Reeh,Römische Schiffe auf der Lahn

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1 Römische Schiffe auf der Lahn? Die Schiffbarkeit der Lahn vor 2000 Jahren Transportmöglichkeiten für schwere Lasten auf Land- und Wasserwegen zur „Römerstadt“ in Waldgirmes a. d. Lahn Hans Reeh

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Römische Schiffe auf der Lahn?

Die Schiffbarkeit der Lahn vor 2000 Jahren

Transportmöglichkeiten für schwere Lasten

auf Land- und Wasserwegen

zur „Römerstadt“ in Waldgirmes a. d. Lahn

Hans Reeh

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Inhaltsverzeichnis

Seite Vorbemerkung

1 Transportmöglichkeiten für schwere Lasten

1.1 Annahmen und Vermutungen über das Lahntal als Transportweg zur Zeit der römischen Okkupation Germaniens 4

1.2 Die derzeitige Faktenlage

1.2.1 Relikte, die eventuell einen Schwertransport erforderten 6

1.2.2 Der Zustand der historischen Lahn 6

2 Die geschichtliche Entwicklung des spätkeltischen Machtzentrums auf dem Dünsberg – Die politische Lage beim Eintreffen der Legionen des Drusus 9

3 Der Zustand der Lahn zur Zeitenwende – mögliche Lastschiffe 12

4 Eignet sich die Lippe als Modell für eine potentielle Lahnschifffahrt? 16

5 Alternativen zum römischen Transport schwerer Güter auf der natürlichen Lahn

5.1 Altwege und Fernstraßen

5.1.1 Altwege zum Dünsberg–Oppidum 20

5.1.2 Römerstraßen – Der Weg nach Norden 21

5.1.3 Altweg von Mainz - Wiesbaden über den Taunus nach Norden - Via Publica - 21

5.1.4 Altwege zum römischen Militärlager Dorlar und zum römischen Verwaltungszentrum Waldgirmes 22

5.2 Transportmittel – Wagen 24

6 Vergleich der Altwege mit der Lahnroute 27

6.1 Vergleich der Altwege unter 5.1.4 mit der Lahnroute 27

6.2 Caesar eilt den Ubiern zu Hilfe 29

7 Möglichkeiten zum Transport des Reiterstandbildes aus Italien 31

8 Zusammenfassende Gesamtbewertungen 32

Anhang:

Karte I – Römische Schiffe auf der Lahn? 36

Römische Militärlager zur Zeit der Okkupation Germaniens 37

Karte II – Römische Militärlager an der Lippe 38

Vergleichsdaten Lahn/Lippe u.a. 39

Karte III – Von der Rhônemündung bis nach Mainz 40

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Vorbemerkung

Seit der Entdeckung der kaiserzeitlich-römischen Siedlungsreste am Lahnufer in Waldgirmes bei Wetzlar im Jahre 1993 nahm mit Fortschreiten der Ausgrabungen das Interesse an der Frage zu, ob und inwieweit der Fluss der verkehrsmäßigen Anbindung dieser ersten aufgefundenen römischen Stadtgründung rechts des Rheins gedient haben könnte. Die nahe liegende Vermutung, dass für Versorgungsgüter und Baumaterial, ähnlich wie an der Lippe bei der Versorgung der zeitgleichen Militärlager, auch die Lahn als Transportweg vom Rhein bis hinauf nach Waldgirmes genutzt worden sein könnte, fand zahlreiche Verfechter. Insbesondere der Fund von Relikten eines römischen Reiterstandbildes aus Bronze und von Teilen der zum Sockel gehörigen Steinquader aus lothringischem Muschelkalk, also nicht vor Ort hergestellten, schwer zu transportierenden Lasten, schienen diese Vermutung zu bestätigen. Die Tatsache der relativen Armut an Funden, die auf eine römische Lahnschifffahrt hinweisen könnten, sowie die von Wasserbauingenieuren und einem historischen Geografen beschriebenen geologischen und hydrologischen Schwierigkeiten, vor denen die angenommene römische Flussschifffahrt gestanden haben muss, wurden als nicht schwerwiegend genug befunden, um sich von der Hypothese einer solchen Schifffahrt bis nach Waldgirmes zu lösen. Es erschien dem Verfasser, selbst Ingenieur, daher an der Zeit, die letztlich ungeklärten Fragen erneut aufzugreifen, die vorgetragenen Argumente einer Prüfung zu unterziehen und die bislang weitgehend vernachlässigte Alternative eines potentiellen Landtransportes vor allem schwerer Lasten zu untersuchen.

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1 Transportmöglichkeiten für schwere Lasten

1.1 Annahmen und Vermutungen über das Lahntal als Transportweg zur Zeit der römischen Okkupation Germaniens (10/9 v. u. Z. bis 9 u. Z.)

„Auch die Lahn scheint als Nachschubweg für das Lager Lahnau – Waldgirmes genutzt worden zu sein.“ 1

„Unter dem Eindruck, dass auch die anderen bisher in Germanien entdeckten augusteischen Stützpunkte an Flüssen liegen, muss man die Lahn künftig auch als Vormarschroute in Betracht ziehen, und der Raum um Koblenz bekommt dadurch ein anderes Gewicht.“ 2 „Es ist auffällig, dass sich die große Mehrzahl der bekannten augusteischen Militärstützpunkte oder Marschlager entlang der Lippe konzentriert. Dies kann kaum alleine mit der Rolle der Lippe als Vormarschweg erklärt werden, denn eine ähnliche Funktion besaßen auch die Lahn, der Main oder die später als „Hellweg vor dem Santforde“ bekannte Trasse, an der sich auch der Fundplatz von Kalkriese befindet. Bei einer entsprechenden großräumigen Verteilung der Gegner Roms wäre zu erwarten, dass auch an diesen Vormarschstraßen eine Konzentration militärischer Stützpunkte vorläge. Gerade im Bereich der Wetterau und der Lahntrasse ist der Befund römischer Militärlager aber erstaunlich schmal.“3 „Die Lahn war für die weiteren Verbindungen von Waldgirmes von entscheidender Bedeutung. Der Fund von bearbeiteten Architekturteilen aus Kalkstein, darunter zwei große Bauquader, die wohl aus dem Moselraum stammten, macht einen Transport über die Lahn wahrscheinlich, selbst wenn dies gerade im unteren Talabschnitt einen größeren Aufwand erfordert hätte. Augusteische Funde aus einer einheimischen Siedlung in Niederweimar bei Marburg verdeutlichen die Nutzung des mittleren Lahnabschnitts als Binnenschifffahrtsweg.“4 „Neben den auf den Bergen oder entlang der Berghänge verlaufenden Fernwegen (Wasserscheidenwegen) bildeten die Flüsse wichtige, wenn auch oft nur saisonal nutzbare Transportwege. Dies fällt besonders ins Auge, wenn man eine Karte der römischen Stationen im rechtsrheinischen Barbaricum betrachtet. An Lippe, Lahn und Main bildeten römische Militärlager und zivile Stationen wichtige Versorgungszentren für die einzelnen Regionen.“5 „Die Lage von Waldgirmes innerhalb eines Wege- und Kommunikationssystems mit weiterführenden Verbindungen nach Norden ist bereits mehrfach betont worden, die Möglichkeit bei entsprechendem Aufwand über die Lahn schwere Lasten oder Massengüter

1 Olaf Höckmann, In: Römer zwischen Alpen und Nordsee; Katalog – Handbuch zur Landesausstellung des Freistaates Bayern; Hrsg. v. Ludwig Wamser – 2000, S. 264 2 Siegmar v. Schurbein, wie Anmerkung 1, S. 36 3 Thorsten Mattern, Regionale Differenzierungen in den augusteischen Germanienfeldzügen; In: Kontaktzone Lahn, Studien zum Kulturkontakt zwischen Römern und germanischen Stämmen. S. 72 Herausgeber: Kai Ruffing, Armin Becker und Gabriele Rasbach. PHILLIPPIKA, Marburger altertumskundliche Abhandlungen 38, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2010 4 Armin Becker, Die Ausgrabung einer römischen Stadt. Waldgirmes im Lahn-Dill-Kreis. In: Hessen in der Antike. Die Chatten vom Zeitalter der Römer bis zur Alltagskultur der Gegenwart. Herausgegeben von Dorothea Rohde und Helmut Schneider. Euregioverlag, Kassel 2006, S. 70 5 Gabriele Rasbach, Verkehrswege und die wirtschaftliche Nutzung der Ressourcen in barbarico. In: Wie Anmerkung 3, S. 79

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zu transportieren wird durch die aus Steinbrüchen im Moselraum stammenden Kalksteinquader verdeutlicht.“6

„Schwertransporte aus dem Westen und Süden – z. B. die Bauquader aus Lothringen oder die Statuenteile aus Italien oder Gallien – wurden nicht weite Strecken über Land transportiert, sondern auf flachen Kähnen und Booten über den Rhein oder über Rhône und Mosel geschifft und sicherlich die Lahn aufwärts getreidelt. Dazu sind Stationen entlang der Lahn notwendig, die bisher jedoch noch nicht lokalisiert sind.“7 „Für die Lahn lassen geologische Bohrprofile deutliche Hinweise dafür erkennen, dass von einem tieferen, unverzweigten Gerinnebett in den Jahrhunderten um Christi Geburt auszugehen ist. Dadurch wäre die Lahn zumindest über weite Strecken als Versorgungsweg nutzbar gewesen.“8

„Im Lahntal zwischen Wetzlar und Gießen treffen verschiedene Altstraßen zusammen: erstens ein Weg aus der Region Koblenz kommend, zweitens ein Weg von Mainz entlang des Taunusfußes, drittens die Lahn selbst als Transportweg. Damit öffnete gerade das mittlere Lahntal den Weg für die Römer nach Osten, was neue Fundorte von römischen Anlagen wie zuletzt Hedemünden bei Hannoversch-Münden belegen.“9 „Zwischen Wetterau und dem mittleren Lahntal ist somit bereits eine Gruppierung frühkaiserzeitlicher Plätze erkannt, (Becker/Rasbach, Herrmann, v. Schnurbein 2003; 2004. Wigg), die als Ausgangsraum für die von Mainz und dem Rhein-Main Mündungsgebiet geführten, auf dem Wasserweg der Lahn logistisch gestützten römischen Feldzüge in die Chattia gelten kann.“10 „Der weiche, leicht zu bearbeitende Muschelkalk stammt, dies ergaben petrographische Untersuchungen, aus den Riffgebirgen des Lothringer Beckens. Indirekt ist damit der Beweis für die Nutzung der Lahn als Transportweg gegeben, denn für Schwertransporte dieser Art waren die vorrömischen Wege und die Transportwagen sicherlich nicht geeignet; ein gut ausgebautes römisches Straßensystem gab es noch nicht.“11 „Einerseits gehörte der Straßenbau schon damals zu den Aufgaben der höchsten Beamten, und andererseits ließen die in den eroberten Gebieten weiterentwickelten Trassen die Reichweite der römischen Herrschaft erkennen. Aber nicht immer können solche Wege in gerade besetzten Territorien nachgewiesen werden. Für Waldgirmes, die lange vor der Gründung der Provinz Obergermanien im Lahntal angelegte und mit einem Forum städtisch ausgebaute (polis) ist bislang keine Fernstraße nach Süden bekannt, obwohl die Siedlung nicht nur über den Wasserweg der Lahn versorgt worden sein dürfte. In Haltern richtete sich dagegen das auch zivil genutzte Gräberfeld eindeutig an der römischen, zum Lager führenden Heerstraße aus.“12

6 Armin Becker, Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins, Nr. 93 - 2008 7Gabriele Rasbach, Die römische Stadt von Lahnau – Waldgirmes. Kelten, Germanen und Römer im Lahntal, Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Bd. 95 - 2010 8Wie Anmerkung 5, S. 83. 9 Wie Anmerkung 5, S. 103 10Klaus Grote, Die Römer an der Werra. Das Militärlager aus der Zeit der augusteischen Germanienfeldzüge bei Hedemünden. In. Wie Anmerkung 4, S. 70 11 Gabriele Rasbach, wie Anmerkung 7 12 Margot Klee, Strassen der Macht, in: Lebensadern des Imperiums, Strassen im römischen Weltreich, S. 79, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2011

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„Die Lage der Fundstelle (Oberbrechen im Taunus) unmittelbar südlich des Lahntals, dessen Nutzung als Vormarschroute durch die Truppen Roms seit den Funden von Dorlar und Waldgirmes (beide Ortsteile der Gemeinde Lahnau, Lahn-Dill-Kreis) feststeht, widersprach einer solchen Datierung nicht.“ (Die Prägungen der im Lager Oberbrechen gefundenen Münzen datieren zwischen 123 v. u. Z. und 11/14 u. Z.).13 Die oben erwähnten Vermutungen werden mit der letztgenannten Aussage zur Gewissheit, ohne dass sich die Sachlage im Geringsten geändert hätte.

1.2. Die derzeitige Faktenlage 1.2.1 Relikte, die eventuell einen Schwertransport erforderten Die Fundamentmauern des Forums in Waldgirmes bestehen aus dem harten Kalkstein, der in der näheren Umgebung ansteht. (z. B. in Bieber a. d. Bieber). Das Füllmaterial der 2 x 3 m großen Grube für die Fundamentierung der lebensgroßen Reiterstatue konnte hingegen nicht mehr angetroffen werden. In einer von fünf Gruben fand man Bruchstücke von Kalksteinquadern und in allen anderen immer wieder fein bearbeitete Architekturteile, die offensichtlich zu dem oberirdischen Sockel gehörten, auf dem die Statue aufgestellt worden war. Der im Gegensatz zum heimischen Kalkstein weiche und deswegen leicht zu bearbeitende Muschelkalk, der für diese Architekturteile verwendet wurde, stammt gemäß einer petrografischen Untersuchung aus dem Riffgebirge des Lothringer Beckens.14 Die unter Abschnitt 1.1 genannten Vermutungen gehen vor allem davon aus, dass besonders der Transport der schweren Kalksteine aus dem oberen Moselraum nur über die Lahn vom Rhein nach Waldgirmes möglich war. Weitere Schwertransporte könnten noch für ein in einem Brunnen verbautes großes Fass sowie für die lebensgroße Reiterstatue aus Gussbronze erforderlich geworden sein.

1.2.2 Der Zustand der historischen Lahn Über den historischen Zustand der Lahn liegen zwei Studien vor, wobei der Wasserbauingenieur Martin Eckoldt die Entwicklung des Lahnausbaus seit der frühen Neuzeit bis zur Verlagerung des Transportes vom Wasser auf die Schiene beschreibt,15 während der M. A. und historische Geograph Oberst a. D. Eckhard Bremer im Auftrag des Landesamtes für Denkmalspflege Hessen eine Studie über den Zustand der Lahn um die Zeitenwende als möglichen Schifffahrtsweg verfasst hat.16 Um die historische Lahn zu erfassen, ist es zunächst erforderlich, den von M. Eckolt dargestellten Ausbau der Lahn als Schifffahrtsweg bis an die Anfänge im 16. Jh. zurück zu verfolgen und alle seit dieser Zeit entstandenen Wasserbauwerke wegzudenken .

13 Markus Jae, Vera Rupp, Römischer Bergbau rechts des Rheins schon in augusteischer Zeit? hessen-ARCHÄOLOGIE 2010 14Gabriele Rasbach, Die römische Stadt von Lahnau-Waldgirmes. Kelten, Germanen und Römer im Lahntal. Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins, Bd. 95 – 2010. 15 Martin Eckoldt, Die Geschichte der Lahn als Wasserstraße, Nassauische Annalen 1979 16 Eckhard Bremer, Studie zur Nutzbarkeit der Lahn zwischen Marburg und der Mündung in den Rhein als Wasserstraße in der Frühen römischen Kaiserzeit (unpubl.)

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„Der Zustand der Wasserstraße war von Natur aus für die Schifffahrt wenig günstig: Stromschnellen, große Steine, Sandbänke waren schwer zu überwinden, und es fehlte an einem durchgehenden Leinpfad, der für die Bergfahrt unerlässlich war. So konnten nur sehr kleine Fahrzeuge verwendet werden. Dies gab Anlass zur ersten Schiffbarmachung. Sie geschah 1593 – 1599 auf Befehl Graf Johanns VI. des Älteren von Nassau – Dillenburg.“ … „Vielleicht kannte er von dort (Holland) auch den Wasserbauingenieur Heinrich Wessel. Der mit ihm 1594 abgeschlossene Vertrag bestimmte, dass der Leinpfad auf dem rechten Ufer von Diez bis zum Rhein für Mann und Pferd brauchbar hergestellt werde. Große Steine und Sandbänke sollten beseitigt werden.“ … „Vor dem Ausbau konnte ein Fahrzeug 2 Fuder Wein und 40 Malter Korn laden.“ … „Die Arbeiten an der Lahn wurden offenbar nur z. T. ausgeführt, denn es verblieben noch über 50 Überschläge, also Stellen, wo der Leinpfad die Uferseite wechselte. Freilich boten vorspringende Felsen auch Schwierigkeiten, die mit den Mitteln jener Zeit nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten zu beseitigen gewesen wären.“ 17 Aus diesen Gründen ist ein durchgehender Leinpfad nie verwirklicht worden. Überträgt man die von Eckoldt genannten maximalen Volumina für Wein und Korn, die vor dem ersten Lahnausbau hoch getreidelt werden konnten, in das heutige Maßsystem, so erhält man ein maximales Gesamtvolumen von etwa 5 m³ und mit einem spez. Gewicht von 1 kg/dm³ umgerechnet ein Gewicht von etwa 5 t. Zu beachten ist dabei, dass es sich bei den von M. Eckoldt genannten Transporten um verhältnismäßig kleine Strecken handelte, maximal von Nassau bis Diez, also etwa 32 Flusskilometer. Man hätte die oben genannte Fuhre von Wein und Korn auch mit zwei bis drei Ochsenkarren bewältigen können; da es aber am Lahnufer nie durchgehende Wege gegeben hat, war ein Treideln - solange noch eine Handbreit Wasser unter dem kiellosen Boot war – vielleicht etwas einfacher als eine Ochsentour über die steilen und unwegsamen Lahnberge. Weder die verbrauchte Zeit noch menschenwürdige Arbeitsbedingungen spielten damals eine Rolle. Das Lahntal erlangt erst im Mittelalter eine gewisse Bedeutung, als die Bevölkerung zunahm und die ersten größeren Orte entstanden. Der Hauptgrund für diese Entwicklung dürfte der Reichtum an Bodenschätzen gewesen sein. Die Berichte über den Zustand der Lahn in dieser Zeit sind spärlich. Neben den oben geschilderten natürlichen Behinderungen werden in den Fluss hineinragende Mühlwehre angeführt.18 Wie Udo Lessem berichtet wurde 1276 bis 1289 Kalk zum Bau der Stadtmauer von Koblenz von Diez her auf der Lahn antransportiert.19 Mit welchen Fahrzeugen dies bewerkstelligt wurde, wird nicht erwähnt. Da diese Transporte flussabwärts erfolgten, ist an Flöße zu denken, deren Holz nach dem Entladen ebenfalls genutzt werden konnte. Rückblickend stellt Eckholdt fest: „Die Lahn dürfte unter den Flüssen ziemlich einmalig darin bestehen, dass nicht weniger als sechsmal im Verlaufe von fünf Jahrhunderten ein Anlauf unternommen wurde, den Fluss für eine den Ansprüchen der Zeit genügende Schifffahrt auszubauen.“ […] „Wenn die Güterschifffahrt nun endlich als unwirtschaftlich doch bis auf einen geringen Rest eingestellt worden ist, so ist das nicht als Scheitern zu betrachten, da die Natur des Flusses

17 Wie Anmerkung 15, S. 99 18Wie Anmerkung 15, S. 99 19 Wie Anmerkung 15, S.99

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unübersteigbare Schranken aufgerichtet hat, die hier einmal nicht wie in so vielen Bereichen durch Einsatz moderner Mittel beseitigt werden können.“20 Dieser Rückblick über mehr als 700 Jahre, in denen Transporte auf der Lahn durchgeführt wurden, zeigt eine technische Entwicklung auf, die zunächst durch eine vermehrte Ansiedlung im Lahntal und zum anderen in der frühen Neuzeit auf einem wirtschaftlichen Aufschwung basiert, den Martin Eckoldt so begründet: „Wir befinden uns in dem reichen, durch Reformation und Humanismus geistig angeregten Deutschland der Zeit vor dem Dreißigjährigen Kriege, in der tatkräftige, patriarchalisch regierende Fürsten die Wirtschaft ihres Landes auf vielfältige Weise zu heben verstanden. Dazu gehörte auch die Anlage von Wasserstraßen, von denen gerade in jenen Jahrzehnten eine ganze Reihe geschaffen wurde.21 Die oben erwähnte Studie von E. Bremer wird unter Abschnitt 3 ausführlich behandelt, weil sich diese Arbeit mit dem Thema: „Wie sah die Lahn vor 2000 Jahren aus?“ eingehend befasst.

20 Wie Anmerkung 15, S. 121 21 Wie Anmerkung 15, S. 100

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2. Die geschichtliche Entwicklung des spätkeltischen

Machtzentrums auf dem Dünsberg – Die politische Lage beim

Eintreffen der Legionen des Drusus Im Gegensatz zu dem hessischen Lauf des Untermains, dem Neckar–Altlauf und der Region um die Rhein–Main Mündung, wo z. B. umfangreiche Bronzefunde, oft Importe aus fernen Regionen, aber auch zahlreich vorgeschichtliche und eisenzeitliche Objekte geborgen werden konnten, sind vom mittleren und unteren Abschnitt der Lahn lediglich einige Einzelfunde bekannt. Erst dank der relativ systematischen Absammlung von Kieslaufbändern in der Lahnweitung bei Gießen zwischen Heuchelheim und Dutenhofen konnten zahlreiche metallene Gegenstände aus vorgeschichtlicher Zeit geborgen werden. Diese Fundkonzentration ist sicherlich nicht nur mit der alten Lahnfurt, die im Verlaufe der alten historischen „Weinstraße“ von Süd- nach Nordhessen liegt, zu erklären sondern spiegelt wahrscheinlich die Überreste einer Flussopferstätte wieder, die im örtlichen Siedlungsgefüge des Dünsberg-Oppidums gesehen werden muss.22 Die Besiedlung des oberen Lahntals erfolgte in vorgeschichtlicher Zeit in den erweiterten Talbecken an hochwasserfreien Hängen durch eine landwirtschaftlich orientierte Bevölkerung, die sich die fruchtbaren Lössböden zu Nutze machte. Dies gilt besonders für das Amöneburger-, Gießener- und das Limburger Becken. In der Eisenzeit (ca. 800 v.u.Z. bis zur Zeitenwende) spielten die Eisenerzvorkommen an Lahn und Dill eine besondere Rolle: Diese Erze waren im heimischen Raum vorhanden, während die in der vorausgehenden Bronzezeit für die Herstellung der Bronze erforderlichen Legierungbestandteile Kupfer und Zinn teuer erworben werden mussten. Das Zinn wurde hauptsächlich aus Südengland (Cornwall) eingeführt. Die Kulturträger der Eisenzeit, die Kelten, siedelten nördlich der Alpen bis nach Mittelhessen. Anhand der vor allem in den letzten Jahrzehnten archäologisch erschlossenen geschichtlichen Gegebenheiten in diesem Raum lässt sich folgendes feststellen: In der Späthallstadt-/Frühlatènezeit (6./5. Jh. v.u.Z.) bildete sich am Rande des Vogelsberges auf dem Glauberg in der Wetterau ein keltischer „Fürstensitz“ heraus.23 An den Hängen des Taunus entstand später das Heidetränk-Oppidum, von dem aus weiterhin die fruchtbare Wetterau und die Salzgewinnung im heutigen Bad Nauheim kontrolliert werden konnten.24 Ein weiteres Vorschieben der keltischen Kultur nach Norden zum Dünsberg- Oppidum kann anhand von Münzfunden nachvollzogen werden: “Der Münzbestand des Dünsbergs gehört mehrheitlich zusammen mit Schüssel- und geschweiften Fibeln in die Spätphase der Besiedlung Lt D2 – etwa 55 bis 15 v. Chr., die auf der Heidetränke nicht mehr erreicht wird. Der Dünsberg blüht mit zwei lokalen Münzprägungen am Übergang zur Stufe Lt D2 auf,

22 Fritz-Rudolf Herrmann und Albrecht Jockenhövel; Die Vorgeschichte Hessens, Flussfunde S. 363 ff., Theis Verlag, Stuttgart 1990 23 Fritz-Rudolf Herrmann und Otto-Herman Frey; Die Keltenfürsten vom Glauberg, Wiesbaden 1996 24 Wie Anmerkung 22, Seite 461

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während das Siedlungs- und Wirtschaftszentrum der Heidetränke – wie die gesamte süddeutsche Oppidakultur um die Mitte des 1. Jh. v. Chr. - seinem Ende entgegen geht“.25 Damit war der Dünsberg der nördlichste, die Landschaft beherrschende Machtbereich der keltischen Welt geworden. Die Lage des fast 500 m ü. NN hohen Berges im Lahnbogen zwischen Marburg, Gießen und Wetzlar begünstigte hier eine Besiedlung seit der Bronze- und Urnenfelderzeit. 26 Vor allem durch die von 1999 bis 2004 mit Archäologen und freiwilligen Helfern aus aller Welt durchgeführten Grabungen konnten wesentliche Erkenntnisse zur Konstruktion der untersten (spätlaténezeitlichen) Mauer sowie zur Besiedlung und Wasserversorgung gewonnen werden.27 28 Seit etwa dem Jahr 50 v. u. Z. wanderten elbgermanische Stämme in das von den keltischen Bewohnern bis spätestens 20 v. u. Z. weitgehend verlassene Machtzentrum im Bereich des Dünsbergs ein. Die zeitlich in die erste Bauphase der römischen Stadtgründung Waldgirmes eingeordneten keltischen Münzen vom Typ „Tanzendes Männlein“ zeigen die schlechtesten Ausprägungen der Bilder auf der Vorderseite im Vergleich zu den auf dem Dünsberg in der Spätlaténezeit geprägten Münzen gleichen Typs.29 Das gleiche Phänomen zeigt sich bereits nach der Umsiedlung der Dünsberg-Kelten in den Kölner Raum. Vgl. Anmerkung 25. Auch dort sind die auf den Münzen befindlichen Symbole immer weniger ausgeprägt und degenerieren schließlich bis zur Unkenntlichkeit. Nirgends zeigt sich der Niedergang der keltischen Kultur auf beiden Seiten des Rheins deutlicher als an dieser Degeneration der Münzbilder: Die vorher in der keltischen Welt allgemein verständlichen symbolisierten Mythen und göttlichen Wesen wurden nicht mehr verstanden und die Münzen wurden nur noch nach ihrem Materialwert beurteilt. Für den Handel mit den römischen Legionären reichte dies zunächst aus, bis dann die römische Währung übernommen wurde.30 Daraus ist andererseits ersichtlich, dass beim Eintreffen der Römer trotz der Umsiedlung in den Kölner Raum eine gewisse keltische Restbevölkerung im Dünsbergland verblieben war. Dabei dürfte es sich in erster Linie um Eisenhandwerker und Köhler gehandelt haben, die im Kölner Raum mangels Eisenvorkommen nicht benötigt wurden, im Dünsbergland aber wegen ihrer speziellen Kenntnisse für die Römer wichtig waren. Als Drusus auf Geheiß von Kaiser Augustus in den Jahren 10 und 9 v.u.Z. gegen die von Rom abgefallenen Chatten zog, fand er somit eine Infrastruktur vor, die ihm seinen Kriegszug wesentlich erleichterte: Altwege in der Dünsbergregion sowie durch das Maintal und die

25 Jens Schulze-Forster, der Dünsberg bei Gießen, hessen-ARCHÄOLOGIE 2002, Theiss, Stuttgart 2003 26 Christoph Schlott, Zum Ende des spätlaténezeitlichen Oppidum auf dem Dünsberg, Forschungen zum Dünsberg,2, éditions monique mergoil montagnac 1999. 27 K.-F. Rittershofer, Ausgrabungen 1999 bis 2003 am keltischen Oppidum auf dem Dünsberg bei Gießen. Bericht der Römisch – Germanischen Kommission 85, 2004 28 Claudia Nickel, 10 Jahre Grabungen am Dünsberg – Überblick und Perspektiven, Bericht der Kommission für Archäologische Landesforschung in Hessen, Bd. 10, 2010, S. 175 bis 188 29 Wie Anmerkung 14 30 Hans Reeh,. Die Symbolik keltischer Münzen. Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Gießen, 93. Band, 2008

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Wetterau, eine nicht feindlich gesinnte Bevölkerung und in der Wetterau ausreichend Getreide für die täglichen Rationen seiner Soldaten. Durch die zu vermutenden über Jahrzehnte bestehenden Kontakte der römischen Händler mit den Dünsbergkelten - die „Alte Weinstraße“ war in militärisch ruhigen Zeiten vor allem ein Handelsweg - dürften Rom die Wetterau und ihre Bewohner bekannt gewesen sein. Wie sonst, wenn nicht mit Hilfe der einheimischen Bevölkerung war es möglich, im augusteischen Militärlager in Rödgen bei Bad Nauheim31 drei riesige Getreidespeicher für die Proviantierung der Truppen des Drusus zu füllen. Trotz dieser strategischen Vorteile konnte Drusus allerdings der inzwischen überwiegend germanischen Bevölkerung im Lahnbogen, den die „Alte Weinstraße“ tangierte, nicht trauen. Das ehemals mächtige Bollwerk Dünsberg stellte noch immer ein militärisches Hindernis dar, obwohl es vielleicht nur noch als Fliehburg genutzt werden konnte. Zumindest der Rückzug des Drusus nach Mainz dürfte bedroht gewesen sein. Relikte von römischen Schleuderbleien, Geschossbolzen, Schuhnägel u. a. weisen auf Kämpfe vor der äußeren Mauer und vor dem Südtor (Tor IV) hin. (Anmerkungen 26, 27 und 28) Das von seiner Bauart her augusteische Marschlager in Dorlar an der Lahn war mit einer Fläche von etwa 21 ha geeignet mehr als eine Legion römischer Soldaten aufzunehmen.32 S. v. Schnurbein ordnet die am Schluss der Grabung 1992 in einer Abfallgrube entdeckte Scherbe eines römischen Trinkbechers eindeutig in die frühe Kaiserzeit ein, da sie im Römerlager Haltern beste Vergleichsstücke hat. Auch eine von der Lagerfläche aufgelesene Scherbe einer Amphore deutet auf diesen Zeithorizont hin. Damit war davon auszugehen, dass Dorlar in die Zeit der augusteischen Züge nach Drusus einzuordnen war.33 Nachdem 1993 die 2 km vom Lager Dorlar entfernte Römerstadt Waldgirmes entdeckt und in den nächsten Jahren archäologisch untersucht wurde, ergab sich, dass auch das römische Waldgirmes in die Periode der „Halternkeramik“ einzuordnen ist. So konnten diese Keramikscherben auch von dort in das Lagerareal von Dorlar gelangt sein – z. B. bei einer Inspektion des nach fünf Jahren vermutlich noch bestehenden Wall-Graben-Systems.34 Nach M. Junkelmann führten die römischen Legionäre auf ihren Märschen keine zerbrechlichen Keramikgefäße, sondern metallene Feldflaschen mit, was diese Vermutung bestätigen dürfte.35 Zudem sprechen viele strategische Vorteile dafür, dass das Marschlager Dorlar als Basislager für die Dünsbergzerstörung durch Drusus diente.36 Wo sonst war im Lahnbogen um die Zeitenwende ein zu zerstörendes Objekt, das diesen Aufwand an militärischer Präsenz berechtigt hätte? Diese endgültige Zerstörung des Dünsberg-Oppidums und die damit einhergehende Einschüchterung der Bevölkerung dürfte eine wesentliche Voraussetzung für die nur etwa

31 H. Schönberger, Augusteische Versorgungsstation, in: Die Römer in Hessen, S. 238 – 240, hrsg. von Dietwulf Baatz und Fritz –Rudolf Herrmann, Konrad Theis Verlag, Stuttgart 1982 32 Siegmar v. Schnurbein, Das neue Römerlager in Dorlar, Denkmalpflege in Hessen, 2/1993 33 Siegmar v. Schnurbein, wie Anmerkung 1, Seite 36 34 Hans Reeh, Altwege im Bereich des vom Dünsberg beherrschten Lahnbogens zwischen Marburg, Gießen und Wetzlar. Unter besonderer Berücksichtigung des römischen Militärlagers Dorlar und der römischen Stadtgründung Waldgirmes. MOHG NF89, 2004 35 Markus Junkelmann, die Legionen des Augustus, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1997; S. 199, Tafel 66a,b. 36 Wie Anmerkung 34

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fünf Jahre nach dem Drususfeldzug begonnene römische Stadtgründung im heutigen Waldgirmes gewesen sein. Ein Grund für die Platzwahl auf der Anhöhe über der Lahn dürfte vor allem die infolge der vorausgegangenen keltischen Besiedlung vorhandenen Wege und Fernstraßen, sowohl die zumindest noch im Ansatz vorhandenen kulturellen Errungenschaften, wie z. B. die Geldwirtschaft, sein. Wie alle übrigen römischen Militärlager wurde das Marschlager in Dorlar sowie die römische Stadtgründung in Waldgirmes an einem Fließgewässer, in diesem Fall an der Lahn angelegt. (Siehe hierzu „Römische Militärlager zur Zeit der Okkupation Germaniens“ im Anhang.) Der Grund hierfür dürfte zunächst in der Bereitstellung von Trinkwasser, die Abwasserentsorgung sowie die für die Ernährung wichtige Versorgung mit Frischfisch gewesen sein.

3 Der Zustand der Lahn zur Zeitenwende

– mögliche Lastschiffe Archäologische Nachweise irgendwelcher Wasserbaumaßnahmen wie der Bau von Wehren, Laufbegradigungen, Uferbefestigungen, Beseitigungen von Felspartien usw., in der vorrömischen Eisenzeit, der römischen Kaiserzeit oder im frühen Mittelalter sind bisher nicht bekannt geworden und angesichts der bisherigen Forschungsergebnisse zu den Lebens- und Wirtschaftsformen rechts des mittleren Rheins auch wenig wahrscheinlich.37 Um den Zustand der natürlichen Lahn zu ermitteln, ist es nicht nur erforderlich, die von Eckoldt beschriebenen Wasserbauwerke (vgl. Anmerkung 15) wegzudenken, sondern auch die in den letzten 2000 Jahren erfolgten natürlichen Veränderungen des Flussbettes und der Uferbereiche zu berücksichtigen, wie dies in der Studie von E. Bremer (vgl. Anmerkung 16) dargelegt wird. Nach E. Bremer kann die natürliche Lahn in folgende drei Abschnitte je nach Schwierigkeitsgrad für die Schifffahrt eingeteilt werden:

Abschnitt I: Von Marburg bis Wetzlar Abschnitt II: Von Wetzlar bis Diez Abschnitt III: Von Diez bis zur Mündung in den Rhein bei Lahnstein.

Zu I.: Die Lahn ist in diesem Abschnitt insgesamt wenig Wasser führend, breit, langsam fließend, vielfach verzweigt, stark mäandrierend mit weiter Aue. D. h.: Sie hat hier den Charakter eines Tieflandflusses ähnlich wie die Lippe. Mit einer Ausnahme: Nachdem das Badenburger Wehr heute nicht mehr vorhanden ist, wird der nun wieder sichtbare felsige Untergrund, der zudem ein starkes Gefälle hat, als Trainingsstrecke für Kanuten genutzt. Als weitere Schifffahrtshindernisse sind neben dem meist geringen Wasserstand vor allem zahlreiche Sand-, Kies- und Schotterbänke zu nennen. Neuzeitliche Bohrungen im Lahnbereich und Erfahrungen aus Baumaßnahmen im Bereich der Wehre und Brücken von Gießen ergaben, dass die anstehende Grauwacke im Stadtgebiet überall erst unter einer 4 bis 8 m tiefen Schotter- und Kiesschicht anzutreffen ist. Wehre wie Brücken sind hier auf Roste bzw. Pfähle gesetzt worden, die z. T. bis an den Fels hinabreichen. Diese Feststellungen bestätigen den Eindruck von gewaltigen Flusssedimentationen über dem anstehenden Fels im gesamten Giessener Becken; die historischen Furten (Achstätter Furt, Wolfsfurt) müssen hier über Schotterbänke geführt haben.

37Wie Anmerkung 16

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Zu II: Im heutigen Stadtgebiet von Wetzlar führt die Dill etwa 40 % der durchschnittlichen Wassermenge der Lahn zu und bringt entsprechende Sedimentmassen mit. Der dadurch entstehende Schwemmkegel könnte die Schifffahrt auf der natürlichen Lahn stark behindert haben. Eine Vielzahl unterschiedlicher Schifffahrtshindernisse oder –hemmnisse, die in ihrer Summe diesen Abschnitt für eine Lastschifffahrt sehr problematisch machten, wurden festgestellt. Stromschnellen, Felsbänke, bis an das Wasser heranreichende Felswände, hervorstehende gefährliche Felsklüfte, Kiesbänke. Besonders erwähnt werden römerzeitliche Stromschnellen beim heutigen Runkel. Bei Limburg befand sich eine flache, breite großflächige Stromschnelle. Insgesamt stellt E. Bremer 32 geologische Hemmnisse für die historische Schifffahrt fest. Die meisten der 18 im Flussbett liegenden Bänke aus festem Schotter oder Fels bildeten Stromschnellen und dürften in augusteischer Zeit schwer, im Einzelfall auch gar nicht zu befahren gewesen sein. Besonders in der Bergfahrt hätte die Strömung über den abschüssigen Felsbänken, der Fahrzeuggröße enge Grenzen gesetzt. Bei Niedrigwasser wird eine Passage in beiden Richtungen in der Regel ausgeschlossen gewesen sein. Dann war eine Schifffahrt nur abschnittsweise in den Bereichen tiefen Wassers möglich. Die durchschnittliche Wassermenge ist doppelt so groß anzunehmen wie in Abschnitt I. Zu III: Von Diez bis Lahnstein befindet sich die eigentliche Gebirgsstrecke. An den oft steil aufragenden Prallhängen fehlt die Aue ganz, dadurch musste in der historischen Schifffahrt wegen des flussauf dringend erforderlichen Leinpfades ständig die Seite gewechselt werden. (Überschläge ab Diez an etwa 50 Stellen). Die Schwemmkegel der Zuflüsse sorgten für Einengungen oder gar Verschüttung des Fahrwassers. Für diese drei Abschnitte werden von E. Bremer folgende den Verhältnissen angepasste Schiffstypen vorgeschlagen: Für Abschnitt I: Von Marburg bis Wetzlar: Vom augusteischen Waldgirmes bis zur Siedlung von Niederweimar dürfte eine lokale Schifffahrt mit Einbäumen auf der seichten, langsam fließenden Lahn möglich gewesen sein. Für Abschnitt II: Von Wetzlar bis Diez: Wasserfahrzeuge in der für den Flussabschnitt I skizzierten Größenordnung waren sicher auch im Abschnitt II zu verwenden, wenn die Boote robust genug gebaut waren, um Zusammenstöße mit Steinen und Felsen zu überstehen, aber auch leicht genug, um über die Hindernisse gezogen oder um sie herum getragen zu werden. Da die verfügbare durchschnittliche Wassermenge jedoch mehr als doppelt so groß anzunehmen ist wie im Abschnitt I sind auch Boote für den Warentransport vorstellbar, die größer geschnitten waren, wenn man in der Bergfahrt das häufig erforderlich werdende Umladen der Ladung in andere, oberhalb der Hindernisse verkehrende Fahrzeuge in Kauf zu nehmen bereit war. Allerdings ist eine Lastschifffahrt in beiden Richtungen auf diesem Flussabschnitt, auch auf kleineren Strecken, aus historischer Zeit nicht bekannt. Ob dafür ausschließlich politische Gründe ausschlaggebend waren, ist unklar. Lediglich ein in Dielheims Antiquarius geschildertes Beispiel der Nachenfahrt von Marburg bis Diez zeigt, dass das durchgehende Befahren dieses Abschnittes mit nicht zu großen Booten, zumindest in Talfahrt möglich war. Dabei musste das Boot an geologischen Hindernissen und Mühlenwehren umgesetzt werden. Für Abschnitt III: Von Diez bis Lahnstein:

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E. Bremer suchte nach für die Verhältnisse der natürlichen Lahn besser geeigneten römischen Schiffstypen und stellte hypothetische Betrachtungen über im wesentlichen auf Grabmälern dargestellten Lastschiffe an, die im Gegensatz zu einem Prahm einen spitzen oder halbrunden Bug bei nicht allzu großer Länge haben sollten. Wegen der räumlichen Nähe des Fahrgebietes wurden zunächst jene beiden kanuartigen Boote betrachtet, die auf dem Grabmal der Secundinier in Igel an der Mündung der Saar in die Mosel abgebildet sind – entsprechende Wracks wurden bisher allerdings nicht gefunden. Als realen Anhalt für Breite und Höhe gibt es neben den recht realistisch erscheinenden Abbildungen, einen kaiserzeitlichen Altfund aus Wanzenau (Forrer 1912), der neben Mühlsteinen und Werkzeugen einen halben gerundeten Bootsspant ans Licht brachte. Im Museum für antike Schifffahrt in Mainz wurde versucht, für die beiden offenbar baugleichen Transporter von Igel in Anlehnung an die Abmessungen des Spants von Wanzenau eine Berechnung der Ladekapazität mit folgendem Ergebnis vorzunehmen: Der Entwurf entspricht einem Kleinfahrzeug mit einem Leegewicht von rund 0,8 t, das bei einem Tiefgang von zwei Dritteln der Bauhöhe mittschiffs ungefähr 5 t Fracht tragen kann. Die wichtigsten zugrunde gelegten Abmessungen des Rumpfes gibt Bockius mit 6,7 m Länge und knapp 2 m Breite in der Mitte an. Dieser Moseltransporter ist offenbar mit recht dünnen Planken rekonstruiert und er kann schon deshalb mehr Ladung im Verhältnis zum Gewicht aufnehmen, weil er weder über Mast noch Deck, noch Hütte verfügt und mit der gesamten Bootslänge den Auftrieb nutzen kann. Für die felsige Lahn der Gebirgsstrecke mit ihren Stromschnellen ist hingegen von einer sehr robusten Bauart mit 6 cm dicken Eichenplanken und einem fast 6-fach höheren Schiffgewicht auszugehen. Die Nutzlast verringert sich dann entsprechend. Die Igeler Lastkähne scheinen also für die Mosel des 4. Jh. optimiert gewesen zu sein. Ihre Eignung für die natürliche Lahn in den Flussabschnitten II und III muss nach Auffassung von E. Bremer angesichts der wenig ausgeprägten Steven und der leichten Bauweise bezweifelt werden. Als Anhalt für eine augusteische Lastschifffahrt im Flussabschnitt III kommen aber nach E. Bremer auch mehrere kaiserzeitliche, relativ kurze Boote mit spitzem oder halbrundem Bug von der Donau, dem Tiber, vom Cabrières d`Aigues im Rhônegebiet, aber auch vom Nehalennia – Altar in Collijusplaat in den Niederlanden, von denen Reliefbilder erhalten sind, infrage. Mit ihren konkav oder konvex gestalteten hohen Bug- und z. T. auch Heckformen scheinen sie besonders für das Befahren von Stromschnellen geeignet gewesen zu sein .Der spitze oder nur leicht gerundete Bug erleichterte das Einhalten der Fahrtrichtung sowohl in der Talfahrt wie beim Treideln stromauf und bot starker Strömung weniger Widerstand als breite Kaffen. Die geringe Länge sicherte Wendigkeit. Ein weitgehend ebener Boden wäre angesichts der häufig geringen Fahrwassertiefen der Lahn von Vorteil gewesen. Bockius (2001, 142 f.) schätzt aufgrund vergleichender Überlegungen die Länge des Originals auf gut 13 m, die Breite auf 4 m und die mittlere Bauhöhe auf 1,20 m. Mit solchen Maßen wären die Tiberkähne nach Auffassung von E. Bremer für die natürliche untere Lahn zu groß gewesen. E. Bremer schlägt daher vor, sich für diesen Fluss Schiffe dieser oder ähnlicher Form, aber mit gegenüber den oben angeführten Annahmen um mindestens ein Drittel geringeren Dimensionen als geeignet vorzustellen. Somit wäre etwa eine Länge von 8,5 m, eine Breite von 2,5 m und eine mittlere Bauhöhe von etwa 0,8 m als realistisch anzusehen. Damit nähert man sich den Abmessungen von Einbäumen, die in ihrer Form bereits den bis in die Neuzeit in Mitteleuropa verwendeten historischen Nachen gleichen, von denen wir wissen, dass sie auch auf der Lahn vielfache Verwendung fanden.

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Um ein solches Fahrzeug handelt es sich bei dem als „Schiff 3“ bezeichneten Einbaum von Zwammerdam (NL) aus dem 3. Jh., der zusammen mit Lastprahmen bei dem römischen Kastell Nigrum Pullum ausgegraben wurde. Da vom Fahrzeug die Steuerbordseite in der vollen Länge von 10,40 m erhalten ist, kann es leicht und ohne größere Annahmen rekonstruiert werden: Der Einbaum–Trog ist aus einem Eichenstamm von rd. 9,70 m gebeilt worden. Darauf wurde ein 0,25 m hohes Setzbord aufgesetzt, womit sich eine Gesamthöhe mittschiffs von 0,43 m ergibt. Die Breite beträgt in der Mitte, oben 1,4o m, am Boden dagegen nur 0.6m. Die Dicke der Wände und des Bodens des ausgehöhlten Baumstammes beträgt lediglich 3,5 bis 4 cm, die des Setzbordes 4 bis 4,5 cm. Das ebene Mittelstück des Rumpfes hat eine Länge von 5 m. Ohne Spanten und Zubehör ergab die Berechnung mit einem spez. Gewicht von 0,7 kg/dm³ ein Gesamtgewicht von 310 kg. Ein pauschaler Zuschlag für Zubehör wurde mit 40 kg einbezogen. Die Wasserverdrängung ergab bei einem Freibord von 0,15 m 1070 kg. Das Gewicht des Bootes davon abgezogen ergibt eine Tragfähigkeit des Bootes von 720 kg = 14,4 Zentner. Geht man davon aus, dass 5 Mann dieses Boot auf der natürlichen Lahn notfalls um Schifffahrtshindernisse herumtragen, also auch mitfahren mussten, um zur Stelle zu sein, wenn man auf sich allein gestellt den Fluss befuhr, sind von der Tragfähigkeit noch mindestens 5 x 70 = 350 kg abzuziehen. Das führt zu einer restlichen Kapazität für die Mitnahme von Waren von 370 kg. Inwieweit Schiffe dieser Art auch auf dem hindernisreichen Flussabschnitt III einsetzbar waren, muss angesichts unsicherer Informationen über den tatsächlichen Hinderniswert mancher Stromschnellen offen bleiben. Sollte Transportschifffahrt auch hier erforderlich geworden sein, so wird man die Notwendigkeit der Umgehung einiger möglicherweise kataraktartiger Hindernisse auf dem Landweg (Umladen) nicht ausschließen können. In der Gebirgsstrecke musste man in den Bereichen mit starkem Gefälle, auf jeden Fall aber in den Stromschnellen, Wasserfahrzeuge in Bergfahrt in aller Regel mit Menschenkraft ziehen. Ein Treidelpfad war also unverzichtbar. Angesichts der geologischen Gegebenheiten der Gebirgsstrecke hätte allerdings ein römerzeitlicher Treidelpfad mindestens ebenso oft wie der historische das Ufer wechseln müssen. (Etwa 50 Überschläge). Auf den letzten 12 Lahnkilometern zwischen Bad Ems und der Mündung in den Rhein ist angesichts der verfügbaren Wassermenge ein Verkehr mit auf dem Rhein fahrenden, nicht zu großen römischen Schiffen vorstellbar, vielleicht eine Begründung für den späteren Limesverlauf quer durch den Fluss oberhalb der heutigen Badestadt. Auf dem gesamten Fluss war jedoch Personentransport in Einbäumen oder einbaumähnlichen Nachen, außer in Zeiten extremer Wasserstände möglich, vorzugsweise flussab. Kleine Lasten, wie Händlerware bis zu mehreren Zentnern Gewicht konnten mitgeführt werden. Die Boote mussten allerdings beim Überwinden von Hindernissen im Fluss von Besatzung und Passagieren getragen oder geschleift werden können. Auch das Flößen von Holz war sicherlich auf ganzer Strecke flussabwärts möglich und im Unterlauf angesichts des römischen Holzbedarfs im Rheingebiet sogar wahrscheinlich. An die Mitnahme von Erzen oder eher noch von Metallbarren wäre zu denken.38

38 Sämtliche Angaben zu 3 wurden der unter Anmerkung 16 angeführten Studie von E. Bremer entnommen, auch wenn nicht im Text ausdrücklich darauf hingewiesen wurde.

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4 Eignet sich die Lippe als Modell für eine potentielle

Lahnschifffahrt? Durch die Erfindungen im Zuge der „ersten industriellen Revolution“, die im Jahr 1850 im wesentlichen abgeschlossen war, konnte das Lahntal durch die mit Dampfmaschinen angetriebenen Verkehrsmittel wie Eisenbahn und Schiffe (Dampfer) verkehrsmäßig erschlossen werden. In etwa zeitgleich zum Ausbau der Lahn erfolgte der Ausbau der Lippe und später wurde genau wie im Lahntal die Eisenbahn wegen ihres wirtschaftlicheren Betriebes als Gütertransportsmittel der Schifffahrt vorgezogen. Als auf dem Rhein und auf der Lippe nach der Erfindung der Dampfmaschine Dampfschlepper eingesetzt wurden, war das auf der Lahn wegen der vielen Hindernisse und des niedrigen Wasserstandes allerdings nicht möglich. Erst im 20. Jh. Wurde wegen des verstärkten Bedarfs an Gütertransporten für die Industrie der Schiffsverkehr wieder aufgenommen, jedoch nicht auf der Lippe selbst, sondern auf dem dafür geschaffenen Lippe-Seiten-Kanal. (Siehe Karte II.). (Näheres: http://de. Wikipedia- org/wiki/Lippe-Fluss). Die Schaffung dieses Kanals parallel zur Lippe war nur wegen des geringen Gefälles möglich. Ein solches Kanalsystem konnte deswegen für die Lahn nicht infrage kommen. Aus diesem Grund baute man die Lahn selbst zu einer kanalähnlichen Wasserstraße aus, auf der entsprechend große Transport- und Personenschiffe fahren konnten. Die gesamte Flusslänge wurde durch Wehre aufgestaut, um die Wassertiefe zu vergrößern und die Fließgeschwindigkeit zu verringern. Dadurch wurden die vorher noch vorhandenen Stromschnellen beseitigt. Zudem wurden Begradigungen vorgenommen sowie Sandbänke und große Steine weggeräumt. Um eine durchgehende Schifffahrt zu ermöglichen, wurden die Wehre mit seitlich ausgebauten Schleusen und Schiffshebewerken (Weilburg) überwunden.. Die Fließgeschwindigkeit der Lahn konnte durch diese technischen Maßnahmen und Bauwerke auf 1 bis 3 km/h reduziert werden. Durch die modernen Schiffantriebe wie Dampfmaschinen und später Dieselmotoren anstatt Pferde- bzw. Menschenkraft waren Treidelpfade nicht mehr erforderlich. Vorstehender Vergleich der für die Modernisierung der Schifffahrt in den letzten 120 Jahren erforderlichen Ausbaumaßnahmen spiegelt die naturgegebene Verschiedenheit der beiden Flüsse wieder. Im Folgenden werden Lippe und Lahn im natürlichen Zustand vor etwa 2000 Jahren verglichen: In einer von E. Bremer angefertigten Studie39 werden im Wesentlichen der Versorgungsbedarf der in den Römerlagern an der Lippe stationierten Truppen und die Schifffahrtshindernisse der natürlichen Lippe zur Zeitenwende gegenübergestellt. Von Schifffahrtshindernissen wie Flussschleifen, Bäume, Sträucher, versumpfte Ufer; Sand- und Kiesbänke; Steinbänke, Mergelklippen und Felsen muss auch in der Lippe ausgegangen werden. Der gravierende Unterschied zur Lahn bestand jedoch darin, dass die Lippe ein Flachlandfluss und die Lahn ein Mittelgebirgsfluss ist.

39 Eckhard Bremer, Die Nutzung des Wasserweges zur Versorgung der römischen Militärlager an der Lippe, Veröffentlichungen der Altertumskommission für Westfalen, Bd. XII, Aschendorff Münster 2001

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Ein Vergleich der Gefälle soll das verdeutlichen: Der geodätische Höhenunterschied zwischen Waldgirmes und der Mündung bei Lahnstein in den Rhein beträgt 107 m. Die Länge der Lahn zwischen diesen beiden Orten beträgt 132 km. Daraus errechnet sich ein durchschnittliches Gefälle von 0,81 m/km. In Anbetracht von flacheren Flussabschnitten z.B. im Bereich von Gießen/Wetzlar und Limburg reduziert sich das Gefälle, und der Fluss verändert in Jahrhunderten immer wieder seinen Lauf. An anderen Abschnitten vergrößert sich dadurch das Gefälle und die Fließgeschwindigkeit nimmt entsprechend zu. Gerade dort, wo die steil abfallenden Hänge von Westerwald und Taunus den Fluss auf Dauer in sein Bett zwingen, findet diese Erhöhung der Fließgeschwindigkeit statt und es entstehen sogen. Stromschnellen. Verglichen mit der Lippe ergibt sich folgendes Bild: Zwischen Haltern am See und der Mündung in den Rhein beträgt der geodätische Höhenunterschied 20 m und die Länge beträgt 54 km. Daraus ergibt sich ein Gefälle von 0,37 m/km. Das ist also weniger als die Hälfte des Gefälles der Lahn. Ein Blick auf die Karte macht diesen Vergleich anschaulich: Die Lippe fließt in einer Ebene ohne große Flussschlingen auszubilden, während die Lahn, eingezwängt zwischen den hohen Bergen des Taunus und des Westerwaldes, in vielen Schleifen ihren Weg zur Mündung in den Rhein suchen muss. Weitere topografische Vergleiche der Lahn mit Lippe, Rhein und Mosel siehe: Anhang - Vergleichsdaten Lahn/ Lippe u. a. Der Transportbedarf auf der Lippe wurde von E.Bremer wie folgt berechnet: Die bis heute im Tal der Lippe bekannt gewordenen römischen Militärlager von Anreppen bei Paderborn, Oberaden bei Lünen, Haltern und Holsterhausen sind ausweislich ihrer archäologischen Datierung und der historischen Quellen der augusteischen Germanienpolitik der Jahre zwischen 12 v. Chr. und 9 n. Chr. zuzuordnen. Obwohl die Lager nur zum Teil gleichzeitig bestanden, muss sich schon aufgrund ihrer Größe und Funktion ein Nachschubbedarf ergeben haben, der mit den landgebundenen Transportmitteln der Legionen kaum gedeckt werden konnte. Die Lippe wird deswegen nicht nur dem Transport von Personen gedient haben, sondern auch des bei den Legionen hauptsächlich benötigten Getreides sowie einer Vielzahl weiterer Güter bis hin zu den teilweise mannshohen Weinfässern, die man in großer Zahl als Brunnenauskleidungen in Oberaden gefunden hat und die gefüllt über eine Tonne gewogen haben müssen. Unterschiedliche Überschlagsrechnungen ergeben einen jährlichen Transportbedarf von etwa 6000 t Getreide für etwa zwei Legionen mit Tross. Nach einer Schätzung wäre es möglich gewesen, diese Getreidemenge mit etwa 60 Prähmen zu je 15 t Nutzlast in etwa 15 Tagen rund 150 km auf der mittleren und oberen Lippe zu treideln. Zudem ist davon auszugehen, dass es in augusteischer Zeit möglich war, mit Rhein-Prähmen mit einer Ladekapazität von 50 bis 60 t vom Rhein kommend bis nach Haltern zu treideln. In dem bequemen Anschluss an die Rheinschifffahrt könnte einer der Gründe für die Wahl Halterns als künftige Provinzhauptstadt gelegen haben. Dieser enorme Warenverkehr auf der Lippe um die Zeitenwende war nur deswegen möglich, weil der Fluss von Natur aus dafür geeignet war.

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Selbstverständlich waren für das Flussauftreideln befestigte Leinpfade anzulegen und das Ufer von Bäumen, Buschwerk und anderen Hindernissen frei zu halten. Die um 1815 festgelegte Breite des Leinpfades auf sechs Fuß (ungefähr 1,80 m) müsste auch für einen entsprechenden Leinpfad in römischer Zeit angenommen werden.40 Der Bedarf an dem Grundnahrungsmittel Getreide ist für die römische Besatzung von Waldgirmes wesentlich geringer als für die Lippelager, weil es keine Hinweise auf eine Truppe in den für die spätere Zeit überlieferten Sollstärken gibt. In der Zeit um Christi Geburt ist vielmehr mit kleinen flexiblen Einheiten zu rechnen.41 Wenn Drusus auf seinem Kriegszug gegen die Chatten 5 Jahre vor der Stadtgründung (4 v. u. Z.) seine Truppen mit Getreide aus der Wetterau versorgen konnte, dürfte eine Versorgung der geringeren Zahl römischer Legionäre in Waldgirmes ebenso möglich gewesen sein. Die Sammelstelle für Getreide in der Wetterau (Rödgen bei Bad Nauheim) ist zwei römische Tagesmärsche (36 km) von Waldgirmes entfernt. Waldgirmes wurde offenbar nicht kontinuierlich mit größerem Handelsvolumen beliefert, denn dafür wären Funde von Geschirrsätzen eines Töpfers zu erwarten, wie diese Funde aus Haltern eindrücklich zeigen. Dieser Unterschied zwischen Haltern und Waldgirmes ist wohl dahin gehend zu interpretieren, dass für die Belieferung mit größerem Handelsvolumen zu dieser Zeit das Militär der größte Abnehmer war bzw. zum Teil der Vertrieb auch dessen Zuständigkeit unterlag. Die Bewohner des zivilen Waldgirmes hingegen – aufgrund der Hausbefunde ist eine Zahl von weit unter 500 anzunehmen -, waren für die Händler von geringerem Interesse.42 Obwohl nicht bekannt ist, inwieweit von den Römern bereits Steuereinnahmen in Form von Naturalien eingetrieben wurden, dürfte davon auszugehen sein, dass ein friedlicher Handel mit der später zu verwaltenden Bevölkerung angestrebt und betrieben wurde. Die im Einflussbereich der neuen Verwaltungsstadt lebenden Germanen werden ihre Lebensgewohnheiten nicht geändert haben, d. h. ein Bedarf an römischen Importwaren ist für diese nicht anzunehmen. Zur ungewöhnlichen Zusammensetzung der römischen Keramik ist außerdem noch das weitgehende Fehlen von Kochgeschirr anzuführen. Diese Lücke wurde möglicherweise aus der Umgebung geschlossen, denn über 15 % aller Keramikfunde stammen von Gefäßen einheimischer Machart und Form. Im Gegensatz zur vergleichsweise geringen Menge des Handelsvolumens sind weitläufige Verbindungen in der Keramik von Waldgirmes wohl erkennbar: z. B. in pompejanisch-roten Platten mit Vulkanerdemagerung, Terra Sigillata aus Italien oder Amphoren durch die Oliven, Wein, Saucen und Öl aus Italien, Spanien, dem Rhônetal und dem mediterranen Raum nach Waldgirmes gelangten.43 Ein Bedarf, Getreide und Handelswaren vom Rhein aus über die Lahn nach Waldgirmes zu schaffen, bestand im Gegenteil zum Transport auf der Lippe demnach nicht. Infolge der jahrhundertelangen Besiedelung des Dünsberg-Oppidums und seines Einflussbereiches dürfte der Verbrauch an Bäumen für den Hausbau und die Eisenverarbeitung dazu geführt haben, dass um die Zeitenwende im Lahnbogen zwischen Marburg und Wetzlar kein Hochwald mehr vorhanden war.

40 Eckhard Bremer, Wie Anmerkung 39 41 Gabriele Rasbach, MOHG 95 2010 S. 6 42 Gabriele Rasbach, MOHG 95 2010 S. 10 43 Gabriele Rasbach, Wie Anmerkung 14

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Die für die römischen Bauten in Waldgirmes erforderlichen Eichen konnten aus den weiter nördlich verbliebenen Wäldern herangeschafft werden. Lahn und Dill könnten dabei zum Flößen gedient haben.

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5 Alternativen zum Transport schwerer Güter

auf der natürlichen Lahn 5.1 Altwege und Fernstraßen 5.1.1 Altwege zum Dünsberg–Oppidum Die Hauptfernstraßen im Dünsbergbereich waren die „Alte Weinstraße“ in Nord-Südrichtung und der in Ost-Westrichtung verlaufende „Rennweg“. Eine günstige Lage zu diesen Fernstraßen war in frühgeschichtlicher Zeit genau so wichtig wie heute die Nähe zu einem Autobahnkreuz. Die „Alte Weinstraße“ war ein verhältnismäßig straff und zielstrebig nach Norden ziehender Weg, der von Mainz aus an den Vorhöhen des Taunus entlang auf den Höhen des westlichen Lahnufers und weiter über Wetter, Frankenberg, Korbach an die Diemel zog, die er bei Obermarsberg, der sächsischen Eresburg, erreichte.44 Alter und Bedeutung dieses Straßenzuges sind nicht nur durch weit zurückreichende urgeschichtliche Spuren bezeugt, sondern lassen sich in gleicher Weise auch durch einen 2000jährigen geschichtlichen Ablauf verfolgen. Auf ihm marschierte Germanicus von Mainz aus gegen das Zentrum des chattischen Stammes im niederhessischen Mattium, ihm folgten die christlichen Missionare über Amöneburg nach dem Büraberg bei Fritzlar. Auf dieser Straße stießen die fränkischen Truppen in den Sachsenkriegen des 8.Jh. vor, sie wird im 11. Jh. als eine der wichtigsten Pilgerstraßen nach Rom und noch im 14. Jh. als Straße des Reiches bezeichnet.45 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass auch ein unerwarteter Fundort einer im Jahr 235 u. Z. zwischen Römern und Germanen geführten Auseinandersetzung am Harzhorn an dieser Fernstraße liegt. Das könnte bedeuten, dass noch zu dieser Zeit römische Truppen von Mainz aus agierten und wieder dorthin zurückkehrten. (www.roemerschlachtamharzhorn.de) Auch beim Eindringen der Alemannen seit 260 u. Z. durch den nicht mehr von Rom besetzten Limes wird dieser Fernweg eine wichtige Rolle gespielt haben; denn beim heutigen Butzbach führte er durch den Limes nach Süden. Hier war seit dessen Errichtung ein Hauptübergang für den Handel der römischen Besatzung in der Wetterau mit den Germanen. Die Benennung als „Wein“- Straße war in frühester Zeit für „Wagen“- Straße üblich. In dem hier betrachteten Raum wird die Weinstraße auch Mainz–Marburger–Straße genannt.46 In der Mainebene, nördlich von Höchst findet man auch die Bezeichnung Elisabethenstraße, deren mittelalterliche Trasse auf einer römischen Straße verläuft. Im Lahntal bei Gießen gibt es mehrere Lahnübergänge (Furte), die auf verschiedene Richtungen der den Fluss kreuzenden Wege hinweisen. Der älteste zum Dünsberg führende Weg dürfte von der „Alten Weinstraße“ kommend durch die „Fort“ geführt haben, um dann fast schnurgerade zum obersten, bronzezeitlichen Wall zu gelangen. Eine hallstattzeitliche Bebauung war bisher auf dem Dünsberg kaum nachzuweisen. Die unterste Mauer wurde in der spätlatènezeitlichen Blüte des Oppidums errichtet. Das in dieser Mauer befindliche sehr breite Zangentor zeigt nach Süden, also in die Richtung aus der die keltischen und römischen Händler und später auch die römischen Okkupanten kamen.

44 Karl E. Denandt, Geschichte des Landes Hessen, Bärenreiter-Verlag Kassel und Basel 1972, S. 23 45 Wie Anmerkung 44, S. 24 46 C. Hessler, Heer- und Handelsstraßen Hessens, Cassel 1952

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Der Rennweg kam vom Neuwieder-Becken am Rhein, zog auf den Höhen des Westerwaldes in östlicher Richtung über Rennerod und 2 km nördlich am Dünsberg vorbei, um sich im Rennsteig im Thüringer Wald fortzusetzen, der bis zur Saale führt. Auf den Höhen des Westerwaldes gab es zudem einen Fernweg, im Mittelalter „Koblenzer Straße’“ genannt, der von der Rheinschleife zwischen Neuwied und Koblenz ausging und über Montabaur und Braunfels nach Wetzlar verlief. Nördlich von Weilburg kreuzte dieser Fernweg die Lahn.47 Nach der Verlegung des ehemals keltischen Machtzentrums auf dem Dünsberg an die Lahn im Zuge der römischen Stadtgründung Waldgirmes könnte dieser Altweg „Koblenzer Straße“ von größerer Bedeutung geworden sein als der „Rennweg“, denn er führte im wesentlichen parallel zur Lahn.

5.1.2 Römerstraßen – Der Weg nach Norden Die Nord - Südroute verlief im Rheintal auf der linken Seite des Flusses von Augusta Raurica (Augst bei Basel) über Argentorate (Straßburg) kommend nach Mogontiacum (Mainz). (Vgl. alte B9) (Römerstraße durch das Rheintal, Karte III). Hier mündete ein von Arelate (Arles) kommender Altweg ein. Die letzten Stationen dieser Route waren Metz (Divodurum) und Trier (Augusta Treverorum). Diese Trasse entspricht in etwa der heutigen Hunsrück - Höhenstraße. (Route Agrippa 1, Karte III). Bei Mainz befand sich ein fest installierter Rheinübergang (Holzbrücke) zwischen dem linksrheinischen Militärlager und dem rechtsrheinischen Kastell.48 Auf den vorgenannten römischen Straßen konnte der für die Germanenkriege erforderliche Nachschub an Legionären, Verpflegung und Kriegsmaterial aus dem seit Caesar romanisierten Gallien nach Mainz herangeschafft werden. Die vorerwähnte römische Fernstraße führte von Mainz aus im linken Rheintal weiter nach Koblenz (Confluentes), Bonn und Köln sowie bis nach Xanten.

5.1.3 Altweg von Mainz - Wiesbaden über den Taunus nach Norden - Via Publica -

Neben der unter 5.1.1 erwähnten „Alten Weinstraße“ verlief noch ein weiterer Altweg aus dem Rhein-Maingebiet nach Norden. Für die Drususfeldzüge gegen die Chatten unwichtig, bekommt dieser Altweg durch das 2008 entdeckte Römerlager im heutigen Oberbrechen eine gewisse Bedeutung. Das Lager befindet sich etwa 12 km südöstlich von Limburg a. d. Lahn an diesem Altweg, der aus der Mainebene über den Taunushauptkamm durch die sogenannte Idsteiner Senke und den „Goldenen Grund“ kommend, das Limburger Becken kreuzte. Heute nutzen die B 8, die A 3 sowie die Bahnlinie diesen Taunusübergang, um über den Westerwald nach Köln zu gelangen. (Karte I) Diese alte Handelsstraße führte von Brüssel in Flandern über Frankfurt, Würzburg und Nürnberg bis nach Prag in Böhmen. Im Mittelalter verband sie als Via Publica (Volksstraße) später Poststraße oder Handelsstraße genannt, die Handelsstädte Köln, Frankfurt, Nürnberg

47 Karl Reeh, Der Dünsberg und seine Umgebung, eine Bestandsaufnahme der Bodendenkmäler, in: Forschungen zum Dünsberg 1, editions monique mergoil, montagnac 2001, Abb. 223/224 48 Margot Klee, Lebensadern des Imperium, Straßen im römischen Weltreich, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2010

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und Regensburg. Die 1341 vollendete steinerne Lahnbrücke in Limburg gehört zu den ältesten Steinbrücken Europas. Die Reste von zwei beim derzeitigen Bau einer Autobahnbrücke in diesem Areal entdeckten Römerlager weisen ebenfalls auf diesen alten Lahnübergang hin. (siehe 6.2). Die neuesten Ausgrabungen 2010 in Oberbrechen lassen vermuten, dass dieses Römerlager mit einer Besatzung von 500 Legionären zum Silber- und Bleiabbau angelegt wurde, der in der Nähe stattfand.49 Die Initiative zum Erzabbau im Taunus durch römische Legionäre ging sicherlich vom Legionslager in Mainz aus, denn nur hier befand sich der Rheinhafen, von dem aus die gewonnenen Güter mit der Rheinflotte weiter verteilt werden konnten. Das in Gallien bereits vorhandene römische Straßennetz kam natürlich ebenso dazu infrage. (Karte III). Die Wegstrecke von Oberbrechen nach Mainz-Kastell beträgt ca. 45 km, so dass das geschürfte Erz auf der obengenannten Trasse den Rheinhafen bzw. die über den Rhein nach Gallien führende Brücke in 2 bis 3 Tagen erreichen konnte. Der unter 1.1 (Anmerkung 13) erwähnte Münzfund von Oberbrechen widerspricht dieser Feststellung nicht. Der Beginn der Münzreihe zeigt in eine Zeit, in der das Dünsberg-Oppidum in voller Blüte stand. Dendrochronologische Untersuchungen von im „Schulborn“ verbauten Bohlen weisen darauf hin, dass dieses Wasserreservoir zu dieser Zeit in den Wohnbereich, den die untere Mauer umgrenzte, einbezogen wurde.50 Wenn es sich wie in dem Artikel (Vgl. Anmerkung 27) dargestellt um römische Münzen handelt, stellt sich die Frage, welche Beziehungen Roms zu den Bodenschätzen des Taunus bestanden, als weder Gallien noch Germanien okkupiert waren. Die letzten Münzen dieses Fundes wurden in den Jahren 13/14 u. Z. geprägt. Daraus lässt sich kein Hinweis auf das römische Verwaltungszentrum in Waldgirmes ableiten, weil die dort gefundenen römischen Münzen mit dem Jahr 9 u. Z. enden. Auch dieser Umstand weist auf von Mainz ausgehende römische Aktivitäten hin. Der Verbleib dieses Münzschatzes ist z. Z. nicht feststellbar, so dass es mühsam ist, weitere Spekulationen anzustellen. Nach dem etwa 16 u. Z. begonnenen Rückzug Roms aus dem rechtsrheinischen Gebiet wurde dem Mittelgebirgsraum zwischen Taunushauptkamm und dem Lahntal keine Bedeutung mehr zugemessen. Der etwa 80 Jahre später angelegte Limes verlief ca. 20 km südlich von Oberbrechen und kreuzte die „Idsteiner Senke“ 1,5 km hinter Idstein.

5.1.4 Altwege zum römischen Militärlager Dorlar und zum römischen Verwaltungszentrum Waldgirmes

Die im Zuge der römischen Okkupation Germaniens wichtige, von Mainz aus durch die Wetterau nach Norden führende „Alte Weinstraße“ ist gekennzeichnet durch die an ihr angelegten augusteischen Militärlager. (Siehe Karte I sowie die dazu gehörige Liste). Der Vorteil dieser Trasse liegt vor allem in der geringen Steigung in hochwasserfreiem Gelände. Erst nördlich des Giessener Beckens beginnt der Verlauf als Höhenweg über die Berge westlich der Lahn.

49 Wie Anmerkung 13 50 Wie Anmerkung 27

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Die kürzeste Verbindung von der „Alten Weinstraße“ zu der „Dorlarer Furt“ durch die Lahn, von der aus das Militärlager Dorlar sowie auch die „Römerstadt“ Waldgirmes leicht zu erreichen waren, dürfte über die Altstraße „Alter Wetzlarer Weg“ geführt haben, dessen Verlauf in etwa der heutigen Bundesstraße 277 entspricht. Die hier behandelte Strecke von Wetzlar nach Butzbach war ein Teil des „Hohe Straße“ genannten Fernweges, der von Köln über den Westerwald auf den Höhen westlich der Dill nach Wetzlar und weiter über Butzbach nach Frankfurt verlief.51

51 Wie Anmerkung 34

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5.2 –Transportmittel – Wagen Die älteste Wagendarstellung in Mitteleuropa fand sich auf einer kleineren roten Sandsteinplatte in einem Megalithgrab von Fritzlar – Lohne (Grab in Züschen) im Schwalm - Ederkreis. Es handelt sich dabei um einen Wagen mit einer Achse, wohl kleinen Scheibenräder, Wagenkasten, Deichsel, Joch und Rindergespann. Die Gruppe der Magalithgräber, zu denen das auch an den Seitensteinen reich verzierte Grab gehört, steht in direkter Beziehung zu einer Höhensiedlung der Wartberggruppe, die in die Zeit um 3000 v. u. Z. eingeordnet wird.52 Führend bei der Weiterentwicklung des Wagens in der europäischen Antike waren die Kelten. Die Römer haben außer Technik und Wagentypen auch viele Begriffe von ihnen übernommen.53 Keltischen Ursprungs sind der cisium, der carruca und der carrus. Römische Wagen sind aus Schriften antiker Autoren, vor allem jedoch von Darstellungen auf Grabsteinen bekannt. Diese Steinmetzarbeiten hatten wohl einzig und allein den Zweck, den Verstorbenen zu ehren und seinen im Leben erworbenen Reichtum zu symbolisieren. Deswegen sind diese Bilder als Bauanleitung für die abgebildeten Gegenstände wenig geeignet. Vor allem das Errechnen des Transportgewichtes ist aufgrund der Abbildung eines Wagens auf einem Kenotaph kaum möglich. Bei den römischen Verkehrsmitteln ist grundsätzlich zwischen Reisewagen und Transportkarren zu unterscheiden. Zu den Reisewagen zählten carpentum und carruca, die von Pferden oder Maultieren gezogen wurden. Das typische Reisegefährt auf römischen Straßen war die carruca mit einer beweglichen Vorderachse und dem an seitlich von den Achsen hochgezogenen, oftmals reich verzierten Trägern aufgehängten Wagenkasten. Bei den Lastwagen sind ein- und zweiachsige Konstruktionen nachweisbar. Wagen mit starrer Vorderachse wie ein plaustrum wurden für landwirtschaftliche Transporte eingesetzt, weshalb hier meistens Ochsen als Zugtiere erscheinen. Der schwer mit Gepäck und Personen beladene reda, dem in den Quellen am häufigsten genannten Gefährt, konnten bei Bedarf etwa auf Gebirgsstrecken weitere Tiere vorgespannt werden.54 Der Reda war der Wagen, welcher am meisten im römischen Postdienst, dem cursus publicus eingesetzt wurde. Der Wagen wurde von 2 oder 4 Tieren gezogen. Hinter dem Kutscher konnten bis zu 6 Personen untergebracht werden, die mit dem Rücken gegeneinander oder gegenüber saßen. Das Gepäck wurde in einer Reisetasche verstaut.55 Zur Errechnung der Nutzlast eines solchen Wagens werden pro Person ein Gewicht von ca. 70 kg angenommen: Gesamtgewicht der Personen = 500 kg. Für das Gepäck werden 7 mal 15 kg = 100 kg geschätzt, Gesamtnutzlast ungefähr 600 kg. Für ein plaustrum sind Darstellungen mit landwirtschaftlichen Produkten wie Stoffballen, Fässer usw. vorhanden, was auf einen schweren Transportwagen hinweist. Es wird möglich gewesen sein, ein großes Weinfass mit 1 t Gewicht auf einem Plaustrum zu transportieren.

52 Die Vorgeschichte Hessens, Herg. Fritz-Rudolf Herrmann und Albrecht Jockenschövel, S. 375, Abb. 238, Zeittafel S. 122; Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1990. 53 Raimund Karl: Überlegungen zum Verkehr in der eisenzeitlichen Keltiké. Dissertation (PDF; MB) 54Margot Klee, Strassen der Macht, in: Lebensadern des Imperiums, Straßen im römischen Weltreich, S. 111/112; Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2010 55 Rol Schockweiler, Gallorömische Transportfahrzeuge

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Die im römischen Heer mitgeführten Wagen dienten vor allem dem Transport der Verpflegung. Der Tagesbedarf einer 25 000 Mann starken Armee belief sich ohne das Tierfutter auf etwa 23 Tonnen Getreide. Ein Tragtier konnte gut 2 Zentner (100 kg) Nutzlast, ein Zweiergespann Pferde oder Ochsen 5 – 8 Zentner (250 bis 400 kg) transportieren.56 Diese Wagen wurden im Tross der marschierenden Legion mitgeführt. Sie waren demnach so konzipiert, dass sie ihre Fracht auch in verhältnismäßig unwegsamem Gelände oder auf großen Steigungen (Alpenpässe) sicher ans Ziel bringen konnten. Für den normalen Verkehr auf römischen Straßen dürften diese Wagen keine Bedeutung gehabt haben. Wie der Abtransport riesiger Basaltblöcke vom Felsberg (515 m ü. NN) im Odenwald zeigt, hatten die Römer mit dem Transport von großen und schweren Steinen auf den vorhandenen Altwegen in Germanien keine unüberwindbaren Schwierigkeiten. Der Abtransport erfolgte auf schweren Karren oder Lastschlitten nicht einfach talwärts, sondern auf der Berghöhe nach Westen, wo beim heutigen Auerbach – Fürstenlager die Oberrheinebene erreicht wurde. Der Weitertransport erfolgte sehr wahrscheinlich auf Lastschiffen, die den Rhein abwärts bis nach Koblenz und die Mosel aufwärts bis nach Trier gelangten.57 Um einen Transport von Kalksteinen durchzuführen, bedarf es einerseits eines Wagens mit entsprechender Stabilität, andererseits muss die Kraft der Zugtiere ausreichen. In der Literatur sind aus römischer Zeit keine Angaben über diese Daten zu finden. Ohne solche Schwerlastwagen hätten allerdings die großen römischen Bauwerke wie Brücken, Bäder, Amphitheater, Aquädukte usw. nicht erstellt werden können. Zumindest der Transport vom Steinbruch zur Baustelle musste gewährleistet sein. Dies gilt auch für die Sockelsteine für die Reiterstatue in Waldgirmes. Für den Transport vom Steinbruch bis zum eventuell vorhandenen Hafen an der Mosel waren Wagen erforderlich. Ein mittelalterlicher Kaufmannswagen konnte in zweirädriger Ausführung bis zu 1750 kg transportieren, mit vierrädrigen Wagen ließen sich 4000 bis 5000 kg bewegen. Gegen Ende der frühen Neuzeit wurden Werte von über 7 Tonnen erreicht, wozu allerdings mehr als ein Dutzend Pferde nötig waren.58 In Anbetracht der Straßenverhältnisse zur Zeitenwende dürften die Annahme von römischen Schwerlastwagen mit einem Transportgewicht von 2000 bis 2500 kg realistisch sein, wie dies für den unter 5.1.4 beschriebenen Transport der Steine für den Sockel der Reiterstatue in Waldgirmes angenommen wurde. Wie unter Abschnitt 4 bereits dargestellt, kam das von E. Bremer für die römischen Militärlager an der Lippe errechnete Transportvolumen nach G. Rasbach für die Römerstadt Waldgirmes bei weitem nicht infrage. Wie G. Rasbach aufgrund der Funde in Waldgirmes vermerkt, konnte jedoch der Bedarf an einer Vielzahl von Waren wie Terra Sigillata aus Italien oder mit Oliven, Wein, Saucen und Öl gefüllte Amphoren aus Italien, Spanien, dem Rhônetal und dem mediterranen Raum festgestellt werden. Diese Waren konnten ohne weiteres auf den üblichen römischen Transportwagen von Mainz aus nach Waldgirmes geliefert werden. Nach E. Bremer waren die in den Lippelagern gefundenen Amphoren so gestaltet, dass sie auch gefüllt von einem Mann getragen werden konnten.

56 Marcus Junkelmann, Die Legionen des Augustus, S. 127, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1997, 57 Dietwulf Baatz und Fritz-Rudolf Herrmann, Die Römer in Hessen, S. 270 ff, Konrad Theiß Verlag, Stuttgart 1982 58 Rehbein 1984, s. 142; (www.phf.uni-rostock.de)

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Das Getreide wurde in Säcken transportiert, die von einem Mann auf der Schulter getragen werden konnten.59 Ein Be- und Entladen von Schiffen und Wagen war also ohne weiteres möglich. Das in einem Brunnen in Waldgirmes verbaute Fass hat in etwa das Volumen der in Oberraden gefundenen Fässer, die dem gleichen Zweck dienten. Sein Gewicht wird mit Inhalt auf etwa eine Tonne geschätzt.60 Für den Transport aus Mainz würde somit ein Schwerlastwagen erforderlich, wie er für die Kalksteine des Sockels verwendet wurde. Da jedoch für die Verwendung als Brunnenkammer keine Weinfüllung erforderlich ist, kann das Fass auf einem üblichen plaustrum oder reda transportiert worden sein.

59 Wie Anmerkung 39 60 Wie Anmerkung 39

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6 Vergleich der Altwege mit der Lahnroute 6.1 Vergleich der Altwege unter 5.1.4 mit der Lahnroute Infolge seiner geographischen Besonderheiten wie sie unter (1.2.2 Der Zustand der historischen Lahn) dargelegt wurden, ist es bis zum heutigen Tag nicht möglich, durchgehende Straßen im Lahntal anzulegen. In prähistorischer Zeit wurden Wege nicht durch die versumpften, hochwassergefährdeten Flusstäler geführt sondern als Höhenwege über die Berge. Flüsse und Bäche wurden nur in sogenannten Furten gekreuzt. Diese Wegführung ist vor allem an den Hügelgräbern zu erkennen, die an beiden Seiten der Wege angelegt wurden. Als Transportweg für schwere Güter durch das Lahntal könnte somit nur der Fluss selbst infrage kommen. Die Strecke von Lahnstein nach Waldgirmes beträgt 132 Flusskilometer. Wenn man zum Hochtreideln von Lastschiffen von der Geschwindigkeit ausgeht, mit der sich römische Legionen auf den Wegen fort bewegten, also etwa 18 km pro Tag, ergibt sich eine Treidelzeit von insgesamt 7 bis 8 Tagen. Hinzuzurechnen ist die Zeit für etwa 50 Überschläge, weil der Treidelpfad die Uferseite wechseln musste. Pro Überschlag gibt M. Eckoldt einen Zeitverlust von 2 Stunden an, das entspricht insgesamt etwa 100 Stunden. Bei einem angenommenen 8-Stundentag wären zusätzlich 12 bis 13 Tage aufzubringen. Die Gesamtstrecke könnte somit in etwa l9 bis 21 Tagen bewältigt werden. Zu vergleichen ist ein alternativer Transport von Mainz über die „Alte Weinstraße“ und den „Wetzlarer Weg“ nach Waldgirmes. Die Wegstrecke beträgt etwa 90 km. Unter der Annahme einer Transportgeschwindigkeit von 18 km pro Tag ergeben sich etwa 5 Tage Gesamtzeit. Jeder Tag bedeutet allerdings auch eine Übernachtung, die wohl an einem Hauptweg durch die Wetterau angenehmer zu verbringen war als in einem unbewohnten Gebirgstal. Zudem wäre im Lahntal die Mitnahme der vollen Verpflegung für die gesamte Zeit erforderlich gewesen, weil es unterwegs keine Möglichkeit der Aufnahme von Proviant gab. Die für die Übernachtungen erforderlichen Lederzelte hätten zudem die Nutzlast und den Laderaum der Boote geschmälert. In Anbetracht dessen, dass es sich bei den Transporten in erster Linie um die Steine für den Sockel der Reiterstatue handelte, die aus dem Raum Metz herbeigeschafft werden mussten, soll in folgender Überschlagsrechnung das Volumen und das Gewicht dieses Sockels ermittelt werden: Die Fundamentgruben messen 2 x 3m, diese Grundfläche kann auch für den Sockel angenommen werden. Bei einer geschätzten Höhe von 1,50 m ergibt sich ein Volumen von 9 m³. Mit einem spez. Gewicht von 2,7 kg/dm³ für Kalkstein errechnet sich ein Gewicht des Sockels von 24,3 in etwa 25 t. In Ermangelung von Funden römischer Schiffe im Lahntal rekonstruierte E. Bremer anhand von anderweitigen Schiffsfunden und Darstellungen auf Grabsteinen einen den Gegebenheiten der natürlichen Lahn gerecht werdenden Schiffstyp. (Siehe 3. Der Zustand der Lahn zur Zeitenwende – mögliche Transportschiffe). Eine Nutzlast von 370 kg könnte demnach unter Berücksichtigung aller Hindernisse und Schwierigkeiten, die der gesamte Fluss zu bieten hatte, realistisch sein. Für den Sockel der Statue wären demnach 68 Nachen zum Transport der Steine notwendig gewesen. Pro Nachen 5 Mann Besatzung ergibt 340 Mann. Das geschätzte Gewicht für den Sockel des Reiterstandbildes von 25 t hätte auf den vorhandenen Altwegen mit etwa 10 Schwerlastwagen transportiert werden können, von denen jeder mit 2,5 t beladen gewesen wäre.

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Auf der Strecke von Mainz bis Butzbach kommen kaum Steigungen vor, so dass 2 Ochsen vor jedem Gespann ausgereicht haben dürften. Auf der Wegstrecke über den „Wetzlarer Berg“ könnten zusätzliche Vorspanne erforderlich geworden sein, deren Bereitstellung in der Wetterau keine Probleme verursacht haben dürfte. Diese Überschlagsrechnung setzt voraus, dass der gesamte oberirdische Sockel der Reiterstaue aus Muschelkalk von der oberen Mosel bestanden hat. Ein solcher Nachweis ist nicht mehr zu führen, weil nur noch Bruchstücke vorhanden sind. Unter der Annahme, dass nur der obere Teil des Sockels aus dem leicht bearbeitbaren Stein, der untere Teil jedoch aus heimischem Kalkstein bestand, reduziert sich das Transportvolumen und damit die geschätzte Anzahl der Wagen wie folgt: Die beiden Quader (Würfel) dürften eine Kantenlänge von maximal 60 cm gehabt haben. Sie könnten als Ecksteine eines in Augenhöhe umlaufenden Frieses gedient haben, der ebenfalls eine Höhe von 60 cm hatte. Zum Transport dieser vier Steine wäre eine Ladefläche von 1,20 x 1,20 m erforderlich gewesen. Die Gesamtlast auf dem Wagen hätte 2,32 t max. betragen. Die übrigen Steine des Frieses hätten auf 3 weiteren Wagen transportiert werden können. Unter dieser Annahme hätte sich auch die Anzahl der hypothetisch angenommenen Transportnachen auf der Lahn entsprechend reduziert, die beschriebenen natürlichen Hindernisse und der unverhältnismäßig große Zeitaufwand wären allerdings bestehen geblieben. Der Transport der 580 kg schweren Quader wäre mit für die natürliche Lahn geeigneten Lastbooten aus den unter Abschnitt 2 genannten Gründen nicht möglich gewesen. Der im Gegensatz zum heimischen Kalkstein weiche und deswegen leicht zu bearbeitende Muschelkalk, der für die Architekturteile des Sockels verwendet wurde, stammt wie unter 1.2.1 erwähnt aus dem Riffgebirge des Lothringer Beckens.61 Diesen Untersuchungen zufolge haben die im römischen Ehrenbogen in Mainz-Kastel verbauten Kalksteine die gleiche Herkunft.62 Der aus dem ersten Jh. u. Z. stammende Grabstein des Schiffers Blussus in Mainz-Weisenau besteht ebenfalls aus dem gleichen Kalkstein.63 In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass nicht nur die Lahn vor 2000 Jahren wegen ihrer natürlichen Hindernisse für römische Prähme nicht durchgehend befahrbar war, auch im Rhein befand sich eine für römische Schiffe unüberwindliche Barriere: das „Binger Riff“, ein quer durch den Fluss verlaufendes Quarzitriff. Noch im Mittelalter konnten hier keine Lastschiffe passieren. Weinfässer und andere Lasten wurden bei Lorch entladen und auf Höhenwegen über den Niederwald nach Geisenheim gebracht. Da die gleichen Kalksteine aus dem oberen Moselraum sowohl in Mainz als auch in Waldgirmes nachweisbar sind, dürfte der Transportweg für diese Materialien wie folgt verlaufen sein: Entweder vom Steinbruch aus auf römischen Straßen direkt nach Mainz (Route Agrippa 1 – [Metz – Trier – Mainz]) oder zunächst mit Lastschiffen Mosel abwärts bis zur Mündung in den Rhein und auf der am linken Rheinufer entlang führenden Straße nach Mainz. (Karte III).

61 Gabriele Rasbach, Die römische Stadt von Lahnau-Waldgirmes. Kelten, Germanen und

Römer im Lahntal. Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins, Bd. 95 – 2010. 62 Germania 81, 2003 63 Wie Anmerkung 1, Seite 266

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In beiden Fällen konnte das „Binger Riff“ umgangen werden und die für Waldgirmes bestimmten Kalksteine verließen Gallien erst in Mainz. Des Weiteren wäre zu überlegen, inwieweit die in etwa parallel zur „Alten Weinstraße“ verlaufenden Flüsse Main, Nidda und eventuell die Wetter als Transportwege allgemein bzw. zur logistischen Unterstützung der von Mainz aus nach Norden vorstoßenden römischen Truppen gedient haben könnten. (Das Nachschublager in Rödgen lag an der Wetter). Die Anlage des römischen Zivilhafens und des Kriegshafens gegenüber der Mainmündung weist darauf hin, dass ein Befahren des Mains mit römischen Lastschiffen möglich war. Dass die Nidda mit römischen Lastkähnen befahrbar war, kann aus einem im August 2010 in Nieder-Eschbach gemachten Fund von Teilen eines lebensgroßen Reiterstandbildes des römischen Kaisers Trajan (98 bis 117 u. Z.) indirekt geschlossen werden. Der Aufstellungsort der Statue – ein Pendant zum Reiterstandbild in Waldgirmes – war höchstwahrscheinlich die römische Stadt Nida. (Karte I, Position 6) Die Lahn kam für eine logistische Unterstützung der auf der „Alten Weinstraße“ vorgehenden Truppen aus den oben angeführten Gründen nicht infrage. Zudem liegt das ganze Taunusgebirge dazwischen. (Karte I).

6.2 Caesar eilt den Ubiern zu Hilfe Caesar erwähnt im Laufe seiner Feldzüge einen „Germanenstamm“ namens Ubier, von dem er mitteilt, sie hätten als einziges rechtsrheinisches Volk, Gesandte an ihn geschickt, Freundschaft geschlossen und Geiseln gestellt, sowie dringend um Hilfe gegen die Sueben gebeten, die sie hart bedrängen würden. Sie sagten auch zu, eine große Zahl von Schiffen (Flößen) zu stellen, um das Heer Caesars über den Rhein überzusetzen.64 Schiffe waren Caesar allerdings nicht sicher genug um überzusetzen, und er überlegte trotz der Breite des Flusses, der reißenden Strömung und Tiefe, einen Brückenschlag zu wagen oder gar auf ein Übersetzen zu verzichten. Im Jahre 55 v. u. Z. entschied er sich dann doch, eine Brücke zu bauen, um auf die rechte Rheinseite gelangen zu können.65 Caesar zog zunächst in das Gebiet der Sugambrer, um diese zu bestrafen und wandte sich, nachdem diese sich in einsamen Wäldern versteckt hatten, den Ubiern zu. Diese ganze Unternehmung auf den vorhandenen rechtsrheinischen Wegen dauerte 18 Tage. Danach brach er die Brücke wieder ab. Ein zweiter Brückenschlag Caesars erfolgte im Jahr 53 v. u. Z. zum ubischen Ufer hin in der Nähe der ersten Brücke. An welcher Stelle Caesar die Brücken bauen ließ, ist nicht bekannt. Einen Brückenschlag über den Rhein zu wagen, um am gegenüberliegenden Ufer mit seinen Legionären in ein wildes, unwegsames Tal eines Mittelgebirgsflusses einzudringen, sollte einem Strategen wie Caesar nicht unterstellt werden. Vermutlich meinte Caesar mit den „Ubiern“ die Dünsbergkelten, was durch die Dünsbergforschungen immer wahrscheinlicher wird. (Vgl. 2) In diesem Falle wird er, wie das zu dieser Zeit gar nicht anders möglich war, die vorhandenen Höhenwege benutzt haben. Um zu den Ubiern zu gelangen, dürfte der Brückenschlag zum Neuwieder Becken hin erfolgt sein. 64 Gaius Julius Caesar, de bello Gallico, Buch IV 16 – 17, Lateinisch-deutsch, herausgegeben und übersetzt von Otto Schönberger, Artemis und Winkler, Düsseldorf/Zürich, 1998 65 Wie Anmerkung 64, Buch IV 17 - 18

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Die beiden Römerlager und eine in der Nähe befindliche keltische Siedlung in Limburg (Vgl. 5.1.3) deuten darauf hin, dass die hier die Lahn kreuzende „Via Publica“ die Wohngebiete der Ubier tangierte. Ein Höhenweg, der in der Nähe des heutigen Montabaur von der „Via Publica“ zum Neuwieder Becken abzweigte, dürfte in etwa der Trasse der heutigen A 48 gefolgt sein. Die Entfernung vom Neuwieder Becken nach Limburg beträgt etwa 40 km. Diese Wegstrecke könnte Caesar in 2 – 3 Tagen zurückgelegt haben. (18 km/d). Von Limburg zum Dünsberg - Oppidum kann man in der Annahme eines Altweges, der der heutigen B 49 folgte, bei einer Entfernung von etwa 50 km von einem Zeitraum von etwa 3 Tagen ausgehen. Die rechts des Rheins zwischen Sieg und Ruhr siedelnden Sugambrer konnte Caesar auf dem später Via Publica genanten Altweg ebenfalls leicht erreichen, so dass die von ihm genannte Zeit für die gesamte Aktion im Jahr 55 v .u. Z. realistisch erscheint. Die abschreckende Wirkung seiner Streitmacht dürfte jedes Scharmützel mit den Germanen vermieden haben.

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7 Möglichkeiten zum Transport des Reiterstandbildes aus Italien Für eine plausible Erklärung fehlen auch hierzu noch wichtige Angaben: War sie aus einem Stück? Wenn nicht, wie schwer waren die einzelnen Teile und wie waren deren Dimensionen? Musste sie aus Italien herangeschafft werden oder bestand zu dieser Zeit bereits in Gallien die Möglichkeit, ein solches Denkmal herzustellen? Ganz gleich, ob diese Fragen in absehbarer Zukunft beantwortet werden können oder nicht, der Transportweg von Mainz nach Waldgirmes wird der gleiche gewesen sein wie für die Sockelsteine aus Muschelkalk und das oben erwähnte Reiterstandbild des Trajan bis nach Nida. Man kann davon ausgehen, dass ein solches Reiterstandbild in Teilen gegossen wurde, um es dann am Bestimmungsort zusammenzufügen. Wie dies erfolgte, kann nicht nachgewiesen werden. Heute verbindet man Bronzeteile dieser Größe durch Hartlöten. Die hierfür erforderlichen hohen Temperaturen dürften allerdings mit den den Römern zur Verfügung stehenden Mitteln nicht möglich gewesen sein. Das Gesamtgewicht der Statue aus Hohlguss wird auf 450 kg geschätzt.66 Teilt man die Reiterstatue in 3 bis 4 Teile, braucht man sich über den Transport keine Gedanken mehr zu machen, denn 150 bzw. 113 kg konnten ohne weiteres auch auf Landwegen transportiert werden. Wenn man davon ausgeht, dass lebensgroße Reiterstatuen aus Bronzeguss nördlich der Alpen nicht angefertigt werden konnten, ist folgende Möglichkeit des Transportes wahrscheinlich: Die Statuen wurden in Teilstücken gegossen und diese wurden auf Landstraßen vom Herstellungsort zum nächstgelegenen römischen Mittelmeerhafen transportiert. Hier würden sie von Kriegsschiffen übernommen und übers Mittelmeer nach Arles an der Rhône verschifft. Ein Weitertransport vom Mittelmeerhafen in Marseille (Marsilia) aus ist damals wie heute nur über Landwege möglich. Auf diese Weise konnten die Alpen umgangen werden. Von Arles aus ging die Reise auf Lastbooten weiter Rhône aufwärts bis Lyon, von dort auf der Saône bis zur Mündung des Doubs und auf diesem weiter bis zum heutigen Montbéliard. Spätestens hier war die Transportmöglichkeit auf dem Wasser zu Ende. Die etwa 60 km bis zum Rhein konnten nur auf römischen Landstraßen überbrückt werden. Erst der 1784 gebaute Rhein – Rhône – Kanal ermöglichte den Transport zu Wasser. Eine andere Möglichkeit bestand darin, die Rhône bis zum südlichen Zipfel des Genfer Sees zu nutzen, um über den See selbst bis zu dem heutigen Lausanne zu gelangen. Von hier aus führte eine Römerstraße weiter über Aventicum (Avenches) am Neustädter See nach Augusta Raurica (Augst) am Rhein. Wie aus Karte III ersichtlich ist, konnten diese Transporte vom Mittelmeer bis zum Rhein auch auf Landstraßen vorgenommen werden, ohne Wasserwege in Anspruch nehmen zu müssen. Ein mehrmaliges Umladen hätte sich dann erübrigt. Das verhältnismäßig geringe Gewicht der Einzelteile der Statue hätte einen Transport auf den Römerstraßen ohne weiteres ermöglicht.

66 Gabriele Rasbach, Der bronzene Pferdekopf aus der römischen Stadtanlage – ein Fund von internationaler Bedeutung in: hessen – ARCHÄOLOGIE Jahrbuch 2009, Theiss Verlag, Stuttgart

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8 Zusammenfassende Gesamtbewertungen

Der Hauptgrund für die Anlage des römischen Verwaltungszentrum Waldgirmes auf einer Anhöhe über der Lahnenge (Furt) von Dorlar dürfte zunächst die seit Jahrhunderten von der keltischen Bevölkerung im Lahnbogen zwischen Marburg, Gießen und Wetzlar geschaffene Infrastruktur gewesen sein. Das auf dem etwa 500 m ü. NN hohen Dünsberg angelegte stadtähnliche keltische Oppidum hatte seine Blütezeit in der Spätlatène. Auf einem Areal von 90 ha innerhalb einer 9 km langen Mauer konnten bis zu 2000 Menschen wohnen und arbeiten. Die Bevölkerung kannte die Geldwirtschaft, wahrscheinlich wurde die Münze „Tanzendes Männlein“ in diesem Oppidum geprägt. Hinzu kam ein ausgeprägtes Netz von Fernwegen und Zufahrtsstraßen zum Dünsberg - Oppidum. Der Durchlass des nach Süden weisenden „Zangentors“ war so breit, dass 2 Wagen aneinander vorbeifahren konnten. Auf einen regen Handelsverkehr mit Pferdewagen in der Spätlatène kann daraus geschlossen werden. Die im Einflussbereich des Dünsberg - Oppidums lebende Bevölkerung befasste sich vor allem mit dem Abbau der in der näheren und weiteren Umgebung (Lahn-, Dillgebiet) anstehenden Eisenerze. Die Weiterverarbeitung in Rennöfen zu Eisenbarren sowie daraus hergestellten Fertigprodukten und deren Vertrieb auf den Handelswegen ist anzunehmen, d. h. schon lange vor Ankunft der römischen Okkupanten bestand hier eine Hochkultur mit intensivem Fernhandel, an dem auch römische Händler beteiligt gewesen sein dürften, so dass Rom diese prosperierende Gegend bekannt war. Bereits um 20 v. u. Z. ist diese keltische Zivilisation auf dem Dünsberg zu Ende, eventuell wurde ein Großteil der Bevölkerung von Rom in das linksrheinische Gebiet um das heutige Köln umgesiedelt, wie sich dies aus Münzfunden erschließen lässt. Bereits 50 v. u. Z. begann eine Infiltration von Elbgermanen, so dass Drusus bei seinen Kriegszügen gegen die Chatten im Lahnbogen eine keltisch-germanische Mischbevölkerung angetroffen haben dürfte. Eine Fortsetzung des von den Dünsbergkelten bereits praktizierten Abbaus der im Lahn-Dill-Gebiet vorhandenen Eisenerzvorkommen unter römischer Verwaltung könnte in den Überlegungen Roms bei der Platzwahl für das Verwaltungszentrum im heutigen Waldgirmes eine Rolle gespielt haben. Die Absicht, die natürlichen Hindernisse in der Lahn so weit zu beseitigen, dass zumindest ein Flößen des Eisenerzes bzw. der daraus hergestellten Fertigprodukte zum Rhein möglich war, könnte bestanden haben. Die als Flöße verwendeten Baumstämme hätten sicher ebenfalls eine Verwendung finden können. Zum Leidwesen Roms musste eine solche Zukunftsperspektive allerdings reine Utopie bleiben, denn bereits im Jahr 9 u. Z. wären diese Pläne mit dem Verlust von drei Legionen des Varus am Rande des Wiehengebirges (Kalkriese) beendet worden. Der Vormarsch des Drusus und später des Germanicus nach Norden konnte auf der uralten „Weinstraße“ von Mainz aus erfolgen. Die augusteischen Legionslager entlang der „Alten Weinstraße“ und den parallel dazu befindlichen Flüssen Main, Nidda und Wetter geben davon Zeugnis. Vor allem das Nachschublager in Rödgen a. d. Wetter bei Bad Nauheim gilt als wichtiger Stützpunkt für die Versorgung der Truppen des Drusus.

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Die seit der Eroberung durch Caesar in Gallien geschaffenen Verkehrswege konnten von Drusus benutzt werden, um seine Truppen im Legionslager Mainz zu sammeln. Von dort aus konnte er über eine Rheinbrücke und die „Alte Weinstraße“ seinen Vormarsch nach Germanien führen. Ein von M. Eckoldt ausgearbeiteter Bericht gibt einen Überblick über den Lahnausbau seit der Frühen Neuzeit. Danach war es vor dem ersten Lahnausbau möglich, auf einer schwierigen Gebirgsstrecke von etwa 32 km ca. 5 t auf einem Lastkahn flussauf zu treideln. In Ermangelung eines an einem Ufer durchgehenden Treidelpfades musste allerdings das Flussufer über 50 Mal gewechselt werden, was etwa 100 Stunden Zeitverlust bedeutete. Von E. Bremer wurde die natürliche Lahn zur Zeitenwende untersucht und die Ergebnisse in einer Studie dargestellt. Die Lahn zwischen Marburg und ihrer Mündung bei Lahnstein in den Rhein wurde von ihm in drei Abschnitte unterteilt, wobei jeder Abschnitt spezielle geologische Besonderheiten hat, die für die Schifffahrt unterschiedliche Behinderungen ergeben. Der von M. Eckoldt geschilderte Transport mit Lastkähnen unter sehr schwierigen Bedingungen fand lediglich auf einem Teilabschnitt der Gebirgsstrecke statt. Daraus kann somit nicht geschlossen werden, dass vor dem ersten Lahnausbau ein Transport von 5 t auf der gesamten Lahn möglich war. Die von E. Bremer festgestellten natürlichen Hindernisse schränken dagegen die durchgehende Schifffahrt mit Lastkähnen teilweise sehr ein, so dass ein Hochtreideln römischer Prähmen, wie sie auf Rhein und Mosel nachgewiesen sind, vor 2000 Jahren ausgeschlossen werden kann. Aus diesem Grund versuchte E. Bremer Lastschiffe nach Funden und Abbildungen auf Grabsteinen so zu rekonstruieren und an die geologischen Bedingungen der natürlichen Lahn anzupassen, dass sie bei ausreichender Stabilität noch ein Eigengewicht hatten, das es erlaubte, das Boot um unüberwindliche Hindernisse herumzutragen. Das Ergebnis war ein einbaumähnliches Lastschiff, dessen Laderaum durch entsprechende Aufbauten vergrößert werden konnte. Eine Nutzlast von 380 kg wäre nach den Berechnungen von E. Bremer möglich gewesen. Die Lippe ist ein Flachlandfluss, während die Lahn die Eigenschaften eines Mittelgebirgsflusses hat. Aufgrund dieser verschiedenen geologischen Gegebenheiten führt ein Vergleich ihrer Schiffbarkeit vor 2000 Jahren zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, wobei die Lippe wegen ihres geringeren Gefälles und ihrer flachen Ufer wesentlich günstiger erscheint als die Lahn. Der von E. Bremer errechnete immense Bedarf an Versorgungsgütern, vor allem an Getreide für die um die Zeitenwende an der Lippe vorhandenen Römerlager, konnte nur vom Rhein aus gedeckt werden. Dies erforderte jedoch ein Hochtreideln von römischen Lastkähnen (Prähmen), was offensichtlich nach der Beseitigung von einigen Hindernissen und dem Anlegen eines Treidelpfades realisiert werden konnte. Für die Römerstadt in Waldgirmes wird der Bedarf an Versorgungsgütern von G. Rasbach nicht besonders hoch eingeschätzt. Das Getreide konnte aus der nahe gelegenen Wetterau beschafft werden. Obwohl die Römerstadt auf einer Anhöhe über der Lahn errichtet wurde, dürfte der Fluss selbst für Transporte vom Rhein her keine Bedeutung gehabt haben. Die benötigten Handelsgüter konnten vom Legionslager Mainz aus auf den vorhandenen Wegen herangeschafft werden. Ein Vergleich von Transporten auf den Altwegen zum römischen Verwaltungszentrum Waldgirmes mit der Lahnroute ergibt für den Transport auf der „Alten Weinstraße“ und dem

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„Wetzlarer Weg“ (90 km) eine Gesamtzeit von etwa 5 Tagen, während auf der Lahn (132 km) 19 bis 21 Tage aufzubringen gewesen wären. Unter der Annahme, dass der Sockel für die Reiterstatue etwa 1,50 m hoch war und vollkommen aus dem weichen Kalkstein aus dem oberen Moselraum bestand, ergibt sich ein Gesamtgewicht von ca. 25 t. Für einen Transport auf der Lahn ergibt sich bei einer Nutzlast pro Lastboot von 380 kg eine erforderliche Anzahl von 68 Nachen. Ein Transport der Kalksteine auf der Lahn wird somit sehr unwahrscheinlich. Römische Wagen sind aus Schriften antiker Autoren und von Darstellungen auf Grabsteinen bekannt geworden. Deswegen ist es schwierig, Angaben über die möglichen Transportlasten zu machen. Für die römischen Bauwerke wie Amphitheater, Thermen, Brücken, Aquädukte usw. waren ständig schwere Steine auf Wagen vom Steinbruch zur Baustelle zu fahren; nicht immer war ein Flusstransport mit Lastbooten möglich. Wenn ein mittelalterlicher zweiachsiger Kaufmannswagen 4 bis 5 t transportieren konnte, dürfte es einem römischen Wagenbauer möglich gewesen sein, einen Schwerlastwagen für ein Transportgewicht von 2 bis 2,5 t zu bauen. Zum Transport der Sockelsteine von Mainz nach Waldgirmes dürften 10 bis 13 Ochsenkarren ausgereicht haben. Wenn nur der obere Teil des Sockels aus Muschelkalk bestand, ist von einem entsprechend geringeren Transportgewicht und somit auch von weniger Ochsenkarren auszugehen. Die grundsätzlichen Transportschwierigkeiten auf der Lahn bleiben hingegen bestehen. Für den Transport der lebensgroßen Reiterstatue aus vergoldeter Gussbronze werden Möglichkeiten auf Flüssen wie Rhône, Saône und Doubs aufgezeigt, wobei die Alpen umgangen werden konnten. Ein durchgehender Transport auf Flüssen vom Mittelmeer nach Mainz ist jedoch erst durch den Rhein-Rhône-Kanal möglich geworden. Wenn die Reiterstatue in mehrere Teile zerlegt aus Italien angeliefert wurde, kann der Transport vom Mittelmeer aus mit den auf dem bestehenden römischen Straßennetz verkehrenden Wagen erfolgt sein. (Karte III). Die oben dargelegte Ansicht, dass die Lahn und ihre Ufer von den Römern weder als Wasser- noch als Landweg genutzt werden konnten, findet etwa 70 Jahre nach Aufgabe der römischen Stadt Waldgirmes eine indirekte Bestätigung, als die Grenze des Imperium Romanum zu Germanien abgesteckt wurde. Anstatt das Lahntal in das römische Reich einzubeziehen, kreuzte der Limes den Fluss lediglich beim heutigen Bad Ems, um über die Höhen des Taunus zur Wetterau zu gelangen. Der Limes wurde dann nördlich um die Wetterau herumgeführt und diese damit als wichtiger Getreide- und Salzlieferant in das Imperium integriert. Die Bauarbeiten am Limes in der Region von Bad Ems können von der römischen Rheinflotte unterstützt worden sein. Die Entfernung zum Rhein beträgt 12 km und von der Topografie her war ein Treideln von Lastkähnen mit Baumaterial zumindest auf einer Lahnseite möglich. (Gefälle = allerdings 1,58 m auf 1 km). Ebenfalls war die militärische Überwachung mit Patrouillebooten vom Rhein aus gegeben. Als weiterer Gesichtspunkt für das Desinteresse Roms an der Lahn als Transportweg kann die Tatsache gelten, dass das Lahntal im engeren Sinne bis auf den Bogen zwischen Marburg und Wetzlar keine römischen Relikte aufweist, die auf eine Vormarschroute durch das Lahntal hinweisen könnten.

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Die in Limburg a. d. Lahn neu entdeckten beiden Römerlager lagen an einem dort die Lahn kreuzenden Altweg, der aus dem Rhein-Main-Gebiet über den Taunus nach Norden bis nach Köln führte. An diesem Altweg lag auf einem Taunusausläufer das vor einigen Jahren entdeckte Römerlager in Oberbrechen. Dieses Lager ist im Zusammenhang mit dem in der Nähe stattgefundenen Silber- und Bleiabbau zu sehen. Wenn Caesar die in seinen Kriegsberichten erwähnten Brücken über den Rhein zum Neuwieder Becken hin baute, konnte er von dort auf sicher vorhandenen Höhenwegen in etwa 3 Tagen zu den Wohnplätzen der Ubier im Limburgen Becken und in weiteren 3 Tagesmärschen zum Dünsbergoppidum gelangen. Die unter 5.1.1 erwähnte „Koblenzer Straße“ dürfte in caesareischer Zeit die günstigste Möglichkeit gewesen sein, um vom Rhein direkt zu den Dünsbergkelten (Ubiern) zu gelangen. Der nördlich davon über die Höhen des Westerwaldes ziehende „Rennweg“ dürfte für die Umsiedlung der Ubier von ihrem Hauptsitz im Dünsbergland auf die linke Rheinseite des Kölner Raumes von Bedeutung gewesen sein. Auf die Bedeutung der „Alten Weinstraße“ für römische Truppenbewegungen noch im Jahr 235 u. Z. wurde hingewiesen. (Kampfplatz Harzhorn). Darüber hinaus diente dieser Altweg während der gesamten römischen Besatzungszeit als Handelsstraße für den Austausch von Waren mit Germanien. Den Limesübergang dieser Fernstraße haben die Römer im heutigen Stadtbereich von Butzbach bald nach dem Chattenkrieg (83 bis 85 u. Z.) unter Kaiser Domitian mit einem großen Grenzkastell, der „Hunneburg“ gesichert. Als Grenzposten diente das Kleinkastell „Degerfeld“ direkt am Limesdurchgang. In der Nähe befand sich ein ungewöhnlich großer Vicus (Lagerdorf), der wahrscheinlich von dem Alemanneneinfall 233 u. Z. schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. (In etwa zeitgleich mit der oben erwähnten Schlacht am Harzhorn.). Die Verkehrsbedeutung des Butzbacher Raumes ist – geografisch bedingt – bis heute geblieben: die viel befahrene B3, eine Fernstrecke der Bundesbahn und die Autobahn Frankfurt – Kassel sind Träger eines intensiven Nord-Südverkehrs längs der hessischen Senken.67 Bewundernswert ist die strategische Weitsicht Roms bei der Wahl des Geländes für das Legionslager und den Flottenstützpunkt im Bereich des heutigen Mainz. Nicht nur die vom rechten Ufer des Rheins aus weit in den Norden Germaniens führende „Alte Weinstraße“ – in der Mainebene auch „Elisabethen- oder Heerstraße“ genannt – war von großer Bedeutung, sondern auch der gegenüber des Kriegshafens einmündende Main konnte zur Unterstützung vor allem der um die Zeitenwende östlich agierenden römischen Truppen dienen. Der fast hundert Jahre später zur Abgrenzung der östlichen Wetterau erbaute Limes konnte auf dem Wasserweg (unter Einbezug des Main sowie der unteren Kinzig) unterstützt werden; ja sogar der Main selbst wurde als natürliche Grenze zu Germanien zwischen den heutigen Orten Seligenstadt und Miltenberg als Fortsetzung des Wetteraulimes nach Süden genutzt. Die dort auf dem römisch besetzten linken Mainufer angeordneten Limeskastelle konnten als Zwischenstationen der für die Versorgung und militärischen Überwachung von Mogontiacum aus eingesetzten Schiffe dienen.

67 Wie Anmerkung 31

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Römische Militärlager zur Zeit der Okkupation Germaniens:

1. Mainz/Mogontiacum – Legionslager ( zwei Legionen). Sitz der Provinzverwaltung Obergermaniens. (Rhein). Ausgangspunkt für die römischen Feldzüge gegen germanische Stämme, sowie ein Haupthafen für die auf dem Rhein agierende römische Kriegsflotte.

2. Kastell/Castellum Mattiacorum – verbunden durch eine Brücke über den Rhein mit Mogontiacum. Ausgangspunkt des uralten Fernweges nach Norden. Elisabethen-/Alte Weinstraße. (Rhein).

3. Hofheim am Taunus – römische militärische Anlagen. Durchzugsgebiet während der

augusteisch – tiberischen Feldzüge. (Schwarzbach). 4. Höchst – frühkaiserzeitliche Militärlager. (Main).

5. Praunheim – Militärlager. Strategisch wichtiger Punkt für die Eroberung der Wetterau.

(Main). 6. Nida (Frankfurt – Heddernheim) – zunächst Marschlager aus der Zeit der frühesten

Okkupation, später Hauptort der Civitas Taunensium. (Nidda).

7. Friedberg – frühkaiserzeitliches Militärlager. (Usa). 8. Bad Nauheim – Militärlager (Usa).

9. Rödgen – Versorgungslager für den Drususfeldzug gegen die Chatten. (Wetter). 10. Dorlar – Marschlager für ca. 8.000 Legionäre (Wahrscheinlich Ausgangsbasis für die

endgültige Ausschaltung des keltisch/germanischen Machtzentrums auf dem Dünsberg). (Lahn).

11. Oberbrechen, augusteisches Militärlager (Ems/Laubusbach)

12. Römisches Verwaltungszentrum im heutigen Waldgirmes von 4 v. u. Z. bis spätestens 16

u. Z.. (Lahn)

In Klammern sind die Fließgewässer angeführt, in deren Nähe die Militärlager angelegt wurden. (Das augusteische Militärlager in Anreppen, das im Zusammenhang mit dem Drusus – Feldzug bis zur Elbe steht, befand sich an der Werra.). Die oben angegebene Nummerierung der Lager siehe Karte I.

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Vergleichsdaten Lahn/Lippe u. a.

Partielle Vergleichsdaten Lahn/Lippe siehe auch Abschnitt 4. Das durchschnittliche Gesamtgefälle der Lahn beträgt das 4,42fache desjenigen der Lippe. Die aus dem Energiepotential errechnete theoretische Fließgeschwindigkeit ohne Reibung beträgt das 2,21fache. Der im Gegensatz zur Lahn von Wehren und Staustufen kaum eingeschränkte Wasserlauf der Lippe entwickelt eine Fließgeschwindigkeit von im Schnitt 0,83 m/sec. Auf die Lahn übertragen würde das bedeuten, dass diese ohne die oben genannten Einbauten eine durchschnittliche Fließgeschwindigkeit von 1, 84 m/sec hätte. Das bedeutet im flachen Gelände eine geringere und dafür in den Abschnitten mit größerem Gefälle eine entsprechend höhere Fließgeschwindigkeit. Die so entstehenden „Stromschnellen“ wurden oben erwähnt. Aus den in obiger Tabelle angegebenen geodät. Höhen für die Mündungsbereiche von Lahn und Lippe ergibt sich mit einer Länge von ca.215 Flusskilometer für den Rhein ein durchschnittliches Gefälle von 0,2 m/km. Das bedeutet im Vergleich zur Lahn eine wesentlich ruhigere Strömung, obwohl auch der Rhein seine Tücken für die antike Schifffahrt gehabt haben dürfte. Von der Topografie her ist die Lahn eher mit der Mosel vergleichbar, weil sich diese ebenfalls zwischen zwei Mittelgebirgen (Eifel und Hunsrück) tief eingegraben hat und dadurch große Flussschleifen ausbildet. Vergleicht man die Mosel im unteren, bereits zur Römerzeit schiffbaren Bereich zwischen Trier und Koblenz, mit dem Lahnabschnitt zwischen Waldgirmes und Lahnstein ergibt sich ein durchschnittliches Gefälle von 0,81 m/km für die Lahn und 0,33 m/km für die Mosel. (Dieses Gefälle ist sogar noch etwas geringer als das für den Abschnitt der Lippe zwischen Haltern und Wesel). Neben diesen ein Maß für die Fließgeschwindigkeit darstellenden Werten kommt für die Mosel noch positiv hinzu, dass die Geschiebeführung gering (keine Sandbänke), die abfließende Wassermenge hingegen wesentlich größer war als die der Lahn. Die für die obigen Berechnungen zugrunde gelegten Daten wurden der Gewässerkarte Lahn, Jübermann–Verlag 2009 sowie der Gewässerkarte Lippe, Jübermann-Verlag, 2004 entnommen. Für die Mosel lagen www.binnenschiffahrtswelt.de/mosel/mosel.htm sowie www.almusafir.ch/mosel/mosel.htm zugrunde.

Technische Daten

Lahn Lippe

Quellhöhe [m ü. NN] 628 134

Höhe der Mündung in den Rhein [m ü. NN]

61 18

Höhendifferenz [m] (Energiepotential)

567 116

Flusslänge, gesamt [km] 242 220

durchschnittliches Gesamtgefälle

2,34 m/km

0,53 m/km

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