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Er wollte doch nur Er wollte doch nur beichten... beichten... Kindergeburtstag: 5 Jahre DKP queer Seite 4 Freie Liebe: Jeder mit Jedem? Seite 7 Homonationalismus: Muslime vs. Schwule Seite 11 6. Jahrgang September 2011 www.red-queer.de 2011 21

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Aus dem Inhalt: Ratzinger in Deutschland / 5 Jahre DKP queer / 20. todestag schernikau / DKP queer und das MfS / Freie Liebe / Hirschfeld-Stiftung kommt / Muslime versus Schwule

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Er wollte doch nur Er wollte doch nur

beichten...beichten...

Kindergeburtstag:

5 Jahre DKP queer

Seite 4

Freie Liebe:

Jeder mit Jedem?

Seite 7

Homonationalismus:

Muslime vs. Schwule

Seite 11

6. Jahrgang September 2011 www.red-queer.de

201121

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2 WEGWEISER

InhaltTitelWas hat das weinende Kind zu bedeuten? Oder welche Moral vertritt eigentlich Ratzinger?Seite 3

ThemaEin halbes Jahrzehnt DKP queer – Was wurde erreicht und wohin geht die Reise. Kann die Kom-mission die Partei fi t machen in Liebes- und Lebensfragen?Seite 4 und 5

KulturZwanzig Jahre ohne Schernikau. Sein Werk lebt weiter.Seite 6

Theorie„Durst will befriedigt sein. Aber wird sich der normale Mensch unter normalen Bedingungen in den Straßenkot legen und aus einer Pfütze trinken?“ Was hat Lenin damit gemeint?Seite 7

GeschichteIm Dienste des besseren Deutschlands: Unser Mann in der FDP...Seite 8 und 9

GegenwartEndlich! Nach über 10 Jah-ren Rumgeeier kommt die Hirschfeld-Stiftung. Rechte „Community“-Heinis eröffnen Postenschacher.Seite 12

Vorletzte SeiteBuchtipp: Schwules Abendland gegen „Barbarenvölker“Seite 12

Impressumred&queerZeitung von DKP queerKommission des Parteivor-stands der Deutschen Kom-munistischen Partei (DKP)

Herausgeberund Redaktion:DKP queerV.i.S.d.P. Thomas Knecht

Lektorat:Andreas

Layout:Roy

Druck:Eigendruck

Anschrift & Kontakt:DKP queerRedaktion „red&queer“Zum Köpperner Tal 4461381 FriedrichsdorfFon: 0201 177889-0Fax: 0201 [email protected]

Spendenkonto:Konto 297 871 603BLZ 500 100 60Postbank FrankfurtInhaber: DKP BV HessenVerwendungszweck:„Spende red&queer“

Redaktionsschluss:20.09.2011

23.-25.09.2011Berlin19. Bundestreffen DKP queer

01.10.2011HannoverInfostand auf dem Bundeskon-gress der Sozialistischen Deut-schen Arbeiterjugend (SDAJ)

03.10.2011EssenEllen Schernikau liest in der Hoffnungstraße aus den Wer-ken von Ronald M. Schernikau: „Tage in L.“ und „Irene Binz. Befragung“

13.-15.10.2011RostockWir planen eine kleine Ver-teilaktion auf dem 3. Queer-FilmFest im Peter-Weiss-Haus

25.-27.11.2011LeverkusenDas Jahr der Jubiläen: 20 Aus-gaben red&queer, 5 Jahre DKP queer und nun auch noch das 20. Bundestreffen in der KLS

14.-15.01.2012BerlinLLL-Wochenende: Wir werden wieder sowohl mit Infostand auf der RLK zugegen sein als auch mit unseren Fahnen und Flyern auf der LL-Demo

Termine-Box2011

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TITEL 3

„Wahrscheinlich hat es vielen Menschen erst die Augen ge-öffnet, als die Bundesjustizmi-nisterin im Jahr 2010 (!) den Hinweis für nötig hielt, die Ver-folgung von Straftaten von wem auch immer sei eine Angele-genheit des Staates. Anlass war die Diskussion um die sexuellen Übergriffe in der katholischen Kirche. [...] Immer wieder wa-ren in der Vergangenheit Fälle von sexualisierter Gewalt in katholischen Kreisen öffentlich geworden. Aber erst in jüngst geführten Diskussion erfuhr die breite Öffentlichkeit, dass die katholische Kirche für sich das Recht in Anspruch nimmt, zu entscheiden, wann und bei wel-

chen Straftaten die Staatsan-waltschaft eingeschaltet wird. Diese für die Kirche selbstver-ständliche Denkweise, solche Fälle intern zu regeln, macht allzu deutlich, dass die Abstim-mung zwischen Staats- und Kir-chenrecht in Deutschland noch nicht vollständig ist. Wie viele Straftäter in den Reihen der katholischen, aber auch evan-gelischen Kirche sind bisher un-gestraft davongekommen? Wird die deutsche Gesellschaft das je erfahren?“1

Nun wird ausgerechnet das Ober-haupt jener Kreise, der letzte ab-solutistische Herrscher Europas, Josef Ratzinger alias „Benedikt XVI.“ in Berlin wie ein Staats-gast, mit allen Ehren und Wür-den empfangen. Er durfte auch seine Hetze im BRD-Bundestag verbreiten, die reaktionäre Of-fensive seines Vorgängers nicht einfach fortsetzen, sondern ver-stärken. Statt dort sprechen zu

dürfen, hätte er wegen Behinde-rung der Justiz verhaftet werden müssen!

Über zwei Jahrhunderte nach der Säkularisierung, verharrt die BRD in der Frage der Tren-nung von Kirche und Staat im Mittelalter. Insbesondere bei der Sexualpolitik steht es in dessen bester Tradition, nämlich der der Doppelmoral. Immerhin konnte die DDR hier 40 Jahre lang einen Strich durch diese Rechnung machen.

Das heisst, ein Ratziger darf in der bürgerlichen Schwatzbude von Reichstag ...oh pardon... Bundestag sein religiöses Gesei-er von sich geben, während so-wohl parlamentarische als auch außerparlamentarische Oppo-sition ausgeblendet, diffamiert usw. wird. Alles beim Alten.

1 Caberta, Ursula: Schwarzbuch Esoterik, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2010

Säkularisierung – 200 Jahre später. In Deutschland: Alles beim Alten

von Roy

Titelbild und Illustration auf dieser Seite: Anne

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4 THEMA

In der letzten Ausgabe titelten wir 20 Ausgaben red&queer, auch diese Ausgabe titelt mit einem Jubiläum. Fünf Jahre DKP queer! Eine Erfolgsgeschichte in mehreren Akten!

Der Anfang war tatsächlich der Artikel „Eine schwule Idee“ von „Dominik“ im Taunus Echo, der Zeitung der DKP Hochtaunus. Binnen kürzester Zeit bekamen wir von überall her Post, e-Mails und Anrufe, dass er mit dieser Idee nicht allein war.

Auf dem UZ Pressefet 1999 gab es schon einmal den Versuch sich zu vernetzen. Dazu wurde auch das „blaue Heft“ – „Grund-sätze und Forderungen der DKP gegen die Diskriminierung der Homosexualität“ noch einmal kopiert, und es gab ein Treffen. Leider verlief danach alles im Sande, und dieser Artikel war dann der Startschuss.

Auf Anregung einiger Genossen luden wir zu einem Treffen in die Karl-Liebknecht-Schule in Leverkusen. Am Wochenende vom 19. und 20. August 2006 trafen sich neun Genossinnen und Genossen, um dort zu be-raten, was man machen kann. Übrigens: Im Rahmen der Re-cherche zu diesem Artikel hat

sich der Autor durch alle Proto-kolle der DKP queer Bundestref-fen gearbeitet und festgestellt, dass schon vom ersten Treffen festgelegte oder auch nur an-gerissene Punkte umgesetzt wurden. Es folgen Auszüge vom ersten Bundestreffen: „Wich-tig ist, dass die queer-Gruppe sich nicht nur auf Mitglieder der DKP konzentriert“, „neben der Schwulen- und Lesbenpolitik muss die Queergruppe der DKP andere sexualpolitische The-menfelder besetzen und andere Minderheitengruppen miteinbe-ziehen“, „Thematik der Queer-gruppe muss von den Treffen in die Partei getragen werden und Bewusstsein für die entspre-chenenden Positionen geschaf-fen werden; Grundeinheiten müssen mit den Positionen der Queergruppe arbeiten können; es muss ein linkes Gegengewicht zur Mainstream schwulen- und lesben Politik aufgebaut wer-den“, „es wäre wünschenswert, wenn auch Sexualität im Sozia-lismus als grundsätzliches The-ma diskutiert werden würde“!

Auf der letzten Seite des Proto-kolls ist knapp vermerkt: „Die Anwesenden beschließen den Zusammenhang vorerst „DKP Queer“ zu nennen.“ Somit wurde DKP queer formell am 20.August

2006 gegründet. Bis wir „Kom-mission des Parteivorstands“ wurden, verging allerdings noch eine gewisse Zeit.

Auf dem zweiten Bundestref-fen von DKP queer, das vom 1. bis 3. Dezember 2006 in Frank-furt am Main stattfand, wurde der Beschluss gefasst, dass die CSDs von uns repolitisiert wer-den müssen. Und dass wir dem rechtslastigen LSVD den Allein-vertretungsanspruch aberken-nen. Auch wurde angemerkt, dass wir dringend eine ordent-liche Struktur haben müssen. Der Vorschlag, einen Sprecher-rat zu bilden, wurde durch das Konzept einer „Kollektive Lei-tung“ mit festen Aufgaben um-gesetzt, die dann auf dem drit-ten Bundestreffen, das vom 30. März bis zum 1. April in Hamburg stattfand, zu wählen war. Auf dem dritten Bundestreffen be-grüßten wir auch unseren dama-ligen Parteivorsitzenden Heinz Stehr sowie den Hamburger Be-zirksvorsitzenden Olaf Harms. Einigkeit bestand darüber, dass von der Gruppe eine Struktur gewünscht wird, die für die Mit-arbeit von Nichtmitgliedern der Partei offen ist. Heinz Stehr er-läuterte den Charakter von Kom-missionen des Parteivorstands und begrüßte die Gründung von DKP queer als Chance für die Partei, in einem speziellen Poli-tikfeld Positionen zu entwickeln. Es wurde in Hamburg vereinbart, dass auf der Tagung des Partei-vorstands am 9. September 2007 über die Bildung der Kommissi-

Fünf Jahre DKP queervon Thomas

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on des Parteivorstands „DKP queer“ beraten werden sollte. Das Selbstverständnis und die politische Zielsetzung von DKP queer sollten dort dem Partei-vorstand vorgestellt werden. Um den Beschluss des zweiten Bun-destreffens umzusetzen, wurde in Hamburg die erste Kollektive Leitung von DKP queer gewählt. Nachdem zwei Genossen der Kollektiven Leitung am Sonntag dem 9. September 2007 dem Parteivorstand unsere Arbeit erläuterten, wurde einstimmig die Gründung der Kommission beschlossen.

Seit dem ersten Bundestreffen arbeiteten wir an unseren Forde-rungen. Auf dem 18. Bundestref-fen in München in diesem März haben wir diese Arbeit endlich beendet und haben einen Forde-rungskatalog vorgelegt, der sich sehen lassen kann. Ursprünglich war vorgesehen, das so genann-te „Blaue Heft“ zu überarbeiten. Dies war jedoch nicht so einfach, wie wir es uns anfangs gedacht haben. Nachdem wir es dann in einen Forderungsteil und einen wissenschaftlichen Teil geteilt hatten, haben wir jetzt den For-derungsteil fertig und machen uns 2012 an den wissenschaft-lichen Teil. 2012 werden wir auch damit beginnen, die Geschichte der DeLSI (Demokratischen Les-ben und Schwulen Initiative), in deren Tradition wir uns sehen, zu erforschen und aufzuarbeiten. Es stehen also zwei inhaltlich aufwendige Projekte an, bei der wir jede Hilfe brauchen können.

Natürlich vernachlässigen wir dennoch nicht unsere anderen Aufgaben. Seit 2006 nehmen wir an verschiedenen Christo-pher-Street-Days teil. Sei es mit Verteilaktionen, Teilname an Demonstrationen oder einem Infostand. Seit Jahren haben wir einen Infostand am Festival der Jugend oder bei SDAJ-Pfi ngst-

camps. Mehrfach haben wir uns am UZ-Pressefest beteiligt, ha-ben bisher zwei Sommercamps organisiert und haben offensiv den DKP-Wahlkampf in Berlin unterstützt. Durch unsere Arbeit und unsere Aktivitäten haben wir schon mehrere Genossinnen und Genossen zum Eintritt in die DKP ermutigt.

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6 KULTUR

am 20. oktober 1991 verstarb unser genosse, der schriftsteller ronald m. schernikau. geboren am 11. juli 1960 in magdeburg wuchs er in lehrte bei hannover auf. kurz vor seinem abitur er-schien 1980 die „kleinstadtno-velle“. in diesem buch schrieb er über schwules coming out in einer kleinstadt, und es wurde sein erster bemerkenswerter erfolg, die lektoren des buchs

hielten ronalds geburtsdatum für erfunden. die erstaufl age war nach wenigen tagen schon vergriffen.

schon vier jahre zuvor wurde er mitglied der deutschen kom-munistischen partei, in der so-zialistischen deutschen arbei-terjugend war er schon länger aktiv. nach seinem umzug nach westberlin wurde er mitglied der sozialistischen einheitspartei westberlins. er studierte an der fu germanistik, philosophie und

psychologie. von 1986 bis 1989 studierte er in

leipzig. im mai 1988 legte er seine ab-schlussarbeit vor, die später unter dem titel „die tage

in l.“ veröffentlicht wurden. 1989 wurde ronald die staats-bürgerschaft der

deutschen demo-kratischen repu-blik verliehen, er

zog am 1. septem-ber 1989, dem fünf-zigsten jahrestag

des überfalls der faschi-

s t i s c h e n d e u t -

s c h e n w e h r -

macht auf polen, dem beginn des zweiten weltkriegs, nach berlin, hauptstadt der ddr, wo er als hörspieldramaturg tätig war. auf dem außerordentlichen schrift-stellerkongress des schriftstel-lerverbands der ddr der vom 1. bis 3. märz 1990 in berlin statt-fand hielt er eine vielbeachtete rede, in der er die entwicklung in der ddr charakterisierte. „der eine weiß das eine und der ande-re das andere. ich bin ronald m. schernikau, ich komme aus west-berlin, ich bin seit 1. september 1989 ddr-bürger, ich habe drei bücher veröffentlicht und ich bin kommunist.“ so begann er seine rede, die mit: „das einzige, das mich intressiert bei der ar-beit, ist: etwas loben können. Ich hasse negation. am 9. no-vember 1989 hat in deutschland die konterrevolution gesiegt. ich glaube nicht, daß man ohne diese erkenntnis in der zukunft wird bücher schreiben können.“ im jahr 1991 vollendete er noch seinen umfangreichen montage-roman mit dem titel „legende“. ronald m. schernikau starb am 20. oktober 1991 an den folgen seiner aids-erkrankung. beige-setzt wurde er auf dem friedhof der st. georgen-gemeinde in berlin-friedrichshain. wir haben mit ihm einen genossen, einen freund verloren.

zum 20. todestag unseres genossenronald m. schernikauvon marco

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THEORIE 7

Ich bin ein polyperverser, po-lyamouröser, bisexueller und ziemlich glücklicher Mensch. Das versetzt mich in die Lage, meine Sicht auf die Liebe zu ver-breiten, ohne dabei depressives Herzeleid zu verstreuen. Ich bin ein Verfechter der Freien Liebe. Schon deshalb, weil der Begriff immer total falsch verstanden wird.

Denn Freie Liebe bedeutet ja nicht, dass Jede und Jeder mit Jeder und Jedem herummachen soll, sondern darf – wenn es gewollt ist. Freie Liebe schließt alle Arten von Liebe ein und nicht aus. Sie ist kein Aufruf zur Promiskuität, kein Manifest für Sex überhaupt. Es geht um die Art der Partnerschaftlichkeit. Und natürlich kann die auch mo-nogam sein.

Die Freiheit, seine Liebesbezie-hung so zu gestalten, wie man – und sein (oder die) Partner – es will, ist eine Grundfreiheit. Ohne sie ist gar keine Freiheit denkbar. Gesellschaftliche Re-striktionen, die bestimmte (im Wortsinne) Lebensformen über gesellschaftliche Normen er-zwingen, gehen zwangsweise Hand in Hand mit notwendigen gesetzlichen Regularien. So ist Freiheit nicht möglich.

Als nach der Oktoberrevo-lution von 1917 in Russland u.a. von Alexandra Kollontai (1872-1952), aber auch von anderen, das restriktive Schei-dungsrecht der Zarenzeit ge-ändert wurde, fi elen auch ge-sellschaftliche Konventionen. Die Kommunehäuser (in denen es Gemeinschaftsküchen gab), die freien Kindergartenplätze, Mutter-und-Kind-Einrichtungen usw. ermöglichten es Frauen, ihre Lebensplanung zum ersten Mal in der russischen Geschichte selbst in die Hand zu nehmen. Und natürlich brachen die neuen Möglichkeiten auch die Schalen auf, die männliches Verhalten in der Gesellschaft bislang in einer engen Form gehalten hatten. Die Freiheit von Liebe und Sexu-alität fand allerdings ein bedau-erliches Ende in der Stalinzeit. Es wurde wieder auf heterose-

xuelle Zweierbeziehung gesetzt. Dass sich die Restriktion jedoch nicht wieder vollends durchset-zen konnte, zeigte sich z.B. in der DDR. Zu Zeiten, in denen in der BRD schon die Vermietung von Wohnraum an unverheira-tete Paare unter strafrechtlicher Verfolgung stand, ging man „drüben“ recht unverkrampft an die Sache heran. Jedenfalls, wenn das der Lebenseinstellung der Beteiligten entsprach.

Auch die Freiheit, homosexuelle Beziehungen zu leben, gestalte-te sich gänzlich unterschiedlich. Bereits im Jahr 1957 wurde die Strafverfolgung bei Erwachse-nen de facto eingestellt, wäh-rend es in der BRD noch über 3.000 Verurteilungen gab. 1968 wurde das Schutzalter von ein-undzwanzig auf achtzehn Jahre gesenkt.

Die Freiheit der Liebevon Leander Sukov

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8 GESCHICHTE

„Herrjeh, dieser Verräter! Hat für die Stasi spioniert, musste wohl Schwule aushorchen und schlimme Berichte schreiben. Und nach der Wende in einer ehemaligen Blockpartei unter-geschlüpft“ Ja, sowas hab ich öfter gehört, war ich doch ein lokaler C-Promi der schwulen Presse, dazu noch erster offen schwuler Bundestagskandidat einer bürgerlichen Partei „Ein Herz für die Stasi“ war noch eine humorvolle Überschrift. Dabei war mein Leben ganz anders...

Friedensbewegt groß geworden in Hamburg, immer schon inte-ressiert daran, wie Leute in so-zialistischen Ländern leben, mit viel Radio und Fernsehen aus der DDR, der UdSSR und sogar zwei Kurzwellenhörer-Diplomen von Radio Sofi a, war ich im März 1982 zum ersten Mal in Berlin – genau, Berlin, Hauptstadt der DDR.

Einmal die Linden runter, am Alex gelandet, und alles war wie im DDR-Fernsehen: Spaziergän-ger, Leute mit Einkäufen, viele Imbissbuden, und niemand sah verhungert aus.

Ich glaub, Bauz’ner Senf und meine erste Schachtel KARO haben meine Vorliebe für den

ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat wohl noch weiter bestärkt.

Kurz darauf zog ich nach West-berlin zum Studieren, nie weit vom Bahnhof Friedrichstraße entfernt. Musste sein. Schließ-lich musste ich mich regelmäßig mit KARO versorgen und mich mit Freunden in der DDR treffen. Pankow und den Prenzlauer Berg kenn ich noch heute wie meine Westentasche. Leider sind die alten schwulen Cafés und Knei-pen fast alle verschwunden – wobei, Gastronomie ändert sich ja überall.

Im Studium entdeckte ich dann auch die Marx-Engels-Werke, engagierte mich ein bisschen in der Schwulengruppenszene, fuhr auch einmal auf das interna-tionale Jugend- und Studenten-lager am Scharmützelsee (DDR), aber hab es nie geschafft, in die SEW (Sozialistische Einheitspar-tei Westberlins) einzutreten. Drei Anläufe verliefen erfolglos im Sande, später wusste ich, warum.

Am 18. März 1988 war es dann so weit: Auf dem Weg zu meinem Frisörtermin in Berlin zog mich der DDR-Zoll am Grenzübergang raus, und ein freundlicher End-

zwanziger namens Uwe kam zu mir in das kleine Zimmer, das ei-gentlich für Zollkontrollen vor-gesehen war. Aber es war keine Zollkontrolle, er sprach mit mir über den Weltfrieden und darü-ber, dass die DDR verlässliche Partner braucht. Ob ich mich mal mit ihm auf einen Kaffee treffen möchte? Ich hab keine Minute gezögert.

Unsere Treffen, zusammen mit dem erfahrenen Genossen Her-mann, wurden immer intensiver. Erst in Gaststätten, später in konspirativen Wohnungen. Zu-nächst haben wir nur politisch geplänkelt, dann lernte ich mei-ne Aufgabe kennen: Ich sollte in eine politische Partei eintreten, Augen und Ohren offen halten und den Genossen berichten. Nach kurzer Diskussion ent-schieden wir uns gemeinsam für die F.D.P., denn da konnte ich offen schwul agieren und war nicht deswegen erpressbar.

Dass ich schwul war, war für die Genossen vom MfS ein neutrales Thema, und sehr bald merkte ich, dass alles, was wir über meine für das MfS unwichtigen Freunde und Professoren plauderten, nur eine Vorbereitung darauf war, dass ich später als Kundschafter gut und präzise aufklären kann – Kontakte knüpfen, halten, unauffällig Informationen sam-meln. Kundschafter-Azubi war wohl die treffende Bezeichnung, intern hieß ich nun Jérôme. Noch im Sommer 1988 bestellte ich mein Abonnement der SEW-

»Ein Herz für die Stasi« oder wer Jérôme wirklich war...von Jérôme

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GESCHICHTE 9

Zeitung „Die Wahrheit“ ab, we-nige Wochen später kam dann täglich die FAZ.

Meine roten Freunde stieß ich immer wieder vor sämtliche Köpfe, wurde ein braver „Links-liberaler“ und hab alle Spuren meiner roten Vergangenheit in nächtlichen Aktionen entsorgt. Alles überhaupt nicht leicht, aber es musste wohl so sein.

Endlich in der F.D.P. angekom-men, war die DDR schon dabei, vom Kapital übernommen zu werden. Da stand ich nun – wie so viele andere Genossen – vor dem Scherbenhaufen. Natürlich musste ich erstmal eine „Beich-te“ bei den Westberliner Be-hörden abliefern (Hallo Verfas-sungsschutz!), aber die waren so überlastet, dass sie die be-kannten Geschichten über „Ver-strickungen“ hinnahmen und sich ansonsten nie merklich in mein Leben eingemischt haben. Inzwischen (2011) ist sowieso alles verjährt. Und wie weiter?

Ich hatte die Wahl: Sollte ich mich nun völlig zurückziehen, oder konnte ich anderweitig we-nigstens ein bisschen was aus meinem Scherbenhaufen ma-chen? Ich entschied mich dafür, weiter zu machen als „Linksli-beraler“. Ich kümmerte mich um Kreuzberger Kommunalpoli-tik, wurde Spitzenkandidat zur BVV-Wahl 1992, hab den F.D.P.-„Arbeitskreis Homosexualität“, der die „Kohl-Wende“ über-wintert hatte, innerhalb eines

Jahres von drei auf über 30 Mit-glieder bringen können, zu dem Thema kräftig gerödelt.

1994 wusste ich, dass alles nur noch nach vorn gehen kann, weil ich mich bald berufl ich aus Berlin weg orientieren musste. Also alles in die Schlacht! Am 18. März 1994 – pünktlich zu Jérômes sechstem Geburtstag – kandidierte ich gegen den da-maligen Bundeswirtschaftsmi-nister für den Landesvorsitz der Partei. Vorgeschlagen von den Julis. Normalerweise ein Haraki-ri-Unternehmen, deswegen war ich auch der einzige Freiwillige unter den Unzufriedenen. Aber das schaffte Bekanntheitsgrad.

Am gleichen Wochenende wurde ich dann noch Bundestagskan-didat. Der erste offen schwule Bundestagskandidat einer bür-gerlichen Partei – die schwu-len Gazetten überschlugen sich in Neugier und Interesse, aber auch in Häme über den aussichtslosen Platz auf der Landesliste. Immerhin lag ich immer wieder als Titelfoto in lo-kalen schwulen Werbeblättchen überall rum. Damals eine kleine Sensation, vier Jahre später gab es schon fast ein Dutzend offen schwule und lesbische Bundes-tagskandidaten, 2002 konnte man sie nicht mehr zählen. Der Durchbruch war geschafft, das Thema „Homo-Ehe“ belebte die öffentliche Diskussion. Später machte Berlins Bürgermeister den Satz „Ich bin schwul, und das ist gut so!“ populär.

Ich selber hab bereits am Wahl-abend 1994 erfahren, dass mei-ne „linksliberale“ politische Karriere am Ende war. Von der Wahlparty wurde ich vom F.D.P.-Landesgeschäftsführer in eine benachbarte Kneipe „entführt“, wo er mich verschmitzt anlä-chelte und sagte „Sie haben dei-ne Karte gefunden, Jérôme“. Es folgten noch ein paar politische Scharmützel in der Berliner Presse, zum Jahresende hab ich die Stadt verlassen, mir einen Vollbart wachsen lassen und mich daran gefreut, dass mich in dem andern Bundesland nie-mand mehr kennt. Gesellschaft-lich engagiert hab ich mich im-mer, darunter ein paar Jahre im evangelischen Kirchenvorstand – aber nie mehr parteipolitisch.

Erst 2010 – nach dem Ende der längstmöglichen Verjährungs-frist – suchte ich vorsichtig Kon-takt zur DKP, genauer zu Tho-mas von DKP queer. Ich wusste ja nicht, ob die Genossen mich überhaupt noch wollen... Und bin sehr freudig überrascht wor-den: Wir redeten und redeten von Nachmittags bis zum näch-sten Morgen. Mit welch offenen Armen mich die Genossen aufge-nommen haben, freut mich heu-te noch. Endlich konnte ich nun offi ziell ein Genosse in der Partei Ernst Thälmanns werden!

Übrigens, nur für den Fall, dass noch „alte Kollegen“ herumirren und sich nicht trauen, Kontakt aufzunehmen. Lasst von euch hören!

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10 GEGENWART

Das BRD-Bundeskabinett hat am 31. August die Errichtung der „Bundesstiftung Magnus Hirsch-feld“ beschlossen. Die Stiftung soll den Zweck haben, „sowohl an die Verfolgung Homosexu-eller durch die Nationalsozia-listen zu erinnern als auch die heutige Lebenswelt lesbischer Frauen und schwuler Männer zu erforschen. Damit soll der Diskriminierung von sexuellen Minderheiten in der Gesellschaft entgegengewirkt werden.“

Die Sprecherin für Lesben- und Schwulenpolitik der PDL-Bun-destagsfraktion Barbara Höll dazu: „Der Kabinettsbeschluss zur Gründung einer Bundesstif-tung Magnus Hirschfeld [...] ist ein überfälliger Schritt. Denn

erst mit über 10-jähriger Verspä-tung wurde damit der Bundes-tagsbeschluss zu Gründung des Instituts umgesetzt. Das Institut soll an die Forschung des jü-dischen Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld anknüpfen. Die Nazis jagten Hirschfeld aus dem Land und zerstörten sein Institut vollständig. Das Insti-tut wurde nie wieder aufgebaut. Doch die Forschung zu sexueller Vielfalt und Möglichkeiten des Abbaus von Diskriminierung ist das Eine, die Rehabilitierung und Entschädigung der verfolgten Homosexuellen das Andere. […] In der Bundesrepublik (und zu-vor in den Westzonen, Anm. der Red.) wurden von 1945 bis 1969 Homosexuelle nach dem von den Nazis verschärften §175 StGB

verfolgt, nur weil sie anders liebten. 100.000 Männer wurden angeklagt, 50.000 verurteilt. Sie müssen vollständig rehabilitiert und entschädigt werden, sonst verbleibt in der Gegenwart wei-terhin ein düsterer Schatten der Vergangenheit.“

DKP queer fordert die Aufarbei-tung und Rehabilitierung der Opfer des deutschen Faschismus und der Adenauer-Justiz, die nahtlos an die Justiz des deut-schen Faschismus anknüpfte. Was bei den Juristen, die ja auch direkt übernommen wur-den, kein Wunder war. Zwischen 1934 und 1945 kamen zwischen 10.000 und 15.000 schwule Männer ins KZ, die wenigsten haben den faschistischen Ter-ror überlebt. Da die wenigen Überlebenden, wenn sie nach 1945 erneut „straffällig“ wur-den, wieder nach dem gleichen Paragraphen verurteilt wur-den, wurde die Strafe aus dem Faschismus strafverschärfend mit angerechnet. Entschädigt wurde von BRD-Seite nicht ein „Rosa-Winkel“-Opfer! Die Opfer der BRD-Justiz schon gleich gar nicht. Zuletzt beantragten die Fraktionen von PDL und B’90/Grüne eine Rehabilitierung der Opfer des Paragraphen 175. Di-ese Anträge zur Aufhebung der Urteile in der BRD wurden 2009 von CDU/CSU, SPD und FDP – wen wundert es – abgelehnt.

Was Magnus Hirschfeld mit der neuen Stiftung zu tun hat, die von der Initiative „Queer Na-

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VORLETZTE SEITE 11

Die Anschläge vom 11. Sep-tember 2001 jährten sich zum zehnten Mal. Der nach diesen Attentaten einsetzende „Krieg gegen den Terror“ hat die Welt-ordnung tiefgreifend verändert. Die Muslime sind als Feindbild einer westlichen Moderne in den Vordergrund gerückt. Die Rechte von Frauen und Homosexuellen haben in diesem Zug und durch-aus im Zusammenhang damit eine beachtliche Aufwertung erhalten.

Während im „Westen“ zumindest einzelne Erfolge sichtbar wur-den, schien es um die sexuelle Selbstbestimmung in „musli-mischen Ländern“ und inner-halb muslimischer Migranten-Gruppen schlecht bestellt zu sein. Frauen- und Homosexuel-lenfeindlichkeit dienten so auch als Legitimation für außenpo-litische, zum Teil militärische Interventionen und vor allem für rassistische Kampagnen im Inland („antimuslimischer Ras-sismus“).

Der von Koray Yilmaz-Günay he-rausgegebene Sammelband mit Beiträgen in- und ausländischer Autoren blickt zurück auf die letzte Dekade und schaut auf die Überlappungen von femini-stischen und lesbisch-schwulen

Buch-Tipp!

»Muslime versus Schwule«tions“ initiiert wurde, müsste allerdings noch geklärt werden. 1926 reiste Hirschfeld auf Einla-dung der Regierung der UdSSR nach Moskau und Leningrad, und er blieb der Sowjetunion bis zu seinem Tod 1935 verbun-den. Antikommunisten und Ras-sisten, die bei „Queer Nations“ bis in hohe Funktionen vertre-ten sind, haben nichts mit ihm gemein. Genau so gut hätten sie die Stiftung nach Klaus Mann oder Ronald M. Schernikau be-nennen können. Die hätten mit „Queer Nations“ auch nichts zu tun haben wollen.

Der Stichwortgeber von Frau Höll, Bodo Niendel, ist übrigens auch Mitglied in dem Verein so-wie in dessen Vorstand tätig...

Für „Queer-Nations“-Chef Jörg Litwinschuh, welcher lange Jahre dem rechtslastigen Les-ben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) von Berlin-Brandenburg geschäftsführend vorstand, eröffnen sich mit der Entscheidung der Bundesre-gierung nach seiner Meinung „große Chancen, dass sich Wis-senschaftler wieder dem For-schungsfeld der Homosexualität widmen können“. Eventuell fällt ja auch ein lukratives Pöst-chen mal wieder für ihn ab. Das könnte der Grund sein, warum er der Meinung ist, dass die Höhe der Bundeszuwendung zum Stif-tungsvermögen von 10 Mio. Euro „für die Erfüllung der Stiftungs-aufgaben und -programme“ nicht ausreichen würden.

Debatten mit den Entwicklungen in der Mehrheitsgesellschaft. Er geht der Frage nach, ob bzw. wie die relativen Erfolge der Frauen- und Homosexuellen-Emanzipation unter anderem durch rassistische Rückschritte erkauft wurden.

Karriere eines konstru-ierten Gegensatzes: Zehn Jahre „Muslime versus Schwule“. Sexualpolitiken seit dem 11. September 2001, 212 Seiten, broschiert

zu beziehen über:Neue Impulse VersandHoffnungsstr. 1845127 EssenFon: 0201 2486482Fax: 0201 2486484Mail: [email protected]

Titelcover: Gerd Schmitt/Aykan Safoglu

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Sozialistisches Experiment

Wie Chávez Venezuela herunterwirtschaftet