Rechtsgutachten Schleswig-Holstein

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    WEISSLEDER & EWERNotar Rechtsanwlte

    Dr. sc. pol. Wolfgang M. WeilederNotar Rechtsanwalt Fachanwalt fr ArbeitsrechtProf. Dr. Wolfgang Ewer

    Rechtsanwalt

    Fachanwalt fr VerwaltungsrechtProf. Dr. Angelika LeppinRechtsanwltin Fachanwltin fr Verwaltungsrecht

    Dr. Marcus ArndtRechtsanwalt Fachanwalt fr Verwaltungsrecht

    Dr. Marius RaabeRechtsanwalt Fachanwalt fr Verwaltungsrecht

    Dr. Gyde OttoRechtsanwltin

    Dr. Gunnar PostelRechtsanwalt

    Dr. Alexander BehnsenRechtsanwalt

    Dr. Bernd HoeferRechtsanwalt

    24103 Kiel Walkerdamm 4 - 6Telefon (0431) 9 74 36-0Telefax (0431) 9 74 36-36Internet: www.weissleder-ewer.deE-Mail: [email protected]

    Bearbeiter/-in:RA Prof. Dr. EwerUnser Zeichen:

    545/10 Ew/bk/ab

    Kiel, den

    01.06.2010

    Rechtsgutachten

    zur Frage der Zustimmungsbedrftigkeit bestimmter nde-

    rungen des Atomgesetzes

    erstattet vonRechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer

    Fachanwalt fr Verwaltungsrecht

    im Auftrag des

    Ministeriums fr Justiz, Gleichstellung und Integration

    des Landes Schleswig-Holstein

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    A. Zum Sachverhalt

    Die atomrechtliche Diskussion hat in den letzten Wochen zunehmend an Fahrt ge-

    wonnen. Die nach dem Regierungswechsel im Jahre 2009 geplante Verlngerung der

    Laufzeiten fr Kernkraftwerke und teilweise nderung des Atomkonsenses hat nicht

    nur eine politische, sondern auch eine rechtliche Dimension, die in den letzten Wo-

    chen deutlich zu Tage getreten ist. Auch wenn ein Gesetzesentwurf noch nicht kon-

    kret vorliegt, ist nach dem derzeitigen Stand der Dinge offenbar geplant, das Atomge-

    setz dahingehend zu berarbeiten, dass

    durch eine nderung der in der Anlage 3 zum AtG definierten Reststrommengendie Laufzeiten der am Netz befindlichen Kernkraftwerke verlngert werden,

    und

    eine Normierung von Nachrstpflichten fr die Anlagenbetreiber erfolgt, die die-

    se verpflichtet, die Anlagen an einen Stand der Nachrsttechnik anzupassen.

    Die Zustndigkeit zur Atomaufsicht soll wie bisher bei den Bundeslndern verbleiben

    und von diesen im Wege der Bundesauftragsverwaltung wahrgenommen werden.

    B. Zur Rechtslage

    Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob eine solche nderung des Atomge-

    setzes der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Nach hiesiger Auffassung ist dies im

    Ergebnis zu bejahen, was sich daraus ergibt, dass

    beide unter Gliederungspunkt A. genannten Regelungsbereiche aus verfas-

    sungsrechtlichen Grnden zwingend nur verbunden und nicht in getrennten Ge-

    setzen verabschiedet werden knnen

    und

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    jeder der beiden Regelungsbereiche fr sich die Zustimmungsbedrftigkeit aus-

    lst,

    die sich damit auf das gesamte Gesetz erstreckt, und zwar auch fr den Fall,

    dass entgegen der hiesigen Auffassung einer der beiden Regelungsbereiche

    nicht zustimmungsbedrftig ist.

    I. Verfassungsrechtlich gebotene Verknpfung beider Regelungsgehalte

    Beide genannten Regelungsbereiche knnen nur im Wege einer Junktimierung mitei-

    nander verbunden als Gesetz verabschiedet werden. Es ist aus verfassungsrechtli-chen Grnden nicht denkbar,

    in einem gesetzgeberischen Schritt ohne jede Flankierung eine Laufzeitverln-

    gerung fr Kernkraftwerke im Wege der nderung der Anlage 3 zum AtG zu

    normieren,

    ohne verbunden hiermit

    auch die notwendigen Anforderungen an die Sicherheitstechnik gesetzgeberisch

    zu definieren bzw. die Pflicht der Betreiber, die Anlagen dem Stand der Nach-

    rsttechnik anzupassen.

    Die alleinige gesetzgeberische Regelung der bloen Laufzeitverlngerung ohne eine

    damit verbundene Regelung zu Nachrstungsverpflichtungen wre verfassungswidrig

    und damit nichtig. Eine bloe gesetzgeberische Laufzeitverlngerung wrde den ge-rade hinsichtlich des Atomrechts bestehenden und verfassungsrechtlich gebotenen

    staatlichen Schutzpflichten nicht hinreichend Rechnung tragen und wre daher nicht

    mit dem Grundgesetz vereinbar.

    1. Staatliche Schutzpflichten im Bereich des Atomrechts

    Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt sich fr den Staat die Pflicht, das Leben und diekrperliche Unversehrtheit des Einzelnen zu schtzen. Staatliche Organe mssen

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    sich schtzend und frdernd vor die besagten Rechtsgter stellen. Dieser Schutz

    muss angemessen und wirksam sein,

    vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2009,

    Art. 2, Rn. 91.

    Gerade im Bereich des Atomrechts ist diese verfassungsrechtlich gebotene staatliche

    Schutzpflicht, die sich sowohl auf das Leben als auch auf die krperliche Unversehrt-

    heit bezieht, besonders ausgeprgt,

    vgl. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 26.01.1988 1 BvR 1561/82,BVerfGE 77, S. 381, 402 f.; Beschluss des 2. Senats vom 08.08.1978 2

    BvL 8/77 , BVerfGE 49, S. 89, 141 f.; Beschluss des 1. Senats vom

    20.12.1979 1 BvR 385/77 , BVerfGE 53, S. 30, 57 f.; vgl. auch

    Denninger, Verfassungsrechtliche Fragen des Ausstiegs aus der Nutzung

    der Kernenergie zur Stromerzeugung, 1. Aufl. 2000, S. 96.

    Wo wie im Bereich des Atomrechts kochkomplizierte technische Anlagen wie Kern-

    kraftwerke errichtet oder betrieben werden sollen, muss der Staat mithin alles tun, um

    Risiken fr Leben und Gesundheit der Brger auf ein hinnehmbares Restrisiko zu mi-

    nimieren und hinreichende Sicherheit zu gewhrleisten. Er hat dafr zu sorgen, dass

    schon die Entstehung von Gefahren fr Leben und Gesundheit vermieden wird,

    vgl. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 5. Aufl. 2009, Art. 2,

    Rn. 192, 198.

    Angesichts der Art und Schwere mglicher Gefahren bei der friedlichen Nutzung der

    Kernenergie reicht nach der ausdrcklichen Rechtsprechung des Bundesverfas-

    sungsgerichts bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts aus, um die

    Schutzpflicht des Gesetzgebers konkret auszulsen,

    vgl. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 20.12.1979 1 BvR 385/77 ,

    BVerfGE 53, S. 30, 57,

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    2. Steigendes Risiko fr die verfassungsrechtlich geschtzten Rechtsgter bei

    bloer Laufzeitverlngerung

    Eine bloe Verlngerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken durch nderung der An-lage 3 zum AtG ohne eine gesetzgeberische Verknpfung mit der Normierung von

    Anpassungspflichten an den Stand der Nachrsttechnik fr die Betreiber wrde je-

    doch zu einer Steigerung der von den Anlagen ausgehenden Risiken fhren. Dies gilt

    insbesondere fr besonders alte Anlagen, letztendlich aber auch fr jede Anlage, da

    auch diese altern, je lnger sie laufen.

    Die technische Erfahrung der Atomaufsicht im Bundesland Schleswig-Holstein, in dem

    es mit dem Kraftwerk Brunsbttel eine eher ltere und mit dem Kraftwerk Brokdorf ei-

    ne eher jngere Anlage gibt, zeigt, dass die statistisch belegte Anzahl der melde-

    pflichtigen Ereignisse und auch die Anflligkeit einer Anlage fr technische Strungen

    steigt, je lter die Anlage ist. Darber hinaus verfgt eine ltere Anlage in der Regel

    im Vergleich zu jngeren Anlagen geringere Sicherheitsreserven. Dies zeigt sich etwa

    bei den fr Rohrleitungen, Armaturen und Komponenten verwendeten Werkstof-

    fen,

    bei der Dimensionierung von Bauteilen (Komponenten, Untersttzungen, Bau-

    werke etc.),

    hinsichtlich der Sicherheitsreserven an Khlmittelvorrten sowie bei der Dimen-

    sionierung von Frdermengen

    sowie

    bei den Sicherheitsreserven bei der Stromversorgung bzw. Notstromversorgung.

    In jngere Anlagen konnte aufgrund technischer Weiterentwicklungen oftmals eine

    bessere Technik eingebaut werden als in ltere bei deren Errichtung. Letztere wurden

    auf Grund konzeptioneller Gegebenheiten zudem in der Regel nur begrenzt nachge-

    rstet. Auch von der technischen Grundausstattung her ist daher eine alte Anlage im

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    Vergleich zu einer neuen Anlage eher als technisch strker risikobehaftet einzustufen.

    Dies betrifft beispielsweise auch

    den baulichen Grundschutz gegen Einwirkungen von auen oder durch Dritte,

    durch den die Integritt von Komponenten und die Funktionalitt der Sicher-

    heitssysteme im erforderlichen Umfang gewhrleistet werden soll. Dies gilt ins-

    besondere auch fr die Wandstrke lterer Anlagen, die speziell fr den Schutz

    vor Explosionsdruckwellen und terroristischen Angriffen auch in Folge eines

    gezielt herbeigefhrten terroristischen Flugzeugangriffs von besonderer Wich-

    tigkeit ist.

    Weiterhin betrifft es beispielsweise auch

    redundante und unabhngige Sicherheitseinrichtungen, die insbesondere durch

    rumliche Trennung und Diversitt der Sicherheitseinrichtungen sichergestellt

    werden sollen.

    Auch das generelle Schutzniveau einer lteren Anlage ist daher niedriger als das ei-

    ner jngeren.

    Je lter eine Anlage insbesondere eine ohnehin schon ltere Anlage wird, umso

    grer wird mithin das Risiko, dass von mglichen Strungen fr das Leben und die

    Gesundheit der in der Umgebung lebenden Brger ausgeht. Eine Verlngerung der

    Laufzeiten gerade lterer Kernkraftwerke durch eine nderung der Anlage 3 zum AtG

    wrde mithin nach und nach zu einer weiteren Risikoerhhung in diesem Sinne fh-

    ren, da die Anlagen noch lter werden drften und wrden als nach der derzeitigenRechtslage. Diese Risikoerhhung wrde nach dem hier Festgestellten die gerade im

    Atomrecht bestehende staatliche Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ausl-

    sen. Noch einmal ist insofern auf den

    Beschluss des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20.12.1979

    1 BvR 385/77, BVerfGE 53, S. 30, 57

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    zu verweisen, worin dieser betont, dass schon eine entfernte Wahrscheinlichkeit einer

    Verwirklichung der Risiken aus dem Betrieb eines Kernkraftwerks ausreicht, um die

    Schutzpflicht des Gesetzgebers konkret auszulsen.

    3. Verfassungsrechtliches Junktim

    Dieser verfassungsrechtlich gebotenen Schutzpflicht i. S. d. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG

    wrde der Bund nicht gerecht, wrde er die Verlngerung der Laufzeiten durch eine

    bloe nderung der Anlage 3 zum AtG normieren, ohne in demselben Gesetz auch

    Pflichten zur Steigerung der Sicherheit der dann lter werdenden Anlagen zu normie-

    ren. Ein Gesetz, das ausschlielich die Verlngerung der Laufzeiten normiert, wredaher mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

    Zwar ist zu akzeptieren,

    dass dem Staat bei der Entscheidung, in welcher Weise er seiner Schutzpflicht

    gem Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nachkommt, ein weiter Gestaltungsspielraum

    zukommt.

    Eine isolierte gesetzliche Laufzeitverlngerung

    wrde der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht jedoch berhaupt

    nicht Rechnung tragen; nicht die Art und Weise der Schutzpflichterfllung stnde

    in Rede, sondern die Erfllung der Pflicht berhaupt.

    Die Mglichkeiten des Staates zur Erfllung dieser Schutzpflicht gerade im Bereichdes Atomrechts hat das Bundesverfassungsgericht schon in seiner Entscheidung

    Kalkar I,

    vgl. BVerfG, Beschluss des 2. Senats vom 08.08.1978 2 BvL 8/77 ,

    BVerfGE 49, S. 89, 141 f.,

    anschaulich mit den folgenden Worten beschrieben:

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    Nach stndiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthalten die

    grundrechtlichen Verbrgungen nicht lediglich subjektive Abwehrrechte des Ein-

    zelnen gegen die ffentliche Gewalt, sondern stellen zugleich objektivrechtliche

    Wertentscheidungen der Verfassung dar, die fr alle Bereiche der Rechtsord-

    nung gelten und Richtlinien fr Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung

    geben []; dies wird am deutlichsten in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ausgesprochen,

    wonach es Verpflichtungen aller staatlichen Gewalt ist, die Wrde des Men-

    schen zu achten und zu schtzen. Daraus knnen sich verfassungsrechtliche

    Schutzpflichten ergeben, die es gebieten, rechtliche Regelungen so auszuge-

    stalten, da auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedmmt bleibt.

    Ob, wann und mit welchem Inhalt sich eine solche Ausgestaltung von Verfas-sungs wegen gebietet, hngt von der Art, der Nhe und dem Ausma mglicher

    Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschtzten Rechts-

    guts sowie von den schon vorhandenen Regelungen ab.

    (Hervorhebung durch den Unterzeichner)

    Der Staat muss mithin zur Erfllung seiner Schutzpflicht nicht jedes Restrisiko bereits

    auf gesetzgeberischer Ebene ausschlieen. Er muss allerdings, wenn er neue Risiken

    fr Leben und Gesundheit i. S. d. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schafft, gleichzeitig Rege-

    lungen treffen, die hierauf reagieren und die Risiken auf ein annehmbares (Rest-) Ri-

    siko reduzieren. Die Regelung, die ein Risiko schafft muss mithin mit einer Regelung

    verbunden werden, die dieses wieder minimiert. hnliche Erwgungen finden sich in

    der Entscheidung Mhlheim Krlich,

    vgl. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 20.12.1979 1 BvR 385/77 ,BVerfGE 53, S. 30, 58 f.

    Hierin verneinte das Bundesverfassungsgericht zwar eine Verletzung der Schutz-

    pflicht, begrndet dies aber mit den Worten:

    Mit dieser Anknpfung an den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik

    legt das Atomgesetz die Genehmigungsbehrde normativ auf den Grundsatz

    der bestmglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge fest []. Indem es nicht

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    auf die allgemein anerkannten Regeln, sondern schlechthin auf den Stand der

    Technik abstellt, verpflichtet es zur Bercksichtigung des jeweils erreichten

    technischen Entwicklungsstandes. Indem es darber hinaus auf den Stand der

    Wissenschaft abhebt, ntigt es - wie das Bundesverwaltungsgericht bereits im

    Wrgassen-Urteil [] hervorgehoben hatte - zu derjenigen Schadenvorsorge,

    die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen fr erforderlich gehal-

    ten wird; lt sie sich technisch noch nicht verwirklichen, mu eine Genehmi-

    gung unterbleiben. Inhaltlich sind also die Genehmigungsvoraussetzungen so

    gefat, da aus verfassungsrechtlicher Sicht eine Genehmigung dann zu versa-

    gen ist, wenn die Anlage zu Schden fhren kann, die sich als Grundrechtsver-

    letzung darstellen; auch im Hinblick auf ein verbleibendes Restrisiko in Gestalteiner knftigen Grundrechtsgefhrdung lt das Gesetz eine Genehmigung nur

    dann zu, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch

    ausgeschlossen ist, da solche Schadensereignisse eintreten [].

    (Hervorhebung durch den Unterzeichner)

    Obwohl das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung ausdrcklich die be-

    sonderen Risiken des Betriebs von Kernkraftwerken und damit die besondere Wich-

    tigkeit der staatlichen Schutzpflicht betont, sieht es sie deshalb als erfllt an, weil

    durch gesetzliche Regelungen die Genehmigung und der Betrieb von Kernkraftwerken

    nicht nur ermglicht wird, sondern gleichzeitig auch Vorsorge gegen deren Risiken ge-

    troffen wird.

    Zusammenfassend ist aus dieser Rechtsprechung der Schluss zu ziehen, dass gera-

    de im Atomrecht der Staat seiner aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflichtnur gengt, wenn er in Regelungen, mit denen er den Betrieb von Kernkraftwerken er-

    laubt und damit Risiken fr die verfassungsrechtlich geschtzten Rechtsgter Leben

    und krperliche Unversehrtheit schafft, gleichzeitig auch Regelungen vorsieht, diese

    Risiken auf ein hinnehmbares und nicht auszuschlieendes Restrisiko zu minimieren.

    Diesen Anforderungen wrde ein Gesetz, das allein die Laufzeiten von Kernkraftwer-

    ken nach der Anlage 3 zum AtG verlngert, aber nicht gerecht. Eine solche Regelung

    wrde nmlich

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    chen Genehmigungsvoraussetzungen eine verfahrensrechtliche Verbindung zwischen

    der Genehmigung eines Kernkraftwerks und der Konkretisierung der staatlichen

    Schutzpflichten im Einzelfall herstellen.

    Eben daran fehlt es aber auf das Gesetzgebungsverfahren bertragen bei einer ge-

    setzgebungstechnisch getrennten gesetzlichen Normierung der erforderlichen Nach-

    rstanforderungen einerseits und der Verlngerung von Restlaufzeiten andererseits:

    Beschliet der Gesetzgeber isoliert ber eine Verlngerung von Restlaufzeiten, ohne

    dass zuvor die erforderliche Entscheidung ber Nachrstanforderungen getroffen und

    ein entsprechendes Gesetz ausgefertigt wurde und ohne dass fr diesen Fall zumin-

    dest eine verfahrensmige Verbindung zwischen der Verlngerung der Restlaufzei-ten und der Entscheidung ber die Nachrstanforderungen besteht, setzt sich der Ge-

    setzgeber dem Risiko aus, dass die isolierte Entscheidung ber eine Verlngerung

    der Restlaufzeiten in Kraft tritt, whrend eine gesetzgeberische Entscheidung ber er-

    forderliche Nachrstungen aus welchem Grund auch immer nicht mehr getroffen wird.

    Umgekehrt gewendet kann der Gesetzgeber nur dann eine Verlngerung von Rest-

    laufzeiten beschlieen, wenn im Verfahren sichergestellt ist, dass auch ber die

    Nachrstpflichten entschieden wird, anderenfalls verletzte der Gesetzgeber seine

    grundrechtlichen Schutzpflichten,

    vgl. zu einem entsprechenden, aus Grundrechten folgenden verfahrens-

    rechtlichen Junktim zwischen einer Belastung und dem erforderlichen

    Ausgleich BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 02.03.1999

    - 1 BvL 7/91 -, BVerfGE 100, S. 226, 245 f.

    Daher kann nur ber eine auch gesetzgebungsverfahrensmige Verbindung beiderVorhaben sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber seinen grundrechtlichen

    Schutzpflichten gerecht wird. Eine Auftrennung beider Regelungsbereiche in gesetz-

    gebungstechnisch voneinander unabhngige Einheiten wre nur dann zulssig, wenn

    das Gesetzgebungsverfahren ber Nachrstpflichten vor dem Gesetzesbeschluss

    ber eine Verlngerung der Restlaufzeiten abgeschlossen wrde.

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    II. Zustimmungsbedrftigkeit der geplanten Regelungen

    Sodann ist fraglich, inwieweit die beiden Regelungsbereiche einer geplanten Laufzeit-

    verlngerung fr Kernkraftwerke jeweils fr sich einer Zustimmung des Bundesrats imGesetzgebungsverfahren gem Art. 77 Abs. 2a GG bedrfen.

    Die Zustimmungsbedrftigkeit eines Gesetzes ist dabei gegenber den sog. Ein-

    spruchsgesetzen gem Art. 77 Abs. 3 GG die Ausnahme und bedarf einer ausdrck-

    lichen Anordnung im Grundgesetz; die Flle des Zustimmungsbedrfnisses sind da-

    her enumerativ im Grundgesetz aufgefhrt,

    grundlegend BVerfG, Gutachten vom 22.11.1951 - PBvV 1/51 -, BVerfGE

    1, S. 76, 79.

    Als Rahmenbedingungen fr eine Zustimmungsbedrftigkeit des Gesetzgebungsvor-

    habens sind zunchst die folgenden Punkte festzuhalten:

    Ein Gesetzesvorhaben bedarf dann zwingend und insgesamt der Zustimmung durch

    den Bundesrat, wenn bereits eine einzelne im Gesetzgebungsvorhaben enthalteneRegelung der Zustimmung durch den Bundesrat bedarf; bei einheitlichen Gesetzes-

    vorhaben ist die Zustimmungsbedrftigkeit nicht auf speziell zustimmungsbedrftige

    Teilregelungen begrenzt,

    st. Rspr., s. nur BVerfG, Beschluss des 2. Senats vom 12.11.1958 - 2 BvL

    4, 26, 40/56, 1, 7/57 -, BVerfGE 8, S. 274, 294; BVerfG, Urteil des 2. Se-

    nats vom 10.12.1980 - 2 BvF 3/77 -, BVerfGE 55, S. 274, 319; Stettner, in:

    Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 2006, Art. 77, Rn. 12 m.w.N.

    Diese einheitliche Zustimmungsbedrftigkeit gesetzgebungstechnischer Einheiten ist

    nicht durch die nderung des Grundgesetzes im Zuge der Fderalismusreform 2006

    durch die Einfhrung des nunmehrigen Art. 84 Abs. 1 GG entfallen,

    so aber Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 84, Rn. 12; kri-

    tisch auch Kahl, Die Zustimmungsbedrftigkeit von Bundesgesetzen nachArt. 84 I GG unter besonderer Bercksichtigung des Umweltverfahrens-

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    rechts, NVwZ 2008, 710, 714; sowie Windthorst, in: Sachs (Hrsg.), Grund-

    gesetz, 5. Aufl., 2009, Art. 87c, Rn. 23; noch offengelassen im Urteil des 1.

    Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17.07.2002 - 1 BvF 1, 2/01 -,

    BVerfGE 105, 313, 339 f.

    Zutreffend beruht diese Auffassung zwar auf dem Grundgedanken, dass durch die

    Neufassung des Art. 84 Abs. 1 GG die jeweiligen Gesetzgebungskompetenzbereiche

    des Bundes und der Lnder strenger voneinander unterschieden werden sollen und

    dass zuknftig der Einfluss der Lnder sich nur noch auf die formell-rechtlichen Rege-

    lungen der Behrdeneinrichtung und des Verwaltungsverfahrens beziehen soll, nicht

    aber auf die allein dem Bund obliegende Regelung materieller Regelungsbereiche.Gleichwohl steht dem Bundesgesetzgeber die Mglichkeit zur Verfgung, die Rege-

    lung eines Lebensbereiches durch zwei Gesetze zu normieren, ein zustimmungsfreies

    Gesetz mit materiellen Regelungen und ein zustimmungsbedrftiges Gesetz ber die

    Ausfhrung der materiellen Regelungen. Entscheidet sich der Bundestag, materielle

    Regelungen und Verfahrensregelungen in einer gesetzgebungstechnischen Einheit

    vorzunehmen, begibt er sich selbst seiner Unabhngigkeit von der Zustimmung des

    Bundesrats. Dem steht das Erfordernis gegenber, dass bei einer gesetzgebungs-

    technischen Einheit klar erkennbar sein muss, ob sie von den zustndigen Verfas-

    sungsorganen als Gesetz beschlossen oder abgelehnt ist. Diesem unabweisbaren Er-

    fordernis steht eine inhaltliche Aufspaltung gesetzgebungstechnischer Einheiten in

    zustimmungsfreie und zustimmungsbedrftige Regelungen ohne eine gleichzeitige

    formale Aufspaltung in zwei gesetzgebungstechnische Einheiten diametral entgegen,

    so dass auch weiterhin daran festzuhalten ist, dass gesetzgebungstechnische Einhei-

    ten einheitlich zustimmungsbedrftig sind, wenn nur ein darin enthaltener Regelungs-

    bestandteil zustimmungsbedrftig ist,

    s. dazu insgesamt auch Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Aufl.,

    2009, Art. 84, Rn. 24; Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl.,

    2006, Art. 84, Rn. 67 ff. und Art. 87c, Rn. 11.

    Allerdings ist jedes nderungsgesetz, das ein ursprnglich zustimmungsbedrftiges

    Gesetz ndert, eine eigenstndige gesetzgebungstechnische Einheit und nur fr sich

    selbst der Zustimmungsbedrftigkeit unterworfen; der Bundesrat bernimmt durch

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    seine Zustimmung zu einem Gesetz nicht eine wie auch immer geartete Gesamtver-

    antwortung, die sich auch auf nderungsgesetze erstreckte; ob ein nderungsgesetz

    zu einem ursprnglich zustimmungsbedrftigen Gesetz zustimmungsbedrftig ist,

    ergibt sich daher grundstzlich nur aus dem nderungsgesetz selbst, nicht aus dem

    genderten Gesetz,

    BVerfG, Beschluss des 2. Senats vom 25.06.1974 - 2 BvF 2, 3/73 -,

    BVerfGE 37, S.363, 375, 379 ff., 382.

    Daraus lsst sich zugleich entnehmen, dass es die Figur des actus contrarius hin-

    sichtlich der Zustimmungsbedrftigkeit eines Gesetzes nicht gibt, dass also ein Ge-setz, das ein nicht zustimmungsbedrftiges Gesetz wieder aufhebt, seinerseits nicht

    deswegen nicht zustimmungsbedrftig wre, weil das aufgehobene Gesetze nicht zu-

    stimmungsbedrftig war. Vielmehr knnen Gesetze, die nicht zustimmungsbedrftige

    andere Gesetze aufheben, ihrerseits aus sich heraus dennoch zustimmungsbedrftig

    sein,

    vgl. fr den umgekehrten Fall einer nicht zustimmungsbedrftigen Aufhe-

    bung ursprnglich zustimmungsbedrftiger Gesetze BVerfG, Urteil des 2.

    Senats vom 24.07.1962 - 2 BvF 4, 5/61, 1, 2/62 -, BVerfGE 14, S. 197, 219

    f.; Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 2006, Art. 77, Rn. 14.

    Zuletzt ist zu beachten, dass sich die Zustimmungsbedrftigkeit eines Gesetzes aus

    seiner materiellen und formellen Wirkung ergibt, nicht aus der aus gesetzestechni-

    schen Grnden gewhlten Formulierung: So sind an ein Gesetz, das ein ursprnglich

    befristetes Gesetz in seiner Geltungsdauer verlngert, dieselben verfassungsrechtli-chen Anforderungen anzulegen, die an den Neuerlass eines Gesetzes anzulegen

    sind; wenn also bislang bestehende, aber zeitlich befristete Normen aus irgendeinem

    Grunde zustimmungsbedrftig waren, ist auch die gesetzliche Verlngerung ihrer Gel-

    tungsdauer zustimmungspflichtig, weil sie wie ein Neuerlass der bislang befristeten,

    zustimmungsbedrftigen Normen zu behandeln ist,

  • 8/9/2019 Rechtsgutachten Schleswig-Holstein

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    BVerfG, Beschluss des 2. Senats vom 12.11.1958 - 2 BvL 4, 26, 40/56, 1,

    7/57 -, BVerfGE 8, S. 274, 295; Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2.

    Aufl., 2006, Art. 77, Rn. 14.

    Vor diesem Hintergrund ist zu prfen, inwieweit die geplanten Regelungsinhalte einer

    gesetzlichen Verlngerung der Restlaufzeiten von Kernkraftwerken einerseits und ei-

    ner gesetzlichen Normierung weiterer sicherheitstechnischer Anforderungen und

    Pflichten zu technischen Nachrstungen andererseits je fr sich zustimmungsbedrf-

    tig sind. Da, wie soeben ausgefhrt, ein materiell begrndetes, verfahrensrechtliches

    Junktim zwischen beiden Regelungsinhalten besteht und damit beide Regelungsinhal-

    te zwingend in eine gesetzgebungstechnische Einheit zu fassen sind, ist nach denvorstehenden Ausfhrungen das gesamte Gesetzgebungsvorhaben zustimmungsbe-

    drftig, wenn auch nur einer der beiden darin enthaltenen Regelungsinhalte zustim-

    mungsbedrftig ist.

    1. Zustimmungsbedrftigkeit einer gesetzlichen Verlngerung der Laufzeiten von

    Kernkraftwerken

    Zunchst knnte sich die geplante gesetzliche Verlngerung der Laufzeiten von Kern-

    kraftwerken als zustimmungsbedrftig erweisen.

    a) Zustimmungsfreiheit der Novelle des AtG 2002

    Die geplante Verlngerung der Restlaufzeiten erwiese sich als (teilweiser) actus

    contrarius zur Novelle des AtG von 2002, mit der die gesetzliche Beschrnkung der

    Restlaufzeiten der bestehenden Kernkraftwerke gem Anlage 3 zum AtG und der

    automatische Ablauf der Betriebsgenehmigung fr Kernkraftwerke mit Ablauf der

    Restlaufzeit gem 7 Abs. 1a AtG eingefhrt wurden.

    Aus der Zustimmungsfreiheit der Novelle des AtG 2002 kann aber fr eine Zustim-

    mungsfreiheit oder Zustimmungsbedrftigkeit einer Verlngerung der Restlaufzeiten

    nichts entnommen werden, da wie oben ausgefhrt die Figur des actus contrarius hin-

    sichtlich der Zustimmungsbedrftigkeit keine Anwendung finden kann, zumindest aber

  • 8/9/2019 Rechtsgutachten Schleswig-Holstein

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    WEISSLEDER & EWERNotar Rechtsanwlte

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    keine Rechtsfolge dahingehend nach sich zieht, dass ein nicht zustimmungsbedrfti-

    ges Gesetz stets auch ohne Zustimmung des Bundesrats aufgehoben werden drfte.

    Die Zustimmungsbedrftigkeit einer Verlngerung der Restlaufzeiten kann und muss

    sich dementsprechend alleine aus den Regelungswirkungen eines neuen Gesetzge-

    bungsvorhabens ergeben.

    b) Zustimmungsbedrftigkeit aus Art. 87c GG

    Die Zustimmungsbedrftigkeit einer Verlngerung der Restlaufzeiten knnte sich aus

    Art. 87c GG ergeben.

    Gem Art. 87c GG kann ein Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates (sprich: ein

    zustimmungsbedrftiges Gesetz) bestimmen, dass auf Grund des Art. 73 Abs. 1

    Nr. 14 GG ergangene Gesetze von den Lndern im Auftrag des Bundes gem

    Art. 85 GG durchgefhrt werden. Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG ist die Grundlage der aus-

    schlielichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Regelung der Erzeugung

    und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken und der Errichtung und des Be-

    triebs von Anlagen, die diesen Zwecken dienen. Das zu ndernde AtG beruht auf die-

    ser Gesetzgebungskompetenz und macht bislang ausdrcklich in 24 AtG von der

    Mglichkeit des Art. 87c GG Gebrauch, den Lndern in Abweichung von der Grundre-

    gel des Art. 83 GG die Ausfhrung des AtG als Bundesauftragsverwaltung mit Aus-

    nahme von wenigen in Anwendung von Art. 87 Abs. 3 GG durch Behrden des Bun-

    des wahrgenommenen Aufgaben zu bertragen.

    Zustimmungsbedrftig gem Art. 87c GG ist jedenfalls die bertragung neuer, bis-lang nicht bestehender oder bislang vom Bund wahrgenommener Aufgaben im Be-

    reich des Atomrechts auf die Lnder im Wege der Bundesauftragsverwaltung, auch

    ohne eine nderung der materiell-rechtlichen Regelungen des AtG,

    Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 2006, Art. 87c, Rn. 11;

    Windthorst, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Aufl., 2009, Art. 87c, Rn. 23

    f.; so auch Maunz, in: Maunz/Drig, Grundgesetz, Loseblatt Stand Oktober

    2009, Art. 87c, Rn. 12, der darber hinaus im Sonderfall des Art. 87c GG

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    zustzlich auch materielle nderungen des AtG der Zustimmungsbedrf-

    tigkeit unterworfen sieht.

    Zu den den Lndern im Wege der Auftragsverwaltung bertragenen Aufgaben geh-

    ren insbesondere die Erteilung, die Rcknahme und der Widerruf von Genehmigun-

    gen von Kernkraftwerken gem 7 AtG, aufgrund des Neubauverbots in 7 Abs. 1

    Satz 2 AtG im Falle der Erteilung beschrnkt auf nderungsgenehmigungen gem

    7 Abs. 1 Satz 3 AtG, sowie die staatliche berwachung von Kernkraftwerken gem

    19 AtG.

    Eine an sich materiell wirkende Verlngerung der Restlaufzeiten der noch am Netzbefindlichen Kernkraftwerke wre daher dann zustimmungsbedrftig, wenn damit zu-

    gleich eine Regelung ber die von den Lndern im Wege der Bundesauftragsverwal-

    tung zu erfllenden Aufgaben getroffen wrde, wenn also die vorgenannten, bereits

    bertragenen Aufgaben schon formal, nicht nur inhaltlich, erweitert wrden.

    Mit der bislang geltenden Rechtslage in 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 1a AtG i.V.m. Anla-

    ge 3 zum AtG sind smtliche materiellen Anwendungsflle fr die vorgenannten, den

    Lndern im Wege der Bundesauftragsverwaltung bertragenen Aufgaben enumerativ

    aufgezhlt. Neue materielle Anwendungsflle sind gesetzlich ausgeschlossen, fr die

    bisherigen Anwendungsflle ergibt sich aus der geltenden Rechtslage zwangslufig,

    dass sie mit Erreichen der jeweils in Anlage 3 Spalte 2 zum AtG festgesetzten Rest-

    strommengen zwingend entfallen werden. Durch eine Verlngerung der Restlaufzei-

    ten der noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke wrde der Wegfall der noch beste-

    henden materiellen Anwendungsflle aufgeschoben. Es stellt sich damit die Frage, ob

    also eine Verlngerung der Restlaufzeiten im Kern eine grundstzlich nicht zustim-mungsbedrftige materielle Regelung des Atomrechts wre.

    Unabhngig von der Frage einer Zustimmungsbedrftigkeit eines Gesetzes wegen ei-

    ner inhaltlichen Systemverschiebung dazu sogleich kann jedoch eine prima facie

    materielle Rechtsnderung zugleich eine nderung der Behrdeneinrichtung und des

    Verwaltungsverfahrens im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG und unter denselben abstrak-

    ten Voraussetzungen eine Aufgabenzuweisung an die Lnder in Bundesauftragsver-

    waltung gem Art. 87c GG darstellen. So fhrt etwa

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    WEISSLEDER & EWERNotar Rechtsanwlte

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    Lerche, Maunz/Drig, Grundgesetz, Loseblatt Stand Oktober 2009, Art. 84,

    Rn. 57,

    zu den Formen einer Regelung des Verwaltungsverfahrens instruktiv aus:

    Gleichgltig ist, ob diese Normierung ausdrcklich bzw. unmittelbar oder nur

    stillschweigend (implicite) bzw. mittelbar erfolgt und ob sie mit einer materiell-

    rechtlichen Norm uerlich (zwangslufig oder nicht) zusammenfllt oder nicht.

    (Hervorhebung im Original)

    Diese kurze Formel liegt in den Ausfhrungen des

    Bundesverfassungsgerichts im Urteil des 2. Senats vom 10.12.1980 - 2

    BvF 3/77 -, BVerfGE 55, S. 274, 320 f.,

    begrndet:

    Die Frage, welche Regelungen nach Art und Inhalt dem Verwaltungsverfahren

    zuzuordnen sind, lt sich nicht ein fr allemal abschlieend, etwa allein anhand

    der bisher von Rechtsprechung, Praxis und Schrifttum entwickelten Grundstze,

    beantworten. Die Abgrenzung zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und mate-

    riellem Verwaltungsrecht war in der Vergangenheit und ist auch knftig Wand-

    lungen unterworfen, die sich aus der Vernderung der Staatsaufgaben im Be-

    reich der Verwaltung und der erforderlichen Mittel zu ihrer Bewltigung unab-weislich ergeben knnen. []

    Auf den benannten Normadressaten kommt es bei der in Frage stehenden Klas-

    sifizierung nicht entscheidend an. Das Gesetz kann in ein und derselben Vor-

    schrift zugleich dem Brger Rechte gewhren oder Pflichten auferlegen und der

    Verwaltung Handlungsanweisungen erteilen. Ein materieller Gesetzesbefehl

    kann eine Ausgestaltung erhalten, die auch das "Wie" des Verwaltungshandelns

    verfahrensmig bindend festlegt. Solche - mglicherweise verdeckten - Rege-

    lungen eines "Wie" des Verwaltungshandelns liegen dann vor, wenn die den

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    WEISSLEDER & EWERNotar Rechtsanwlte

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    Brger betreffende materiell-rechtliche Vorschrift zugleich die zwangslufige

    Festlegung eines korrespondierenden verfahrensmigen Verhaltens der Ver-

    waltung bewirkt. Vorschriften mit materiellrechtlichem Inhalt und zugleich verfah-

    rensrechtlicher Bedeutung sind hufig zu finden. Ihre Doppelgesichtigkeit kann

    nicht dazu fhren, da ihnen gegenber eine Grundentscheidung der Verfas-

    sung, die dem bundesstaatlichen Prinzip entsprechende Kompetenzverteilung

    des Art. 84 Abs. 1 GG, nicht durchgriffe. Eine solche Folgerung liee sich auch

    nicht mit dem Hinweis auf einen sehr engen Zusammenhang mit den materiell-

    rechtlichen Vorgaben des betreffenden Bundesgesetzes rechtfertigen. Ob eine

    bundesgesetzliche Norm das "Wie" des Verwaltungshandelns, das Verwal-

    tungsverfahren regelt, wird nicht von ihrer Sachnhe zum materiellen Gesetzes-inhalt beeinflut. Die Frage beantwortet sich allein danach, ob die Norm nach ih-

    rem Inhalt eine entsprechende Bindungswirkung gegenber den Lndern entfal-

    tet, die prinzipiell zur eigenverantwortlichen Gesetzesausfhrung berufen sind.

    (Hervorhebung durch den Unterzeichner)

    Daraus ergibt sich, dass eine ausdrcklich und unmittelbar materielle Regelung zu-

    gleich aufgrund ihrer mittelbaren Wirkung eine Regelung des Verwaltungsverfahrens

    oder der Behrdeneinrichtung darstellen kann, wenn sie sich in der Sache eben so

    auswirkt.

    Mit dem derzeit geltenden AtG ist aber nicht nur ein materielles Ende der Anwen-

    dungsflle, sondern zugleich ein verfahrensrechtlicher Wegfall der den Lndern zur

    Ausfhrung in Bundesauftragsverwaltung bertragenen Aufgaben der Genehmigung,

    des Widerrufs und der Rcknahme von Genehmigungen und der berwachung vonKernkraftwerken normiert: In dem Moment, in dem das letzte in Anlage 3 zum AtG

    genannte Kernkraftwerk nach derzeit absehbarem Stand wird das Block GKN 2 des

    Kernkraftwerks Neckarwestheim sptestens im Jahr 2022 sein abgeschaltet werden

    wird, fllt der letzte materielle Anwendungsfall der Genehmigung und der berwa-

    chung des Leistungsbetriebs von Kernkraftwerken weg, ein Entstehen neuer Anwen-

    dungsflle ist zugleich durch 7 Abs. 1 Satz 2 AtG gesetzlich ausgeschlossen. Die

    materielle Regelung des Erlschens der Erlaubnis zum Leistungsbetrieb fr jedes

    deutsche Kernkraftwerk nach Ablauf der Restlaufzeiten bzw. Reststrommengen im

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    systematischen Zusammenhang mit dem Neubauverbot hat damit neben ihrer aus-

    drcklichen und unmittelbaren materiellen Wirkung zugleich eine implizite, mittelbare

    formelle Wirkung, dass nmlich die den Lndern zur Wahrnehmung im Auftrag des

    Bundes insoweit bertragene Aufgabe vollstndig gegenstandslos wird und damit oh-

    ne Einschrnkung wegfllt. Eine Verlngerung der Restlaufzeiten oder der Rest-

    strommengen hingegen htte als actus contrarius neben den materiellen Wirkungen

    zugunsten der Betreiber zugleich die formelle Wirkung zulasten der Lnder, dass die

    den Lndern bertragenen Aufgaben ber das bisher feststehende zeitliche Ma hin-

    aus weiter wahrgenommen werden mssten.

    Da aber die Verlngerung eines befristeten Gesetzes nach den oben dargestelltenGrundstzen als ein Neuerlass eines Gesetzes anzusehen ist und damit auch die An-

    forderungen an einen Neuerlass eines Gesetzes erfllt werden mssen, wre eine

    zeitliche Verlngerung der den Lndern in zustimmungsbedrftiger Weise bertrage-

    nen Aufgaben in einen Zeitraum, in dem diese Aufgabe nach derzeitigen Gesetzes-

    stand wegfallen wird, wie eine neue bertragung dieser Aufgabe anzusehen, die ge-

    m Art. 87c GG der Zustimmung des Bundesrats bedarf.

    Dem lsst sich nicht entgegen halten, dass die in Anlage 3 zum AtG normierten Rest-

    strommengen fr die noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke wegen ihrer Festle-

    gung nicht als kalendarisch bestimmte Restlaufzeiten, sondern als Reststrommengen

    keine Befristung seien, deren Erhhung als Verlngerung eines befristeten Gesetzes

    angesehen werden drfe.

    Einer solchen Argumentation lsst sich bereits entgegenhalten, dass sich auch eine

    Normierung von Reststrommengen, gemessen im TWh, genau wie eine zeitliche Be-fristung auswirkt. Zwar trifft es zu, dass sich wegen der Normierung von Reststrom-

    mengen anstelle von kalendarisch bestimmten Restlaufzeiten und der zugleich in 7

    Abs. 1b und Abs. 1d AtG normierten Mglichkeit der bertragung von Reststrommen-

    gen von einem Kernkraftwerk auf ein anderes nicht ein feststehender kalendarischer

    Termin ermitteln lsst, zu dem das letzte Kernkraftwerk seinen Leistungsbetrieb end-

    gltig einstellen wird. Gleichwohl ist auch durch die Normierung bestimmter Rest-

    strommengen zwingend sichergestellt, dass alle Kernkraftwerke ihren Betrieb einstel-

    len werden und dass damit die den Lndern bertragenen Aufgaben im Zusammen-

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    hang mit der Genehmigung und berwachung des Leistungsbetriebs wegfallen wer-

    den. Eine Erhhung der Reststrommengen wre dann nicht mit einer Verlngerung

    eines befristeten Gesetzes gleichzustellen, wenn sich die bislang normierten Rest-

    strommengen als eine auflsende Bedingung mit ungewissem Bedingungseintritt dar-

    stellten. In einem solchen ungewissen Fall wre nicht sichergestellt, dass die die den

    Lndern bertragenen Aufgaben wegfallen werden; eine materielle nderung der Be-

    dingung htte keine mittelbar formelle Wirkung, die ein Zustimmungsbedrfnis gem

    Art. 87c GG auslste. Die derzeit normierten Reststrommengen kommen aber trotz

    der Mglichkeit einer bertragung auf andere Kernkraftwerke eben nicht einer aufl-

    senden Bedingung mit ungewissem Bedingungseintritt gleich, sondern sind vielmehr

    eine nicht am Faktor Zeit, sondern am Faktor Reststrommenge orientierte Befristung.Durch eine wenn auch gesetzlich nicht mgliche hypothetische bertragung aller

    Reststrommengen auf ein einziges Kernkraftwerk liee sich ein nicht mehr variabler,

    sptester Endpunkt bestimmen, zu dem nicht nur die materiellen Wirkungen aller Be-

    triebsgenehmigungen entfallen, sondern zugleich die formellen Wirkungen der Aufga-

    benbertragung auf die Lnder. Durch eine Erhhung der Reststrommengen wrde

    die dergestalt befristete Aufgabenbertragung auf die Lnder ebenfalls verlngert und

    wre daher nach den oben dargestellten Grundstzen zustimmungsbedrftig gem

    Art. 87c GG.

    Schon aus rein formellen Grnden wre daher eine Verlngerung der Restlaufzeiten

    unabhngig von ihrer gesetzestechnischen Ausgestaltung als zeitliche Verlngerung

    oder als Erhhung der Reststrommengen stets zustimmungsbedrftig gem Art. 87c

    GG.

    Darber hinaus sind aber nach h.M. gem Art. 87c GG auch solche materiellen Re-gelungen des Atomrechts zustimmungsbedrftig, die den in Bundesauftragsverwal-

    tung auszufhrenden materiellen Regelungsinhalt eines Gesetzes aufgrund Art. 73

    Abs. 1 Nr. 14 GG derart ndern, dass dadurch eine wesentliche Umgestaltung des

    Gesamtgefges stattfindet, die sich als qualitative Systemverschiebung und damit

    trotz der rein materiellen nderungen als formelle bertragung einer bislang nicht

    bertragenen Aufgabe in die Bundesauftragsverwaltung der Lnder darstellt,

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    s. nur Windthorst, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Aufl., 2009, Art. 87c,

    Rn. 23 f.; weitergehend sogar Maunz, in: Maunz/Drig, Grundgesetz, Lo-

    seblatt Stand Oktober 2009, Art. 87c, Rn. 10 ff., der im Anwendungsbe-

    reich des Art. 87c GG ausnahmsweise jede materielle nderung des AtG,

    die sich auf in Bundesauftragsverwaltung wahrgenommene Aufgaben be-

    zieht, als zustimmungsbedrftig ansieht.

    Die Zustimmungsbedrftigkeit eines Gesetzes wegen einer durch eine materielle n-

    derung ausgelsten Systemverschiebung auch hinsichtlich der Aufgabenbertragung

    folgt aus dem vom Bundesverfassungsgericht im

    Beschluss des 2. Senats des BVerfG vom 25.06.1974 - 2 BvF 2, 3/73 -,

    BVerfGE 37, S: 363, 379 f.,

    erstmals ausfhrlich dargelegten Telos der Zustimmungsbedrftigkeit von Bundesge-

    setzen nach den Art. 83 ff. GG:

    Die im Grundgesetz vorgesehene Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Bund

    und Lndern erfordert gewisse Schutzvorrichtungen dagegen, da in dem fde-

    ralistischen Gefge "Systemverschiebungen" am Grundgesetz vorbei im Wege

    der einfachen Gesetzgebung herbeigefhrt werden. Diesem Zweck dienen - zu-

    gunsten der Lnder - die Zustimmungsvorbehalte im Grundgesetz fr den Bun-

    desrat.

    Als Systemverschiebungen begreift dabei das Bundesverfassungsgericht Regelun-

    gen, mit denen in Abweichung vom Grundsatz des Art. 83 GG der Bund sich nichtmehr auf eine materielle, abstrakt-generelle Regelung beschrnkt, sondern darber

    hinaus in die konkret individuelle Sach- und Wahrnehmungskompetenz der Lnder

    auch hinsichtlich bundesrechtlich geregelter Aufgaben eingreift, sei es, dass er gem

    Art. 84 Abs. 1 GG oder gem Art. 85 Abs. 1 GG Regelungen ber Behrdeneinrich-

    tung und Verwaltungsverfahren erlsst, von denen die Lnder nicht abweichen drfen,

    oder dass er gem 87c GG den Lndern die Aufgabe der Atomaufsicht im weites-

    ten Sinne als Bundesauftragsverwaltung bertrgt und sich damit vorbehlt, die kon-

    kret-individuelle Sachkompetenz in der Ausfhrung des Bundesrechts in Abweichung

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    WEISSLEDER & EWERNotar Rechtsanwlte

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    vom Grundsatz des Art. 83, 84 Abs. 1 GG an sich zu ziehen. Aus diesem Grundver-

    stndnis heraus erklrt sich, inwieweit nach der zutreffenden Auffassung des Bundes-

    verfassungsgerichts auch materielle Regelungen zu einer Systemverschiebung und

    damit zu einem Zustimmungsbedrfnis fhren knnen:

    Dadurch, da der Bundesrat [einem Gesetz] als Ganzem zugestimmt hat, hat er

    auch sein Einverstndnis mit der "Systemverschiebung" erklrt [] Erfolgt in ei-

    nem spteren nderungsgesetz kein neuerEinbruch in das Landesreservat, al-

    so keine erneute Systemverschiebung, so fehlen die Voraussetzungen dafr,

    auch fr dieses Gesetz die Zustimmung des Bundesrates zu verlangen. []

    Allerdings gibt es eine Reihe von Fllen, in denen fr die nderung eines Zu-stimmungsgesetzes wiederum die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist.

    [] Dazu gehrt auch der Fall, da ein Zustimmungsgesetz, das sowohl materi-

    ell-rechtliche Normen als auch Vorschriften ber das Verfahren der Landesver-

    waltung (Art. 84 Abs. 1 GG) enthlt, durch ein Gesetz gendert wird, das sich

    zwar auf die Regelung materiell-rechtlicher Fragen beschrnkt, in diesem Be-

    reich jedoch Neuerungen in Kraft setzt, die den nicht ausdrcklich genderten

    Vorschriften ber das Verwaltungsverfahren eine wesentlich andere Bedeutung

    und Tragweite verleihen,

    (Hervorhebungen im Original)

    Beschluss des 2. Senats des BVerfG vom 25.06.1974 - 2 BvF 2, 3/73 -,

    BVerfGE 37, S. 363, 380, 383.

    Wie oben unter B.II. schon angedeutet muss dieser Gedanke auch bzw. erst rechtnach Inkrafttreten der Fderalismusreform beibehalten werden. Zwar war es ein

    Kernziel der Fderalismusreform, die Zustimmungsbedrftigkeit von Bundesgesetzen

    zu reduzieren. Dieses Ziel wurde jedoch nicht stringent dadurch verfolgt, dass zuvor

    zustimmungsbedrftige Gesetze nunmehr zustimmungsfrei wren, sondern dass die

    rechtlichen Verflechtungen zwischen Bund und Lndern dadurch entflochten wurden,

    dass nunmehr die Lnder von (neuerdings zustimmungsfreien) Bundesregelungen zu

    Behrdeneinrichtung und Verwaltungsverfahren abweichen drfen. In den Fllen je-

    doch, in denen eine Abweichung ausgeschlossen ist oder auch nur durch Bundes-

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    WEISSLEDER & EWERNotar Rechtsanwlte

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    recht erschwert wird (Art. 84 Abs. 1 Satz 3 2. HS GG), ist ein die Behrdeneinrichtung

    oder das Verwaltungsverfahren regelndes Bundesgesetz weiterhin zustimmungsbe-

    drftig,

    s. dazu statt vieler Ipsen, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und

    Lndern nach der Fderalismusnovelle, NJW 2006, S. 2801, 2805.

    Die ratio der Fderalismusreform erfordert es also nicht, zuknftig von der bisherigen,

    eben dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abzurcken,

    whrend hingegen die vom Bundesverfassungsgericht vor der Fderalismusreform

    erkannten Notwendigkeiten einer Zustimmungsbedrftigkeit weiter fortbestehen.

    Das Bundesverfassungsgericht hat die aus der durch materielle Rechtsnderungen

    verursachten Systemverschiebung folgende Zustimmungsbedrftigkeit in seiner

    Rechtsprechung im Anschluss an den bereits zitierten Beschluss genauer ausdefi-

    niert, wie sich zunchst aus dem

    Urteil des 2. Senats des BVerfG vom 13.04.1978 - 2 BvF 1,2,4,5/77 -,

    BVerfGE 48, S. 127, 180,

    ergibt:

    Zustimmungsbedrftig nach Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG ist nicht nur ein solches

    Bundesgesetz, das den Gesetzesvollzug einer Verwaltungsmaterie erstmals den

    Lndern voll entzieht und in die Bundeseigenverwaltung berfhrt oder das be-

    stimmt, da es von den Lndern im Auftrag des Bundes ausgefhrt wird. DasErfordernis der Zustimmung des Bundesrates greift nach dieser Verfassungsbe-

    stimmung vielmehr auch dann ein, wenn ein nderungsgesetz die frher mit Zu-

    stimmung des Bundesrates in die Bundeseigenverwaltung oder Bundesauf-

    tragsverwaltung berfhrte Verwaltungsaufgabe so umgestaltet oder erweitert,

    da dieser Vorgang angesichts des Grundsatzes des Art. 83 GG einer neuen

    bertragung von Ausfhrungszustndigkeiten auf den Bund gleichkommt. In

    Fortentwicklung der mit dem Beschlu vom 25. Juni 1974 (BVerfGE 37, 363)

    begrndeten Rechtsprechung ist ein solcher Fall dann anzunehmen, wenn die

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    WEISSLEDER & EWERNotar Rechtsanwlte

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    nderung materiell-rechtlicher Normen eine grundlegende Umgestaltung der

    Rechtsqualitt der dem Bund durch frheres Gesetz bertragenen Aufgabe be-

    wirkt und dadurch der Bestimmung ber die Verwaltungszustndigkeit des Bun-

    des inhaltlich eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verleiht, die von

    der frher erteilten Zustimmung ersichtlich nicht mehr umfat wird.

    (Hervorhebung durch den Unterzeichner)

    Dabei ist einschrnkend zu beachten, dass die

    Festlegung des Aufgabenkreises einer Behrde [] qualitativ zu sehen [ist];rein quantitative Vermehrungen bereits bestehender Aufgaben greifen nicht in

    den den Lndern vorbehaltenen Bereich ein, sie sind vielmehr schon dadurch

    bedingt, da den Lndern die Ausfhrung der Bundesgesetze vom Grundgesetz

    gem Art. 83 GG zugewiesen ist,

    so BVerfG, Beschluss des 2. Senats vom 08.04.1987 - 2 BvR 909, 934,

    935, 936, 938, 941, 942, 947/82, 64/83 und 142/84 -, BVerfGE 75, S. 108,

    150 f.

    Vor diesem Hintergrund wrde aber eine Verlngerung der Restlaufzeiten fr die

    deutschen Kernkraftwerke nicht nur eine unmittelbare, bereits aus diesem Grund zum

    Zustimmungsbedrfnis gem Art. 87c GG fhrende Aufgabenbertragung auf die

    Lnder im Wege der Bundesauftragsverwaltung bewirken, sondern darber hinaus

    auch eine mittelbare, ebenfalls zum Zustimmungsbedrfnis fhrende inhaltliche Sys-

    temverschiebung der materiellen Aufgabe.

    Durch die Novelle des AtG wurden die Lnder als Trger der zustndigen berwa-

    chungsbehrden in zustimmungsfreier Weise fr die Zukunft von der politischen und

    rechtlichen Verantwortung fr die Sicherheit der in ihrem Gebiet liegenden Kernkraft-

    werke entlastet. Die Verlngerung der Restlaufzeiten hingegen brdete den Lndern

    eben diese Verantwortung wieder auf. Dies stellt angesichts der erheblichen Kontro-

    versen um die energetische Kernkraftnutzung innerhalb der Bevlkerung, aber auch

    innerhalb des politischen Systems eine bedeutende politische und rechtliche Belas-

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    tung der Lnder gegenber dem derzeitigen Stand dar, der durch die in einem Kom-

    promiss gefundene, schnellstmgliche Beendigung der energetischen Kernkraftnut-

    zung die Lnder weitgehend schon jetzt entlastet, indem Ihnen eine rechtliche wie po-

    litische Verantwortung nur noch fr den feststehenden Restbetrieb der Kernkraftwerke

    aufgebrdet wird. Mit jeder Verlngerung der Restlaufzeit erhhte sich demgegenber

    die Last der Lnder mit Kernkraftstandorten.

    Diese rechtliche wie politische Last alleine mag noch nicht ausreichend sein, um eine

    zustimmungsbedrftige Systemverschiebung zu begrnden, sie stellt aber die Grund-

    lage fr Folgewirkungen dar, die in der Gesamtschau eine Systemverschiebung zulas-

    ten der Lnder bewirken. Die mit einer Verlngerung der Restlaufzeiten verbundeneVerlngerung der nach jetzigem Stand in absehbarer Zeit wegfallenden Aufgaben der

    Atomaufsicht bewirkt schon durch die damit verbundene Pflicht zu einer lngeren

    berwachung und zu intensiveren Sicherheitskontrollen wegen des fortschreitenden

    Alters der Anlage (s. schon oben B.I.2.) eine wesentlich andere Bedeutung und

    Tragweite gegenber der bislang von den Lndern wahrgenommenen Aufsicht ber

    Kernkraftwerke, die derzeit nur eine geringe Restlaufzeit haben. Dies ergibt sich ins-

    besondere auch aus der Notwendigkeit zu einer intensivierten Aufsicht etwa im Hin-

    blick auf das Alterungsmanagement in Kernkraftwerken, aber auch aus dem zustz-

    lich eintretenden Erfordernis eines qualifizierten Personalerhalts bei den Aufsichtsbe-

    hrden der Lnder. Dabei stellt nicht die nur know-how-Gewhrleistung, sondern

    insbesondere der sog. know-why-Erhalt eine besonders groe Herausforderung dar,

    die eine Systemverschiebung bewirkt.

    Dabei stellt sich diese Systemverschiebung nicht in dem oben dargestellten Sinne als

    eine quantitative und damit fr das Zustimmungserfordernis unbeachtliche System-verschiebung dar, sondern als eine qualitative Systemverschiebung, die letztlich einer

    neuen Aufgabenbertragung gleichkommt.

    Eine qualitative Systemverschiebung wre unzweifelhaft dann anzunehmen, wenn in

    einem formal ebenfalls rein materiell-rechtlichen Gesetz nicht nur eine Laufzeitverln-

    gerung fr die derzeit gesetzlich befristeten Betriebsgenehmigungen der Kernkraft-

    werke, sondern eine vollstndige Aufhebung der Befristung beschlossen wrde: Die

    derzeit auf ein absehbares Entfallen oder Gegenstandsloswerden ausgerichtete Auf-

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    mungsbedrftig gem Art. 87c GG wre, und zwar sowohl als eine unmittelbar Auf-

    gaben bertragende Norm, als auch als eine zu einer Systemverschiebung fhrende

    Norm.

    2. Zustimmungsbedrftigkeit einer gesetzlichen Normierung weiterer sicherheits-

    technischer Anforderungen und Pflichten zu technischen Nachrstungen

    Ebenfalls erweist sich die gesetzliche Normierung weiterer sicherheitstechnischer An-

    forderungen und Pflichten zu technischen Nachrstungen als zustimmungspflichtig

    gem Art. 87c GG. Diesbezglich sind zunchst die Auswirkungen auf die Lnder

    darzustellen, die eine solche gesetzliche Normierung tatschlich htte und die in derderzeitigen politischen Diskussion kaum wahrgenommen werden. Die gesetzliche

    Normierung weiterer sicherheitstechnischer Anforderungen und Pflichten zu techni-

    schen Nachrstungen wrde die sich im von den Behrden der Lnder durchzufh-

    renden Verwaltungsverfahren ergebenden Anforderungen steigern. Insoweit ist zu-

    nchst festzuhalten, dass die Lnder auf diesem Gebiet eine unentziehbare Aufga-

    benwahrnehmungskompetenz haben,

    vgl. BVerfG, Urteil des 2. Senats vom 19.02.2002 2 BvG 2/00 , BVerf-

    GE 104, S. 249, 264.

    Der Bund kann allenfalls Weisungen erteilen, aber nicht die gesamte Wahrnehmungs-

    kompetenz an sich ziehen und damit nicht durch eigene Behrden die Aufgaben

    selbst erledigen.

    Weiterhin fhrt der zunehmende Alterungsprozess der Anlagen, wie bereits unterGliederungsziffer B. I. 2. dargestellt, zu einer erhhten Anflligkeit dieser in Bezug auf

    Strungen. Mit dieser geht ein erhhter berwachungsaufwand der zustndigen Lan-

    desbehrden einher, der steigt, je lter eine Anlage wird.

    Speziell im Falle der gesetzlichen Normierung einer Pflicht der Betreiber, Anlagen im

    Falle einer Laufzeitverlngerung an den Stand der Nachrsttechnik anzupassen, ent-

    stnde den zustndigen Landesbehrden ferner und dies drfte von besonderer

    Wichtigkeit sein die Pflicht, diesen Begriff auszufllen und fortlaufend zu definieren,

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    welches der Stand der Nachrsttechnik aktuell ist. Denn ausdrckliche entsprechende

    bundeseinheitliche Festlegungen existieren fr den Fall einer Laufzeitverlngerung

    bislang nicht in einem dazu verabschiedeten untergesetzlichen technischen Regel-

    werk. Experten des Bundesumweltministeriums und der Atomaufsichtsbehrden der

    Lnder, in denen diese betrieben werden, diskutieren vielmehr aktuell darber. Diese

    technischen Detailregelungen knnten und wrden im brigen durch ein Bundesge-

    setz zur nderung des Atomgesetzes auch nicht geleistet werden knnen. Ein sol-

    ches Gesetz knnte allenfalls den Begriff im Sinne einer dynamischen Betreiberpflicht

    normieren oder deren Erfllung vor einem Wirksamwerden einer Laufzeitverlngerung

    postulieren. Die Konkretisierung der dynamischen Verpflichtung durch das dynami-

    sche stete Neudefinieren des Inhalts des Begriffs des Standes der Nachrsttechnikbliebe mangels bundeseinheitlicher Vorgaben den Lndern und ihren Behrden bzw.

    einem untergesetzlichen technischen Regelwerk vorbehalten. Diese Aufgabe besteht

    in dieser Form bislang nicht, da nach dem derzeitigen Stand des Atomgesetzes die

    Lnder lediglich den sicheren Betrieb der bestehenden Anlagen bis zu deren Abschal-

    tung durch ihre Atomaufsichtsbehrden sicherstellen mssen, was sich schon daraus

    ergibt, dass der Zweck des Atomgesetzes in seiner derzeitigen Fassung gem 1

    Nr. 1 und 2 AtG in erster Linie nur noch in einem Beendigungs-, Schutz- und Siche-

    rungszweck besteht,

    vgl. Posser/Schmans/Mller-Dehn, Atomgesetz, Kommentar zur Novelle

    2002, 1. Aufl. 2003, 1, Rn. 18.

    Auch die ohnehin fortwhrende nderung des Standes von Wissenschaft und Technik

    wird schlielich zu einem erhhten berwachungsaufwand gerade bei alten Anla-

    gen fr die zustndigen Landesbehrden fhren.

    a) Zustimmungsbedrftigkeit aufgrund der Einrichtung einer Behrde

    Gem Art. 87c GG bedarf ein Gesetz, das aufgrund des Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG

    ergeht, also auf dem Gebiet der Erzeugung und Nutzung der Kernenergie der Zu-

    stimmung des Bundesrates, wenn es bestimmt, dass es von den Lndern im Wege

    der Bundesauftragsverwaltung ausgefhrt wird. Fr die Zustimmungsbedrftigkeit ei-

    nes Gesetzes, das die oben beschriebenen tatschlichen Wirkungen fr die zustndi-

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    gen Landesbehrden auslst, kommt es mithin auf die Frage an, ob es sich hierbei

    um die Anordnung einer Auftragsverwaltung handelt oder um eine nderung der ge-

    setzlichen Bestimmungen, die im Wege der Auftragsverwaltung ausgefhrt werden

    sollen. Zustimmungsbedrftig ist in jedem Falle die Anordnung der Bundesauftrags-

    verwaltung,

    vgl. Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008,

    Art. 87c, Rn. 11.

    Darber hinaus ist aber auch zustimmungsbedrftig ein nderungsgesetz, das den

    Aufgaben, die von den Lndern im Rahmen der Auftragsverwaltung ausgefhrt wer-den, eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verleiht,

    so ausdr. BVerfG, Beschluss des 2. Senats vom 25.06.1974 2 BvF 2/73,

    2 BvF 3/73 , BVerfGE 37, S. 362, 383; Urteil des 2. Senats vom

    13.04.19782 BvF 1,2,4,5/77 , BVerfGE 48, S. 127, 180; Pieroth, in: Ja-

    rass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2009, Art. 77, Rn. 5.

    Hiervon kann insbesondere ausgegangen werden, wenn ein Gesetz in qualitativer

    Hinsicht den Aufgabenbereich einer Behrde regelt. Nach der Rechtsprechung des

    Bundesverfassungsgerichts kommt dies der Einrichtung einer Behrde gleich, wie sie

    auch Art. 87c i. V. m. Art. 85 Abs. 1 GG fr zustimmungspflichtig erklrt,

    vgl. BVerfG, Beschluss des 2. Senats vom 08.04.1987 2 BvR 909, 934,

    935, 936, 938, 941, 942, 947/82, 64/83 und 142/84 , BVerfGE 75, S. 108,

    150 f.

    Dies mag, auch wenn diesseits wie vorstehend dargestellt eine andere Auffassung

    vertreten wird, mglicherweise nicht auf eine Regelung zutreffen, die ausschlielich

    die Laufzeiten von Kernkraftwerken verlngert. Fr eine Regelung, die qualitativ die

    Anforderungen erhht, die an die Landesbehrden bei der Atomaufsicht und der

    berwachung der Anlagen im Hinblick auf neue Betreiberpflichten bzgl. des Standes

    der Nachrsttechnik gestellt werden, gilt es jedoch in jedem Falle. Gerade dieser

    Punkt wird in der gegenwrtigen Diskussion, die sehr einseitig auf die Laufzeitverln-

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    gerung blickt, die Erhhung der Betreiberpflichten und den berwachungsaufwand fr

    die zustndigen Landesbehrden aber kaum beachtet, allenfalls am Rande behandelt.

    Fr die Frage, ob ein Gesetz zustimmungspflichtig ist, das wie geplant auch die

    Betreiberpflichten und berwachungsanforderungen im Hinblick auf den Stand der

    Nachrsttechnik in der dargestellten Weise erhht, ist sie jedoch von entscheidender

    Bedeutung.

    Betrachtet man die dargestellten tatschlichen Auswirkungen der Normierung weiterer

    dynamischer Betreiberpflichten hinsichtlich des Standes der Nachrsttechnik, kann

    durchaus davon gesprochen werden, dass ein solches Gesetz die derzeit bestehen-

    den atomaufsichtsrechtlichen Aufgaben der Lnder grundlegend in qualitativer Hin-sicht verndert. Nach derzeit bestehender Rechtslage ist es u. a. Aufgabe der Atom-

    aufsichtsbehrden,

    die Einhaltung der bestehenden Genehmigungen fr Kernkraftwerke zu berwa-

    chen und, soweit es zur Erreichung der in 1 Nr. 2 und 3 AtG bezeichneten

    Zwecke erforderlich ist, gem. 17 Abs. 1 Satz 3 AtG nachtrgliche Auflagen zur

    Erreichung der bestmglichen Schadensvorsorge zu erlassen, oder sofern die

    weiteren Tatbestandsvoraussetzungen erfllt sind Genehmigungen ggf. zu-

    rckzunehmen oder zu widerrufen ( 17 AtG),

    den Betrieb von Kernkraftwerken zu beaufsichtigen und darber zu wachen,

    dass nicht gegen die Vorschriften des Atomgesetzes und der auf Grund dieses

    Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen, die hierauf beruhenden Anordnun-

    gen und Verfgungen der Aufsichtsbehrden und die Bestimmungen des Be-

    scheids ber die Genehmigung oder allgemeine Zulassung verstoen wird unddass nachtrgliche Auflagen eingehalten werden ( 19 Abs. 1 AtG)

    sowie

    ggf. anzuordnen, dass ein Zustand beseitigt wird, der den Vorschriften des

    Atomgesetzes oder der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverord-

    nungen, den Bestimmungen des Bescheids ber die Genehmigung oder allge-

    meine Zulassung oder einer nachtrglich angeordneten Auflage widerspricht

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    oder aus dem sich durch die Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren fr Leben,

    Gesundheit oder Sachgter ergeben knnen. Sie knnen insofern insbesondere

    anordnen,

    - dass und welche Schutzmanahmen zu treffen sind,

    - dass radioaktive Stoffe bei einer von ihr bestimmten Stelle aufbewahrt oder

    verwahrt werden, sowie

    - dass der Umgang mit radioaktiven Stoffen, die Errichtung und der Betrieb

    von Anlagen der in den 7 und 11 Abs. 1 Nr. 2 bezeichneten Art sowieder Umgang mit Anlagen, Gerten und Vorrichtungen der in 11 Abs. 1

    Nr. 3 bezeichneten Art einstweilen oder, wenn eine erforderliche Geneh-

    migung nicht erteilt oder rechtskrftig widerrufen ist, endgltig eingestellt

    wird ( 19 Abs. 3 AtG).

    Dies alles steht dabei unter dem Primat des Gesetzeszwecks nach 1 AtG, mithin

    insbesondere unter Beendigungs-, Sicherungs- und Schutzzweck.

    Ein Gesetz, dass ohne weitere Ausformung dieses Begriffes fr den Fall einer Lauf-

    zeitverlngerung eine dynamische Betreiberpflicht zur Anpassung einer Anlage an

    den Stand der Nachrsttechnik normiert, nderte diesen Aufgabenzuschnitt. Die

    Atomaufsichtsbehrden der Lnder wren dann nicht mehr

    nur fr die berwachung der Einhaltung der erteilten Genehmigungen und der

    Vorschriften des Atomgesetzes, ggf. durch Erteilung weiterer Auflagen und ggf.deren Rcknahme oder Widerruf zustndig, um den Betrieb der Kernkraftwerke

    bis zur endgltigen Einstellung zu sichern.

    Vielmehr wren sie auch einer neuen Verpflichtung ausgesetzt, und zwar

    aufgrund bundesgesetzlicher Normierung dieses sehr unbestimmten Rechtsbe-

    griffs im Rahmen der Ausbung ihrer Befugnisse den Begriff des Standes der

    Nachrsttechnik neu zu definieren und insofern auch darber zu entscheiden,

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    ob dem Betreiber im Hinblick auf eine oder vor einer wirksam werdenden Lauf-

    zeitverlngerung neue Pflichten auferlegt werden mssen, die ber den Umfang

    der nach Magabe des geltenden Rechts auslaufenden und deshalb unter dem

    Gesichtspunkt der Verhltnismigkeit mglicherweise strkeren Bestands-

    schutzgesichtspunkten unterliegenden Genehmigung hinausgehen.

    Aus einer berwachungsaufgabe wrde eine Aufgabe, die den Lndern aufbrdet,

    den Umfang der berwachung und damit ihrer Vollzugsaufgaben im Hinblick auf

    Laufzeitverlngerungen berhaupt erst selbst und neu zu definieren, um anschlieend

    der eigentlichen berwachungsaufgabe nachkommen zu knnen. Die funktionale

    Ausrichtung der Verwaltungsttigkeit der Lnder wrde mithin deutlich erweitert. DieArt und Weise des Gesetzesvollzugs um eine Definitionspflicht der Lnder ausge-

    dehnt.

    Hierin besteht ein deutlicher qualitativer Unterschied zu den bisherigen Aufgaben der

    Lnder. Die Bedeutung und Tragweite ihrer bisher nach dem Atomgesetz wahrzu-

    nehmenden berwachungsaufgaben wrde mithin deutlich erweitert und auch inhalt-

    lich umgestaltet, auch im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

    zu der Frage, ob eine solche Aufgabennderung nur durch ein mit Zustimmung des

    Bundesrates ergangenes Gesetz erfolgen darf. So sieht es das Bundesverfassungs-

    gericht als zustimmungspflichtig an, wenn

    die nderung materiell-rechtlicher Normen eine grundlegende Umgestaltung

    der Rechtsqualitt der dem Bund durch frheres Gesetz bertragenen Aufgabe

    bewirkt,

    vgl. BVerfG, Urteil des 2. Senats vom 13.04.1978 2 BvF 1,2,4,5/77 ,

    BVerfGE 48, S. 127, 180.

    Genau dies ist vorliegend, wie dargelegt, der Fall, da aus einer bloen berwa-

    chungszustndigkeit der Lnder die Pflicht wrde, berhaupt den Umfang dieser

    berwachungspflicht und damit ihrer Vollzugsaufgaben aufgrund bundesgesetzlicher

    Anordnung neu zu definieren. Es liegt in diesem Falle nicht nur eine materielle nde-

    rung des von den Lndern auszufhrenden Gesetzes vor, sondern eine Neugestal-

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    tung der Lnderaufgaben, die diese nicht nur quantitativ, sondern v. a. auch qualitativ

    so erweitern, dass sie einer Neuanordnung einer Auftragsverwaltung i. S. d. zitierten

    Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gleichkommt. Gerade qualitative

    Vernderungen des Aufgabenkreises der Landesbehrden im Bereich der Bundesauf-

    tragsverwaltung sind es jedoch, die die Zustimmungsbedrftigkeit fr ein Gesetz nach

    Art. 87c bzw. Art. 85 Abs. 1 GG auslsen,

    vgl. BVerfG, Beschluss des 2. Senats vom 08.04.1987 2 BvR 909, 934,

    935, 936, 938, 941, 942, 947/82, 64/83 und 142/84 , BVerfGE 75, S. 108,

    150 f.

    Es ist insofern davon auszugehen, dass auch ein Gesetz, das eine neue Betreiber-

    pflicht normiert, eine Anlage im Sinne eines dynamischen Standes der Nachrsttech-

    nik technisch anzupassen, und den Lndern die Definition des Umfangs dieser Pflicht

    und die berwachung ihrer Einhaltung aufbrdet, der Zustimmung des Bundesrats

    bedarf.

    b) Zustimmungsbedrftigkeit aufgrund der Regelung des Verwaltungsverfahrens

    Darber hinaus kann die Zustimmungsbedrftigkeit eines Gesetzes gem Art. 87c

    i. V. m. Art. 85 Abs. 1 GG auch durch die Regelung des Verwaltungsverfahrens auf

    dem Gebiet der Bundesauftragsverwaltung durch den Bund ausgelst werden. Auch

    wenn dies in Art. 85 Abs. 1 GG nicht ausdrcklich genannt wird, ist nach herrschender

    Meinung davon auszugehen, dass eine solche Regelung des Verwaltungsverfahrens

    durch den Bund die Zustimmungsbedrftigkeit eines Gesetzes auslst. Die mangeln-

    de Nennung dieses Umstandes im Wortlaut des Art. 85 Abs. 1 GG drfte auf ein re-daktionelles Versehen des Gesetzgebers zurckzufhren sein,

    vgl. BVerfG, Beschluss des 2. Senats vom 15.07.1969 2 BvF 1/64 ,

    BVerfGE 26, S. 338, 385; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kom-

    mentar, 10. Aufl. 2009, Art. 85, Rn. 3.

    Weiterhin entspricht eine solche Auslegung des Art. 85 Abs. 1 Satz 1 GG auch der in-

    neren Systematik dieses Artikels. Wrde man auf die Zustimmungsbedrftigkeit ver-

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    zichten, knnte eine entsprechende gesetzliche Regelung in einfacherer Weise ge-

    schaffen werden als der Erlass einer blo allgemeinen Verwaltungsvorschrift i. S. d.

    Art. 85 Abs. 2 GG vorgenommen werden knnte. Hier sieht der Wortlaut die Zustim-

    mungsbedrftigkeit ausdrcklich vor. Dies wre jedoch systemwidrig, so dass davon

    auszugehen ist, dass der Verfassungsgeber auch die Regelung des Verwaltungsver-

    fahrens durch Gesetz im Bereich der Bundesauftragsverwaltung zustimmungspflichtig

    machen wollte,

    vgl. Dittmann, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 5. Aufl. 2009, Art. 85,

    Rn. 10; Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008,

    Art. 85, Rn. 29.

    Eine bundesgesetzliche Regelung, die den Lndern aufbrdet, nicht nur wie bisher

    ber die Einhaltung atomrechtlicher Pflichten zu wachen, sondern auch durch die

    Normierung dynamischer Betreiberpflichten bzgl. des Standes der Nachrsttechnik

    den Lndern auftrgt, diesen Stand neu zu definieren, wre dabei auch als Regelung

    des Verwaltungsverfahrens einzuordnen und insofern zustimmungsbedrftig.

    So ist insbesondere eine Gesetzesbestimmung, die eine nderung der Art und Weise

    des Gesetzesvollzugs auslst, als Grund anzusehen, der die Zustimmungsbedrftig-

    keit eines Gesetzes im Sinne einer Regelung des Verwaltungsverfahrens auslst,

    vgl. BVerfG, Beschluss des 2. Senats vom 25.06.1974 2 BvF 2/73, 2 BvF

    3/73, BVerfGE 37, S. 363, 385; Rottmann, Sondervotum zu BVerfG, Ur-

    teil des 2. Senats vom 10.12.1980 2 BvF 3/77 , BVerfGE 55, S. 274,

    337 f.,

    ebenso alle Regelungen, die die Handlungsformen, die Form der behrdlichen Wil-

    lensbildung, die Art der Prfung und Vorbereitung der Entscheidung, deren Zustande-

    kommen und Durchsetzung sowie verwaltungsinterne Mitwirkungs- und Kontrollvor-

    gnge in ihrem Ablauf regeln,

    vgl. Urteil des 2. Senats vom 10.12.1980 2 BvF 3/77 , BVerfGE 55,

    S. 274, 320 f.

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    Eine Norm, die den Landesbehrden aufgibt, erst den Stand der Nachrsttechnik zu

    definieren und anschlieend laufend zu prfen, ob die beaufsichtigten Kernkraftwerke

    diesen noch erfllen bzw. weitere Anordnungen zu treffen sind, betrifft insbesondere

    die Art der Vorbereitung der Entscheidungen der betroffenen Landesbehrden und

    deren Zustandekommen. Wie bereits ausgefhrt, wrde nicht mehr allein die berwa-

    chung der Genehmigungseinhaltung und der Einhaltung der Vorschriften des Atom-

    gesetzes im Focus der behrdlichen Ttigkeit stehen, sondern die Behrden mssten

    sich als Basis ihrer Entscheidungsfindung selbst zunchst den Stand der Nachrst-

    technik als unbestimmtem Rechtsbegriff definieren also in grundlegend anderer Weise

    zu ihren weiteren Entscheidungen kommen.

    Dies htte auch Auswirkungen auf den Gesetzesvollzug, da die Landesbehrden

    auch verpflichtet wren, im Rahmen permanenter berwachung sicherzustellen, dass

    laufende Aktualisierungen der Anlagen hinsichtlich des Standes der Nachrsttechnik

    vorgenommen werden.

    Auch aufgrund einer Regelung des Verwaltungsverfahrens drfte daher eine Zustim-

    mungsbedrftigkeit einer solchen bundesgesetzlichen Bestimmung bestehen.

    c) Zwischenergebnis

    Nach alledem ist auch davon auszugehen, dass ein Gesetz, welches den Betreibern

    von Kernkraftwerken die Pflicht auferlegt, die Anlage im Falle einer Laufzeitverlnge-

    rung an den Stand der Nachrsttechnik anzupassen und deren berwachung den zu-

    stndigen Landesbehrden zuweist, ein zustimmungspflichtiges Gesetz wre.

    Dem steht auch nicht die Tatsache entgegen, dass im Zuge der Fderalismusreform

    der frhere Art. 84 Abs. 1 GG umgestaltet wurde und die dort ursprnglich vorgese-

    hene Zustimmungsbedrftigkeit eines Gesetzes aufgehoben wurde, mit dem der Bund

    auf dem Gebiet der Ausfhrung von Bundesgesetzen durch die Lnder als eigene

    Angelegenheit auch die Einrichtung der Behrden oder das Verwaltungsverfahren re-

    gelte. Vertreter dieser Ansicht bersehen, dass vorliegend gerade kein Fall des

    Art. 84 GG gegeben ist, sondern ein Fall der Bundesauftragsverwaltung, der speziell

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    durch Art. 85 und Art. 87c GG geregelt wird. Art. 85 Abs. 1 Satz 1 GG sowie Art. 87c

    GG sind im Zuge der Fderalismusreform abgesehen von einer redaktionellen nde-

    rung jedoch gerade nicht gendert worden, sondern sehen auch weiterhin die Zu-

    stimmungsbedrftigkeit hierauf beruhender Gesetze vor. Es ist mithin davon auszu-

    gehen, dass gerade in diesem speziellen Bereich der Bundesauftragsverwaltung die

    oben genannten Wertungen auch weiterhin Geltung beanspruchen knnen, was auch

    von der nach Inkrafttreten der Fderalismusreform ergangenen verfassungsrechtli-

    chen Literatur so anerkannt wird,

    so ausdr. Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl.

    2008, Art. 85, Rn. 29; ebenso Windthorst, in: Sachs, Grundgesetz, Kom-mentar, 5. Aufl. 2009, Art. 85, Rn. 24; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundge-

    setz, Kommentar, 10. Aufl. 2009, Art. 77, Rn. 5, Art. 85, Rn. 3;

    3. Zwischenergebnis

    Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten,

    dass eine isolierte Verlngerung der Restlaufzeiten gem Art. 87c GG zustim-

    mungsbedrftig wre, weil damit den Lndern eine neue Aufgabe in Bundesauf-

    tragsverwaltung bertragen wrde,

    dass eine isolierte Normierung von Nachrstpflichten gem Art. 87c GG und

    Art. 85 Abs. 1 GG aus demselben Grund zustimmungsbedrftig wre

    und

    dass daher eine gesetzgebungstechnische Einheit aus beiden Regelungsberei-

    chen erst recht zustimmungsbedrftig wre.

    III. Gerichtliche berprfbarkeit

    Schlielich bleibt die Frage, ob ein Bundesland, gerade ein die Atomaufsicht aus-bendes Bundesland wie Schleswig-Holstein, berechtigt wre, ein Gesetz zur nde-

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    rung des Atomgesetzes gerichtlich berprfen zu lassen, welches entweder gar nicht

    die Zustimmung des Bundesrates erhalten hat oder nur teilweise, wobei die Frage der

    Laufzeitverlngerung von der Frage der Sicherheitserhhungen getrennt wrde und

    dem Bundesrat die Zustimmungsmglichkeit bzgl. der Laufzeitverlngerung vorenthal-

    ten wrde. Auch diese Mglichkeit besteht, und zwar sowohl im Rahmen einer abs-

    trakten Normenkontrolle als auch im Rahmen eines Organstreitverfahrens.

    1. Abstrakte Normenkontrolle

    Gem Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG entscheidet das Bundesverfassungsgericht bei Mei-

    nungsverschiedenheiten oder Zweifeln ber die frmliche und sachliche Vereinbarkeitvon u. a. Bundesrecht mit dem Grundgesetz auf Antrag u. a. einer Landesregierung.

    Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung htte mithin die Mglichkeit, ein nde-

    rungsgesetz zum AtG, das, wie beschrieben, gar nicht oder nur teilweise, die Zustim-

    mung des Bundesrates erhalten hat, auf ihre formelle Verfassungsgemheit durch

    das Bundesverfassungsgericht berprfen zu lassen. Ein solcher Antrag wre in je-

    dem Falle zulssig. Mit dem formellen Bundesgesetz lge ein tauglicher Antragsge-

    genstand vor. Die Landesregierung wre antragsberechtigt und auch antragsbefugt.

    Letztere ist bereits bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln ber die Gltigkeit

    der betreffenden Normen gegeben, was angesichts der obigen Ausfhrungen nicht

    zweifelhaft sein kann. Auch das erforderliche besondere objektive Klarstellungsinte-

    resse,

    vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2009,

    Art. 93, Rn. 25.

    wre gegeben. Als eines der die Atomaufsicht ausbenden Bundeslnder wre

    Schleswig-Holstein ohne eine verfassungsrechtliche Klrung ansonsten gezwungen,

    eine Norm bei Ausbung der Atomaufsicht anzuwenden, die es selbst fr verfas-

    sungswidrig hlt.

    Der Weg, eine solche nderung des Atomgesetzes im Wege der abstrakten Normen-

    kontrolle gem Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG berprfen zu lassen, stnde der Schleswig-

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    Holsteinischen Landesregierung daher offen. Nach den obigen Ausfhrungen ist da-

    mit zu rechnen, dass ein solcher Antrag auch Erfolg htte.

    2. Organstreitverfahren

    Darber hinaus stnde dem Bundeslang Schleswig-Holstein auch das Organstreitver-

    fahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG zur Verfgung. Parteifhig in einem solchen Ver-

    fahren sind neben den in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG genannten obersten Bundesorganen

    auch Beteiligte, die durch die Geschftsordnung eines obersten Bundesorgans mit ei-

    genen Rechten ausgestattet sind. Dies gilt auch fr die einzelnen Bundeslnder, die

    durch die Geschftsordnung des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestattet wer-den (vgl. z. B. 26 GO BR). Auch die notwendige Antragsbefugnis lge vor. Hierfr ist

    erforderlich, dass der Antragsteller geltend macht, in seinen ihm vom Grundgesetz

    bertragenen Rechten verletzt zu sein, und die Mglichkeit einer solchen Rechtsver-

    letzung besteht,

    vgl. Sturm, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 5. Aufl. 2009, Art. 93,

    Rn. 49.

    Diese Kriterien wren erfllt. Durch den Bundesrat wirken die Lnger gem Art. 50

    GG an der Gesetzgebung mit. Sie haben mithin das verfassungsrechtlich verbrgte

    Recht, im Rahmen der Bestimmungen der Art. 76 bis 78 GG an den Gesetzgebungs-

    verfahren beteiligt zu werden, was auch beinhaltet, ber die Zustimmung des Bundes-

    rates zu einem zustimmungspflichtigen Gesetz im Rahmen einer Abstimmung zu ent-

    scheiden. Dieses Recht wrde einem Bundesland genommen, wrde ein zustim-

    mungspflichtiges Gesetz durch die Bundesregierung dem Bundesrat nicht zur Zu-stimmung vorgelegt. Es knnte sich in diesem Falle nicht mehr in der verfassungs-

    rechtlich vorgesehenen Weise am Gesetzgebungsverfahren beteiligen. Der taugliche

    Antragsgegenstand bestnde schlielich in dem Unterlassen der Bundesregierung,

    dem Bundesrat das nderungsgesetz zum Atomgesetz zur Zustimmung vorzulegen,

    entweder insgesamt oder in Teilen.

    Auch auf diesem Wege wre es einem Bundesland daher mglich, eine verfassungs-

    gerichtliche Entscheidung ber die Verfassungsgemheit eines Gesetzes zur nde-

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    rung des Atomgesetzes herbeizufhren, wenn dieses dem Bundesrat nicht oder nur

    teilweise zur Zustimmung vorgelegt wrde.

    Dieses Gutachten habe ich nach bestem Wissen und Gewissen erstellt.

    gez. Wolfgang Ewer

    Prof. Dr. Wolfgang EwerRechtsanwalt

    Fachanwalt fr Verwaltungsrecht