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Erdöl und Macht in Afrika Herausforderung statt Fluch Rente und Politik Neuer Extraktivismus? WeltBlick Ungarn bleibt rechts Südafrika nach den Wahlen Historie Alte Konflikte – Polen und Ukraine Forum: Deutsche Außenpolitik Neue Sicherheitsstrategie gesucht Was bedeutet Gaucks Rede? Militärpolitik ohne Konzeption Bücher & Tagungen Nr. 97 Juli/August 2014 Ressource Macht Staat 9,50 Euro • 12 CHF ISSN 0944-8101 www.welttrends.de

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Erdöl und Macht in Afrika

Herausforderung statt Fluch

Rente und Politik

Neuer Extraktivismus?

WeltBlick

Ungarn bleibt rechts

Südafrika nach den Wahlen

Historie

Alte Konflikte – Polen und Ukraine

Forum: Deutsche Außenpolitik

Neue Sicherheitsstrategie gesucht

Was bedeutet Gaucks Rede?

Militärpolitik ohne Konzeption

Bücher & Tagungen

Nr. 97 Juli/August 2014

RessourceMachtStaat

9,50 Euro • 12 CHF

ISSN 0944-8101

www.welttrends.de

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1Inhaltsverzeichnis

Editorial

Salala Nyanga Leonards 16-jähriger Sohn Hoja wurde erschos-sen, als er in den Abfallhalden der Goldmine Geita in Tansania

nach Goldresten suchte. Den Fischern vom Rovuma-Becken in Mosambik gingen die Fischbestände und somit ihre Lebens-grundlage verloren, als ausländische Konzerne mit der För-derung der gewaltigen Gasbestände vor der Küste begannen. Bringen Rohstoffe, die in einem Land abgebaut werden, für die Menschen dort eher Armut und Leid mit sich oder tragen Erdöl, Diamanten oder Uran doch zur Entwicklung bei? Bedeuten Rohstoffe eher Segen oder sind sie ein Fluch? Diese für viele Menschen in Afrika und anderen Regionen der Welt existenzielle Frage wird auch in der Wissenschaft diskutiert, und dies nicht erst seit gestern. Mit dem Erdölboom der 1970er Jahre kam auch die These vom Rentierstaat auf. Dabei war man sich ziemlich einig, dass Rohstoffe eher negative Konsequenzen für die jewei-ligen Gesellschaften haben: Gewalt, Korruption, Zerstörung der Natur als Folgen des Rohstoffreichtums. Im Thema dieses Heftes wird diese These neu aufgegriffen und an konkreten Fallbeispielen in Afrika und Lateinamerika disku-tiert. Der Common Sense zum vermeintlichen Ressourcenfluch wird aufgebrochen, ein Determinismus verneint und andere Dimensionen, wie ethnische und institutionelle, stärker ausge-leuchtet. Zugleich präsentieren die Autoren ihre Überlegungen, wie Politik den vermeintlichen Fluch in einen möglichen Segen für die Menschen umwandeln kann.

Befindet sich Deutschland außenpolitisch auf einem Schlinger-kurs? Gibt es einen Drang zur außenpolitischen Profilierung? Was meinte Präsident Gauck in seiner Rede wirklich? Und entspricht unsere Militärpolitik den aktuellen und künftigen Erfordernissen? Die Debatte zur deutschen Außen- und Sicher-heitspolitik bleibt weiter auf unserer Agenda. Wenn es Zeit ist, die deutsche Außenpolitik neu zu vermessen, wie Außenminister Steinmeier in seiner Review 2014-Initiative fordert, dann legen wir auch mit diesem Heft kritisch Lot und Zollstock an.

Potsdam, im Juli 2014 Dr. Raimund Krämer Chefredakteur

[email protected]

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1 Editorial

4 WeltBlick

5 Ungarn hat gewähltErhard Crome

11 Südafrika – alles beim Alten?Henning Melber

18 Abgelichtet: Dirty Pro�ts

Katrin Krämer

24 Zwischenruf: Jenseits des Rubikon

Wolfgang Schwarz

26 Ressource Macht Staat

Gastherausgeber Stefan Peters

29 Herausforderungen statt FluchAndreas Heinrich und Heiko Pleines

38 Ölförderung in GhanaLisa Bleicher-Ibrahim

46 Erdöl und Macht in NigerJannik Schritt

53 Wenn Wachstum zum Streitpunkt wirdZeljko Crncic

62 Rente und PolitikStefan Peters

71 Historie: Polen und Ukraine – kon�iktreiches Verhältnis

Andrzej Sakson

I n h a l t

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Forum: Deutsche Außenpolitik konträr 80

Strategische Orientierungslosigkeit 80August Pradetto

Deutschlands neue Sicherheitsstrategie 92Hans J. Gießmann

Was bedeutet Gaucks Rede? 101Klaus Wittmann

Deutsche Militärpolitik ohne Konzeption 108Lutz Kleinwächter

Streitplatz: China neu betrachten! 117

Chinas unsichtbare Macht 117Berthold Kuhn

Bücher und Tagungen 122

Wiedergelesen 123 Rezensionen 126 Impressum 133 Annotationen 134 Konferenzen 136 Leserbrief 140

Erinnern an die friedliche Koexistenz 142Ein Kommentar von Heinz Theisen

Wort und Strich 144

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WeltTrends • Zeitschrift für internationale Politik • 97 • Juli/August 2014 • 22. Jahrgang • S. 62–70

Erdöl, Rente und Politik Vom Ressourcenfluch zur Rentengesellschaft

Stefan Peters

Erdöl ist trotz intensiver Debatten über eine ökologische Wende und green economy weiterhin das zentrale Schmier-

mittel der globalen Ökonomie. Der Rohstoffhunger des glo-balen Nordens und der aufstrebenden Schwellenländer hat in den vergangenen Jahren eine neue Rohstoffkonkurrenz ausge-löst und die Weltmarktpreise für Mineralien, Nahrungsmittel und Treibstoffe auf Höchststände katapultiert. Im Fahrwasser dieser Entwicklungen entstand ein neuer Rohstoffoptimismus. Während die Ausrichtung auf den Rohstoffexport lange als entwicklungspolitischer Fluch galt, betrachten Förderländer, internationale Organisationen und vermehrt auch Wissen-schaftler den Rohstoffexport gegenwärtig erneut als Entwick-lungsmotor, der Wirtschaftswachstum generiert und es dem Staat ermöglicht, Armut zu bekämpfen.

Spätestens seit der Popularisierung der These des Ressour-cenfluchs haben Renten, d. h. Einkommen, denen keine eigene Arbeits- oder Investitionsleistung gegenübersteht, in der Ent-wicklungspolitik einen schlechten Ruf. Renten unterliegen nicht dem kapitalistischen Strukturzwang der Verwertung des Werts durch Arbeit, sondern stehen ihrem Bezieher prinzipiell zur freien Verfügung. Die Entscheidung über die Verwendung von Renteneinkünften folgt deshalb primär politischen und nicht ökonomischen Kriterien. Erdöl ist der rentengenerierende Roh-stoff par excellence. Die hohen Einnahmen aus dem Erdölexport übersteigen die notwendigen Arbeits- und Innovationsleistun-gen deutlich. Hieraus ergeben sich internationale Renten, die in Entwicklungsländern oft 80 bis 90 Prozent der Erdöleinnahmen

Dr. Stefan Peters,

geb. 1982, Mitarbeiter am Fachgebiet Internationale

und intergesellschaft-liche Beziehungen, Universität Kassel.

[email protected]

Rohstoffe, Rentierstaat, Entwicklungspolitik

Hohe Weltmarktpreise haben den Rohstoffexport als Entwick-lungsstrategie wieder salonfähig gemacht. War der Ressour-cenfluch bis vor Kurzem noch wissenschaftlicher Common Sense, wird er gegenwärtig kontrovers diskutiert. Dabei wer-den die gesellschaftlichen Spezifika von Rentengesellschaften jedoch zu selten konsequent in den Blick genommen.

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Rohstoffe, Rentierstaat, Entwicklungspolitik

Hohe Weltmarktpreise haben den Rohstoffexport als Entwick-lungsstrategie wieder salonfähig gemacht. War der Ressour-cenfluch bis vor Kurzem noch wissenschaftlicher Common Sense, wird er gegenwärtig kontrovers diskutiert. Dabei wer-den die gesellschaftlichen Spezifika von Rentengesellschaften jedoch zu selten konsequent in den Blick genommen.

ausmachen.1 Förderung und Export von Erdöl lassen sich zudem vergleichsweise einfach durch den Staat kontrollieren und gestat-ten ihm dadurch die Aneignung eines großen Anteils der Ren-ten. Der Erdölreichtum weckt nicht nur Assoziationen von Wohlstand und Luxus, sondern sichert dem Staat zudem üppige externe Einnahmequellen, die ihm ermöglichen, als Verteilungs-agent aufzutreten. Das schwarze Gold kann aber auch zur Quelle des Ressourcenfluchs werden und Entwicklungserfolge be- oder gar verhindern. Negative Auswirkungen des Erdölreichtums las-sen sich auf wirtschaftlicher, politischer, sozialer und ökologischer Ebene finden.2 Jüngere Forschungen und aktuelle Kontroversen über die entwicklungspolitischen Konsequenzen hoher Renten-einnahmen mahnen jedoch zur Vorsicht gegenüber einem Roh-stoffdeterminismus. Erdölreichtum führt keineswegs zwangsläufig in eine bestimmte entwicklungspolitische Sackgasse, wohl aber auf ein gefährliches Terrain, auf dem die gängigen politischen Naviga-tionssysteme sich allzu häufig als unzureichend herausstellen.

Schwarzes Gold oder Exkrement des Teufels?

Auf wirtschaftlicher Ebene zeigen sich zwei zentrale negative Effekte von Erdölreichtum: die mangelnde Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur und die Krisenanfälligkeit der Ökono-mie. Die Ökonomien vieler Erdölländer hängen einseitig vom Extraktionssektor ab. Die hohen Deviseneinnahmen aus den Erdölexporten setzen die heimischen Währungen unter Aufwer-tungsdruck und verschlechtern damit die Konkurrenzfähigkeit von Landwirtschaft und Industrie, während die Bevölkerung zunächst von günstigen Importen profitiert. Als Konsequenz der Gleichzeitigkeit von Deindustrialisierungstendenzen und hoher Kaufkraft der Bevölkerung weisen Erdölstaaten oftmals einen breiten Tertiärsektor auf, der jedoch am Tropf der Extraktions-wirtschaft hängt. Der Rohstoffreichtum transformiert sich so in Rohstoffabhängigkeit und erklärt die hohe Krisenanfälligkeit und wirtschaftliche Fragilität von Rentenökonomien. Sie sind in starkem Maße abhängig von der volatilen Preisentwicklung des Hauptexportgutes. In Zeiten hoher Renteneinnahmen nehmen

1 Vgl. Ross, Michael L.: The Oil Curse: How Petroleum Wealth Shapes the Development of Nations. Prince-ton University Press, Princeton 2012.

2 Dabei handelt es sich um eine eklektizistische Problemzusammenstellung. Eine theoretisch kohärente Zusammenführung der unterschiedlichen Ansätze steht weiter aus.

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die Staatsausgaben rapide zu, was bei fallenden Exporterlösen zu einer Überschuldung und einer zügigen wirtschaftlichen Abwärtsspirale führt. Die starken Ausschläge der wirtschaftli-chen Entwicklung haben zur Konsequenz, dass das langfristige Wirtschaftswachstum von Erdölstaaten trotz des Ressourcen-reichtums im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern in der Vergangenheit wenig beeindruckend ausfiel.3

Politisch wird vielen Erdölstaaten sowohl eine hohe Stabili-tät autoritärer Herrschaftsformen als auch eine erhöhte Gefahr gewaltsamer innerstaatlicher Konflikte attestiert. Beide Szenarien stehen scheinbar im Widerspruch zueinander – die Unterschei-dung zwischen Ressourcenreichtum und Ressourcenabhängigkeit kann diesen jedoch weitgehend auflösen. Hohe Renteneinnah-men entbinden den Staat von der Notwendigkeit der Besteuerung der eigenen Bevölkerung und gewähren ihm scheinbar ein hohes Maß an Autonomie gegenüber der Bevölkerung. Im Gegenzug befreit dies den Staat jedoch (zum Teil) vom Zwang gesellschafts-politischer Legitimierung, sodass er auf die Einführung demo-kratischer Institutionen verzichten kann.4 In Umkehrung der demokratischen Forderung „No taxation without representation“ gilt für den Rentierstaat: „No taxation, no representation.“ Die Sicherung von Legitimität und Loyalität der Bevölkerung erfolgt über das Versprechen auf Teilhabe am Wohlstand qua Verteilung der Renteneinnahmen. Gesellschaftliche Oppositionsartikula-tionen werden entweder durch die Steigerung der Staatsausga-ben kooptiert oder unter Rückgriff auf den Repressionsapparat niedergeschlagen. Das Zusammenwirken finanziellen Zucker-brots und repressiver Peitsche bewirkt eine erstaunliche Stabili-tät verschiedener Formen autoritärer Herrschaft und eine hohe Resilienz gegenüber Demokratisierungsbemühungen in Rentier-staaten. Nach dieser Lesart behindert Erdöl Demokratisierungser-folge und fördert die Stabilität autoritärer Strukturen.

Die Formel Stabilität durch Verteilung basiert auf der Annahme, dass alle Bevölkerungsschichten vom Erdölreichtum profitieren, wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Sind die zu vertei-lenden Renten im Verhältnis zur Bevölkerungszahl jedoch gering, läuft das Modell Gefahr auseinanderzubrechen und das Risiko

3 Klassisch: Auty, Richard M.: Sustaining Development in Mineral Rich Economies: The Resource Curse Thesis. Routledge, London 1993.

4 Herb, Michael: No Representation without Taxation? Rents, Development, and Democracy. In: Compara-tive Politics 37 (3), 2005, S. 297–316.

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(gewaltsamer) politischer Konflikte um den Zugriff auf die Ren-teneinnahmen steigt. Während bei Gold oder Diamanten hier-für die Kontrolle der Förderregion ausreicht und dadurch lokale Warlords begünstigt werden, haben die spezifischen Charakte-ristika der Erdölförderung und des Erdölhandels zur Folge, dass die Strategie der Rentenaneignung in der Regel auf die Erobe-rung des Staates zielt. Dies kann die Form von Sezessionsbewe-gungen (Angola, Nigeria, Sudan) annehmen oder auf gewaltsame Umstürze hinauslaufen, zielt aber jeweils auf die Kontrolle der Aneignung der Renten und des Modus ihrer Verteilung.

Als gesellschaftliche Folgen des Erdöls wird vor allem auf Kli-entel- und Patronagesysteme, hohe Korruption sowie die Her-ausbildung einer sogenannten Rentiermentalität verwiesen. Die Verteilung der Erdölrente nach politischen Kriterien ermöglicht den Aufbau umfangreicher Patronage- und Klientelsysteme nach neopatrimonialem Herrschaftsmuster zur Sicherung der Loya-lität der Bevölkerung und zur Stabilisierung der politischen Herrschaft. Ein zentrales Instrument ist hierfür der Ausbau öffentlicher Beschäftigung. In Extremfällen wie Katar, Kuwait oder den Vereinigten Arabischen Emiraten sind ca. 90 Prozent der beschäftigten Bürger des Landes direkt beim Staat oder bei staatseigenen Unternehmen beschäftigt.5 Andere Möglichkeiten der klientelistischen Verteilung der Erdölrente sind die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, Monopolen, Subventionen oder die direkte Verteilung von Konsumgütern. Solche staatlichen Ausga-ben stehen im Widerspruch zur Logik ökonomischer Effizienz, sind jedoch für die politische Stabilität von hoher Bedeutung. Die Abhängigkeit zwischen Staat und Gesellschaft ist also wech-selseitig; die Idee einer besonders starken Autonomie des Staates gegenüber der Bevölkerung in Rentengesellschaften eine Illusi-on.6 Eine zweite gesellschaftliche Folge von Erdölreichtum ist die Ausprägung einer Rentiermentalität. Der Begriff wird zwar von vielen Autoren verwendet, ein kohärentes Konzept der Rentier-mentalität steht gleichwohl noch aus. Verschiede Phänomene wie die Verschwendung und intransparente Verwendung öffentlicher Gelder, Korruption, rent-seeking etc. werden darunter ebenso wie

5 Vgl. Herb, Michael: A Nation of Bureaucrats: Political Participation and Economic Diversification in Kuwait and the United Arab Emirates. In: International Journal of Middle East Studies 41 (1), 2009, S. 375–395.

6 Vgl. Hertog, Steffen: Defying the Resource Curse. Explaining Succesful State-Owned Enterprises in Rentier States. In: World Development 62 (2), 2010, S. 261–301.

Weiterlesen:S. Peters, Uruguay 40 Jahre nach dem PutschWeltTrends 92

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die fehlende Verbindung von Arbeit und Einkommen als gesell-schaftlich prägende Erfahrung subsumiert.

Schließlich haben die Förderung und der Konsum von Erdöl extrem negative ökologische Auswirkungen. Mit dem Anstieg der Erdölpreise auf dem Weltmarkt werden zunehmend Ölfelder in hochsensiblen ökologischen Gebieten ausgebeutet. Die Auswir-kungen sind nicht nur für die Natur, sondern auch für die lokale Bevölkerung verheerend. Zahlreiche sozialökologische Konflikte zeigen die politische Bedeutung dieser Konfliktlinien. In der politischen Praxis setzt sich die Hoffnung auf Entwicklungsfort-schritte durch die Ausbeutung der Erdölvorkommen regelmäßig gegen ökologische Bedenken durch, wie jüngst die Entscheidung zur Ausbeutung der Erdölvorkommen im Yasuní-ITT-Natur-schutzgebiet in Ecuador dokumentiert.7 Als Konsequenz ist nicht nur die hohe Biodiversität, sondern auch die traditionelle Lebens-grundlage der indigenen Bevölkerung in der Region akut gefähr-det. Zweifellos ist die Opferung des ökologischen Reichtums für kurzfristige Renteneinnahmen weder nachhaltig noch verspricht die Ausbeutung endlicher Ressourcen langfristige Entwicklungs-erfolge. Allerdings illustriert das ecuadorianische Beispiel auch die Komplexität des Themas: Die Regierung stützt sich mit ihrem neo-extraktivistischen Entwicklungsprojekt auf eine breite poli-tische Unterstützung, die auch Teile der indigenen Gemeinden umfasst. Zudem gilt es, die Erdölförderung stets in einen globalen Kontext einzuordnen. Schließlich geht die Nachfrage vor allem vom globalen Norden und den aufstrebenden Schwellenländern aus. Eine Kritik der ökologischen Schäden der Erdölförderung muss folglich stets auch die globalen Konsummuster und die „imperiale Lebensweise“8 westlicher Gesellschaften reflektieren.

Jenseits des Rohstoffdeterminismus

Die negativen Auswirkungen von Rohstoffbooms waren lange Zeit Kernbestand der wissenschaftlichen und politischen Exper-tise zum Ressourcenfluch. Seit einigen Jahren mehren sich

7 Zur Yasuní-ITT-Initiative: Acosta, Alberto: Die ecuadorianische Yasuní-ITT-Initiative: Perspektiven und Blockaden jenseits des Neo-Extraktivismus. In: Burchardt, Hans-Jürgen / Dietz, Kristina / Öhlschläger, Rainer (Hrsg.): Umwelt und Entwicklung im 21. Jahrhundert. Impulse und Analysen aus Lateinamerika. Nomos, Baden-Baden 2013, S. 109–120. Vgl. auch den Beitrag von Crncic in diesem Heft.

8 Brand, Ulrich / Wissen, Markus: Global Environmental Politics and the Imperial Mode of Living. Articula-tions of State-Capital Relations in the Multiple Crisis. In: Globalizations 9 (4), 2013, S. 547–560.

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jedoch Stimmen, die den Zusammenhang von Erdölförderung und Entwicklungsproblemen relativieren oder gar negieren.9 Demnach führt Erdöl nicht (notwendigerweise) zu Autoritaris-mus, schwacher ökonomischer Performance oder Korruption. Die lebhafte Diskussion fordert lieb gewonnene Erklärungen heraus, erhöht die Komplexität der Debatte und nährt Hoff-nungen auf politische Handlungsanweisungen zur Vermeidung negativer Begleiterscheinungen von Rohstoffbooms.

Das populäre Gegenbeispiel Norwegen trifft das Argument des entwicklungspolitischen Ressourcenfluchs allerdings nur zum Teil, schließlich genoss Norwegen bereits vor der Ausbeu-tung der Erdölvorkommen stabile demokratische Strukturen und relativen Wohlstand. Die zentrale Fragestellung lautet viel-mehr: Hätten Saudi-Arabien oder Brunei ähnlichen Wohlstand erreichen können, wären Indonesien oder Venezuela demokra-tischer oder wären Korruption und Klientelismus in Aserbaid-schan oder Indonesien geringer ohne die Förderung von Erdöl in den jeweiligen Ländern? Die Beispiele verdeutlichen, dass viele der genannten negativen Auswirkungen des Erdöls sich nicht auf Petrostaaten beschränken. Ökonomische Krisen haben Argentinien oder Thailand ebenfalls getroffen und die jüngste Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenkrise verdeutlicht schmerz-haft, dass auch die EU-Staaten nicht vor wirtschaftlichen Rück-schlägen geschützt sind. Autoritäre Regime lassen sich ebenfalls in Weißrussland oder Zimbabwe finden und Lateinamerika war vor der Demokratisierungswelle der 1980er Jahre berüchtigt für grausame (Militär-)Diktaturen. Korruption und Klientelis-mus schließlich finden sich ebenso in Bayern wie auch in Benin und Pakistan. Anders ausgedrückt: Auch Staaten, die kein oder wenig Erdöl fördern, sind mit Phänomenen und Problemen konfrontiert, die Rentengesellschaften zugeschrieben werden. Dadurch wird nicht infrage gestellt, dass die Ausrichtung auf den Erdölexport tief greifende wirtschaftliche, politische, gesell-schaftliche und ökologische Konsequenzen hat und sich auf die Strukturen eines Landes in vielfältiger Form prägend auswirkt. Erdölstaaten folgen anderen Entwicklungswegen, entwickeln sich aber nicht notwendig besser oder schlechter als vergleich-bare Staaten und weisen zudem auch untereinander beträcht-liche Unterschiede auf. Die These des Ressourcenfluchs bedarf

9 Vgl. auch den Beitrag von Heinrich und Pleines in diesem Heft.

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also einer Rejustierung und muss insbesondere einige zentrale Schwachpunkte und Leerstellen reflektieren.

Die These des Ressourcenfluchs basiert erstens auf dem zumindest impliziten Vergleich der Erdölstaaten mit dem Ideal der OECD-Staaten. Dabei wird jedoch übersehen, dass in der Regel westliche Konzepte als Leitbild übernommen und jegliche Abweichungen als Defizite konzipiert werden.10 Solche Ansätze haben nicht nur das Problem, dass sie westliche Gesellschaften tendenziell idealisieren und modernisierungstheoretisch inspi-riert als Telos der Entwicklung ansehen, sie sind zudem wenig kontextsensibel und tendieren folglich dazu, das Verständ-nis von Rentengesellschaften nicht zu fördern, sondern eher zu behindern. In der aktuellen Debatte wird insbesondere das schwache institutionelle setting der Erdölstaaten als Entwick-lungshindernis identifiziert. Die Lösung – der Aufbau starker demokratischer und effizienter Institutionen – zeichnet sich dann gleichermaßen durch bestechende Einfachheit und man-gelnde Umsetzungsmöglichkeit aus. In einem anderen Kon-text hat Dani Rodrik institutionalistische Lösungsvorschläge für Entwicklungsprobleme bereits als wenig hilfreich kritisiert: „Wenn man armen Ländern in Afrika oder Lateinamerika den Rat gibt, sich ein Beispiel an den Institutionen der Vereinig-ten Staaten oder Schwedens zu nehmen, ist das ungefähr so, als würde man ihnen sagen: Um ein entwickeltes Land zu werden, müsst ihr so werden wie die entwickelten Länder.“11

Zweitens haben Lösungsansätze mit Fokus auf den Insti-tutionenaufbau oft einen ökonomischen bias und zielen auf Erkenntnisse zur möglichst effizienten Administration der Renteneinnahmen. Damit ignorieren sie aber einen zentralen Mechanismus der Rentierstaaten: Die Verteilung der Erdöl-rente nach politischen Kriterien. Ökonomische Effizienz und accountability sind hierfür weder notwendig noch ratsam. Zwar lassen sich auch in Erdölstaaten wie Saudi-Arabien „Inseln der Effizienz“12 in der öffentlichen Verwaltung und in staatlichen Unternehmen finden, diese stehen jedoch im Kontrast zum all-gemeinen Muster staatlicher Ressourcendistribution.

10 Vgl. Burchardt, Hans-Jürgen: Nord-Süd-Beziehungen im Umbruch. Neue Perspektiven auf Staat und Demokratie in der Weltpolitik. Campus, Frankfurt a. M. 2009.

11 Rodrik, Dani: Das Globalisierungsparadox: Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft. Beck, München 2011, S. 227.

12 Vgl. Hertog, Steffen: a. a. O.

Weiterlesen:Was treibt den Ölpreis?

Horizonte 21, Band 1

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Arbeiten zum Rentierstaat sind drittens durch eine einseitige Fixierung auf den Staat gekennzeichnet. Zweifellos kommt dem Staat als zentralem Organ der Rentenaneignung und Rentenverteilung eine fundamentale Bedeutung zu, allerdings vernachlässigen diese Ansätze andere gesellschaftliche und internationale Akteure sowie die Auswirkungen der Erdölför-derung auf die gesellschaftliche Konfiguration und die poli-tische Kultur. Es mangelt zwar nicht an Hinweisen auf die Spezifika von Rentenstaaten,13 eine theoretisch fundierte kon-zeptionelle Ausarbeitung eines Konzepts „Rentengesellschaft“, welches die ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Dimensionen verknüpft, liegt bisher gleichwohl nicht vor. Die folgenden Reflexionen zu den Spezifika von Rentengesell-schaften stellen erste Annäherungen an ein entwicklungspoli-tisch relevantes Forschungsfeld dar.

Das Konzept der Rentengesellschaft

Rentengesellschaften zeichnen sich erstens durch das Primat der Politik aus. Während in kapitalistischen Gesellschaften die Aufgabe der Politik darin besteht, die Rahmenbedingun-gen für die Wirtschaft zu setzen („the business of politics is business“), gilt für Rentengesellschaften „the business of busi-ness is politics“14. Ökonomischer Erfolg hängt wesentlich vom politischen Zugriff auf die Rente ab. Damit erhöhen sich die Einsätze und das Konfliktpotenzial der politischen Ausein-andersetzung, deren Ziel jeweils in der Aneignung von Ren-teneinnahmen besteht. Die Eroberung des Staates wird zum prioritären Gegenstand des politischen Konfliktes. Der Staat kann diese latente Instabilität jedoch durch die Verteilung der Erdölrenten ausgleichen. Allerdings folgt die Rentendistribu-tion in der Regel keinen transparenten Regeln, sondern einem komplizierten Netz aus Be- und Vergünstigungen, bei dem der Staat keine neutrale Instanz ist, sondern gegenüber verschiede-nen gesellschaftlichen Gruppen unterschiedlich auftritt.

Der Modus der Rentenverteilung und die Abhängigkeit vom Extraktionssektor bringen zweitens eine spezifische Sozialstruktur von Rentengesellschaften hervor. Einem hoch

13 Vgl. Beblawi, Hazem / Luciani, Giacomo (Hrsg.): Nation, State, and Integration in the Arab World. Croom Helm, London 1987.

14 Coronil, Fernando: It’s the Oil Stupid!!! In: ReVista. Harvard Review of Latin America 8 (1), 2008, S. 3–4.

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produktiven Extraktionssektor mit geringem Arbeitskräf-tebedarf und – gerade in Entwicklungsländern – wenigen Verbindungen zur lokalen Ökonomie steht eine schwache landwirtschaftliche und industrielle Entwicklung gegenüber. Arbeitsplätze finden sich vor allem im Tertiärsektor, insbe-sondere im öffentlichen Dienst, Handel und Dienstleistungs-bereich sowie – in Boomphasen – im Bausektor. All diese Bereiche zeichnen sich durch eine geringe Produktivität aus und hängen maßgeblich von der Rentenverteilung ab.

Die Besonderheiten der Sozialstruktur korrespondieren schließlich mit spezifischen soziokulturellen Charakteristika von Rentengesellschaften.15 Wenngleich hierzu bisher wenig explizite Forschungen existieren, kann vorläufig eine starke Außen- und Konsumorientierung der Gesellschaft, die kurz-fristige Suche nach Zugang zu Renteneinkommen sowie eine ausgeprägte Staatsnähe der Gesellschaft konstatiert werden. Die Gründe hierfür sind vor allem in der politischen Ökonomie von Rentengesellschaften zu suchen. Während sich die Spezifika von Rentengesellschaften in Zeiten hoher externer Ressourcenzu-flüsse herausbilden, stimmen Einschätzungen zur Beharrungs-kraft sozio-kultureller Prägungen skeptisch gegenüber der Möglichkeit eines raschen Wandels. Das regelmäßige Scheitern verschiedener Entwicklungsstrategien zur Umgehung des Res-sourcenfluchs ist nicht zuletzt auf die mangelnde Beachtung der politischen Implikationen der spezifischen Charakteristika von Rentengesellschaften zurückzuführen.

15 Vgl. Burchardt, Hans-Jürgen: ¿Por qué América Latina es tan desigual? Tentativas de explicación desde una perspectiva inusual. In: Nueva Sociedad 239 (3), 2012, S. 137–150.

Krieg ohne Heimatfront?Berliner Debatte Initial 2/2014

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheint – zumindest in der west-lichen Hemisphäre – der Moment gekommen zu sein, in dem der Krieg seine konstitutive und regulative Funktion für die Entwick-lung von Staaten und Gesellschaften endgültig verloren hat. Wie lassen sich die Auswirkungen heutiger Kriege auf die westlichen Gesellschaften analysieren? Sind diese tatsächlich so gar nicht vergleichbar mit früheren Epochen? Und welche Rückkopplungs-effekte lassen sich im Hinblick auf kulturelle und institutionelle Nor-men europäischer Gesellschaften feststellen?

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