschaftsformen ist in der nachstehenden
Abbildung zusammengefasst.
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 12 20.01.10 10:21
13 REVISIONSSTELLE
EinfacheGesellschaft
Kollektiv-gesellschaft
Kommandit-gesellschaft
GmbH
Genossenschaft*
Verein*
* Je nach Ausgestaltung der Statuten haften die Gesellschafter auch beschränkt oder unbeschränkt.
AusschliesslicheHaftung derGesellschafter
HaftungPrimäre Haftungdes Gesellschafts-vermögens
AusschliesslicheHaftung desGesellschaftsvermögens
Kommandit-gesellschaft
AG
Gesellschafter haftensubsidiär und unbe-schränkt
Gesellschafter haftensubsidiär und be-schränkt
Komplementär
Kommanditär
Abbildung: Haftung bei den verschiedenen Gesellschaftsformen (Meier/Forstmoser)
4.3 Warum ist die GmbH beliebt?
Die mit dem geringsten Mindestkapital ausgestattete Rechtsform der GmbH wird
in vielen Fällen gewählt, um das Haftungsrisiko möglichst kostengünstig zu be-
schränken. Typisch ist der Fall des Arbeitslosen, der mit einer eigenen GmbH eine
neue Existenz aufbauen will und dafür seine Dritte Säule plündert. Gerät seine
Firma in Zahlungsschwierigkeiten, sind häufig nicht nur die Gläubiger die Geprell-
ten, sondern auch der Unternehmer selbst. Er läuft nun Gefahr, durch den Verlust
seiner Altersvorsorge zum Sozialfall zu werden. Die Folgekosten bezahlt die Allge-
meinheit.
5. Revisionsstelle
Die Revisionsstelle hat mindestens zu prüfen, ob die Jahresrechnung und gege-
benenfalls die Konzernrechnung sowie der Antrag des Verwaltungsrates über die
Verwendung des Bilanzgewinns dem Gesetz und den Statuten entsprechen (OR,
eingeschränkte Revision). Sie ist weiter verpflichtet, bei einer offensichtlichen Über-
schuldung den Richter zu benachrichtigen, falls der Verwaltungsrat nicht handelt.
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 13 20.01.10 10:21
14KONKURSSZENE SCHWEIZ KURZ VORGESTELLT
Die Revisionsstelle gibt nicht nur den Aktionären Sicherheit, sondern indirekt auch
den Geschäftspartnern eines Unternehmens.
5.1 Was brachten die letzten Gesetzesänderungen?
Am 1. September 2007 ist das neue Revisionsaufsichtsgesetz (RAG) in Kraft ge-
treten. Nach den neuen Bestimmungen sind «Laienrevisionen» nur noch in Aus-
nahmefällen zugelassen. Revisoren und Revisionsexperten müssen bestimmte
Qualifikationen aufweisen und von der Aufsichtsbehörde zugelassen werden. Die
Anforderungen an die Revisoren und die Art der Revision (ordentliche oder einge-
schränkte Revision) richtet sich nach der wirtschaftlichen Bedeutung des Unter-
nehmens.
Gesellschaft Art der Revision Revision durch
Publikumsgesellschaften
Ordentliche Revision RevisionsexpertenKonzernrechnungs-pflichtige Unternehmen
Volkswirtschaftlich bedeu-tende Unternehmen
Kleinere Unternehmen Eingeschränkte Revision Revisor
Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitenden
Keine, wenn alle Aktionäreeinverstanden
«Laienrevision»
Abbildung: Revisionsarten für AG, GmbH und Genossenschaft
Die Pflicht zur Ernennung einer Revisionsstelle hängt nicht mehr von der Rechts-
form ab. Jede Gesellschaft, welche die folgenden Kriterien erfüllt, muss eine Revi-
sionsstelle haben, neu also auch die GmbH: Gemäss OR müssen folgende Gesell-
schaften ihre Jahresrechnung und gegebenenfalls ihre Konzernrechnung durch
eine Revisionsstelle ordentlich prüfen lassen:
Publikumsgesellschaften
Gesellschaften, die zwei der nachstehenden Grössen in zwei aufeinanderfol-
genden Geschäftsjahren überschreiten:
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 14 20.01.10 10:21
15 REVISIONSSTELLE
– Bilanzsumme von 10 Millionen Franken
– Umsatzerlös von 20 Millionen Franken
– 50 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt
Besteht keine Verpflichtung zur ordentlichen Revision, so sind die Gesellschaften
eingeschränkt zu prüfen. Gesellschaften, die im Jahresdurchschnitt nicht mehr als
10 Vollzeitstellen haben, können die eingeschränkte Revision modifizieren oder völ-
lig auf eine Revision verzichten. Umgekehrt können der eingeschränkten Revision
unterliegende Unternehmen sich der ordentlichen Revision unterstellen.
Ordentliche Revision
▲ Opting UP10% der Aktionäre / Gesellschafter oder gemäss GV / Statuten
Eingeschränkte Revision
▲ Opting INEin Aktionär kanndies verlangen
▼ Opting OUTKann von sämtlichen Aktionären verlangt werden, wenn nicht mehr als 10 Vollzeitstellen
▼ Opting DOWNKann von sämtlichen Aktionären verlangt wer-den, wenn nicht mehr als 10 Vollzeitstellen
Keine Revision Modifizierte ein-geschränkte Revision
Abbildung: Opting-Möglichkeiten
Opting-Varianten:
Opting UP: Eine zur eingeschränkten Revision verpflichtete Gesellschaft ist or-
dentlich zu revidieren, wenn 10% der Aktionäre/Gesellschafter dies verlangen.
Opting IN: Eine nicht zur Revision verpflichtete Gesellschaft ist eingeschränkt
zu revidieren, wenn ein Aktionär dies verlangt.
Opting DOWN: Gesellschaften, die nicht mehr als 10 Vollzeitstellen haben,
können mit dem Einverständnis aller Aktionäre die eingeschränkte Revision zu-
sätzlich einschränken.
Opting OUT: Gesellschaften, die nicht mehr als 10 Vollzeitstellen haben, kön-
nen mit Zustimmung aller Aktionäre auf eine Revisionsstelle verzichten.
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 15 20.01.10 10:21
16KONKURSSZENE SCHWEIZ KURZ VORGESTELLT
Mit der Einführung des RAG wurden auch die Anforderungen an die Revisoren
neu geregelt. Die ordentliche Revision muss von einem entsprechend qualifizierten
Revisionsexperten durchgeführt werden, die eingeschränkte Revision von einem
zugelassenen Revisor. Der begrüssenswerte Einsatz ausgewiesener Spezialisten
schützt aber nicht vor Geschäftspartnern, die aufgrund von Zahlungsschwierigkei-
ten ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Das heisst konkret: Die
Revisionsstelle kann ein Unternehmen nicht vor Zahlungsschwierigkeiten oder an-
deren finanziellen Problemen bewahren. Sie kann nur verhindern, dass bei Untätig-
keit des Verwaltungsrates wertvolle Zeit verstreicht und weiterer Schaden entsteht.
Der Verwaltungsrat ist nämlich vom Gesetzgeber her verpflichtet, bei Kapitalverlust
oder Überschuldung geeignete Massnahmen zu ergreifen. Versäumt er dies, so
muss ihn die Revisionsstelle darauf aufmerksam machen oder – in letzter Konse-
quenz – den Richter über den Eintritt der Überschuldung informieren.
5.2 Kann Misswirtschaft bestraft werden?
Leider gibt es immer wieder Organe von Aktiengesellschaften (AG) oder Gesell-
schaften mit beschränkter Haftung (GmbH), die ihrer Verantwortung nicht nach-
kommen. Statt im Fall von Schwierigkeiten (wie vom Gesetzgeber gefordert) die
Finanzlage professionell zu analysieren und die notwendigen Sanierungsmassnah-
men einzuleiten beziehungsweise im Fall einer nicht abwendbaren Überschuldung
Insolvenz anzumelden, versuchen sie mit betrügerischen Mitteln, einen drohenden
Konkurs abzuwenden. Dabei werden Gläubiger oft massiv geschädigt. Die Zürcher
Staatsanwaltschaft III für Wirtschaftsdelikte geht neuerdings mit einem Kurzver-
fahren gegen betrügerische Konkurse vor, und zwar unter dem Straftatbestand der
Misswirtschaft. In diesem Zusammenhang können auch untätige Revisoren zur Re-
chenschaft gezogen werden.
57291_RAT_Glaeubigerschutz_IH.indd 16 20.01.10 10:21