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23.10.2020 1 Sozialistische Utopie heute SP Bildung, 22. Oktober 2020 Pascal Zwicky Aufbau I. Die globale Vielfachkrise als Übergangsphase II. Sozialistische Utopie – Kritik und Kontinuität III. Transformatorischer Wandel IV. Diskussion

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    Sozialistische Utopie heute

    SP Bildung, 22. Oktober 2020Pascal Zwicky

    Aufbau

    I. Die globale Vielfachkrise als ÜbergangsphaseII. Sozialistische Utopie – Kritik und KontinuitätIII. Transformatorischer WandelIV. Diskussion

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    I. Die globale Vielfachkrise als Übergangsphase

    Die globale Vielfachkrise als Übergangsphase

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    Was liegt der Vielfachkrise zugrunde?

    Kapitalismus• Als kapitalistisch zu bezeichnen sind „alle gesellschaftlichen Ordnungen […],

    in denen die gesellschaftliche Reproduktion unter dem Primat der Selbstvermehrung des Kapitals, unter der Dominanz des Profits erfolgt. Es sind Gesellschaften, in denen das übergreifende Ziel der Wirtschaft die Reproduktion von Kapital ist und diesem wirtschaftlichen Ziel auch Politik, Kultur und Sicherheit untergeordnet sind.“ (Brie/Klein 2004: 9)

    (Neoliberaler) Kapitalismus des 21. Jahrhunderts• Globalisierung, «Landnahme»-Prozesse (Ausweitung & Vertiefung der

    Profitlogik), Monopolisierung, Entkopplung Finanzmärkte/Realwirtschaft, Digitalisierung, «kultureller Kapitalismus»

    Was liegt der Vielfachkrise zugrunde?

    «Vorder- und Hintergrundgeschichten des Kapitalismus» (Nancy Fraser)• Vordergrund: Klassische Ausbeutung («Arbeitsmarkt»)• Hintergrund: Trennung soziale Reproduktion/Produktion; Trennung

    Gesellschaft/Natur; staatliche Gewalt garantiert Rahmenbedingungen

    «Imperiale Lebensweise» (Ulrich Brand/Markus Wissen)• Verbindung Lebensalltag und gesellschaftliche Strukturen• «Imperiale Lebensweise» basiert auf Externalisierung – Exklusivität ist in

    ihrem Normalbetrieb angelegt

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    II. Sozialistische UtopieKritik und Kontinuität

    Was ist eine Utopie?

    „Eine Utopie ist der Entwurf einer möglichen, zukünftigen, meist aber fiktiven Lebensform oder Gesellschaftsordnung, die nicht an zeitgenössische historisch-kulturelle Rahmenbedingungen gebunden ist.Der Begriff leitet sich ab von altgriechisch οὐ ou „nicht“ und τόπος tópos „Ort, Stelle“, gemeinsam „Nicht-Ort“. Die in Utopien beschriebenen fiktiven Gesellschaftsordnungen resultieren aus einer Kritik der jeweils zeitgenössischen Gesellschaftsordnung und können als positive Gegenentwürfe gelesen werden.“(Quelle: Wikipedia)

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    Weshalb Utopie?

    „Wandel, Transformation der Gesellschaft beginnt mit Wandel im gesellschaftlichen Feld und speziell im gesellschaftlichen Diskurs, mit Wandel in den Köpfen der Menschen“ (Reissig 2014, S. 61).

    Gesamtheit möglicher Realitäten

    Herrschender hegemonialer Rahmen

    Neoliberaler KapitalismusDemokratischer Sozialismus

    Abschottung / Ausgrenzung

    Offene Gesellschaft

    Politische Praxis / gelebte Demokratie

    in der Schweiz

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    Sozialistische Utopie damals

    "Die Idee des Sozialismus ist ein geistiges Kind der kapitalistischen Industrialisierung; es erblickt das Licht der Welt, als sich in der Nachfolge der Französischen Revolution zeigte, dass deren Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für grosse Teile der Bevölkerung leere Versprechungen geblieben und von einer sozialen Verwirklichung daher weit entfernt waren" (Honneth 2015: 23)

    Kritik am (alten) Sozialismus

    Ökonomistische Engführung

    Vernachlässigung der Freiheitsgewinne in der (bürgerlichen) Demokratie / Politik

    Vernachlässigung der Geschlechterverhältnisse / Reproduktionsarbeit

    Vernachlässigung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse

    Eurozentrische Perspektive / Rassismus, Kolonialismus oft vernachlässigt

    Commons im Kleinen statt Sozialismus im Grossen?

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    Auf dem Weg zu einer neuen Utopie

    Desillusionierung in der «Spätmoderne» (Andreas Reckwitz): Das liberale Fortschrittsnarrativ verliert an Strahlkraft – es ist nicht zukunftsfähig.

    Das von einem tief verankerten Zweckrationalismus geprägte und durch eine teils blinde Fortschrittsgläubigkeit getragene System, das Felix Scheidler als «Megamaschine» bezeichnet, muss nicht nur einfach sozialistisch verfasst, sondern beerdigt werden.

    Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus

    «Es braucht eine Alternative: einen erneuerten demokratischen, einen grünen Sozialismus. Es braucht eine Perspektive, die in einem offenen und offensiven Suchprozess unsere verschiedenen politischen Initiativen auf so unterschiedlichen Feldern wieder zusammenbindet, damit nicht alles in Einzelpolitiken, -forderungen und -aktivitäten zerfällt. …Wir sollten nicht dahinter zurückbleiben, unsere Vorstellungen einer solidarischen, demokratischen, feministischen, antirassistischen Postwachstumsalternative bei einem neuen alten, bei einem unabgegoltenen Namen zu nennen und gemeinsam dafür zu streiten, was er bedeuten soll im 21. Jahrhundert: Sozialismus – eine gute, eine solidarische, eine gerechte Gesellschaft, das Einfache, das schwer zu machen scheint» (Candeias 2020: 4).

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    Dimensionen eines demokratischen und grünen Sozialismus des 21. JahrhundertsSchaffung der materiellen Voraussetzungen für ein gutes Leben für alle

    Arbeit, Klasse, Eigentum – noch immer!

    Feminismus

    Degrowth / ökologische Nachhaltigkeit

    Radikale Demokratie (gesellschaftliche Demokratisierung & Menschenrechte)

    Ein neues Verhältnis von Markt und demokratischer Planung

    Technik, die dem Menschen dient – nicht umgekehrt

    Postkolonialer Internationalismus und Antirassismus

    III. Transformatorischer Wandel

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    Sozial-ökologische Transformation um die (sozialistische) Utopie Realität werden zu lassen„Die Annahme ist nicht, dass erst nach dem Kapitalismus säuberlich getrennt von ihm der Sozialismus beginnt, sondern mehr Gerechtigkeit, mehr Solidarität, mehr friedliche Konfliktlösungen, mehr umweltorientierte gesellschaftliche Verhältnisse, mehr demokratische Bürgerbeteiligung mitten in der bürgerlichen Gesellschaft bedeuten, dass bereits in deren Rahmen der Einstieg in die Überschreitung des Kapitalismus beginnt. Wenn radikal-demokratische Kräfte solche Entwicklungen vorantreiben!“ (Klein 2014, S. 106)

    Bini Adamczak (2017: 225) schlägt vor, „die emanzipatorische Revolution nicht als Machterringung, sondern als sozialen Transformationsprozess zu konzipieren, in dessen Zentrum nicht die Destruktion der herrschenden Gesellschaft steht, sondern die Konstruktion einer herrschaftsfreien.“

    Sozial-ökologische Transformation um die (sozialistische) Utopie Realität werden zu lassenDrei Ebenen transformatorischer Strategie:

    1. Eruptiver Bruch (Revolution)2. Zähmung des Kapitalismus «von oben» (Sozialdemokratie)3. Erosion des Kapitalismus «von unten» (Freiräume, Nischen)

    Es gilt insbesondere 2 & 3 zu verbinden, soziale Kämpfe müssen mit institutioneller Politik zusammengebracht werden.

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    (Mögliche) Schwerpunkte einer sozial-ökologischen TransformationRückverteilung / Steuerpolitik (nationale & internationale Harmonisierung Unternehmenssteuern, Vermögenssteuern, Erbschaftssteuer)Stärkung und Ausweitung Service public / Commons (Pflege/Alter, Wohnen, Medien, Kitas, Pharma etc.)Solidarisch-nachhaltige LandwirtschaftDemokratisierung von UnternehmenArbeitszeitverkürzungNachhaltige Mobilitätspolitik (Förderung ÖV, Langsamverkehr / Begrenzung, Regulierung motorisierter Individualverkehr und Flug)Förderung SolarenergieEmanzipatorische Bildung und Kultur stärkenBürgerrechtsreformen (u.a. ius soli) & Legalisierung Sans PapiersStärkung internationaler Kooperation (UNO, WHO, EU, etc.)

    IV. Diskussion

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    Diskussion

    Offensiv für einen demokratischen und grünen Sozialismus des 21. Jahrhunderts – oder sich mit den "realen Utopien" im Kleinen, den Commons begnügen, sie stärken und ausweiten?

    Braucht es Utopien? Am Sozialismus festhalten? Was wären Alternativen – inhaltlich und begrifflich? Was sind die zentralen Elemente einer "konkreten Utopie» resp. die wichtigsten politischen Projekte? Was kann die SP dazu beitragen? Etc.

    Literatur• Elmar Altvater & Raul Zelik (2009): Vermessung der Utopie• Ulrich Brand & Markus Wissen (2015): Imperiale Lebensweise• Michael Brie (Hg.) (2014): Futuring. Perspektiven der Transformation im Kapitalismus über ihn hinaus• Mario Candeias (2020): Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus• Nancy Fraser & Rahel Jäggi (2020): Kapitalismus. Ein Gespräch über kritische Theorie• Axel Honneth (2015): Die Idee des Sozialismus: Versuch einer Aktualisierung• Stephan Lessenich (2019): Grenzen der Demokratie. Teilhabe als Verteilungsproblem• Silvia Federici (2020): Die Welt wieder verzaubern. Feminismus, Marxismus & Commons• Andreas Reckwitz (2019): Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne• Beat Ringger & Cédric Wermuth (2020): Die Service-public-Revolution• Fabian Scheidler (2015): Das Ende der Megamaschine• Raul Zelik (2020): Wir Untoten des Kapitals. Über politische Monster und einen grünen Sozialismus