Rede der Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries, MdB bei der Veranstaltung »Schläger machen...

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Page 1: Rede der Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries, MdB bei der Veranstaltung »Schläger machen Schlagzeilen -- der Einfluss der Medien auf die Strafjustiz« am 8. Juni 2009 in

Rede der Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries, MdB

bei der Veranstaltung

»Schläger machen Schlagzeilen -- der Einfluss der Medien auf die Strafjustiz«

am 8. Juni 2009 in Frankfurt/M.

Sehr geehrter Herr Weber,meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie alle vielmals und freue mich sehr, dass Sie heute zu dieser Diskussion gekommensind.

Den Anstoß zur heutigen Veranstaltung hat Ruth Herz gegeben. Wir beide haben uns vor einigerZeit kennengelernt, ich habe ihr Buch über ihre Arbeit als Jugendrichterin und als Fernsehdarstel-lerin gelesen, und wir waren uns schnell einig, dass die Medien und ihre Berichterstattung eineganz einflussreiche Rolle spielen, wenn es um die Strafjustiz geht.

Als dritte Gewalt braucht auch die Justiz die Kontrolle durch die Öffentlichkeit und die Medi-en. Auch Richterinnen und Staatsanwälte müssen sich deshalb kritische Berichte über ihre Arbeitgefallen lassen. Das ist auch die Konsequenz aus dem öffentlichen Amt und der großen Eigenver-antwortung, die vor allem Richter bei ihrer Amtsführung haben.

Allerdings hat die Justiz aus gutem Grund eine andere Struktur als etwa die Politik. Meine Be-rechtigung, als Ministerin und Abgeordnete zu wirken, verdanke ich der Zustimmung der Bevöl-kerung in Wahlen. Es ist deshalb legitim, wenn die Medien Stimmung machen für oder gegenmeine Politik und wenn sie die Stimmung ermitteln, ob die Menschen damit zufrieden sind odernicht.

Bei der Justiz ist das etwas anders. Über das Strafmaß wird nicht per Ted, Volksentscheid oderUmfrage entschieden. Im Interesse gerechter Urteile haben wir diese Sache bewusst Richterinnenund Richtern übertragen, die unabhängig entscheiden. Sie sind nur an das Gesetz gebunden, abersie hängen nicht von der Zustimmung des Publikums ab.

Allerdings gilt hier: »Richter sind auch nur Menschen«. Mit diesen Worten war jüngst eine Studieüberschrieben, die den Einfluss der Medien auf die Justiz untersucht hat. Befragt wurden mehr als700 Richter und Staatsanwälte. Fast 90 Prozent von ihnen sagten: Ja, die Berichterstattung derMedien über ein Verfahren prägt die Atmosphäre im Gerichtssaal. Und fast 30 Prozent waren derMeinung, Medienberichte hätten Einfluss auf die Höhe der Strafe.

Ich will zur Illustrierung ein besonders drastisches Beispiel nennen. Vor einiger Zeit hatte derBundesgerichtshof ein Urteil aufgehoben, in dem es um die Sicherungsverwahrung eines Sexual-straftäters ging. Die gesetzliche Voraussetzung für eine Verwahrung, nämlich die Verurteilung zueiner bestimmten Strafhöhe, bestand in diesem Fall einfach nicht.

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Deutschlands größte Boulevard-Zeitung berichtete daraufhin mehrere Tage über den Bundes-gerichtshof, und zwar unter der Überschrift »Justizskandal« und »Saustall Justiz«. Der zuständigeRichter wurde mit einem schwarzen Balken über den Augen in Verbrechermanier abgebildet. Da-neben war zu lesen: »Schämen Sie sich, Herr Richter?« Alle Artikel gipfelten in der Frage (Zitat):»Wer schützt uns künftig vor solch milden Richtern?«

Die Vermutung, dass solche Berichte Konsequenzen haben können, liegt nicht besonders fern.»Lautsprecher verändern die Rechtsprecher«, hat Reinhard Müller vor einiger Zeit in der FAZgeschrieben. Vor allem den Schöffen dürfte es dabei noch schwerer fallen als den Berufsrichtern,sich der Erwartungshaltung, die durch eine bestimmte Art der Berichterstattung im Vorfeld einesUrteils aufgebaut wird, zu entziehen.

Angesichts mancher Berichterstattung ist man auch nicht erstaunt über das, was mir neulicheine OLG-Präsidentin erzählt hat : Sie sagt, es werde immer schwieriger, Vorsitzende für Jugend-strafkammern zu finden. Viele Kandidaten sagten ganz offen, sie machen das nicht, weil sie keinenJob wollen, bei dem sie damit rechnen müssen, irgendwann von der Boulevard-Presse für einzelneUrteile an den Pranger gestellt zu werden.

Die Frage ist also: Müssen Richter heute ein dickeres Fell im Umgang mit den Medien haben?Muss sich an der Berichterstattung über die Strafjustiz etwas ändern? Oder muss die Justiz viel-leicht selbst mehr Öffentlichkeitsarbeit betreiben, um das Verständnis und die Akzeptanz ihrerEntscheidungen zu erhöhen? Alles Fragen, denen wir heute nachgehen wollen.

Meine Damen und Herren,zu einem zweiten Aspekt. Er betrifft nicht die Berichterstattung über Gerichte und Richter,

sondern über Beschuldigte. Sie ist manchmal eine größere Strafe als das Urteil selbst:

• Da ist der prominente Top-Manager, der vor laufenden Kameras von der Staatsanwaltschaftaus seinem Haus geführt wird.

• Da ist der Politiker, gegen den in Sachen Kinderpornographie ermittelt wird und bei demdie Staatsanwaltschaft über jeden Ermittlungsschritt die Medien informiert.

• Oder da ist die Frankfurter Pop-Sängerin, deren Intimleben im Zusammenhang mit einemStrafverfahren detailliert in den Medien ausgebreitet wird. Niemand wird bestreiten: Alldiese Personen sind durch die Berichterstattung schon vor dem ersten Prozesstag bestraftund verurteilt. Selbst wenn sich ihre Unschuld herausstellen sollte, der Schaden an ihrerReputation lässt sich kaum mehr beheben.

Helmut Kerscher, rechtspolitischer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, hat dafür in der ak-tuellen Ausgabe der Richterzeitung einen schönen Begriff gefunden. Er spricht von der »Harmonievon Juristen und Journalisten zu Lasten Dritter«, nämlich von Beschuldigten.

Ich denke, wenn wir über den Einfluss der Medien auf die Strafjustiz sprechen, dann müssenwir auch über die sogenannte Verdachtsberichterstattung reden. Es besteht die Gefahr, dass auch

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durch solche mediale Vorverurteilungen die Gerechtigkeit leidet.Meine Damen und Herren,ein dritter und letzter Punkt betrifft schließlich den Einfluss der Medien auf die Kriminalpolitik,

also auf die Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger und die der Politik.Hier in Hessen haben wir ja bei der vorletzten Landtagswahl erlebt, wie versucht wurde, anhand

einer einzelnen Straftat die Jugendkriminalität zum Top-Thema im Wahlkampf zu machen. (DasWahlergebnis hat dann allerdings gezeigt, dass die Wählerinnen und Wähler nicht so einfältig sind,wie manche Wahlkampfstrategen denken. Die Kampagne ist ziemlich kläglich gescheitert.)

Tatsache ist aber: Die Vorstellung der Menschen von Kriminalität und der Intensität der Be-drohung wird ganz erheblich von den Medien geprägt. Kriminologen haben vor einiger Zeit eineUmfrage zur Entwicklung der Kriminalität in Deutschland gemacht. Die Befragten sollten dabeieinschätzen, ob die Zahl der Straftaten in den letzten 10 Jahren eher gestiegen oder eher gesunkensei.

Das Ergebnis war hoch interessant. Die Befragten vermuteten im Schnitt eine Zunahme um 17Prozent. Tatsächlich war in den 10 Jahren die Kriminalität aber leicht zurückgegangen. Besonderskrass waren die Fehleinschätzungen bei Kapitalverbrechen. Beim Sexualmord vermuteten die Be-fragten einen Anstieg um 260 Prozent. Tatsächlich verringerte sich die Zahl der Taten um mehrals ein Drittel.

Nach Ansicht der Forscher ist eine wesentliche Ursache für diese Fehleinschätzung das Fernse-hen. Die Zahl der Sendungen, die sich mit Kriminalität befassen, sei in den 10 Jahren vom Anfangder 90er Jahre bis zum Beginn des neuen Jahrtausends drastisch gestiegen. Die Fehleinschätzungbei der Kriminalitätsentwicklung hänge deshalb ganz entscheidend von der Art und dem Maß despersönlichen Fernsehkonsums ab.

Dieser Einfluss der Medien ist eigentlich nicht verwunderlich. Von der Entwicklung des Ben-zinpreises kann sich jeder sein eigenes Bild machen, er muss nur an einer Tankstelle vorbeifahren.Wenn es dagegen um Kriminalität und Gewalt geht, verfügen die meisten Menschen zum Glücknicht über persönliche Erfahrungen. Wir sind stattdessen auf die Medien angewiesen, und derenBerichterstattung und deren Konsum prägen ganz maßgeblich unser Urteil zur Kriminalität.

An dieser Stelle zeigt sich auch, wie wichtig ein guter Journalismus ist. Man hat auch dies beider Landtagswahl in Hessen gesehen. Die Stimmung kippte, als Journalisten herausfanden, dassnirgendwo sonst in Deutschland die Jugendgerichte so überlastet sind wie bei uns in Hessen undhier die Verfahren besonders lange dauern.

Wenn dagegen nur nach der Devise »crime sells« berichtet und womöglich Stimmung gegen dieJustiz gemacht wird, dann lassen sich damit in der Bevölkerung leicht Ängste wecken und diesverleitet manche Politiker zu einer oberflächlichen law and order-Politik.

Meine Frage ist daher: Wenn die Medien die Einstellung der Bevölkerung zu Justiz und Krimi-nalität so entscheidend prägen, erwächst daraus nicht auch eine besondere Verantwortung? Abernatürlich muss man auch andersherum fragen: Welche Verantwortung trifft hier die Justiz? Ist sie

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vielleicht selbst viel zu passiv, wenn anhand einzelner Urteile wieder mal eine Verschärfung desJugendstrafrechts gefordert wird? Muss sie hier mehr tun oder sollte sie die öffentliche Debattelieber der Politik überlassen?

Meine Damen und Herren,dies sind nur einige Fragen, die mich in diesem Zusammenhang bewegen, und ich freue mich

sehr, dass wir heute darüber in besonders sachkundiger Runde diskutieren werden. Ich danke allen,die sich daran beteiligen - hier auf dem Podium und im Publikum. Und mein Dank gilt auch derSparda-Bank Hessen, deren Gäste wir heute Abend alle sind.

Wie immer, wenn wir über die Strafjustiz reden, dann geht es um nicht weniger als um dieGerechtigkeit. Jeder von uns in Justiz, Politik und Medien kann die Gerechtigkeit fördern, erkann ihr mitunter aber auch schaden. Sich über diesen Zusammenhang Gedanken zu machen,das ist den Schweiß der Edlen Wert und deshalb ist - so meine ich - auch die heutige Diskussionso wichtig.

Es gilt das gesprochene Wort! -- © 2009 BMJ. Alle Rechte vorbehalten

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