Regeln und Code

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Regeln und Code Praktiken jugendlicher Nutzer auf Netzwerkplattformen Dr. Jan-Hinrik Schmidt Wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation Bremen, 30.04.2009

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Regeln und Code Praktiken jugendlicher Nutzer auf Netzwerkplattformen

Dr. Jan-Hinrik Schmidt

Wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation

Bremen, 30.04.2009

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Agenda

1. Einleitend: Entwicklungsaufgaben und das Social Web

2. Analyserahmen für Nutzungspraktiken

3. Angebotsanalysen: SchülerVZ und MySpace

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Das neue Netz?!

• Bezeichnung „Web 2.0“ impliziert, dass technische Innovationen, neue Geschäftsmodelle und kulturell-gesellschaftliche Veränderungen zu einem „neuen Netz“ geführt hätten.

• Zwar wachsen die Optionen für den Einzelnen, aktiv Inhalte im Netz zu präsentieren, mit anderen zu teilen und weiter zu verbreiten, doch These eines „revolutionären Sprungs“ übertreibt; daher wird im Folgenden von „Social Web“ gesprochen.

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Instant-Messaging

Online Communities

Musik/Sounddateien anhören

Musik/Sounddateien einstellen

In Wikis lesen

In Wikis schreiben

Filme/Videos anschauen

Filme/Videos einstellen

Weblogs lesen

Weblogs verfassen

Nutzung von Social Web-Angeboten (in %, min. mehrmals pro Woche)

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Entwicklungsaufgaben und Handlungskomponenten im Social Web

Entwicklungs-aufgabe

Kernfrage Handlungs-komponente

Beispiele

Selbstauseinander-setzung

Wer bin ich? Identitäts-management

Ausfüllen einer Profilseite;

Veröffentlichen eines eigenen Videos

Sozialauseinander-setzung

Welche Position habe ich in meinem sozialen Netzwerk?

Beziehungs-management

Senden oder Annehmen von Kontaktgesuchen;

Kommentieren eines Weblogeintrags

Sachauseinander-setzung

Wie orientiere ich mich in der Welt?

Informations-management

Recherchieren in Wikipedia;

Bewerten eines YouTube-Videos

• Nutzung des Social Web ist Teil des Alltags von Heranwachsenden, indem und weil es ein Werkzeug für die Bewältigung von lebensphasenspezifischen Entwicklungsaufgaben darstellt

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Es gibt nicht die Social-Web-Nutzung, sondern unterschiedliche Praktiken im Umgang mit den Kommunikationsumgebungen und sozialen Räumen des Internet, also unterschiedliche Praktiken des Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagements.

Die Analyse von Formen und Konsequenzen der Social-Web-Nutzung muss immer berücksichtigen, vor welchem Hintergrund von

geteilten Erwartungen und Normen, für welches Publikum bzw. welche Öffentlichkeit, und unter welchen technischen Bedingungen das Handeln stattfindet.

Abstrakter formuliert: Identitäts-, Beziehung- und Informationsmanagement in konkreten Situationen ist von Verwendungsregeln, Relationen und Code gerahmt

Nutzungspraktiken (1)

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Verwendungsregeln Geteilte Erwartungen und Routinen über das „angemessene“ Handeln in spezifischen

Situationen z.B. ob eine authentische Selbstdarstellung gefordert ist oder „Fakes“ als legitim akzeptiert

werden; wie mit Kontaktanfragen von bislang unbekannten Personen umgegangen wird; ob ein Wikipedia-Eintrag als Quelle für eine Schul- oder Hausarbeit verwendet werden darf; etc.

Z.B. subkulturelle oder cliquenspezifische Konventionen; Allgemeine Geschäftsbedingungen von Plattformen; Gesetzliche Vorgaben

Relationen Soziale Netzwerke und Beziehungen, die mit Hilfe von Software gepflegt, explizit gemacht

oder aufgebaut werden Die Einbettung in ein solches Beziehungsgeflecht stellt dem Einzelnen Sozialkapital zur

Verfügung: Informationsfluss; emotionale Unterstützung; Zugehörigkeit und Identität in einer Gruppe; etc.

Zugleich stellen Netzwerke auch Öffentlichkeit für bestimmte Äußerungen oder Selbstpräsentationen dar

Nutzungspraktiken (2)

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Code Die Software einzelner Anwendungen mit ihren spezifischen Optionen und Restriktionen

sowie die Architektur des Social Web als ganzes, die den Austausch von Daten zwischen Anwendungen fördert

z.B. Funktionen, bestimmte Profilinformationen nur für ausgewählte Mitglieder des eigenen Netzwerks sichtbar zu machen; z.B. die Möglichkeit, ein YouTube-Video auf einer eigenen Webseite einzubetten; etc.

Technische Vorgaben der Software determinieren Handeln jedoch nicht, sondern können von Nutzern auch umgangen oder für nicht-intendierte Zwecke eingesetzt werden

Nutzungspraktiken (3)

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Vorgehen der Angebotsanalysen

Ge-samt

Männ-lich

Weib-lich

12-14 Jahre

15-17 Jahre

18-20 Jahre

21-24 Jahre

YouTube 70 81 59 76 83 73 56

Wikipedia 55 61 49 53 61 58 50

ICQ 49 51 47 48 60 57 37

SchülerVZ 39 41 37 58 66 37 11

StudiVZ 30 28 32 2 10 37 57

MyVideo 27 39 15 45 35 24 13

MSN 25 22 27 24 33 28 17

MySpace 14 17 12 7 23 16 12

• Befunde aus der qualitativen und quantitativen Befragung mit Analysen der technischen Optionen bzw. Architektur der Anwendungen kombiniert wurde, um Praktiken des Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagements sowie ihre sozialen Konsequenzen zu beschreiben

Nutzung mindestens einmal pro Woche, in %

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Reichweite SchülerVZ & MySpace (mindestens einmal pro Woche, in %)

Gesamt Männ. Weib. 12-14 15-17 18-20 21-24 HS RS GYM

SchülerVZ 39 41 37 58 66 37 11 29 41 42

MySpace 14 17 12 7 23 16 12 10 9 19

• SchülerVZ ist unter Jugendlichen deutlich beliebter als MySpace

• Jungen bzw. junge Männer nutzen die Plattformen etwas häufiger als Mädchen bzw. junge Frauen

• Zusammenhang mit formalem Bildungsgrad der Nutzer; Hauptschüler auf beiden Plattformen unterrepräsentiert

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Identitäts- und Beziehungsmanagement

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Identitätsmanagement auf SchülerVZ & MySpace

• SchülerVZ und MySpace erzwingen „standardisierte Selbstdarstellung“, um am sozialen Leben der jeweiligen Plattform teilhaben zu können; Vorgaben der Profilmasken variieren zwar im Detail, verlangen letztlich aber, das eigene Selbst auf bestimmte Eigenschaften und Profilfelder zu komprimieren.

• Identitätsmanagement gerät dadurch in Konflikt mit dem Bedürfnis der jugendlichen Nutzergruppen, ihre eigene, d.h. individuelle, persönliche und spezifische Identität auf den Plattformen auszudrücken und sichtbar zu machen.

• Software-Code von SchülerVZ gibt ein vergleichsweise starres Raster auf den Profilseiten vor, so dass sich die Kreativität der Nutzer insbesondere im Beitritt zu Gruppen äußert, deren Bezeichnungen dem eigenen Profil eine besondere Note geben können.

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Identitätsmanagement auf SchülerVZ & MySpace

• MySpace ist demgegenüber deutlich freier gestaltbar, so dass sich individuelle Vorlieben oder Kreativität zum Beispiel in der Wahl eines Pseudonyms, aber auch in einer ausgefeilten Gestaltung des Profilseiten-Layouts äußern können.

• Zudem erlaubt MySpace auch Profile für Musiker und Bands, die dort Audio- oder Videodateien veröffentlichen können.

• Dadurch entsteht (a) neuer Distributionskanal für populärkulturelle Werke, aber auch (b) ein Raum für die Beziehungspflege zwischen Künstlern und Fans einerseits sowie unter Fans andererseits.

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Beziehungsmanagement auf SchülerVZ & MySpace

• Spannung zwischen der persönlichen Sphäre der Nutzer sowie der Öffentlichkeit, die mit Hilfe von Netzwerkplattformen hergestellt wird:

– Für Beobachter erscheint oft bereits das Offenlegen bestimmter persönlicher Merkmale auf Netzwerkplattformen als Preisgeben der eigenen Privatsphäre.

– Nicht nur die vergleichsweise statischen Elementen (wie Beziehungsstatus oder persönliche Vorlieben) im eigentlichen Profil, sondern gerade auch die dynamischen Kommunikationen sowie Informationen, die sich in „Aktivitätsfelder“ eintragen lassen, geben einen Einblick in momentane Stimmungen oder Zustände.

– Dieses Verhalten ist jedoch aus der kommunikativen Situation heraus nachvollziehbar: Nutzer schaffen sich ihre eigenen persönlichen Öffentlichkeiten.

– Nur das Ausfüllen eines eigenen Profils und der (teil-/plattform-) öffentliche Austausch lässt Jugendliche an der Nutzergemeinschaft teilhaben und sich ihrer eigenen Identität bzw. ihres Status innerhalb der online abgebildeten erweiterten Peer-Group bewusst werden.

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Problem der persönlichen Öffentlichkeit

• Das Problematische an diesem „writing oneself into being“ ist, dass diese Praktiken unter besonderen technischen Bedingungen stattfinden: die Kommunikationen sind persistent, durchsuchbar, kopierbar und finden vor „unsichtbarem Publikum“ statt.

• Die Reichweite der eigenen Selbstdarstellung im Profil, der hochgeladenen Fotos oder der Kommentare auf anderen Nutzerprofilen wird daher meist unterschätzt.

• Bei SchülerVZ täuscht die von Anbieterseite formulierte Vorgabe, dass nur Schüler auf der Plattform registriert sein dürfen, über den wahren Publikumskreis hinweg; der Anteil von gefälschten Profilen lässt sich zwar nicht quantifizieren, doch ist plausibel anzunehmen, dass eine Vielzahl von Erwachsenen (insbesondere wohl Lehrer und Eltern) inzwischen auch auf der Plattform vertreten sind.

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Konfligierende Erwartungen

• Im Umgang mit persönlichen Öffentlichkeiten konfligieren somit eine Reihe von Erwartungen und Normen

– Aus Sicht der Jugendlichen besteht das Dilemma insbesondere darin, dass die persönlichen Öffentlichkeiten auf Netzwerkplattformen als eigener und selbstbestimmt angeeigneter Raum wahrgenommen werden, eben als „My Space“

– Die Leiterwartung ist, dort innerhalb eines erweiterten sozialen Umfelds von Gleichaltrigen präsent zu sein, sich darzustellen und zu unterhalten.

– Die Bedenken der Erwachsenenwelt nehmen Jugendliche über die medialen Diskurse zum „Datenexhibitionismus“ sowie über Interventionen besorgter Eltern und Lehrer wahr.

– Die Bedenken erscheinen ihnen jedoch vielfach unverständlich, da die Warnungen nicht mit der eigenen Wahrnehmung der Kommunikationssituation korrespondiert.

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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Dr. Jan-Hinrik Schmidt

Hans-Bredow-Institut

Warburgstr. 8-10, 20354 Hamburg

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www.hans-bredow-institut.de

www.schmidtmitdete.de

Kurzfassung der gesamten Studie unter

http://www.hans-bredow-institut.de/webfm_send/367