Recovery-Konzepte in der Psychiatrie Dr. Margit Schmolke Deutsche Akademie für Psychoanalyse,...

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Recovery-Konzepte in Recovery-Konzepte in der Psychiatrie der Psychiatrie Dr. Margit Schmolke Dr. Margit Schmolke Deutsche Akademie für Psychoanalyse, München Sektion „Präventive Psychiatrie“, World Psychiatric Association Köln, 10. Oktober 2007

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Recovery-Konzepte in der Recovery-Konzepte in der PsychiatriePsychiatrie

Dr. Margit SchmolkeDr. Margit Schmolke

Deutsche Akademie für Psychoanalyse, München

Sektion „Präventive Psychiatrie“, World Psychiatric Association

Köln, 10. Oktober 2007

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Aufbau des VortragsAufbau des Vortrags

Einführung Definitionen von Recovery Grundannahmen von Recovery Einbeziehung von NutzerInnen in die Forschung Recovery-orientierte psychiatrische Versorgung Konsequenzen für die therapeutische Beziehung

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Einführung (1)Einführung (1)

RecoveryBesserungErholungGenesungGesundungBergungRettungRückgewinnungWiedergewinnungWiederfinden

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Einführung (2)Einführung (2)

Recovery Entwicklung aus den Beschränkungen der

Patientenrolle hin zu einem selbstbestimmten sinnerfüllten Leben

Resilienz Widerstandskräfte und konstruktive Anpassung

an schwierige Situationen, um vor demoralisierender Resignation und Selbststigmatisierung zu bewahren

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Einführung (3)Einführung (3)

Professionelle Hilfen manchmal hinderlich für Genesung

NutzerInnen erzählen, schreiben, ordnen, beforschen ihre Geschichten

Kostbare Erfahrungen und Erkenntnisse nun zugänglich

Entwicklung von recovery-orientierten Hilfen Definierte Kriterien von Remission und Recovery Neue Formen von Unterstützung in Richtung

Stärkung von Resilienz und Gesundheit

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Einführung (4)Einführung (4)

Sehr unterschiedlicher Verlauf von psychiatrischen Erkrankungen

Wissenschaftliche Daten zu Verlauf und Behandlung: es macht keinen Sinn, sich von einer Diagnose zu einer ungünstigen Prognose verleiten zu lassen

Negative Vorhersagen sind gefährlich und zerstörerisch

Stigma der Unbeeinflußbarkeit und Unheilbarkeit kann überwunden werden

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Einführung (5)Einführung (5)

Vielfalt an Veröffentlichungen über Recovery und Resilienz – in englischer Sprache Fachzeitschriften, Bücher, Webseiten, „graue

Literatur“, Internet Eigenständige Forschungsrichtung: NutzerInnen

entwickeln ihre Forschungsprojekte in Doppelidentität

Spannende Kollaborationen zwischen ForscherInnen mit und ohne eigene Erfahrung mit psychiatrischer Erkrankung

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Einführung (6)Einführung (6)

Englisches GesundheitssystemVerankerung der Zusammenarbeit zur

Recovery-Orientierung in den Richtlinien der Gesundheitspolitik

Erhöhung der Effizienz der Versorgungsangebote

Aber: Keine Einsparungseffekte!

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Einführung (7)Einführung (7)

Recovery-Buch Amering/Schmolke (1)Konzepte und Daten für das Recovery-

Modell und Evidenz für ResilienzHerausforderungen und HindernisseWissenschaftliche UntersuchungenVorschläge zur Umsetzung in Praxis und

Forschung

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Einführung (8)Einführung (8)

Recovery-Buch Amering/Schmolke (2) „Herzstück“: Recovery-Geschichten von

Personen, die über die Überwindung ihrer Leidenszustände berichten und ihre Erkenntnisse als Evidenzbasis zur Modellbildung, Forschung und Umsetzung von Konzepten zu Recovery und Resilienz nutzen und zur Verfügung stellen.

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Was meine MS mich über schwere Was meine MS mich über schwere psychiatrische Erkrankungen gelehrt hatpsychiatrische Erkrankungen gelehrt hat

William Anthony (Boston University) Bekanner Recover-Forscher Als Betroffener der Erkrankung MS:

Informationen durch die Ärzte über neueste medizinische Erkenntnisse

Einbettung in Betroffenen-Bewegung (Wissen, moralische Unterstützung)

Behandelt werden als Person Würde, Selbstwertgefühl Erhalt der „personhood“ für psychiatrische Patienten

!

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Definitionen von Recovery (1)Definitionen von Recovery (1)

Keine einheitliche Definition Entzieht sich einer standardisierten

Messung Sehr individueller Prozess Kein festgelegter Zielzustand

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Definitionen von Recovery (2)Definitionen von Recovery (2)

„Recovery ist ein fortwährender, dynamischer, interaktioneller Prozess, der stattfindet zwischen den Stärken,Vulnerabilitäten, Ressourcen einer Person und der Umwelt. Recovery bedeutet eine persönliche Reise mit einer aktiv zu bewältigenden psychiatrischen Erkrankung, während das Zurückerobern, das Erreichen und die Aufrecht-erhaltung von positivem Selbstgefühl, Rollen und ein Leben außerhalb des psychiatrischen Versorgungssystems trotz der Herausforderungen einer psychiatrischen Behinderung möglich ist.“

(National Technical Assistance Center of State Mental Health Planning, Alexandria, USA)

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Definitionen von Recovery (3)Definitionen von Recovery (3)

... ein befriedigendes, aktives und hoffnungsvolles Leben auch mit den Einschränkungen durch die Erkrankung selbst.

... Entwicklung einer neuen Bedeutung und eines neuen Sinns im Leben, während man über die katastrophalen Auswirkungen der psychiatrischen Erkrankung hinauswächst.

William Anthony (1993)

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Definitionen von Recovery (4)Definitionen von Recovery (4)

Recovery als

„eine Entwicklung aus den Beschränkungen der PatientInnenrolle hin zu einem selbstbestimmten Leben“.

Pat Deegan (2005)

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Grundpositionen zu Recovery (William Anthony, 1993) (1)

1. Recovery ohne professionelles Zutun möglich.

2. Menschen, die an die Betroffenen glauben.

3. Keiner Ursachentheorie verpflichtet.

4. Recovery möglich auch bei Wiederauftreten von Symptomen.

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Grundpositionen zu Recovery (William Anthony, 1993) (2)

5. Günstiger Einfluss auf Häufigkeit und Dauer von Symptomen.

6. Recovery – kein linearer Prozess.

7. Oft schwieriger, sich von den Konsequenzen der Erkrankung zu erholen.

8. Recovery heißt nicht, dass man „nicht wirklich psychisch krank“ gewesen ist.

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Einbeziehung von NutzerInnen Einbeziehung von NutzerInnen in die Forschung (1)in die Forschung (1)

Neue spannende Entwicklung Gibt es bereits bei Krebs-, AIDS-, Alzheimer-

Erkrankung User-led research (betroffenenkontrollierte

Forschung) in Großbritannien: Doppelte Identität: Teilnehmer sind Betroffene

und Forscher Experten durch eigene Erfahrung

Einschätzung von klinischen Einrichtungen und Behandlungen aus Sicht der Betroffenen

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Einbeziehung von NutzerInnen Einbeziehung von NutzerInnen in die Forschung (2)in die Forschung (2)

Bisher kaum von der vorherrschenden akademischen Forschung akzeptiert („graue Literatur“)

Steigendes Interesse Großbritannien: Gesundheitsministerium

fordert den Nachweis, daß Nutzer in Forschungsvorhaben einbezogen werden

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Einbeziehung von NutzerInnen Einbeziehung von NutzerInnen in die Forschung (3)in die Forschung (3)

Im deutschsprachigen Raum Universität Ulm: Veröffentlichung von Sylvia

Krumm und Thomas Becker, 2006 Verein in Berlin „Für alle Fälle“ :

Evaluationsprojekt „Personenzentrierte Hilfe aus Sicht der NutzerInnen“ (Rainer Deiters und Jasna Russo)

Oberösterreich: Qualifizierung für die Rolle als „Experte durch Erfahrung“ durch eine peer-coaching-Ausbildung

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Recovery-orientierte Recovery-orientierte psychiatrische Versorung (1)psychiatrische Versorung (1)

Marianne Farkas & William Anthony, Boston University: Recovery-Orientierung in Zeiten von evidenzbasierter Psychiatrie

Veröffentlichungen gemeinsam mit Betroffenen-Aktivisten (u.a. Judi Chamberlain, National Empowerment Center Washington)

Bisherige Ziele von Langzeitbehandlung: Rückfallverhütung, Stabilisierung, Verkürzung

von Krankenhaustagen, jedoch keine Berücksichtigung von Recovery-Konzepten

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Recovery-orientierte Recovery-orientierte psychiatrische Versorung (2)psychiatrische Versorung (2)

Vier Schlüsselwerte (Farkas,2007): Personenorientierung (an individueller Person mit Stärken, Talenten und

Grenzen; nicht als „Fall“)

Betroffenen-Einbeziehung (Peer-Betreuer, partnerschaftl. Umgang,

Mitbestimmung in allen Bereichen, Anstellung als Peer-Betreuer)

Selbstbestimmung / Wahlfreiheit (u.a. in den Bereichen

Wohnen, Betreuungsziele, Auswahl der Hilfen, Kontakt zur Einrichtung)

Wachstumspotenzial (Potenzial zur Genesung, Hoffnung als essenzieller

Bestandteil von Recovery, Recovery als langdauernder Prozeß)

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Konsequenzen für die Konsequenzen für die therapeutische Beziehung (1)therapeutische Beziehung (1)

Stärkung der Selbsthilfe- und Selbstregulationskräfte der Person

Wissen des Therapeuten, wie Menschen sich an Herausforderungen des Lebens anpassen und welche Faktoren ihnen im Gesundungsprozeß geholfen haben

Wissen um die Gefährdung und Rückgewinnung der psychischen Widerstandskräfte ihrer Patienten

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Konsequenzen für die Konsequenzen für die therapeutische Beziehung (2)therapeutische Beziehung (2)

Partizipative Modelle zur „geteilten Entscheidungsfindung“ lösen paternalistisch geprägte Compliance-Modelle ab Von einer streng hierarchischen oder

fürsorglichen hin zu einer mehr symmetrischen Beziehung

Politik muß solche Veränderungen fördern und die nötigen Rahmenbedingungen schaffen

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FazitFazit

Veränderung in Richtung Gesundheit und Wiederherstellung ist fast zu jedem Zeitpunkt möglich – plötzlich mitten aus einer Krise heraus oder langsam nach langer Krankheit

In jeder Lebens- und Krankheitslage wird gleichzeitig auch Gesundheit gelebt, die manchmal übersehen wird

Kein allgemeines Gebot von Gesundheit!

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Vielen Dank!Vielen Dank!