Rezension: Glasbau-Praxis. Konstruktion und Bemessung. By B. Weller, F. Nicklisch, S. Thieme, T....

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81 Stahlbau Spezial 2009 – Konstruktiver Glasbau Rezensionen len-Tragwerk und andererseits eben, ge- krümmt/geknickt und doppelt ge- krümmt. Hinsichtlich des Tragverhaltens werden zug-, druck- und biegebean- spruchte sowie hybride Tragwerke auf ihre Eignung bei Glastragwerken unter- sucht. Dieses Kapitel mit seinen ausge- wählten Beispielen zeigt etwas von der Spannbreite der möglichen Anwendun- gen von Glastragwerken und der großen technischen Intelligenz bei der Umset- zung des Tragverhaltens in Konstruktion und Detailausbildung. Vor allem müssen an dieser Stelle die 12 experimentellen Projekte gewürdigt werden, die der Verfasser mit studenti- schen Mitarbeitern und Seminargrup- pen entwickelt hat. Mit diesen Beispie- len wird gezeigt, wie die Synthese kon- struktiver, funktionaler und gestalterischer Aspekte in einer kreati- ven Auseinandersetzung mit konkreten Rahmenbedingungen einer Planungsauf- gabe gelingen kann. Alle Prototypen sind hervorragend gelungene Neuent- wicklungen von Glasstrukturformen als reine Glastragwerke oder hybride Kon- struktionen mit einer intelligenten Kom- bination von Glas mit anderen Materia- lien. Es ist richtig spannend, sich mit diesen Projekten im Einzelnen zu befas- sen und zu sehen, mit welchem Können diese unterschiedlichen Konstruktionen entworfen, ausgearbeitet und gebaut wurden. Die meisten von ihnen wurden in Vorträgen und auf der „glasstec“ der Fachwelt vorgestellt und hatten ein re- ges Echo zur Folge. Dieses überaus interessante Buch wird dem Leser uneingeschränkt empfohlen. Prof. Dr.-Ing. Wilfried Führer RWTH Aachen Weller, B., Nicklisch, F., Thieme, S., Wei- mar, T.: Glasbau-Praxis. Konstruktion und Bemessung. Berlin: Bauwerk Verlag, 2009. 264 S. mit zahlr. Abb. und Tab., 17 × 24 cm, ISBN 978-3-89932-190-6. 39,00 € Glas hat sich im konstruktiven Inge- nieurbau einen festen Platz neben den klassischen Baustoffen Stahl, Stahlbeton und Holz erobert. Berücksichtigt man, dass die Fassaden im Hochbau inzwi- schen oft einen höheren Anteil an den Gesamtkosten eines Gebäudes haben nen aus Glas. Im ersten Hauptkapitel „Gläserne Spannweiten“ führt der Ver- fasser in die Breite des Themas ein. Alle Entwurfs- und Konstruktionsparameter werden in eigenen Kapiteln ausführlich und anschaulich dargestellt, aber auch in ihrer gegenseitigen Korrelation ge- zeigt. Da das Entwickeln von Struktur- formen auf die Integration von Raum- und Konstruktionsformen hinausläuft, zeigt der Verfasser in einem hilfreichen Schema wie Kapitel 2 und 5 (Raumfor- men) und Kapitel 3 und 4 (Konstruk- tionsformen) auf den Fokus des Buches zielen. Von dieser Mitte her (Kapitel 6 und 7) muss das Buch gelesen werden. Zunächst werden Raumformen von Glasdächern besprochen. Danach werden die mechanischen, konstruktiven, physi- kalischen und gestalterischen Qualitäten des Werkstoffs Flachglas in Abhängigkeit der technischen Bearbeitungen und Ver- edelungsprozesse betrachtet und in Text und Tabellenform übersichtlich darge- stellt. Ein Kapitel befasst sich mit der ma- terialgerechten Konstruktion und der Fü- getechnik. Wegen der Sprödigkeit des Glases stellt das Fügen von Glasbauteilen die zentrale Herausforderung dar. Beson- ders deshalb, weil neben der Tragfähigkeit auch die Resttragfähigkeit im gebroche- nen Zustand sichergestellt sein muss. Platten und Scheiben (im statischen Sinne) können an ihren Kanten teilweise oder umlaufend linienförmig gelagert oder aber an Kanten, Ecken oder in der Fläche punktförmig gestützt sein. Die Konsequenzen dieser verschiedenen La- gerungsarten für das Glas und für die Auf- lager werden an dieser Stelle besprochen. Ein größerer Abschnitt ist der Verbin- dung selbst gewidmet und hier neben Kraft- und Formschluss dem Stoff- schluss, dem Kleben. Die Eigenschaften der Klebstoffe, ihre Anwendungsmög- lichkeiten und die daraus folgenden Konstruktionen werden sehr gut darge- stellt. Ausführlich werden die statischen Nachweisverfahren für Tragfähigkeit, Resttragfähigkeit und Gebrauchstaug- lichkeit durch rechnerische Nachweise oder Versuche erläutert. Die technischen Nutzungsanforde- rungen an Räume, wie Witterungs- schutz, Tageslichtnutzung, Energiege- winnung, Wärme-, Sonnen- und Hitze- schutz, Belüftung, Brandschutz, Raumakustik sowie Wartung und Reini- gung werden auf die typischen Raumfor- men Glashof, Glasband und Glasmitte angewandt. Mit vielen Beispielen und zugehörigen Abbildungen werden die je- weiligen Aussagen belegt. Die Entwurf- und Konstruktionsprin- zipien fließen dann im zentralen 6. Kapi- tel in einer Typologie der Glastragwerke zusammen. Die Gliederungen dieser Ma- trix sind einerseits Stab-, Flächen-, Zel- als das Tragwerk, ist dies kein Wunder. Das vorliegende Buch ist eine Neuauf- lage des in der Fachwelt bereits bekann- ten und schon vergriffenen Buches Glasbau-Praxis in Beispielen aus dem Jahr 2005. Inzwischen hat sich der Stand der Technik im Glasbau weiter- entwickelt und mit ihm auch das Buch, dessen Seitenanzahl sich nahezu ver- doppelt hat. Einige Grundlagen zum Konstruieren mit Glas wurden ergänzt und ein Beispiel geht auch auf die punktförmig gelagerten Verglasungen ein, denn mit den Technischen Regeln für die Bemessung und Ausführung punktförmig gelagerter Verglasungen (TRPV) sind für die Standardanwendun- gen von punktförmig gelagerten Vergla- sungen bauaufsichtliche Regelungen eingeführt worden. Außerdem wurde im Buch die Umstellung der Lastnormen der DIN 1055er-Reihe berücksichtigt. Die neue Auflage kann wieder beson- ders für Einsteiger im Konstruktiven Glasbau sehr empfohlen werden. Durch die klare, logische Struktur, die die wich- tigsten Verglasungen nacheinander an- hand von Beispielen behandelt und dabei immer auf die aktuellen Vorschriften im Glasbau eingeht, findet man sehr schnell einen Zugang zur Materie. Der Verweis auf die jeweiligen Vorschriften in der Randspalte macht das sehr einfach. Und die warnenden Hinweise auf das „an- dere“, spröde Materialverhalten von Glas und die Wichtigkeit der guten konstrukti- ven Durchbildung fehlen auch nicht. Gut und wichtig ist auch das Kapitel zu den baurechtlichen Grundlagen, zu Zulassungsverfahren und dem Instru- ment der Zustimmung im Einzelfall, so- wie die Integration der Regelwerke im Anhang. Leider sind ja die baurechtli- chen Vorgaben (auch durch die Baure- gelliste) inzwischen so kompliziert ge- worden, dass selbst Eingeweihte nicht immer durchblicken. Noch ein kleiner Verbesserungsvorschlag für die nächste Auflage: Bei den eingefügten Beispielen mit Finite-Element-Berechnungen wäre eine farbige Darstellung schön und bes- ser nachvollziehbar. Zudem wird im Buch bei der Bemessung des Glases mit Windlasten nach DIN 1055-4 für den aerodynamische Beiwert cp immer cpe,10 verwendet, obwohl noch umstrit- ten ist, ob zwischen cpe,10 und cpe,1 li- near interpoliert werden muss. Insgesamt ist das Buch eine Berei- cherung für den Glasbau, das weiter dazu beitragen wird, dass der Werkstoff Glas in der Baupraxis innovativ einge- setzt werden kann. Es eignet sich gut für die Lehre und sollte in keinem Inge- nieurbüro fehlen. Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider Technische Universität Darmstadt

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81Stahlbau Spezial 2009 – Konstruktiver Glasbau

Rezensionen

len-Tragwerk und andererseits eben, ge-krümmt/geknickt und doppelt ge-krümmt. Hinsichtlich des Tragverhaltenswerden zug-, druck- und biegebean-spruchte sowie hybride Tragwerke aufihre Eignung bei Glastragwerken unter-sucht. Dieses Kapitel mit seinen ausge-wählten Beispielen zeigt etwas von derSpannbreite der möglichen Anwendun-gen von Glastragwerken und der großentechnischen Intelligenz bei der Umset-zung des Tragverhaltens in Konstruktionund Detailausbildung.

Vor allem müssen an dieser Stelle die12 experimentellen Projekte gewürdigtwerden, die der Verfasser mit studenti-schen Mitarbeitern und Seminargrup-pen entwickelt hat. Mit diesen Beispie-len wird gezeigt, wie die Synthese kon-struktiver, funktionaler undgestalterischer Aspekte in einer kreati-ven Auseinandersetzung mit konkretenRahmenbedingungen einer Planungsauf-gabe gelingen kann. Alle Prototypensind hervorragend gelungene Neuent-wicklungen von Glasstrukturformen alsreine Glastragwerke oder hybride Kon-struktionen mit einer intelligenten Kom-bination von Glas mit anderen Materia-lien. Es ist richtig spannend, sich mitdiesen Projekten im Einzelnen zu befas-sen und zu sehen, mit welchem Könnendiese unterschiedlichen Konstruktionenentworfen, ausgearbeitet und gebautwurden. Die meisten von ihnen wurdenin Vorträgen und auf der „glasstec“ derFachwelt vorgestellt und hatten ein re-ges Echo zur Folge.

Dieses überaus interessante Buch wirddem Leser uneingeschränkt empfohlen.

Prof. Dr.-Ing. Wilfried FührerRWTH Aachen

Weller, B., Nicklisch, F., Thieme, S., Wei-mar, T.: Glasbau-Praxis. Konstruktionund Bemessung. Berlin: Bauwerk Verlag,2009. 264 S. mit zahlr. Abb. und Tab., 17 ×24 cm, ISBN 978-3-89932-190-6. 39,00 €

Glas hat sich im konstruktiven Inge -nieurbau einen festen Platz neben denklassischen Baustoffen Stahl, Stahlbetonund Holz erobert. Berücksichtigt man,dass die Fassaden im Hochbau inzwi-schen oft einen höheren Anteil an denGesamtkosten eines Gebäudes haben

nen aus Glas. Im ersten Hauptkapitel„Gläserne Spannweiten“ führt der Ver-fasser in die Breite des Themas ein. AlleEntwurfs- und Konstruktionsparameterwerden in eigenen Kapiteln ausführlichund anschaulich dargestellt, aber auchin ihrer gegenseitigen Korrelation ge-zeigt. Da das Entwickeln von Struktur-formen auf die Integration von Raum-und Konstruktionsformen hinausläuft,zeigt der Verfasser in einem hilfreichenSchema wie Kapitel 2 und 5 (Raumfor-men) und Kapitel 3 und 4 (Konstruk -tionsformen) auf den Fokus des Bucheszielen. Von dieser Mitte her (Kapitel 6und 7) muss das Buch gelesen werden.

Zunächst werden Raumformen vonGlasdächern besprochen. Danach werdendie mechanischen, konstruktiven, physi-kalischen und gestalterischen Qualitätendes Werkstoffs Flachglas in Abhängigkeitder technischen Bearbeitungen und Ver-edelungsprozesse betrachtet und in Textund Tabellenform übersichtlich darge-stellt. Ein Kapitel befasst sich mit der ma-terialgerechten Konstruktion und der Fü-getechnik. Wegen der Sprödigkeit desGlases stellt das Fügen von Glasbauteilendie zentrale Herausforderung dar. Beson-ders deshalb, weil neben der Tragfähigkeitauch die Resttragfähigkeit im gebroche-nen Zustand sichergestellt sein muss.Platten und Scheiben (im statischenSinne) können an ihren Kanten teilweiseoder umlaufend linienförmig gelagertoder aber an Kanten, Ecken oder in derFläche punktförmig gestützt sein. DieKonsequenzen dieser verschiedenen La-gerungsarten für das Glas und für die Auf-lager werden an dieser Stelle besprochen.

Ein größerer Abschnitt ist der Verbin-dung selbst gewidmet und hier nebenKraft- und Formschluss dem Stoff-schluss, dem Kleben. Die Eigenschaftender Klebstoffe, ihre Anwendungsmög-lichkeiten und die daraus folgendenKonstruktionen werden sehr gut darge-stellt. Ausführlich werden die statischenNachweisverfahren für Tragfähigkeit,Resttragfähigkeit und Gebrauchstaug-lichkeit durch rechnerische Nachweiseoder Versuche erläutert.

Die technischen Nutzungsanforde-rungen an Räume, wie Witterungs-schutz, Tageslichtnutzung, Energiege-winnung, Wärme-, Sonnen- und Hitze-schutz, Belüftung, Brandschutz,Raumakustik sowie Wartung und Reini-gung werden auf die typischen Raumfor-men Glashof, Glasband und Glasmitteangewandt. Mit vielen Beispielen undzugehörigen Abbildungen werden die je-weiligen Aussagen belegt.

Die Entwurf- und Konstruktionsprin-zipien fließen dann im zentralen 6. Kapi-tel in einer Typologie der Glastragwerkezusammen. Die Gliederungen dieser Ma-trix sind einerseits Stab-, Flächen-, Zel-

als das Tragwerk, ist dies kein Wunder.Das vorliegende Buch ist eine Neuauf-lage des in der Fachwelt bereits bekann-ten und schon vergriffenen BuchesGlasbau-Praxis in Beispielen aus demJahr 2005. Inzwischen hat sich derStand der Technik im Glasbau weiter-entwickelt und mit ihm auch das Buch,dessen Seitenanzahl sich nahezu ver-doppelt hat. Einige Grundlagen zumKonstruieren mit Glas wurden ergänztund ein Beispiel geht auch auf diepunktförmig gelagerten Verglasungenein, denn mit den Technischen Regelnfür die Bemessung und Ausführungpunktförmig gelagerter Verglasungen(TRPV) sind für die Standardanwendun-gen von punktförmig gelagerten Vergla-sungen bauaufsichtliche Regelungeneingeführt worden. Außerdem wurde imBuch die Umstellung der Lastnormender DIN 1055er-Reihe berücksichtigt.

Die neue Auflage kann wieder beson-ders für Einsteiger im KonstruktivenGlasbau sehr empfohlen werden. Durchdie klare, logische Struktur, die die wich-tigsten Verglasungen nacheinander an-hand von Beispielen behandelt und dabeiimmer auf die aktuellen Vorschriften imGlasbau eingeht, findet man sehr schnelleinen Zugang zur Materie. Der Verweisauf die jeweiligen Vorschriften in derRandspalte macht das sehr einfach. Unddie warnenden Hinweise auf das „an-dere“, spröde Materialverhalten von Glasund die Wichtigkeit der guten konstrukti-ven Durchbildung fehlen auch nicht.

Gut und wichtig ist auch das Kapitelzu den baurechtlichen Grundlagen, zuZulassungsverfahren und dem Instru-ment der Zustimmung im Einzelfall, so-wie die Integration der Regelwerke imAnhang. Leider sind ja die baurechtli-chen Vorgaben (auch durch die Baure-gelliste) inzwischen so kompliziert ge-worden, dass selbst Eingeweihte nichtimmer durchblicken. Noch ein kleinerVerbesserungsvorschlag für die nächsteAuflage: Bei den eingefügten Beispielenmit Finite-Element-Berechnungen wäreeine farbige Darstellung schön und bes-ser nachvollziehbar. Zudem wird imBuch bei der Bemessung des Glases mitWindlasten nach DIN 1055-4 für denaerodynamische Beiwert cp immercpe,10 verwendet, obwohl noch umstrit-ten ist, ob zwischen cpe,10 und cpe,1 li-near interpoliert werden muss.

Insgesamt ist das Buch eine Berei-cherung für den Glasbau, das weiterdazu beitragen wird, dass der WerkstoffGlas in der Baupraxis innovativ einge-setzt werden kann. Es eignet sich gut fürdie Lehre und sollte in keinem Inge -nieurbüro fehlen.

Prof. Dr.-Ing. Jens SchneiderTechnische Universität Darmstadt

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