Reportage: Frauenwirtschaft in Tadschikistan

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Nr. 1/März 2013 Menschen «Unser Klima spielt verrückt.» Die Familie Dembele in Mali kämpft gegen Erosion und Übernutzung. Wir helfen Menschen Wir helfen «Viel Arbeit für so wenig Geld.» Oimbi Kholova kämpft um das Überleben ihrer Familie.

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Tadschikistan ist die ärmste der fünfzehn Republiken der Ex-Sowjetunion. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung dieses ländlichen und bergigen Landes leben unter der Armutsgrenze. Die Existenz vieler Familien hängt vom Geld ab, das ihnen die nach Russland emigrierten Gastarbeiter schicken. So ist es auch bei der Familie Kholova, die ihren ältesten Sohn nach Moskau gesandt hat.

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Nr. 1/März 2013

Menschen

«Unser Klima spielt verrückt.»Die Familie Dembele in Mali kämpft gegen Erosion und Übernutzung.

Wir helfen

MenschenWir helfen

«Viel Arbeit für so wenig Geld.»Oimbi Kholova kämpft um das Überleben ihrer Familie.

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AM TROPF VON RUSSLANDTadschikistan ist die ärmste der fünfzehn Republiken der Ex-Sowjetunion. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung dieses ländlichen und bergigen Landes leben unter der Armutsgrenze. Die Existenz vieler Familien hängt vom Geld ab, das ihnen die nach Russland emigrierten Gast-arbeiter schicken. So ist es auch bei der Familie Kholova, die ihren ältesten Sohn nach Moskau gesandt hat.

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Text: Katja RemaneFotos: Pia Zanetti

Anderthalb Stunden brauchen wir, um die 25 Kilometer zwischen der Hauptstadt des ländlichen Distrikts von Muminabad und unserem Ziel zu bewältigen. Auf der steini-gen Piste ist Vierradantrieb ein Muss. Die

Strasse quert mehrere Bäche. Bei starkem Regen oder Schnee ist sie unbefahrbar und damit das Dorf, das auf 1660 Metern Höhe liegt, unerreichbar, erklärt uns der Fahrer. Doch endlich kommen wir in Javzidara an.

Das Haus von Oimbi Kholova, einer der Begünstigten des Caritas-Projekts, liegt gleich am Eingang des Dorfs. Sie empfängt uns mit offenen Armen. Ihre Handflächen sind schwarz wie Kohle. Es ist Nusserntesai-son. Die Frauen schälen die grünen Nüsse mit der Hand, bevor sie sie waschen und an der Sonne trocken. «Die Arbeit ist sehr

hart. Ich sammle die Nüsse oben in den Ber-gen, in den Gemeinschaftswäldern», erzählt uns Oimbi.

Die 44-Jährige ist Mutter von sechs Kin-dern. «Mein 22-jähriger Sohn ist in Russ-land», sagt sie und zeigt uns sein einge-rahmtes Foto. «Mein Mann hat ihn vor vier Jahren dorthin gesandt. Nun schickt

er uns alle drei, vier Monate etwas Geld, so um die 100 US-Dollar. Wenn er einen guten Job hat, auch mehr. Mein Sohn würde gerne nach Tadschikistan zurückkommen, doch mir ist es lieber, wenn er erst nach seinen 27. Geburtstag wiederkommt. Sonst riskiert er, für zwei Jahre von der Armee eingezogen zu werden.»

Ihre älteste Tochter Bargigul, 23 Jahre alt, hilft im Haushalt. Ihre jüngere Schwes-ter ist im Alter von 20 Jahren schon verhei-ratet. Der 17-jährige Sohn befürchtet, dass ihn sein Vater auch nach Russland schicken

«Ich musste nach der sechsten Klasse die Schule verlassen.»

wird. Die zwei Jüngsten, ein 14-jähriger Junge und ein 9-jähriges Mädchen, haben Glück. Sie gehen in die Dorfschule, die von Caritas Schweiz gebaut wurde.

In Tadschikistan ist man nicht Herr über sein Schicksal. Bargigul wäre gern Lehre-rin oder Ärztin geworden, doch sie musste die Schule in der sechsten Klasse verlassen. Ihre Eltern haben so entschieden: Die Mut-ter musste ins Spital und Bargigul übernahm einen Teil ihrer Aufgaben.

Jetzt hofft sie aber, nähen zu lernen. Sie würde gerne in einen Nähkurs in Mumi-nabad oder in der Hauptstadt Duschanbe gehen und während der Ausbildung bei einer ihrer Tanten wohnen. Doch ihr Bruder in

Bild: Oimbi Kholova erntet Nüsse.

Bild: Familie Kholova vor ihrem Haus in Javzidara. Von links nach rechts: Shahboz, Oimbi, Qudratullo, Rayhona, Bahrom, Bargigul.

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bauen können. «Ich bin später mit meinem ersten Sohn für sechs Monate nach Russland gezogen, um ihn einzuführen. Jetzt möchte ich, dass er dasselbe für seinen jüngeren Bruder tut und anschliessend nach Hause kommt, um zu heiraten», berichtet er uns.

Das Dorf von Javzidara zählt 470 Ein-wohner. Die meisten Familien haben zwi-schen fünf und zehn Kinder. «Zurzeit haben wir etwa zehn Arbeiter in Russland. In unse-rem Dorf sprechen viele Männer kein Rus-

sisch und haben deswegen auch mehr Mühe, dort eine Arbeit zu finden», erklärt uns die Lehrerin Valoyat Bozovara.

Tadschikistan ist 3,5 mal so gross wie die Schweiz und hat eine Bevölkerung von 7,3 Millionen. Man schätzt die Zahl der emig-

Russland ist gegen diesen Plan. Bargigul soll bei der Mutter bleiben. Und sie wird nicht gegen seinen Willen handeln. Immerhin hat er ihr versprochen, dass er ihr eine Nähma-schine aus Russland schicken wird.

Von Vater zu Sohn in RusslandDer jüngere Bruder Shahboz (17) möchte gerne studieren. «Aber mein Vater hat an-dere Pläne für mich.» Das Familienober-haupt Qudratullo Kholova (48) bestätigt,

dass er seinen zweiten Sohn für die Arbeit in Russland vorbereiten will. Qudratullo hat als junger Mann in der sowjetischen Armee gedient. Später hat er zwei Jahre in Russland gearbeitet. Dank diesem Einkommen hat er in seinem Geburtsdorf ein eigenes Haus

rierten Gastarbeiter auf eine gute Million; die meisten davon arbeiten in Russland. Das Geld, das die ausgewanderten Tadschi-ken ihren Familien schicken, entspricht, je nach Quelle, einem Drittel bis der Hälfte des Bruttoinlandprodukts von Tadschikistan.

In Russland arbeiten die Tadschiken im Baugewerbe, oft unter sehr harten Bedin-gungen. Manche schlafen auf den Baustel-len. Viele erkranken während des Winters, der in Russland sehr streng ist. Auch in Ja-vzidara sind mehrere Männer krank. Es gibt jedoch kein Gesundheitszentrum im Dorf, nur eine Hilfsschwester. Ein weiteres Pro-blem, das sich auf die Gesundheit nieder-schlägt, ist der Mangel an Trinkwasser. Der obere Dorfteil hat zwar Zugang zu Berg-quellen. Im unteren Dorfabschnitt aber müs-sen die Frauen das Wasser im Fluss holen. «Die Kinder trinken Wasser am Fluss, gleich neben dem Vieh», erzählt uns Oimbi.

«Ohne die Arbeit in Russland hätte ich unser Haus nicht bauen können.»

Das bedeutet also, dass heute alle Kin-der, Jungen wie Mädchen, zur Schule gehen?Hier herrscht Schulpflicht bis zum neunten Schuljahr. Die Regierung führt jährliche Volks-zählungen durch, bei denen auch die Kinder erfasst werden, und vergleicht deren Zahl mit jener der bei den Schulen angemeldeten Kinder. Dennoch kommt es vor, dass arme Familien ihre Kinder mit einigen Jahren Verspätung einschu-len. Denn auch wenn sie Anspruch auf staatli-che Unterstützung hätten, kennen die meisten benachteiligten Familien ihre Rechte nicht.

Welches sind die grössten Probleme in Tadschikistan?Das schlecht funktionierende Gesundheitssys-tem. Die durch die Regierung bezahlten Gehäl-ter sind zu gering, so dass es zu wenige Ärzte gibt. Das gilt im Übrigen auch für Lehrer. Ein weiteres Problem ist der Mangel an Arbeits-plätzen.

Inwieweit trägt das Caritas-Projekt dazu bei, diese Probleme zu beheben?Die Caritas sorgt mit ihrem Projekt dafür, dass sich mehr Frauen selbständig machen. Meine Vision ist die Schaffung weiterer Produktions-einheiten wie die von Zamzam in Mumina-bad. (kr)

«EMIGRATION FÜHRT OFT ZU SCHEIDUNGEN»Olambi Latifova (48) ist in Muminabad für die Entwicklung von Frauengemein-schaften zuständig. Die Caritas-Frau ist in Muminabad geboren und war mehr als 20 Jahre lang als Lehrerin in diesem Bezirk tätig. Deswegen kennt sie die Situation der Familien sehr gut.

Ist das Dorf Javzidara repräsentativ für den Bezirk Muminabad?Da es hier Wälder und Viehbestand gibt, ist Ja-vzidara keines der ärmsten Dörfer. In anderen Dörfern wandern 80 Prozent der Ehemänner ab, um in der 480 Kilometer entfernten Haupt-stadt Duschanbe oder in Russland zu arbeiten.

Welche Folgen hat diese massive Wan-derungsbewegung?Die positive Folge ist, dass dadurch viel Geld nach Tadschikistan fliesst. Es gibt aber auch eine Kehrseite: viele Scheidungen, getrennt le-bende Familien und vernachlässigte Kinder, die ohne ihren Vater aufwachsen. In 2011 kamen im Bezirk Muminabad auf 1000 Eheschliessun-gen 800 Scheidungen.

In welcher Lage sind die Mütter in die-sen Scheidungsfamilien?Sie kehren in aller Regel mitsamt ihren Kin-dern zu den Eltern zurück. Die meisten dieser

Frauen haben keinerlei Ausbildung. Während des Bürgerkriegs (1992 bis 1997) trauten sich die Familien nicht, ihre Töchter zur Schule zu schicken, aus Angst, sie könnten vergewaltigt oder umgebracht werden. Die Lage beginnt sich nun allerdings zu ändern. Die Frauen haben er-kannt, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, ihre Töchter zur Schule zu schicken. Sie sind dann im Scheidungsfall besser vorbereitet.

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Frauen mit der Arbeit überlastetDie Männer von Javzidara beklagen sich, dass es nicht genügend Stellen in Tadschiki-stan gibt. Im Dorf übernehmen sie schwere landwirtschaftliche Aufgaben, wie das Sam-meln von Feuerholz, sowie den Transport. Doch die meiste Arbeit fällt den Frauen zur Last. An der Frauenversammlung gehen die Frauen mit ihren Männern daher hart ins Gericht: «Die Männer helfen uns Holz und Nüsse sammeln. Doch von Dezember bis April haben sie nichts zu tun und schlafen nur», sagt eine. «Ja, aber die Männer has-sen sich selbst dafür, dass sie nichts zu tun haben. Sie müssen weit weg ziehen, um Ar-beit zu finden, wo sie uns zu Hause doch viel nützlicher wären», kontert eine andere.

Die verbreitete Arbeitsmigration hat zur Folge, dass in Tadschikistan viele Frauen al-leine für Haushalt, Einkünfte, Kinder und Schwiegereltern sorgen. Selten sind sie für diese Aufgaben vorbereitet. In diesem mus-limischen Land und insbesondere in seinen ländlichen Gegenden herrscht eine traditio-nelle Rollenteilung zwischen Mann und Frau. Die wirtschaftliche Not zwingt die Frauen, diese Rollen zu überwinden – doch ihre Arbeitsbelastung ist enorm, und auch die neuen Konflikte, die sich aus der Verän-derung der Lebensumstände ergeben, sind nicht zu unterschätzen.

So fängt der Tag von Oimbi um 5.30 Uhr an. Sie melkt ihre Kuh, die einen Liter Milch gibt – vier Liter während der guten Monate. Anschliessend macht Oimbi Feuer in der Küche; bereitet das Frühstück vor; fegt Haus und Hof; legt Holz in den Heizofen, denn der Morgen ist Ende Oktober frisch.

Bild: Frauenversammlung der Heilpflanzen-gruppe in Javzidara.

Tadschikistan

Region MuminabadChorugh

Chudschand

Afghanistan Pakistan

China

Kirgisistan

Usbekistan

DUSCHANBE

– Fläche: 141 100 km2

– Hauptstadt: Duschanbe– Bevölkerung: 7,3 Millionen (ländlich: 74%)– Sprachen: Tadschikisch, Russisch– Klima: kontinental; trockenheisse Sommer,

kalte Winter; Pamir-Gebirge semiarid-polar– Höchster Berg: 7495 Meter

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Während des Tages muss sie noch Wasser vom Fluss holen; den Garten giessen; für die Familie kochen; Brot backen; das Vieh füt-tern; Nüsse oder Obst im Wald sammeln und trocknen; vor der Dämmerung die Hüh-ner in den Stall bringen. Oimbi ist pausenlos in Bewegung. «All diese Arbeit für so wenig Geld», bilanziert sie mit einer niedergeschla-genen Stimme. «Die Käufer, die mit ihrem Lastwagen ins Dorf kommen, geben uns einen viel zu niedrigen Preis für unsere Pro-

dukte, verkaufen sie dann aber sehr viel teu-rer auf dem Markt. Aber was sollen wir tun? Verlangen wir mehr, versorgen sie sich in einem anderem Dorf. Wenn sie uns einen anständigen Preis zahlen würden, wären un-sere Probleme gelöst.»

Rurales FrauennetzwerkSo schöpften die Dorffrauen Mut, als Zamzam, das von Caritas Schweiz unter-stützte Frauennetzwerk, ihnen neue einkom-mensfördernde Tätigkeiten vorschlug (siehe Kasten). Zamzam unterstützt im ländlichen Bergdistrikt von Muminabad kinderreiche und ärmere Frauen, die weniger als 2 US-

Dollar pro Tag verdienen. Das Netzwerk verteilt Saatgut und Hühner in abgelegenen Dörfern. Zamzam bietet seinen Mitgliedern auch praktische Weiterbildungen an, so zum Beispiel im Pflanzenanbau, in der Tierzucht oder in der Verarbeitung der Produkte.

In Javzidara haben sich inzwischen zwei Selbsthilfegruppen gebildet, eine für die Ge-flügelzucht und die andere für den Anbau von Heilpflanzen. Oimbi ist zuständig für die Geflügelgruppe. Die sieben Begünstigten ihrer Gruppe haben jede zehn Hühner, Hüh-nerfutter sowie Schulung erhalten. «Jedes Mal, wenn ich meinen Mann im Kranken-haus von Duschanbe besuche, verkaufe ich ein Hühnchen, um die Kosten zu de-cken», erzählt uns Sharifa, die Schwägerin und Nachbarin von Oimbi und zeigt stolz auf ihre zahlreichen Küken. Das Federvieh und Vieh dient neben der Ernährung auch als Notgroschen. Wenn ein Familienmit-glied erkrankt, verkaufen die Frauen eines ihrer Tiere. Zum Beispiel Sharifa: Als ihr Mann erkrankte, verkaufte sie zwei Kühe und musste noch Geld dazu leihen, um die Operation zu bezahlen.

Am Folgetag treffen wir uns mit der Heilpflanzengruppe. Unsere Gastgeberin

PROjEkTE IN TADSCHIkISTANSeit 2002 unterstützt Caritas Schweiz arme Fa-milien im ländlichen Distrikt von Muminabad, im Pamir Gebirge. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Einkommensförderung für Frauen. Mehr als 40 Selbsthilfe-Gruppen haben sich inzwischen gebildet und spezialisiert: Sie züchten Geflü-gel, bauen Kartoffeln, Weizen, Gemüse, Zwie-beln, Heilpflanzen und Obst an und verarbeiten Milchprodukte. 2007 wurde mit Unterstützung der Caritas die Nichtregierungsorganisation Zamzam gegründet, um den Verkauf der Pro-dukte zu fördern. Mehr als 550 Frauen sind heute Mitglied des Frauennetzwerkes. Caritas unterstützt Zamzam mitunter auch beim Bau

einer lokalen Milchverarbeitungszentrale, in der Sahne, Sauermilch, Sauerrahm, Butter und ein lokaler Hartkäse (kurut) produziert werden.Caritas betreut, zusammen mit seinen Part-nern, noch weitere Projekte in Muminabad:– Die Produktion von lokalem Saatgut hoher

Qualität– Trinkwasserversorgung für bedürftige Fami-

lien– Den Bau von DorfschulenIn der Hauptstadt Duschanbe unterstützt Cari-tas die Integration von behinderten Kindern in die öffentliche Schule.

Bild: Die Sahnetöpfe von Zamzam verkaufen sich in Muminabad sehr gut.

Bilder rechts: Von links: Bargigul hilft ihrer Mutter dabei, Brot zu backen; die Hände von Oimbi Kholova werden von den Nüssen ganz schwarz.

Bild: Oimbi Kholova mit dem Bild ihres Sohns Olimjon, der in Russland arbeitet.

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vermisst gemeldet wurden, hat die Vereinigung der Mullahs ein Dekret erlassen, laut dem sich Frauen nach vier Jahren ohne Lebenszeichen von ihrem Ehemann scheiden lassen können. Die Vereinigung Muftiyot in Duschanbe stellt dann ein Dokument aus, das ihnen eine erneute Heirat erlaubt. Allerdings gibt es wegen Bürger-krieg und Auswanderung weitaus mehr Frauen als Männer in Tadschikistan. Kommt es in Tadschikistan oft zu häusli-cher Gewalt?Dazu kommt es überall auf der Welt. Wir kön-nen die menschliche Natur nicht ändern, aber wir können versuchen, die Gewalt von den Familien fern zu halten. Misshandelte Frauen können sich bei der Vereinigung der Mullahs beschweren, die dann den Ehemann ermahnt. Nach der dritten Ermahnung kann die Frau die Trennung verlangen. (kr)

kEINE SCHEIDUNG PER SMS ODER TELEFONFakhriddin Murodov (45) war zwischen 1989 und 2012 Mullah in Muminabad. Er engagiert sich für Frauenrechte und arbeitete mehrere Jahre mit der Caritas zusammen.

Viele tadschikische Männer arbeiten in Russland. Kommt es dabei öfter vor, dass sie kein Lebenszeichen mehr an ihre Familien senden und sich in Russ-land eine neue Frau nehmen?Der Islam verbietet Männern, ihre Familien zu verlassen. Die tadschikischen Männer gehen aber nicht zu ihrem Vergnügen nach Russland, sondern weil es zu Hause keine Arbeit für sie gibt. So können sie für ihre Familie sorgen und ihr Geld schicken. Der Islam verurteilt diejeni-gen, die ihre Ehefrauen jahrelang alleine lassen, ohne für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Zu mir kommen viele Ehefrauen und Mütter und beklagen sich, dass ihr Ehemann sie nicht mehr anruft. Wenn das geschieht, setze ich mich mit diesen Männern in Verbindung. Zwei der Män-ner sind nach meinen Anrufen zurückgekom-men. Andere hören mir nicht zu.

Können sich die Männer aus der Ferne scheiden lassen?Scheidungen per SMS oder einfaches Telefon-gespräch sind nicht möglich. Die islamische

Ehe ist eine offiziell eingegangene Verbindung. Für Scheidungen muss der Ehemann zwei Zeu-gen benennen. Nur unter dieser Voraussetzung sind Scheidungen von Russland aus möglich.

Wie steht es mit der Frau? Kann diese die Scheidung verlangen, wenn sich der Ehemann nicht mehr meldet?Laut Islam müsste sie 90 Jahre lang warten. Nach dem Bürgerkrieg, in dem viele Männer als

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Bild links: Oimbi bäckt Brot: «Wir haben allerlei Stoffe ausprobiert und festgestellt, dass Jeans am besten vor Hitze schützt.»

Bild: Interaktiver Unterricht der Lehrerin Valoyat Bozovara. Rayhona Kholova steht rechts.

Oimbi begleitet uns den ganzen Tag. Sie hat zu diesem Anlass sogar ihr Festkleid ange-zogen: «Ich bin so froh mit euch zu sein!», freut sie sich. «So habe ich auch eine Aus-rede, meine Hausarbeit mal liegen zu las-sen.» Sie weiss, dass sie auf ihre Tochter Bargigul zählen kann, die sie während der Abwesenheit ersetzt.

Wir sind mit der Lehrerin Valoyat Bo-zovara verabredet, die für die Heilpflan-

zengruppe verantwortlich ist. Die zwanzig Frauen ihrer Gruppe haben Kamillen und Ringelblumen ausgesät. Zamzam hat ihnen

ebenfalls Techniken beigebracht, wie man die Heilpflanzen trocknet und verarbeitet.

Gütesiegel und Vermittler«Wir wollen Zamzam als Gütesiegel etab-lieren, so dass die Dorffrauen ihre Produkte zum guten Preis verkaufen können», erklärt Tatiana Bullock, russische Projektverant-wortliche von Caritas Schweiz in Mumina-bad. Zurzeit ist die Qualität der Produkte

noch zu schlecht. Doch geplante Weiter-bildungen und Qualitätskontrollen sollen das Endprodukt verbessern. Es lohnt sich: Denn auch die Milchverarbeitungszentrale von Zamzam akzeptiert nun nur Milch von Kühen, die vorher von einem Tierarzt unter-sucht wurden. Zusätzlich wurden die Frauen in ordentlicher Viehhaltung geschult. Damit

stieg die Qualität der Produkte merklich. In Zukunft möchte Zamzam ihre kommerziel-len Aktivitäten weiterentwickeln und wei-tere Produkte wie getrocknete Früchte, Saft-konzentrat und Obstkonserven vermarkten, um das Einkommen der ärmeren Frauen von Muminabad zu verbessern. <

«Unser Ziel: Einen guten Preis für die Produkte der Dorffrauen erlangen.»