Reihe herausgegeben von K. Lichtblau, Frankfurt, Deutschland Ö978-3-658-14963-5/1.pdf · 5 Die...

37
Reihe herausgegeben von K. Lichtblau, Frankfurt, Deutschland S. Moebius, Graz, Österreich Klassiker der Sozialwissenschaften

Transcript of Reihe herausgegeben von K. Lichtblau, Frankfurt, Deutschland Ö978-3-658-14963-5/1.pdf · 5 Die...

Reihe herausgegeben vonK. Lichtblau, Frankfurt, DeutschlandS. Moebius, Graz, Österreich

Klassiker der Sozialwissenschaften

In den Sozialwissenschaften gibt es eine ganze Reihe von Texten, die innerhalb der Scientific Community seit vielen Jahren immer wieder gelesen und zitiert werden und die deshalb zu Recht den anerkannten Status des „Klassischen“ für sich in Anspruch nehmen können. Solche fraglos gültigen Bezugstexte sind nicht das Privileg einer einzelnen theoretischen Strömung, sondern im Gegenteil: Man findet sie in allen Fraktionen und weltanschaulichen Lagern innerhalb der moder-nen Sozialwissenschaften, so dass intersubjektiv anerkannte Klassiker die Mög-lichkeit eines ökumenischen Dialogs zwischen den oftmals verfeindeten Schulen eröffnen. Man kann diese Schriftenreihe auch so verstehen, dass konfessionelle Zugehörigkeiten den Zugang zur eigentlichen „Sache“ nicht verstellen dürfen, aufgrund der prinzipiellen Standortgebundenheit aller kultur- und sozialwissen-schaftlichen Erkenntnis aber selbstverständlich als jeweils besondere „Perspektive“ bei der Klärung der entsprechenden Sachverhalte eingebracht werden müssen. Die Schriftenreihe ist deshalb darum bemüht, die unterschiedlichsten, oft zu Unrecht vergessenen Klassiker der Sozialwissenschaften anhand von ausgewählten Texten wieder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Reihe herausgegeben vonKlaus LichtblauGoethe-Institut FrankfurtDeutschland

Stephan MoebiusKarl-Franzens-Universität GrazÖsterreich

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12284

Klaus Lichtblau (Hrsg.) Werner Sombart (Autor)

Die Modernität des KapitalismusHerausgegeben von Klaus Lichtblau

HerausgeberKlaus LichtblauFrankfurt am Main, Deutschland

Klassiker der Sozialwissenschaften ISBN 978-3-658-14962-8 ISBN 978-3-658-14963-5 (eBook)https://doi.org/10.1007/978-3-658-14963-5

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa-tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

AutorWerner SombartBerlin, Deutschland

V

Inhalt

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Einleitende Bemerkungen zu einer Theorie des modernen Kapitalismus . . . . . . . . . . . . . . . 1

Begriff und Wesen des Kapitalismus . Die kapitalistische Unternehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Die Genesis des kapitalistischen Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Der Stil des modernen Wirtschaftslebens . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Die Verfeinerung des Bedarfs . Zur Geschichte des modernen Geschmacks . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Wirtschaft und Mode . Ein Beitrag zur Theorie der modernen Bedarfsgestaltung . . . . . . . . . 103

Kunstgewerbe und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Die Ausstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Die Reklame . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

Ihre Majestät die Reklame . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

VI Inhalt

Der kapitalistische Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

Der Bourgeois einst und jetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

Die Wandlungen des Kapitalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

Drucknachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

VII

Einleitung des Herausgebers

1 Ein (fast) vergessener Theoretiker und Historiker des modernen Kapitalismus

Werner Sombarts Werk spielt in der heutigen Fachgeschichtsschreibung der So-ziologie nur noch eine periphere Rolle. Zwar hat der Kasseler Soziologe Johannes Weiß Sombarts Hauptwerk Der moderne Kapitalismus in einem 2000 erschiene-nen einschlägigen soziologischen Lexikon eine faire sachliche Würdigung zukom-men lassen.1 Und auch der Bielefelder Soziologe Volker Kruse, der sich seit vielen Jahren für die Rekonstruktion der Historischen Soziologie der Weimarer Repu-blik verdient gemacht hat, ist es zu verdanken, dass die Bedeutung von Sombarts Werk für die Geschichte der deutschsprachigen Soziologie nicht ganz in Verges-senheit geraten ist.2 Anders sieht es in der Dogmengeschichte der deutschsprachi-gen Wirtschaftswissenschaften aus. Hier wird Sombarts Werk bis heute als ein be-deutender Beitrag zur Kapitalismusanalyse innerhalb der Historischen Schule der

1 Vgl. Johannes Weiß, „Werner Sombart“, in: Hauptwerke der Soziologie, hrsg. von Dirk Kaes-ler und Ludgera Vogt, Stuttgart 2000, S. 407 – 411.

2 Vgl. Volker Kruse, Soziologie und „Gegenwartskrise“. Die Zeitdiagnosen Franz Oppenhei-mers und Alfred Webers. Ein Beitrag zur Historischen Soziologie der Weimarer Republik, Wiesbaden 1990, S. 1 – 82 und 433 – 459; siehe ferner ders., Historisch-Soziologische Zeitdiag-nostik der zwanziger Jahre, hrsg. von Knut Wolfgang Nörr, Bertram Schefold und Fried-rich Tenbruck, in: Geisteswissenschaften zwischen Kaiserreich und Republik. Zur Entwick-lung von Nationalökonomie, Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaft im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1994, S. 375 – 401. In einem einschlägigen Aufsatz von Jürgen Habermas über die deutsche Soziologie in der Weimarer Republik wird Sombarts Werk nur am Rande erwähnt, obwohl gerade die sogenannte ‚Frankfurter Schule der Soziologie‘ diesem mehr verdankt, als ihr offensichtlich bewusst ist. Siehe hierzu Jürgen Habermas, „Soziologie in der Weima-rer Republik“, in: Wissenschaftsgeschichte seit 1900. 75 Jahre Universität Frankfurt, Frank-furt am Main 1992, S. 29 – 53 (hier S. 32).

VIII Einleitung des Herausgebers

deutschen Nationalökonomie gewürdigt.3 Dies könnte den Anschein erwecken, dass Werner Sombart primär ein ‚Nationalökonom‘ und erst in zweiter Linie auch ein ‚Soziologe‘ gewesen sei.

Dem widerspricht jedoch der Umstand, dass kein Geringerer als Max Weber im Rahmen der Ausarbeitung seiner universalgeschichtlich-vergleichenden So-ziologie entscheidende intellektuelle Anstöße von Sombart erfahren hat.4 Und es ist alles andere als ein Zufall, dass der bedeutende US-amerikanische Soziologe Talcott Parsons 1927 in Heidelberg mit einer Dissertation über die Kapitalismus-theorien von Werner Sombart und Max Weber promoviert worden ist.5 Liegt dies

3 Siehe beispielsweise Jürgen Backhaus (Hrsg.), Werner Sombart (1863 – 1941). Social Scientist, 3 Bände, Marburg 1996; ders. (Hrsg.), Werner Sombart (1863 – 1941) – Klassiker der Sozial-wissenschaften. Eine kritische Bestandsaufnahme, Marburg 2000; siehe ferner den in einer einschlägigen Reihe ‚Alte Meister‘ der Wirtschaftswissenschaften erschienenen Artikel von Gerald Braunberger, Ode an den Dämon – Werner Sombarts Analyse des Kapitalismus, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 18. November 2007; dieser Beitrag wurde am 21. Januar 2013 anlässlich des 150. Geburtstages von Werner Sombart in einem entsprechen-den ‚Wirtschaftsblog‘ im Internet unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dass dieser nicht die ‚soziologischen‘ Arbeiten von Sombart behandele, welche dies auch immer sein mögen, in erweiterter und aktualisierter Form erneut veröffentlicht.

4 Analysen des Verhältnisses zwischen Sombart und Max Weber sind inzwischen Legion. Dies spricht dafür, dass es sich dabei um einen engen Zusammenhang handelt. Siehe hierzu zum Beispiel Talcott Parsons, „Capitalism“ in recent German Literatur: Sombart and Weber, in: The Journal of Political Economy 36 (1928), S. 641 – 661 und 37 (1929), S. 31 – 51; Erich Fechner, Der Begriff des kapitalistischen Geistes bei Werner Sombart und Max Weber und die sozio-logischen Grundkategorien Gemeinschaft und Gesellschaft, in: Weltwirtschaftliches Archiv 30 (1929), S. 194 – 211; Alessandro Cavalli, Weber e Sombart e la disputa sui giudizi di va lore, in: Quaderni di sociologia 13 (1964), S. 24 – 50; Freddy Raphael, Judaisme et Capitalisme. Es-sai sur la controverse entre Max Weber et Werner Sombart, Paris 1982; Hinnerk Bruhns, De Werner Sombart à Max Weber et Moses I. Finley: La typologie de la ville antique et la question de la ville de consommation, in: L’origine des richesses dépensées dans la ville an-tique, Aix-en-Provence 1985, S. 255 – 273; Arthur Mitzman, Persönlichkeitskonflikt und welt-anschauliche Alternativen bei Werner Sombart und Max Weber, in: Max Weber und seine Zeitgenossen, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker (Hrsg.), Göttin-gen und Zürich 1988, S. 137 – 146; Hartmut Lehmann, Max Webers „Protestantische Ethik“, Göttingen 1996, S. 94 ff.; Hartmann Tyrell, Kapitalismus, Zins und Religion bei Werner Som-bart und Max Weber. Ein Rückblick, in: Shylock ? Zinsverbot und Geldverleih in jüdischer und christlicher Tradition, München 1997, S. 193 – 217; Friedrich Lenger, Sozialwissenschaft um 1900. Studien zu Werner Sombart und einiger seiner Zeitgenossen, Frankfurt am Main 2009, S. 125 ff.; Peter Gosh, Max Weber in Context. Essays in the history of German Ideas c. 1870 – 1930, Wiesbaden 2016, S. 133 ff.

5 Die Umstände des Heidelberger Promotionsverfahrens von Talcott Parsons sind sehr kom-plex und bilden den Gegenstand eines Aufsatzbandes, der demnächst von Uta Gerhardt im Rahmen der Reihe Klassiker der Sozialwissenschaften bei Springer VS herausgegeben wird. Einschlägig bekannt sind bisher nur die beiden bereits zitierten Aufsätze von Parsons, in de-nen er die Ergebnisse seiner Heidelberger Dissertation veröffentlicht hat und die inzwischen auch in einer deutschen Übersetzung erschienen sind. Vgl. Talcott Parsons, „Kapitalismus“

Einleitung des Herausgebers IX

vielleicht daran, dass zu dieser Zeit zumindest im deutschen Sprachraum die Un-terscheidung zwischen den Wirtschafts- und den Sozialwissenschaften noch keine besondere Rolle gespielt hat und erst nachträglich entsprechend dramatisiert wor-den ist ? Es ist ja wohl kein Zufall, dass auch Max Weber erst sehr spät dazu bereit war, sein eigenes Hauptwerk Wirtschaft und Gesellschaft als Beitrag zur modernen Soziologie zu verstehen, während er ursprünglich zumindest in disziplinärer Hin-sicht hierfür den Ausdruck ‚Sozialökonomik‘ bevorzugt hatte.6

Um Sombarts Spagat zwischen den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sei-ner Zeit zu verdeutlichen, empfiehlt es sich, zunächst einige zentrale Stationen seines Lebenslaufes zu vergegenwärtigen, bevor ein kursorischer Blick auf sein umfangreiches Werk geworfen wird.7 Er wurde am 19. Januar 1863 als Sohn des Rit-tergutsbesitzers und späteren Industriellen sowie Reichstagsmitglieds Anton Lud-wig Sombart in Ermsleben am Harz geboren und studierte 1882 – 1885 die Rechts-wissenschaften in Pisa, Berlin und Rom, wo er auch Vorlesungen im Bereich der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie der Historik und der Philosophie besucht hat. Seine ausgeprägte Vorliebe für Italien, bei der auch gesundheitliche Gründe eine Rolle spielten, bewog ihn dazu, 1888 an der Berliner Universität bei dem Oberhaupt der Historischen Schule der deutschen Nationalökonomie Gustav Schmoller mit einer Arbeit über die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der römischen Campagna zu promovieren.8 Noch im selben Jahr wurde er Syn-dikus der Bremer Handelskammer und bereits 1890 von dem hierfür zuständigen Hochschulreferent im Preußischen Kultusministerium Friedrich Althoff auf eine neu eingerichtete ‚außerordentliche‘ Professur für Staatswissenschaften an der Universität Breslau berufen. D. h. Sombart, der nie habilitiert worden ist, nahm aufgrund der sozialistischen Neigungen, die man ihm unterstellte, bis 1917 keine ‚ordentliche‘ Professur an einer reichsdeutschen Universität wahr, was seine per-sönliche Zuneigung zu den deutschen ‚Mandarinen‘ an diesen Universitäten nicht gerade förderte.9 Vielmehr ist sein Verhältnis zu seinen universitären Kollegen

in der gegenwärtigen deutschen Literatur: Sombart und Weber, in: Berliner Journal für So-ziologie 24 (2015), S. 433 – 467.

6 Siehe hierzu insbesondere Wolfgang Schluchter, Max Webers späte Soziologie, Tübingen 2016.

7 Vgl. die einschlägigen biographischen Arbeiten von Bernhard vom Brocke, Werner Som-bart 1863 – 1941. Eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung, in: ders. (Hrsg.), Sombarts ‚Moderner Kapitalismus‘. Materialien zur Kritik und Rezeption, München 1987, S. 11 – 65; Mi-chael Appel, Werner Sombart. Theoretiker und Historiker des modernen Kapitalismus, Mar-burg 1992; ferner Friedrich Lenger, Werner Sombart 1863 – 1941. Eine Biographie, München 1994.

8 Vgl. Sombart, Die römische Campagna. Eine socialökonomische Studie, Leipzig 1888.9 Vgl. hierzu das ganz ausgezeichnete Buch von Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Nieder-

gang der deutschen Mandarine 1890 – 1933, Stuttgart 1983.

X Einleitung des Herausgebers

durch eine ausgesprochene Respektlosigkeit gekennzeichnet, was ihm zusammen mit seinem Altersgenossen Max Weber den Ruf einbrachte, zu den ‚jungen Wil-den‘ im einflussreichen Verein für Socialpolitik zu gehören, dessen reguläres Mit-glied Sombart seit 1892 war. 1906 übernahm er mangels einer ‚ordentlichen‘ Be-rufung ferner eine wirtschaftswissenschaftliche Professur an der neu gegründeten Handelshochschule in Berlin. Seinem Wunsch, in diesem Zusammenhang auch einen Lehrauftrag an der renommierten Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin wahrzunehmen, wurde jedoch nicht entsprochen. Erst 1917 erhielt er den Ruf auf eine Professur für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Berliner Univer-sität, die er bis 1931 innehatte. Sombart verstarb am 18. Mai 1941 in Berlin und hat bis kurz vor seinem Tod seine Lehrtätigkeit an der Berliner Universität fortgesetzt.

Sombart war zusammen mit Ferdinand Tönnies, Georg Simmel und Max We-ber an der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie beteiligt, die im Januar 1909 in Berlin erfolgt ist, und gehörte diesem Berufsverband bis zu des-sen Schließung im Jahr 1934 an. Ferner wurde er 1932 letzter Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik, der 1936 ebenfalls seine Tätigkeit im nationalsozialisti-schen Deutschland einstellen musste und wie die Deutsche Gesellschaft für Sozio­logie erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder an seine ruhmreiche Vergangenheit anknüpfen konnte. Zusammen mit Edgar Jaffé und Max Weber übernahm Som-bart 1904 ferner die Herausgeberschaft des Archivs für Sozialwissenschaften und Sozial politik, eine der einflussreichsten sozialwissenschaftlichen Zeitschriften im Wilhelminischen Reich. Wie stark sich Sombarts und Max Webers Ansichten be-reits zu diesem Zeitpunkt angeglichen haben, geht aus dem ‚Geleitwort‘ hervor, das 1904 im ‚Archiv‘ erschien und das von Weber, Sombart und Jaffé als Heraus-geber gemeinsam unterzeichnet wurde, um die neue Marschrichtung dieser Zeit-schrift anzugeben. Es ist insofern müßig, sich darüber zu streiten, wer von beiden den größeren Anteil an der Ausformulierung dieses Geleitwortes hat: Sombart oder Weber ?10 Tatsache ist, dass dieses Geleitwort ein Forschungsprogramm be-inhaltet, das nicht nur für die einzelnen Beiträge dieser sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift verbindlich werden sollte, sondern das spätestens zu diesem Zeit-punkt auch die monumentalen Werke von Sombart und Weber untrennbar mit-einander verbindet: nämlich „die historische und theoretische Erkenntnis der all­gemeinen Kultur bedeutung der kapitalistischen Entwicklung“11.

Sombart hatte mit der 1902 erschienenen Erstauflage seines Hauptwerkes Der moderne Kapitalismus eine Steilvorlage geliefert, von der nicht nur Max Weber er-heblich profitierte. Denn Sombart war es, der im Deutschen Reich zuerst die Ka-

10 Siehe hierzu den klärenden Beitrag von Peter Gosh, Max Weber in Context, a. a.O.11 Vgl. das entsprechende ‚Geleitwort‘ in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 19

(1904), S. I – VII (hier S. V).

Einleitung des Herausgebers XI

pitalismus-Diskussion in die akademische Forschung und Lehre einführte. 1896 veröffentlichte er unter dem Titel Sozialismus und soziale Bewegung im 19. Jahr­hundert eine Sammlung von Vorträgen, die er in der Schweiz gehalten hat und die ihm den Ruf eines ausgezeichneten Kenners, aber auch weltanschaulichen Anhän-gers des Sozialismus und der modernen Arbeiterbewegung einbrachten.12 Anläss-lich des Erscheinens des von Friedrich Engels posthum herausgegebenen dritten Bandes von Das Kapital veröffentlichte Sombart ferner 1894 einen umfangreichen Aufsatz, in dem er sich mit grundlegenden Problemen der Werttheorie von Karl Marx auseinandersetzte.13

Diese Nähe zu dem Werk von Marx war es, die ihm einerseits das Lob von Friedrich Engels einbrachte, die aber andererseits dafür mitverantwortlich war, dass Sombart ähnlich wie Ferdinand Tönnies und Georg Simmel über zwei Jahr-zehnte lang enorme Hindernisse bei seiner akademischen Karriere in Kauf neh-men musste.14 Denn einerseits ist Sombart sein Leben lang ein scharfer Kritiker von Marx gewesen. Andererseits hat er sich in seinem eigenen Werk be stimmte Grundannahmen der Kritik der politischen Ökonomie von Marx zu eigen ge-macht. Dies betrifft sowohl den Kapitalismus-Begriff selbst als auch den systema-tischen Anspruch, den sowohl Marx als auch Sombart mit ihren jeweiligen Haupt-werken verbunden haben. Man kann insofern sagen, dass es Sombart war, der das Werk von Marx in Deutschland akademisch ‚hoffähig‘ gemacht hat.15 Doch Som-bart wollte im Unterschied zu Marx gewissermaßen eine ‚Quadratur des Kreises‘ erreichen. Denn während Marx im ersten Band von Das Kapital das historische Kapitel über die ‚ursprüngliche Akkumulation‘ des Kapitals ausdrücklich von den

12 Diese ‚ethisch-sozialwissenschaftlichen‘ Vorträge sind von der hierfür verantwortlichen Re-daktion der Schweizerischen Gesellschaft für ethische Kultur allerdings erst ein Jahr später im vollständigen Wortlaut samt einer Kurzfassung der wichtigsten Diskussionsbeiträge zu Som-barts Vorträgen veröffentlicht worden. Vgl. Werner Sombart, Socialismus und sociale Bewe-gung im 19. Jahrhundert, Bern 1897.

13 Vgl. Werner Sombart, Zur Kritik des ökonomischen Systems von Karl Marx, in: Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 7 (1894), S. 555 – 594.

14 Zu seinem Verhältnis zu Friedrich Engels siehe insbesondere Sombart, Friedrich Engels (1820 – 1885). Ein Blatt zur Entwicklungsgeschichte des Sozialismus, Berlin 1888 (= Separat-Abdruck des entsprechenden Aufsatzes aus der Zeitschrift „Die Zukunft“).

15 Der Begriff ‚Kapitalismus‘ ist natürlich keine Erfindung von Sombart, auch wenn auffällt, dass zumindest Marx selbst diesen offensichtlich nicht gebraucht hat, sondern es diesbe-züglich vorzog, von der ‚bürgerlichen Gesellschaft‘ oder von der ‚Herrschaft des Kapitals‘ zu sprechen. Zur entsprechenden Begriffsgeschichte vgl. Richard Passow, „Kapitalismus“. Eine begriff lich-terminologische Studie, Jena 1918; ferner Marie-Elisabeth Hilger und Lucian Hölscher, Artikel „Kapital, Kapitalist, Kapitalismus“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. His-torisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, Band 3, Stuttgart 1982, S. 399 – 454.

XII Einleitung des Herausgebers

‚systematischen‘ Kapiteln dieses Bandes strikt abgegrenzt hat16, geht es Sombart darum, einen jahrzehntelangen Streit zwischen den ‚Historikern‘ und den ‚Sys-tematikern‘ der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften seiner Zeit zu schlichten, wenn nicht gar aufzuheben. Doch wie hat er dies eigentlich versucht oder sich zu-mindest vorgestellt ?

Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir kurz auf Sombarts Hauptwerk Der moderne Kapitalismus eingehen, das erstmals 1902 in zwei Bänden und 1916 – 1927 in stark überarbeiteter und erweiterter Form in sechs Teilbänden erschienen ist. Während im ersten Band die „Genesis des Kapitalismus“ geschildert wird, unter-nimmt Sombart im zweiten Band den Versuch der Ausarbeitung einer „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“. Der erste Band ist also primär historisch an-gelegt, während mit dem zweiten Band ein systematischer Anspruch verbunden ist. Sombart schließt sich dabei insofern einer in den Wirtschaftswissenschaften seiner Zeit üblichen Einteilung an, als er die traditionelle ‚Bedarfswirtschaft‘ strikt von einer ‚Erwerbswirtschaft‘ unterscheidet. Diese Unterscheidung geht in be-griffsgeschichtlicher Hinsicht auf den antiken griechischen Philosoph Aristote-les zurück, der im Rahmen seiner ‚Praktischen Philosophie‘ die Hauswirtschaft (oikonomiké) strikt vom Handel bzw. vom ökonomischen Erwerb außerhalb des ‚Hauses‘ (chrematistiké) abgegrenzt hat, auf den sich Sombart in diesem Zusam-menhang übrigens ausdrücklich beruft.17 Neu an Sombarts Gebrauch dieser Ter-minologie ist allerdings, dass er nicht nur das mittelalterliche Handwerk und die dadurch geprägte ‚Stadtwirtschaft‘, sondern auch den ökonomischen Handel im europäischen Mittelalter noch der ‚Bedarfswirtschaft‘ zugerechnet und insofern als eine Erscheinungsform des ‚Handwerks‘ verstanden hat. Der eigentliche Über-gang zum ‚modernen Kapitalismus‘ findet Sombart zufolge also an einer ande-ren Stelle statt und steht auch im Zeichen eines anderen ‚Geistes‘ bzw. einer an-deren Mentalität: nämlich dem der Entstehung des modernen Unternehmers und der modernen kapitalistischen Unternehmung. Die ‚Genesis‘ des modernen Ka-pitalismus hängt Sombart zufolge also von zwei wesentlichen historischen Vor-aussetzungen ab: von der Entstehung einer spezifisch kapitalistischen Form der Produktion bzw. eines entsprechenden ‚Wirtschaftssystems‘, in welchem das spät-mittelalterliche Handwerk als leitendes Organisationsprinzip des Wirtschafts-systems zunehmend verdrängt wird, einerseits und der Entstehung eines ent-

16 Vgl. Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Band 1: Der Produktionspro-zess des Kapitals, in: Karl Marx und Friedrich Engels, Werke, Band 23, Berlin 1970, S. 741 ff.

17 Zu den damit verbundenen begriffsgeschichtlichen Implikationen, die über zweitausend Jahre das ökonomische Denken ‚Alteuropas‘ geprägt haben, siehe auch Klaus Lichtblau, Das Zeitalter der Entzweiung. Studien zur politischen Ideengeschichte des 19. und 20. Jahrhun-derts, Berlin 1999, S. 157 ff.

Einleitung des Herausgebers XIII

sprechenden kapitalistischen ‚Wirtschaftsprinzips‘ bzw. einer entsprechenden ‚Wirtschaftsgesinnung‘ andererseits.

Kennzeichnend für eine moderne kapitalistische Unternehmung ist Sombart zufolge die profitable Verwertung eines bereits akkumulierten Geld- und Sach-vermögens. In welcher Form sich diese ‚ursprüngliche Akkumulation des Kapi-tals‘ historisch vollzogen hat, war zu Sombarts Zeit höchst umstritten. Marx hatte in seinem berühmten Kapitel über „Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation“ im ersten Band von Das Kapital einen Abschnitt über die „Genesis des industriel-len Kapitalisten“ aufgenommen, in dem er darauf hingewiesen hat, dass schon im europäischen Mittelalter zwei verschiedene Erscheinungsformen des Kapitals ne-beneinander existiert haben: nämlich das „Wucherkapital“ und das „Kaufmanns-kapital“18. Dieses „Geldkapital“ sei durch den Feudalismus und das städtische Zunftwesen daran gehindert worden, sich in industrielles Kapital zu verwandeln. Es bedurfte Marx zufolge also eines ‚außerökonomischen‘ Moments, nämlich der politischen Gewalt, um diese mittelalterlichen Beschränkungen der ungehinder-ten Kapitalakkumulation zu durchbrechen.19 Diese Gewalt komme ins besondere in der sogenannten ‚Bauernbefreiung‘, d. h. der Vertreibung der ländlichen Be-völkerung in England aus ihren vormals feudalen Abhängigkeitsverhältnissen auf dem Land sowie in der sich seit dem 16. Jahrhundert außerhalb Europas entfalten-den Kolonialwirtschaft zum Ausdruck.

Sombart erzählt diese Geschichte etwas anders. Seiner Meinung nach ist diese ursprüngliche Kapitalakkumulation Ergebnis des Bodenmonopols in den mittel-alterlichen Städten Europas, die es dem städtischen Patriziat erlaubt habe, entspre-chende ökonomische Reichtümer zu erwerben, die nicht durch den Fernhandel zustande gekommen seien. Vielmehr ist diese historische Kapitalbildung Som-bart zufolge nichts Anderes als ‚akkumulierte Grundrente‘. Auf die Frage, wie un-ter diesen Voraussetzungen Kapitalismus überhaupt möglich ist, gibt er fol gende Antwort: Voraussetzung dafür, dass diese Vermögensakkumulation überhaupt primär in der Form des Geldbesitzes vorgenommen werden konnte, sei eine his-torisch völlig neue „Wertvorstellung“ gewesen, deren ‚Genesis‘ im Zentrum des ersten Bandes von Sombarts Buch über den modernen Kapitalismus von 1902 steht. Dies setze nämlich voraus, dass der Reichtum sich schon „in der abstrakten Form eines allgemeinen Warenäquivalents, des Geldes, und zwar genauer des Me-

18 Marx, Das Kapital, Band 1, a. a.O., S. 778.19 Marx formulierte in diesem Zusammenhang einen Satz, der nicht nur im Werk von Franz

Oppenheimer eine zentrale Rolle spielt: „Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Ge-sellschaft, die mit einer neuen schwanger geht. Sie selbst ist eine ökonomische Potenz“ (ebd., S. 779). Zu Franz Oppenheimers Lesart dieses eigentümlichen Wechselverhältnisses zwi-schen Politik und Ökonomie vgl. ders., Schriften zur Soziologie, hrsg. von Klaus Lichtblau, Wiesbaden 2015, S. 25 ff.

XIV Einleitung des Herausgebers

tallgeldes […] vergegenständlicht haben muss“20. Diese spezifisch kapitalistische Auffassung vom Geldbesitz sei eine „den europäischen Völkern eigentümliche Er-scheinung“21. Obgleich Sombart in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeu-tung der Zugehörigkeit zu bestimmten Religionsgemeinschaften, namentlich zum Calvinismus und zum Quäkertum hinweist22, verfolgt er im Unterschied zu Max Weber diese Spur nicht weiter. Vielmehr geht er ausführlich auf die euro päischen Kreuzzüge, das Goldgräbertum und die Begeisterung für die Alchemie im Aus-gang des europäischen Mittelalters ein, die ihm zufolge mit dem „Beginn der so-genannten Neuzeit“ identisch sind.23

Dennoch fehle zu dieser Zeit noch die „leiseste Spur kapitalistischen Geis-tes“. Dieser sei vielmehr das Ergebnis einer „ganz und gar neuen Gedankenreihe“, nämlich die Erkenntnis, dass die Vermehrung eines Geldvermögens auch durch eine ganz „normale-wirtschaftliche Tätigkeit“ möglich sei. Diese Erkenntnis sei jedoch nicht in den ‚vornehmen‘ gesellschaftlichen Kreisen gediehen, sondern Ausdruck einer „spezifisch plebejischen Seelenstimmung“, welche das Gefüge der alten aristokratischen Welt erschüttert habe.24 Zwar geht Sombart in diesem Zu-sammenhang auch kurz auf die Förderung des Gewinnstrebens im „Verkehr mit Stammesfremden“ ein, wobei er die Bedeutung der Juden an der „Genesis des ka-pitalistischen Geistes“ ausdrücklich hervorhebt. Gleichwohl ist er der Meinung, dass man zumindest in dieser Hinsicht ihre Bedeutung nicht überschätzen soll-te.25 Dagegen bezeichnet er ähnlich wie Marx nun auch die Ausdehnung der euro-päischen Kolonialwirtschaft als „Pflanzschule kapitalistischen Geistes“26.

Neben diesen mentalitätsgeschichtlichen Spekulationen geht Sombart auch auf die „Ausbildung des ökonomischen Rationalismus“ ein, um diese „überaus komplizierte Psychogenese des Kapitalismus“ historisch zu erklären. Zentral sei hierbei die ‚Erfindung‘ des Systems der doppelten Buchführung durch Luca de

20 Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Band 1: Die Genesis des Kapitalismus, Leipzig 1902, S. 207.

21 Ebd., S. 379.22 Ebd., S. 380 f.23 Ebd., S. 385 f.24 Ebd., S. 388 f.25 Ebd., S. 389 f. Erst in seinem sogenannten ‚Judenbuch‘ ist Sombart der Bedeutung der Ju-

den für die Entstehung des ‚kapitalistischen Geistes‘ ausführlich nachgegangen, um gegen-über Max Webers ‚Protestantismus-These‘ eine andere ‚These‘ zu vertreten, die wiederum auf die heftige Kritik von Max Weber gestoßen ist. Siehe Werner Sombart, Die Juden und das Wirtschaftsleben, Leipzig 1911; vgl. hierzu ferner Max Weber, Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus, hrsg. und eingeleitet von Klaus Lichtblau und Johannes Weiß, Wiesbaden 2016, S. 22 ff. sowie die bereits in Anmerkung 4 zitierte einschlägige Sekundär-literatur.

26 Sombart, Der moderne Kapitalismus [1902], Band 1, S. 390.

Einleitung des Herausgebers XV

Burgo Sancti Sepulchro im 15. Jahrhundert, das aufgrund seiner Trennung des pri-vaten ‚Haushaltes‘ vom ‚Betrieb‘ sowie der betriebswirtschaftlichen Verrechnung der Kosten mit dem eigentlichen ‚Gewinn‘ eine historisch völlig neue „Geschäfts-technik“ darstelle, welche der Eigenart der kapitalistischen Geschäftsführung ge-radezu ideal entspreche. Insofern habe mit der Erfindung dieser spezifisch mo-dernen Form der Buchhaltung „das Kapital sich seine eigenen Bewegungsgesetze vorgezeichnet“27. Ferner verweist Sombart in diesem Kontext auch auf die Kultur der Renaissance mit ihrem ‚individualistischen‘ Geist als weitere historische Vor-aussetzung der Entstehung des modernen Kapitalismus.28

Man könnte diese Liste auch noch um dem entsprechenden Einfluss des „neu-en Rechts“ und der „neuen Technik“ sowie der Bedeutung des Luxuskonsums, der Entstehung der neuzeitlichen Territorialstaaten und der Finanzierung der moder-nen Massenkriege für die Entfaltung des Kapitalismus in der europäischen Neu-zeit ergänzen, was Sombart ja in weiteren Veröffentlichungen in einer bis ans Ma-nische grenzenden Art und Weise durchaus getan hat.29 Doch wichtiger als solche ergänzenden Detailstudien sind die grundbegriff lichen Prämissen, die Sombarts Theorie des modernen Kapitalismus zugrunde liegen. Hier kommt nun eine in der Sekundärliteratur oft missverstandene bzw. gar nicht wahrgenommene metho-dologische Besonderheit seiner Vorgehensweise ins Spiel, die auch Max Webers Werk nachhaltig geprägt hat: nämlich die Verwendung von sozialwissenschaftli-chen Allgemeinbegriffen einerseits und die Bildung von historisch spezifischen ‚Idealtypen‘ andererseits. Es ist zum Beispiel möglich, den Begriff der ‚Stadt‘ in ei-ner völlig ahistorischen Weise zu gebrauchen. Etwas Anderes ist es dagegen, die Eigenart der mittelalterlichen Stadt in Europa zu bestimmen, wobei dann auch noch entsprechende Unterscheidungen zwischen Süd-, Nord- und Westeuropa usw. vorgenommen werden müssen.

Hinzu kommt die Besonderheit einer historisch­genetischen Betrachtungs weise. Sombart unterscheidet in diesem Zusammenhang nämlich ausdrücklich zwischen einer „historisch-genetischen“ Betrachtungsweise einerseits und einer „systema-tisch-genetischen“ Betrachtungsweise andererseits. Der prinzipiell mögliche Ge-gensatz zwischen einem gegebenen ‚Wirtschaftssystem‘ und einem entsprechen-den ‚Wirtschaftsprinzip‘ kann ihm zufolge nämlich dazu führen, dass beide in zeitlicher und sachlicher Hinsicht auseinanderfallen. Dies veranlasste ihn dazu, in

27 Ebd., S. 394. Zur lang umstrittenen historischen Herkunft dieses ‚Systems‘ der doppelten Buchführung siehe auch den einschlägigen Beitrag von Wolfgang Hoffmann, Algebra des Kapitals, in: Die Zeit, Nr. 22, 28. Mai 1993, S. 27.

28 Sombart, Der moderne Kapitalismus [1902], Band 1, S. 396.29 Vgl. Werner Sombart, Luxus und Kapitalismus. Studien zur Entwicklungsgeschichte des

modernen Kapitalismus, Band 1, München 1913; ders., Krieg und Kapitalismus. Studien zur Entwicklungsgeschichte des modernen Kapitalismus, Band 2, München 1913.

XVI Einleitung des Herausgebers

seinem „Schema einer genetischen Betrachtungsweise“ grundsätzlich drei histori-sche ‚Stadien‘ bzw. ‚Epochen‘ voneinander abzugrenzen. An die Stelle der traditio-nellen Unterscheidung zwischen Antike, Mittelalter und Neuzeit tritt bei ihm nun eine formale Dreiteilung, die den Entwicklungsstadien von organischen Prozes-sen entnommen ist und die sich auf alle möglichen historischen Epochen anwen-den lässt. Innerhalb der Wirtschaftsgeschichtsschreibung hat dies seiner Ansicht nach folgende Konsequenz: „Jedes neue Wirtschaftsprinzip muss sich zunächst im Rahmen eines bestehenden Wirtschaftssystems durchzusetzen versuchen. Es wird zu seiner Verwirklichung sich Wirtschaftsformen schaffen, deren Gestaltung noch wesentlich von der Eigenart der aus einem anderen (dem zurzeit herrschenden) Wirtschaftsprinzip erzeugten Wirtschaftsordnung bestimmt wird und vermag erst allmählich sich das gesamte Wirtschaftsleben nach seinem Geist zu formen. Vom Standpunkt des neuen Wirtschaftssystems aus ist diese Epoche, in der das neue Wirtschaftsprinzip im Rahmen der alten Ordnung sich betätigt, seine Frühepoche, vom Standpunkt des alten Wirtschaftssystems aus dessen Spätepoche. Dazwischen liegt die Hochepoche eines Wirtschaftssystems, in welcher der Geist nur eines vor-herrschenden Wirtschaftsprinzips zu reiner Entfaltung gelangt.“30

Diese ‚Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‘ bzw. der ‚Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen‘ ermöglicht es Sombart, im Rahmen seiner ‚genetischen‘ Betrach-tungsweise der Entwicklungsgeschichte des modernen Kapitalismus drei ‚Epochen‘ bzw. ‚Stadien‘ zu unterscheiden: nämlich die „frühkapitalistische“, die „hochkapi-talistische“ und die „spätkapitalistische Epoche“, wobei letztere ihm zufolge wie-derum mit einer „frühsozialistischen Epoche“ zusammenfällt.31 D. h. Sombarts ‚moderner Kapitalismus‘ ist uralt ! Nicht zufällig spricht er von der „Fülle der his-torischen Erscheinungen einer tausendjährigen Wirt schaftsepoche“, die Gegen-stand seines gleichnamigen Hauptwerkes sind. Sombart mutet uns also zu, im Rahmen seiner ‚idealtypischen‘ Form der Begriffsbildung einerseits einen ahisto-rischen Begriff des ‚modernen Kapitalismus‘ zu akzeptieren, der sich schema-tisch von der mittelalterlichen ‚Bedarfswirtschaft‘ abgrenzt, und andererseits die notwendigen historischen Differenzierungen, die im Rahmen eines solchen Oberbegriffs natürlich erforderlich sind, gemäß dem Schema eines organischen Lebenszyklus nachzuvollziehen. Dies hat ihn zwar zum Erfinder des Begriffs ‚Spät-kapitalismus‘ gemacht, war aber auch der Grund, warum gerade die Erstauflage seines Hauptwerkes zum Teil auf heftigen Widerspruch in seinem ‚Fach‘ gesto-ßen ist. Das entsprechende Unverständnis bezüglich seiner theoretischen Grund-begriffe und methodologischen Vorgehensweise vermischte sich dabei zugleich mit zahlreichen Bedenken, die gegenüber seinen historischen Grundannahmen

30 Der moderne Kapitalismus [1902], Band 1, S. 71.31 Ebd., S. 71 f.

Einleitung des Herausgebers XVII

wie zum Beispiel seiner sogenannten ‚Grundrententheorie‘ geltend gemacht wor-den sind.32

Es ist hier jedoch nicht der Ort, auf diese Kontroversen einzugehen, da sie nichts daran ändern, dass es Sombart mit seinem Buch Der moderne Kapitalismus gelungen ist, sowohl die deutsche historische Schule der Nationalökonomie als auch die bereits damals in Orthodoxie zu geraten drohende marxistische Diskus-sion gründlich wachzurütteln und sich selbst als möglicher Gesprächspartner be-züglich einer neuen Ausrichtung der Kapitalismus-Diskussion anzubieten. Dass er damit nicht besonders erfolgreich war, spricht nicht gegen ihn. Zumindest ist es ihm gelungen, eine ganze Reihe von Denkanstöße zu geben, die im Laufe der Zeit sehr ernstgenommen worden sind, auch wenn es nicht zuletzt Sombarts verschie-denen weltanschaulichen ‚Wendungen‘ bzw. Kapriolen geschuldet ist, dass er keine eigentliche ‚Schule‘ gegründet hat. Doch wo kämen wir eigentlich hin, wenn wir die intellektuelle Bedeutung eines Wissenschaftlers daran messen würden, ob er sogenannte ‚Schüler‘ hatte ? Die Gründung einer solchen ‚Schule‘ war ja auch nie die Absicht von Ferdinand Tönnies, Georg Simmel und Max Weber gewesen und ist von ihnen auch nicht überliefert worden. Viel wichtiger sind doch die sach-lichen Erkenntnisse eines bis heute umstrittenen Autors wie Werner Sombart, auf die nun in Form einer Begründung der dieser Aufsatzsammlung zugrundeliegen-den Textauswahl etwas ausführlicher eingegangen werden soll.

2 Zur vorliegenden Ausgabe

Werner Sombart hatte die Angewohnheit, Teile seiner Bücher bereits vorab in Auf-satzform oder als Separatdruck zu veröffentlichen. Dies ermöglichte ihm, zum ei-nen ein größeres Publikum zu erreichen und zum anderen gewissermaßen ‚Wer-bung‘ für seine Bücher zu betreiben. Bereits anlässlich seines 1902 in erster Auflage erschienenen Hauptwerks Der moderne Kapitalismus hat er von dieser Möglich-keit regen Gebrauch gemacht. Dies hatte den Vorteil, den potentiellen Leser für ein Werk zu interessieren, das bereits in der Erstauflage über zwölfhundert Sei-ten umfasst und das insofern für die meisten seiner potentiellen Leser schwer ver-daulich war. Überdies waren diese Vorveröffentlichungen vom Umfang her über-schaubar und auch in sprachlicher Hinsicht für ein größeres Publikum verfasst.

Die vorliegende Textsammlung macht sich diesen Umstand zunutze, indem sie zum einen sowohl auf einige Vorabveröffentlichungen einzelner Kapitel der

32 Zur Rezeptionsgeschichte von Sombarts Hauptwerk Der moderne Kapitalismus siehe die entsprechenden Beiträge in: Bernhard vom Brocke (Hrsg.), Sombarts ‚Moderner Kapitalis-mus‘, a. a.O.

XVIII Einleitung des Herausgebers

Erstauflage von Sombarts Hauptwerk Der moderne Kapitalismus zurückgreift als auch weitere Kapitel dieser Erstauflage seines Hauptwerkes wieder einer breite-ren Öffentlichkeit zugänglich macht. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass grundsätzlich alle der in dieser Sammlung enthaltenen Texte in sich geschlossen wirken und auch unabhängig von dem Kontext gelesen und verstanden werden können, in dem sie eingebettet sind. Zum anderen werden auch die Wandlungen im Sombarts Verständnis der ‚Modernität‘ des Kapitalismus deutlich gemacht, in-dem spätere Aufsätze und Separatdrucke mit aufgenommen worden sind, die bis in das Jahr 1929 zurückreichen. Es handelt sich also um eine Auswahl von Texten, die bewusst in einer werkgeschichtlichen Perspektive getroffen worden ist. Über-dies handelt es sich hierbei um Texte, die nicht primär den ‚Wirtschaftswissen-schaftler‘, sondern den ‚Sozialwissenschaftler‘ Werner Sombart in das Zentrum der Betrachtung rücken.33

Ein thematischer Schwerpunkt bei der Auswahl dieser hier zum Abdruck kom-menden Texte wurde dabei bewusst auf Sombarts Analysen einer Reihe von Er-scheinungen gelegt, die im Mittelpunkt seines höchst eigenwilligen und produk-tiven Beitrages zu einer Theorie des modernen Massenkonsums stehen. Überdies wird deutlich, dass Sombart mit seinen Arbeiten über die Mode, die Geschichte des modernen Geschmacks, das moderne Kunstgewerbe, die Bedeutung des Aus-stellungswesens und der Reklame sowie den Stil des modernen Wirtschaftslebens zentrale Themen aufgreift, die bereits Georg Simmel als Beitrag zu einer „soziolo-gischen Ästhetik“ verstanden wissen wollte.34 Insofern ist die diesbezügliche Nähe zu Simmels Schriften unübersehbar. Indem Sombart diese Themen bewusst zum Gegenstand einer „ästhetischen Nationalökonomie“ gemacht hat, gelingt es ihm, zentrale Motive der Kulturkritik vorwegzunehmen, die dem nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen berühmten Aufsatz von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno über die ‚Kulturindustrie‘ zugrunde liegen.35

Aber noch ein weiteres Motiv teilen Horkheimer und Adorno mit Werner Sombart. Es geht dabei um die Frage, ob der moderne, ‚liberal‘ verfasste Kapi-

33 Zu einer einschlägigen Sammlung von primär wirtschaftswissenschaftlichen Aufsätzen, wel-che die vorliegende Textauswahl sinnvoll ergänzt, siehe Werner Sombart, Nationalökonomie als Kapitalismustheorie. Ausgewählte Schriften, hrsg. von Alexander Ebner und Helge Peu-kert, Marburg 2002.

34 Vgl. Georg Simmel, Soziologische Ästhetik, hrsg. von Klaus Lichtblau, Wiesbaden 2009.35 Sombart hatte im ‚Geleitwort‘ zur Erstauflage von Der Moderne Kapitalismus die von ihm

angestrebte „ästhetische Nationalökonomie“ von der „ethischen“ Richtung der Nationalöko-nomie abgegrenzt, wie sie damals noch von seinen akademischen Lehrern Gustav Schmol-ler und Adolf Wagner vertreten worden ist. Zur Kritik an der ‚Kulturindustrie‘, die zentrale Motive von Sombarts Kritik an der ‚Massenkultur‘ seiner Zeit aufnimmt, vgl. Max Horkhei-mer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente [1947], Frankfurt am Main 1969, S. 128 ff.

Einleitung des Herausgebers XIX

talismus um 1900 nicht einen Gestaltwandel durchlaufen hat, der es erforderlich macht, diesen auch entsprechend terminologisch zu kennzeichnen. Sombart hat im Rahmen seines Periodisierungsversuches der Geschichte des modernen Kapi-talismus hierfür bereits in der ersten Auflage seines Hauptwerkes von 1902 den Begriff des „Spätkapitalismus“ vorgeschlagen, dem er gegen Ende der Weimarer Republik eine Bedeutung zu geben versucht hat, die im Umkreis der Kritischen Theorie und der von ihr beeinflussten Studentenbewegung von 1968 unter dem Be-griff des ‚staatsinterventionistisch verfassten Kapitalismus‘ wiederaufgenommen worden ist. Auch in diesem Fall konnte man auf entsprechende Formulierungen von Sombart zurückgreifen. Nicht zufällig stand der Frankfurter Soziologentag von 1968 unter dem Motto „Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft ?“36 Die vorliegende Textauswahl macht deutlich, dass Werner Sombart zumindest in die-ser Hinsicht tatsächlich als einer der Stichwortgeber der sogenannten ‚Frankfurter Schule der Soziologie‘ verstanden werden kann, auch wenn sich dieser selbst von seinen ursprünglichen sozialistischen Neigungen zunehmend distanziert und im Laufe der Zeit für eine autoritäre Wirtschafts- und Sozialpolitik im Rahmen eines die Autarkie seines Landes sichernden ‚Planstaates‘ ausgesprochen hat.

In dem ursprünglich unter dem Titel Einleitende Bemerkungen zu einer Theo­rie des modernen Kapitalismus 1902 in gekürzter Form separat veröffentlichten ‚Geleitwort‘ zur Erstauflage seines Hauptwerkes hat Sombart jenes Ver ständnis von ‚Sozialwissenschaft‘ skizziert, das seinen damaligen Untersuchungen zugrun-de liegt.37 Er geht dabei auf den Gegensatz zwischen den „Nur-Empirikern“ und den „Nur-Theoretikern“ in den Sozialwissenschaften ein, wobei er neben der his-torischen Rechtsschule in Deutschland auch die Deutsche historische Schule der Nationalökonomie sowie ihren Streit mit den österreichischen Vertretern der modernen Grenznutzenlehre im Auge hat. Er betont in diesem Zusammen-hang ausdrücklich, dass die modernen Sozialwissenschaften primär eine empi-risch fundierte Form des Wissens verfolgen, die sich jeder außerwissenschaftli-chen Wertorientierung entzieht. Mit diesem Plädoyer für eine ‚werturteilsfreie‘ Wissenschaft, das er zusammen mit Ferdinand Tönnies sowie Max und Alfred Weber sowohl im Verein für Socialpolitik als auch in der 1909 gegründeten Deut­schen Gesellschaft für Soziologie zur Geltung zu bringen versucht hat, bekennt sich zumindest Sombart durchaus zu jener ‚positivistischen‘ Strömung innerhalb der modernen Soziologie, die Auguste Comte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

36 Vgl. Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft ? Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Soziologie hrsg. von Theodor W. Adorno, Stuttgart 1969; zu der auf das Modell des westeuro-päischen Nationalstaates fixierten Kapitalismus-Diskussion der damaligen Zeit siehe ferner Jürgen Habermas, Legitimitätsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt am Main 1973, be-sonders S. 50 ff.

37 Vgl. in diesem Band S. 1 ff.

XX Einleitung des Herausgebers

begründete und dem sich später unter anderem auch sein Zeitgenosse und Kol-lege Franz Oppenheimer angeschlossen hat.38

Sombarts Verhältnis zu diesen ‚positivistischen‘ Richtungen innerhalb der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ist jedoch nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Zwar spricht er sich zu diesem Zeitpunkt dafür aus, dass eine Ordnung des empirischen Forschungsmaterials unter dem „Gesichts-punkt eines einheitlichen Erklärungsprinzips“ zu erfolgen habe und dass insofern nicht teleologische Ordnungsvorstellungen, sondern eine kausale Zurückführung der Wirtschaftsgeschichte auf die zentralen Motive der „führenden Wirtschafts-subjekte“ vorgenommen werden müsse. Andererseits verneint er die Existenz von allgemeingültigen geschichtlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsgeset-zen, indem er darauf insistiert, dass die Entscheidung über das „ordnende Prin-zip in der Sozialwissenschaft ein historisches Problem“ sei. Sombart unterscheidet also zwischen einer spezifisch „psychologischen Verursachung“ einerseits und ei-ner rein „mechanischen Kausalität“ andererseits. Dies beinhaltet seiner Meinung nach, dass auch im Wirtschaftsleben die psychischen Triebkräfte „so zahlreich sind, wie die Nuancierungen, die das Seelenleben des Menschen aufweist“. Eine

„Motivtafel“, die diesbezüglich einen umfassenden Erklärungsanspruch stellt, bil-det ihm zufolge deshalb „höchstens die Möglichkeit einer Erklärung, nicht die Er-klärung selbst“. Sombart spricht sich deshalb für eine „historische Sozialtheorie“ aus, was ihm zufolge beinhaltet, dass für jede historisch abgrenzbare Wirtschafts-periode eine besondere ‚Theorie‘ erforderlich sei, die entsprechende Anleihen bei einer „historischen Psychologie“ machen könne. Insofern gibt es für ihn zwar eine

„Theorie des modernen Kapitalismus, nimmermehr aber eine solche des Kapitalis-mus schlechthin“.

Sombart nimmt also bereits zu diesem Zeitpunkt die von Heinrich Rickert entwickelte und später auch von Max Weber vertretene Lehre des ‚Idealtypus‘ vor-weg. Diese besagt, dass im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften eine sol-che idealtypische Form der Begriffsbildung ausschließlich auf ein entsprechendes ‚historisches Individuum‘ bezogen sei und insofern nicht mit einem klassifizieren-den Gattungsbegriff verwechselt werden dürfe.39 Gleichwohl hält Werner Sombart an dem Anspruch fest, ein theoretisches System zu entwickeln, das er zugleich als

38 Oppenheimer lebte von 1864 bis 1943 und gehörte insofern derselben Generation wie Werner Sombart und Max Weber an. Alle drei haben sich von den Wirtschaftswissenschaften kom-mend zunehmend soziologischen Studien zugewendet. Im Unterschied zu Werner Sombart und Max Weber hat sich Oppenheimer bis zu seinem Tod an einem naturwissenschaftlichen Erkenntnisideal orientiert, während Sombart später als Vertreter einer ‚verstehenden Sozio-logie‘ verstanden werden wollte.

39 Vgl. Heinrich Rickert, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Tübingen und Leipzig 1902, S. 305 ff.; siehe ferner Max Weber, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftli-

Einleitung des Herausgebers XXI

ein „soziales System“ bezeichnet. Ähnlich wie im Fall von Franz Oppenheimer be-zeichnet der Begriff ‚System‘ also sowohl eine bestimmte theoretische Vorgehens-weise als auch einen spezifischen Gegenstandsbereich der Forschung.40 Spöttische Zungen würden mutmaßen, dass es sich dabei offensichtlich um eine Reifikation von Begriffen, d. h. um ‚Realabstraktionen‘ handelt, wie dies ja auch beim Begriff des ‚Kapitals‘ von Karl Marx der Fall ist, den er seinem grandiosen theoretischen Hauptwerk zugrunde gelegt hat. Max Weber hat deshalb daraus den Schluss ge-zogen, dass alle sozialwissenschaftlichen Grundbegriffe, die er im Laufe der Zeit selbst entwickelte, als reine ‚Idealtypen‘ zu verstehen sind, die in der Realität keine unmittelbare Entsprechung finden würden, die aber für die historische Forschung unverzichtbar seien.41

In dem Kapitel Begriff und Wesen des Kapitalismus, das Sombart in der Erst-auflage seines Hauptwerkes dem Teil über „Die Genesis des modernen Kapitalis-mus“ als einleitendes Kapitel vorangestellt hat, wird der Begriff des Kapitalismus von ihm unter Bezugnahme auf die „kapitalistische Unternehmung“ definiert, die seiner Ansicht nach das Spezifische der „kapitalistischen Wirtschaftsform“ dar-stellt.42 Untrennbar damit verbunden ist ihm zufolge die Person des kapitalisti-schen Unternehmers, dessen historisch bedingte ‚Psyche‘ zu bestimmen auch ei-nes der zentralen Anliegen von Sombarts späteren Arbeiten werden sollte. Es geht ihm dabei primär um die Frage, in welchem ‚Geist‘ der kapitalistische Unterneh-mer als „führendes Wirtschaftssubjekt“ sein Geschäft betreibt. Dies ermöglicht es ihm, zugleich eine präzise begriff liche Unterscheidung zwischen einer „Wirt-schaft“ und einem „Betrieb“ vorzunehmen. Im ersten Fall handelt es sich näm-lich um einen historisch bestimmbaren Sinnzusammenhang, im zweiten Fall dagegen um einzelne Organisationsformen wie den Großbetrieb und den Klein-betrieb, die auch in den nicht durch den modernen Kapitalismus geprägten Wirt-

cher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 19 (1904), S. 22 – 87.

40 Siehe hierzu auch Klaus Lichtblau, Franz Oppenheimers „System der Soziologie“ (1922 – 1935). Eine werkgeschichtliche Betrachtung, in: ZYKLOS. Jahrbuch für Theorie und Ge-schichte der Soziologie, Band 1, Wiesbaden 2014, S. 93 – 125.

41 Die Ironie dieser Geschichte besteht darin, dass auch der US-amerikanische Soziologe Tal-cott Parsons, der 1927 in Heidelberg von Edgar Salin mit einer Dissertation über die Ka-pitalismustheorien von Werner Sombart und Max Weber promoviert worden ist, den Be-griff „The Social System“ als Titel seines 1951 erschienenen Hauptwerkes gewählt hat. Denn Parsons hatte später nicht die Ausarbeitung einer ‚historischen‘, sondern einer ‚allgemeinen‘ Sozialtheorie verfolgt, auch wenn er ursprünglich im Anschluss an Heinrich Rickert und Alexander von Schelting die erste Variante der Theoriebildung favorisiert hat. Dies wird ins-besondere in der deutschsprachigen Fassung von Parsons’ Heidelberger Dissertation von 1927 deutlich, in der er sich ausdrücklich für die von Sombart vertretene Version einer ‚his-torischen Sozialtheorie‘ aussprach.

42 Vgl. im vorliegenden Band S. 21 ff.

XXII Einleitung des Herausgebers

schaftsepochen anzutreffen sind. Der Begriff „Wirtschaft“ steht Sombart zufolge insofern primär für ein ‚geistiges‘ Prinzip, während der „Betrieb“ etwas Formales kennzeichnet, das zugleich quantitativ bestimmt werden kann und deshalb unhis-torisch ist. Insofern sei es möglich, verschiedene „Betriebsformen der kapitalisti-schen Produktionsunternehmung“ zu unterscheiden, die er strikt vom mittelalter-lichen Handwerk mit seiner Zunftverfassung abgrenzt.

Die naheliegende Annahme, dass die kapitalistische Unternehmung und mit-hin der moderne Kapitalismus schlechthin nur unter Bezugnahme auf die spezi-fischen ‚Motive‘ der kapitalistischen Unternehmer bestimmt werden kann, ent-spricht zwar den theoretischen Grundannahmen Sombarts. Doch darf dies nicht mit rein ‚psychologischen‘ Beweggründen verwechselt werden, die dem unterneh-merischen Handeln zugrunde liegen. Denn nicht nur Karl Marx, sondern auch Sombart zufolge stellt der moderne Kapitalismus einen Abstraktionsprozess dar, da in ihm die profitable Verwertung eines Sachvermögens in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Ähnlich wie für Karl Marx ist also auch für Sombart die „Ver-wertung des Kapitals“ jener Imperativ, der bei Strafe des eigenen wirtschaftlichen Untergangs das zentrale Motiv bzw. die einzige ‚Zwecksetzung‘ des erfolgreichen kapitalistischen Unternehmers darstellt. Im Rahmen dieses Objektivierungspro-zesses ist der Unternehmer deshalb auch nur ein „Repräsentant seines Sachver-mögens“ und wie bei den modernen Aktiengesellschaften durch andere Personen vertretbar.43

Dieser scheinbare Ausschluss des subjektiven Moments in Sombarts Kapita-lismusanalyse verkennt jedoch den Umstand, dass mit seiner Beschreibung der spezifischen Tätigkeit eines kapitalistischen Unternehmers zugleich bestimmte psychische Voraussetzungen gegeben sein müssen, die bei anderen Wirtschafts-formen nicht anzutreffen sind und deren ‚Genesis‘ nur im Rahmen einer ‚his-torischen Psychologie‘ des modernen Wirtschaftsmenschen geklärt werden kann. Zentral sind dabei zwei Eigenschaften des Unternehmertums, die Max Weber spä-ter in seinem eigenen Verständnis des modernen Kapitalismus strikt unterschei-den wird und die Sombart untrennbar miteinander verbunden sieht: nämlich den „kalkulatorisch-spekulativen“ Charakter der unternehmerischen Tätigkeit. Wäh-rend Weber zufolge diese primär durch ihre ‚Rechenhaftigkeit‘ und insofern ‚Be-rechenbarkeit‘ gekennzeichnet ist, bezieht Sombart dagegen ausdrücklich das spe-kulative und insofern auch ‚abenteuerliche‘ Moment in seiner Beschreibung des

43 Sombart schließt sich in diesem Zusammenhang nicht nur dem Kapitalismus-Verständnis von Marx, sondern auch zentralen Annahmen von Simmels Philosophie des Geldes an. Denn auch Simmel hatte diese eigentümliche Umkehrung der „Zweckreihen“ als das eigentliche Wesen der Geldwirtschaft angesehen. Vgl. Georg Simmel, Philosophie des Geldes [1900 – 1907], in: Gesamtausgabe, Band 6, Frankfurt am Main 1989, S. 254 ff.

Einleitung des Herausgebers XXIII

modernen Unternehmertums mit ein. Die spezifisch ‚rationale‘ Gesinnung ist Sombart zufolge also nur die eine Seite der Medaille, deren andere ein spieleri-sches Moment kennzeichnet, das ihm zufolge seinen prägnantesten Ausdruck in der Börsenspekulation gefunden hat.

In dem Kapitel Die Genesis des kapitalistischen Geistes geht Sombart der Frage nach, wie eigentlich historisch jener ‚Geist‘ entstanden ist, der hinzukommen muss, damit ein wie auch immer zustande gekommenes Geldvermögen nicht konsumiert, sondern ‚produktiv‘, d. h. nach Gesichtspunkten der Rentabilität in-vestiert wird.44 Dies ist Sombart zufolge, und in diesem Punkt ist ihm auch Max Weber gefolgt, alles andere als selbstverständlich. Denn der ‚traditionalistische‘ Wirtschaftsmensch neige noch dazu, die Berufsarbeit nicht in den Mittelpunkt des Lebens zu stellen, sondern diese nur in jenem Ausmaß zu betreiben, wie sie für eine ‚standesgemäße‘ Lebensführung erforderlich ist, wobei natürlich die entspre-chenden ständischen Unterschiede zu berücksichtigen sind. Überdies stehe nicht die Erzielung von ‚Profit‘, sondern die Sicherstellung einer ‚Rente‘ im Mittelpunkt des ökonomischen Interesses des traditionalistisch orientierten Wirtschaftsmen-schen, die diesem im Alter ein sorgenfreies Leben bescheren soll. Dieses sowohl Sombart als auch Max Weber verhasste ‚Rentnertum‘ steht zum einen im Wider-spruch zur Dynamik des kapitalistischen Unternehmers, der in jeder Hinsicht ohne Rücksicht auf Verluste seinem ‚Geschäft‘ nachgeht. Zum anderen ist es Som-bart zufolge gerade die in den mittelalterlichen Städten Westeuropas durch aristo-kratische Kreise akkumulierte ‚Grundrente‘, welche dem entstehenden modernen Unternehmertum die entsprechenden finanziellen Voraussetzungen für seine Tä-tigkeit zur Verfügung gestellt habe.

Doch wo kommt jener ‚Geist‘ eigentlich her, der die motivationale Grundlage dafür geschaffen hat, dass ein akkumuliertes Geldvermögen nicht verprasst, son-dern produktiv investiert wird ? Denn die Annahme, dass die Entstehung entspre-chender Geldvermögen untrennbar mit der Genese eines entsprechenden ‚kapita-listischen Geistes‘ verbunden sei, ist alles andere als selbstverständlich. Woher das entsprechende Geld im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa gekommen ist, hat Sombart mit seiner heftig umstrittenen ‚Grundrententheorie‘ und der mit ihr im engen Zusammenhang stehenden historischen Städtetheorie zu erklären ver-sucht. Doch wo kommt jene historisch-spezifische ‚Gesinnung‘ her, die manche Menschen (laut Sombart sind dies alles Vertreter des ‚männlichen‘ Geschlech-tes gewesen), dazu motiviert hat, nicht ausschließlich zu konsumieren, sondern auch ‚produktiv‘, d. h. gewinnbringend zu investieren ? Genau diese Frage ist es, die Sombart und Max Weber fortan nicht mehr zur Ruhe kommen lässt und die sie zu völlig verschiedenen Antworten geführt hat.

44 Vgl. in dieser Ausgabe S. 41 ff.

XXIV Einleitung des Herausgebers

Für Sombart ist es klar, dass hierfür eine ganze Reihe von Faktoren verant-wortlich gewesen sein müssen, auch wenn er in der Erstauflage seines Buches über den modernen Kapitalismus noch dazu neigt, vor allem dem ‚Geist‘ bzw. einer ent-sprechenden Wirtschaftsgesinnung eine zentrale Rolle bei diesem Übergangspro-zess zwischen dem europäischen ‚Mittelalter‘ und der ‚Neuzeit‘ bzw. der ‚Moder-ne‘ zuzusprechen.45 Der Grund hierfür ist seine rigide Unterscheidung zwischen der historisch spezifischen ‚Wirtschaftsweise‘ und den jeweiligen ‚Betriebsformen‘, in denen produziert wird. Erstere ist wie bereits gesagt ‚mental‘, letztere dagegen ‚organisatorisch‘ bestimmt. Das heißt, dass der kapitalistische ‚Geist‘ und eine ent-sprechende ökonomische ‚Maschine‘ historisch erst einmal zusammenkommen mussten, bevor sie ihren erstaunlichen weltgeschichtlichen Siegeszug gemeinsam antreten konnten. Max Weber hat für diesen unwahrscheinlichen Fall die einem Roman von Goethe entlehnte Metapher der ‚Wahlverwandtschaft‘ verwendet und damit in gewisser Weise auch überstrapaziert, um dieses historisch kontingente Zusammenspiel von ‚Geist‘ und ‚Form‘ des modernen Kapitalismus zu beschrei-ben, was zumindest in kausaltheoretischer Hinsicht einen Erklärungsbankrott darstellt.46 Sombart bringt dagegen ständig neue ‚Faktoren‘ und soziale Gruppen ins Spiel, die sich beliebig vermehren ließen. Manche sprechen heute diesbezüg-lich von ‚Multikausalität‘, um Sombart vor seinen ursprünglichen ‚monokausalen‘, d. h. ‚positivistischen‘ Neigungen in Schutz zu nehmen.

Dem 1902 unter dem Titel Der Stil des modernen Wirtschaftslebens bereits vorab in Aufsatzform veröffentlichten vierten Kapitel des zweiten Bandes seines Haupt-werkes kommt eine besondere Bedeutung zu.47 Denn zum einen nimmt Sombart dort zentrale Überlegungen des Schlusskapitel von Georg Simmels Philo sophie des Geldes auf, das bezeichnenderweise den Titel „Der Stil des Lebens“ trägt und dem eine unmittelbare zeitdiagnostische Bedeutung zukommt.48 Und zum anderen stellt dieser Aufsatz eine Verbindung zwischen Sombarts Theorie der kapitalisti-schen Entwicklung und seinen folgenden Analysen über die Geschichte des mo-

45 Zu den entsprechenden terminologischen Unterscheidungen zwischen ‚Neuzeit‘ und ‚Mo-derne‘ siehe auch Klaus Lichtblau, Zwischen Klassik und Moderne. Die Modernität der klassischen deutschen Soziologie, Wiesbaden 2017, S. 81 ff.; vgl. ferner Gerhard Preyer, Soziologische Selbstunterscheidungen in der Moderne. Eine soziologische Begriffsgeschich-te historischer Zeiten, in: Soziologie. Forum der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, 46. Jahrgang (2017), S. 296 – 305.

46 Siehe hierzu Richard Herbert Howe, Max Weber’s Elective Affinities. Sociology within the Bounds of Pure Reason, in: American Journal of Sociology 84 (1978), S. 366 – 385. In gewis-ser Weise handelt es sich dabei um eine ‚alchemistische Hochzeit‘, deren theoretisches Erklä-rungspotential nicht überschätzt werden sollte. Vgl. Jeremy Adler, „Eine fast magische An-ziehungskraft“. Goethes ‚Wahlverwandtschaften‘ und die Chemie seiner Zeit, München 1987.

47 Vgl. in der vorliegenden Aufsatzsammlung S. 59 ff.48 Vgl. Simmel, Philosophie des Geldes, a. a.O., S. 591 ff.

Einleitung des Herausgebers XXV

dernen Geschmacks sowie der ökonomischen Bedeutung der Mode her. Erneut geht er auf den Gegensatz zwischen einer rationalen Kalkulation von ökonomi-schen Gewinnchancen einerseits und entsprechenden spekulativen Übertreibun-gen andererseits ein, der seiner Meinung nach einen Wesenszug des modernen Kapitalismus kennzeichnet und der auch in dem psychischen Gesamthabitus des erfolgreichen Unternehmers seinen Niederschlag gefunden habe.

Nun kommt aber ein Begriff ins Spiel, der in theoretischer Hinsicht die sub-jektiven Motive des einzelnen Unternehmers mit den ökonomischen Zwängen des kapitalistischen Systems verbinden soll, nämlich der des „kapitalistischen Inter-esses“. Auf dieses führt Sombart die notorische „Veränderung der Produktions-bedingungen“ sowie die „unausgesetzte Entwertung der produzierten Waren und der Produktionsmittel“ zurück. Grund hierfür ist seiner Meinung nach das In-teresse des Unternehmers an einem „raschen Kapitalumschlag“. Dieses komme auch in einer ständigen Verkürzung der Produktions- und Umlaufszeiten der Gü-ter zum Ausdruck, welche zu einer entsprechenden Revolutionierung der Produk-tions- und Transporttechnik geführt habe. Sombart sieht deshalb die allgemeine „Tempobeschleunigung“ des modernen Lebens als notwendige Folge dieses ‚sys-tembedingten‘ ökonomischen Interesses bzw. Zwangs an, für die er zahlreiche Bei-spiele aufführt. Entsprechende technische Erfindungen wie das Telefon und der Telegraph sowie heute das Internet tragen das Ihre dazu bei, dass Raum und Zeit zunehmend an Bedeutung verlieren, worauf Sombart ausdrücklich hinweist. Da-mit geht paradoxerweise aber auch eine „gesteigerte Wertung der Zeit“ einher, wie sie bereits bei Benjamin Franklin festzustellen sei und die sowohl zur Erfindung des Sekundenanzeigers als auch zu den ‚Kurzbesprechungen‘ bei Beamten (ein-schließlich Professoren), Rechtsanwälten und Ärzten geführt habe.

Ähnlich wie Georg Simmel spricht auch Sombart in diesem Zusammenhang von einer gesteigerten „Lebensintensität“ und einem allgemeinen „Fieber“, das zur Signatur seiner Zeit geworden sei. Und auch Sombart verweist in diesem Zu-sammenhang auf die dadurch zustande gekommene „Freude am Neuen um sei-ner selbst willen“ sowie auf jene „Neuerungssucht“, die „dem Kapital die psycho-logische Unterlage bietet, um darauf wiederum sein System des unausgesetzten Formwechsels der Gebrauchsgüter aufzubauen“. Was von Simmel als allgemeine Auswirkung der entfalteten Geldwirtschaft angesehen wird, benennt Sombart im Anschluss an Marx allerdings beim Namen, indem er explizit auf das ‚Interesse‘ an einer ‚Verwertung des Kapitals‘ hinweist, was sich auch in den entsprechenden „sozialen Schichtungsverhältnissen“ niederschlage.

In dem Kapitel Die Verfeinerung des Bedarfs greift Sombart ein Thema auf, das für einen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler seiner Zeit eher ungewöhn-lich ist: nämlich die Ausarbeitung einer Theorie des modernen Massenkonsums, welche sich nicht auf die Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse beschränkt,

XXVI Einleitung des Herausgebers

sondern sich bewusst auf die ästhetische Gestaltung der Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens konzentriert. Nicht zufällig hat Sombart diesem Kapitel den Untertitel „Zur Geschichte des modernen Geschmacks“ gegeben.49 Damit macht er deutlich, dass es dabei zugleich um das spannungsreiche Verhältnis zwischen Kunstgeschichte und Kunstgewerbegeschichte seit der Renaissance bis in die Ge-genwart geht. Der Bedeutung, welcher dem Luxuskonsum der aristokratischen Kreise in der europäischen Neuzeit für die Entstehung des modernen Kapitalis-mus zukommt, hat Sombart später ein eigenes Buch gewidmet.50 Hier geht es da-gegen um die ‚ästhetische Erziehung‘ bürgerlicher Kreise um 1900, der er eine wesentliche Bedeutung für die Steigerung des Absatzes der Produkte des Kunst-handwerkes und der modernen Industrie zuspricht. Heute wissen wir, welche Be-deutung dem ‚Design‘, das heißt dem zunehmenden ästhetischen Raffinement der Gebrauchsgegenstände des alltäglichen Bedarfs für eine erfolgreiche Vermarktung neuer industrieller Produkte zukommt. Dass Sombart jedoch als einer der ersten Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler seiner Zeit diesen Zusammenhang erkannt und ausdrücklich hervorgehoben hat, zeigt, wie innovativ seine Arbeiten auch in dieser Hinsicht gewesen sind.

Zentral ist dabei seine Beobachtung, dass die in der europäischen Renaissance noch selbstverständlich gewesene Einheit von Kunst und Kunstgewerbe in den folgenden Jahrhunderten verloren gegangen sei. War ein Renaissance-Künstler noch zugleich ein professioneller Kunsthandwerker, so zeichnet sich Sombart zu-folge die im Laufe des 19. Jahrhunderts ‚autonom‘ gewordene Kunst dadurch aus, dass sie dieses Bündnis mit dem Handwerk endgültig aufgegeben habe. Im Be-reich des Kunstgewerbes wurde die ‚ästhetische Form‘ so zunehmend zu etwas Äußerlichem, „das dann unorganisch einem Gebrauchsgegenstand aufgeklatscht wurde“. Sombart spricht in diesem Zusammenhang nicht den Künstlern seiner Zeit, sondern dem kapitalistischen Unternehmer das Verdienst zu, eine Renais-sance des Kunstgewerbes im Zeichen einer ästhetischen Verfeinerung des moder-nen Geschmacks eingeleitet zu haben. Denn er sei es gewesen, der die Zeichen der Zeit erkannt habe, indem er zum Zweck der Umsatzvermehrung zunehmend dazu übergegangen sei, ein Bündnis zwischen Kunst und Industrie herzustellen. Som-bart sieht darin jedoch nicht ausschließlich einen zunehmenden Verfall des hand-werklichen Könnens im Bereich des Kunstgewerbes, sondern die einmalige Chan-ce, nun nicht mehr auf handwerklicher Grundlage, sondern mit den „Mitteln der raffiniertesten, fortgeschrittensten Technik“ ein historisch neues Kapitel der ‚Ver-feinerung des Bedarfs‘ aufzuschlagen.

49 Vgl. im vorliegenden Band S. 77 ff.50 Vgl. Sombart, Luxus und Kapitalismus, a. a.O.

Einleitung des Herausgebers XXVII

In seinem Aufsatz Wirtschaft und Mode, der ebenfalls einen Vorabdruck des entsprechenden Kapitels der Erstauflage seines Hauptwerkes darstellt, hat Sombart diese Gedankengänge weiterentwickelt.51 Er spricht diesbezüglich jetzt ausdrück-lich von einem „Beitrag zur Theorie der modernen Bedarfsgestaltung“. Es geht da-bei um die ‚Demokratisierung‘ des einstmals nur den höheren sozialen Schich-ten vorbehaltenen ‚Luxus‘-Konsums. Sombart zufolge sind dabei zwei scheinbar gegensätzliche Tendenzen untrennbar miteinander verbunden: nämlich die Ten-denz zur Vereinheitlichung des Bedarfs und die Tendenz zur Differenzierung des Geschmacks. Um letztere nicht ausufern zu lassen, bedarf es im Interesse der in-dustriellen Massenproduktion einer „Uniformierung des Geschmacks“. Hierbei kommt der Mode eine besondere Bedeutung zu. Das Thema ist nicht neu und wurde unter anderem bereits von so versierten Autoren wie Friedrich Theodor Vi-scher und Georg Simmel ausführlich gewürdigt, auf die sich Sombart in seinem ei-genen Essay über die Mode übrigens ausdrücklich beruft.52 Neu ist vielmehr, dass Sombart den zyklischen Wechsel der Moden auf das unternehmerische Interesse an einem gesteigerten Umsatz der industriellen Massenproduktion zurückführt.

Die ‚Mode‘ ist an sich keine Erfindung des modernen Kapitalismus und hat es auch schon in früheren Zeiten gegeben. Warum aber die spezifisch ‚mo derne‘ Mode Sombart zufolge etwas Neues darstellt, ist folgendes: Erstens gebe es in-zwischen fast kein Gebrauchsgegenstand mehr, der nicht dem Zwang einer mo-dischen Formgebung ausgesetzt sei. Zweitens sei das modische Sich-verhalten auf keine soziale Klasse oder Schicht mehr beschränkt. Und drittens sei der schnelle Wechsel der Moden ebenfalls ein Kennzeichnen des ‚modernen‘ Zeitalters, was in einer allgemeinen ‚Beschleunigung‘ aller Lebensvollzüge zum Ausdruck komme. Insofern kann Sombart auch sagen: „Die Mode ist des Kapitalismus liebstes Kind: sie ist aus seinem innersten Wesen heraus entsprungen und bringt seine Eigenart zum Ausdruck wie wenig andere Phänomene des sozialen Lebens unserer Zeit.“

In seinem 1908 als Separatdruck erschienenen Essay Kunstgewerbe und Kul­tur greift Sombart auf zentrale Gedankengänge zurück, die er bereits in der Erst-auflage seines Hauptwerkes entwickelt hat.53 Auch in diesem Fall ist der Gegen-satz zwischen dem Handwerk und der Industrie im Bereich des Kunstgewerbes Gegenstand seiner entsprechenden Abhandlung. Zunächst präzisiert er den Be-griff des Kunstgewerbes bzw. der ‚angewandten Kunst‘ und stellt ihn der ‚hohen Kunst‘ gegenüber, wobei er ausdrücklich betont, dass trotz dieser grundbegriff li-

51 Siehe in der vorliegenden Aufsatzsammlung S. 103 ff.52 Eine sehr gelungene Sammlung einschlägiger Publikationen über die Mode hat Silvia Bo-

venschen herausgegeben. Dort sind auch die entsprechenden Aufsätze von Sombart, Sim-mel und Vischer veröffentlicht worden. Vgl. Silvia Bovenschen (Hrsg.), Die Listen der Mode, Frankfurt am Main 1986.

53 Vgl. im vorliegenden Band S. 127 ff.

XXVIII Einleitung des Herausgebers

chen Unterscheidung in der Realität die Übergänge zwischen beiden Sphären in-zwischen „fließend“ geworden seien. Dann stellt er die Frage, wie die Vereini-gung von ‚Kunst‘ und ‚Gewerbe‘ überhaupt möglich sei. Anschließend schildert er in eindrucksvoller Weise die wichtigsten Epochen der europäischen Wirtschafts-geschichte und ihre Bedeutung für die Entfaltung, aber auch den Niedergang des Kunstgewerbes.

Den ‚Niedergang‘ des Kunstgewerbes führt er dabei auf den modernen indus-triellen Kapitalismus zurück. Nur sind es ihm zufolge allerdings nicht mehr die Unternehmer, sondern „immer mehr talentierte Künstler“, welche sich dieser Ent-wicklungstendenz entgegenstellen, indem sie sich seit Mitte der 1890er Jahre dem Bereich der ‚angewandten Kunst‘ zugewendet hätten. Der epochale Kampf zwi-schen dem Künstler und dem Unternehmer stelle dabei zugleich ein „Kampf mit der Kundschaft“ dar. Denn in diesem Gebiet hätten wir es zum einem mit „Leuten ohne Geschmack“ und zum anderen mit einem „Jagen nach dem billigsten Preis“ zu tun, was sich bezüglich des entsprechenden Gebrauchswertes bekanntlich ja nicht gerade qualitätssteigernd auswirkt, wohl aber den Massenkonsum befördert.

Nun grenzt sich Sombart auch ausdrücklich von der noch in der Erstauflage seines Hauptwerkes vertretenen Ansicht ab, dass sich unser diesbezüglicher Ge-schmack den Anforderungen der modernen Technik und dem mit ihr einher-gehenden „Maschinenstil“ anzupassen habe. Es geht ihm also in diesem Zusam-menhang primär um den Status der modernen Technik und seiner kulturellen Bedeutung für die Gegenwart.54 Innerhalb des Kampfes zwischen dem Handwerk und der Industrie im Bereich des Kunstgewerbes spricht er sich jedoch erneut für die „großindustriellen Formen“ aus. Überdies plagt ihn die Gefahr, dass es in-zwischen „zu viel Kunstgewerbe gebe“ und dass „ein Zuviel von schöner Umge-bung den Geist zerstreut und zersplittert“. Indem er auf diese „Grenzen des Kunst-gewerbes“ hinweist, distanziert er sich nun auch vehement von einer „einseitigen Entwicklung in Richtung einer rein ‚künstlerischen‘ Kultur“, die er ursprünglich mit seinem Programm einer ‚ästhetischen Nationalökonomie‘ selbst emphatisch begrüßt hatte.

Zwei weitere Themenbereiche beschäftigen Sombart zu dieser Zeit: nämlich das moderne Ausstellungswesen sowie die zunehmende Bedeutung der Rekla-me für die Vermarktung industriell erzeugter Massenprodukte. Beide zielen ihm zufolge nicht auf eine sachlich begründete Informationssteigerung, sondern auf

54 Zu Sombarts Einstellung zur Technik im Allgemeinen und zur modernen Technik im Be-sonderen vgl. ders., Technik und Kultur, in: Verhandlungen des ersten Deutschen Soziolo-gentages vom 19. bis 22. Oktober 1910 in Frankfurt am Main, Tübingen 1911, s. 63 – 83; siehe ferner ders., Die Technik im Zeitalter des Frühkapitalismus, in: Archiv für Sozialwissen-schaft und Sozialpolitik 34 (1912), S. 1345 – 1367.

Einleitung des Herausgebers XXIX

„Massensuggestion“ ab. Spätestens jetzt wird deutlich, dass Sombart zu einem lei-denschaftlichen Kritiker der modernen Massenkultur geworden ist, wobei er aus-drücklich betont, dass diese mit der „amerikanischen Kultur“ identisch sei. Be-stand der US-amerikanische ‚Exzeptionalismus‘ ihm zufolge ursprünglich darin, dass aufgrund des schier unbegrenzten Raumes auf dem amerikanischen Doppel-kontinent kein gewerkschaftlich organisiertes Proletariat in den Vereinigten Staa-ten von Amerika entstanden sei, da es dort ja immer die Alternative gab, sich den Zumutungen der großen Städte des Ostens durch eine Umsiedelung in die Wei-ten des ‚wilden‘ Westens zu entziehen55, so haben wir es hier mit einem gegen-läufigen Phänomen zu tun, das auch heute noch in der Globalisierungsforschung eine zentrale Rolle spielt: nämlich mit der weltweit erfolgreichen Diffusion eines ursprünglich höchst partikularen ‚Kulturmusters‘. Die insbesondere von Max We-ber betonte Erfolgsgeschichte einer ursprünglich rein religiös motivierten purita-nischen Arbeits- und Berufsethik ist also nur die eine Seite der ‚amerikanischen Kultur‘: die andere ist nämlich deren hemmungslose Konsum- und Genuss-Sucht, die inzwischen nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika breite soziale Schichten erreicht hat. Sombart hat hierfür den Begriff des „demokratischen Om-nibus-Prinzips“ geprägt, um deutlich zu machen, dass sich jetzt prinzipiell jeder an der Irrfahrt durch das Scheinwerfer-Licht der zunehmend industriell gepräg-ten modernen Massenkultur beteiligen kann, die offensichtlich – so Sombart – immer mehr einer ‚Geisterbahn‘ gleicht.

Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Ausstellungswesen zu, dem Sombart einen 1908 in der Zeitschrift Morgen veröffentlichten Essay gewidmet hat.56 Sombart war zeitweilig Mitherausgeber dieser „Wochenschrift für deutsche Kultur“ und dort für das Ressort ‚Kulturphilosophie‘ zuständig. Dem modernen Ausstellungswesen hatte übrigens bereits Georg Simmel zwei einschlägige Auf-sätze gewidmet, die 1890 und 1896 erschienen sind.57 Während Simmel dabei die Beziehungslosigkeit der ausgestellten Objekte sowie die Vergänglichkeit des Aus-stellungswesens betont hatte, steht bei Sombart dagegen ein anderer Aspekt im Mittelpunkt seines diesbezüglichen Essays: nämlich der „exhibitionistische“ Cha-rakter der modernen Ausstellung als eine Zurschaustellung, die auf Kosten der „Intimität“ sowie der „organisch persönlichen Wertung eine Gegenstandes“ be-ruht. Zudem betont er die wirtschaftliche Bedeutung des Ausstellungswesens, da diese ermögliche, Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen. Dass mo-derne Industrieausstellungen auch zunehmend für ein breiteres Publikum zu-

55 Vgl. Werner Sombart, Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus ? Tübin-gen 1906.

56 Vgl. in diesem Band S. 177 ff.57 Vgl. Simmel, Soziologische Ästhetik, a. a.O., S. 39 ff. und 61 ff.

XXX Einleitung des Herausgebers

gänglich gemacht worden sind, führt er auf die enormen Kosten zurück, die damit verbunden seien. Insofern kommt er zu dem Schluss, dass die Ausstellung zwei Seelen in ihrer Brust habe. Denn einerseits sei sie eine Messe, wie sie auch in ver-gangenen Zeiten üblich war, und andererseits ein großes Spektakel: „Als Messe geht sie nur die Geschäftswelt an, als Schauspiel das große Publikum.“

In seinem ebenfalls 1908 erschienenen Aufsatz Die Reklame betont Sombart den Konkurrenzkampf zwischen den Produzenten und Händlern, der früheren Zeiten noch unbekannt gewesen sei.58 Denn in einer auf dem Handwerk beruhen-den vorkapitalistischen Wirtschaft habe es noch eine enge Beziehung zwischen dem Produzenten, dem Händler und dem Konsumenten gegeben, die es grund-sätzlich ausgeschlossen habe, dass das Angebot an produzierten Waren der Nach-frage vorauseilt. In der Gegenwart müsse der Kunde dagegen „gesucht, angegrif-fen, herbeigeschleppt werden“. Der Reklame käme in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, diese „Überwältigung des Kunden ins Psychologisch-Geistige“ zu übertragen und ihm etwas anzubieten, worauf er im Grunde genommen gar kei-nen Bedarf habe. Aber nicht nur diese Überrumpelung ist es, die Sombarts Zorn erregt hat. Es sind für ihn vielmehr auch die „ästhetischen Schädigungen“, die er in diesem Zusammenhang anspricht: „Es ist ein trauriges Zeichen der Zeit, dass arme, hungernde Künstler ihr Können gegen kargen Lohn einem beliebigen In-sektenpulverhändler zur Verfügung stellen müssen, damit er seine Ware in Schön-heit anpreisen könne. Die Kunst im Dienst der Reklame ist eine der vielen gründ-lichen Verirrungen unserer Kultur.“

Diese auf einem aristokratischen ‚Pathos der Distanz‘ beruhende Kulturkritik ist insbesondere bei den Anzeigenkunden der Zeitschrift Morgen auf heftige Kri-tik gestoßen und hat zu einer Aufgabe von Sombarts dortiger Herausgeberschaft geführt. Da die Wogen sich immer noch nicht glätteten, sah sich Sombart ge nötigt, einen weiteren Aufsatz über die Reklame zu veröffentlichen. Dieser ist allerdings nicht mehr in der Kulturzeitschrift Morgen, sondern 1908 in der von Maximilian Harden herausgegebenen Zeitschrift Die Zukunft unter dem Titel Ihre Majestät die Reklame erschienen.59 Sombart wehrt sich dabei gegen die Unterstellung seiner Kritiker, dass es ihm nur darum gehe, selbst sensationssüchtig zu sein und Wer-bung für sein eigenes Werk zu machen. Insbesondere wehrt er sich gegenüber dem Vorwurf, dass er seinen „Anti-Reklameartikel“ als Professor einer Handelshoch-schule veröffentlicht habe, deren Einrichtung ja selbst der Förderung des Handels verpflichtet sei. Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er seinen Es-say über die Reklame und die mit ihm verbundenen ‚Werturteile‘ über den ästheti-schen Charakter derselben nicht als ‚Professor‘, sondern als ‚Zeit genosse‘ geschrie-

58 Vgl. in diesem Band S. 187 ff.59 Vgl. in diesem Band S. 195 ff.

Einleitung des Herausgebers XXXI

ben habe, dem das Recht auf solche subjektiven Wertungen zustehe. Um die „Ehre des Kaufmannstandes“ zu retten, betont er noch einmal ausdrücklich die Unter-scheidung zwischen einer reinen „Anzeige“ und der modernen Reklame, den er schon in seinem ersten Essay über die Reklame erwähnt hatte. Der Unterschied zwischen beiden besteht ihm zufolge darin, dass die Reklame die „Erweckung der Neugier oder sonst eines Triebes“ be absichtige, „der den Willen in der gewünsch-ten Richtung beeinflusst“, während eine reine An zeige auf der Annahme beruhe, „dass unser Interesse für ihren Inhalt schon vorhanden ist“.

In seinem 1909 erschienenen Aufsatz Der kapitalistische Unternehmer geht Sombart zunächst auf das unterschiedliche Verständnis des Kapitalismus-Be-griffs seiner Zeit ein. Er nimmt dies zum Anlass, noch einmal die wichtigsten Grundannahmen und grundbegriff lichen Unterscheidungen zusammenzufassen, die seinem Werk zugrunde liegen.60 Erneut sind es die Figur des kapitalistischen Unternehmers und dessen Motive, die seine besondere Aufmerksamkeit finden. Nicht die subjektiven Beweggründe des unternehmerischen Handelns, sondern die Objektivation des „kapitalistischen Interesses“ bezüglich der profitablen Ver-wertung eines bestehenden Geld- und Sachvermögens sowie die damit verbunde-nen ‚systemischen‘ Zwänge sind es jedoch, die im Mittelpunkt dieses umfangrei-chen Aufsatzes stehen.

Dennoch betont Sombart auch in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem durch eine spezifische „Erwerbsidee“ be-herrscht würde, die er sowohl in logischer als auch psychologischer Hinsicht zu bestimmen versucht. Nun sind es bestimmte „Tendenzen“, die aus der Verfolgung dieser Erwerbsidee resultieren. Er nennt dabei die Tendenz zum „schrankenlosen Erwerb“, die Tendenz zum „unbedingten Erwerb“, die Tendenz zum „rücksichts-losen Erwerb“ sowie die Tendenz zum „freien Erwerb“, wobei er auf Autobiogra-phien bedeutender Unternehmer seiner Zeit zurückgreift, um diesen Sachverhalt zu illustrieren. Ferner führt Sombart jetzt eine strikte Unterscheidung zwischen dem ‚Inhalt‘ und der ‚Form‘ einer kapitalistischen Unternehmung sowie nach dem „Entwicklungsstadium der kapitalistischen Kultur“ ein, die später auch Max We-ber übernommen hat, um sich gegenüber den Kritiken an seinen Protestantis-mus-Studien zu verteidigen. Umgekehrt schließt sich Sombart nun explizit der von Heinrich Rickert und Max Weber entwickelten Lehre des ‚Idealtypus‘ an, um den unüberbrückbaren Hiatus zwischen Begriff und Wirklichkeit zu unterstrei-chen. Insofern werden die entsprechenden ‚Wechselwirkungen‘ zwischen den ver-schiedenen Arbeiten von Sombart und Weber in diesem Aufsatz besonders deut-lich, wobei Sombart ausdrücklich darauf hinweist, dass es Max Weber gewesen sei, der ihm klargemacht habe, dass in einer Untersuchung über die ‚Genesis des ka-

60 Vgl. in diesem Band S. 209 ff.

XXXII Einleitung des Herausgebers

pitalistischen Geistes‘ die entsprechenden mentalitätsgeschichtlichen Überlegun-gen strikt von der Betrachtung verschiedener Erscheinungsformen des ‚ökonomi-schen Rationalismus‘ getrennt werden müssten.

Zentral für Sombart ist dabei die Unterscheidung zwischen dem ‚Unterneh-mer‘ und dem ‚Händler‘, die im Zentrum dieses Aufsatzes steht. Hierbei haben wir es mit Idealtypen zu tun, die in der Figur des modernen kapitalistischen Un-ternehmers in eigenartiger Weise zusammenfallen, ohne jedoch restlos ineinan-der überzugehen und die beide „außerhalb des kapitalistischen Nexus gesondert vorkommen“. Sombart spricht diesbezüglich ironisch von einer „Zweiseelentheo-rie“, um zu unterstreichen, dass es sich hierbei um zwei verschiedene ‚Charaktere‘ handele, die durch unterschiedliche historische Genealogien gekennzeichnet sei-en. In der Figur des Unternehmers verbindet sich ihm zufolge der ‚Erfinder‘, der ‚Entdecker‘, der ‚Eroberer‘ sowie der ‚Organisator‘, während er mit dem ‚Händ-ler‘ die geschickte Ausnutzung von ökonomischen Zyklen sowie das Interesse an „Differenzgeschäften in Effekten an der Börse“ teilt. Spekulation und Kalkulation sind also in Sombarts Idealtypus des kapitalistischen Unternehmers untrennbar miteinander verbunden, wobei er erneut ausdrücklich betont, dass sich das ge-steigerte Interesse des modernen Kapitalismus an der Reklame ‚kommerziellen‘ Eigenschaften verdanke.

Bemerkenswert an diesem Aufsatz von Sombart über den kapitalistischen Un-ternehmer aus dem Jahr 1909 ist ferner, dass er unter ausdrücklicher Bezug nahme auf Max Weber noch einmal ausführlich auf den von ihm selbst eingeführten Be-griff des ‚kapitalistischen Geistes‘ eingeht. Um diesbezügliche Missverständnisse auszuschließen, führt Sombart nun eine Reihe von weiteren grundbegriff lichen Unterscheidungen ein, die es ihm zufolge erlauben, diesen ‚Geist‘ etwas ge nauer zu fixieren. Zuerst nennt er das „seiner (objektiven) ‚Idee‘ gemäß gestaltete kapi-talistische Wirtschaftssystem“. Zweitens umfasse dieser Begriff eine entsprechen-de Wirtschaftsgesinnung, d. h. eine entsprechende „Erwerbsidee“ sowie den damit verbundenen „ökonomischen Rationalismus“. Drittens beinhalte dieser Begriff auch die „Seelenverfassung eines kapitalistischen Wirtschaftssubjektes“. Und vier-tens seien damit dessen „spezifischen Werturteile und Handlungsgrundsätze“, das heißt die entsprechenden „Maximen des Handelns“ angesprochen. Hier schließt sich nun endgültig der Kreis. Denn es geht um eine zufriedenstellende Lösung des auch in Max Webers monumentalem Werk stehenden zentralen historischen Pro-blems: „Wie entstehen die für die kapitalistische Organisation als Wirtschaftssub-jekte qualifizierten Individuen ?“61

61 Um es noch einmal ausdrücklich zu betonen: dies ist eine Frage, die bereits Marx in seinem berühmten Kapitel über die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals im Abschnitt „Gene-sis des industriellen Kapitalisten“ gestellt hat. Vgl. ders., Das Kapital, Band 1, a. a.O., S. 777 ff.

Einleitung des Herausgebers XXXIII

In dem 1913 erschienenen Aufsatz Der Bourgeois einst und jetzt fasst Sombart die Ergebnisse seiner langjährigen Beschäftigung mit der historischen Eigenart des modernen Kapitalismus noch einmal zusammen.62 Wieder geht es ihm darum, eine Typisierung der für diese Wirtschaftsepoche ‚führenden Wirtschaftssubjekte‘ vorzunehmen. Doch dieses Mal verwendet er einen Begriff, der in seinen bishe-rigen Untersuchungen nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat, der aber in der von Karl Marx und Friedrich Engels vertretenen Variante des ‚wissenschaftlichen Sozialismus‘ eine zentrale Rolle spielt, nämlich den des ‚Bourgeois‘. Dieser ermög-licht es Sombart in geradezu idealer Weise, einen historischen Vergleich zwischen dem Unternehmer „alten Stils“ und dem „modernen Unternehmertyp“ vorzuneh-men sowie den unterschiedlichen ‚Geist‘ herauszuarbeiten, der ihr Handeln mo-tiviert. Nun weist er ausdrücklich darauf hin, dass es weder ‚den‘ kapitalistischen Geist noch ‚den‘ Bourgeois im Singular gibt. Vielmehr hätten wir es hierbei mit verschiedenen Varianten zu tun, die im Rahmen eines diachronen Vergleichs zu spezifizieren sind. D. h., dass es zwar nicht möglich ist, diesbezüglich einen ahisto-rischen Typenbegriff geltend zu machen; wohl aber ist es möglich, „je einen be-sonderen für verschiedene Zeiten“ aufzustellen.

Sombarts epochale Unterscheidung zwischen Frühkapitalismus, Hochkapita-lismus und Spätkapitalismus erlaubt es ihm, nun souverän auf dieser von ihm ent-wickelten Abbreviatur zu spielen und entsprechende Typisierungen vorzunehmen. Diese Form der Typenbildung entspricht wie gesagt dem logischen Charakter des von Heinrich Rickert und ursprünglich auch von Max Weber vertretenen Kon-zepts des ‚Idealtypus‘, der keinen ahistorischen Gattungsbegriff darstellt, sondern primär der Herausarbeitung der Eigenart eines bestimmten ‚historischen Indivi-duums‘ verpflichtet ist. Darunter können bestimmte ‚Typen‘ von sozialen Akteu-ren wie zum Beispiel der moderne Unternehmer gemeint sein, aber auch ganze historische Epochen wie die ‚mittelalterliche Stadtwirtschaft‘, der auch in Som-barts Werk eine besondere Bedeutung zukommt, um den Unterschied zwischen einer primär auf den Eigenbedarf konzentrierten und der modernen kapitalisti-schen Wirtschaftsweise zu verdeutlichen.63

62 Vgl. in diesem Band S. 269 ff.63 Interessanter Weise vertritt Talcott Parsons in den Texten, die im Umkreis seiner Heidel-

berger Dissertation von 1927 entstanden sind, ausdrücklich den Standpunkt, dass sich nicht Max Weber, sondern Werner Sombart dieses wissenschaftslogische Programm dauerhaft zu eigen gemacht habe. Denn in Webers Werk sei dies nur eine ‚Episode‘ gewesen, die spätes-tens 1910 ihren Abschluss gefunden habe. In dieser Hinsicht hat sich Parsons ursprünglich der Weber-Kritik angeschlossen, die auch von Alexander von Schelting vertreten worden ist und der vermutlich auch der Übersetzer der deutschsprachigen Fassung von Parsons’ Dis-sertation über die Kapitalismustheorien von Werner Sombart und Max Weber gewesen ist. Vgl. hierzu auch Alexander von Schelting, Die logische Theorie der historischen Kulturwis-senschaften von Max Weber und im besonderen sein Begriff des Idealtypus, in: Archiv für

XXXIV Einleitung des Herausgebers

Es gibt insofern für Sombart keinen ‚Bourgeois‘, der jenseits zwischen den his-torischen Epochen steht. Vielmehr bemüht er sich in diesem Aufsatz darum, akri-bisch die zentralen Unterschiede zwischen dem Bourgeois ‚alten Stils‘ und dem ‚modernen‘ Bourgeois herauszuarbeiten. Einen, den er diesbezüglich ausdrücklich erwähnt, ist die unterschiedliche Stellung zur Kundschaft und zur Konkurrenz, die hierbei auffalle. Denn während beim Bourgeois ‚alten Stils‘ der ‚Kundenfang‘ noch verpönt gewesen sei, kennzeichne den modernen Unternehmer dagegen das ständige ‚Unterbieten‘ des jeweiligen Konkurrenten, wobei Sombart erneut auf die diesbezügliche Bedeutung der „Geschäftsreklame“ hinweist. Dies schlage sich auch in der unterschiedlichen Qualität der auf dem Markt angebotenen Waren nieder, da im ersten Fall die eigentlichen Bedürfnisse des jeweiligen Konsumen-ten nie vergessen worden seien, während die heutigen Fabrikanten sich am Prin-zip der „Schundwarenproduktion“ orientieren würden.

Auch bezüglich ihrer Stellung zur Technik ließen sich entsprechende Unter-schiede feststellen. Denn während der traditionelle Bourgeois durch eine große Abneigung gegenüber ‚arbeitssparenden‘ Maschinen gekennzeichnet sei, zeichne sich der moderne Unternehmer aufgrund einer reinen „Quantitätsbewertung“ zur Neigung einer ‚schöpferischen Zerstörung‘, d. h. zu einer permanenten Revolutio-nierung der Produktionsmittel und Produktionsweisen aus, worauf später kein Geringerer als Joseph A. Schumpeter ausdrücklich hingewiesen hat und der sich zumindest in dieser Hinsicht zentrale Gedanken von Sombart zu eigen gemacht hat.64 Insofern kann man sagen, dass zumindest Sombarts Theorie des modernen Unternehmertums ‚Schulen‘ bildend gewirkt hat.

Werner Sombart hatte von Anfang an darauf hingewiesen, dass er die Aus-arbeitung einer ‚historischen Sozialtheorie‘ verfolge, um den scheinbaren Wider-spruch zwischen Theorie und Geschichte in den modernen Wirtschafts- und So-zialwissenschaften zu überwinden. Dabei kommt seiner Epochenunterscheidung zwischen dem ‚Frühkapitalismus‘, dem ‚Hochkapitalismus‘ und dem ‚Spätkapita-lismus‘ eine zentrale Bedeutung zu. In seinem Vortrag Die Wandlungen des Kapi­talismus, den er 1928 auf einer Tagung des renommierten Vereins für Socialpolitik gehalten hat und der ein Jahr später in den entsprechenden ‚Verhandlungen‘ er-schienen ist, unternimmt er noch einmal den Versuch, die zeitdiagnostische Be-deutung dieser Unterscheidungen hervorzuheben.65 Neu an diesem Vortrag ist,

Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 49 (1922), S. 623 – 752; siehe ferner Parsons’ Rezension von Alexander von Schelting, Max Webers Wissenschaftslehre [Tübingen 1934], in: Ameri-can Sociological Review 1 (1936), S. 675 – 681.

64 Siehe hierzu Alexander Ebner, Nationalökonomie als Kapitalismustheorie: Sombarts Theo-rie kapitalistischer Entwicklung, in: Werner Sombart, Nationalökonomie als Kapitalismus-theorie, a. a.O., besonders S. 21 ff.

65 Vgl. im vorliegenden Band S. 297 ff.

Einleitung des Herausgebers XXXV

dass Sombart den von ihm ursprünglich nur als Merkposten eingeführten Begriff des ‚Spätkapitalismus‘ nun endlich etwas genauer umschreibt.66 Ihm zufolge lässt sich der Eintritt in den ‚Spätkapitalismus‘ sogar durch eine Jahreszahl belegen: nämlich durch den Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914. Diese ‚Urkata-strophe‘ des 20. Jahrhunderts hatte nämlich zumindest im Deutschen Reich zu einer planmäßigen Organisation der Kriegswirtschaft geführt, bei der der Indus-trielle Walter Rathenau eine zentrale Rolle gespielt hat und die später auch zum Vorbild der bolschewistischen Kollektivierung der Wirtschaft im ehemals zaristi-schen Russland werden sollte.

Bezüglich der territorialen Ausdehnung des modernen Kapitalismus geht Sombart in diesem Vortrag von der Annahme aus, dass durch den zunehmenden Einbezug von asiatischen und afrikanischen Ländern in die Weltwirtschaft ein „farbiger Kapitalismus“ bzw. ein „Jungkapitalismus“ entstehen würde, auch wenn er dessen Bedeutung mit Blick auf den fortgeschrittenen Stand der Industrialisie-rung in den „altkapitalistischen Ländern“ relativiert. Ferner diagnostiziert er als Konsequenz des Ersten Weltkrieges und der damit verbundenen wirtschaftlichen Isolation Deutschland und Österreichs einen Rückgang des Welthandels sowie die Tendenz zu einer stärker auf die eigene wirtschaftliche Autarkie aus gerichtete Wirtschaftspolitik in den einzelnen Ländern, wobei seiner Meinung nach auf-grund der damit verbundenen „industriellen Schrumpfung“ vor allem der land-wirtschaftliche Sektor durch eine solche Entwicklung profitieren würde. Was den Gestaltwandel des modernen Kapitalismus betrifft, betont er die zunehmende Be-deutung der „Zentralisation des Kapitals“ sowie der „Kartellbildung“, die vor al-lem der Aufblähung des Finanzsektors zu gute kommen würde. Ferner ist seiner Meinung nach eine zunehmende ‚Verrechtlichung‘ der Binnenstruktur der einzel-

66 In seinem 1925 erschienenen Beitrag zum Grundriss der Sozialökonomik hatte Sombart zum ersten Mal wenigstens eine Definition angegeben, was er eigentlich unter diesem Begriff verstanden wissen wollte, der später insbesondere in sogenannten politisch ‚linken‘ Krei-sen eine erstaunliche Karriere machen sollte. Zu diesem Zeitpunkt verstand Sombart un-ter ‚Spätkapitalismus‘ Folgendes: „Die kapitalistische Organisation gleitet in einen rein bü-rokratischen Verwaltungsschematismus über. Die persönliche Spitze der Unternehmung verschwindet. Das Erwerbsstreben wird lauer, wird gleichsam innerlich gebunden. Äußer-lich tritt ebenfalls mehr und mehr eine Bindung der kapitalistischen Tendenzen ein. Die Gemeinschaft übt in wachsendem Umfang eine Kontrolle aus. Halböffentliche Gebilde tre-ten an Stelle der freien Unternehmung. Im Innern der Unternehmung greift der Einfluss der Lohnarbeiterschaft noch weiter um sich: die absolutistische Form der Wirtschaft, die dem Kapitalismus recht eigentlich entspricht, geht in eine konstitutionelle Verfassung über. Gemeinwirtschaftliche und genossenschaftliche Prinzipien durchsetzen die kapitalisti-sche Wirtschaft.“ (Werner Sombart, „Prinzipielle Eigenart des modernen Kapitalismus“, in: Grundriss der Sozialökonomik, IV. Abteilung: Spezifische Elemente der modernen kapita-listischen Wirtschaft, I. Teil, Tübingen 1925, S. 26).

XXXVI Einleitung des Herausgebers

nen kapitalistischen Unternehmen festzustellen, die den Einfluss der Betriebsräte und der Gewerkschaften steigern würde.

Sombarts Bild des ‚Spätkapitalismus‘ ist also durch widersprüchliche Entwick-lungstendenzen gekennzeichnet, wodurch der Eindruck entsteht, dass er zu die-sem Zeitpunkt selbst noch nicht genau gewusst hat, wohin eigentlich die Reise gehen wird. Auch seine Terminologie ist diesbezüglich noch schwankend. Zum einen spricht er nämlich nun von dem Eintritt in das ‚spätkapitalistische‘ Zeitalter. Zum anderen spricht er aber auch von der Bedeutungszunahme der „nachkapita-listischen Wirtschaftssysteme“, zu denen er die „gemischt-öffentlichen Unterneh-mungen“, die Staats- und Gemeindebetriebe sowie das ganze Genossenschafts-wesen seiner Zeit zählt. Dieser tendenzielle Übergang zu einer „Planwirtschaft“, die Sombart als eine „Großwirtschaft ohne kapitalistische Spitze“ bezeichnet und die er mit einem industriellen Kartell in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft vergleicht, ermuntert ihn schließlich dazu, nun vom Beginn einer neuen Wirt-schaftsepoche zu sprechen, die alle Merkmale einer „Übergangswirtschaft an sich trägt, in der kein Wirtschaftssystem eigentlich vorherrscht“. Für die Bezeichnung dieser Form der Übergangswirtschaft hat er den Begriff ‚Spätkapitalismus‘ vor-geschlagen – ein Begriff, der untrennbar mit dem Werk von Werner Sombart ver-bunden ist und der trotz der problematischen weltanschaulichen Implikationen, die zumindest beim ‚späten‘ Sombart mit dieser Zeitdiagnose verbunden gewesen sind, im Laufe des 20. Jahrhunderts vor allem in neomarxistischen Intellektuellen-kreisen eine erstaunliche Karriere durchlaufen hat. Heute wissen wir, dass der mo-derne Kapitalismus ständig neu ‚erfunden‘ wird bzw. sich selbst ständig neu ‚er-findet‘. Doch besteht darin nicht die eigentliche ‚Modernität‘ des Kapitalismus ?67

**********************

Die vorliegende Sammlung einschlägiger kapitalismustheoretischer Schriften von Werner Sombart wäre nicht zustande gekommen, wenn meine langjährige Frank-furter Mitarbeiterin Carolin Mauritz nicht die Mühe auf sich genommen hätte, diese zum Teil noch in Fraktur erschienenen Schriften zu scannen bzw. abzutip-pen sowie in einer ersten Redaktionsphase bereits ansatzweise zu korrigieren. Meinem Mitarbeiter Paul Eisermann ist es ferner zu verdanken, dass es ihm ge-lungen ist, einige heute zum Teil schwer zugängliche Texte Sombarts aus unse-rem nationalen Bibliothekssystem zu besorgen. Wie bei vergleichbaren Editionen

67 Zur Geschichte des Begriffs der ‚Modernität‘ siehe Hans Ulrich Gumbrecht, Artikel „Mo-dern, Modernität, Moderne“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, Band 4, Stuttgart 1978, S. 93 – 131.

Einleitung des Herausgebers XXXVII

im Rahmen der von Stephan Moebius und mir bei Springer VS herausgegebenen Schriftenreihe Klassiker der Sozialwissenschaften wurde auch Sombarts Schreib-weise in der vorliegenden Ausgabe behutsam an die neue deutsche Rechtschrei-bung angepasst, wobei offensichtliche Rechtschreibefehler stillschweigend korri-giert worden sind. Ich danke ferner meinem langjährigen Fachverlag Springer VS, dass er mich dabei unterstützt hat, diese bereits seit vielen Jahren von mir geplan-te Edition von zentralen kapitalismustheoretischen Schriften Werner Sombarts zu veröffentlichen.

Aschaffenburg, im Juli 2017 Klaus Lichtblau