Reportage über Kibera

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setze den ersten Schritt auf den lehmigen Boden dieser fremden Welt. Kibera - nach dem Ersten Weltkrieg Militär- reservat der Briten, liegt ca. 30 Busminuten von Downtown Nairobi entfernt und diente in den 30er Jahren nubischen Soldaten erstmals als Siedlungsraum. Versäumnisse der ke- nianischen Regierung das Gebiet sinnvoll zu urbanisieren, drastisch steigende Landflucht und Streitigkeiten rivalisie- render Stämme ließen den Ort über die Jahre zu einem der größten Slums unserer Erde anwachsen. Fest im Griff skru- pelloser Landlords, von der Politik totgeschwiegen, sind die Bewohner dort ihrem Schicksal überlassen. Nicht weit von Großstadt, Business und Tourismus stirbt Tag für Tag aufs Neue die Hoffnung auf ein besseres Leben. Ich folge dem Filmteam durch die schmalen Gassen hin- unter in das Tal und muss ständig aufpassen um nicht zu stolpern, denn dort, wo eigentlich Straßen sein sollten, sind nur lose Erde, Schutt und Geröll. Über manche der zahlrei- chen Bäche bringt einen nur ein mutiger Sprung. Zu beiden Seiten des Weges ziehen sich offen liegende mit Wasser gefüllte Kanäle ins Tal, die gleichermaße als Mülltonne, Abwassersystem und Toilette dienen. Mir ist heiß, ich bin nervös und ich habe Angst. Ahmed Arshis Augen blitzen. Es ist leicht bewölkt und die alles durchdringende Schwüle klebt uns die Kleidung an die Haut. Ahmed Arshi ist Dokumen- tarfilmer aus Kanada und versucht mich zu beruhi- gen. Er meint die Arbeit als Kriegsberichterstatter in Bagdad letztes Jahr sei schlimmer gewesen. Meine Nervosität bleibt. Wir sind auf dem Weg nach Ki- bera, im Südwesten von Nairobi. Ahmed und sein Team wollen dort eine Dokumentation über in Ar- mut lebende afrikanische Jugendliche drehen und muzungus, Weiße sind hier angeblich nicht gerade gern gesehene Gäste. Kibera ist Heimat von über 700 Tausend Afrikanern und mit der größte Slum des schwarzen Kontinents. Wir durchqueren einen Markt, verlassen das letzte Stück geteerte Straße und schreiten über die Anhöhe vor uns. Überall Menschen. Ich drehe den Kopf zu- rück, hin zur smogbedeckten Skyline der pulsieren- den Hauptstadt, bevor ich zögernd den Blick in das Tal vor mir wage. Mir stockt der Atem. „Welcome to Kibera“, flüstert Ahmed. „Kibera“ wiederholt das Echo in meinem Kopf. Der Gestank von Müll und Fäkalien steigt mir in die Nase. Das Bild unzähliger, dicht and dicht gepresster Bretterbuden, weit bis zum Horizont, betäubt meine Augen. Eine schwer bepackte Frau rempelt mich an und reißt mich aus meiner Verwunderung. Keine Zeit um zu denken. Ahmed verschwindet hinter einer Hütte und ich Ahmed Arshi (zweiter von links) auf dem Weg nach Kibera. „Welcome to Kibera“ flüstert Ah- med. „Kibera“ wiederholt das Echo in meinem Kopf

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Page 1: Reportage über Kibera

setze den ersten Schritt auf den lehmigen Boden dieser fremden Welt. Kibera - nach dem Ersten Weltkrieg Militär-reservat der Briten, liegt ca. 30 Busminuten von Downtown Nairobi entfernt und diente in den 30er Jahren nubischen Soldaten erstmals als Siedlungsraum. Versäumnisse der ke-nianischen Regierung das Gebiet sinnvoll zu urbanisieren, drastisch steigende Landflucht und Streitigkeiten rivalisie-render Stämme ließen den Ort über die Jahre zu einem der größten Slums unserer Erde anwachsen. Fest im Griff skru-pelloser Landlords, von der Politik totgeschwiegen, sind die Bewohner dort ihrem Schicksal überlassen. Nicht weit von Großstadt, Business und Tourismus stirbt Tag für Tag aufs Neue die Hoffnung auf ein besseres Leben. Ich folge dem Filmteam durch die schmalen Gassen hin-unter in das Tal und muss ständig aufpassen um nicht zu stolpern, denn dort, wo eigentlich Straßen sein sollten, sind nur lose Erde, Schutt und Geröll. Über manche der zahlrei-chen Bäche bringt einen nur ein mutiger Sprung. Zu beiden Seiten des Weges ziehen sich offen liegende mit Wasser gefüllte Kanäle ins Tal, die gleichermaße als Mülltonne, Abwassersystem und Toilette dienen.

Mir ist heiß, ich bin nervös und ich habe Angst. Ahmed Arshis Augen blitzen. Es ist leicht bewölkt und die alles durchdringende Schwüle klebt uns die Kleidung an die Haut. Ahmed Arshi ist Dokumen-tarfilmer aus Kanada und versucht mich zu beruhi-gen. Er meint die Arbeit als Kriegsberichterstatter in Bagdad letztes Jahr sei schlimmer gewesen. Meine Nervosität bleibt. Wir sind auf dem Weg nach Ki-bera, im Südwesten von Nairobi. Ahmed und sein Team wollen dort eine Dokumentation über in Ar-mut lebende afrikanische Jugendliche drehen und muzungus, Weiße sind hier angeblich nicht gerade gern gesehene Gäste. Kibera ist Heimat von über 700 Tausend Afrikanern und mit der größte Slum des schwarzen Kontinents. Wir durchqueren einen Markt, verlassen das letzte Stück geteerte Straße und schreiten über die Anhöhe vor uns. Überall Menschen. Ich drehe den Kopf zu-rück, hin zur smogbedeckten Skyline der pulsieren-den Hauptstadt, bevor ich zögernd den Blick in das Tal vor mir wage. Mir stockt der Atem. „Welcome to Kibera“, flüstert Ahmed. „Kibera“ wiederholt das Echo in meinem Kopf. Der Gestank von Müll und Fäkalien steigt mir in die Nase. Das Bild unzähliger, dicht and dicht gepresster Bretterbuden, weit bis zum Horizont, betäubt meine Augen. Eine schwer bepackte Frau rempelt mich an und reißt mich aus meiner Verwunderung. Keine Zeit um zu denken. Ahmed verschwindet hinter einer Hütte und ich

Ahmed Arshi (zweiter von links) auf dem Weg nach Kibera.

„Welcome to Kibera“ flüstert Ah-med. „Kibera“ wiederholt das Echo in meinem Kopf

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Wir besuchen die Hütte von Stephen Ogola - Schüler einer Highschool außerhalb von Ki-bera, der sich dank der finanziellen Unterstü-zung seiner großen Familie den seltenen Luxus leisten kann zur Schule zu gehen. Der Raum in den wir treten misst kaum mehr als 15 m² und dient sechs weiteren Personen als Schlaf- und Wohnzimmer. Es ist dunkel und stickig. Strom und Wasserleitungen gibt es nicht. Der Raum ist mit Tüchern in Bereiche geteilt. Moskitos grei-fen jede freie Stelle unserer Körper an und ich bin froh die Malariatabletten doch genommen zu haben, obwohl einem furchtbar übel davon wird. Die Kamera läuft. Stephen erzählt vom Teufel im Blut. AIDS. 65 % der Bewohner von Kibera gelten laut Berichten als HIV-positiv. Er spricht davon wie die Väter seiner Freunde einer nach dem anderen daran sterben und wie alleinerziehende Mütter sich plötzlich zur Prostitution gezwungen sehen um ihre Kinder zu ernähren und sich dann selbst infizieren. Ein Teufelskreis. Er berichtet von Arbeitslosigkeit, Trinkwassermangel, Kindern ohne Eltern. Wir kennen die Statistik, Stephen kennt die Realität. Es fällt schwer zu glauben, dass Menschen sich angesichts einer solchen Si-tuation die Freude am Leben bewahren können. Auf die Frage hin, ob er nicht lieber woanders leben wolle, wird Stephen plötzlich stumm. Er denkt nach. Vor der Tür hat sich mittlerweile eine Horde von Kindern angesammelt, die laut schreien und lachen. Die Jüngsten des Viertels haben als erste bemerkt, dass Fremde anwesend sind und kommen aus allen Richtungen angelau-fen um die weißen Männer mit den Kameras zu bestaunen. Stephen sieht nach draußen, steht auf und sagt: „Hätten alle hier genug zu essen und zu trinken wäre dieser Ort das Paradies“

Kaum größer als eine Gartenhütte; das Haus der Familie Ogola.

Er öffnet die Türe seiner Hütte und weist uns an ihm zu folgen. „Keine Photos von Erwachsenen“ und „kein Abweichen von den Wegen“ sind die Regeln, die uns Stephen nennt, bevor wir tiefer eintauchen in die Realität der Kibera-Slums. Die Wege durch die Bretterbuden sind gesäumt von Menschen. Frauen in langen farbi-gen Tüchern, Händler, die stolz ihre Waren präsentieren, alte Män-ner ohne Zähne. Die Erde ist weich und bei jedem Schritt sinkt man einige Zentimeter tief in den Boden ein. Die Sonne reflektiert auf den Wellblechdächern und hüllt alles in glitzerndes Licht. Wir erreichen das Tal und blicken zurück auf den Berg und das bunte Mosaik aus Hütten. Stephen erzählt, doch ich staune nur über die-sen unfassbaren Anblick.

Geschätzte 2000 Personen teilen sich jeweils die Fläche eines Fußballfelds. Zahlreiche nationale und internationale NGOs ar-beiten hier um die Situation der Bewohner zu verbessern. Sanitäre Anlagen werden aufgestellt, Krankenstationen errichtet. Doch es fehlt an Geld und vor allem an Menschlichkeit von Seiten der Mächtigen aus Nairobi, die des öfteren ganze Hüttenkolonien am Rand der Slums niederwalzen, um dort Einkaufszentren oder ähn-liches zu bauen. Die Villa des ehemaligen kenianischen Präsiden-ten Arap Moi liegt auf einer Anhöhe nahe Kibera und man erzählt sich der Balkon seines Schlafzimmers zeige genau in Richtung der Slums. Alpträume scheint ihm diese Tatsache nicht zu bereiten.

„Hätten alle hier genug zu es-sen und zu trinken wäre dieser Ort das Paradies“

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Ahmed und sein Team sind für heute fertig und zu-frieden mit den Aufnahmen. Es wird langsam dun-ckel und Stephen rät uns zurück ins Zentrum von Nairobi zu fahren. Kurz bevor wir die Straße in die Stadt erreichen offenbart sich uns auf eindrückliche Weise ein Geheimnis von Kibera. Wir beobachten eine alten Mann, kaum fähig zu gehen, der sich mit seinem letzen Geld ein trockenes Brot kauft. Er will gerade hineinbeißen, als er sich umdreht und in die großen Augen einer Frau blickt. Das hungrige Kind auf ihrem Arm weint. Anstatt weiterzugehen und endlich seinen eigenen Hunger zu stillen, legt er den ganzen Leib Brot in Ihre Hand. Die Frau lächelt. Der Mann lacht zurück.

Der Film von Ahmed Arshi wird mittlerweile welt-weit auf zahlreichen Film-Festivals gezeigt. Er selbst bekommt den Erfolg seines Werkes jedoch kaum mit - Ahmed trat kurz nach seiner Afrikareise in das Rote Kreuz ein und arbeitet seitdem als Pro-jektleiter für Hilfseinsätze in Kenia.

Informationen zum Autor:Matthias Scheffelmeier, 21, studiert Kommunkati-onswissenschaft an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Er ist Mitglied der DAMU Foundation, einer deutsch-kanadischen NGO, die Jugendliche motiviert und dabei unterstützt sich aktiv für die Gesellschaft einzusetzen.

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Informationen zu dem im Artikel beschriebenenDokumentarfilm finden Sie auf:

www.whyshouldIcare.netwww.damufoundation.org/blog- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Die Kinder von Kibera sind begeistert von den Fremden mit den Kameras