Relief, Boden und Wasser – eine...

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12 Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Relief, Boden und Wasser Relief, Boden und Wasser – eine Einführung Herbert Liedtke, Roland Mäusbacher und Karl-Heinz Schmidt Spätestens seit Friedrich RATZEL (1844- 1904) und Alfred HETTNER (1859-1941) wurde in der klassischen Geographie die Beschaffenheit der natürlichen Umwelt als Basis aller menschlichen Lebensfor- men gesehen, und bis weit ins 20. Jh. hinein gab es geodeterministische Hal- tungen, die davon ausgingen, dass die physischen Verhältnisse und die Geset- ze der physischen Welt bestimmend für die sozialen und kulturellen Ausprägun- gen des menschlichen Lebens seien. Diese vorherrschende Lehrmeinung ist inzwischen von einer vernetzten Be- trachtungsweise abgelöst worden, nach der Natur- und Kulturlandschaft als vielfältig verzahnt und voneinander ab- hängig gesehen werden. Auf der prakti- schen Ebene beschäftigen sich verschie- dene Bereiche der Umweltforschung mit diesen Vernetzungen. Für ihr Ver- ständnis sind – aus physisch geographi- scher Sichtweise – grundlegende Kennt- nisse der Beschaffenheit und der Verän- derungsprozesse der Erde unverzichtbar. Die natürlichen Verhältnisse Deutschlands werden von mehreren Wissenschaften untersucht, die mehr oder weniger stark miteinander verwo- ben sind. Auf der Grundlage des Kennt- nisstandes der Antike hat anfangs die Geographie das Wissen über unsere Erde gesammelt, gesichtet und geglie- dert, bis sich in den letzten 250 Jahren größere oder kleinere Bereiche davon zu eigenständigen Wissenschaftsgebieten erklärten, wie Geologie, Bodenkunde, Hydrologie, Klimatologie oder Meteo- rologie. Die Geographie fasst – neben ganz anderen neuen Aufgaben – auch heute noch die Grundzüge dieser Wis- senschaften unter den Gesichtspunkten vornehmlich räumlicher Strukturen be- stimmter Phänomene zusammen wie Klimate der gemäßigten Tropen oder die Pflanzenwelt der Savannen. Von den beiden Bänden des Nationalatlas, die den natürlichen Grundlagen Deutschlands gewidmet sind, betrachtet der vorliegende Band geologisch-geo- graphische, bodenkundliche und hydro- logische Aspekte, während sich der fol- gende Band mit dem Klima, der Pflan- zenwelt und der Tierwelt befasst. Die Auswirkungen geodisziplinärer Vorgänge äußern sich im Relief. Meist handelt es sich um nur langsam voran- schreitende Vorgänge, die erst nach lan- ger Zeit zu deutlichen Veränderungen auf der Erdoberfläche führen. Das gilt allerdings nicht nur für das Relief, son- dern auch für die Bodenarten oder die hydrologisch-hydrographischen Verhält- nisse. Die Naturwissenschaften der Antike als Hort der Geowissen- schaften Die Darstellung des Prozessgefüges und der Entwicklung des Reliefs wird von den Geomorphologen betrieben, die als Naturgeographen, auch Physische Geo- graphen, zu den Geowissenschaftlern gehören. Schon im frühen Altertum sammelte man geographische Angaben über Gebirge, Flüsse und Orte. Solche Kenntnisse waren Voraussetzung, um im 2. und 3. Jahrtausend v.Chr. im Staats- dienst der Ägypter, Assyrer oder Baby- lonier tätig werden zu können, denn man brauchte die geographischen Basis- daten nicht nur, um Kriege erfolgreich führen zu können, sondern auch für das Eintreiben von Steuern, ohne die ein Herrscher machtlos war und nicht einmal mehr die Grenzen seines Rei- ches erfolgreich verteidigen konnte. Als später die Griechen an die Spitze des wissenschaftlichen Fortschritts tra- ten, haben sie uns nicht nur Beschrei- bungen von Häfen und Städten, son- dern auch von Inseln, Seerouten und fremden Ländern hinterlassen und darüber hinaus, wenn auch sehr my- thenhafte, Vorstellungen über den Was- serkreislauf oder den Ursprung von Höhlen, Gebirgen oder Quellen. Gera- de in der Antike waren es die Höhlen, die den Menschen faszinierten, denn sie galten als der Zugang zu einer düsteren und unbekannten gefürchteten Unter- welt, in der das Böse obsiegte, wogegen auf den höchsten Erhebungen der Sitz der Götter war, die den Lauf der Welt bestimmten. Erstaunlich ist auch die Geschichte des Gedankens, dass es Klimazonen auf der Erde gibt. Bereits um 500 v.Chr. lehnte der griechische Mathematiker und Philosoph PYTHAGORAS die Vorstel- lung ab, die Erde sei eine Scheibe, und vertrat entschlossen die Auffassung, die Erde sei eine Kugel. Um 350 v.Chr. er- brachte ARISTOTELES (384-322 v.Chr.) Beweise für die Kugelform der Erde, in- dem er auf den kreisrunden Schatten der Erde auf dem Mond bei einer Mondfinsternis hinwies, auf die unter- schiedliche Länge des Schattens eines Gegenstandes zur gleichen Zeit, je nach dem, ob sich dieser Gegenstand weiter nördlich (länger!) oder weiter südlich (kürzer!) befindet, oder einfach auf die Tatsache, dass von Schiffen, die sich ei- nem Hafen nähern, zuerst die Mastspit- ze und erst später das ganze Schiff zu se- hen ist. Bereits im 3. Jh. v.Chr. hatte ERATOSTHENES aus Alexandria den Um- fang und damit die Größe der Erde bis Die deutschen Großlandschaften (von oben nach unten): Nordseeküste – Leuchtturm Westerhever; Tiefland – Norderdith- marschen mit der Eider; Mittelgebirge – der Thüringer Wald; Hochgebirge – die Mädelegabelgruppe in den Allgäuer Alpen

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12Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Relief, Boden und Wasser

Relief, Boden und Wasser – eine EinführungHerbert Liedtke, Roland Mäusbacher und Karl-Heinz Schmidt

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Spätestens seit Friedrich RATZEL (1844-1904) und Alfred HETTNER (1859-1941)wurde in der klassischen Geographie dieBeschaffenheit der natürlichen Umweltals Basis aller menschlichen Lebensfor-men gesehen, und bis weit ins 20. Jh.hinein gab es geodeterministische Hal-tungen, die davon ausgingen, dass diephysischen Verhältnisse und die Geset-ze der physischen Welt bestimmend fürdie sozialen und kulturellen Ausprägun-gen des menschlichen Lebens seien.Diese vorherrschende Lehrmeinung istinzwischen von einer vernetzten Be-trachtungsweise abgelöst worden, nachder Natur- und Kulturlandschaft alsvielfältig verzahnt und voneinander ab-hängig gesehen werden. Auf der prakti-schen Ebene beschäftigen sich verschie-dene Bereiche der Umweltforschungmit diesen Vernetzungen. Für ihr Ver-ständnis sind – aus physisch geographi-scher Sichtweise – grundlegende Kennt-nisse der Beschaffenheit und der Verän-derungsprozesse der Erde unverzichtbar.

Die natürlichen VerhältnisseDeutschlands werden von mehrerenWissenschaften untersucht, die mehroder weniger stark miteinander verwo-ben sind. Auf der Grundlage des Kennt-nisstandes der Antike hat anfangs dieGeographie das Wissen über unsereErde gesammelt, gesichtet und geglie-dert, bis sich in den letzten 250 Jahrengrößere oder kleinere Bereiche davon zueigenständigen Wissenschaftsgebietenerklärten, wie Geologie, Bodenkunde,Hydrologie, Klimatologie oder Meteo-rologie. Die Geographie fasst – nebenganz anderen neuen Aufgaben – auchheute noch die Grundzüge dieser Wis-senschaften unter den Gesichtspunktenvornehmlich räumlicher Strukturen be-stimmter Phänomene zusammen wieKlimate der gemäßigten Tropen oderdie Pflanzenwelt der Savannen. Vonden beiden Bänden des Nationalatlas,die den natürlichen GrundlagenDeutschlands gewidmet sind, betrachtetder vorliegende Band geologisch-geo-graphische, bodenkundliche und hydro-logische Aspekte, während sich der fol-gende Band mit dem Klima, der Pflan-zenwelt und der Tierwelt befasst.

Die Auswirkungen geodisziplinärerVorgänge äußern sich im Relief. Meisthandelt es sich um nur langsam voran-schreitende Vorgänge, die erst nach lan-ger Zeit zu deutlichen Veränderungenauf der Erdoberfläche führen. Das giltallerdings nicht nur für das Relief, son-dern auch für die Bodenarten oder diehydrologisch-hydrographischen Verhält-nisse.

Die Naturwissenschaften derAntike als Hort der Geowissen-schaftenDie Darstellung des Prozessgefüges undder Entwicklung des Reliefs wird vonden Geomorphologen betrieben, die alsNaturgeographen, auch Physische Geo-graphen, zu den Geowissenschaftlerngehören. Schon im frühen Altertumsammelte man geographische Angabenüber Gebirge, Flüsse und Orte. SolcheKenntnisse waren Voraussetzung, um im2. und 3. Jahrtausend v.Chr. im Staats-dienst der Ägypter, Assyrer oder Baby-lonier tätig werden zu können, dennman brauchte die geographischen Basis-daten nicht nur, um Kriege erfolgreichführen zu können, sondern auch für dasEintreiben von Steuern, ohne die einHerrscher machtlos war und nichteinmal mehr die Grenzen seines Rei-ches erfolgreich verteidigen konnte.

Als später die Griechen an die Spitzedes wissenschaftlichen Fortschritts tra-ten, haben sie uns nicht nur Beschrei-bungen von Häfen und Städten, son-dern auch von Inseln, Seerouten undfremden Ländern hinterlassen unddarüber hinaus, wenn auch sehr my-thenhafte, Vorstellungen über den Was-serkreislauf oder den Ursprung vonHöhlen, Gebirgen oder Quellen. Gera-de in der Antike waren es die Höhlen,die den Menschen faszinierten, denn siegalten als der Zugang zu einer düsterenund unbekannten gefürchteten Unter-welt, in der das Böse obsiegte, wogegenauf den höchsten Erhebungen der Sitzder Götter war, die den Lauf der Weltbestimmten.

Erstaunlich ist auch die Geschichtedes Gedankens, dass es Klimazonen aufder Erde gibt. Bereits um 500 v.Chr.lehnte der griechische Mathematikerund Philosoph PYTHAGORAS die Vorstel-lung ab, die Erde sei eine Scheibe, undvertrat entschlossen die Auffassung, dieErde sei eine Kugel. Um 350 v.Chr. er-brachte ARISTOTELES (384-322 v.Chr.)Beweise für die Kugelform der Erde, in-dem er auf den kreisrunden Schattender Erde auf dem Mond bei einerMondfinsternis hinwies, auf die unter-schiedliche Länge des Schattens einesGegenstandes zur gleichen Zeit, je nachdem, ob sich dieser Gegenstand weiternördlich (länger!) oder weiter südlich(kürzer!) befindet, oder einfach auf dieTatsache, dass von Schiffen, die sich ei-nem Hafen nähern, zuerst die Mastspit-ze und erst später das ganze Schiff zu se-hen ist. Bereits im 3. Jh. v.Chr. hatteERATOSTHENES aus Alexandria den Um-fang und damit die Größe der Erde bis

Die deutschen Großlandschaften (von oben nach unten):Nordseeküste – Leuchtturm Westerhever; Tiefland – Norderdith-marschen mit der Eider; Mittelgebirge – der Thüringer Wald;Hochgebirge – die Mädelegabelgruppe in den Allgäuer Alpen

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auf 0,2% Genauigkeit berechnet �.Man stellte sich die Erde als eine imWeltall frei schwebende Kugel vor,jedenfalls nicht als am Firmament hän-gend. Die Römer haben das Wissen derGriechen übernommen, aber sie habendiesem nur wenige neue Erkenntnissehinzugefügt.

Mittelalter und NeuzeitDas Erbe der Antike ging in Mitteleuro-pa in den Wirren der Völkerwanderungverloren und wurde durch Bibelgläubig-keit ersetzt, denn im Mittelalter sahman die Welt als von Gott gegeben anund machte sich keine Gedanken überdas Werden und Vergehen von Gestei-nen, Gebirgen, Tälern oder Flüssen.Aber bereits an der Wende vom Mittel-alter zur Neuzeit hatte der geniale Na-turbeobachter LEONARDO DA VINCI dieständigen Veränderungen (s. Abb.S. 23) von Flussläufen bemerkt und aufderen Folgen in Zeichnungen und Wor-ten hingewiesen. Bald darauf begannman, die längst erkannten Versteine-rungen von einstigen, den heutigenaber oft sehr ähnlichen Lebewesen(Fossilien) richtig zu deuten, studiertedie Lagerung von Schichten und er-kannte die Verfaltung, Überschiebung

oder Schrägstellung ganzer Gesteinspa-kete. Jetzt fing man an, sich von denTexten der Bibel zu lösen.

Fast zu gleicher Zeit wie LEONARDO DA

VINCI in Italien (1452-1519) beschäftig-te sich in Deutschland der in Glauchaugeborene Mediziner Georg(ius) Bauer(AGRICOLA) (1494-1555) in St. Joach-

imsthal (heute Jáchymov) im böhmi-schen Teil des Erzgebirges mit demBergwesen und verfasste das 1556 er-schienene Buch „De re metallica“, dasrund 200 Jahre lang ein Standardwerkim Metall- und Hüttenwesen blieb undder Mineralienkunde Auftrieb ver-schaffte. �����

� Der Ausschnitt aus der von WEINERUS 1579 veröffentlichten Karte zeigt das Gebiet von BadReichenhall bis zum Königssee. Man sieht phantasievoll dargestellte Einzelerhebungen(„Maulwurfshügel“), genaue Einzelheiten zum Relief lassen sich jedoch nicht entnehmen. Inder Karte ist auch eine Gebrauchsanweisung für die Einnordung des Kartenblattes sowie eineMaßstabsleiste enthalten. Eine „gemeine deutsche Meile“ betrug etwa 7,4 km.

Von den frühen Forschungs- und Entde-ckungsreisen wurden häufig dokumentarischefotorealistische Landschaftsbilder mitgebracht.Gleichzeitig entwickelten sich in derbildenden Kunst Ausdrucksformen, bei denendie Darstellung des subjektiven Landschafts-empfindens im Vordergrund steht, die CarlGustav CARUS mit seiner Begriffsschöpfungder „Erdlebenbildkunst“ bezeichnete. CARUS

sah Darstellungen der Alpen (hier: ErnstVOLLBEHR (1876-1960): Alpenpanorama vomWendelstein) als „das Erhabenste derErdlebenbildkunst“ an.

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14Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Relief, Boden und Wasser

Mit dem Beginn des Zeitalters der Ent-deckungen konnte die Geographiewieder neue Erkenntnisse sammeln,nachdem mit Hilfe des Jakobsstabes, der1470 von Johannes MÜLLER-REGIOMON-TANUS deutlich verbessert worden war,eine annähernde Ortsbestimmung inder Weite der Meere und damit auchbei der Lagebestimmung unbekannterGestade möglich wurde. Wichtig füreine richtig lokalisierte Darstellung ge-ographischer Objekte waren Erfindun-gen, die im 17. Jh. gemacht wurden.Um die Ortsbestimmung durch Vermes-sung zu vervollkommnen, erfand derniederländische Mathematiker undPhysiker Willebrordus SNELLIUS in Ley-den 1615 das Triangulationsnetz. Dasgestattete den lagegetreuen Eintragnicht nur von Orten und Wegen, son-dern auch von Flüssen und Gebirgen.Die Höhe der Erhebungen ließ sich mit-tels des von dem italienischen Physikerund Mathematiker Evangelista TORRI-CELLI erfundenen Barometers bestim-men, nachdem 1658 auf dem 1464 mhohen Puy de Dôme die Abnahme desLuftdrucks mit der Höhe festgestelltworden war.

Diese Erfindungen dienten nicht nurder Verbesserung im Kartenwesen, son-dern auch der Darstellung von geogra-phischen Inhalten auf den Karten, wiedem Verlauf und der Höhe von Gebir-gen oder der Lage von Pässen und Berg-spitzen. Damit wichen die primitivenEintragungen stereotyper Maulwurfshü-gel � oder Gebirgsraupen einer realisti-scheren Darstellung. Doch erst als 1791von DUCARLA-BONIFAS und DUPAIN-TRIEL

die Höhenlinien und 1799 durch densächsischen Kartographen und OffizierJohann Georg LEHMANN die Schraffen(graphisches Ausdrucksmittel für dieReliefdarstellung in Karten mittelsStrichlinien) eingeführt wurden, warendie Voraussetzungen für eine brauchbareVorstellung von einer Landschaft ge-schaffen. Gerade die Schraffenkarten

waren es, die fast 150 Jahre lang diedeutschen Generalstabskarten geprägthaben.

Auf brauchbare Karten konnte derdeutsche Geograph BernhardVAREN(IUS) (1622-1651) beim Verfassenseiner Schrift „Geographia Generalis“noch nicht zurückgreifen. In ihr wirdbereits in einigen Kapiteln auf � geo-morphologische Befunde hingewiesen,wie Höhlen, Gebirgspässe, Vulkane, un-terirdische Flussläufe oder Quellen.Auch die Arbeit des fließenden Wassersbei der Verbreiterung eines Flussbettesoder die Aufschüttung von Sandbänkenfinden Erwähnung, und inzwischenwusste man auch, was Wind und Wellenan der Küste bewirken können.

In der Geologie setzte rund 150 Jahrespäter der Streit darüber ein, ob dieEntstehung der Gesteine dem Absatz imMeer (Neptunisten) oder vulkanischenErgüssen (Plutonisten) zu verdankensei. Dieser Streit verlor an Bedeutung,als 1830 durch Georges BARON DE CU-VIER die Katastrophentheorie aufkam,die ihrerseits vom Aktualismus ver-drängt wurde, nach dem nicht plötzli-che Umbrüche zu katastrophalen Ver-änderungen auf der Erde führen, son-dern langsame Entwicklungsprozesseden heutigen Zustand des Reliefs bewir-ken, eine Theorie, die von Karl ErnstAdolf VON HOFF vertreten und vonCharles LYELL unterstützt wurde.

Die geowissenschaftlichenDisziplinen entstehenUm 1800 begann die systematische Be-reisung großer Teile von Kontinenten,wie sie Alexander VON HUMBOLDT undspäter viele andere Forscher durchführ-ten. Diese Reisen brachten Unterlagenfür eine Präzisierung der Karten und,dank der Erforschung von unbekannten

Naturschätzen, Artefakten und Lebens-formen, einen erheblichen Aufschwungvor allem für die Naturwissenschaftenund für die Länderkunde als Teilgebietder Geographie (vgl. Landschaftsgemäl-de S. 13 unten). Innerhalb Letztererschufen und verwendeten Carl GustavCARUS 1841 und Karl Friedrich NAU-MANN 1850-1854 erstmals den BegriffGeomorphologie für die Beschreibung„der Größtformen und der Skulpturenauf der Erdoberfläche“. Ferdinand VON

RICHTHOFEN (� Foto) machte daraus dasselbstständige Lehrgebiet der Geomor-phologie als Wissenschaft von denOberflächenformen auf der Erde.Grundlage war sein 1886 verfertigtesBuch „Führer für Forschungsreisende“.Es machte die Geomorphologie für 100Jahre zur tragenden Säule im Bereichder Allgemeinen Naturgeographie.

Daneben hatte sich schon im 18. Jh.aus der die Gesteine betrachtenden Ge-ognosie 1779 durch den Schweizer Na-turforscher Honorace Bénédict DE SAUS-SURE die Geologie als Wissenschaft vonden Gesteinen und deren Entwicklungauf der Erde herausgebildet (�� BeitragAsch/Lahner/Zitzmann, S. 32), als de-ren bedeutendste Vertreter im Deutsch-land des beginnenden 19. Jhs. Alexan-der VON HUMBOLDT (� Foto) und Leo-pold VON BUCH � zu erwähnen sind.Von dieser Geologie spaltete sich späterin Zusammenarbeit mit der Chemie dieMineralogie ab, und aus der Verbindungder Geologie mit der Physik entstanddie Geophysik, die sich mit den Gege-benheiten des Erdkörpers beschäftigt(�� Beitrag Rummel/Schellschmidt,S. 42). Mit der Zeit spezialisierte sichauch die Geologie weiter. Paläontolo-gen beschäftigen sich mit den Fossilienim Gestein, Geotektoniker entwirrendie verzwickten Lagerungsverhältnisse

Der Geomorphologe Ferdinand FREIHERR VON

RICHTHOFEN (1833-1905) und Faksimile des„Führers für Forschungsreisende“

Alexander V. HUMBOLDT (1769-1859) in seinem Arbeitszimmer in Berlin. Aquarell von E.Hildebrandt 1845.

� Ausschnitt Harz und Umgebung aus der ersten geognostischen (geologischen) Karte von Deutschland, die durchLeopold VON BUCH (1774-1853) in 42 Blättern im umgerechneten Maßstab 1:1.100.000 ab 1826 in Berlin herausge-geben wurde.

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ten Welten �, denen wir u.a. auch dieEntstehung unserer Rohstoffe verdan-ken (�� Beitrag Lahner/Lorenz, S. 48).Im � Devon war Deutschlandbeispielsweise ein äquatornahes Tropen-paradies an der Küste des „Old-Red-Kontinents“ mit bunten Korallenriffenim Gebiet des heutigen Rheinlands.Über 100 Mio. Jahre später wanderteder Nordkontinent durch den Wüsten-gürtel der Erde, und Deutschland wurdeim Zechstein zu einer riesigen, flachenMeereslagune, die immer wieder zurSalzwüste austrocknete. Zu Beginn desJura überflutete das Meer weite TeileWesteuropas, und Deutschland wurdezur Inselgruppe. Das nächstgelegeneLand war eine große Insel im Süden: dieVindelizische Schwelle, an deren Küstedas heutige München gelegen hätte. Inder Erdneuzeit drückte Afrika gegen

den italieni-schen Stiefelund schob dieAlpen auf.Unter demstarken Druckentstand eine300 km langeEintiefung:Der Rhein-graben brachein. Er senktesich so tief,dass sich vorca. 35 Mio. Jahren ein Meeresarm ent-wickelte, der Nordsee und Mittelmeermiteinander verband. 20 Mio. Jahrespäter floss dort der Ur-Rhein.

Auch in der jüngeren Erdgeschichteverlagerten sich noch die Küstenlinien.Merkbare Veränderungen gab es in �����

(links) Der Geomorphologe Julius BÜDEL (1903-1983) verhalf derklimagesteuerten Betrachtung der Reliefentwicklung zumDurchbruch.

(rechts) Alfred HETTNER (1859-1941), ein weit gereister Geographmit großen Verdiensten um die Länderkunde. Er veröffentlichte1921 das grundlegende Lehrbuch über „Die Oberflächenformendes Festlandes“.

großräumiger Gesteinskomplexe(�� Beitrag Küster/Stöckhert, S. 36),und die Lagerstättenkunde ist zu einemeigenen Arbeitsgebiet geworden(�� Beiträge Schroeder, S. 38 und Lah-ner/Lorenz, S. 48). Inzwischen bemühensich Wissenschaftler und ganze Wirt-schaftszweige nicht nur um die Lager-stätten sondern auch um die Beseiti-gung der ungewollten Folgen, die durchden Abbau von Lagerstätten entstandensind (�� Beiträge Hoepfner/Paul, S. 52und Berkner, S. 54).

Die Paläogeographie als Zweig derHistorischen Geologie beschäftigt sichmit der Rekonstruktion der geographi-schen Verhältnisse in den einzelnenEpochen der Erdgeschichte mit ihrendurch die � Plattentektonik verursach-ten fortlaufenden Veränderungen derAnordnung von Festland und Meer aufdem Globus. Einzelne Regionen wurdenim Laufe der Zeit den unterschiedlichs-ten endogenen (z.B. Tektonik oder Vul-kanismus) und exogenen Einflüssen(z.B. Wasser, Klima, Verwitterung) aus-gesetzt. Jeder Zentimeter Erdschicht er-zählt uns heute von diesen vergange-nen, geographisch ganz anders gestalte-

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16Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Relief, Boden und Wasser

der nacheiszeitlichen Phase(�� Beiträge Behre, S. 76, und Lampe,S. 80), aber auch sie gehen aktuell stän-dig weiter (�� Beiträge Müller, S. 74und S. 78, und Lampe, S. 82).

Geomorphologie als Wissen-schaft vom ReliefAuch Reliefbetrachtung wird von derGeologie betrieben, allerdingsbesonders unter dem Gesichtspunkt derVerallgemeinerung, wogegen die Geo-morphologie im Rahmen der Geogra-phie stärker die Entwicklung der Ober-flächenformen über längere Zeiträumeund im regionalen Maßstab untersucht.

Angesichts der Ähnlichkeit der Fra-gestellungen ist es nicht verwunderlich,wenn Geomorphologie anfangs sowohlvon Geographen wie auch von Geolo-gen betrieben wurde, wobei die Ge-steinsstruktur im Vordergrund aller Be-trachtungen stand. Um 1900 war unterdem Einfluss des Geologen WilliamMorris DAVIS die Lehre von einer in fes-ten Zyklen ablaufenden Entwicklungdes Reliefs aufgekommen, wonach eingegebenes Relief nacheinander die Pha-sen der Jugend, der Reife, des Altersund der Greisenhaftigkeit durchläuft(� Foto des Bohlen). Viele deutsche Ge-omorphologen schlossen sich dieserAuffassung an, andere lehnten sie abund blieben bei der von Alfred HETTNER

(� Foto, S. 15) vertretenen, ganz vonGesteinshärte und Tektonik bestimm-ten Formung der Erdoberfläche.Allerdings haben auch heute noch dievon DAVIS geäußerten Gedanken einegrundsätzliche Bedeutung, auch wennsie sich nicht auf jede Region anwendenlassen, besonders nicht in Deutschland,wo wegen starker tektonischer Bewe-gungen meist nicht die nötige Zeit zurVerfügung stand, damit alle Phasendurchlaufen werden konnten.

Einen räumlich differenzierten, aberüberall wirksamen Einfluss auf dieOberflächenformung hat das Klima, dasregional oder zonal einen ganz be-stimmten Formenschatz hervorrufenkann. Darauf haben besonders SiegfriedPASSARGE (1912), Karl SAPPER (1935)und Julius BÜDEL (1937; 1977) (� Foto,S. 15) hingewiesen. Man denke nur anden speziellen Formenschatz der Wüs-ten oder der Savannen oder an die wäh-

rend langer Zeiten unter tropischemKlima zu Rumpfflächen nivelliertenGebirge (�� Beitrag Hüser/Kleber,S. 88). Das eiszeitliche Klima auf derErde, letztmals vor 20.000 Jahren, be-scherte dem Norden Deutschlandsdreimal eine Bedeckung mit skandina-vischem Inlandeis, und in Süddeutsch-land traten die Alpengletscher sogarviermal in das deutsche Alpenvorlandhinaus (�� Beiträge Liedtke, S. 66 undLiedtke/Marcinek, S. 68). Aber auchdas zwischen nordischem und alpinemEis gelegene Periglazialgebiet (griech.peri – um, herum; latein. glacies – Eis)veränderte sein Antlitz unter dem Ein-fluss des kalten polaren Klimas. Hängewurden stark abgetragen (�� BeitragHabbe, S. 70), in den Tälern kam es zurBildung breiter Talböden mit allsom-merlichen plötzlich einsetzenden gewal-tigen Abflüssen in verwilderten Flussar-men (�� Beitrag Herget, S. 90), undLösse und Dünen gelangten zur Ablage-rung.

Das Pendel geomorphologischer Be-trachtungsweise ist inzwischen wiederzurückgeschlagen. Heute weiß man, dassStruktur, Tektonik und Klimaeinflusszusammen mit weiteren Prozessen dasBild des heutigen Reliefs (�� Liedtke/Mäusbacher, S. 58) geschaffen habenund dass sogar eng benachbarte Land-schaften (�� Beitrag Liedtke, S. 30)sich durchaus in unterschiedlichen Sta-dien ihrer Reliefentwicklung befindenkönnen.

Faktoren der ReliefgestaltungFür die feinere Gestaltung und für dasheutige Aussehen des Reliefs sind vieleFaktoren verantwortlich, die außerdemnoch durch Klimaeinflüsse modifiziertwerden. Sie lassen sich zwei Gruppenvon Prozessen zuordnen: den endogenenund den exogenen Prozessen.

Endogene ProzesseDie endogenen Prozesse bezeichnenVorgänge in der 16-40 km mächtigenErdkruste:1. Die Geotektonik ist das Ergebnis von

thermischen Ausgleichsströmungenin der Erdkruste. Diese bewirken dieVerschiebung von Kontinenten aufder Erde, wobei es zur Gebirgsbildungmit Verfaltungen und Überschiebun-gen von Schichten wie in den Alpenkommen kann, aber auch zu großenBruchstrukturen wie im Grabenbruchdes Oberrheingrabens, im emporge-hobenen Horst des Thüringer Waldes,in der Pultscholle des Erzgebirgesoder entlang von Verwerfungen wieim Lausitzer Granitmassiv. Durch diegeotektonischen Bewegungen werdendie Größtformen auf der Erde ge-schaffen wie das zusammengeschobe-

ne Mitteleuropa � oder die an Süd-amerika angeschweißten Anden. Ge-biete mit einer besonders aktivenErdkruste geben sich durch häufigeErdbeben zu erkennen (�� BeiträgeGrünthal, S. 44 und Pelzing, S. 46).

2. Vulkane haben in Deutschland ausverschiedenen Zeiten Zeugnisse hin-terlassen. Große Vulkangebiete ausder � Permzeit beherrschen noch heu-te das Landschaftsbild im Saar-Nahe-Bergland, im Thüringer Wald oder inder Leipziger Tieflandsbucht. Vieljünger und oft sehr gut erhalten sinddie Vulkanbauten, die im � Tertiärgebildet wurden und die Rhön, denKaiserstuhl (�� Beitrag Mäckel/Sei-del, S. 64), die Landeskrone (� Foto)oder den Vogelsberg schufen.Schließlich entstanden innerhalb derletzten 2,4 Mio. Jahre die zahlreichenMaare der Eifel mit dem jüngsten

Vulkanen auf deutschen Gebiet, demLaacher See, der erst vor 12.900 Jah-ren zum Ausbruch kam, und dem Ul-mener Maar knapp 2000 Jahre später(�� Beitrag Schmincke, S. 60).

3. Die Gesteine haben dank der ihneneigenen unterschiedlichen Verwitter-barkeit auf der Erde oft so auffälligeOberflächenformen entwickelt, dassman ihnen eigene Namen gegebenhat: Teufelsturm im Elbsandsteinge-birge oder Rosstrappe am Harzrandbei Thale. Bestimmte Gesteine eig-nen sich wegen ihrer Härte, Farbeoder Struktur besonders für eine Ver-wendung als Baumaterialien und zumSchmuck von Prachtbauten (�� Bei-trag Schroeder, S. 38).

Exogene ProzesseExogene Prozesse erfolgen auf der Erdo-berfläche oder in Höhlen und voll- �����

Der etwa 20 Mio. Jahre alte Basaltkegel Landeskrone bei Görlitz(420 m) ruht auf einer älteren Fläche (Vordergrund) und überragtseine Umgebung um rund 150 m.

Die Bohlenwand beiSaalfeld. Der Auf-schluss zeigt im Han-genden die hellen, ho-rizontal gelagerten per-mischen Sedimentedes Zechsteins, die dis-kordant (im Winkel)die liegenden, gefalte-ten und senkrecht ste-henden rötlichen devo-nischen Metamorphitedes Schiefergebirgesüberlagern. Die Erosi-onsdiskordanz (gestri-chelte Linie) kenn-zeichnet die permischeLandoberfläche.

Der mäanderartige, canyonähnliche Einschnittdes Rheins in das Rheinische Schiefergebirgebis auf etwa 68 m NN. Blick rheinabwärtsvom rechts vorn sichtbaren Felsen der Loreley(194 m). Mehr als 120-150 m über demRhein gelegene breite Hauptterrassenbegleiten beidseitig den scharfen Einschnitt.

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17Relief, Boden und Wasser – eine Einführung

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18Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Relief, Boden und Wasser

ziehen sich oftmals unmittelbar vor un-seren Augen:4. Die Schwerkraft lässt alle flüssigen

und lockeren festen Teile auf der Erdo-berfläche in eine abwärts ge-

richtete Be-

wegung geraten (gravitative Prozesse).Das kann durch plötzlichen Stein-schlag oder Erdrutsch ebenso wiedurch schleichend langsame Verlage-rung von Material im Gekriech erfol-gen (�� Beiträge Gude/Molenda, S. 72,Beyer/Schmidt, S. 84, Becht u.a.,S. 96 und Dikau/Glade, S. 98). Darausresultieren spezifische Oberflächenfor-men. Nicht von ausschließlicher, abermeist von erheblicher Bedeutung istdabei die Höhenlage, in der sich ein

Gebiet befindet und das auch in hoherLage durch tiefe Engtäler zerschnittensein kann (� Foto, S. 16).

5. Verwitterung lockert das Gesteinund führt zur Zersetzung und Verklei-nerung des Materials, wobei vorwie-gend chemische oder physikalische� Verwitterung wirksam werden. Indiesem Zusammenhang sei auch aufsporadische oder auf periodischeFrosteinwirkung hingewiesen.

6. Lösung kann nur an bestimmten lös-lichen Gesteinen erfolgen, wenn un-ter dem Einfluss von (minimal säure-haltigem) Wasser Material des Ge-steins entfernt wird. Das kann beiSalzen sehr schnell gehen (�� BeitragEllenberg, S. 56), wogegen Kalke undDolomite sehr langsam gelöst werden.Durch das entfernte Material können(Tropfstein-)Höhlen entstehen, diezu Nachsackungen an der Erdoberflä-che führen. Andererseits kann sichgerade gelöstes kalkiges Materialwieder absetzen, so dass kuriose For-men entstehen, die als Karst bezeich-net werden (�� Beitrag Pfeffer, S. 94).

7. Das Wasser bewegt Material zu tiefergelegenen Stellen und transportiertgelöste oder suspendierte (schwebendmitgeführte) Bestandteile bis in dennächsten See oder hinaus in das Meer(�� Beitrag Schmidt/Unbenannt,S. 136). Man spricht von fluvialenVorgängen. Wenn Wasser in Kaltge-bieten gefriert und sich Gletscher bil-den, bewirken diese den glazialen For-menschatz (lat. glacies – Eis).

8. Der Wind kann feines Material wieSand und Schluff entgegen derSchwerkraft in die Lüfte heben undmit der Luftströmung verlagern. BeiVerringerung der Windgeschwindig-keit sinkt das mitgeführte Material zuBoden und wird an ganz bestimmtenStellen immer wieder angehäuft, wennbeispielsweise vor dem Anstieg einesGebirges die Windgeschwindigkeit re-gelmäßig gemindert wird. Man sprichtvon äolischen Prozessen (nach Äolus,dem griechischen Windgott). Das zuBoden gesunkene gröbere Material fin-det man im Binnenland als Dünen-sand oder den feineren � Schluff als� Löss, der weite Landschaften als aus-gleichend glättende Decke überzieht.Das Ausgangsmaterial für den Lössund die Dünen stammt vornehmlichaus den breiten in der Eiszeit langeZeit des Jahres trocken liegenden Tal-böden, aus denen es in Deutschlandmeist von den vorherrschenden West-winden ausgeblasen wurde. Aber auchdie breiten sandigen � Urstromtälerkamen als Sandlieferanten in Be-tracht, heute noch sichtbar an flachenMulden, aus denen der Sand ausge-weht worden ist.

9. Der Mensch wirkt ebenfalls auf dasRelief ein, und zwar in den Ackerbau-gebieten durch den meist wenig auf-fälligen und schleichend erfolgendenflächenhaften Bodenabtrag(�� Beiträge Fohrer/Mollenhauer/Scholten, S. 106 und Mollenhauer/Scholten S. 110), durch die von Ver-kehrswegen hervorgerufenen linearenAufschüttungen und Einschnitte so-wie durch die großen Veränderungen,die in den Städten und Industriege-bieten durch heute meist maschinelleAbschiebung von oberflächennahemMaterial vorgenommen werden.

ReliefdarstellungenDie Oberflächenformen Deutschlandswerden in Atlanten in generalisierterForm durch Höhenstufen dargestellt �.In modernen amtlichen Kartenwerkenerfolgt eine differenziertere Darstellungdurch Höhenlinien und – an besonderssteilen Stellen – durch Schraffen. Es istallerdings nicht einfach und bedarf lan-ger Erfahrung, sich aus dem Verlauf vonHöhenlinien ein Relief vorzustellen.Deshalb enthalten viele Karten eine zu-sätzliche Schummerung. Außerdem ste-hen uns heute Satellitenbilder zur Ver-fügung, die selbst bei kleinen Maßstä-ben die Grundzüge der feineren Relief-formung in hervorragender Weise zumAusdruck bringen können, wie ein Aus-schnitt aus einem Satellitenbild Bay-erns erkennen lässt .

Es zeigt im Norden die Nahtstellezwischen Schwäbischer und FränkischerAlb, die von dem 14,7 Mio. Jahre altenMeteoritenkrater des Nördlinger Rieses(�� Beitrag Asch/Lahner/Zitzmann,S. 34) gebildet wird, in der Mitte dasDonautal zwischen Ulm und Neuburgan der Donau und im Süden die weiten,oft lössbedeckten Schotterflächen zwi-schen der Iller und dem Lech bei Augs-burg (�� Beitrag Habbe, S. 70). Es han-delt sich hier um eiszeitliche Ablage-rungen, die im Laufe der Zeit in mehre-ren Etappen entlang von scharfen Rän-dern bis auf die heutigen Talböden vonFlüssen zerschnitten wurden. Ganzanders wirkt dagegen das ungegliederte,verwirrende, krispelige Relief in dersüdöstlichen Ecke zwischen dem Lech-tal und dem Ammersee, das zur � Alt-und � Jungmoränenlandschaft des Isar-Loisach-Gletschers (�� Beiträge Liedt-ke, S. 66 und Liedtke/Marcinek, S. 68)gehört. Auch wenn uns das Satelliten-bild viele Einzelheiten des Reliefs er-kennen lässt, kann es die Karte nichtganz ersetzen, denn manche der großenStrukturen, wie die hohen Schichtstu-fen der Alb (�� Beitrag Beyer/Schmidt,S. 84), sind nur mit großer Mühe er-kennbar. Hier erweist sich die Kartedurch ihre Höhenangaben, die Höhen-

Ausschnitt aus einer aus Satellitendaten erstellten Reliefbildkarte Bayerns mit dem Gebietzwischen Ulm und Augsburg. Zu sehen sind u.a. Einschlagskrater von Meteoriten im Steinhei-mer Becken und im Ries, vor 14,7 Mio. Jahren entstanden; alter Donaulauf über Wellheim zurAltmühl vor 300.000 Jahren.

Durch Kombination verschiedener Satellitendaten undMethoden der digitalen Bildverarbeitung erzeugtes digitales

Geländemodell. Der Ausschnitt mit einer Ausdehnung von ca.34 x 41 km zeigt die Umgebung von Freiburg i. Breisgau mit

dem Feldberg, der höchsten Erhebung des Schwarzwalds (mitSchneeresten).

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19Relief, Boden und Wasser – eine Einführung

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linien und die Verwendung der Schum-merung tatsächlich als gute und über-sichtliche Informationsquelle.

Die Möglichkeiten der digitalen Bild-verarbeitung haben das Spektrum derReliefdarstellung um dreidimensionaleLandschaftsmodelle auf Basis von Satel-litendaten ergänzt, die in unterschiedli-cher Detailliertheit inzwischen häufigfür simulierte Flüge über eine Region,z.B. bei der Wetterprognose zur besserenVeranschaulichung verwandt werden(s. Abb. S. 18 unten).

Zusätzlich zur Reliefdarstellung gibtes auch Relief-Messverfahren, wobei dieübliche Form der Messung die Erfassungder Reliefenergie ist, die aufgrund derHöhenunterschiede innerhalb von defi-nierten Rasterfeldern die Steilheit vonGeländeabschnitten wiedergibt (�� Bei-trag Burak/Zepp/Zöller, S. 26).

Böden und ihre NutzungVerwitterte Gesteine in Verbindung mitder Zersetzung von Biomasse bilden dieGrundstoffe für den Bestandteil der Erd-oberfläche, den man Boden nennt. Esgibt – je nach Ursprungsmaterial undäußeren Bedingungen – Böden unter-

schiedlicher Zusammensetzung und ganzverschiedener Mächtigkeit.

Die bewusste Nutzung des Bodens be-gann in Deutschland, wie archäologi-schen Funden zu entnehmen ist, bereitsvor 7500 Jahren (LÜNING 2000). In die-ser Zeit erfolgte eine relativ schnelleUmstellung in der Nahrungsmittelbe-schaffung vom Jagen und Sammeln zuraktiven Produktion sowohl über denAnbau von Feldfrüchten als auch überdie Domestizierung von Tieren. DiesePhase in der Entwicklung des Menschenwurde bereits in den 1920er Jahren inder Archäologie als neolithische Revo-lution bezeichnet (CHILDE 1929), da siesowohl im technischen als auch im sozi-oökonomischen Bereich mit nachhalti-gen Veränderungen in wirtschaftlicher

und kultureller Hinsicht verbunden war(Entwicklung der Feldgeräte, Töpferei,dörfliche Siedlungen).

Nach den derzeitigen Kenntnissen er-folgte die Freilegung der für den Anbaubenötigten Flächen mit Hilfe von Äx-ten oder später durch Brandrodung, wiewir dies auch heute noch in verschiede-nen Gebieten des tropischen Regenwal-des vorfinden (Amazonien, Borneo).Die mit dieser Rodung verbundenendeutlichen Veränderungen in der natür-lichen Vegetationsbedeckung kann dieWissenschaft heute mit Hilfe der Pol-lenanalyse nachvollziehen.

Ein vereinfachtes Pollendiagramm aus dem Gebiet der Wetterau zeigt fürden Zeitraum von 9580 bis ca. 6800Jahre vor heute, wie die Zahl der Baum-pollen deutlich abnimmt, während dieZahl lichtliebender Gräser und Kräuterzunimmt und in der Vegetationszusam-mensetzung zum ersten Mal Getreide-pollen erscheinen. Dies bedeutet, dassim ursprünglich geschlossenen WaldFreiflächen angelegt und vorwiegend alsAckerflächen genutzt wurden. DasVieh, insbesondere Kühe, aber auchSchweine, Ziegen und Schafe, wurdenin den Wald rund um die Siedlungengetrieben (KALIS u.a. 2002).

Bereits in dieser frühen Phase der Bo-denbearbeitung und -nutzung entwi-ckelten sich Kenntnisse über die unter-schiedliche Qualität der Böden: DieLöss- oder Jungmoränengebiete mit ih-ren nährstoffreichen Böden wurdendeutlich intensiver genutzt (�� BeitragEitel/Felix-Henningsen, S. 116), unddie dürftigen Sandböden blieben demWald überlassen.

Die Qualität der Böden spielt in allenHochkulturen eine große Rolle, wennauch schriftliche Überlieferungendarüber erst ab der Römerzeit existie-ren. Dies zeigen die Anlage ausgedehn-ter Bewässerungsflächen im VorderenOrient, aber auch das gezielte Aufbrin-gen von frischem Feinsediment aufAckerflächen im Jemen seit mindestens3000 Jahren (BRUNNER 1983).

Von den Römern ist die erste diffe-renzierte Ansprache der Böden überlie-fert. Es werden fette, magere, zähe undmürbe Böden unterschieden, und eswird geprüft, inwieweit die Farbe unddamit indirekt der � Humusgehalt einenEinfluss auf die Standortqualität unddamit auf die Pflanzenproduktion ha-ben. Diese Qualitätsmerkmale wurdenauch bei der Zuteilung von Pachtlandund Grundbesitz an Siedler und Solda-

ten im gesamten römischen Reich her-angezogen (MÜCKENHAUSEN 1993).

Das erste differenzierte Bodenbewer-tungsverfahren wurde 1831 von AlbrechtTHAER entwickelt �. Im DeutschenReich erfolgte ab 1934 eine umfassendeBodenschätzung mit dem Gesetz über dieSchätzung des Kulturbodens. Danachwurden u.a. Bodenart, Zustandsstufe, ge-ologische Entstehung des Bodens, eineBodenwertzahl sowie ein einfaches Bo-denprofil festgestellt. Dass Fragen derBodenbewertung zur Berechnung derSteuern auch heute noch ein aktuellesThema sind, zeigt der Beitrag von Liedt-ke und Marschner (� S. 104) über denderzeitigen Wert der Böden in Deutsch-land. Das in diesem Beitrag dargestelltedifferenzierte Punktesystem wurde entwi-ckelt, um eine möglichst gerechte Be-steuerung des landwirtschaftlichenGrundbesitzes zu ermöglichen, und bil-det derzeit die Grundlage für die Besteu-erung der landwirtschaftlichen Betriebe.Darüber hinaus stellen die dafür erhobe-nen Daten eine wichtige Quelle für bo-denkundliche Kartierungen und die Be-urteilung des Schutzgutes Boden dar. �����

Bodenbewertungsverfahren 1831 von THAER

nach STREMME (1936) mit Werteverhältnissenvon 0-100 Punkten. Die Bodenanspracheerfolgt in erster Linie nach der Bodenart unddem Humusgehalt.

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20Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Relief, Boden und Wasser

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Die Anfänge der BodenkundeDie stärker wissenschaftliche Auseinan-dersetzung mit den Böden beginnt erstim ausgehenden 18. Jh. und zu Beginndes 19. Jhs. Im Vordergrund stand dabeidie Agrikulturchemie, die sich mit der

Analyse der anorganischen (Minerali-en) und organischen (Humus) Kompo-nenten des Bodens beschäftigte. Zunennen ist hier das 1840 erschieneneBuch von Justus VON LIEBIG „Die organi-sche Chemie in ihrer Anwendung auf

Agricultur und Physiologie“, in demzum ersten Mal herausgestellt wird,„dass die Pflanzenproduktion an einemStandort direkt abhängig ist von der an-wesenden bzw. zugeführten Mineral-menge“. Alle Untersuchungen dieserZeit, die sich mit dieser Problematik be-schäftigten, hatten das Ziel, Wege füreine Erhöhung der pflanzlichen Produk-tion zu finden, um die Nahrungsmittel-versorgung insbesondere in schlechte-ren Jahren auf eine sichere Basis zu stel-len.

Dass die Bodenchemie auch heutenoch einen wesentlichen Teil der Bo-denanalyse darstellt, machen die Beiträ-ge über Schwermetalle und Radionukli-de (�� Beiträge Völkel, S. 112 undS. 114) deutlich. Diese Beiträge zeigen,dass dem Boden insbesondere im 20. Jh.durch Einträge aus der Industrie unddem Autoverkehr �, aber auch ausDüngung und Pflanzenschutz, ohne Ab-sicht Schadstoffe zugeführt wurden, die

– wie sich erst später erwies – bei ent-sprechenden Konzentrationen eine di-rekte oder indirekte Gefahr für denMenschen darstellen.

Um eine verlässliche Risikoabschät-zung darüber abgeben zu können, wel-ches Gefährdungspotenzial langfristigexistiert, ist eine großmaßstäbliche Bo-denkarte unerlässlich, denn die biolo-gische Verfügbarkeit der Schadstoffehängt direkt von der Ausprägung derBöden (Humusgehalt, Tongehalt, pH-Wert) ab (SCHEFFER/SCHACHTSCHABEL

2002). Dies verdeutlicht wiederum,dass ohne Grundlagenforschung keineAussagen zu angewandten Fragen wie

� Reproduktion der Bodenkarte des Deutschen Reiches 1:1.000.000 von 1936, verkleinert auf etwa ein Fünftel;Original: 120 cm x 93 cm. Sie unterscheidet 14 Bodenarten (Substrate), auf denen 21 Bodentypen ausgewiesen sind.

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21Relief, Boden und Wasser – eine Einführung

Das 1877 erschienene geognostisch-agronomische Messtischblatt 3548 Rüdersdorf ist eine fürdie preußischen Gebiete typische Karte, die besonders den großen Gütern im Osten Preußensdank der roten Buchstaben die Abfolge oberflächennaher Substrate (Bodenarten) aufzeigte unddamit wertvolle Hinweise zur besseren Landnutzung anbot. Das Beispiel liegt im Jungmoränen-gebiet östlich von Berlin, wo sich entlang von Stienitzsee und Kalksee eine glaziale Liniehindurchzieht und infolge von Salztektonik Muschelkalk bis dicht unter die Oberflächeaufdrang, der dort bis heute noch abgebaut wird.

Schadstoffbelastung oder Erhaltung desSchutzgutes Boden möglich sind. DieTabelle �, die den Eintrag von Schad-stoffen in den Boden am Beispiel vonSchwermetallen darstellt, veranschau-licht die Bedeutung dieses Themas. Zu-

sätzlich angegeben sind die derzeit gül-tigen Grenzwerte für diese Schwerme-talle nach der Klärschlammverord-nung. Dabei ist zu betonen, dass dasWirkungsgefüge dieser Stoffe, insbe-sondere die Langzeitwirkung oder �����

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22Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Relief, Boden und Wasser

aus denen Aussagen zum Boden abgelei-tet werden, und die von A. ORTH 1870publizierte geognostisch agronomischeKarte des norddeutschen Schwemmlan-des. Letztere bildete die Grundlage fürdie von der Preußischen GeologischenLandesanstalt später herausgegebenengeologisch-agronomischen Karten �,die allerdings noch sehr stark auf dielandwirtschaftlichen Belange ausgerich-tet waren.

Die Hinwendung zur stärker grundla-genorientierten Bodenaufnahme, diedie Basis auch der heutigen Bodenkar-ten (�� Beitrag Adler u.a., S. 100) bil-det, wurde 1926 von H. STREMME einge-leitet �. Seine Kartierung basiert aufder genetischen Bodenansprache, alsoauf der Profilentwicklung des Bodens,die von den verschiedenen Boden bil-denden Faktoren (Klima, Wasserhaus-halt, Pflanzen, Mensch) gesteuert wird,und auf der Zusammenfassung der Bo-dentypen zu größeren Bodeneinheiten.Wie bei den Bodenbelastungen bereitsausgeführt, bilden diese Karten in denverschiedenen Maßstäben heute diewichtigste Grundlage für alle Fragen desBodenschutzes. Der Beitrag von Adleru.a. (� S. 100) zeigt die heute für die

Bundesrepublik Deutschland ausgewie-senen Bodengesellschaften im Über-blick. Die Mehrzahl der charakteristi-schen Böden ist dort auf Fotos darge-stellt.

BodenschutzDie nachhaltige Nutzung und derSchutz der Ressource Boden sind seit

mehr als fünf Jahrzehnten ein Thema inder Wissenschaft, wurden aber erst vorwenigen Jahren in gesetzlichen Rege-lungen festgelegt (Bundes-Bodenschutz-gesetz 1998). Es geht dabei sowohl umdie Verhinderung von Schadstoffeinträ-gen, die aus sehr unterschiedlichenQuellen stammen können (�� BeiträgeVölkel, S. 112 und S. 114), als auch umden Schutz des Bodens vor Bodenerosi-on (�� Beiträge Fohrer/Mollenhauer/Scholten, S. 106 und Mollenhauer/Scholten, S. 110). Der Bodenabtragdurch Wasser und Wind bildet auf glo-baler Ebene heute die größte Gefahr füreine ausreichende Versorgung mit Nah-rungsmitteln. In Deutschland wird das

Problem der Bodenerosion meist nurwährend stärkerer Unwetter mit Hoch-wasserabfluss wahrgenommen, wenn dasdurch Starkregen von den Feldern abge-tragene Bodenmaterial als gelbbraunerSchlamm in den Häusern oder auf denlandwirtschaftlichen Flächen in denAuen (� Foto unten) abgelagert wird.Messungen der Schwebstofffracht amRhein zeigen bei Hochwasser (1998)eine Konzentration bis 350 mg Sedi-Karte der Bodenerosion von J. H. SCHULTZE. Dargestellt ist die Anfälligkeit der Flächen bezüglich der Bodenerosion durch Wasser und Wind (im Original 1 : 500.000).

Durch Überschwemmung abgetragenesBodenmaterial, das auf landwirtschaftlichgenutzter Fläche abgelagert wurde.

Probensequenz aus einem Nebenfluss des Neckars während mehrerer Hochwasserwellen. Diebraune Farbe des Wassers wird durch das transportierte Bodenmaterial hervorgerufen.

die Kombinationswirkung mehrererElemente, bislang kaum bekannt ist(SCHEFFER/SCHACHTSCHABEL 2002). DieBodenchemie ist damit ein sehr wich-tiges Instrument für den Bodenschutz,dessen Leitbild heute die nachhaltigeNutzung und der Schutz der RessourceBoden ist.

Mit der Entwicklung der Agrikultur-chemie wird auch erkannt, dass die flä-chenhafte Aufnahme des Bodens einewichtige Grundlage für die räumlicheEinordnung der chemischen Analysenund für die Beurteilung der Bodenent-wicklung und Bodenentstehung dar-stellt. Den Beginn dieser flächenhaftenAufnahmen bildeten die Verfügung despreußischen Staates von 1867 über dieAufnahme von großmaßstäblichen geo-logischen Karten im Maßstab 1 : 25.000,

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23Relief, Boden und Wasser – eine Einführung

ment pro Liter Abfluss, was bei einemAbfluss von 4500 m3/s (Hochwasser1998) einem Transport von 1575 kg proSekunde bzw. 5670 t pro Stunde Boden-material entspricht (����� Foto oben)(�� Beitrag Schmidt/Unbenannt,S. 136).

Aber nicht nur die im Wasser trans-portierten Bodensedimente stellen einProblem dar, sondern auch die an dieBodenpartikel gebundenen anorgani-schen (Schwermetalle) und organischenSchadstoffe (Nitrat, Phosphat, Herbizi-de, Pestizide). Sie werden zum Teil inden meist staugeregelten Flüssen vorden Staustufen deponiert oder bis inSeen oder gar in das Meer weitertrans-portiert und dort abgelagert.

Die Bodenerosion verursacht damitsowohl auf den Feldern Schäden, wo dasBodenmaterial abgetragen wird, alsauch in den Gewässern, in denen estransportiert oder deponiert wird. Wasdie Schäden der Bodenerosion auf denlandwirtschaftlichen Nutzflächen be-trifft, setzt das Problembewusstsein we-sentlich früher ein als bei den Gewäs-sern. So wird bereits zu Beginn des19. Jhs. von F. HEUSINGER ein umfassen-der Maßnahmenkatalog zur Verhinde-rung der Bodenerosion publiziert(1826). In der Wis-senschaft wird dasThema allerdingserst in den 30er Jah-ren des 20. Jhs. in-tensiver aufgegrif-fen, wobei KURON

als Motor dieserForschung zu nen-nen ist. Auf seineAnregung hin ent-stand auch die ersteflächenhafte Auf-nahme der Boden-erosion mit quanti-fizierenden Ansät-zen durch SCHULTZE

(1959) in Thürin-gen �.

Das Wasser alsLebenselixierDas Schicksal unddas Wirken desMenschen sind engmit dem Vorhan-densein und derNutzung des Was-

man sich darum, die natürlichen hydro-logischen Phänomene zu erklären. Andie Stelle der Spekulation, des spirituel-len Denkens und der Mystifizierung tra-ten die wissenschaftliche Untersuchungund Ursachenforschung sowie die rech-nerisch-quantitative Erfassung hydrolo-gischer Prozesse durch Beobachtung undgezielte Messung. Die Naturwissen-schaft ersetzte die Naturphilosophie.

Die anhaltende weitere Entwicklungvon menschlichen Siedlungen, die inder Frühphase immer eng an Gewässerals Handels- und Verkehrswege undVersorgungsstränge gekoppelt war, erfor-derte später immer mehr die Planungund den Bau von Wasserversorgungsan-lagen. Dabei ergeben sich Schwierigkei-ten, wenn das Volumen und die zeitli-che Verteilung des Bedarfs oft von demdurch Klima, Jahreszeit und Topogra-phie bestimmten � Wasserdargebot gra-vierend abweichen (�� Beiträge Jankie-wicz/Krahe, S. 148 und Busskamp,S. 150). Es sind daher Eingriffe in dienatürlichen Prozesse erforderlich, umdas zeitlich diskontinuierliche undräumlich ungleich verteilte Wasserdar-gebot mit dem vom Lebens- und Ar-beitsrhythmus des Menschen geprägtenBedarf in Einklang zu bringen. Der Be-ginn gezielter, großräumiger und hochentwickelter Wasserversorgungstechnikfällt in die Römerzeit, die mit imponie-renden Aquädukten (� Foto), Bädernund Thermen baulich neue Maßstäbesetzte.

Die frühesten Anfänge der geplantenWasserversorgung und Bewässerung da-tieren bereits aus der Zeit der erstenHochkulturen um 3500-2500 v.Chr. Dasklassische Beispiel für die enge Verbun-denheit zwischen Mensch und Wasserist Ägypten, denn wie in keinem ande-ren Land ist hier das gesamte Lebenvom Verhalten eines Flusses abhängig.Entlang des gesamten Nillaufs findensich in Ägypten Wasserstandsmarkenan Felsvorsprüngen oder an Bauwerkenim Bereich der Flussufer sowie auch be-zifferte und geeichte Skalen zur quanti-tativen Bestimmung der Wasserstände.Skalenleitern entlang von Treppen inbesonderen Pegelbauwerken werden als„Nilometer“ bezeichnet. Die ägypti-schen Messeinrichtungen sind wohl dieältesten erhaltenen hydrometrischenEinrichtungen in der Geschichte derHydrologie (BAUMGARTNER/LIEBSCHER

1996).Neben der Lehre des meteoren Was-

sers (atmosphärischer Kreislauf), die inwesentlichen Teilen schon unseremheutigen Verständnis vom Wasserkreis-lauf nahe kam, hat sich die Theorie,dass alles Wasser aus einem unterhalbder Erde befindlichen Meer stammt,noch über das ganze Mittelalter hin ge-halten und ist erst mit dem Aufkom-men der Naturwissenschaften nach derRenaissance ganz verschwunden. Einkonkreteres wissenschaftliches Bild desWasserkreislaufs und von Wasserbilan-zen entwickelte sich mit der Etablie-rung der quantitativen messenden Hy-drologie ab der Mitte des 19. Jhs. �����

sers verbunden. Aus der Abhängigkeitvom Wasser erwuchs schon während derfrühen Perioden der Kulturgeschichteeine enge Verbundenheit mit der My-thologie. Natürliche hydrologische Pro-zesse (Niederschlag, Gewitter, Hoch-wasser) und die Bestandteile des hydro-logischen Kreislaufs (Quellen, Flüsse,Seen, Meere) wurden durch Gestaltender Mythologie (Götter, Geister) perso-nifiziert. Erst in der Neuzeit bemühte

Römisches Aquäduktbei Vussem in der Eifel

� „Du siehst hier zwei Flüsse mit der gleichen Wassermengeund von gleicher Länge, Breite und Neigung, aber nicht gleich inder Geschwindigkeit und in der Tiefe. Und das kommt daher,daß der eine gewunden ist und der andere gerade; und darausfolgt, daß in dem gewundenen Fluß das Wasser einen längerenWeg zurücklegt, der weder die Länge des Flusses ist noch dieseiner zwei Uferdämme, denn das Schlängeln von einem Dammzum anderen verlängert den Lauf des Wassers; doch das Wasserdes geraden Flusses hat einen ebenso geraden Lauf wie seinezwei Dämme.“ (LEONARDO DA VINCI 1506-1508/10 im CodexLeicester, Blatt 5A, Folio 5 R; Anmerkung zur Reproduktion:LEONARDO schrieb grundsätzlich spiegelverkehrt.)

� Skizze eines Flussmäanders von LEONARDO

DA VINCI (1506-1508/10)

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24Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Relief, Boden und Wasser

Die älteste Erwähnung von Regenmes-sungen findet sich allerdings bereits ge-gen Ende des 4. Jhs. v.Chr. im „Artha-sastra“, dem bedeutendsten Werk deraltindischen Staatsliteratur (BAUMGART-NER/LIEBSCHER 1996). Der Zweck derMessungen lag damals in der Festlegungvon Steuererhebungen.LEONARDO DA VINCI hat sich in seinemCodex Leicester (1506-1508/10) aus-führlich einer Reihe von Fragen derGewässerhydrologie und -geomorpholo-gie (Messung der Fließgeschwindigkeit,Geschiebetransport, Mäander) zuge-wendet. Einen mäandrierenden Flussbeschreibt er, weit seiner Zeit voraus,bereits in zutreffender Weise �. Leo-nardo hat sich auch intensiv mit Pro-blemen des Wasserbaus beschäftigt. Erfertigte Skizzen zum Deichbau und zurEinrichtung von Wehren an �. SeinInteresse am Wasserbau war sehr per-sönlicher Natur, denn „Ich habe einHaus oben auf dem Flussufer, und dasWasser nimmt ihm unten den Bodenweg, und so ist es kurz vor dem Abstür-zen“ (Codex Leicester, Blatt 5 B, Folio32 R). Von Leonardo stammt auch einSatz, den man als Beginn des ökologi-schen Wasserbaus auffassen kann: „DieWurzeln der Weiden lassen die Bö-schungen der Kanäle nicht zerfallen,und die Zweige der Weiden, die in derQuerrichtung, also auf die Breite derBöschung gesetzt und später unten be-schnitten werden, werden jedes Jahr di-cker, und so bekommst Du ein lebendi-ges Ufer aus einem Stück“ (nach BAUM-GARTNER/LIEBSCHER 1996, S. 33).

Die wissenschaftliche Beschäfti-gung mit dem WasserDie Wissenschaft vom Wasser (Hydro-logie) gliedert sich entsprechend derVielzahl der Erscheinungsformen desWassers in mehrere Forschungsrichtun-gen auf. Die Ozeanographie beschäftigtsich mit dem Wasser in den Meeren. Im

Atlas widmen sich die Beiträge von Mit-telstaedt (� S. 118), Müller (� S. 120)und Heinrich/Nausch (� S. 122) ozea-nographischen Fragestellungen an derNord- und Ostsee. Das Wasser in derAtmosphäre ist Forschungsgegenstandder Meteorologie, Themen des atmos-phärischen Wassers (Niederschlag, Ver-dunstung) sind der Klimageographie zu-zuordnen (�� Bd. 3, Klima, Pflanzen-und Tierwelt). Indirekt mit dem Wasserder Lufthülle beschäftigen sich die Bei-träge Glugla/Jankiewicz (� S. 130) undJankiewicz/Krahe (� S. 148).

Auf dem Festland tritt das so genann-te Oberflächenwasser in Flüssen, Seenund Gletschern in Erscheinung. DasWasser in den Fließgewässern (Ströme,Flüsse, Bäche) ist Forschungsobjekt derPotamologie. Eine hoch aufgelöste Dar-stellung der Verbreitung der Fließgewäs-ser in Deutschland � zeigt deutlich dieregionalen Unterschiede in der Gewäs-serdichte und in den Netzstrukturen.Gebiete hoher Gewässerdichte (ausge-drückt in Kilometer Fließgewässerlängepro Quadratkilometer Fläche, km/km2)liegen vor allem in den Alpen und inden aus � paläozoischen Gesteinen be-stehenden Mittelgebirgen wie im Rhei-nischen Schiefergebirge oder im Bayer-ischen Wald mit Dichten >3. Sehr ge-ringe Dichten von <1 weisen die vonverkarstungsfähigen Kalken gebildetenSchichtstufenflächen der Schwäbischenund Fränkischen Alb auf. Der Regelfallder Gewässernetzstruktur (drainage pat-tern) ist das dendritische (baumartigverzweigte) Netz, das in den Mittelge-birgen weit verbreitet ist. Ein Sonder-fall ist das parallele Gewässernetzmus-ter, das im Übergang vom Pfälzerwaldzum Rhein im Nordteil des westlichenOberrheingrabens zu finden ist. Einweiterer Sonderfall ist die radiale, vonzentralen Erhebungen ausgehende Netz-struktur, wie wir sie im Rothaargebirge(Quellgebiet von Lenne, Ruhr, Diemel,

Eder, Lahn, Sieg), im Fichtelgebirge(Quellgebiet von Main, Saale, WeißerElster, Eger, Naab) und auf dem Vogels-berg finden.

Die Fließgewässer sind vernetzt inSystemen unterschiedlicher Größenord-nung von den kleinen Nebenflüssen biszu den Strömen mit ihren übergeordne-ten Einzugsgebieten (�� Beitrag Buss-kamp/Krahe, S. 124). Die quantitativeHydrologie vermittelt Kenntnisse überdie Wassermengen, die sich in denFließgewässern bewegen, und über dieVariabilität der Wasserführung (�� Bei-trag Busskamp/Schmidt, S. 126). DieseInhalte sind von hoher wirtschaftlicherund sozialer Bedeutung sowohl für dieBeurteilung von Zuständen der Wasser-knappheit (extreme Niedrigwasser) alsauch von Zuständen der Gefährdungdurch großen Wasserüberschuss bei ex-tremen Hochwässern (� Foto), wie siein Deutschland in den letzten Jahrender Öffentlichkeit in z.T. erschrecken-der Weise ins Bewusstsein getreten sind(Rheinhochwässer 1993, 1995, Oder-hochwasser 1997, Elbe- und Mulde-hochwasser 2002). Mit praxisbezogenenFragen des Hochwasserschutzes beschäf-tigen sich die Beiträge von Busskamp/Wilke (� S. 132) und von Mäckel/Sei-del (� S. 92).

Neben der Wassermengenbetrachtungsind seit der Industrialisierung und demstarken Zuwachs der Bevölkerung Fra-gen der Wasserqualität und der Fließge-wässerbelastung durch Nähr- undSchadstoffe immer stärker in den Vor-dergrund gerückt (�� Beitrag Blondzik/Rechenberg, S. 134). Teilweise kann dieWasserqualität zum limitierenden Fak-tor der Wasserversorgung werden. DieKontrolle der Wasserqualität durch ge-zielte Messungen ist zu einer wesentli-chen Aufgabe der Wasserbehörden ge-worden. In mittelbarem Zusammenhangmit der Wasserqualität steht dieSchwebstoffführung der Fließgewässer(�� Beitrag Schmidt/Unbenannt,S. 136), weil umweltbeeinträchtigendeStoffe an die Schwebpartikel gebundensind und Schadstoffe durch Remobili-sierung von Schwebstoffsedimenten ausStauhaltungen und Talauen lange nachEnde der aktiven Emission wieder in dieGewässerökosysteme gelangen können.

Zwei Beiträge widmen sich Fragen derSeenkunde (Limnologie) mit der Dar-stellung der Verbreitung von natürli-chen und künstlichen Standgewässernin Deutschland (�� Beitrag Kern/Leib-undgut, S. 138) und der Wasserqualitätvon Seen in Berlin und Brandenburg(�� Beitrag Mietz, S. 140). Gletschersind in den deutschen Alpen nur nochin äußerst geringer Ausdehnung exis-tent und befinden sich im Prozess desweiteren Abschmelzens. Inhalte der

Gletscherkunde (Glaziologie) könnendeswegen im Atlas nur bezogen auf dieVergangenheit des Eiszeitalters darge-stellt werden (�� Beitrag Liedtke,S. 66).

Das unterirdische Wasser (Grundwas-ser), das sich besonders in den geoöko-logischen Landschaftstypen (�� BeitragBurak/Zepp, S. 28) bemerkbar macht,wird wissenschaftlich von der Hydroge-ologie untersucht. Wichtige Fragen be-treffen die für die Wasserversorgung es-senziellen Grundwasservorräte, diebesonders in den Gebieten mit mächti-ger Lockergesteinsbedeckung (z.B. Nie-derrheinische Bucht, norddeutsche Ur-stromtäler, Alpenvorland) reichlichvorhanden sind (�� Beitrag Vierhuff,S. 142). Das regionale und lokaleGrundwasserdargebot ist abhängig vonder innerhalb des Wasserkreislaufsdurch Grundwasserneubildung bereitge-stellten Wassermenge, die je nach denEigenschaften des oberflächennah vor-handenen Gesteins äußerst unterschied-lich ausgeprägt ist (�� Beitrag Neu-mann/Wycisk, S. 144). Die Gesteinsat-tribute steuern auch den � Chemismusdes Grundwassers und dessen natürlicheGüteeigenschaften (�� Beitrag Hilt-mann/Kantor, S. 146).

Zu diesem BandDer vorliegende Atlasband kann beiWeitem nicht das gesamte Spektrumder räumlich differenzierten Naturfak-toren der Bundesrepublik Deutschlandin den Bereichen Relief, Boden undWasser darstellen. Er will jedoch einenÜberblick über die wichtigsten Themender Erdgeschichte, die wesentlichen As-pekte der Entwicklung und Gestaltungder Oberflächenformen, einige grundle-gende Informationen über Böden undderen Schutz sowie über die Themenbe-reiche rund um Meeres-, Oberflächen-und Grundwasser geben. Dabei ergebensich notwendigerweise immer wiederVerzahnungen mit Themen, die imBand 3 (Klima, Pflanzen- und Tierwelt)noch einmal aufgegriffen und vertieftbehandelt werden. Die Koordinatorenhoffen, dass der Versuch, auch neuesteForschungsergebnisse allgemein ver-ständlich darzustellen, geglückt ist.�

Die Jahrhundertflut - Hochwasser der Muldebei Eilenburg am 15. August 2002

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25Relief, Boden und Wasser – eine Einführung

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