Ring Astro Menschenkunde Band2

365
Klappentext: Mit dem vorliegenden zweiten Band rundet Tho- mas Ring die Elemente sei- nes Lehrwerkes ab; das Buch bildet zugleich eine in sich geschlossene Ar- beit. Die allbekannten Symbole, die im «Tier- kreis» zusammengefaßt sind, werden darin logisch einsichtig gemacht, nicht aber durch Symbolerklä- rung, sondern als allge- mein überliefertes Kultur- gut. Selbst wenn es keine Überlieferung gäbe, müßte man diesen «Kreis der Stilformen», wie der Ver- fasser ihn nennt, aus den gegebenen Prämissen ab- leiten. Dies ist das durch- aus Neue an seiner Dar- stellung. Er entwikkelt daraus die Grundformen des Verhaltens, welche der astrologischen Erfahrung von den Eigenschaftsanla- gen der «zwölf Zeichen» zugrunde liegen. Aus den gleichen Prämissen, bezogen auf die Gegenständlichkeit der Welt und das Interesse an ihr, geht ein «Kreis der Motive» hervor, dessen Inhalte den sog. «zwölf Häusern» der alten Astrologie ihren Unterbau geben. Durch diese beiden kreisläufigen System werden die im ersten Band dargelegten Wesens- kräfte nach Ausdruck und Richtung bestimmt; die Deutung ist damit auf eine einfache Grundlage gebracht. Anders als typologisches Ordnen von außen her dringt diese Men- schenkunde in das Wesensgefüge ein, und zwar an Hand von bleibenden Bausteinen, deren Zusammenordnung die Konstellation enthält. Ferner zeigt sie den Charakter nicht als etwas Isoliertes, sondern mit bestimmten Gemeinschaftsproblemen behaftet und darin auf soziale Verwirklichung angelegt. Reichhaltige Querverbindungen zu gewohnten biologischen, psychologischen und soziologischen Begriffen stellen dieses geschlossene System in Ein- klang mit unserem heutigen Gesamtwissen vom Menschen. Hermann Bauer Verlag Freiburg im Breisgau

Transcript of Ring Astro Menschenkunde Band2

Klappentext:Mit dem vorliegendenzweiten Band rundet Tho-mas Ring die Elemente sei-nes Lehrwerkes ab; dasBuch bildet zugleich einein sich geschlossene Ar-beit. Die allbekanntenSymbole, die im «Tier-kreis» zusammengefaßtsind, werden darin logischeinsichtig gemacht, nichtaber durch Symbolerklä-rung, sondern als allge-mein überliefertes Kultur-gut. Selbst wenn es keineÜberlieferung gäbe, müßteman diesen «Kreis derStilformen», wie der Ver-fasser ihn nennt, aus dengegebenen Prämissen ab-leiten. Dies ist das durch-aus Neue an seiner Dar-stellung. Er entwikkeltdaraus die Grundformendes Verhaltens, welche derastrologischen Erfahrungvon den Eigenschaftsanla-gen der «zwölf Zeichen»

zugrunde liegen. Aus den gleichen Prämissen, bezogen auf die Gegenständlichkeit der Weltund das Interesse an ihr, geht ein «Kreis der Motive» hervor, dessen Inhalte den sog.«zwölf Häusern» der alten Astrologie ihren Unterbau geben.

Durch diese beiden kreisläufigen System werden die im ersten Band dargelegten Wesens-kräfte nach Ausdruck und Richtung bestimmt; die Deutung ist damit auf eine einfacheGrundlage gebracht. Anders als typologisches Ordnen von außen her dringt diese Men-schenkunde in das Wesensgefüge ein, und zwar an Hand von bleibenden Bausteinen, derenZusammenordnung die Konstellation enthält. Ferner zeigt sie den Charakter nicht als etwasIsoliertes, sondern mit bestimmten Gemeinschaftsproblemen behaftet und darin auf sozialeVerwirklichung angelegt. Reichhaltige Querverbindungen zu gewohnten biologischen,psychologischen und soziologischen Begriffen stellen dieses geschlossene System in Ein-klang mit unserem heutigen Gesamtwissen vom Menschen.

Hermann Bauer Verlag Freiburg im Breisgau

Thomas Ring

ASTROLOGISCHEMENSCHENKUNDE

II

HERMANN BAUER VERLAGFREIBURG IM BREISGAU

Mit fünfzehn Abbildungen

und zahlreichen Zeichnungen im Text.

gescannt durch Alois Treindl

bearbeitet und formatiert durch Lisa Jensen

3. Auflage 1981 ISBN 3-7626-0422-3

© 1969 by Hermann Bauer Verlag KG, Freiburg im Breisgau Alle Rechte vorbehalten.

Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags von der Buchausgabe gescannt und zur Online-Präsentation aufbereitet

durch

Astrodienst AG, Zollikon.

V

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort VIII

Einleitung: Neue VorfragenUrtümlicher Bilderkreis und Lebens-Bezugssystem 1Die gliedernde Zahl 8Vom Grundbau des Charakters 14Der kosmobiologische Umweltsbegriff 24Ausblick in die Gegenwart 37

DIE SPHÄRE DES AUSDRUCKS(Der Tierkreis)

AllgemeindarstellungDie scheinbare Sonnenbahn als gemeinsamer Meßkreis 43Begriff des Ausdruckprinzips, der Stilform 45Temperamente 51Tätige und leidende Form 76Grundformen des Wirkens und Werdens 80Die dreifache Abwandlung der Temperamente 87Lebens- und Wertdimensionen 98Zusammenfassung unter dem Prinzip der Begegnung

zwischen Ich und Welt 112Beziehung der Wesenskräfte und ihrer Aspekte

zum Kreis der Stilformen 124Tierkreis-Signaturen 140

EinzeldarstellungenVorausbemerkungen 161Das willensmäßig Antreibende �&� 165Das stofflich Grundlegende ('� 172Das geistig Fluktuierende ((� 179Das seelisch Schöpferische �)� 186

VI

Das willensmäßig Zusammenfassende (*� 193Das stofflich Eingrenzende (+� 201Das geistig Lenkende (,� 208Das seelisch Spannungstragende (-� 215Das willensmäßig Zielstrebige (.� 224Das stofflich Bewegende (/� 231Das geistig Ordnende (0� 238Das seelisch Teilhabende (1� 247

DIE INTERESSENSPHÄRE(Die Häuser)

AllgemeindarstellungDas Horizont-Meridian-System 254Ausrichtung auf Lokalität und Tageslauf 259Die Begriffe Interesse, Triebfeder, Motiv 264Ordnungsmäßige Übereinstimmung der beiden Sphären 275Persönlichkeitsaufbau und Gegenläufigkeiten

der Entwicklung 281Gegensatzführung der Interessen 300Inbilder der Selbstverwirklichung 309

EinzeldarstellungenVorausbemerkungen 319Persönlichkeit (1. Feld) 321Eigentum (2. Feld) 322Werdegang (3. Feld) 323Wurzelboden (4. Feld) 323Fortzeugung (5. Feld) 324Arbeit (6. Feld) 326Zusammenleben (7. Feld) 326Lebenshintergrund (8. Feld) 327Leitziele (9. Feld) 328Öffentlichkeit (10. Feld) 330Zeitgeist (11. Feld) 331Anonymität (12. Feld) 332

VII

Nachlese 334

Namenverzeichnis 340

Sachverzeichnis 342

Anhang: Das Horizont-Meridian-System 348

VIII

VORWORT

Wer kennt heute nicht sein Tierkreiszeichen? Im Auftrag des«Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene»,Freiburg i. Br., wurde 1952 vom «Institut für Demoskopie», Al-lensbach/Bodensee, eine Repräsentativbefragung durchgeführt.Sie stellte fest, daß in der Westdeutschen Bundesrepublik, ein-schließlich Westberlins, von 100 Befragten 69 in der Lage sind,ihr Zeichen - das heißt den Abschnitt der Jahresbahn, in dem dieSonne bei der Geburt stand - anzugeben. Auf die Frage «GlaubenSie an einen Zusammenhang zwischen dem menschlichenSchicksal und den Sternen?« antwortete rund die Hälfte mit»nein«, weit über ein Viertel mit »ja«, der Rest gab unentschie-dene Antworten. Ähnlich liegen die Verhältnisse in anderen Län-dern, nur ergab z. B. eine Befragung in England den Unterschied,daß dort der Anteil der Astrologiegläubigen mit höherem Bil-dungsstande zunimmt - bei uns liegt das Schwergewicht beimittlerer Reife - und auch die regelmäßigen Kirchenbesuchereher zur Bejahung geneigt sind, als in Westdeutschland. Die de-taillierte Umfrage, worauf sich Glaube oder Ablehnung stützeund was unter Astrologie überhaupt verstanden werde, enthülltallerdings eine erschreckende Vorherrschaft ihrer vulgärsten Ent-artung, der Zeitungsastrologie. Von den 56 Prozent, die vorge-ben, sich mit Astrologie zu beschäftigen, haben nur 7 Prozent ihrindividuelles Horoskop stellen lassen, und auch dabei dürfen wirvielfach fragwürdige Erzeugnisse annehmen.

Vom Blickpunkt der geistigen Volksgesundheit aus bildet esjedenfalls ein Gegenwartsproblem, mit dem kommerzialisiertenAberglauben, der darin steckt, fertig zu werden. Es ist der Unter-suchung wert, wieweit der Erfolg der Zeitungsastrologie erklärtwerden kann durch unbewußte, aus der Neurosenlehre bekannteMechanismen, wie weit ein unausrottbarer Rest magischen Den-kens mitspielt, oder wie tief das Bewußtsein von der ältesten Ty-pologie, der zwölf Zeichen sowie der in ihnen mitgedachten vierTemperamente usw., verankert ist. In Druckwerken, als Schmuck

IX

an öffentlichen Gebäuden und anderswo tauchen die einprägsa-men Tierkreisbilder auf - wenn auch mehr als Verlegenheits-lösungen in einer an überdauernden Symbolen armen Zeit -, diemeisten Zeitgenossen haben wenigstens dunkle Vorstellungenvon der kulturgeschichtlichen Rolle der Astrologie.

Man kann die Ansicht vertreten, die Astrologie sollte von derzuständigen Wissenschaft geprüft, und es sollte danach entschie-den werden, was in der Öffentlichkeit zugelassen und was alsschädlicher Aberglaube unterdrückt werden soll. Hierfür stimm-ten 21 Prozent in der genannten Umfrage, während 47 Prozentder Meinung waren, die Astrologie sei für die Öffentlichkeitgleichgültig; wer sich dafür interessiere, solle tun und lassenkönnen, was er wolle. Nur 8 Prozent stimmten für striktes Ver-bot, 4 Prozent für öffentliche Anerkennung. Doch das Problembeginnt bereits mit der «zuständigen Wissenschaft», da es sichum ein universalistisches Gedankengebäude handelt, dessen Tat-sachennachweis an die Kenntnis seiner Grundgedanken und Re-geln geknüpft ist. Unsere fachlich erzogenen Akademikerhuldigen in der Mehrzahl dem Bildungsvorurteil, schon dieMöglichkeit der Astrologie dürfe ohne nähere Einsicht in denGegenstand - auch der neueren Literatur darüber - bestritten wer-den. Ein kleiner Prozentsatz akademischer Außenseiter hat dage-gen das Beste für eine Revision des astrologischen Gedankensgeleistet. Umso beachtlicher, als dies heißt, sich zu exponieren;Astrologie stellt ja bei uns ein geradezu affektbesetztes Gebietdar. Anders ist das Klima der meist kühleren Urteilshaltung eng-lischer Kollegen in solchen Grenzfragen; sie meinen etwa: «ichteile diese Auffassung nicht, und das Problem ist mir gleichgül-tig, doch wer dafür ist, wird seine Gründe haben, dies respektiereich».

Wie man sich auch dazu stellen mag, zu gefestigtem Urteil ge-langt man weder durch Vorurteile noch durch nachlässig tolerie-rende Einstellung. Auch können diese Dinge nicht imUnterhaltungston vorgetragen werden, sie verlangen eingehendeAnalyse und Definition, eigene Erfahrung. Mißverständnisse er-zeugt andererseits der von kritiklosen Anhängern genährte Glau-be, die Astrologie sei ein fertiges Regelsystem, das man nach

X

dem Erlernen einiger technischer Griffe ohne weiteres auf dasMenschenleben, lies -schicksal, anwenden könne. Wer sich heuteernsthaft mit Astrologie in ihrer historischen Form befassen will,wird wohl oder übel den Ballast damit verquickten Aberglaubenswegräumen müssen, ohne aber, wie schon Kepler in gleicher La-ge betonte, «das Kind mit dem Bade auszuschütten». Dies kom-pliziert unser Vorgehen und zwingt uns manche - Teiluntersu-chung auf, die vorgefaßter Ablehnung oder Zustimmung um-ständlich erscheinen mag. Besonders die Aussagegrenzen einerDeutung wollen aus der Sache heraus erkannt und streng berück-sichtigt sein.

Der Name Kepler berührt noch etwas anderes. Bezeichnet erdoch genau den geschichtlichen Zeitpunkt, von dem ab astrologi-sches Denken zurückblieb hinter der Entwicklung der Naturwis-senschaften, bis es einer veränderten Weise, die Welt zu sehen,als Anachronismus gegenüberstand und auch in seiner Wieder-belebung durch die Romantik nicht durchdringen konnte. Diesliegt nicht am Weltblick, den die Astrologie zur Voraussetzunghat, sondern an der überkommenen Deutungsart. Die Astrologieder Antike und des Mittelalters hatte eine im Grund statischeAuffassung von Eigenschaften und Schicksalen, abgelesen aushimmlischen Anzeichen. Statt dessen denken wir heute in dyna-mischen Begriffen, worin sich die Entwicklung vom aristoteli-schen zum galileischen Denken widerspiegelt. Diese Entwick-lung gilt es im hier behandelten Aussagegebiet, im Charakterolo-gischen, nachzuholen; dasselbe, was aus einem Katalog fertigerund unveränderlicher Eigenschaften gedeutet wurde, sehen wir inVerlaufsformen aus Anlagen hervorgehen, unter Mitwirkung derabwandelnden Umwelt und des selbstbestimmenden Faktors imMenschen. Ein derartiges Unterfangen bringt uns in fruchtbareAuseinandersetzung mit heutigen psychologischen Schulen, dievom empirischen Befund aus nach seelischen Grundfunktionen,angebotenen Triebstrukturen und dergleichen suchen, ohne daßdie astrologischen Elemente einfach übersetzt und an eine solcheLehre angehängt werden könnten. Sie wollen vielmehr in ihrereigenständigen Art, das individuelle Wesensgefüge zu beschrei-ben, erfaßt sein. Wenn in den folgenden Darlegungen der Tempe-

XI

ramente auf Aristoteles zurückgegriffen wird, so geschieht eskeinesfalls, um einen neuen Aristotelismus zu begründen, son-dern um die Herkunft dieser relativ beständigen Klassifi-zierungen aufzuzeigen.

Welche Wissenschaft dürfte denn nun ein gültiges Urteil abge-ben, wie weit Astrologie mit unserem heutigen Weltbilde verein-bar ist? Der Mensch, der sich einstens als das Maß aller Dingebetrachtete, wurde durch die mechanistische Naturansicht zu ei-nem Stäubchen im All. Er entschädigt sich für seine Nichtigkeitdadurch, daß er Raketen in den Raum hinausschiebt. Sollte esuns in Bälde gelingen, mit Hilfe einer solchen Rakete den Mondvon hinten zu photographieren, so werden nur Teile eines totenKörpers auf die Platte kommen. Was besagt dies darüber, ob diePeriodizität des Mondumlaufs, die für uns auf der Erde im Wech-sel von Ebbe und Flut gewaltig in Erscheinung tritt und sich auchin den festen Massen bemerkbar macht, etwas für lebende Wesenbedeutet? Daß solche Zusammenhänge denkbar sind, lehren nichtnur genaue Beobachtungen über Fortpflanzungszeiten niedererMeerestiere, sondern seit je wurde auch die weibliche Periodebeim Menschen zum Mondlauf in Beziehung gesetzt. StatistischeUntersuchungen über die Termine legen uns nahe, den individu-ellen Fall als Abwandlung einer mondperiodischen Norm aufzu-fassen.

Hier aber kommt der springende Punkt: natürlich ist die Fort-pflanzung, das mütterliche Prinzip keine Wirkung des Mondesdraußen im Weltraum, sondern sie gehören zu den Grundeigen-schaften des Lebens. Bestehen die genannten Zusammenhänge,so haben wir es mit einem Einbau von Lebensfunktionen in denKosmos zu tun. Ihre Möglichkeit betrifft Fragen der Biologie,während Astronomie und Physik den lebendigen Gefügen gegen-über indifferent sind; darüber hilft kein Mehrheitsbeschluß einerastronomischen Gesellschaft gegen die Astrologie hinweg. DieHypothese eines Biokosmos, des Eingebautseins von Anlageplä-nen lebender Ganzheiten in ihre kosmische Umwelt setzt dieAutonomie des Organischen, die biozentrische Umweltlehre vor-aus, sie durchzudenken erfordert einige Beschäftigung mit kon-struktiven Anschauungen der heutigen Lebenslehre.

XII

Freilich dürfen wir nicht glauben, hierin läge ein Beweis fürdie Astrologie, wir sprechen nur von ihrer Vereinbarkeit mit un-serem Weltbild. Das astrologische Begriffssystem als Ganzeswill zunächst hingenommen und an der vergleichenden Beob-achtung menschlicher Individuen verifiziert werden. Unsere Hy-pothese gibt uns jedoch einen Ansatzpunkt, die Elemente anderszu sehen und das Problem umzustellen von «Gestirneinflüssen»auf «fundamentale Lebensäußerungen», diese als Untergrund descharakterlichen Aufbaues genommen. Von hier gelingt uns derEinbruch in das erstarrte Regelwerk der alten Astrologie, dasFlüssigmachen ihrer Vorstellungen, und viele altüberlieferte«magische Korrespondenzen» können einem Verständnis zuge-führt werden im darin niedergeschlagenen Wissen vom Men-schen. Allerdings, so einfach wie im vulgären «Horoskop derWoche» liest sich's nicht, und selbst beste Tradition will gesiebt,gesichtet sein; auf uraltem Boden in Neuland befindlich, gilt esim Sinne Hegels, «die Anstrengung des Begriffs auf sich zunehmen«.

Im Schwarzwald, Herbst 1958Thomas Ring

1

NEUE VORFRAGEN

Wie dem ersten Bande, lasse ich auch dem zweiten einige Fra-gen vorangehen, die ausklammern kann, wer zunächst die Be-kanntschaft mit den Elementen der Deutung machen will.Mancher dürfte erst über deren Anschaulichkeit, gewonnen ausden Einzeldarstellungen, Geschmack finden an der Theorie. Sowie bei den «Planeten» wird aber gerade die Beantwortung dieserVorfragen uns dem Wesen der Astrologie als Menschenkundenäher bringen. Betreffen doch die beiden Formen des kreisläufi-gen Systems, von dem die Rede sein soll, nunmehr das Herzstückder Astrologie schon in ältesten Zeiten: das Maß aller Erschei-nungsmannigfaltigkeit, eine uns sowohl umfassende als aucheingeborene Ordnung, ein Bleibendes innerhalb der Abläufe,welche die Dinge in wechselnde, ungleichartige Beziehung brin-gen. Daß diese Ordnung, dies Bleibende im Wesen des Lebendi-gen liegt, ist das Neue der hier gebrachten Auffassung. Ehemalsnahm man kosmisches Eingebettetsein naiv vertrauend als Ge-schenk des Himmels hin. Wir Heutigen müssen uns Rechenschaftgeben, unter welchen Gesichtspunkten ein derartiger Gedankeüberhaupt zu denken sei.

Urtümlicher Bilderkreis und Lebens-Bezugssystem

Von hohem geschichtlichem Alter ist der Tierkreis, einem je-den bekannt durch die allgemein verbreiteten Sinnbilder derzwölf Zeichen. Er bedeutet Kosmos im Sinne ordnender Zusam-menfassung des Geschehens. Aber das - übrigens verschiedene -Alter und die Einprägsamkeit der Bilder bieten dem, den ihreDeutkraft nicht intuitiv überzeugt, einen gar wenig verläßlichenAnsatz der Forschung. Hieraus etwas erschließen zu wollen be-gegnet dem kritischen Einwand, alle Tierkreiserfahrungen könn-ten das Gesamtprodukt der Wirkung mythologischer Vorstel-lungen auf empfängliche Gemüter, sowie dadurch verfälschte

2

Beobachtungen enthalten. Um diese Kategorie von Deutungs-elementen zu verstehen, müssen wir mit eigenen und selbständi-gen Überlegungen herangehen. Weniger kommt es dabei aufüberraschend neue Tatsachen an, als auf den Blickwinkel, längstschon Bekanntes zu sehen. Eine reinliche Scheidung wird nötig.Die Bebilderung des Tierkreises, das heißt die überlieferte an-thropomorphe Veranschaulichung und mythische Dramati-sierung, ferner die Versuche zur Vereinbarung dieser - an dieSternbilder fixierten - Vorstellungen mit der schon im Altertumerkannten Präzession (vgl. S. 48), solches macht ein Thema fürsich aus. Es geht den Kulturhistoriker an. Auf ihn mögen sichunentwegte Gegner stützen, welche die Gehalte der Astrologieals geschichtliche Überbleibsel, Reste eines urtümlichen Glau-bens, hinreichend zu erklären vermeinen. Etwas anderes dagegenist ein Ableitungsversuch wie der hier gebrachte, Inhalte betref-fend, die nach meiner Behauptung jenen Bildern als einsehbareTatsachen zugrunde liegen. Der Einwand, es handle sich nur umeine Projektion geschichtlich entstandener Vorstellungen an denHimmel, kann jederzeit durch Erfahrung widerlegt werden, wennman - wie bei jeder Sache geboten - die Bedingungen des Expe-riments beachtet. So viel oder wenig uns die Bildersprache deralten Kulturen sagen mag, von derlei Einkleidungen wollen wiruns einmal strikte frei halten, um einen unbefangenen Zugangzur Tierkreisordnung zu gewinnen.

Daß es mit Kreisläufen eine eigene Bewandtnis habe, ist dieGrundüberzeugung dichterischer Intuition.

Nach ewigen, ehrnen,Großen GesetzenMüssen wir alleUnseres DaseinsKreise vollenden.

(Goethe, «Das Göttliche»)

Die Frage, wann, wo, unter welchen Verhältnissen die überlie-ferten Bilder des Tierkreises entstanden und wie sie richtig aus-zulegen seien, tritt zurück vor der Erkenntnis des Kreislaufs als

3

etwas in seinem Wesen Ungeschichtliches. Als Ablauf ist er eineForm von Zeitlichkeit, doch eben diejenige Form, worin Zeit so-zusagen «festrinnt», indem sie immer wieder in sich zurückläuft.Kreisende Zeit hebt sich auf in «Ewigkeit». Gegenüber ge-schichtlichem Weiterlaufen durch Veränderung verkörpern ihrewiederkehrenden Momente etwas Ruhendes; an das Atommodelldenkend, dürfen wir im Wortsinne sagen «verkörpern». Als gan-zer versinnbildlicht der Kreis die Ruhe im Veränderlichen, imWerden und Vergehen von Einzelerscheinungen; diese bekom-men darin den Charakter von Phasen einer aus sich selbst erneu-erten Gesamtbeziehung.

In diesem Sinne sprechen wir vom Wasserkreislauf, vom Blut-kreislauf oder, näher auf unser Thema bezogen, von der wieder-kehrenden Folge der Jahreszeiten, vom alltäglich wiederholtenLicht- und Wärmewechsel. Auch psychologisch ist uns ein der-artiger Turnus von Abläufen nicht unbekannt. Verfolgen wir et-wa, wie eine fixe Idee sich gegen sie anstreitende Argumente mitScheinwiderlegungen durchsetzt, bis befriedigt ihre «Wiederbe-stätigung» erreicht wird. Die Unfruchtbarkeit einer Diskussionauf dem Boden fixer Ideen und daraus erzeugter Vorurteile -Streitgespräche über Astrologie erfolgen meist so - erhellt in ne-gativer Form etwas zum Kreislauf Gehöriges: Vieles mag gesagtwerden, doch Neues wächst nicht hinzu, nichts andersartig Ange-strebtes schreitet fort. Ich wähle gerade dieses Beispiel einesLeerlaufs, weil er deutlicher macht als jene Naturkreisläufe, wiebedingt der besagte «Ewigkeitscharakter» ist; mit Aushebelungseiner Grundvoraussetzungen bricht der Kreislauf zusammen.Dennoch gehört die Tendenz eines ewig sich Erneuernden zuseinem Wesen.

Zu erweiterter Sicht gelangen wir, wenn wir ganz allgemeinnach Bedingungen einer Dauer des Seins fragen. Etwas Bestän-diges im Geschehen mechanisch konstruieren, liefe auf das Per-petuum Mobile hinaus, das ja bekanntlich an Reibung, Abnut-zung und dergleichen scheitert. Jedoch in welcher Form ist einAusgleich der Weltprozesse, ist eine organische Selbsterneue-rung möglich? Von naturwissenschaftlichen Erwägungen herkommt R. H. Francé zur Antwort, daß die Gleichgewichtslage,

4

auf die wir den Begriff der Dauer anwenden, im Kosmos durchdas Mittel des Kreislaufs verwirklicht wird.1 Freilich ist dies inmehr übertragenem Sinne des Worts gemeint, die Bewegungender Gestirne geben nur den himmelsmechanischen Aspekt derSache; wir müssen uns sowohl mit den Gesetzen von der Erhal-tung der Materie und der Energie, als auch mit denen der Lebens-formen befassen, um die Selbsterneuerung der natürlichenWeltordnung in ganzer Tragweite zu verstehen. Das All hältharmonisch zusammen vermöge solcher Kreisläufe, darin hebtsich auf, was in betreff der Einzelwesen ihr Anfang und ihr Endeheißt. So beschaffene Harmonie läßt uns vom Kosmos als demWohlgeordneten sprechen, in Francés Definition: «ein einheitli-ches und durch Gesetze geordnetes Ganzes».

Mit dem Erhaltungsgesetz des Kosmos ist der Blickpunkt ge-wonnen, der einem Worte wie Nietzsches «ewiger Wiederkunftdes Gleichen» seinen Sinn gibt. Etwas anderes als Ben Akibasresigniertes «Alles ist schon dagewesen!» Wie dieser meinte esSchopenhauer in der Anwendung auf die Geschichte: das ewigeEinerlei, das in ihr wiederkehre, ein Bild trostloser Langeweile.Für die Feststellung einseitig geschichtlich und ethisch Denken-der hat es den Ton der Ergebnislosigkeit, einen auf denselbenPunkt zurückführenden Kreislauf zu denken. Darum widerstrebtes ihnen, aus Naturkreisläufen etwas herzuleiten, was die freieSelbstbestimmung des Menschen bedrohen könnte.

Denn unfühlendIst die Natur:Es leuchtet die Sonneüber Bös- und Gute,Und dem VerbrecherGlänzen, wie dem Besten,Der Mond und die Sterne.

Wohl in schroffster Form bringt dies Weininger in seiner Ge-genüberstellung von sittlicher Freiheit und Naturgesetz zum

1 R. H. Francé, «Bios» Bd. 11, VIII. Kapitel «Das Harmoniegesetz»; Franz Hanfstaengl,München, 1921.

5

Ausdruck, er urteilt: «Die Kreisbewegung hebt die Freiheit aufund ordnet sie einer Gesetzlichkeit unter.»2 Vom sittlichen Wol-len aus, erfaßt als unablässiges Streben, als unendliches und un-umkehrbar in die Zukunft hinein gerichtetes Fortschreiten,wendet er sich gegen «jede positive Wertung der Planetenbewe-gung». Folgerecht reichen seine Verurteilungen bis in die «weib-liche» Kreisbewegung im Tanz - der Walzer ist ihm «die absolutfatalistische Musik» -; seine Abwertungen treffen das Naturhaftedarin, er gilt ihm als sinnlos, zwecklos, lächerlich, eitel, gemein,die Kreisbewegung als eine selbstzufriedene Wiederholung im-merfort des Gleichen. Weiningers einseitig überspitzte ethischeHaltung rückt etwas wie den astrologischen Tierkreis bestenfallsin den Rang einer fixen Idee, während sich aus der ästhetischenEinstellung Nietzsches gar wohl eine positive Wertung erreichenließe.

Ohne hier die Dialektik von Ethik und Aesthetik durchführenzu müssen, kommen wir mit bereits aus dem I. Bande bekanntenKategorien an dies Problem heran. Harmonie, als konstituivesElement, in einem Lebens- und Wesensganzen, begriffen wirunter dem Sinnzeichen �, ihr entgegengesetzt Selektion als Ele-ment aktiver Entäußerung unter dem Sinnzeichen �, beides inder Zusammengehörigkeit ihres Gegensatzes gesehen. Wenn wirnun Kreisläufe in Betracht stellen, dann als Ausdruck solchenZuordnens und Einordnens, der Harmonie mit dem Kosmos, so-wie der Korrelation von Bestandteilen in einem ausgeglichenenVerhältnis. Harmonie wird aber erst sichtbar gegenüber der stoß-und ruckartigen Ungleichartigkeit auslesender, einander wider-streitender Vorgänge, gegenüber dem Steigerungsprinzip, das,indem es irreguläre Durchbrüche durch den Gleichlauf zuwegebringt, die absolute Dauer harmonischer Gebilde und Proportio-nen in Frage stellt. Wollen wir die «männliche» EinseitigkeitWeiningers korrigieren, so müssen wir dies aktive Prinzip zu-sammen mit dem passiven der Harmonie gelten lassen. In idealerVerbildlichung ihrer beider Zusammengehörigkeit kommen wirzur Hilfsvorstellung einer zylindrischen Spirale; sie erscheint

2 O. Weininger, «Über die letzten Dinge», 5. Aufl., Wien-Leipzig, 1918.

6

dem Blick von oben oder unten in reiner Kreisform, zeigt dage-gen von der Seite gesehen ein Ansteigen. Dies Bild veranschau-licht, daß etwas, was für die eine Blickweise ein Kreislauf ist undin sich zurückmündet, dennoch für die andere Blickweise keinewert- und rangmäßige Wiederkehr «immer desselben» darzu-stellen braucht, sondern Verschiebung des Niveaus, Aufwärts-streben, Entwicklung zuläßt.

Nur allein der Menschvermag das Unmögliche;Er unterscheidet,Wählet und richtet;Er kann dem AugenblickDauer verleihen.

Harmonikal richtig verstandene Wiederholungen erstreckensich demnach nur auf Übereinstimmung in Prinzipien, deren Äu-ßerung auf verschiedenem Niveau möglich ist. Unter dem so um-rissenen Vorbehalt wird hier vom kreisläufigen Systemgesprochen.

Was uns als Tierkreis überliefert ist, stammt aus der Anschau-ungswelt des vorgeschichtlichen Menschen, als er zum Blick aufdas Stetige, die Ordnung gereift war. Er maß, verglich und deu-tete die Zeitlichkeit seines Daseins an kosmischen Kreisläufen;ein Nachhall hiervon klingt für uns in den Jahresfesten durch, beimanchen in ununterbrochener Tradition von Ritual und Bedeu-tung, bei anderen entstellt und umgedeutet. Die jährliche Son-nenbahn war ein vielgestaltig bearbeitetes Thema der mytho-logischen «Exegese des Symbols», wie Bachofen es nennt.3 Das

3 Unverkennbar zeigt sich hieran folgendes. Nur bedingt konnte Sinn und Wesen vonKreisabschnitten in bildhafte Gestaltung eingehen: als die zwischen personifizierten Kräf-ten («Göttern») wartende Ordnung (daher «Burgen», «Säle» der Götter, woraus nachherdie «Himmelshäuser» wurden, beim Halbgott die «Stationen« seines mythischen Lebens-ganges), später setzte man dafür Diagramme. Auch die geometrische Darstellungsweisegehört als «Mandala» zu den relativ frühen Erwerbungen des Menschengeistes. Das Hin-einsehen von Bildern in bestimmte Gruppen von Sternen, das «Sternbild» - unterschiedlichbei verschiedenen Kulturen, da die Bilder nicht notwendig aus der Figurierung hervorgehen- muß als nachträgliche Fixierung solcher Gehalte gelten, verbildlicht, weil eben der My-

7

Heilsbringersymbol wurde an Hand urtümlicher Bildersprachezerlegt in Begebnisse, Stationen oder Aufgaben, die der Sonnen-held - Gilgamesch, Herakles, Simson, Siegfried auf seinem Le-bens-Rundgang zu erfüllen hatte. Mit der eigentlichen Astrologiebemächtigte sich dann konstruktives Denken mehr und mehr die-ser für das Leben allgemein gesetzten Ordnung. Eingeordnet,«geortet« sind darin die vier antiken Elemente und Tempera-mente, die drei indischen Gunas und andere Aufgliederungen desUrmaßes. Wenn wir uns heute als Erben einer langen Geistesge-schichte diesem Symbol wieder nähern und von der Bilderspra-che absehen, so setzen wir dies konstruktive Denken fort underfassendes ganze als ein Lebens-Bezugssystem. Aufgabe deskonstruktiven Denkens ist es, Strukturelemente an Stelle vonBildinhalten denkbar zu machen. Problematisch werden Ord-nung, Maß, Struktur erst dann, wenn wir Kausalanschauungenhineintragen, als handle es sich um etwas von außen her Be-wirktes.

Denkt man an Sternbilder, dann erscheint der Tierkreis, vondem wir hier sprechen, als eine schematisch-abstrakte Angele-genheit. Doch jene, die Ekliptik umlagernde Gruppen von Fix-sternen, sind nur für das Auge eines irdischen Beobachterszusammenhängende Gebilde. Sie umfassen Sterne in verschiede-ner Weltraumtiefe. Außerdem sind sie ungleich groß; man ver-gleiche etwa das Bild der Jungfrau mit dem darauffolgenden derWaage, dessen Sterne zuerst gar nicht als selbständiges Bild,sondern als die Scheren des Skorpions gegolten. Demgegenüberstellt die gleichmäßige Zwölfteilung eine mathematische Kon-struktion dar. Eine Sachlage, an der auch Keplers naturwissen-schaftlicher Sinn in Konflikt mit seinem geometrisch-harmoni-kalen Denken kam, da «diese uralte Austeilung des Zodiaks in 12gleiche Stück meistenteils auf der Menschen Willkür bestehe,und die Zeichen nicht realiter oder naturaliter so genau geschie-den sind». Er ließ nur «vier natürliche Stück in diesem Umkreis»

thos nur in Bildern denken konnte. Wenn dabei totemistische Vorstellungen mit eingebautwurden («Tier»-Kreis), so war dies ein Aufnehmen primitiverer Vorstellungsformen inschon entwickeltere kosmische Symbolik. - Der Ausdruck von J. J. Bachofen stammt aus«Versuch über die Gräbersymbolik der Alten», 2. unveränderte Aufl., 1925.

8

zu, «... weil die Sonne, welche das Jahr machet, in ihrem Um-gang vier allzeit beständige Marksteine setzet, einen, da sie amhöchsten kommt, den andern, da sie sich am niedrigsten senket,und zwei, da sie Tag und Nacht gleich machet.»4 Ja, nimmt mandas wiederkehrende Verhältnis der Erde zur Sonne, das tropischeJahr, zeitlich genau, so dürften wir angesichts der verschiedenlangen Jahreszeiten auch in diesen vier kardinalen Punkten nichtdie Grundlage einer gleichmäßigen inneren Gliederung, sondernnur die Angelpunkte des Eingehängtseins in die äußere Realitäterblicken.

Soweit es um die Fixsterne im Hintergrund der Jahresbahngeht, herausgelöst aus dem scheinbaren Zusammenhang als Tier-kreisbilder, müssen wir nach physikalischen Wirkungen fragen.Die Milchstraße, zu der unsere Ekliptik schräg liegt, und also dieArt der Einfügung unseres Sonnensystems in sie, das größerekosmische System, all dies wird dann wichtig; die räumliche La-ge und Drehung ferner Spiralsysteme, Sternhaufen, von ihnenherrührende Strahlungen, Doppelsterne vom Typus des Algol,enorme Massenpackungen wie beim Siriusbegleiter, die Theorienüber Neubildung von Materie und kosmische Zerfallsprozesse,kurz, die gesamte heutige Astrophysik erlangt Bedeutung. Es istmöglich, daß wir in absehbarer Zeit ein einigermaßen zusam-menhängendes Bild der tatsächlich nachweisbaren Weltraumwir-kungen bekommen. Doch für den «astrologischen Tierkreis»dürfen wir auf diesem Wege keine Begründung erwarten. Ausprinzipiellen Gründen nicht: naturwissenschaftliche Anschau-ungen von Ursache und Folgewirkung enthalten ein ganz anderesErklärungsprinzip als dasjenige, das für die scharf abgegrenztenKreisabschnitte und ihre symmetrische Ordnung gelten kann.

Die gliedernde Zahl

Indem wir etwas im Kreise ordnen, nehmen wir stillschwei-gend eine zahlenmäßige Gliederung vor. Sei uns der Umgang mit

4 H. A. Strauß und S. Strauß-Kloebe, «Die Astrologie des Johannes Keppler», Abschnitt«Gutachten über das feurige Trigon. 1603.» München- Berlin, 1926.

9

Zahlen noch so geläufig, ihr Wesen gibt uns einiges zu bedenkenauf. Gewohntermaßen handhaben wir sie im Abzählen, Verviel-fachen, im rechnerischen Gebrauch als Mengenangabe. Dieserquantitative Charakter der Zahl, gemeinhin für das alleinige anihr gehalten, sowie ihre allgemeine und abstrakte Verwendbar-keit haben sie zum vornehmsten wissenschaftlichen Werkmittelgemacht; zahlenmäßige Beziehungen lassen sich herstellen, wokeine anderen auffindbar sind. Anschauliches Weltbild oder ma-thematisches System der Natur: die wissenschaftliche Betonungliegt auf der Systematik. Zwar zeugt eine solche noch nicht ohneweiteres von tieferem Einblick, doch von klarerem Verstehen deslogischen Verhältnisses der Sätze, unter denen Welt begriffenwird.

Vorwissenschaftlich diente die Zahl noch etwas anderem, einerdarstellenden Symbolik der Schöpfung. Dieser Charakter als Or-dinalia, als Ordnungszahlen, betrifft, wo er auf AnschaulichesBezug nimmt, das Verhältnis von Raum- oder Zeitpunkten nachGliederung und Reihenfolge, Stufung und Rang. So geordneteDinge meinen nicht dasselbe wie die bloße Anzahl von Stückenoder das Wievielfache an Energie beim einen Zeitzeichen zu derbeim anderen. Eine derartige Zahlengeordnetheit duldet kein be-liebiges Hinzufügen oder Wegnehmen von Einheiten, ohne imWesen zerstört zu sein. Dies Wesen aber ist ein durch Zahlenver-hältnisse ausgedrücktes Zueinander der betreffenden Dinge, esliegt im proportionalen Wert dieser Dinge als Bestimmungsstük-ke eines Ganzen. In diesem Bezug kann man von einem qualita-tiven Charakter der Zahl sprechen. Ihrer Allgemeinheit gemäßsuchte man die so verstandene Zahl auch vom konkreten Inhaltabzulösen; aus «reinen» Zahlen schlossen die Pythagoräer, dieKabbala und ihre Nachfolge auf die metaphysische Struktur einerSache. Hier entsprang die vielgerügte «Zahlenspielerei», womitdas rationale Erklügeln von Zusammenhängen aus abstraktenZahlen-Beziehungen gemeint ist, ein vom konkreten Bezug los-gelöstes Spiel «mit» der Zahl.

Anders die Rolle dieses rationalen Mittels, der Zahl, in der Ir-rationalität echten Spiels. Was im Spiel fröhliche Urstände feiert,ist die Spannung zwischen Zahl und Formel einerseits, schöpferi-

10

scher Phantasie anderseits. Der Spielgedanke flüchtet geradezu ineine Ordnung und Folge, die als zahlbefaßte Regel dem Witz, derLust, der Tollheit freien Handelns, freien Erfindens ihren Haltgibt. Zahl setzt Grenzen gegen das Beliebige, Zufällige, Unge-fähre. Vom improvisierten oder schon geregelt übernommenenSpiel der Kinder bis zum Kartenspiel, dem Tanz, dem Kampf-spiel der Erwachsenen besteht darin kein Unterschied. Im «sa-kralen Spiel», der Weihehandlung, wird die feierliche Stimmungwesentlich getragen durch die «bemessene» Strenge, mit welcherHandlung auf Handlung folgt. Das vorgeschriebene Hintereinan-der der Abwicklung bedeutungsvollen Tuns, in Einheit mit demumgrenzten und eingeteilten Ort des Spiels, bringt so einen Ge-samtinhalt geordnet zur Schau. Einerseits geht dies ein in diemimischen Künste und die Musik, andererseits berührt es sichmit den Raum- und Massegruppierungen der bildenden Künste,im Ansatz ebenfalls Äußerungen des Spieltriebes. Sie alle bezie-hen aus dem zahlenformalen Element, dem Maß, die geistigeFassung als ästhetisches Werk, die sich dem Abgleiten in mo-mentane individuelle Launen widersetzt. Gesehen aus der Indif-ferenz dieses formalen Elements läßt sich, wie Huizinga betont,die Kulthandlung kaum vom Spiel zur Unterhaltung scheiden.5

Diese Seite spielerischer Betätigung reicht somit in die Wurzelndes Religiösen und Künstlerischen, wie auch in Aberglaube,Zauberei, und endlich in die Erholung vom innerlich «maßlosen»Nervenverbrauch im «Ernst» des Lebens.

Gründe genug - zumal wenn Erwartung von Glück oder Vorse-hung im Spiel -, den astrologischen Bilderkreis, sowie die wieSpielsteine darauf gesetzten Planeten, in der Nachbarschaft desOrakelns aus Karten und anderen Mitteln der Mantik anzutref-fen! Wir machen bei solchen Praktiken die Erfahrung, daß dieKombination mit einer begrenzten Anzahl von Möglichkeiten beidarauf eingespielter Intuition zu richtigen Ergebnissen führenkann. Wer die Astrologie durchaus in die Geschichte menschli-cher Irrtümer einreihen will, erhält als neues Argument die «Hy-

5 J. Huizinga «Homo Ludens», Pantheon Akademische Verlagsanstalt, Amsterdam,1939. Eingehender befaßt sich mit der Bedeutung der Zahl im Spiel: Gerhard von Kujawa«Ursprung und Sinn des Spiels», E. A. Seemann, Leipzig, 1940.

11

postase»: der Tierkreis unterstelle, was zu einer mantischen Pro-zedur dienlich sei, dem Weltraum als Wirklichkeit. Ungeachteteiner Menge zweifellos so eingestellter Ausleger ist diesem Ein-wand mit der Frage zu begegnen: wer mischt hier das Spiel?Mantische Prozeduren können gelingen, unzufällig, weil bei ih-nen der Kombination ein Vorgang vorangeht, der die Anordnungund Auslese des zu Deutenden herstellt und worin ein freierSpielraum für Veranstaltungen des Unbewußten belassen ist. DieBedeutungsträger eines solchen Spiels sind ordnungsmäßig auf-einander abgestimmt; sie in eine aktuelle Lage zu bringen, dieeine Aussage erlaubt, darin liegt der Sinn des Kartenmischens,Losewerfens. Gerade diese Freiheit fällt in der Astrologie fort.Bei ihr geht die Mischung des Spiels aus der Gleichgültigkeit derHimmelsmechanik hervor. Trotzdem - vielleicht nicht unberech-tigt - eine Art von Spielsituation darin zu sehen, führt uns zu ei-ner wichtigen Unterscheidung. Die verwendete Zahlenordnungeinerseits, kosmischen Verhältnissen entnommen, sowie ander-seits Sinn und Bedeutung, die irgendein menschliches Vermögenmit ihrer Hilfe ermitteln kann, sind zweierlei. Wollen wir demnachgehen, so haben wir methodisch zu scheiden: hier inhaltlichgerichtete Erkenntnisarbeit, dort Untersuchung der zahlen-mäsigen Form, deren Allgemeinheit diese Inhalte einbegreift. DieSpielsituation mag dann für die intuitive Seite der Deutung gel-ten, doch die Anordnung des zu Deutenden und seine ordnungs-mäßige Grundlage sind ihr entzogen.

Dies setzt voraus, daß Ordnungszahlen nicht lediglich auf dasSpiel zutreffen, wo sie willkürliche Setzungen blieben, sondernauch in Gegenstände der Naturforschung hineinragen. Vorfind-lich in den Tatsachen: wir müssen also ausschalten, was für einordnendes Spiel der Gedanken erfunden wurde. Auf echten Ordi-nalien beruht nun z. B. das periodische System der Chemie (Ord-nung der Stoffe nach ganzzahligen Verhältnissen ihrer Verbin-dungsgewichte, daraus ersichtliche Beziehung ihrer chemischenQualitäten), erinnert sei ferner an den Benzolring und die vonihm abgeleiteten Strukturformeln der organischen Chemie. Wirsind nur nicht gewohnt, die Dinge so zu nennen. Im einheitlichenZweckzusammenhang der Wissenschaft von der Materie rangiert

12

die Ordnungszahl anders als in vorwissenschaftlicher Geistesbe-tätigung. Sie rückt in den Hintergrund gegenüber Rechenzeichen,die es wertfrei mit «Größen» zu tun haben. Physikalisch verste-hen wir die materielle Wirklichkeit als das Produkt gesetzmäßi-ger, quantitativ-räumlicher Umsetzungen letzter Baubestandteile;«Qualität» wird uns dabei zum Nebenergebnis solcher Lagever-änderungen, «zahlenbefaßte Ordnung» zur Gedächtnisstütze beider Bearbeitung von empirischem Material. Auch die Lebens-schöpfung erklären wir weitgehend mit Hilfe dieser Wissenschaftvon der Materie in physiologisch-maschinell gedachten Voll-zugsformen. Der Versuch aber, den Organismus restlos mecha-nisch verstehen zu können, erweist sich als undurchführbar.Unerfaßt bleibt damit sein Eigentümliches, chemische Qualitätenso oder so einzuschalten und Gestalt zahlengeordnet aufzubauen.Die Reizempfänglichkeit, die Stoffe wählende und mit ihnenbauende Tätigkeit des Lebens, seine artbesonderen Regulationentreten heraus aus derjenigen Einheit des Materiellen, die wirdurch Betrachtung der Dinge in Größenordnungen herstellen.Das quantitativ Gewichtige kann ihm gleichgültig, das quantita-tiv Geringfügige wichtig sein - kleine Ursache, große Wirkunggilt hier oft -, weil es im Lebensvollzug nach Wertordnungengeht.

Fragen wir nach diesen, so kommt jene ordinale Bedeutung derZahl wieder zu Ehren. Allerdings spielt das Verhältnis von Qua-lität und Ordnungszahl im Organismus auf versteckte Weise mit.Die Bauform materieller Körper ohne Bezug auf anderes als sich,worin ein Kristall verkörperte Geometrie schlechthin «ist»,weicht in der Lebensgestalt einer «Deformierung nach Zwek-ken», deren Bezug in die Umwelt weist. Das gemeinhin ver-schwundene Mathematische taucht souverän wieder auf alsAnwendungsform bei instinktiven Verrichtungen (Trichterwick-ler, Spinne), in Schmuckformen (Blütenordnungen), mehr oderminder verbunden mit schützender Funktion (Schuppenbelag,Panzerschildmusterung), im Gerüstbau (Kieselalgen), es bleibtnach Nicolai Hartmann im Organischen «als ein mehr hinter-

13

gründiges Moment erhalten».6 Von Ordnungszahlen eigentlichenSinnes können wir erst sprechen, wo sie strukturbestimmendauftreten. Wenn wir bei der Giraffe mit ihrem fast zwei Meterlangen Hals, beim Delphin, dem der Kopf unmittelbar am Rump-fe zu sitzen scheint, ebenso 7 Halswirbel finden wie beim Men-schen, so drückt dies eine für die Struktur der Wirbeltierewesentliche funktionelle Gliederung aus. Gestalt- und Struktur-betrachtung können solcher Ordnungszahlen nicht entraten, siegliedern die Verhältnisse des umgrenzten Ganzen.

Die Untersuchung derartiger Zahlenverhältnisse mit der Ten-denz, ein Grundgesetz der im Kosmos verwirklichten Proportio-nen zu ermitteln, wurde neu belebt durch die harmonikaleForschung von Hans Kayser.7 Er geht wie seinerzeit Kepler vonakustischen Gesetzen aus; diese zeigen den erhörenden Men-schen» hineingestellt in Beziehungen, die als Schwingungszah-len, Saitenlänge, Verhältnis von Obertönen und Untertönen zueinem angeschlagenen Grundton streng auf physikalischen Tat-sachen aufbauen, ohne aber kausal daraus hergeleitet oder darinbegrenzt zu sein. Die gefundene Zahlenordnung umfaßt für dasharmonikale Denken beide Dimensionen der Anschauung; siegilt für die Gestaltetheit, die Teilung ebensowohl von räumlichenwie von zeitlichen Ganzen, wird zur Brücke des Zusammenhangszwischen der Raum-Körperwelt und der Zeit-Phasenwelt. Ist dieAllgemeingültigkeit dieser Zahlenverhältnisse gesichert, so stek-ken darin auch Formeln, nach denen der Mensch in die Mitte sei-ner, notwendig auf ihn bezogenen Welt, in der er enthalten,gestellt ist. Im schon Pythagoras bekannten, durch Frh. vonThymus wiederentdeckten «Lambdoma» (Veranschaulichung ineinem Diagramm, das dem griechischen Buchstaben Lambda äh-nelt) sieht Kayser eine auf die innere Gliederung des Tierkreisesanwendbare Schlüsselfigur. Zur Tierkreisordnung als solcherkönnen wir jedenfalls auf harmonikalem Wege gelangen. Um dieInhalte zu verstehen, den Sinn eines in sich zurückmündenden

6 Vgl. Anmerkung Bd. I, S. 12.7 Angabe der wichtigsten Werke Bd. 1, S. 247. Für Probleme der Lebensgestalt beson-

ders bedeutsam «Harmonia Plantarum», Benno Schwabe & Co., Basel, 1943.

14

Systems und die Bedeutung seiner einzelnen Abschnitte, schla-gen wir nunmehr andere Wege ein.

Vom Grundbau des Charakters

Direkt erfahrbar wird die vorerst hypothetische Kreisordnungim seelischen Bereich. Hierbei ist erstaunlich, daß die systemati-sierende Psychologie bis heute so gut wie gar nicht in kreisläufi-gen Systemen dachte. Vergegenwärtigen wir uns einmal denAufriß eines solchen, wofür der Tierkreis als formales Modelldienen möge.

Die Anordnung im Kreise gestattet, Begriffe von Ausdrucks-und Verhaltensweisen oder Streberichtungen dergestalt in Bezie-hung zu bringen, daß sich extreme Möglichkeiten voneinanderabheben, sowie gleichzeitig eine zusammenhängende Verbin-dung der verschiedenen Gegensatzpaare hergestellt wird. Be-schriften wir markierte Punkte dieses Kreises mit irgendwelchenBegriffen oder Sinnzeichen, so sind die einander gegenüberlie-genden Punkte auffaßbar als Typus und Gegentypus, bezw. Polund Gegenpol einer bestimmten Typenachse. Ein im ganzenstimmendes System erfordert eine sinnvolle Aufeinanderfolgedieser Punkte im kreisläufigen Hintereinander, wie sich auch injeder anderen Ordnung gelesen sinnvolle Querbeziehungen erge-ben müssen. Es muß mit anderen Worten vollkommene Symme-trie unter den Begriffen des Systems herrschen. Gelingt es, dieelementaren seelischen Äußerungen, bzw., als ungleich betonteMerkmale, die charakterologischen Grundformen in einem sol-chen System unterzubringen, dann wird es die Ansätze der polaraufgebauten Typologien enthalten. Doch verliert sich darin dasDürftige einer bloßen Gegenüberstellung von Typen. Statt ausder Fülle der Erscheinungen eine einzige Achse auszugliedern -deren Schärfe wir, mit der Wirklichkeit in Konflikt geratend,durch die behelfsweise Konstruktion von Mischtypen wiederverwischen -, können wir die jeweilige Charakterwirklichkeiteinem zusammenhängenden System der Erscheinungsfülle ein-gliedern. Wir werden dem Einzelfall gerecht, er ist in diesem Sy-

15

stem «geortet». Charakter wird dann darstellbar in verschiedenstarken und verschieden konstellierten Anteilen an dieser undjener Typenachse.

Lassen wir vorläufig auf sich beruhen, ob die Zahlenordnungdes Tierkreises die einzig mögliche und richtige sei; schon wegendes Anspruchs einer solchen Konstruktionsidee ist er der Unter-suchung würdig. Diese Idee verwirft die Anschauung vom «Ab-brechen des mathematischen Verhältnisses» im Seelischen, sein«Verschwinden» darin, «um nur noch in den Inhaltskategoriender Erkenntnis wieder aufzutauchen» (N. Hartmann, vgl. Anm.Bd. I, S. 12). Unhaltbar wird mit ihrer Gültigkeit die, auch vonKant vertretene, Meinung, daß unter den Seinsebenen allein dieseelische Ebene ausgeschlossen sei vom Vorwalten mathemati-scher Vernunft. Indem der so verstandene Tierkreis die seeli-schen Strukturen eingeordnet in den Kosmos zur Vorstellungbringt, vollendet die Astrologie die Mathematisierbarkeit desSeins. Die seelischen Abläufe, dem naiv sie Erlebenden ein unge-regeltes Gewoge von Gefühlen, Stimmungen, sich kreuzendenTrieben und dergleichen, dieses scheinbare Chaos begreifen wirals in sich geordnetes, mit den Grundlagen des Seins verwobenesWesensgefüge.

Von hier aus ist der Anschluß an heutige charakterologischeFragestellungen zu suchen. Für den Psychologen und Charak-terologen bliebe dies alles ja beziehungsleer ohne Berührungs-punkte in den einteilenden Begriffen, unter die er empirischeBefunde ordnet. Je umfassender nun statt einzelner typenhafterAnschnitte eine systematische Charaktergliederung herausgear-beitet wird, je mehr anderseits in der Astrologie eine methodi-sche Selbstbesinnung Platz greift, umso deutlicher tretenÜbereinstimmungen und Unterschiede der verwendeten Begriffehervor. Den charakterologischen Methoden ist gemeinsam, daßsie von außen her einteilend an komplexe Erscheinungen heran-gehen und Grundfunktionen, Struktur zu ermitteln suchen, wäh-rend die Astrologie es umgekehrt mit gegebenen Strukturgliedernzu tun hat, deren äußere Wirklichkeitsprägung aufzufinden ist.Beider Vorgehen muß in bestimmten Punkten zusammentreffen,

16

so verschieden die Vorstellungen vom Aufbau des Charakterssein mögen.

Wie reif die Situation zur Klärung dieses Verhältnisses ist, seikurz erläutert an der Charakterologie von Albert Wellek8. Ernimmt 7 Bereiche oder Schichten an, durch welche die variativeAusformung nach je 2 polar gegensätzlichen Seiten durchgreift,hierbei faßt er die verschiedensten typologischen Ansätze ord-nend zusammen. Sein siebenstufiges Schichtenschema entwirftWellek in kritischer Auseinandersetzung mit Rothackers Schicht-theorie;9 abgesehen von abweichenden Benennungen meint eraber wie dieser eine entwicklungsmäßige Reihe von einem ur-tümlichen, frühen «Grunde» an zu späteren Bereichen des«Oberbaues». Wellek stellt als Parallelen auf:

Rothacker Wellek

7 Wille6 Ich 6 Verstand

5 Phantasie4 Emotionalität 4 Gefühl

3 Empfindung2 Tier in mir 2 Trieb1 Leben in mir 1 Vitalität

Zwanglos, ohne von der Siebenzahl bestochen zu sein, findenwir begriffliche Übereinstimmung einiger hauptsächlicher der imI. Bd. erläuterten Wesenskräfte mit Bereichen Welleks, undzwar:

8 Albert Wellek «Die Polarität im Aufbau des Charakters», A. Francke AG, Bern, 1950.9 E. Rothacker, «Die Schichten der Persönlichkeit», 1938, 1948.

17

7 � Wille

���� Verstand

5 Phantasie

4 � Gefühl

3 � Empfindung

2 � Trieb

1 Vitalität

Gerade an diesen Berührungspunkten läßt sich anderseits derUnterschied zweier senkrecht zueinander geführter Schnitte ver-deutlichen. Schichten der Persönlichkeit im Sinne Rothackersliegen entwicklungstheoretisch verglichen nicht in einer Ebenenebeneinander, nicht horizontal, ebensowenig die Bereiche Wel-leks. Eine so gesehene Struktur ist genetisch gemeint, wobei frü-he Stufen nicht durch späte ersetzt, sondern überbaut werden, inihrer Wirkungsweise aber erhalten bleiben. Dagegen die im Ver-hältnis der Wesenskräfte erfaßte Struktur machte ich vorstellbarals horizontalen Querschnitt durch die Kette der Generationen,die Kräfte selbst also vertikal hindurchragend durch «frühe» oder«späte» Schichten (vgl. Bd. I, S. 16 ff.). Auf jeder Stufe der Ent-wicklung sind diese Wesenskräfte mit anderen Entsprechungenbeteiligt am Aufbau der Individualität, profilierter und persönli-cher hervortretend, strenger durch bewußte Verantwortlichkeitkontrolliert mit der fortgeschrittenen Individuationsstufe.10 Diegenetische Blickweise zieht davon jeweils Entsprechungen her-aus, welche sich einer Ordnung vom Primitiven zum Hochindi-viduierten einfügen, erfaßt aber nicht das Durchragende. Wollenwir den horizontalen und den vertikalen Ordnungsgedanken alszusammen bestehend, jeder auf seine Weise gültig, anwenden, so

10 Ein für die Praxis entscheidend wichtiger theoretischer Gesichtspunkt! Es kann nicht

oft und deutlich genug wiederholt werden, daß hier die Fehlschläge derjenigen Astrologen,die alles und jedes aus dem Horoskop ableiten wollen, einsetzen. Nach ihrer Auffassungwäre etwa ein Triebverbrechen kosmisch determiniert. Doch nur die konfliktbildendeSpannung des «Täter»-Elements � ist durch die Aspekte angezeigt, nicht die Entwick-lungsstufe, auf der sich das Trieb- und Dranghafte auswirkt.

18

müssen wir uns klar sein über den oft verschiedenen Gebrauchgleichlautender Begriffe.

In einer genetischen Ordnung z. B. bleibt Trieb schlechthinTrieb in der Primitivität organgebundener Vitalziele, ohne vonsich aus in höhere Individuationsstufen zu weisen, wie das unter� begriffene Trieb- und Dranghafte. Nur allgemein spricht Rot-hacker davon, daß alle differenzierten Funktionen der oberenSchichten in den unteren bereits vorgeformt sind. Ferner hatWille in einer solchen Ordnung, die ihn gegensätzlich abhebtvom untersten Bereich, der bloßen Vitalität, durchaus den Inhaltdes rationalen Willensbegriffs, obzwar bei Wellek getrennt vomVerstande angeführt. Er wird gedacht als Agens dessen, was beiRothackers «Ich» (kortikale Person) den Bezugspunkt des per-sönlichen Verhältnisses zur Welt darstellt, abgenabelt von derWirkungsweise des «Es» (Tiefenperson). So verstandener Willeweist nicht ebenfalls nach unten wie das unter � begriffene Le-ben-Organisierende.

Spürbar jedoch tendiert Wellek noch zu einem anderen Struk-turbegriff und meidet eine Überspannung des genetischen Stu-fenschemas; in der Bestimmung «tieferer» Regungen sucht ereine Ordnung auf den «Kern» der Struktur hin, den er im Gemütsieht, «zweieinig mit dem Gewissen». Hier wird die mittenhafteRolle wichtig, die er wegen der «Allgegenwart der Gefühle imErleben» und ihrer «diffusganzheitlichen Beschaffenheit» demGefühl gibt, in weitgehender Annäherung an unser Element �(vgl. Bd. I, S. 78, Abb. 1). Wir verstehen nur das Diffuse diesesElements gegensätzlich zum - gleichfalls in alles übrige ein-greifenden - Konturierten des im Schichtenschema fehlendenElements �; diesem Grenzsetzenden schreiben wir in der Kern-struktur die Entsprechung «Gewissen» zu, «Gemüt» für � vorbe-haltend. Der «diffusganzheitlichen» Beschaffenheit des Lunarensetzen wir also die «konturiertganzheitliche» des Saturnalen ent-gegen, die in anderer Hinsicht wiederum der «zentriertganzheit-lichen» des Solaren gegenüber steht. Diese für ��bezeichnendeZentrierung finden wir im «Leben in mir» lediglich auf entwick-lungsmäßig tieferer Stufe als im «Ich», wo es sich transformiertin «Leben, dem Selbstbewußtsein wert, gelebt zu werden»; dem-

19

gemäß ist eine der Entsprechungen dieses Symbols der Gesamt-Lebensantrieb, einschließlich naturhafter Steuerung des Han-delns, eine andere Entsprechung die verantwortliche Willensbil-dung, und in der Kernstruktur gilt dafür «Eigenverantwortung».

Ebenso wie das Grenzsetzende, fehlt in der genetischen Stu-fung das Sinngebende, �, das Element produktiver Reife, Erfül-lung und Vollendung, möglich auf jeder Individuationsstufe(jeder gleich nahe seinem Guten, Bestmöglichen). Hierin nichtabgeschlossene Entwicklungsziele gehen in «Phantasie» mit ein,die wir in ihrer bildprojektiven Eigenart sowie dem, was bei Rot-hacker «Kind in mir» heißt, dem Lunaren zuordnen, zugleich einAuffangbereich für �, soweit es sich um visionäre Überschrei-tung der saturnalen Erfahrungsgrenze handelt. Phantasie nimmtdemnach am «Diffusganzheitlichen» teil als ein mehrere Kom-ponenten verbindender Begriff.

Es hat, wie gezeigt, gewisse, in den verschiedenen Ansätzenund Ordnungsgedanken begründete, aber nicht unüberwindlicheSchwierigkeiten, mit der Charakterologie zu einer gemeinsamenSprache zu kommen. Diese Unterschiede wollen ins Auge gefaßtsein; sie zu Übergehen, würde leidige Verwechslungen hervorru-fen und aneinander vorbeireden lassen, während die Beachtungder Blickweisen das unterschiedliche Verhältnis zum selben Ge-genstande klärt. Zugleich besagt dieser Hinweis, daß weder derastrologische Ansatz ersetzbar ist, noch etwa eine Entbehrlichkeitder Charakterologie durch die astrologische Menschenkunde an-gestrebt wird.

Die als Beispiel gewählte Charakterologie Welleks bahnt wei-terhin eine Durchpolarisierung der Bereiche bezw. Schichten(mit dreimaligem Blickwechsel) nach typologisch herausgear-beiteten Begriffen an; auf diese Weise gelangt Wellek zur Man-nigfaltigkeit charakterlicher Erscheinungen, zu Charakterzügenoder Eigenschaften. Sein polarer Aufbau zielt nicht auf die «tri-viale» Tatsache gemeinhin festgestellter gegensatzhaltiger, jawiderspruchsvoller Charaktere, sondern auf Polarität als wesent-liche Eigentümlichkeit des Charakteraufbaues, erfaßt in der Ko-existenz von «Typ» und «Gegentyp». Seine Aufstellungen ent-halten vieles, was in den kreisläufigen Systemen der Astrologie

20

wieder auftaucht. Bei dieser freilich kann es sich immer nur umErscheinungen innerhalb der astrologischen Aussagegrenzenhandeln, nicht um etwas, das auf moralischen Urteilen, Bewer-tung als Vorzug oder Mangel, sowie entwicklungsmäßiger Diffe-renzierung beruht.

Hinsichtlich des Charakter-Grundbaues ist Welleks polaristi-scher Baugedanke mit jeder Setzung und Gegensetzung der inunserem Kreis geordneten Begriffe verwirklicht. Doch unter-scheiden wir von dieser Rolle der Polarität im Aufbau des kreis-läufigen Systems die Kräfte-Widersprüche und anderenSpannungsformen (unter «Aspekte» dargestellt, I. Bd.), aus de-nen die aktuellen Probleme hervorgehen; die hier verankerte Ge-gensatzhaltigkeit der Charaktere, besonders der spannungs-reichen Genialen, erscheint mir gar nicht so trivial. Nur müssenwir sie eben unterscheiden von den Polaritäten des allgemeinenGrundbaues, die beim Akutwerden der Probleme mitspielen imSinne des gegensätzlich Zusammengehörigen jeweils betonterKreisabschnitte. «Betont», dies meint Standort der Planetensym-bole im Kreis, und so führt weiterhin die messungstechnischeErmittlung der Charakteranlagen zu den der Astrologie eigen-tümlichen Begriffen. Mars bleibt Mars - der Planet -, ob er imOsten oder Westen des Tageskreises, im Frühlings- oder Herbst-punkt des Jahreskreises steht. Doch die unter � symbolisierteWesenskraft erfährt damit eine Abwandlung; das heißt, denKräften sind zwei - variabel ineinandergeschaltete Sphären zuge-ordnet, in denen sie nach Ausdruck und Richtung modifiziertwerden. Die Substanz der Deutung liegt in den Kräften, dieSphären betreffen Form und Ziel ihres Wirksamwerdens. Mitdem Ausdruck «Kraft» gehen wir hinaus über die Neutralität von«Bereich», sehen darin also eine Wirkfähigkeit, eine Bereit-schaft, zur Äußerung zu kommen, und zwar nicht erst dann,wenn geeignete Entfaltungsbedingungen vorliegen, sondern unterUmständen selbsttätig sich solche Bedingungen verschaffend.Die Sphären enthalten demgegenüber nur «Leerformen» derVerwirklichung. Auf diese, die Abwandlung der Kräfte in derLebensmannigfaltigkeit mit darin zutage tretenden Extremen,bezieht sich der Aufbau des kreisläufigen Systems, das beiden

21

Sphären zugrunde liegt: Ansprechbarkeiten, Temperamente, Ar-ten des Verhaltens, Ansätze der Begabungen in der einen, Er-wartungen, Zielrichtungen in der anderen Sphäre.

Hier kommt aber ein Punkt, an dem fraglich wird, ob gewohntecharakterologische Begriffe zur Übersetzung genügen. Die imKreis liegende Dynamik überschreitet streng genommen die sta-tische Struktur von «Eigenschaften», sie leitet über ins Umweltli-che und darauf abgestimmte Haltungen, Leistungen, Änderungender Verlaufsgestalt. Das kreisläufige System bezieht sich auf denGrundbau des Charakters in der Weise, daß es ihn auf Umwelthin entworfen zeigt. Damit hebt sich die Unverbundenheit zweierBlickweisen auf, deren eine den Charakter des Menschen als ge-schlossenes Ganzes, und deren andere - abgetrennt, nach unver-gleichlichen Maßstäben - sein Hineingestelltsein in ein sozialesFeld anvisiert: dort der Einzelne für sich mit seinen Eigenschaf-ten, da die ihn einschränkende oder fördernde, lediglich als ihrenExponenten ihn gelten lassende soziale Mitwelt. Beide Blickwei-sen sind als ergänzender Gegensatz im Kreissystem verankert,dieses kreist um einen gemeinsamen Schwerpunkt. Wohl hat dieCharakterologie schon immer die Hinwendung zum Mitmen-schen beachtet und als Beeinflußbarkeit, Anregungs- und Ergän-zungsbedürfnis, Nachahmungstrieb, Interventionismus, Impo-niergehabe usw. in empirische Eigenschaftsbegriffe zu fassengesucht, wenn sie nicht ethisch gefärbte Begriffe wie Altruismus,Aufopferung usw. einführte; wohl stellte Spranger den «sozialenMenschen» als einen eigenen Typus auf, in dem der Gemein-schaftsgeist als Urtrieb der Seele herrscht. Worum es uns aberhier geht, ist das Verständnis der Individualität in einem von Ge-burt an vorhandenen strukturellen Bezogensein auf die sozialeMitwelt.11 Wie gerade die Praxis der heutigen Gruppentherapie

11 Am nahesten streift an dies Problem Otto Tumlirz, «Anthropologische Psychologie»(Ernst Reinhardt Vlg. München/Basel, 1955). «Das Ich ist nicht allein auf das Nicht-Ichgerichtet, dieses ragt auch umgekehrt in das Erleben des Ichs herein, und zwar ebenso alsgegenständliche Außenwelt wie als persönliche Mitwelt der Mitmenschen und als überper-sönliche Welt der Werte und geistigen Güter.» Die Eigenart des Erfassens von Außenweltsieht T. in Erbanlagen gegründet, sowie bis zu gewissem Grad durch Umwelt geformt,gefördert oder gehemmt; Triebwelt, Rasse usw. bestimmen das mitmenschliche Verhältnis.Jedoch seinem Satz «Eigenwelt und Fremdwelten gehören untrennbar, aber in polarer

22

zeigt, gibt es sowohl Verwandelbarkeit starrer Verhaltensweisen,als auch persönliche Bevorzugungen in der Wahlsituation, wes-halb der Erfolg oder Mißerfolg therapeutischer Einwirkung weit-gehend durch Auswahl der Patienten und richtige Zusammen-stellung der Gruppe bestimmt wird.12 Astrologie erfaßt nun denEinzelnen als Sonderfall der allgemeinen Menschennatur anla-gemäßig eingebaut in das Kollektiv. Unter Kollektiv verstehe icheine Gruppe von Menschen meinesgleichen, wenn auch mit Art-und Niveauunterschieden, die in der gesammelten Macht der An-schauungen, Gewohnheiten des Umgangs usw. mir wie ein selb-ständiges Wesen gegenübertritt. Genau untersucht ist aber dies«Fremde» mehr oder weniger Teil meines «Eigenen», wenigstensdem Prinzip nach, und die Stellungnahme so oder so zu dem,woran ich teilhabe, in bestimmten Anlagen vorgeformt. Was ver-einseitigt schlechthin sozialwertig gilt, enthält zugleich individu-elle Aufbauwerte.

Merkwürdig mag es manchen anmuten, daß so der ältesteVorläufer menschenkundlicher Betrachtung spezifisch heutigeEinsichten aufzunehmen vermag, daß die astrologische Konse-quenz zu einer Art von Atomtheorie der Soziologie führt! Docheben damit hängt die Lösung des Kreisproblems in der Dialektikseiner Gegenüberstellung von Eigen- und Fremdwerten zusam-men. Die Bildung sozialer Gruppen kommt nicht zustande ohnegewisse Bereitschaften, anlagemäßig vorhanden in den Individu-en. Diesen Verklammerungen entgegen stehen die Ausklamme-rungen, bezw. persönlichen Abgrenzungen und Familien-egoismen, die Reservate der Selbständigkeit, des natürlichen Ei-genlebens. Derartige Anlagen erstrecken sich auf Grundhaltun-gen des sozialen Bezugs, als solche gar wohl zu unterscheidenvon habituellen Einstellungen auf das Zeitgemäße, das Klassen-

Spannung und Gegensätzlichkeit zusammen» kann erst auf astrologischer Basis, verstandenim Sinne anlagemäßigen Eingebautseins des Einzelnen in die Gruppe, der richtige anthro-pologische Ort gegeben werden.

12 Vgl. H. R. Teirich, «Soziometrie und Gruppenpsychotherapie», Zeitschr. f. Psycho-therapie u. Medizinische Psychologie, 1957, Heft 2, dort ausgiebige Literaturangabe. - Dievon Moreno ausgebaute Soziometrie sucht die psychischen und sozialen Strömungen in-nerhalb einer Gruppe, experimentell ermittelt, in Diagrammform darzustellen. Diese Sozio-gramme beweisen, daß Gruppenbildung niemals zufällig oder ziellos ist.

23

bedingte und Landesübliche. Sie sind nicht Ergebnis des ge-schichtlichen Werdens sozialer Wirklichkeit, sondern ihre ge-schichtslosen Voraussetzungen.

Mit dem Aufdecken dieser Zusammenhänge befreien wir unsvon der suggestiv-hypnotischen Einwirkung der altüberliefertenBilder, als sei im historischen Gewand der Astrologie ihr letzterSinn beschlossen. Zugleich entgehen wir durch den Mannigfal-tigkeitsgrad der sich ergebenden Kombinationen den Starrheiten,zu denen typologische Vereinfachung verleitet. Der Typus ist einkonstruierter Idealfall. In Wirklichkeit treffen wir den Menschenstets «unrein» an, nämlich in konkreter Vielfalt von Anlagen,deren jede erst durch Vereinseitigung den «reinen» Typus ergä-be. Diesem Sachverhalt entsprechen wir durch Vorstellung einesrealen Miteinanders verschiedener Achsen in einem und demsel-ben Menschen, die Pole geben jeweils extreme, wenn man willals «Typen» beschreibbare Ausprägungen an. Die Achsenschneiden sich in der Mitte des Kreises, dem Schnittpunkt allerMöglichkeiten differenzierender Aussagen, die aus Art, Stärkeund Lage der betonten Punkte an der Peripherie folgern. DasVerhalten, die Handlungen der Menschen verstehen wir abernicht allein aus einem abgeschlossenen Charakter. Dessen Ge-gensatzhaltigkeit, betreffend unmittelbaren Ausdruck und Inter-essenlage, überhöht sich in den Widersprüchen, welche diesoziale Wirklichkeit uns aufzwingt, wenn wir darin uns darlebenund bestimmte Interessen verfolgen. Hier wird der Unterschiedder beiden Sphären wichtig. Die Herausbildung habitueller Ein-stellungen erfolgt offenkundig stärker bezogen auf die Interes-sensphäre (Häuser der alten Astrologie), hauptsächlich in sie gehtein, womit sich die «soziale Feldforschung» befaßt, das jeweiligeHandeln unter dem Einfluß der Sozietät. Die Ausdruckssphäre(Tierkreis) betrifft die weniger beeinflußbaren naturhaften Reak-tionen auf Umwelt, in verdeckterer Form liegt ihr jedoch diegleiche Polarisierung zu Grunde.

Wir erhalten einen Rahmen, der bleibende Charakteranlagen insich faßt und gleichzeitig ein Schema für weitergehende Ent-wicklung darstellt, bezw. hinzutretende Erwerbungen denselbenMaßstäben einordnen läßt. Insofern die Beziehung der Ab-

24

schnitte einer bestimmten Verlaufsrichtung folgt, bekommt derKreis,- den wir eingangs als statisches Anordnungsschema be-trachteten, eine Dynamik, wird er zum «kreisläufigen System».Der Drehsinn des Kreislaufs betrifft dasselbe, was Viktor v.Weizsäcker in seinem «Gestaltkreis»13 untersucht, das Verhältnisder Pole von Bewegung und Wahrnehmung, die Beziehung zwi-schen Ich und Umwelt (einschl. sozialer Mitwelt, Gemeinschaft):zwei einander ergänzende Einflußrichtungen, des Ichs auf dieUmwelt und der Umwelt auf das Ich.

In der ursprünglich auf Austausch mit der Umwelt angelegtenNatur des Lebendigen, nicht in «Gestirnwirkungen», sehe ichsomit die Grundlage der zwölf Prinzipien, ihrer Gegensätze undanderen Symmetriebeziehungen, ihrer Aufeinanderfolge von ei-nem Ausgangspunkt bis zur Rückkehr in diesen. Erinnern wiruns des Bildes der zylindrischen Spirale, so haben wir in diesemkreisläufigen Bezugssystem keine starre Wiederholung «immerdesselben», sondern wiederkehrende, Streben, Entwicklung, Ni-veauverschiebung zulassende Prinzipien der Selbstentfaltung.

Der kosmobiologische Umweltsbegriff

Grundlagenforschung in der Astrologie hat vor allem zu klären,auf welcher Ebene des Seins ihre Fundamente ruhen. Im erstenBande legte ich dar, ausgehend vom Stufenbau der materiellen,organischen, seelischen, geistigen Ebene, daß ich diese Funda-mente eine Stufe höher ansetze als auf der materiellen Ebene, dieuns Anhaltspunkte zur Erstellung des Meßbildes liefert, sowieeine Stufe tiefer als auf der seelischen, zu der unsere charaktero-logische Deutung Bezug nimmt: in der Welt des Organischenalso. Gleicherweise wie die «Planeten» der zu deutenden Kon-stellation als Symbole für organische Bildekräfte aufgefaßt wur-den, sind nun auch «Tierkreis» und «Häuser» der altenAstrologie einem Verständnis als Kategorien des Organischennäher zu bringen.

13 Viktor v. Weizsäcker, «Der Gestaltkreis», Thieme Leipzig, 1940.

25

Es mag als dahin gerichtete Tendenz gelten, wenn unter denverschiedenen Erklärungshypothesen für den Tierkreis sich heutedie Jahreszeiten-Analogie einiger Beliebtheit erfreut. Sie gehtbereits zurück auf Andeutungen bei Claudius Ptolemäus (Tetra-biblos) und sein offenbares Bestreben, mythische Bilder durchNaturvorstellungen zu ersetzen. Die Tierkreis-Erklärung wirddamit abgehängt vom Kreis der ekliptischen Sternbilder, derenstetige Verschiebung zum Frühlingspunkt (sog. Präzession) seitlangem bekannt war; die Ursächlichkeit verlegt sich in einenSonnenkreis, auf die Bedeutung der Sonne für den alljährlichwiederkehrenden Wandel in den Lebenserscheinungen. Ein-drucksvoll ist ja das Bild des Jahres besonders in unseren mittle-ren Breiten, wobei das Hervortreten der Extreme zur Zeit derWendepunkte den beiden Tag- und Nachtgleichen die Rolle vonUmschaltepunkten zuteilt. In diesem komplexen Erscheinungs-bild, vornehmlich der Pflanzenwelt, ergeben sich als natürlicheQuadranten eines Kreislaufs: I Keimung und ansteigendes Wirk-samwerden organischer Bildekräfte im Frühjahr, II sommerlicheHöchstentfaltung, Ausformung und Befruchtung, III beginnendesEinziehen äußerer Wirkkräfte und Abstoßen der Frucht imHerbst, IV vollzogene Wendung nach innen und winterlicheUmorientierung auf ein Wiederentfalten. Die hiermit in großenZügen thematisch bestimmte Norm macht einen Gesamtablaufsinnfällig, aus dem sich artmäßige Besonderheiten als Variantenausgliedern.

Bei raschfertiger Einteilung in Frühlings-, Sommer-, Herbst-und Wintermenschen, sowie in den oft bilderreich ausge-schmückten Darstellungen dieser Theorie - wie schön etwa er-klärt man den rauhen, zersetzenden «Skorpion» aus denHerbststürmen, der vermodernden Sommerpracht! - wird nurmeist eines übergangen. Auf unserer südlichen Halbkugel liegendie Jahreszeiten gegensätzlich zu denen auf der nördlichen, dieBedeutung der entsprechenden Abschnitte kehrt sich jedoch nichtum. Allerdings gibt es Auffassungen, die, wenigstens andeu-tungsweise, dies in Betracht ziehen und an einen Rhythmus fort-laufender Entfaltungen auf der Erde denken, der mit demHerbstpunkt auf die Südhalbkugel sinkt und mit dem Frühlings-

26

punkt wieder zur Nordhalbkugel steigt.14 Ein Gesamtrhythmusder Erde wird also zweierlei - um die Halbzeit verschoben ablau-fenden - Ausprägungen unterlegt. Wenig jedoch kann es über-zeugen, wenn dieser pendelnde Gang in einen Einfluß-Kausalismus hineingepreßt wird, der gleichförmig zum Ausdruckkäme bei den auf verschiedenen Schauplätzen geborenen Indivi-duen, zumal dabei die Verhältnisse der Äquatorzone und der Po-largebiete ganz unberücksichtigt bleiben. So verstandenerscheinen einfach die Jahreszeiten unserer nördlichen gemäßig-ten Zone schablonenhaft auf alles übertragen. Geringe Stützebieten dann die mit Abstand betrachtet wertvollen Hinweise auftatsächliche jahresperiodische Erscheinungen beim Menschen.15

Zweifellos ist der Rhythmus des Jahres (ihm eingehängt derje-nige des Tages) grundlegend für das Erdenleben. Auch hat dieJahreszeiten-Analogie gewisse inhaltliche Berechtigungen für dievegetative Seite der Menschennatur und lehrte ferner Quadrantenzusammenfassen, eine Verlaufsgestalt des ganzen Kreislaufs se-hen. Was aber von Klima, Wetter und dergleichen abhängt undvereinigt mit lokalen Bodenverhältnissen das Erscheinungsbildbestimmt, kann für das Problem des Tierkreises nur von sekundä-rer Bedeutung sein. Von primärer ist das darin steckende Ord-nungsmäßige; es gilt ja zu erfassen, was Bezug hat auf denKosmotypus als Zwischenglied zwischen Phänotypus und Ge-notypus (vgl. Bd. I, S. 11). Dies lenkt das Augenmerk auf dieHerstellung periodisch wiederkehrender Bedingungen, in welchedas artverschiedene Leben auf der Erde, sowohl der Nord- alsauch der Südhalbkugel, versetzt wird. Die in schräger Achsenla-ge vollführte Bewegung der Erde um die Sonne ist es, derenProjektion an den Weltraum-Hintergrund den Kreis der Sternbil-

14 Frh. v. Klöckler, «Kursus der Astrologie» Bd. II, 5. Auflage, Hermann Bauer Verlag,

Freiburg im Breisgau 1978.15 Eine reiche Materialsammlung brachte W. Hellpach in «Die Geopsychischen Erschei-

nungen» (Engelmann Leipzig, 2. Aufl. 1917, 4. Aufl. 1935 unter «Geopsyche»), betreffendkörperliche und geistige Leistungsfähigkeit von Schulkindern, Erregungszustände bei Gei-steskranken, Häufung der Selbstmorde usw. - Hierher gehören auch die Untersuchungenvon de Rudder, ein besonders interessantes Kapitel sind die sog. «Saisonkrankheiten» mitgegensätzlichen Monaten des Auftretens auf den Halbkugeln. - Vgl. meine Zusammenstel-lung in «Das Lebewesen im Rhythmus des Weltraums», DVA Stuttgart, 1939.

27

der ergibt und dies die Ekliptik umsäumende Band uns in einerregelmäßig auf- und absteigenden, nach rechts oder links rücken-den Bewegung erscheinen läßt. Ins Gewicht fällt ferner der Um-stand, daß die Bahn der Erde keine rein kreisförmige, sonderneine schwach elliptische ist, womit Extreme der Sonnennähe undSonnenferne sowie eine an verschiedenen Punkten der Bahn ver-schiedene Geschwindigkeit der Erde korrespondieren.

Hier setzen ernst zu nehmende Bemühungen um Herausarbei-tung eines physikalischen Unterbaues der Tierkreisordnung an,insbesondere seien die Namen E. M. Winkel und W. Hartmanngenannt.16 Eine eingehende Auseinandersetzung damit muß ichmir an dieser Stelle versagen, als zu weit abführend vom gestell-ten Hauptthema: der Lebensreaktion. Der energetisch-quantita-tive Ausdruck des Ordnungsbildes, das wir mit Jahr und Tag um-schreiben, wird auch von den genannten Autoren als Reiz auf denOrganismus aufgefaßt. (Ihr Einstieg in die Lösung des Problemsist daher keineswegs zu verwechseln mit den im astrologischenSchrifttum oft ad hoc konstruierten «zwölf Kraftfeldern», ausdenen die Deutungsinhalte ursächlich herstammen sollen!). Rei-zerregung gehört zu den materiellen Bedingungen der Lebens-äußerung, impliziert aber noch nicht die Art der Reaktion, diedem Organischen eigene Antwort auf den Reiz. Dies ist der

16 E. M. Winkel «Naturwissenschaft und Astrologie», Dom Verlag, Augsburg, 1927. W.

geht aus von der verschiedenen Näherungsgeschwindigkeit (radiale Bewegung der Erde aufdie Sonne zu oder von ihr fort) und sieht die Anwendung des Dopplerprinzips berechtigt; erlegt zu Grunde, daß Energiequantum und Ausdrucksänderung seiner Dynamik sich propor-tional dem Bewegungsverhältnis zwischen Erreger (energiestrahlende Sonne) und Empfän-ger (Organismus als irdisches Elementarteilchen) verändern. In der Durchführung diesesGedankens kommt W. zu menschlichen Verhaltenstypen, analog den einzelnen Bahnab-schnitten. - Wilhelm Hartmann, «Die Lösung des uralten Rätsels um Mensch und Stern»,Ulrich & Co., Nürnberg, 1950. H. faßt die Ekliptik mit Sonne, Mond und Planeten als einFeld auf, dessen Zustand sich im Geburtsaugenblick - abklingend mit den Zuständen weni-ge Stunden danach - dem Neugeborenen als Schockwirkung überträgt. Bei der «Bewe-gung» der Ekliptik relativ zum «ruhend» scheinenden Standort auf der Erde stellt H. denWechsel von 4 relativen Bewegungsarten in Betracht. Die Umschaltung erfolgt an denÄquinoktien und Solstitien, wobei in jedem Quadranten 2 Bewegungsarten ineinandergrei-fen: in I abnehmende Linksdrehung, zunehmende Aufwärtsbewegung, in II zunehmendeRechtsdrehung, abnehmende Aufwärtsbewegung, in III abnehmende Rechtsdrehung, zu-nehmende Abwärtsbewegung, in IV zunehmende Linksdrehung, abnehmende Abwärtsbe-wegung. Hier knüpft H. mit seiner Impuls- und Schocktheorie an, um die Einwirkung aufdas Lebende, aufgespeichert in Form von Engrammen, zu erklären.

28

springende Punkt; so sehr wir uns um einen quantitativen Nach-weis der Kreiseinteilung und tatsächlich ausgeübter Reize mühenmüssen, die Auslösungsweise und damit die uns angehenden In-halte folgern aus autonomen Ordnungen des Organischen. Wirdürfen nur einen Rahmen zur Einordnung von Urphänomenendes Lebens erwarten, die also in das Erscheinungsbild des Jahreshineingeborgen sind und darin abgewandelt nach sekundären Be-dingungen zum Ausdruck kommen.

Was den energetisch-quantitativen Unterbau anbelangt, so wä-re der Forschung ein schlechter Dienst erwiesen, wollte man ver-kennen, daß wir wenig über die Teilung in Quadranten, wie sieschon Kepler anerkannte, hinausgekommen sind. Innerhalb der 4kardinalen Punkte folgt der Rhythmus nicht etwa einem ruckwei-sen, dreigestuften Energiegefäll, das in genügend markierterSchärfe den Nachweis einer Zwölfteilung des Ganzen darböte.17

Richten wir den Blick kritisch auf diese noch bestehende Lücke,so kommen wir weiter, als wenn wir sie mit pseudo-physi-kalischen Behauptungen (vermuteten Kraftfeldern) zudecken.Auch bei den Aspekten lag die Sache ähnlich, materielle Wir-kungsbilder bei 180° und 90°, fehlende bei 120°, 60°, Proportio-nen, die aber in Saitenteilung und Gestaltung auftreten.18 DerBefund stimmt merkwürdig überein mit Überlieferungen desDenkens in Ordnungszahlen, das schon immer in der 4 die mate-rielle Zahl, die des Kreuzes, der Elemente usw. sah, in der 3 da-gegen die Schöpfungszahl, die der produktiven lebendigenEntfaltung; (vgl. Anm. S. 87) es fragt sich, ob darin nicht noch

17 Für die Tageskurve macht allerdings E. M. Winkel aus erdmagnetischen Schwankun-

gen, wie sie durch die Geophysik festgestellt wurden, einen dreifachen Rhythmus innerhalbder Quadranten geltend. Die sog. Spitzen der «Zwischenhäuser» wären demnach nicht alsgleichwertige Teilhöhepunkte aufzufassen, sondern als Bestandteile einer bestimmten Kur-ve, mit fließenden Übergängen. - W. Hartmann sieht bezüglich der Ekliptik eine Differen-zierung innerhalb der Quadranten dadurch vorgezeichnet, daß Zu- bezw. Abnahme derbeiden sich überschneidenden Bewegungsarten im umgekehrten Verhältnis steht, was sei-ner Darlegung nach mannigfache, der astrologischen Erfahrung entsprechende Gesichts-punkte ergibt: gleichfalls in fließender Gestuftheit zu denken.

18 Vgl. Bd. I, S. 245 ff. Erst neuerdings bringen Untersuchungen von R. Tomascheküber Erdbebenhäufigkeit bei bestimmten Konstellationen ein Auftreten des Winkels 120°.Vgl. R. Tomaschek «Kosmische Kraftfelder und astrale Wirkung», Ebertin-Verlag, Aalen,Württemberg, 1959.

29

mehr als «Zahlenspielerei» steckt, nämlich ein intuitives Erfassender sich einbauenden Lebensordnung. Das kreisläufige System,von dem hier die Rede ist, betrachten wir jedenfalls als Ord-nungsformel organischen Lebens, nicht die in ihr befaßten Le-bensäußerungen als Niederschlag und Folge anorganischerUrsachen. Wollte man aus dem Mangel exakt materieller An-haltspunkte für die Zwölfteilung die weitere Untersuchung aus-setzen, dann wäre es ebenso, als würde man in der Biologiemorphologische Fragen beiseite stellen, weil Gestalt mechani-stisch nicht befriedigend erklärt werden kann.

Gerade Gestalt, Gesamtregulation innerhalb der gestaltetenGanzheit, also mechanistisch Unerfaßbares, ist in den astrologi-schen Aussagebezirken enthalten. Was besagt es denn, daß unterUmständen der Aszendent einer Versuchsperson ihr vom Ge-sicht, aus Gang, Gliederbau und Gebärde, aus dem ganzen ange-botenen Gehabe abgelesen werden kann? Auf welcher Grundlagesind (unter der im I. Bd. erläuterten «Wenn-Dann»-Voraus-setzung) körperliche Krankheitsdispositionen aus dem Meßbildeerschließbar? Die Grundlage kann nur dort liegen, wo physio-gnomische Betrachtung sowie Begriffe wie Gesundheit undKrankheit anwendbar sind: im Organischen, gesehen als eigenge-setzliche Ebene zwischen dem Materiellen und dem Seelischen.Schon jede Aussage über Temparament rührt an die körperkon-stitutionelle Unterbauung seelischen Geschehens, weist in leib-seelische Zusammenhänge hinein und die darin bedingte Form,mit welcher seelische Energie auf Reize der Umwelt anspricht.Sind Aussagen dieser Art aus dem astrologischen Meßbildemöglich und wollte man die Erscheinungen kausal ableiten vonden Gegenständen, die zur Ausmessung dienen, dann müßte manaus dem Weltraum kommende organismisch richtende, gestalt-bewirkende, krank oder gesund machende Energien annehmen.Statt auf diese Weise die Begriffe der Physik zu überspannen,nehmen wir eine Schwenkung vor und legen die Ursächlichkeitin die autonome Lebensgestaltung, sich einordnend in kosmischeUmraumsverhältnisse. Begriffen wir die «Planeten» als Symboleorganischer Bildekräfte, so verstehen wir nun «Tierkreis» und

30

«Häuser» als Bezugssysteme ihrer Äußerung im Verhältnis desOrganismus zur Umwelt.

Unseren heutigen, der Eigenständigkeit des Organischen ent-sprechenden Begriff der Umwelt verdanken wir Jakob von Uex-küll.19 Demzufolge hat jedes Tier seine eigene Umwelt,diejenige, auf die es in seiner Organisation angelegt ist. Vorge-formt liegt in seinen Sinnesorganen (Rezeptoren) die Struktur desWahrgenommenen (Merkwelt), sowie in seinen Tätigkeitsorga-nen (Effektoren) die Struktur des praktisch wirksam Beherrsch-ten (Wirkwelt). Diese arteigenen Strukturen entscheiden überseinen Ausschnitt an «Welt», seinen Anteil am Naturganzen. AufGrund des «Plans» seiner Anlage - des Baues, der Wahrnehmungund Tätigkeit, der Entfaltung, Reifung und Selbstregulierung - istder Organismus harmonisch eingepaßt in seine ihm genügendeUmwelt.

Wenn Uexküll in seiner Spätzeit den Gedanken ausspricht, daßdiese Pläne einer zusammenfassenden Planmäßigkeit der Naturangehören, so setzt dies nicht notwendig einen planenden Geistaußerhalb des Organischen voraus. Ein solcher hätte für natur-wissenschaftliche Blickweise das Unbefriedigende der «Ente-lechie», sofern man diese nicht als innewohnende Zielstrebigkeitdes Lebendigen versteht, sondern als gedachte Form, die sich imStoff verwirklicht, solchermaßen Gestalt, Ordnung aus Eigen-heiten unseres Intellekts erklärend. Das Eingreifen derartigerFormideen in die Materie kann keinesfalls so hinreichend plausi-bel gemacht werden, daß sie nicht einen im Grunde fremden Ein-dringling, bezw. in Nicolai Hartmanns Ausdrucksweise eine«kategoriale Grenzüberschreitung von oben her» darstellen wür-den. Für das organisch kosmologische Denken jedoch liegt dasOrdnende im Organischen selbst, treibt es von innen her zurSelbstentwicklung und -vollendung. Das Wesentliche des neuenbiologischen Umweltsbegriffs besteht im Unterschied zurGleichgültigkeit bloßer Umgebung, etwa der Umgebung eines

19 J. v. Uexküll, «Theoretische Biologie», Gebr. Paetel, Berlin, 1920; «Umwelt und Innenwelt derTiere», Julius Springer, Berlin, 1921; einen guten Überblick vermittelt «Bedeutungslehre», sowie, mitG. Kriszat und einem Vorwort von A. Portmann herausgegeben, «Streifzüge durch die Umwelten vonTieren und Menschen«, Rowohlt, Hamburg, 1956.

31

Minerals, objektiv vorhanden «im» Raum des Physikers, «ne-ben» und «mit» anderen, gleichen Gesetzen gehorchenden Kör-pern. Die biologische Umwelt hat ihre Mitte in einem lebendenSubjekt, von dem ihm eigene Beziehungen zur Welt ausgehen. Indiesem Beziehungsfeld tragen die Dinge, auf die es anspricht,bestimmte Bedeutungen, sie sind Merkmale oder Signale zurAuslösung wesenseigener Reaktionen.

Die vielfachen Beobachtungen über das Eingepaßtsein organi-schen Lebens in kosmische Perioden20 nötigen uns zu folgenderÜberlegung.

Kein Organismus ist völlig abgeschlossen, sich genügend, son-dern nur in Umweltsbeziehungen lebensfähig. Die biologischeUmweltsauffassung zeigt uns das Lebewesen in Harmonie mitseiner ihm angemessenen Umwelt, als Eigenkosmos. Wo aberendet diese Umwelt? über die in Organen - Werkzeugen von Ma-schinencharakter - begründete arteigene Merk- und Wirkwelthinaus wird letzte Harmonie erst im makrokosmischen Zusam-menhang gewährleistet. In resonanzmäßig latent vorhandenenund gelegentlich aktivierten Beziehungen hierzu müssen wir be-gründet suchen, was einerseits einzelne Wesen und Arten inkosmische Perioden einordnet, anderseits im Gesamt des Lebensuns den Gedanken einer «großen Planmäßigkeit» aufdrängt. Beiletzterer brauchen wir uns keinen irgendwie erdachten ideellenPlan, den die Organismen mit festgelegten Entwicklungszielendurchführen, vorzustellen. Wir wissen genau genommen nur vonOrdnungsweisen. Ihre Zusammenfassung aber können wir nach-zeichnen in einer universellen Regel der Umweltsbeziehungüberhaupt, worin die möglichen Einzelvorgänge, ohne endgültigfixierte Entwicklungsziele, prinzipiell enthalten sind. Es gilt

20 Dabei finden sich Fälle erstaunlicher astronomischer Exaktheit bezüglich des Drei-körpersystems Sonne-Erde-Mond, vor allem bei Laichzeiten gewisser niederer Meerestiere;aber auch Begattungszeiten und Trächtigkeitsdauer der Säugetiere sind als Einpassung indas Jahr und den Mondmonat aufzufassen. In diesem Zusammenhang sprach ich von «or-ganischer Astronomie» (in «Das Lebewesen im Rhythmus des Weltraums»). Das Problemlautet, ob wir in dergleichen Periodizitäten die kausale Folge von Gestirnwirkungen sehenmüssen oder an eigenständige Maßnahmen des Lebens, das die Fortpflanzung seiner Artenin kosmische Perioden einbaut, zu denken haben. Die Pflanzenwelt verhält sich überwie-gend passiv gegenüber der Jahreszeitenfolge, in der Tierwelt finden wir aktivere Unabhän-gigmachung von der Bedingtheit darin.

32

demnach, diese allgemeinen Prinzipien des Umweltsbezugs und -Austausches der Organismen zu ermitteln, eine Inhaltsfolge, diesich überall dort herstellt, wo Lebendes in Beziehung zu einerUmwelt kommt.

Da wir es mit polar gegensätzlicher Ausrichtung und Funktionder Begegnung (Subjekt-Objekt), sowie mit einer in sich zu-rücklaufenden Folge von Abwicklungen zu tun haben, ergibt sichmit innerer Notwendigkeit eine kreisläufige Anordnung dieserPrinzipien. Wenn nun kosmische Kreisläufe bestimmte Rhyth-men darstellen, die für das gesamte Leben auf der Erde von Be-deutung sind - periodischer Wechsel und Umschlag lebens-notwendiger Energie -, so setzen wir die Hypothese, uns die Le-bewesen, ungeachtet ihrer konkreten Unterschiedlichkeit undvoneinander abweichenden Daseinsweise, mit dem besagtenOrdnungsschema eingebaut zu denken in diese Kreisläufe. Diesist der Kerninhalt des kosmobiologischen Umweltbegriffs.

Methodisch sind hierbei zu scheiden.- die inhaltliche Seite,Aufbau und Gliederung eines solchen Systems von Grundbe-deutungen, sowie die formale Seite, Einbau in die kosmischeUmwelt.21 Die erste hier in den Vordergrund rückend, finden wir

21 Formale Seite: Das Ordnungsschema tritt in zwei Formen auf, Tierkreis und Häuser.

Rechnerisch handelt es sich um eine Teilung im ersten Falle der Ekliptik, im zweiten Falledes Äquators in je 12 gleich große Abschnitte. Die mit den Teilungspunkten gekennzeich-neten Richtungen vom Mittelpunkt der Erde aus betreffen den Raum, in dem die beidenperiodischen Erdbewegungen, aus denen sich zeitlich Jahr und Tag ergibt, erfolgen. Einenatürliche Vierteilung des Jahres ist durch die Äquinoktien und Solstitien gegeben, desTages durch Horizont und Meridian; das letztere System liegt also für jeden Ort auf derErde anders, je nach geographischer Länge und Breite, d. h. rechnerisch ist die Äquatortei-lung auf den Ort zu beziehen. Nehmen wir jeden der beiden Kreise als Bewegungsganzes,so geben diese 4 Punkte eine Achse erreichbarer Extreme, sowie eine Achse des Ausgleichsund der Umschaltung von Energietendenzen an. Die letztgenannte Achse deckt sich mitdem Grundschnitt unseres Ordnungsschemas (Horizontalschnitt der gebrachten Diagram-me). Im sonnenbezogenen Tageskreis scheidet diese Achse Tag und Nacht, im Jahreskreisstellt sie eine Verbindung des ekliptikalen Systems mit der schräg dazu liegenden Rotation-sebene her: zweimal im Jahre (an den Tag- und Nachtgleichen) bilden die beiden Schnitt-stellen der Ekliptik und des Äquators eine Linie mit der Geraden vom Erdmittelpunkt zurSonne. Ob nun davon der Frühlings- oder Herbstpunkt als Beginn des Kreislaufs (analog«Sonnenaufgang» im Tageskreis) gelten soll, entscheidet sich nicht aus dem Bild der Jah-reszeiten (Nord- und Südhalbkugel gegensätzlich), sondern aus dem Verhältnis zur Apsi-denlinie, der Linie größter Sonnennähe oder -ferne, sowie damit gesteigerter oderherabgeminderter Intensität der Erdbewegung. Der Frühlingspunkt gilt uns als Beginn einesZusammenhangs, der mit der Wendung zur größten Sonnenferne (erreicht kurz nach unse-

33

Grundzüge einer inhaltlichen Gliederung in Uexkülls Arbeiten.Für die Einpassung der Tiersubjekte, der einfachsten wie derkompliziertesten, in ihre Umwelten stellte er das bekannte Sche-ma des Funktionskreises auf; der Inhalt geht eindeutig aus derAbbildung hervor. Er ergänzte dies allgemeine Schema danndurch Aufstellung mehrerer Kreistypen, je nachdem, ob es sichum die Reaktion von Artgenossen in der Fortpflanzung, um dieAuseinandersetzung mit Feind und Beute - bezw. auch gegensei-tige Unterstützung - in der Symbiose oder um Einbeziehung dermineralischen Welt, des Mediums handelt. Diese Unterscheidun-gen betreffen eine verschiedene Qualität und Rolle der Umwelts-dinge, Uexküll spricht vom Erlebniston, den sie haben. Wirwerden später diese Tönungen als solche der Quadranten in einzusammenfassendes Schema, das die Schnittlinie des Funktions-kreises beibehält, aufgenommen sehen.

rer Sommer-Sonnenwende) einsetzt. Ihn setzen wir analog dem Schnittpunkt zwischenEkliptik und Osthorizont im Tageskreis.

34

Nur in einem kann ich Uexküll nicht folgen. Wir müssen unshüten, das Schema einer in Organen und Instinkten festgelegtenUmwelt - zusamt der damit gegebenen geschichtslosen Harmonie- ohne weiteres auf den Menschen zu übertragen. Das Eigentüm-liche der menschlichen Situation besteht in der Heraushebungaus naturfixiertem Verhalten als ein Wesen mit «Welt» und «Ge-schichte». In der weltoffenen Menschenanlage gibt es artmäßigesVerschiedensein und zugleich Verstehen des Andersgearteten,Entwicklung auf bewußtem Wege, anwachsende Objektbewälti-gung. Während das Tier instinkthaft der Symbiose eingefügt istund bleibt, verändert der unabgeschlossene, folgerichtig weiter-gehende geschichtliche Prozeß unsere Formen der Zusammen-schlusses, die soziale Mitwelt, sowie unser Verhältnis zur außer-menschlichen Natur. Harmoniestörung ist darin nicht als bloßesNegativum, sondern als weitertreibendes Moment enthalten. Wirkommen demnach nicht ohne inhaltliche Ergänzungen aus, diegerade dies Herauswachsen aus dem Animalischen und instinkt-mäßig Festgeprägten betreffen.

Uexkülls Gedankengänge, Extrakt zahlloser Beobachtungenund in der Biologie von umwälzender Wirkung, bewegen sicheigentlich auf altem philosophischem Boden. Leben als Aus-gleich entgegengesetzt gerichteter Kräfte von Organismus undUmwelt, seine Erhaltung als Prozeß des gestörten und immerwieder hergestellten Gleichgewichts, war schon ein Grundgedan-ke in Schellings Naturphilosophie. Mit Uexküll trat eine For-schergeneration an, die sich erneut von der zwischenzeitlichherrschenden mechanistischen Betrachtungsweise abgrenzte; dieBejahung einer Innenwelt der Tiere ergab sich ihm aus der Rolledes Bildes (Merkbild und Suchbild). Darin liegt der Übergangvon der organischen zur seelischen Ebene. Steigen wir eine wei-tere Seinsstufe hinan, zur geistigen Ebene, wo mit der bewußtenSubjekt-Objekt-Scheidung unser spezifisch Menschliches grün-det, so können wir wiederum zurückgreifen auf Fichtes dialekti-schen Entfaltungsprozeß des zugleich wollenden und erkennen-den Ichs. Gemeinhin wird dieser Philosoph als subjektiver Idea-list einrangiert. Dies summarische Urteil übergeht, daß er den

35

Bezug zum vorbewußten Lebensuntergrund beibehielt in derAuffassung des Ichs als «reine Tätigkeit», die polar zusammen-gehörige Gegensetzung von Ich und Nicht-Ich galt ihm «ohneunser wissentliches Zutun in uns vorhandene. Indem dieser tätigePol in seinem leidenden (empfindenden) Gegenpol von Seitender Objekte her Bestimmung, Begrenzung erfährt, stellt die«Handlung des menschlichen Geistes» in der fortgesetzten Ver-einigung des Entgegengesetzten allmählich «ein Universum mitall seinen Merkmalen» heraus.22 Fichte erfaßte so das Weltoffeneund Geschichtliche im zweipoligen Ansatz unseres Erkennens;dieser Ansatz, in Uexkülls Funktionskreis die Schnittlinie vonharmonisch ineinander Eingepaßtem, wird damit zur Linie derEntscheidungen, durch die sich das autonome Vernunftwesenverwirklicht.

An der von Fichte, Schelling und Hegel beeinflußten Natur-philosophie wurde einst kritisiert, daß sie in Betracht von Ent-wicklungen den dialektischen Dreischritt einführte; manargumentierte, dieser verleite zu rationalen Auslegungen, die fürden empirischen Beobachter der Natur nicht stichhaltig seien.Was indes in der strengen Naturkausalität keinen Platz hat, kannsehr wohl in einem finalen Bedeutungssystem zu Recht gelten.Ein solcher Dreischritt steckt schon in der thetisch-antithetischenSicht des Verhältnisses von Organismus und Umwelt, deren Ver-einigung in einem Dritten, dem zusammenschließenden Funkti-onskreis, die Lebenserscheinungen hervorbringt. Wir betrachtendie Dinge bereits in dieser Denkform, sobald wir das Lebewesennicht objektivistisch nur als materiellen Körper beschreiben, son-dern als Subjekt in die Mitte seiner Beziehungs- und Bedeu-tungswelt gestellt sehen. Uexküll hat die Fruchtbarkeit solcherBetrachtungsweise gezeigt, fruchtbar, weil er sich auf Bedeutun-gen (Merk- und Wirkmale), die in den Lebensvorgängen selbstaktualisiert werden, beschränkte. Für deren Verständnis ist diesvon unleugbarer Aufschlußkraft und trifft genau das, worin dasLeben über maschinenmäßig-physiologische Abwicklungen hin-ausgeht.

22 Citate aus J. G. Fichte, «Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre», FritzEckardt Verlag, Leipzig, 1911.

36

Weitaus ungewohnter freilich mag die Anwendung des dialek-tischen Dreischritts auf die Gliederung unseres Ordnungssche-mas sein, wie in der nachfolgenden Allgemeindarstellungdurchgeführt (S. 85 ff.). In ihm aber liegt der Schlüssel für dasentwickelnde Fortschreiten im Kreis und die systematischeDenkbarkeit dessen, was mit der altüberlieferten Qualitäten-Dreiheit gemeint war. Hierdurch wird jeder Quadranteninhaltdreifach abgewandelt, wie ebenso von den 4 kardinalen Punktenaus der Dreischritt durch das Gesamtmaß des Kreises hindurch-greift. So machen wir das schon von den alten Tierkreis-Theoretikern erfaßte Eigentümliche dieser Zwölfheit uns auf eineneue Weise bewußt: die Überschneidung mehrerer ordender Ge-sichtspunkte in jedem Prinzip, je nach den Grundzahlen, welchedie 12 aufbauen. Daß dies keine bloße Zahlenspielerei ist, erweistsich in der methodischen Aufschlüsselung durch die Praxis. Fürdenjenigen, der die Inhalte als oberflächliche Aufzählung vonEigenschaftsbegriffen nehmen will, schillern die 12 Zeichen ineiner Vielbedeutung, je nachdem er sie wendet. Wer dagegenmethodisch damit arbeitet, erhält durch die innere Konstruktiondes Kreises verschiedene Blickwinkel, um Faktoren jenseits derAussagegrenze kombinativ in Rechnung zu stellen; logischerwei-se spielt z. B. das Entwicklungsniveau in der Durchprägung derDreiheit eine andere Rolle als bei den Temperamenten.

Zum Temperament schließlich, bislang in der Psychologie vomZusammenbestehen seelischer Äußerungsweisen mit gewissenphysiologischen Eigentümlichkeiten her untersucht, wobei meh-rere Einteilungen offen bleiben, bekommen wir einen neuen Zu-gang, der die alte Vierheit bestätigt. In einem Ordnungsschema,das die Koordinaten des menschlichen Seins zusammengefaßtenthält, darf unser Teilhaben an den vier Ebenen des Seins nichtfehlen. Abgesehen davon, daß sie alle vier bei jedem Menschenineinandergreifen, gibt es individuelle Unterschiede, nämlichcharakterliche Affinitäten zu dieser oder jener Ebene. In solchenvon Geburt an bestehenden Mehr- oder Minderbetonungen,schon in der Leibesgestalt und -konstitution zum Ausdruckkommend, sehen wir die Wurzel der am wenigsten veränderbarenEigenschaften, die als Temperament bezeichnet werden. Aller-

37

dings müssen wir die Temperamentbegriffe einer Revision unter-ziehen; anstatt sie, wie es häufig geschieht, für typenhaft verein-fachende Zuschnitte zu verwenden, sprechen wir von abzu-wägenden Anteilen am Gesamttemperament eines Menschen undkommen damit auf den antiken Gedanken der «Mischung» mitdifferenzierender Feststellung zurück. Temperament gehört zurnaturnächsten Untermalung der Ausdruckssphäre (Tierkreis); inder Interessensphäre (den Häusern) klingt die entsprechendeEinteilung nur in veränderter Form, als Bedeutungston an, ohnedie Ausdrucksunmittelbarkeit, die wir mit dem Begriff des Tem-peraments verknüpfen.

Nach diesen Richtlinien stellen wir das kreisläufige Systemauf. Bezüglich der Anordnung seiner Komponenten, des Verwo-benseins der darin verschränkten Inhalte zur Symmetrie des Gan-zen, kommt es auf den inneren Begründungszusammenhang an.Bezüglich der Richtigkeit entscheidet allein die Erfahrung, wiestets merzt sie herangetragene Vorstellungen aus, die nicht durchSachverhalte gedeckt sind. Die folgende Allgemeindarstellungsoll möglichst schrittweise erhellen, was in der praktischen An-wendung zu Tage tritt. Hauptsächlich beschränken wir uns aufden charakterologischen Aussagebereich, Körperorganisches nurstreifend; die medizinischen Entsprechungen bedürfen einerweiter ausholenden Lehre der Organik.23

Ausblick in die Gegenwart

Auf philosophische Geister des Altertums, des Mittelalters undder Renaissance übte die Astrologie einen Zauber aus einerseitsals allumfassende Ordnungslehre, anderseits durch den darinverborgenen Gedanken alldurchflutenden Lebens. Dem äußerenBilde der Ordnung, in der sich dies All-Leben vollzieht, denHimmelsbewegungen, entspricht der «innere Himmel» des Para-celsus, wonach «im menschen sind sonn, mon, saturnus, mercu-

23 Den Aufriß einer solchen habe ich versucht in «Tierkreis und menschlicher Organis-mus», Ebertin-Verlag Aalen, 1958. Das Büchlein kann für das Studium des organischenUnterbaues seelischer Phänomene und Haltungsanlagen ergänzend herangezogen werden.

38

rius, venus und all zeichen, der polus arcticus und antarcticus, derwagen und alle quart in zodiaco»; hier liegen die ausgebärendenUrbilder oder matrices, und «das bei uns die selbigen matricesauch sind wie außen, drumb so entpfinden wirs und die, die derselbigen constellation sind in der concordanz»24. Für Keplers«harmonices mundi» galt die Erde als beseelt, ihm erleuchtet inder Seele der Erde auch ein Abbild des Tierkreises, ja sogar desgesamten sichtbaren Sternhimmels», und das gleiche «kann füg-lich auch auf die Grundvermögen der menschlichen Seele ange-wendet werden». Nicht in der äußeren «Austeilung in zwölfZeichen» sah er das Wesen des Zodiaks - ein Wort, das er übri-gens nicht von zoon = Tier, sondern zodion = Bild herleitete -, ersah es im Kreis als Symbol transzendentaler Harmonie, «in ihmliegen die Urbilder und die Urvorstellungen der Größenlehre»,für unseren inneren Mittelpunkt «im gewissen Sinne Ur-Beziehbarkeit der Seele selbst»25. Im Werk desselben Mannes ander Scheide zweier Blickweisen erleben wir aber auch die ganzeSpannung zwischen dieser Weltschau und der Redlichkeit desNaturforschers, der wegen 8 Bogenminuten Abweichung des be-obachteten Mars vom theoretisch errechneten Standort einenBerg mühseliger Untersuchungen verwarf, um endlich durch kri-tische Verarbeitung dieses Fehlers «den Weg zur Erneuerung dergesamten Himmelswissenschaft» gebahnt zu finden.

Wir Heutige müssen die gleiche Spannung vom Gegenpol desunversalistischen Weltblicks, vom konkreten Einzelwissen herdurchfragen, um den alten Bildern einen Sinn, der über geistes-geschichtliche Bedeutung hinausgeht, entnehmen zu können.Dreieinhalb Jahrhunderte Naturforschung haben aus dem Ethossolcher «acht Bogenminuten» gearbeitet. Sie beschenkten unsmit einem ungeheuer ausgebreiteten, aus Gründen rationeller Be-arbeitung auf Spezialgebiete verteilten Erfahrungsstoff. Die langeVorherrschaft kausal-mechanischer Denkweise, die Arbeitstei-

24 Sudhoff Gesamtausgabe, Abt. 1, Bd. I, S. 78.25 «Zusammenklänge der Welten» in der Übersetzung von Otto J. Bryk (Diederichs

1918), IV. Buch, VII. Abschnitt; die Ableitung des Wortes Zodiak aus dem «Gutachtenüber das feurige Trigon. 1603»; das Schlußcitat des obigen Abschnitts aus «AstronomiaNova».

39

lung des Wissenschaftsbetriebes hinderten anderseits die Astrolo-gie, sich folgerichtig fortzuentwickeln. In einem unzusammen-hängenden Weltbilde läuft ihr Grundgedanke leer. Bei Leib-nizens prästabilierter Harmonie, in Goethes intuitiver Naturschauund der romantischen Naturphilosophie konnte er noch mitklin-gen. Dagegen für nüchterne Tatsachenmenschen ohne innerenMittelpunkt lebte höchstens ein Anachronismus weiter, der Ora-kelfragen vulgärer Art mit dafür gebildeten Regeln beantwortete.Wenn nun heute die Astrologie aus sich heraus Erneuerung fin-det, dann nützt ihr am allerwenigsten das Gerede von der «älte-sten», der «königlichen» Wissenschaft. Im Bereich der Fragenheutiger Forschung vielmehr endet ihr Interregnum, überall da,wo über fachliche Beschränkung hinweg wieder Voraussetzun-gen einer Universitas erarbeitet werden.

Es sind lebhaft in Fluß befindliche und für den, der an ihrerLösung teilnimmt, erregende Fragen, die unser Weltbild heuteumgestalten.

Allzu ängstlich meist, in gestrigen Vorstellungen und Forde-rungen befangen, sucht man die astrologischen Inhalte abhängigzu machen von Beweisketten durch Strahlung und verwandte Er-klärungen. Doch der Alleinanspruch lückenloser Naturkausalität(auch in der Mikrophysik schon durchbrochen) und der Ge-sichtspunkt der Biophysik werden überformt von der Eigenge-setzlichkeit des Lebens. Vor Problemen wie Entwicklung,Umwelt, Gestalt ringt die Biologie heute um ihre Geltung alsGrundwissenschaft mit selbständigen Methoden. Den physika-lisch-chemischen Erklärungen gegenüber entstehen damit Brük-kenprobleme zweier Seinsschichten. Vor allem erhebt sich dieFrage, wie die Einzelpläne organischer Ganzheiten eingefügtsind in den mathematischen Entwurf der Natur, den die Physikdarstellt. Gerade sie, in letzter Verfeinerung des Verhältnissesvon Denken und Experiment, tendiert wieder zur Denkbar-machung einer endlichen, geordneten Welt, eines Kosmos, des-sen Teile in Hinsicht auf Gesetzlichkeit des Naturganzen in Be-ziehung stehen. An dieser Stelle setzt die kosmobiologischeHypothese ein. Um sie fruchtbar zu machen, gilt es, den ganzenUmfang der Entdeckungen und daran geknüpften Überlegungen

40

sowohl der Physik als auch der Biologie zu studieren. Praktischstoßen diese Seinsbereiche für unsere Frage zusammen, wo dieErde als Schauplatz von Umraumswirkungen betrachtet und dasEigentümliche organischer Umweltsreaktion sichtbar wird daran,wie artverschieden die Wesen in gleiche Periodizitäten eingebautsind.

Beim Menschen befinden wir uns mit solchen Zusammenhän-gen erst in seinem organismischen Unterbau. Folgerungen für dienächsthöhere Ebene stellen neue Brückenprobleme. Hier nun hatdie Tiefenpsychologie überwachbare Zugänge zu Urbildern desUnbewußten geschaffen, innerseelischen Mächten, deren sinn-verdichtende Kraft sich unterhalb bewußter Auseinandersetzun-gen mit der Welt bewahrt hat. Gegebenenfalls greifen sie in unserakutes Seelenleben ein als sinnvoll regelnde Funktion. Wir habendaraus ein neues Verhältnis zu urtümlichen Symbolen und ihrerDeutbarkeit gewonnen. Ist es uns anderseits gelungen, an Handder kosmobiologischen Hypothese, geprüft und bewährt an Meß-bildern menschlicher Individuen, die Brückenübergänge vomOrganischen ins Seelische zu finden, so dürfen wir in diesen Ur-bildern mehr als einen festgehaltenen Niederschlag der menschli-chen Frühgeschichte erblicken. Es handelt sich dann umtatsächliche Rückverbindungen zum Kosmos. Diese bilden dasQuellgebiet mythischer Vorstellungen, ekstatisch-religiöser In-nenschau, sie scheinen hindurch im musisch-bildnerischen Aktund in Eingebungen bei existentiellen Grunderschütterungen,wenn die rationalen Maßstäbe versagen. Aus solcher Sicht entzif-fern wir die urtümliche astrologische Bildersprache anders alsnur kultur- und geistesgeschichtlich, indem wir zugleich mit derDeutung des reinen Bildgehalts abziehen, was zusätzlich aus An-schauungen der jeweiligen Völker und Kulturen stammt.

Angewandt auf die Menschenseele enthält der abstrakt mathe-matische Rahmen, das Meßbild, eine uns sonderbar anmutendeVerräumlichung des Unräumlichen: was im Umkreis der Erdesich gegenüber liegt, entspricht anlagemäßigen Gegensätzen un-seres Inneren. Hieraus, Innen- und Außenwelt noch wenig tren-nend, erwuchs der große Analogiegedanke «wie oben, so unten».Auf einer überwölbenden Kuppel unbedingten Seins sah der an-

41

tike Mensch das Schicksal geschrieben. Heute sehen wir das Seingeschichtet und die Schichten in bestimmter Weise einander be-dingend26, sehen das denkbare Einssein von Charakter undSchicksal auf Pfeilern ruhen, die aus unteren Seinsschichtendurchragen. Was im Organischen raumgestaltend wirksame Bil-dekräfte sind, übersetzt sich im Seelischen in Urbilder des Be-deutungszusammenhangs, Ausdruck regelnder Grundfunktionen,und nimmt im Geistigen die Form primär bestimmender Ideenan. Dasselbe Element also, das erkenntnismäßig in seinem Prin-zip begriffen wird, kann innerseelisch als bedeutungshaltigesBild geschaut werden und verbildlicht etwas, was sich im Orga-nischen unreflektiert betätigt. Inbegriffen ist darin Materiellesinsoweit, als das Organische einen Bau- und Bildestoff und einLebensmedium braucht, sich in bestimmten Beziehungen zumateriellen Seinseigenschaften ausgestaltet und darlebt.Auf sol-che Zusammenhänge ausgerichtet kann die Astrologie wiedereine Ordnungslehre werden, die den Menschen in die Mitte sei-ner Welt gestellt betrachtet und Ergebnisse der Einzelwissen-schaften in sich aufnimmt. Mit ihren Elementen menschlicheWirklichkeit deuten, heißt Symbole aufschließen. Das Mittelhierfür sind die Entsprechungsreihen, sie enthalten das auf ver-schiedenen Ebenen einander Analoge. Die konkreten Gehalte derEbenen wollen für sich untersucht, die Lage einer Erscheinungdarin will genau bestimmt sein, um den richtigen Ansatz derDeutung zu finden. Dies bezieht sich auf wissenschaftliche Me-thodik, schließt intuitive Deutung und mit der «Spielsituation»sich einstellende, zutreffende Bilder nicht aus. Studieren wir denAufbau des Charakters im Vergleich mit Methoden, die empi-risch feststellend herangehen, so verfolgen wir in vertikaler Auf-baurichtung die Grundfunktionen bis dahin, wo bewußtesVerhalten abändernd in den naturgegebenen Zustand eingreift.Hieran werden wir der Aussagegrenzen inne, der Abwandlungdurch Familienerbe, sowie durch Erziehung und andere Milieu-einflüsse, den in ihnen verdichteten Zustand des sozialen Feldes

26 Allerdings ist dieser Gedanke bei Plato und Aristoteles bereits vorgebildet; vgl. Ni-colai Hartmann «Die Anfänge des Schichtungsgedankens in der Alten Philosophie», Verlagd. Akademie der Wissenschaften, Berlin, 1943.

42

und der geschichtlichen Situation, insbesondere aber durch dasEinsetzen des selbstbestimmenden Faktors. So viel Grenzen fürden Aussageschematismus, so viel Möglichkeiten einer differen-zierten Aussage, wenn wir die abwandelnden Bedingungen jen-seits dieser Grenzen erkennen und die hierauf abgepaßteEntsprechung wählen.

Das Ureigene der Astrologie als Menschenkunde, ihr Beitragan die Gegenwart mit ihren Problemen, besteht in etwas, wo-durch sich empirische Tatsachensammlungen erst zusammen-schließen: innere Einheit einer auf Welt hin entworfenenorganisch-seelisch-geistigen Struktur des Menschen. Gespiegeltam Welthintergrund seines Antretens erweist sich der Einzelnedeterminiert, Struktur ist Schicksal und auf jedem erreichten Ni-veau stellt sie sich wieder her. Im Querschnitt gesehen bleibt erunveränderlich derselbe. Zugleich aber bezeichnet der selbstbe-stimmende Faktor in ihm das Weltoffene, Ansteigende. Es gibtdennoch freie Entscheidungswahl, Streben, geschichtlichenWeitergang, mit dem Niveau ändern sich die Entsprechungen,mit hinzugewachsener Welt wechseln die Dinge aus, in denensich sein Wesen manifestiert. In diesen beiden Blickweisen, de-ren Paradoxie wir im Gedanken der Entwicklungsspirale aufhe-ben, ist der Mensch gleichzeitig ein vorbestimmtes Ganzes wieeine ständig offene Frage: «geprägte Form die lebend sich ent-wickelt».

43

DIE SPHÄRE DES AUSDRUCKS(Der Tierkreis)

ALLGEMEINDARSTELLUNG

Die scheinbare Sonnenbahn als gemeinsamer Meßkreis

Unsere Erde bewegt sich mit den übrigen Planeten in annä-hernd derselben Ebene - genannt Ekliptik - um die Sonne, einengeringen Neigungswinkel hat auch die Bahn des Mondes. Vonder Erde aus gesehen laufen also Planeten und Mond auf derscheinbaren Bahn der Sonne; geben wir der Sonnenbahn einefeste Einteilung, so läßt sich die Lage der uns astrologisch inter-essierenden Körper in Graden eines gemeinsamen Meßkreisesausdrücken. Naturgemäß bieten sich für eine solche Einteilungdie Raumrichtungen der Sonne zur Zeit der Tag- und Nachtglei-chen sowie der größten Tag- und Nachtunterschiede an. Diese 4alljährlich wiederkehrenden Punkte gliedern den ekliptischenUmkreis der Erde in Quadranten, als Einsatzpunkt der Zählunggilt die Tag- und Nachtgleiche im Frühjahr27. Macht man nun dieErfahrung, daß bei Planetenstellungen in bestimmten Abschnittendieses Kreises die durch den betreffenden Planeten symbolisierteWesenskraft im Menschen abgewandelt auftritt, und zwar regel-

27 Dies ist unabhängig davon, ob in irgend einer historischen Zeit das Jahr etwa vom

längsten Tage an gerechnet wurde und welche mythologische Vorstellung damit verknüpftwar. Julius Schwabe sucht in seinem als Beitrag zur Mythenforschung verdienstvollenBuche «Archetypus und Tierkreis» (Benno Schwabe & Co., Bern 1951) darzulegen, daßdie «richtige Grundstellung des Tierkreises» schon im zweiten vorchristlichen Jahrtausend«in die Brüche gegangen» sei. Schwabe verwechselt den mythengeschichtlichen Hergangmit der Fixierung des astrologischen Meßkreises, kommt zu einer Verurteilung der Astro-logie, sieht in ihr lediglich eine angewandte Symbolik, die mit der Verschiebung der Tier-kreisbilder (Präzession) zusammenbrechen müsse. Doch die historische Erklärung,eingeschlossen der Werdegang astrologischer Vorstellungen, mag nur demjenigen als Wi-derlegung genügen, der sich gar nicht oder unzureichend um eigene Erfahrung von denDeutungsinhalten müht. Durch sein Vorurteil gegen das «Horoskopwesen» entging demAutor, daß er nur Belege für frühgeschichtliches Erfassen der bleibenden Kreisordnunghäuft.

44

mäßig in bestimmter Weise, sucht man ferner die Ursache dieserErscheinung in der betreffenden Raumrichtung, so entsteht einfolgenschwerer Irrtum.

Um den Ort eines Planeten anvisieren und bestimmen zu kön-nen, bedienen wir uns des Fixsternhimmels. Die ProjektionslinieErde: Planet trifft in ihrer Verlängerung stets auf das Band vonFixsterngruppen, das die Ekliptik umsäumt. Es sind dies die be-kannten Tierkreis-Sternbilder, für unseren Blick ein fest bleiben-der Hintergrund der Bewegungen im Sonnensystem. Wer sichden astrologischen Sachverhalt nur in Form von Gestirnwirkun-gen vorstellen kann, glaubt von diesen Sternbildern herrühren,was er am Menschen beobachtet. Hier setzt der oft gehörte Ein-wand der «Präzession des Frühlingspunktes» an. Infolge einerkreiselnden Bewegung der Erdachse, die in rund 26 000 Jahreneinen doppelten Kegelmantel beschreibt, drehen sich die eklipti-schen Sternbilder langsam dem Sonnenlauf entgegen. Der Früh-lingspunkt liegt nicht mehr am Rande des Sternbildes «Widder»wie ungefähr zur Zeit des Hipparch, sondern hat inzwischen dasder «Fische» durchwandert und nähert sich gegenwärtig dem«Wassermann». Der Meßkreis der Konstellationen hingegenrechnet nach wie vor (außer bei der indischen Astrologie, welchedie Präzession mitmachte) vom Frühlingspunkte an. Astrono-misch werden Stellungen der Gestirne normalerweise in Grad-zahlen von 0 bis 360 angegeben. Verwendet man zum leichterenÜberblick die traditionellen Tierkreisnamen, so sei man sich dar-über klar, daß Abschnitte von je 30 Grad gemeint sind, die nichtin Deckung stehen mit den gleichnamigen Sternbildern. Wirmüssen die Inhalte unabhängig von ihnen betrachten. Die «Figu-ren» stellen eine optische Täuschung aus der Erdperspektive dar,die «zwölf Zeichen» sind eine Fiktion, der «Tierkreis» existiertnaturwissenschaftlich gar nicht, nicht einmal eine «Ekliptik diesich dreht». Abgesehen von einer Relativbewegung des ganzenFeldes zur Erde gibt es nur auf dieser Ebene bewegte Gestirne.Deutungsmäßig aber wird uns dieser Meßkreis zu etwas inhalts-erfüllt Wesenhaftem.

In der astrologischen Erfahrung bestätigt sich die Teilung in 12Abschnitte mit mehr oder minder scharfen Cäsuren. Die traditio-

45

nellen Namen und Sinnzeichen dieser Abschnitte seien hier bei-behalten:

0- 30 Grad & Widder30- 60 Grad ' Stier60- 90 Grad ( Zwillinge90-120 Grad ) Krebs

120-150 Grad * Löwe150-180 Grad+ Jungfrau180-210 Grad, Waage210-240 Grad- Skorpion240-270 Grad. Schütze270-300 Grad/ Steinbock300-330 Grad0 Wassermann330-360 Grad1 Fische

Bei allem, was über zutreffenden Symbolgehalt dieser Namenangeführt werden mag, bleibe uns doch die Herkunft und Be-dingtheit in vorderasiatischen, ägyptischen und griechischenFrühkulturen bewußt, die Chinesen, Malayen, Azteken hattenandere Tierkreisbilder. Wir lassen solche bildmäßige Umschrei-bungen auf sich beruhen, suchen die Inhalte aus ihren Grundbe-stimmungen zu verstehen.

Begriff des Ausdruckprinzips, der Stilform

Bloßes Benennen sich äußernder Kräfte, die Feststellung etwa,ein Mensch sei aktiv, wäre charakterologisch etwas allzu Unbe-stimmtes, Relatives. Jeder ist es irgendwann und in irgendeinerWeise. Gäbe es auch ein Verfahren, die Menge der Äußerungse-nergie des einen Menschen im Vergleich zu der des anderen fest-zustellen, so würde dies wenig sagen über die individuelle Form,aktiv zu sein. Derartiges erfassen wir erst, wenn wir wissen, inwelche Richtung die Antriebe gehen, sowie auf welche Art undWeise sie sich bekunden. Das erste betrifft die Interessen, Moti-ve, das zweite den Ausdruck der tätigen Äußerung.

46

Lassen wir die Motive zunächst beiseite und befassen wir unsmit dem Prinzip des Ausdrucks. Klages versteht unter Ausdruckdie sichtbar werdende Lebensäußerung, die er zunehmen siehtmit wachsender Erregung und abnehmen mit anwachsendem Äu-ßerungswiderstand. Die astrologische Diagnostik spricht von sichäußernden Kräften und zwar unterscheidet sie solche von An-triebs- und solche von Hemmungscharakter. Es wird darum klar-zustellen sein, wieweit überhaupt von einem selbständigenAusdrucksprinzip die Rede sein kann. Gibt es doch schon kräf-testrukturell begründete Äußerungen, die der Begriffs-bestimmung von Klages genügen, ablesbar aus dem Verhältnisder «solaren» und der «saturnalen» Reihe in bestimmten Aspek-ten. Am prägnantesten bezeichnet etwa der analytische Aspektzwischen � und � eine Tendenz der Antriebshemmung. Dasheißt, richtig gesagt: Trieb und Drang können zwar erregt sein,die aktive Entäußerung wird jedoch von Fall zu Fall zurückge-halten und vermag sich nur schwer durchzusetzen; wo nichtschon körperorganische Behinderungen vorliegen, kleiden sichdie Hemmungen ein in Motive des Selbstschutzes gegen beste-hende oder eingebildete Gefahren, Gesellschaftsmeinung, Furchtvor Energievergeudung usw. Zur genaueren Bestimmung desFalls sollen uns die beiden hier entwickelten Sphären verhelfen.Jedenfalls aber bildet die so zustandegekommene Äußerung dasErgebnis des Widerstreits zweier Kräfte. Deren spannungsvollesBezogensein aufeinander rollt in Gefühlen, Vorstellungen, Ar-gumenten ab, in denen sowohl d als auch h seine Entsprechungenfindet.

Diese kräftestrukturell begründete Art von Äußerung kommtrelativ leicht unter bewußte Kontrolle. Zwar nicht das Entstehen,doch das Bewältigen des Konflikts kann bis zu gewissem Gradedurch Einsicht und Wille gesteuert werden. Anders liegt der fol-gende Sachverhalt, bei dem wir jetzt vom Kräftegefüge, demBewältigen oder Nichtbewältigen seiner Spannungen absehen.

Bestimmten Menschen ist es von Geburt an eigen, daß sie injeder Form aktiver Entäußerung verhaltener, schwerfälliger sind,bedachtsamer vorgehen als andere. Ein solcher Mensch kann z.B. ebenso aufgestachelt sein wie jemand, der seinen Impulsen

47

sofort Luft zu machen pflegt, hält aber die Äußerung selbst dazurück, wo kein Beurteiltwerden durch die Mitwelt droht undsonstige äußere Motive außer Betracht stehen. Auch ohne «Pu-blikum», ohne «Zweck» und nicht auf Grund einer Kräfte-Problematik verhält er sich so, ferner meinen wir natürlich nichtFälle anerzogener bewußter Zurückhaltung, sondern ein angebo-renes Sosein des Verhaltens. Macht dieses Sosein gegebenenfalls«sozial angepaßter», als wenn sich jemand von Natur aus leichtergehen läßt, so steckt darin kein Verdienst, oft genug betrifft eslediglich «Unterlassungsünden» gegenüber den «Tatsünden» derzu expansiverem Ausdruck Getriebenen. Ergeben sich Konfliktedaraus, dann erst durch den Vergleich mit anderen und denWunsch, unbeschwert wie sie zu sein; doch sind dies zusätzliche,eigentlich unechte, weil aus Reflexionen entstandene Konflikte.Ein solcher - summarisch gesagt - Ausdrucksverhaltener ist et-was anderes als ein Antriebsgehemmter. Auf Herz und Nierengeprüft könnte und möchte er mit niemandem tauschen, er gäbedamit sich selbst in einer wesentlichen Eigenschaft, der persönli-chen Ausdrucksqualität von �, auf.

Gemeinhin pflegt man einfach von Temperament zu sprechen.Gewiß sehen auch wir Temperamentsmäßiges darin enthalten,nicht aber in der verallgemeinernden Weise verstanden, einMensch als Ganzer habe dies oder jenes Temperament. So ge-handhabt werden alle Einteilungssysteme an der Wirklichkeitstrittig und man wäre gedrungen, immer neue Unterteilungen an-zunehmen. Der vorige Fall bezieht sich nur auf �, aktive Entäu-ßerung und ihren verhaltenen Ausdruck; die sinnlicheAnsprechbarkeit kann dabei, analog anders gestellter �, durchauslebhaft sein und Besitz ergreifen vom Verhalten, soweit in Formpassiver Zuordnung möglich. Temperament betrachten wir alsrelativ beständige Färbung und Tönung, die jedes einzelne Anla-ge-Radikal im individuellen Falle hat, wenn es «in Kraft tritt».Letzteres ist in heftiger Ausdruckstönung sogar bei saturnalenHemmungen möglich, die dann, vorausgesetzt, � trete als «Ver-neiner» auf, wie ein ruckartig vorgeschobener Riegel sind. Denparadoxesten Anlage-Äußerungen also kommen wir bei, indemwir Temperament teilbar und bezogen auf jede Wesenskraft für

48

sich verstehen. Im Gesamt-Temperament eines Menschen verei-nigen sich meist verschiedene Temperamentsarten in bestimmterAufeinanderbeziehung.

Unsere Ausdrucksprinzipien fassen die so verstandenen Tem-peramente in sich. Hierdurch erhält jedes Prinzip etwas Eigen-tümliches. Aber es geht darin nicht auf sondern schließt nochandere Momente ein. Beziehen wir Temperament allgemein aufseelische Bewegungsmerkmale, so tritt dieselbe vorhin angedeu-tete Verhaltenheit - das «Erdhafte» der alten Symbolik - in ver-schiedener Form auf. Sie kann beim einen Menschen die Formgegenstandsgebundener Nachdrücklichkeit des Strebens haben,die Dinge in Hauptpunkten vorwärtsbringend, im sachlich steti-gen Vorgehen äußerungssicher, während er mit Privatmeinungenschwer herausrückt. Bei einem anderen Menschen kann es dieForm des Beharrens in subjektiver Zuständlichkeit sein, die ihnschwer sich zu neuen und ungewohnten Tätigkeiten aufraffenläßt, jedoch verläßlich macht in eingewöhnten, mit gleichmäßi-gem Turnus wiederkehrenden, bedächtig Stück für Stück zu erle-digenden Dingen. Bei einem Dritten schließlich, auf veränder-liche Wechselfälle eingestellt, auch zwischen Sachlichem undPersönlichem pendelnd, wickelt sich alles in der Form bewegli-cher Differenziertheit ab, doch der freie Schwung des Ausdruckswird behindert durch detaillistische Rücksichten, die ihn ständigin Gefahr bringen, ins Nebensächliche abzugleiten.

Offenkundig kommt in den angedeuteten Fällen etwas andereszum Vorschein als das Temperament. Es betrifft auch nicht dieInteressenlage, sondern etwas, das in der Ausdruckssphäre bleibtund das wir hier Grundformen des Wirkens und Werdens nen-nen. Sie haben Bezug auf die Art des Schaffens sowie den Ver-lauf von Entwicklungen. Für den Ausdruck eines temperament-mäßig «erdhaft» eingefärbten Anlage-Radikals bestehen dem-nach dreierlei Varianten, unterschieden in der Folge der Beispieleals /, ', +. Gemeinsam ist ihnen, daß die Äußerung einer ge-wissen Verhaltenheit und Sachbindung unterliegt, doch bei jederVariante gelangen Entwicklungs- und Schaffensimpulse in die-sen oder jenen Umständen besser zum Zuge.

49

Zu den angeführten Unterscheidungen treten dann noch anderehinzu, welche die tieferen Lebensbezüge angeben und bei denendemgemäß der genetische Faktor stark mitspricht. Solange wirdie einfachen Maßstäbe, nach denen sich die Ausdruckssphäreder Kräfte im ganzen ordnet, nicht erfaßt haben, stehen wir einerverwickelten Variationsbreite von Einzelfällen gegenüber. DasBekanntsein dieser Maßstäbe jedoch hilft uns, die im Leben dar-gebotene Mannigfaltigkeit als Beobachter methodisch zu verste-hen, als Deuter aus dem Meßbilde - wenn einige Stichworte überNiveau usw. vorgegeben sind - zu erschließen. Den individuellenFall begreifen wir dabei als Kombination der Wesenskräfte mitden Formen der Abwandlung, die jede Kraft im Ausdruck er-fährt. So wird das scheinbar unermeßlich Mannigfaltige indivi-dueller Erscheinungen einsichtig als befaßt in einer begrenztenAnzahl von Elementen.Zahlenbestimmtheit dieses für alle We-senskräfte gemeinsam gültigen Systems heißt aber nicht bloßAufzählen von Varianten, sondern inneres Geordnetsein. Diesesist das Um und Auf der Ausdruckssphäre. Den notwendigen Zu-sammenhang unterschiedlicher Momente wie Temperament,Wirk- und Werde-Grundformen, tätige und leidende Form, Le-bensdimensionen begreifen wir zuletzt aus einem Leitgedankender Abfolge von Prinzipien, in denen jeweils die Anteile an dengenannten Momenten eine Einheit bilden. Von einer Sphäresprechen wir, weil diese Anordnung eine kreisläufige ist, so daßdas Endstadium der Folge wieder in den Ausgangspunkt ein-mündet. Alle darin unterschiedenen Momente sind symmetrischangeordnet; was in einem Prinzip, sich überschneidend, zusam-mentrifft, kommt einheitlich verschmolzen zur Erscheinung. Sohat jedes Prinzip seine unverwechselbare Eigenart und steht dochzu den übrigen in geordneter Beziehung, eingefügt dem Kreis-ganzen. Um nicht an mechanische Bestimmtheit zu denken (wiesie sogar in Klages' Definition, trotz seiner spontanistischen Ge-samtauffassung, durchleuchtet), ist es angebracht, für die Cha-rakterisierung dieser Ausdrucksweisen den Begriff des Stils zuwählen. Die Stilform vereinigt mehrerlei Einzelformen in einergemeinsam ihnen eigentümlichen, prinzipiell begreifbaren Ge-samtausrichtung, durch welche die einzelnen Äußerungen ihr

50

einheitliches Gepräge erhalten. Stil hängt mit einer bestimmtenErlebnisart zusammen; diese kann im Zusammenspiel von Ge-bärde, Haltung und Gang mit Gemütsbewegungen, in bildneri-scher Darstellung wie in Sprechweise und Schreibbewegungender Hand auf gleiche «stiltypische» Art zum Ausdruck kommen.

Wie auch die Unterscheidungen in dieser Sphäre beschaffensein mögen, in jedem Falle folgert ein weiteres. Nach der nunschon bekannten Charakteristik der Wesenskräfte wird eine be-stimmte Kraft besser in diesem, eine andere besser in jenemPrinzip zum ihr gemäßen Ausdruck gelangen, sich stilgerechtäußern. Umgekehrt muß anderswo ein Widerspruch zwischenKraft und Prinzip entstehen, die Kraft durch das Ausdrucksprin-zip eine Umbiegung erfahren, ihre Äußerung in Gefahr der Stil-widrigkeit geraten. Die Prinzipienfolge, wenn logisch richtig inder Kreis-Symmetrie aufgehend, enthält sowohl Höhepunkte alsauch Tiefenpunkte der stilgerechten Auswirkung für alle We-senskräfte. Insofern die Polarität den obersten Teilungsmodusdieser Symmetrie bildet, ist damit gefordert, daß die Zuordnungder Kräfte und Stilformen übereinstimmt mit der gegensätzlichenKoordination der Wesenskräfte unter sich. Deren Gegensatzpaaremüssen sich auch im Kreis der Stilformen gegenüberstehen, sodaß die eine Kraft ihren Höhepunkt da hat, wo der Tiefenpunktder anderen sitzt.

Unmöglich etwa kommt aktive Entäußerung, �, in den ge-schilderten drei Formen «erdhafter» Verhaltenheit zur freien un-bekümmerten Spontaneität, die ihr gemäß wäre. Wohl aber findetpassive Zuordnung, �, darin ihren stilgerechten Ausdruck undzwar im Prinzip subjektiv zuständlicher Gewöhnung und Behar-rung, '. Diesem steht in - ein Prinzip gegenüber, das spontaneAntriebe, sobald aus den sonstigen in ihm sich überschneidendenBedingungen frei kommend, zur exzessiven Äußerung bringt.

Solcherlei theoretische Forderungen treten zusammen, so daßvon den getroffenen Unterscheidungen jede einen bestimmtenPlatz im Kreise besetzen muß. Auf diese Art entsteht ein strenggeordnetes Bezugssystem, das seine logische Stimmigkeit in sichträgt, ein gerundetes Ganzes, offen jedoch in Hinsicht der «Ent-wicklungsspirale» und der darauf bezogenen Entsprechungen.

51

Temperamente

Mannigfache Fragenreihen rollt der Ausdruck Temperamentauf, der nach Kretschmer «zunächst noch kein geschlossener Be-griff, sondern ein heuristisches Kennwort» ist. Dem Bemühenum sichere Einteilungen steht das Verzweifeln an der Möglich-keit solcher überhaupt entgegen. Völlige Ablehnung würde eineGrunderfahrung des leibseelischen Zusammenhangs verwerfen,die Beobachtung von Wesensunterschieden der seelischen Erreg-barkeit und Äußerung, von feststehenden Reaktionsartungen, diezusammen mit angebotenen Eigentümlichkeiten der Leibeskon-stitution auftreten. Die antike Säftelehre freilich, aus der die Na-men der «vier Temperamente» herrühren, müssen wir preis-geben, ohne damit diesen ältesten typologischen Ansatz alssinnlos betrachten zu dürfen. Erheblichere Schwierigkeiten be-reitet es, hindurchzublicken durch die Entstellungen, welche diegewöhnliche Anwendung der jahrhundertelang hartnäckig sicherhaltenden Vierheit geschaffen hat. Außer daß es eine Vergröbe-rung bedeutet, die Gesamtpersönlichkeit temperamentsmäßigeinzureiben und schlechthin von «dem» Melancholiker, Phleg-matiker, Choleriker, Sanguiniker zu sprechen, wurde der Gold-gehalt im ausmünzenden Sprachgebrauch herabgesetzt, indemman darunter simpel den Schwermütigen, den Bequemen, denZornmütigen, den Heiteren verstand. Immerhin verblieb auchdarin eine qualitative Auffassung gegenüber der schließlichenAuflösung des Begriffs im Quantitativen, als nur mehr von«Viel» oder «wenig» Temperament haben die Rede ging.

Gerade hier knüpfte Klages an und erleichterte sich durch An-erkennung dieses Sprachgebrauchs, polemisierend gegen Kantund Wundt, die er «kritikloser Annahme uralter Glaubensmei-nungen» zieh, die Übertragung des Temperamentbegriffs auf ei-ne einzige graduierbare Anlage. Obzwar eingenommen gegen«die Abhängigkeit unserer Verstandesbemühungen von den ein-mal geprägten Formen des Denkens, insonderheit von der Herr-schaft der Zahl», konnte er die Graduierung doch nur in Formeiner solchen, der Zweizahl, verdeutlichen: Schnelligkeit undLangsamkeit" gedeutet als Verhältnis von Triebkraft und Wider-

52

stand. Das charakterologische Verdienst von Klages beruht sehrauf dieser Vereinfachung gegenüber Wundt, wodurch er dieAusdrucksgestalt vom Verlauf her verstehen lehrte. Doch seinicht übersehen, daß er damit den eigentlichen Temperamentbe-griff aufhob in einer intellektuellen Formel, die absieht von denQualitäten der Farbe und Stimmung. Vor ihm machte Wundt dieüberlieferte Vierheit in folgendem Schema rational faßlich:

stark schwach

schnell cholerisch sanguinisch

langsam melancholisch phlegmatisch

Wundts Vokabular für die Reaktionsweise belassend, ändernwir es gemäß der astrologischen Erfahrung in Bezug auf Gefühleetwas ab, weil Gefühle durch Tempo und Stärke nicht genügendcharakterisiert sind, und denken an Raschheit und Nachhaltigkeit,Schwere und Leichtheit der Gemütsbewegungen (nicht Leichtig-keit, leichte Entstehung von Gefühlen, sondern ihr qualitativesLeichtsein durch geringes Haften am gegenständlichen Anlaß).So erhalten wir für jedes Temperament eine Überschneidungzweier Qualitätsbestimmungen:

melanch.: nachhaltige Schwere von Gefühlen= langsame + starke Reaktionen /�' +,

choler. : rasche Schwere von Gefühlen= schnelle + starke Reaktionen &�*�.,

phlegm. : nachhaltige Leichtheit von Gefühlen= langsame + schwache Reaktionen )�-�1�,

sanguin. : rasche Leichtheit von Gefühlen= schnelle + schwache Reaktionen ,�0�(.

53

Melancholisch

«Nachhaltige Schwere» bezeichnet Anstauung, Sperrigkeit,Schwerlöslichkeit von Gefühlen, d. h. sie lösen sich schwer vomEindruck, der sie hervorrief, sind nicht leicht auflös- und ver-wandelbar durch andersartige Vorstellungen. Daher Schwerneh-men der Dinge, denen sie gelten, nicht Mitgehenkönnen mitdadurch Ausgeschlossenem, auch wenn dessen Reiz nervenmä-ßig empfunden wird. Einbehalten der Spannungen, die auf Aus-lösung an ganz bestimmten Gegenständen abzielen. GeringeVertauschbarkeit der Ziele, bei eingesessenen Wünschen könnenunbrechbare äußere Widerstände tragisch werden. Starke psychi-sche Komplexneigung, depressive Tendenz. Schwerfällig imWiederherstellen gestörten Gleichgewichts, wenn dadurch absor-biert nach außen hin ablehnende Haltung. Kälte und Sprödigkeitgegenüber dem, was erlebnisneutral, vereinigen sich mit Tiefeund Ausdauer in Liebe und Haß.

Cholerisch

«Rasche Schwere» bezeichnet affektive Reizbarkeit und Wuchtdes Ausdrucks von Gefühlen, deren starke Gespanntheit zur So-fortlösung hindrängt. Eindrücke, obzwar leidenschaftlich ergrif-fen, setzen sich nicht fest, keine angestaute Problematik. Stattdessen ein rasches Überleiten des Gefühlsverhältnisses auf Wir-ken, tätige Maßnahmen, Erobern oder Wegschaffen des Reizes.Durch Umsatz in Tatwille gelingt die Ablösung auch schwersterAffekte vom Gegenstand, bezw. Erhebung über Schwierigkeitender Lage. Vertrauen in die eigene Dynamik, Sinn für Humor inoft drastischen Wendungen, lebhafte Wunschkraft. Offenes Be-kunden von Liebe oder Haß, unmittelbares Abreagieren vonSpannungen, gegebenenfalls am vertauschten Ziel; Komplexbil-dung nur bei behindertem Auswirkenkönnen, Freiheitsbeschrän-kung, in unwürdig empfundenen Verhältnissen. Gewichtigneh-men der eigenen Stimmungslage, bei Störungen oder durch-

54

kreuzten Absichten oft überhitzte, harte oder gewaltsame Äuße-rung.

Phlegmatisch

«Nachhaltige Leichtheit» bezeichnet angestaute, aber geringhaftende Gefühle, d. h. sie lösen sich relativ leicht vom Eindruck,der sie hervorrief, dessen jedoch nachwirkende Spannung abge-geben werden kann an andere Gegenstände, die in irgendetwasdaran anklängen. Infolge der Löslichkeit lenkbar, Verwirkli-chung an Punkten des geringsten Widerstandes. Im Äußerenmehr lässig und bequem, Verfolgen der Ziele ohne großen Nach-druck, sie auf Umwegen und durch Anlehnung erreichend. Stär-ker herrscht das Gemüthafte mit seinen Mutungen undÜbertragungen, dem Mühen um Stimmungsgleichgewicht, dasbei Störungen relativ bald wieder hergestellt ist, wenn die Le-bensumstände zwanglos einen Ausgleich gestatten. Stehen je-doch die Bedingungen des Gemüts im Widerstreit mit äußerenHärten, Anspannungen, Tätigkeitsforderungen, so staut sich dieinnere Problematik; dann komplexhaftes Festsetzen von Unter-lassung und Versäumnis, durch Minderwertigkeitsgefühle ver-stopfte Lösungswege. Anregungsbereitschaft, die aber Mühsalnur unmittelbar getragen durch Liebe oder Haß auf sich nimmt.

Sanguinisch

«Rasche Leichtheit» bezeichnet Nichthaften, Nichtstauung desGefühls, das sich seiner Spannung sofort entledigt, lenksamdurch lebhaft ventilierte Vorstellungen, abgelöst vom Gegen-stand und Eindruck. Rasches Eingehen auf den Reiz, Mitschwin-gen, vom einen zum anderen überspringendes Erleben, schwung-voll in der Bekundung. In zwangloser Anpassung leicht herge-stelltes Gleichgewicht, wenn auch häufig auf Kosten der Versen-kung und Vertiefung. Nervenmäßig reagibel, ohne sich denEindrücken lange hinzugeben, häufiges Umschwenken von Liebe

55

oder Haß. Geringe psychische Komplexneigung, es sei denn,man bezeichne die Flucht vor Schwierigem und Bedrückendemals komplexhaft. Fähigkeit, Unangenehmes leichtherzig zu ver-gessen und in das eigene Lebenssystem nicht Hineinpassendes zuübersehen. Das Herantretende zurechtstilisiert nach eigenemWunsch und Vorhaben aufgreifend, frisch und tätig mit unmittel-barem Ausdruck der Gestimmtheit, Ausweichen vor bindendenFestlegungen.

Unsere Darstellung ist ein vorläufiger Auszug mit Eingehenauf Wundts Schema. Hält man sie gegen den landläufigen Ge-brauch der vier Begriffe, so zeigt sich, daß dieser Begriffsge-brauch in einem zwar häufig vorkommenden, doch durchausnicht einzig möglichen Resultat einer Anlage einsetzt, dies Re-sultat des Bedrücktseins, Aufbrausens, Trägeseins, Heiterseinszum Typischen stempelt und von da her das ganze Bild der Tem-peramente verzeichnet. «Der Phlegmatiker» gilt geradezusprichwörtlich für einen stumpfen, faulen Menschen, auch inner-lich indolent, «der Choleriker» für einen wilden, aufgeregtenGewalttäter usw. Auch psychologische Schilderungen sind seltenfrei von dieser Verzeichnung, die bedingte, standpunkthafte ge-sehene Endwirkungen statt Elementares zum Ansatz einer Ty-pologisierung nimmt.28 Hierdurch treten mannigfache Verwechs-

28 Besonders schlecht pflegt der «Phlegmatiker» wegzukommen. Selbst Lersch (in

«Aufbau der Person», J. A. Barth, München 1954) sagt: «Vom phlegmatischen (lahmen,ledernen) Temperament, von Temperamentsarmut sprechen wir bei Menschen, die deshalbnicht nach außen tätig werden, weil sie gleichgültig sind, d. h. keine Wertergriffenheitenund deshalb keine endothymen Bewegungs- und Handlungsantriebe erleben.» Dies meintetwas anderes als das, wovon hier die Rede ist und der Psychologe, der von solchen Ein-teilungsbegriffen ausgeht, rechnet oft Zurückgebliebene anderer Temperamentsart dazu;vor allem die inaktiven und materiell genüßlichen Züge des minder entwickelten '-Typuswerden als «Phlegma» gedeutet. In «Temperamentsarmut» steckt die quantitative Auffas-sung von «viel» oder «wenig» Temperament, der Ausdruck «lederne ist bei der von unsgefundenen Löslichkeit der Gefühle und Lockerheit der Vorstellungen unangebracht, feh-lende Wertergriffenheit widerspricht völlig den Erfahrungen von den betreffenden, z. B. beiKünstlern häufigen Zeichen (vgl. Meßbild Schubert Bd. I). Das Problem besteht vielmehrdarin, daß Ansprechbarkeit auf Phantasiewerte sich schwer in der Welt realer Nutzwerteäußern und in Ehrgeizhandlungen umsetzen kann: eine Quelle der besonders bei ) und 1häufigen Minderwertigkeitsgefühle. Richtiger in unserem Sinne sind die anderen Tempe-ramente gezeichnet; die von Lersch betonte «hohe sthenische Erregbarkeit» des «Choleri-

56

lungen ein, unversehens gleitet die Beschreibung in Bewertungüber, indem die erheitere Oberflächlichkeit des Sanguinikers»der «ernsten Gemütstiefe des Melancholikers» gegenüber gesetztwird. Doch - summarische Benennungen einmal mitgemacht -auch der «Phlegmatiker» ist gegebenenfalls heiter bewegt, nurhat dies etwas Stillvergnügtes, Gedämpftes, seine ebensogutmögliche Schwermut ist lockerer, eben auch stilltraurig, nicht soabgründig, unumstimmbar und ausweglos scheinend, wie siebeim «Melancholiker» sein kann. Bei diesem wieder kommen,wenn auch seltener als beim «Choleriker», Zornesausbrüche vor,umso vernichtender, als sich darin eine lange angestaute Span-nung entlädt, und so weiter.

Es würde uns ständig mit gewohnten Meinungen in Kollissionbringen, wollten wir diese Temperamentsbezeichnungen beibe-halten. Sie sind auch nicht das Ursprüngliche und Temperamentumfaßt mehr als Gefühle. Die antike, auf die Astrologie überge-gangene Auffassung verstand Temperament zuerst als Ausdruck-sprägung der elementarischen Natur im Menschen. Die Tempera-mentbegriffe wurden entwickelt aus den «vier Elementen», demErdhaften, dem Feurigen, dem Wäßrigen, dem Luftigen. Empe-dokles sah die Seele entstanden aus dem Wirbel der vier Ele-mente, in Gang gesetzt durch Liebe und Haß, als erstrebens-wertes menschliches Ideal galt den Griechen die «richtige Mi-schung», die Harmonie der Elemente. Aristoteles brachte dieelementare Vierheit zu derjenigen der Urqualitäten in Beziehung.An jedem Element ließ er zwei Qualitäten teilhaben und dachteals einigendes Fünftes einen Zentralbegriff des Wesenhaften,Unerzeugten und Unzerstörbaren, die spätere essentia der Scho-lastiker, die Quintessenz der Alchimisten.

kers» enthält einen Hinweis auf die später hier behandelte Beziehung dieses Temperamentszur organischen Schicht.

57

Unschwer erkennen wir angedeutet, was wir heute Aggregat-zustände der Materie nennen, nicht etwa sind chemische Ele-mente gemeint.

Erde = der feste Aggregatzustand (melancholisch)Wasser = der flüssige Aggregatzustand (phlegmatisch)Luft = der gasförmige Aggregatzustand (sanguinisch)Feuer = die Wärmeinhaltssteigerung (cholerisch)

«Erde,» steht analog dem Zustand dichtester Stofflichkeit, dererstarrten, kompakten Masse infolge enger Kohäsion der sie zu-sammensetzenden Teile, des Stillstands der Moleküle. Der um-grenzte Körper hält fest gefügt zusammen. «Feuer» bedeutet dasGegenextrem, die den Molekülen mitgeteilte Beschleunigung,die sie auseinandertreibt. Das Auftreten dieser Bewegungsener-gie als Wärme hat eine die Körpergrenzen überschreitende Ten-denz. Mit «Wasser» und «Luft» sind die beiden Zuständebezeichnet, in deren erstem sich die Moleküle aneinander vorbei-drängen und schieben, wobei die Masse in Fluß kommt, in derenzweitem sie, den Zusammenhang aufgebend, mit größter Ge-schwindigkeit durch den Raum sausen, wobei die Masse sich

58

«verflüchtigt». Wir dürfen bei den Alten keine experimentellePhysik und Chemie in unserem heutigen Sinne erwarten, sonderneine Metaphysik stofflicher Phänomene. Man dachte im anthro-pokosmischen Bezug. So Aristoteles (De Coelo IV, 1): «DasKörperliche geht, seiner Bewegung nach, entweder nach obenoder nach unten, und zwar nicht nur relativ, sondern es ist absolutLeichtes und absolut Schweres», hierfür setzte er Feuer und Erde,wovon «jenes nach oben an das Extrem des Himmels, diesesnach unten in die Mitte ... », d. h. die Erdmitte strebt. Zwischendiesen beiden Extremen bilden Luft und Wasser die Mittler, «an-dere als sie, welche sich zueinander verhalten wie jene», wieFeuer und Erde.

Vorhin, als wir von Gemütsbewegung, von nachhaltigen undraschen Gefühlen sprachen, brachten wir, was Aristoteles dieExtreme nennt, unter dem Ausdruck «Schwere» in Deckung.Nun bezeichnen sie eben darin Gegentendenzen. Die scheinbareUnstimmigkeit ist aufhellbar, wenn wir, wie in der Folgezeitauch auf physische Dinge angewandt wurde, dem Begriff der po-sitiven Schwere (Trägheit) den einer negativen, ihrer Umkehrentgegensetzen.29 Als Analogie erhalten wir damit für die Extre-me: Schwere im positiven Sinne = träge Masse, Zusammenzie-hung; Schwere im negativen Sinne = dynamische Wucht,Auseinandertreibung, anwendbar auf das Bild der «seelischenAggregatzustände». Einerseits also «Erdschwere», Verhaftungim Körperzuständlichen, Herabziehen zum starr Materiellen, äu-ßerungsverhaltende Kälte, hartes Umgrenztsein bis zur Verkap-selung, anderseits feurige «Schwere der Affekte», Motorik undExpansität, Wärmestrahlung, äußerungssteigernder Auftrieb biszum himmelstürmenden Schwung. Zwischen diesen Extremen

29 Enthalten in Mayows «Feuerluft» (spiritus igno aërus), in G. F. Stahls «Phlogiston»,womit man dem Verbrennungsprozeß beizukommen suchte, bevor Lavoisier den Vorgangmit der Sauerstofftheorie erklärte. Dadurch, daß dieser in experimentellen Bedingungen derchemischen Änderung von Körpern dachte, schied er die heutige Chemie vom alchimisti-schen Denken ab, das metaphysische Voraussetzungen in die Körperwelt hineintrug. DieSymbolik der Aggregatzustände wird hiervon nicht berührt, weil es sich bei ihnen um Cha-rakteristika der Stoffe nur insoweit handelt, als deren Zustandsänderungen gesetzmäßig mitder Temperatur zusammenhängen, jeder Stoff macht die Stufen bei anderen Temperatur-graden durch. Der Mensch wird in dieser Symbolik vorwiegend als Temperaturwesen be-trachtet.

59

verhalten sich die beiden Mittleren ähnlich, doch gemildert. DasWäßrige ist dem Erdschweren genähert, hat teil am Kalten, Ver-zögernden, doch seine Zuständlichkeit ist nicht mehr starr, son-dern gelockert, die Dinge kommen in Fluß, sind formbar. DasLuftige enthält Auftrieb und Motorik, hat teil am Warmen, dochin der effektiven Zuständlichkeit nicht so unbedingt getriebenund weniger abstrahlend, als selbst temperiert, gelöst von zwin-genden Leidenschaften. Von Bedeutung ist, daß anschaulich ge-nommen Wasser und Luft die beiden Medien sind, in denen sichdas Leben abspielt; dem entsprechen einfügsame und vermitteln-de Eigenschaften.

Diese Verhältnisse bringen wir zum Ausdruck, indem wir dasSchema Wundts etwas anders anschreiben und so lesen, daß wirlinks unten beginnen und den Blick rechts herum aufwärts führenbis zum oberen Extrem. Dann haben wir die Folge fest, flüssig,gasförmig und den Energiefaktor, dessen Zufuhr sie bewirkt.

Feuer cholerischsanguinisch Luft

Ext

rem

e

Erde melancholisch phlegmatisch Wasser Mit

tler

Aus dem Schema von Aristoteles können wir noch andere Be-stimmungen ziehen, wenn wir die verbindenden Qualitäten be-trachten. Um an Stelle vager Meinungen verläßliche Kriterien zugewinnen, lohnt es sich, ausführlicher darauf einzugehen. Natür-lich gilt dies immer als Analogie verstanden, nicht etwa als kau-sale Ableitung seelischer Zustände aus materiellen Aggregat-zuständen, doch stimmt die Analogie und reicht bis in konstitu-tionelle Eigentümlichkeiten der entsprechenden Temperamentehinein.

(Wer hier noch nicht so in Einzelheiten gehen will, kann diefolgenden kleingedruckten Ausführungen vorläufig zurückstel-len.)

«Warm» verbindet richtig Feuer als den treibenden Energie-faktor mit Luft als gasförmigem Zustand, «kalt» bezieht sich auf

60

eingeschränkte Molekülarbewegung und verbindet Wasser alsflüssigen mit Erde als festem Zustand. Analog stehen raschereoder trägere organische wie seelische Vorgänge bei den entspre-chenden Temperamenten, stärkeres Gedrängtsein zur Bekundungder Gefühle nach außen bei «warm», stärkere Zurückhaltung bei«kalt». Auf dieser Schnittlinie liegen Berührungspunkte mit C.G. Jung in seiner Unterscheidung von Extraversion und Introver-sion («Psychologische Typen»)30, sowie mit dem erwähntenTemperamentbegriff von Klages. Dessen Formel einschließlichihrer Abwandlungen (in «Grundlagen der Charakterkunde»)bleibt ja auf der Linie des Verlaufstempos, der Bewegungslustund des Drängens von Gefühlen nach Ausdruck, unterschiedenvom langsamen Tempo mit nachhaltigen, sich anstauenden Ge-fühlen. Durch die Beschränkung hierauf sucht er Temperamentüberhaupt aus dem Grad der Verstärkung bezw. Schwächungentweder von Triebkraft oder von Widerstand zu ermitteln. Diesführt nicht nur zu der besprochenen Verwechslung mit kräf-testrukturellen Erscheinungen, sondern der grundsätzliche Unter-schied liegt in der Betrachtung nach Art oder Grad. Dieser bleibtquantitativ, Temperament als Reaktionsartung jedoch verlangtqualitative Gesichtspunkte.

Schwieriger sind darum die Qualitäten «trocken» und «feucht»zu verstehen, sie verweigern sich quantitativer Betrachtungswei-se. Sollte Aristoteles etwa nur der schönen Ordnung halber zwi-

30 Gemeint ist in der Hauptsache überwiegende Wendung nach außen, äußeren Situatio-nen aufgeschlossen, die Objekte ergreifend, oder aber Wendung nach innen, auf das Sub-jekt und seine Interessen zurückgezogen. Eine Tendenz zum ersten ist bei Feuer und Luft,zum zweiten bei Erde und Wasser unverkennbar vorhanden. Doch spielt auch die Betonungder Interessensphäre (obere oder untere Hälfte) und anderes hinein. Ich halte es für abwe-gig, eine aus elementaren Begriffsbestimmungen entwickelte, differenzierende Diagnostiketwa zu Gunsten einer vereinfachenden Typenlehre aufzugeben. Deren Brauchbarkeit fürüberschlägliche Sichtung sei deswegen nicht bestritten; als verschieden ansetzende Be-trachtungsschnitte, die eben deswegen, weil sie von der Differenziertheit des komplexenGanzen absehen, gewisse Momente bei einseitigen Fällen deutlich herausheben, sind dieTypologien jedenfalls des Studiums wert. - Eine beachtliche Untersuchung der in das The-ma «Innenmensch und Außenmensch» hineinspielenden Typenbegriffe und ihre astrologi-sche Einreihung bringt Dr. W. A. Koch in seiner Schrift gleichen Titels (Zenit Verlag,München 1956). Wo meine Auffassungen davon abweichen, z. B. im Begriff der Span-nung, geht dies aus meinen Darlegungen hervor.

61

schen Luft und Wasser das verbindende Feuchte gesetzt oder, imAnschaulichen bleibend, an die feuchtigkeitsansaugende Atmo-sphäre gedacht haben? Sieht man vom Übergang der Verdamp-fung ab, so entspräche «trocken» dem gasförmigen Zustand weiteher. Doch die letztere Qualität als Verbindendes von Erde undFeuer anzutreffen, weist auf Gegenüberstellung zu etwas hin,was diese beiden gemeinsam haben. Dies Gemeinsame der Ex-treme ist - wichtig für das analoge seelische Erscheinungsbild -die im Quadrataspekt zuweilen bis zur Unerträglichkeit gestei-gerte Spannung ihres Plus-Minus-Verhältnisses. Hier sind wirnun bei etwas oft Mißverstandenem; meist wird an die Häufigkeitnach außen sich entladender Spannungen gedacht, gespannt giltvielen gleichbedeutend mit krampfiger Aktivität. Urteilt man vondieser Energiebekundung, den rascher herausplatzenden Heftig-keiten, dem Ungestüm aus, so wird allein das Plus des Feuerele-ments beachtet, dagegen das Minus des Erdelements, seineInaktivität, als Mangel an Spannung bewertet. Man muß hier das-selbe in der Umkehrung der Vorzeichen sehen, beim Erdhaftenan ein Gestrafftsein nach innen denken. Der Vergleich der Ag-gregatzustände zeigt dasjenige, was im Flüssigen und Gasförmi-gen gestaffelt frei wird, Bewegungsenergie, im Festen durchKohäsion der Moleküle gebunden. Er zeigt aber auch in derRückbildbarkeit der Zustände eine Gegentendenz, die zur räum-lichen Ausgestaltung des Stoffs in seiner ureigenen ruhendenForm drängt; der gestaltlos ausgebreitete Gaszustand enthält po-tentiell den Kristall, hergestellt, sobald die Moleküle durch Ent-zug von Wärme zur Ruhelage kommen. Das zur Spannunggehörige, im analogen seelischen Bild überwiegende Verhal-tungsmoment, seine Sperrungs- und Verdrängungstendenz, hatseinen Grund im Haften am Stationären, ruhend Ausgeformten,mit dem man in irgendeinem gestalthaften Bezug identifiziert ist.Der Gegensatz zwischen diesen Extremen nun, Geschehen ent-fesselnder Bewegungsenergie einerseits, Stillstand im geschlos-senen Formzusammenhalt anderseits, in ihrer Absolutheitaufeinander bezogen heißt hier «trocken»; gemeinsam ist denanalogen Erscheinungen das Markante, scharf Profilierte, Ent-schiedene der Gerichtetheit oder des Gebautseins.

62

Zum Spannungsbegriff, oft gebraucht, selten definiert, sei dieAnsicht Goethes angeführt: «Spannung ist der indifferent schei-nende Zustand eines energischen Wesens in völliger Bereitschaftsich zu manifestieren, zu differenzieren, zu polarisieren.»31 Diesverstehen wir also in Gedoppeltheit der energischen Äußerungeinerseits, der tektonisch ausgerichteten Zurückhaltung ander-seits, den Menschen als Energie auswirkendes und zugleich imMateriellen bauendes Wesen. In ihrem Gegensatz wird um dieGestaltung des Daseins gerungen, wobei, um genau zu sein, dieSpannungshaltigkeit des Temperaments gesondert betrachtet seinwill von der problematischen Spannung32. Diese ist kräfte-strukturell begründet und tritt inhaltlich bezogen auf, jene als Re-aktionsartung betrifft elementare Schemata des Verhaltens zumäußeren Anlaß. Die «feurigen Schemata» sind offenkundig ge-spannter nach der Energieseite; sie zeigen sozusagen eine Bereit-schaft auf dem Sprungbrett, der indifferent scheinende Zustandbirgt erhöhte motorische Reizbarkeit und platzt zuweilen beimgeringsten Anlaß auf. In den «erdhaften Schemata» wird demge-genüber der Schein der Indifferenz spröder bewahrt, daher geltensie als spannungslos, sind es aber nicht. Bei ihnen neigt dasSpannungsmoment zum Verhaltenden, dem wesenseigenen Bau-gesetz und seiner materiellen Verwirklichung; von außen beur-teilt zeigt es sich oft im Negativum, in der Verdrängung

31 «Über Naturwissenschaft», Einzelne Betrachtungen und Aphorismen.32 Problematische Spannungen folgern aus den Beziehungen der Wesenskräfle, behan-

delt unter «Aspekte», ihre Lösung im Falle des Akutwerdens erfordert Einsicht in die in-haltliche Lage des Problems. Daher größere Erziehbarkeit gegenüber Temperaments-äußerungen. Der Gegensatz energisch-tektonisch tritt im Verhältnis der solaren zur satur-nalen Reihe auf, das S. 50 gebrachte Beispiel ��4�� enthält ihn; eine so begründete Trieb-hemmung verlangt, um zur Lösung zu kommen, Eingehen auf den Inhalt tektonischer Maß-stäbe (Gesellschaft, Selbstachtung usw.), welche die freie Bekundung hindern. - Wer ge-neigt ist, Begriffe wie den vielbezüglichen der Spannung für summarische Einreihungen zugebrauchen, wird es als paradox empfinden, das Zeichen ist, das dem Temperament nachauf der Lösungsseite liegt, später als «Das seelisch Spannungstragende» bezeichnet zusehen. Hiermit meine ich Spannungen aus dem Gefäll der inneren Vielschichtigkeit, die beidiesem krisenschwangeren Prinzip wie bei keinem anderen zur Geltung kommen; imDurchhalten, Durchtragen der aufgerührten Emotionen erweist sich anderseits seine «fixe»Natur. Es geht wie bei allen Wasserzeichen um Lösung, doch sie hängt vom Entwicklungs-niveau ab. Wir finden darum in Konflikten ebensowohl brutale Lösungen von durchbre-chenden Rudimentärschichten aus, als auch beim höher Entwickelten grundsätzlichenVerzicht, Entsagung und Verwandlung, Neufixierung der Werte.

63

spontaner Bereitschaften, bringt aber bei Bedrohung seiner Werteauch größte Widerstandshärte auf, die Abweisung fremder An-sprüche erreicht eine im «Wäßrigen» unaufbringliche Ge-strafftheit. Da diese Spannungsseite zu etwas tendiert, was in derUmwelt nicht offenbar, nur materiell eingekleidet daliegt, ergibtsich bei Verkennung von Anlaß und Grund des Verhaltensmanchmal ein krampfiges Verbocktsein bis in organische Spas-men hinein. Im Energiesinne ist diese Anlage schwerfällig reagi-bel, der einbehaltene umweltliche Reiz setzt aber meist in Formnervöser Spannung den Intellekt in Tätigkeit, um Lösungensachlicher Art zu erreichen; unbewußt weiterwirkende Überfor-derungen werden als dumpfer Druck empfunden (Quelle vonDepressionszuständen bes. bei '). In allem «Trockenen» liegtals Entgleisungsgefahr die Übertreibung nach dieser oder jenerSpannungsseite: selbstherrlicher, chaotischer Aktivismus odersachunterworfenes Eingebaut- und Verbautsein.

Dem Spannungsfaktor steht, der bei «feucht» einzusetzendeLösungsfaktor entgegen, dem Trocken-Spröden das Geschmeidi-ge. Ein polarer Gegensatz wäre nun schlecht bestimmt aus demNichtvorhandensein einer positiven Eigenschaft, wenn man etwadem Muskeltonus die Schlaffheit entgegensetzt; damit käme manhier nur auf das Formlose, Weiche, Nachgiebige. Zum Eigentli-chen verhilft uns die Analogie der entsprechenden Aggregatzu-stände. Das Flüssige ist «erdnäher«, folgt dem Gefäll undschmiegt sich in Höhlungen, Risse, Klüfte der festen Unterlagehinein, das Gasförmige ist «feuernäher», folgt seiner Tendenz derAusbreitung und gleichmäßigen Erfüllung des dargebotenenRaums. Es sind die beiden Mittler zwischen den Extremen, siehaben die Eigenschaft der Mischbarkeit verschiedener Stoffe undbegünstigen chemische Verbindungen; vor allem findet im Zu-stand des Mediums die Geschöpfe umfließt, als auch in diesenselbst die organischen Prozesse durchführt. Analog stehen seeli-sche Ablaufs- und Verhaltensschemata. Hinsichtlich der Gefühlesprachen wir vorhin von Leichtheit als beiden gemeinsam. Wirunterscheiden darin nun das angelehnt an Bedingungen Strömen-de des Wäßrigen, das aufgelockert und bindungslos Flüchtige desLuftigen. Jedes hat dementsprechend seine eigenen Lösungsfor-

64

men, das Luftige die rasche Umsetzung äußerer Reize in Blick-punkte, Einfälle, Vorschläge, das Wäßrige eine langsamere Her-ausbildung adäquater Symbole des seelischen Eigenlebens. Aufdiese Weise wird der Reaktionsanlaß bei beiden «feuchten» Ele-menten leichter assimiliert und eine Form gefunden, Umweltli-ches aufzunehmen und dennoch ihm zu entgleiten, auf anderesüberzugehen. Dagegen die «trockenen» Elemente gehen solcheVerbindungen eigentlich gar nicht ein, sondern der Reiz wird di-rekt oder umwegig abreagiert, oder aber akkumuliert, das heißtman wird die Spannung nicht los und bleibt am Anlaß haften.

So kommen wir auf die von Klages anderwärts untergebrach-ten Begriffe der Bindung und Lösung, sehen darin teilweiseschon vorinhaltlich, temperamentsmäßig Begründetes. «Trok-ken» bedeutet gespannte Bindung durch etwas (Tätigkeitsziel beiFeuer, gegenständlicher Anlaß bei Erde), wovon sich «feucht»leichter distanziert, den Eindruck elastischer ausgleichend; «trok-ken» neigt demgemäß zu «unerschütterlichen Stellungnahmen»(nur extrem verschieden in der Bekundung), schließt also gege-benenfalls, wenn die Voraussetzungen entfallen, auch stärkereErschütterbarkeit ein als die weich-anpassende oder ausglei-chend-schwankende Gegenhaltung «feucht». Vereinigt sich dergespannte Gegensatz des Feurigen und Erdhaften im Gestal-tungsmoment, so differenziert sich das gelöstere Gegenüber desLuftigen und Wäßrigen mehr nach der Stimmungsseite; Gefühle,welche die Reaktionen begleiten, empfangen eine hellere Ge-töntheit aus der luftigen Entledigungs-, eine dunklere aus derwäßrigen Stauungstendenz. Im noch tieferen Absinken entstehtdann beim Erdhaften das Gedrückte, «Pessimistische» gegenüberdem luftigen Gehobenen, «Optimistischen» und der manchmallauten Lustigkeit des Feurigen.

Der Bindungs- und Lösungsfaktor im Temperament (zum Un-terschied von dem, was Klages im Auge hat) stammt unabhängigvom Intellekt aus der unmittelbaren Lebensbetätigung; er gehtdaher in die Vitalitätsform ein, ohne jedoch Aussagen über vor-handene «Menge» an Vitalität zu gestatten (Aussagegrenze. Fa-milienerbe). Auch hierin treten die Extreme hervor. Das feurige

65

Temperament erscheint gemeinhin vitaler, weil die gesamte imAugenblick verfügbare Vitalität eingeht in die Äußerungswuchtdes Affekts, womit der Mensch den reizerregenden Gegenstandzu beherrschen, sein Ziel zu erreichen strebt. Diese stoßweiseVerausgabung kann jedoch zu frühem Verbrauch führen, wenngenügende Erbreserven fehlen. Im erdhaften Gegenextrem er-scheint die Äußerung unvital, weil der Mensch, vom Gegenstandim lastenden Gewicht seiner Konkretheit beherrscht, den Anlaßzwar auch mit dem Gesamtvorrat an Vitalität, doch mehr in suk-zessiver Gründlichkeit verarbeitet. Diese sparsame Ausgabe kanneine der Voraussetzungen umso größerer Lebenszähigkeit sein.Es gibt also im Extrem eine von Augenblick zu Augenblick ver-schwendete, sowie demgegenüber eine sozusagen in Raten abge-gebene, nur im nötigen Falle voll eingesetzte Vitalität; beidessagt nichts über den vorhandenen Gesamtvorrat aus. Solche Be-obachtungen führen uns - zum Unterschied vom üblichen «mehr»oder «weniger» an Vitalität zum qualitativen Vitalitätston, späterunter «Einzeldarstellungen» bei jedem Zeichen beschrieben.

Fragen wir uns, was in jedem der so verstandenen Tempera-mente sich aus der Überschneidung von zweierlei Qualitäten alseigentümlich herausbildet, so erhalten wir die Eckbegriffe desnachfolgenden Schemas.

Gegenstandshaftungerdhaft

Ausdrucksleichtigkeit luftig

nachhaltige Anstauung

gespannt, gebunden

rascher Ausdruck

gelockert, gelöst

rascher Ausdruck

gespannt, gebunden

nachhaltige Anstauung

gelockert, gelöst

Äußerungswuchtfeurig

Vorstellungsflußwäßrig

In diesem Sinne, gestützt auf Erfahrung aus den individuellenMeßbildern, gebrauchen wir im folgenden die alten Bezeichnun-

66

gen der Elementarzustände, zumal die unbefangene Menschen-beobachtung, die noch nichts von Klassifizierung nach Tempera-menten weiß, sich derselben Ausdrücke meistens richtig bedient.Sie unterscheidet gar wohl zwischen der erdhaften Schwere desTatsachengebundenen und den schweren Affekten des feurigVeranlagten, der die Welt mit glühendem Herzen ergreift, zwi-schen der ideengetragenen Leichtigkeit eines, der mit seiner Vor-stellungswelt in der Luft hängt, dessen Flüchtigkeit oderbodenloser Leichtsinn Hindernisse überfliegen möchte sowie an-derseits der Leichtheit, mit der es bei äußerer Stille und Untätig-keit innerlich strömen und fließen kann. Der verbildlichendeSprachgeist legt sich nicht fest auf den trägen Phlegmatiker alsWertungsbegriff, umfaßt jedoch, wenn abwertend, auch den Ver-sumpften, sorglos Dahinplätschernden, im Strome Mitschwim-menden oder den Luftikus und windigen Bruder, den wirrüberhitzten Feuerkopf, der seine Kräfte stichflammenartig ver-pufft und schließlich den Belasteten, am Boden Klebenden mitseinem erdverhafteten Trübsinn. Gerade Temperamentsäußerun-gen gegenüber wird die Sprache farbenreich. Nur gehen die Aus-drücke natürlich fehl, wenn sie zur verallgemeinerndenKennzeichnung einer Gesamtpersönlichkeit gebraucht werden.Komplexes verlangt Systematik, Regel und Beziehung der Tei-lerscheinungen.

Ähnlich steht es mit den Urqualitäten. Ihre Geltung erweistsich in einem der empirischen Feststellung zugänglichen Berei-che, in der Leibeskonstitution. Hieraus empfängt der Begriff desTemperaments sein Eigentümliches, einen Zusammenhang voninneren Vorgängen mit physiologischen Artungen zu bezeichnen.«Trocken» ist in dieser Hinsicht gleichbedeutend mit dem Span-nungsfaktor, «warm» mit dem Dynamisierungsfaktor, «kalt» mitdem Kontraktionsfaktor, «feucht» mit dem Lösungsfaktor. Jezwei überschneiden sich in jedem Temperament. Wir haben dieBeschreibung mit nunmehr veränderten Namen der Tempera-mente zu ergänzen.33

33 Selbstverständlich werden die Ausdrücke «Prozeß» und «Phase» hier wie im ganzen

Buche im allgemein üblichen, nicht in dem eingeschränkten Sinne gebraucht, auf den sie

67

Erdhaft = Gegenstandshaftung

(Spannung + Kontraktion)

Größte Langsamkeit der organischen Prozesse, die zum gesun-den Funktionieren eines geregelten Lebenswandels und in derErnährungsweise genauer Beachtung der dargereichten Stoffebedürfen. Bei Sünden hiergegen stockender Kreislauf, verzögerteAbscheidung der Stoffwechselprodukte, Stauungen. Träger Blu-tumlauf, schlechte Oxydation, daher Kältegefühl. Relativ säfte-arm, leicht ermüdet, dennoch im ganzen ausdauernd. Erkrankun-gen zeigen Tendenz zum chronischen Verlauf, oft Verschlep-pungen. Nervöse Reizung bei geringer darauf anspringenderMotorik.

In der seelischen Haltung gebunden durch Tatsachen sowohldes leiblichen Zustandes, als auch der materiellen Umstände derLebensführung. Dem Fluidum der Umwelt gegenüber jedochmeist anschlußlos, häufig isoliert. Überlegende Sachlichkeit, zumAnschaulichen und mechanisch Exakten neigend, schwung- undbegeisterungsloser Realismus. Zauderndes Handeln, unerwartetherantretenden und ungewohnten Anforderungen mit «wenn undaber» begegnend aus der Tendenz, den Verlauf und Ertrag sichkonkret vorstellen zu wollen, ehe ein Risiko eingegangen wird.Hinter sachlichen Einwänden kann sich auch pessimistische Ab-wehr verbergen. Geringes Zutrauen zu den verwandelnden Kräf-ten des Lebens, daraus Gleichgültigkeit gegen Gefühlsauf-schwung und Optimismus anderer, selbst im Witz kalt und trok-ken. In der Betrachtung der Dinge vom Vorhandenen ausgehendund häufig von Befürchtungen getragen, bei depressivem Ge-spanntsein von stimmungssenkender Einwirkung auf die Umge-bung, sich findend in ernster Gefaßtheit vor konkreten Aufgaben.Mit Entschlüssen, die langsam herausgebildet, oft abgehackt her-vortretend, arhythmisch im Einsatz. Mitunter Verbohrtsein ingenau umrissene Wunschvorstellungen, ohne danebenliegendeoffene, aber andersartige Möglichkeiten aufzugreifen; meist han-

seit Jaspers («Allgemeine Psychopathologie») in der Psychiatrie festgelegt sind, wo sie zurUnterscheidung zweier krankhafter Vorgänge dienen.

68

delt es sich dabei um materiell eingekleidete Werte der Eigenexi-stenz. Die Stärke liegt in der konsequenten Verwirklichung desgefaßten Vorhabens, in diesem Punkte meist Verläßlichkeit,wenn die Durchführung auch oft einen schleppenden Zug be-kommt und akuten Erfordernissen nachhinkt.

Feurig = Äußerungswucht

(Spannung + Dynamisierung)

Größte Beschleunigung der organischen Prozesse, ungleich-mäßigen und harten Anforderungen gewachsen, soweit dieserasch zu bewältigen. Starke animalische Bedürfnisse. RegerBlutumlauf, gute Oxydation, daher Körperwärme und Strahlkraft.Hoher Muskeltonus. Erkrankungen zeigen Tendenz zu akutemfieberartigem Verlauf, auch Entzündungserscheinungen; in Be-zug der Heilmittel Ansprechen auf kräftige Dosen. Natürlicheund in der Erregung oder Begeisterung anspannungsfähige Moto-rik, Bedürfnis nach Bewegung in freier Luft.

In der seelischen Haltung eingestellt auf akute Erledigungen,rasche Abwicklung von Tätigkeiten, welche die Willensspannungzum Ausgleich bringen. Bedürfnis nach freiem Spielraum, Ab-schütteln pedantischer Überwachung. Mitunter heftige Aufwal-lungen, die sich freimütig, den Gegner vor Augen, kundgeben;wo dies nicht möglich, eine mit sich herumgetragene Geladen-heit, die nach dem ersten geeigneten Anlaß der Äußerung sucht.Die Entladung kann unmittelbar in herzenswarmes Verständnisfür den Betroffenen umschlagen. In der Verwirklichung der Im-pulse, schon bei Aussicht auf Vorwärtsgehen der Dinge eine ge-hobene Stimmung, der Komik in den Widersprüchen des Daseinszugänglich, steigerbar bis zum tollen Lebensüberschwang. Sou-veräne Behauptungen und mit Nachdruck vertretene Ansprüche,deren Form sich aber im Tempo des Lebens rasch umwandelnkann, nicht auf dem Buchstaben pochend, oft genügen Bausch-und-Bogen-Erfolge; beim Eintreiben von Forderungen unter Um-ständen mit Würdigung der Person und Ehrabfindung zufrieden

69

zu stellen. In der Zuversicht zuweilen allzu sorglos, im Einhaltenvon Versprechungen, die unter optimistischen Voraussetzungengegeben, nicht immer zuverlässig, in der Leidenschaft ungestüm,übertreibend, doch im Notfalle bei der Ehre gepackt zum korri-gierenden Handeln bereit. Die Stärke liegt in der Lebensbeja-hung, die Wagnisse auf sich nimmt und Projekte angeht, statt aufdie lange Bank zu schieben, auch seelische Probleme statt sieauszuspannen manchmal mit technischen Griffen löst, im impul-siven und tatkräftigen Einsatz für die bejahten Ziele.

Wäßrig = Vorstellungsfluß

(Lösung + Kontraktion)

Mäßiger Gleichlauf organischer Prozesse in enger Wechsel-wirkung mit der Gefühls- und Stimmungslage, von sich aus lang-sam und träge, mit Schwäche- und Kältegefühlen, dochintensivierbar durch ermunternde Eindrücke und Zuspruch. BeiErkrankungen spielt der psychische Faktor eine große Rolle, inBezug der Heilmittel Ansprechen auf geringe Dosen, naturgemä-ße Verfahren. Zur körperlichen Bewegung oft bequem, doch an-regsam, Verbesserung des Stoffwechsels damit erreichbar.Relativer Säftereichtum, starke Schleim- und Drüsenabsonde-rung. Hohe Empfänglichkeit für Infektionen sowie Wetter-schwankungen, Neigung zu Katarrhen. Häufig anfällig bei den-noch immer wieder neu gestärkter Vitalität.

In der seelischen Haltung sensitiv einfühlsam und daher in derStimmungslage abhängig von der Umgebung, getragen von ent-gegengebrachter Sympathie, jedoch durch mißgünstige Strömun-gen beirrt und leicht außer Fassung gebracht. Tendenz zugemüthaftem Ausgleich, in diesem Sinne «gemütlich», einenzwanglos anregenden Anschluß suchend, der nicht mit strengenForderungen verknüpft; sonst zurückhaltend, in sich eingespon-nen. In den Ansprüchen bescheiden oder zuweilen phantastisch,dann aber auch mit symbolischen Abfindungen zufriedenzustel-len. Alle Maximen, ob anfänglich spannungsreicher oder -ärmer

70

erlebt und bejaht, werden nach einer Zeit ins Bequeme, in lässi-ges Sichgehenlassen gemildert. Es bedarf darum immer erneuterAnstöße von verschiedenen Seiten her, um ein anstrengendesZiel zu verwirklichen. An sich formlos, aber empfänglich, wennauch mitunter nach der rührsam-sentimentalen Seite hin, im We-sentlichen durch wechselnde Eindrücke und das Gemüt anspre-chende Einflüsse geformt. Ohne Anregung gelassen leichtVersinken im Genuß des Nächstliegenden, Erschlaffung. Durchinneren Aufschwung, Aufsuchen von Anspornendem jedoch, dieEinbildungskraft zu tätigen Folgerungen treibend, wird die An-passung an veränderliche Verhältnisse zur Stärke.

Luftig = Ausdrucksleichtigkeit

(Lösung + Dynamisierung)

Überhastung der organischen Prozesse durch stimmungsmäßi-gen Euphorismus, auch soweit willkürlich beeinflußbar, um ge-legentlich ebenso rasch im Tempo abzufallen; das Psychischescheint oft den Zusammenhang mit der körperlichen Basis zuverlieren, bewegt sich außerhalb der natürlichen Lebensphase.Manchmal vorzeitiger Verbrauch, manchmal verspätete juvenileHaltung. Bei Erkrankungen ist meist eine, Reformierung derganzen Lebensweise angebracht, mit Zurückschrauben des hirn-lich angetriebenen Dynamismus und ruhiger Atemregelung. Häu-fig zu geringe Berücksichtigung vegetativer Bedürfnisse beinervenmäßig überforderter Vitalität. Umschlagen von Phasen derÜbererregung in Ermüdungszustände, mitunter innere Apathiebei weitergetriebener äußerer Beweglichkeit. Oft ungenügendeBildung roter Blutkörper.

In der seelischen Haltung austauschhungrig, ebensowohl aufandere einwirkend als auch deren Sympathie bedürftig. Meistumgänglich und kameradschaftlich mit geistiger Liberalität, emp-fänglich für Liebe und Freundschaft in diesem Sinne, wenn keinezu starken Belastungsproben damit verknüpft sind. Letztere nurbei ideologischem Gleichklang durchhaltbar. Vielfach rasche

71

Anknüpfung, rasche Uninteressiertheit, sobald der Austausch derAnschauungen stagniert. Unternehmender und lenksamer, zu-weilen leicht übertreibender Schwung, lebhafte aber oft flüchtigeImpulse, gleichsam seelisch mangelnder Tiefatem. BeweglicheWunschkraft, leichtes Erfassen der Situation und williges Einge-hen darauf, geschmeidige Ausdrucksweise, Sinn für geistreicheIronie. Mitunter heiter durchs Leben tänzelnd, Zerstreuung su-chend, mitunter auch Intrigen und Hervorrufen von Zwisten, umsich das Dasein interessanter zu machen. Doch anderseits meistidealisierende Gefühle, echte Begeisterung und Bildungs-interessen, Tendenz zu Freimut des Urteils. Zum geistigen Erfas-sen auch alltäglicher Dinge und dadurch zur Verfeinerung ge-neigt. Die Stärke liegt in der Aufschwungsfähigkeit, die sichselten von materiellen Mißlichkeiten niederdrücken läßt, fastimmer einen Ausweg findet oder gute Miene zum bösen Spielmacht.

Wir versagen es uns, die vielfachen Querverbindungen zu denverschiedenen empirisch, intuitiv oder über naturphilosophischeSpekulation gefundenen Typen aufzuweisen, wie etwa Brink-mann solche zur antiken Temperamentlehre herzustellen versuchthat34. Derartige Beziehungen bestehen, denn schließlich liegtdasselbe Modell zugrunde, das individuell mannigfaltig abge-wandelte menschliche Wesen. Doch sei erinnert, daß es hier nichtum eine Typenlehre geht, welche den Gesamtumfang charakter-licher Erscheinungen unter Einteilungsbegriffe subsumiert, son-dern um die Heraushebung dessen, was unabhängig vonkräftestrukturellen und anderen Momenten als Temperamentgelten kann. Dabei steht die astrologische Diagnostik im Vorteil,daß die Zuordnung durch das Meßbild keiner Willkür des Beur-teilers unterliegt. Es bleibt lediglich die erfahrungsmäßige Über-prüfung der gewonnenen Bestimmungen übrig. Die Zuordnungbetrifft nicht die Gesamtpersönlichkeit, nicht einen ungefährenMischtypus, sondern Mehr- oder Minderbetonung unterscheidba-

34 Donald Brinkmann, «Über ein Grundprinzip der psychologischen Typenlehren»,

Schweizer. Zeitschr. f. Psychologie, 1948. Hierbei zeigt sich - neben richtig gesehenenQuerverbindungen - das Fragwürdige der Auffassung vom «phlegmatischen Tempera-ment», das B. dem extravertierten Typus C. G. Jungs analog stellt.

72

ren Grades im Teilhaben an mehreren Temperamentsarten. Dierelative Unabänderlichkeit des Temperaments, bewußte Steue-rung des Handelns unterbauend, beruht auf dem Zusammenhangvon Gemütsbewegungen, seelischen Haltungen und dementspre-chender Verhaltensschemata mit der physiologischen Artung, derKonstitution. Nicht ohne weiteres ist darin der Gestaltbautypusenthalten, unter morphologischem Gesichtspunkt zu unterschei-den vom physiologischen Zustand. Hierzu werden wir später un-ter «Tierkreis-Signaturen» Stellung nehmen.

Zuvor gilt es, das zutage getretene Ordnungsphänomen noch inweiterer Sicht zu erfassen. Sucht man den mit Temperament um-schriebenen leib-seelischen Zusammenhang im naturwissen-schaftlichen Detail, so sieht man nur fließende Grenzen. Das Bildder Aggregatzustände enthält zwar sprungweise Übergänge einesZustands in den anderen. Richtig als Bild, bedeutet dies jedochkeine Ableitung der scharfen Scheidungen seelischer Haltungsei-gentümlichkeit aus chemischen Elementarvorgängen. Betrachtenwir nunmehr den Zusammenhang einmal von der Frage aus, wietief ein Mensch wesensmäßig in der Materialität steckt. Dannkann man verschiedene, in Leib, Seele und Geist widergespie-gelte Stufen des Belastetseins durch die Materialität der Dingeoder des Enthobenseins davon feststellen, nicht als Bewußtseins-haltung, sondern als wesensmäßige Ausrichtung gemeint.

Dem unbefangenen Beobachter der beschriebenen Tempera-mente wird sich eine solche Gestuftheit geradezu aufdrängen.Vergegenwärtigen wir uns die Ebenen des Seins, wie sie NicolaiHartmann als Schichten des Materiellen, Organischen, Seeli-schen, Geistigen übereinandergestuft sieht, jede mit schichtenei-genen Kategorien, so zeigt jedes Temperament eine Verwandt-schaft mit einer dieser Ebenen.

Luft = Affinität zur geistigen EbeneWasser = Affinität zur seelischen EbeneFeuer = Affinität zur organischen EbeneErde = Affinität zur materiellen Ebene

73

Jedes Temperament ist im Ansatz seiner Äußerungen verwandtmit der Eigenart der betreffenden Schicht, bezieht aus ihr gewis-sermaßen den Modus des Heimischseins im Dasein, die Wesens-Tonart. Erdhaft = raumerfüllend Stoffliches und dessen Tektonik,abgegrenzte reale Dinge in Ruhe oder mechanischer Bewegung,formales Beziehungsgefüge von Teilchen; Feurig = Lebensdy-namismus in Beantwortung von Reizen der Außenwelt, ei-genrhythmisch spontan in den Raum hinein betätigtes Wollen,Gestalten, Zielverwirklichen; Wäßrig = Hereinziehen von Um-weltlichem in die Innenwelt, Verwandlung in Phantasie- und Ge-fühlsdinge, Selbstlauf seelischer Symbolik; Luftig = Verwand-lung von Dingen in Ziffern und Zeichen allgemeinerer Bedeu-tung, ihre Verbreitung, über dem Tatsächlichen schwebendeDenkbarkeit, Allgegenwärtigkeit von ideologisch Gültigem. AlsGanzer bewegt sich der Mensch selbstverständlich im gesamten,so geschichteten Stufenbau, wobei Vorgänge der einen Schicht indie der anderen übergreifen. Doch die genannten anlagemäßigenBetontheiten setzen sich auch in der Durchformung der individu-ell minderbetonten Schichten durch35.

So bekommen wir im Falle individueller Überbetonung einesTemperaments (modifiziert durch die von der Entwicklungshöhe

35 Die wesensmäßige Verwandtschaft einer Reaktionsartung zu einer bestimmten Ebene

erhält sich also selbst dann, wenn die Bekundung auf einer anderen Ebene liegt. So tendiertdas Erdhafte zur gedanklichen Stoffbewältigung im Sinne trockenen, sachlich kühlen, ge-nauen, stückweisen Studiums der Gegenstände und ihrer formalmechanischen Beziehung.Demgemäß findet man in den erdhaften Zeichen / und + oft einen klaren Verstand inBezug auf Körperdinge, in ' häufig einen mathematischen Raumsinn. Gerade unser Ver-stand, obzwar Werkzeug geistigen Lebens, hat seiner Funktionsweise nach eine Beziehungzur Welt fester Körper, zur Zerlegbarkeit in einzelne Bestandteile und ihre Relationen. Imfesten Aggregatzustand präsentieren sich die Stoffe in der Weise, daß sie Baustoffe bestän-diger Formen unserer empirischen Welt sind, ferner offenbaren sich in der Kristallbildungdie geometrischen Bauschemata der Materie, die in den anderen Aggregatzuständen für denAugenschein verloren gehen. Analog diesem besteht die Intellektualität, die dem erdhaftenTemperament entspricht, in der Erfassung empirischer Körperlichkeit durch eingeboreneOrdnungsschemata und bleibt, trotz aller Abstraktionen, wesensmäßig materiell bezogen. -- Was hier dagegen, dem luftigen Temperament entsprechend, wesensmäßiges Bezogenseinauf die geistige Schicht heißt, kommt umgekehrt auch in der realpraktischen Handhabungstofflicher Dinge zur Geltung, Es besteht in größtmöglicher Erhebung der Blickpunkte überdie materiellen Erscheinungsbedingungen. Dies kann auch unintellektuell sein, hängt nichtvon der Ausbildung des Verstandes ab (Aussagegrenze!), eine inspirierte Geistigkeit imSinne des «Pneuma». In dieser intuitiven oder in intellektueller Form geht es um freiesVerströmen der Gedanken und Abständigkeit zur Empirie.

74

abhängigen Charakterelemente) gewisse Handhaben zum Urteilüber die Haltungseigentümlichkeit auf den verschiedenen Ebenendes Seins.

Beim feurig überbetonten Menschen teilt sich die Dynamik desWarmblüterorganismus auch seinen Gefühlen und Gedanken mit.Gegenstände, die ihn erlebnismäßig reizen, sind ihm «Tat»-Sachen im Wortsinne, d. h. sie verwandeln sich ihm unmittelbarin Aktionsziele mit der Tendenz, in der Auseinandersetzung zuobsiegen. Ein Denken, Fühlen, Handeln in Vitalbedeutungen, dasin Verwandtem anklingt, kühleren Naturen allerdings auch lästigfallen kann als eine nur «handbereite», nicht gefühlsbeschaulicheoder logisch-sachliche Erlebniswelt.

Beim erdhaft Überbetonten fehlt solche lebensunmittelbareDynamik. Sogar die leiblichen Vorgänge scheinen bei ihm unge-nügend von den organischen Bildekräften durchdrungen zu sein,sein Seelenleben ist stofflich belastet, seine Geistigkeit tendiertzu mineralisch starren Formen. Seine Art von Spannung betrifftden Gegenstand in seinem Fürsichsein und als Wert für die Ei-genexistenz. Es kann sich um einen hochintelligenten Menschenhandeln, doch Anspeicherung von Sachbegriffen bildet keinenMaßstab für wesensmäßig Geistiges und der Leistung geht es umTat-«Sachen».

Umgekehrt, mag es auch manchem paradox klingen, ist ein un-entwickelter Verstand kein Maßstab für mangelnde geistige We-sensart. Über den geistigen Entwicklungsgrad kann ausÜberbetonung des Luftigen noch nichts gefolgert werden. Dochwesensmäßig ist es die Stufe größten Enthobenseins von derMaterialität; die lockere, entspannte Haltung eines solchen Men-schen haftet wenig in seiner Körperlichkeit, sein Fühlen ist rela-tiv frei von trieb- und gemütsmäßigen Bindungen, sein Denkennimmt die Welt gleichsam aus der Vogelschau wahr, sei es ober-flächlich und flüchtig oder mit erworbener Bemächtigung durchgeistige Kategorien.

Eine Gelöstheit dunklerer Tonart kennzeichnet den wäßrigÜberbetonten, den Menschen des flüssigen Temperaments. Ersteht eine Stufe tiefer in der Leiblichkeit, ist jedoch ohne span-nende Motorik; sein bequemes Sichgehenlassen und relatives

75

Untätigsein hat etwas Kaltblüterartiges, insofern er äußererWärmezufuhr, das heißt gemütsmäßiger Wärme und energiemä-ßiger Anstöße durch andere zur Steigerung des Lebensschwungsbedarf. Sein Denken besteht von Haus aus in verschwommenenAndeutungen, Ahnungen und Symbolismen, wenn ihm nicht dasGefühlsverhältnis zu einer Sache den Blick schärft, ihr Bedeu-tungswert ihm den Ansporn zur geistigen Erhebung gibt36.

Wie gesagt ist aber die Gesamtpersönlichkeit nur selten so ein-seitig durch ein einzelnes Temperament bestimmt. Abgesehenvon der Beurteilung des Stärkeverhältnisses der Temperamentegeht die Deutung auf die «Einfärbung:» jedes Anlage-Radikals.

Die Intelligenzanlage z. B. kann erdhaft-sachgebunden, feurig-organisch, wäßrig-symbolistisch, luftig-ideenhaft eingestellt sein,je nach der Stellung von �. Je nach der (�-Stellung kann dasTrieb- und Dranghafte sich zögernd aber nachhaltig, an konkreteGegenständlichkeit gebunden ausgeben (erdhaft), es kann mitimpulsmäßigem Ansturm, gesteigerter Ausdruckswucht, zu ra-scher Eroberung der Ziele neigen (feurig), kann zur seelischenAktivität werden, in der Schärfe zwar gemildert und beirrbarer inder Richtung, dafür wiederum elastischer (wäßrig), schließlichkann es ideologisch lenksam und leicht beschwingt, schwerelosschnell sich äußern (luftig). Hierin liegen keine Bewertungen imSinne von günstig oder ungünstig, sondern temperamentsbe-dingte Grundlagen eines verschiedenen Denk- und Tätigkeits-stils. Freilich ist es immer die Gesamtpersönlichkeit, die denktoder handelt; entsprechend der obersten Deutungsregel «keineEinzelaussage ohne Betrachtung des Gesamtbildes» haben wirdies zu kombinieren mit dem, was unmittelbar oder mittelbareingreift. Sozusagen als Untermalung des Gesamttemperamentsist der Aszendent zu nehmen (erklärt S. 259 f. und Anhang), dieForm persönlicher Reaktionsweise, wenn noch keine bestimmtenKräfte zum Einsatz aufgerufen sind. Als Symbol des zentral Le-

36 Die vielen Mißverständnisse über den «Phlegmatiker» werden so begreiflich. Nur wodas Niveau auf die vegetativen Vorgänge eingeschränkt ist, nähert dieser sich dem «Typedigestif» (Ernährungstypus) Sigauds; die leiblichen Vorgänge, die Genüsse, um die dannseine Vorstellungen kreisen, sind genau betrachtet Symbole seelischen Gleichgewichts undBehagens in einem ungenügend zur geistigen Reflexion entwickelten Gemüt, von ihremStimmungsgehalt wird ein solcher Mensch absorbiert.

76

ben-Organisierenden ist vor allem die � wichtig, die Schichten-lage zeigt hier an, auf welcher Ebene der Wesenskern zum ent-scheidenden Wollen kommt und wo die Maßstäbe desSelbstvertrauens liegen. Das feurige Temperament hat die nahe-ste Beziehung zum Willen als organisch unmittelbare Zielver-wirklichung, kann dem Tatwillen gleichgesetzt werden; mit«feuriger» Stellung der � fällt Gesamt-Lebensantrieb und Maß-stab des Selbstvertrauens zusammen. Es gibt nun wenige lebens-wichtige Antriebe, die nicht in irgendeiner Weise auch zumbewußten Wollen werden, hierin aber liegt der Akzent mehr beiStellung in einem luftigen Zeichen, beim wäßrigen liegt er imGefühls- und Stimmungston, beim Erdhaften in der Sache.

Tätige und leidende Form

(Mit dieser Unterscheidung legen wir einen vereinfachendenSchnitt durch die Gesamtpersönlichkeit, fügen aber kein neuesTeilungsprinzip hinzu; die Temperamente werden reduziert aufeinen Gegensatz, der, in ihnen liegend, das Verhältnis zur Au-ßenwelt betrifft.)

Aus dem Bisherigen geht hervor, daß feurig und luftig schnel-le, mehr oder minder kräftige Reaktionen gemeinsam haben. Vorallem das bei feurig angetroffene tätige Verhalten ist genau ge-nommen oft weniger Reaktion, erweckte Gegenwirkung, alsspontane Aktion, der Auslösung durch umweltliche Reize kaumbedürftig - wo sie fehlen, werden sie aufgesucht -, nur Richtungdurch sie empfangend. Dies entspringt einem dynamischen Über-schuß, der nach außen drängt, sobald die Tatenlust solche Rich-tungspunkte findet. In feindlicher Umwelt teilt man lieber Schlä-ge aus, als solche einzustecken, ist wenig geeignet zu untätigemDulden und Leiden. Bei luftig finden wir einen ähnlichen Über-schuß an Begeisterungsfähigkeit, beschwingter Ausdrucksfreude,die auf einen äußeren Anlaß geradezu «fliegt», anderseits eineWachheit, die Angriffen meist geschickt ausweicht. Wurde eine

77

Leidenssituation von außen aufgedrungen, so wird sie ge-sprächsweise in lebhafter Schilderung abreagiert.

Hingegen bei erdhaft und wäßrig treffen wir langsame Reak-tionen an und zwar solche eigentlichen Sinnes, «Gegen»-wirkungen, worin eine Bewahrtendenz dem Ausdruck seine ver-haltene Färbung gibt. Besonders bei erdhaft sperrt sich etwas ge-gen unmittelbare Bekundung; Eindrücke werden trotz der oftaufmerksamen Beobachtung kühl verbucht, Angriffe mit abweh-render Härte erwidert und was eindringt, festsetzt, wirkt sichnachhaltig, meist umwegig aus. Der gelösteren Haltung bei wäß-rig gelingt solch «Abtropfenlassen» wenig, infolge der empfäng-lichen Natur des Fühlens nannte man diese Zeichen auch die«sensitiven»37. Das Erleidenmüssen wird zu einem innerlich-sich-Wehren, Verarbeiten von ungewollt Aufgenommenem, hatein Angriff einen Stachel hinterlassen so sucht man die Schuldhäufig bei sich; dies alles absorbiert die Kräfte einer meist gro-ßen Duldungskapazität. Im direkten Handeln oft befangen, umsotätiger in der Phantasie.

Der hierin sichtbar werdende Unterschied kann, bei aller ge-genüber einem Schematismus gebotenen Vorsicht, für den erstenÜberblick eine Hilfe leisten. Der Haltungsunterschied liegt inregsamer Äußerung, aus sich herausgehen bei feurig und luftig,abwartender Haltung, ansichhalten bei erdhaft und wäßrig. Ge-ben wir den Erstgenannten das Vorzeichen +, den Zweitgenann-ten das Vorzeichen −, so entsteht bei der Aufeinanderfolge imKreis ein gleichmäßiger Wechsel der Vorzeichen.

37 Eine etwas mißverständliche Benennung; wenn man darunter nämlich Nervensensibi-

lität versteht, so treffen wir diese hochgradig bei ( und + an, was in ihrer später gebrach-ten Beziehung zu � begründet liegt. Gemeint ist seelische Empfänglichkeit. Sie erklärt dasVerletzliche aller mit wäßrig umschriebenen Anlagen, auch die robusten Abwehrreaktionenunter dem auf � bezogenen -: dessen Protesthaltungen, Gereiztheiten, Auftrumpfungensetzen solche Empfänglichkeit voraus, in krankhaften Fällen führt sie zur hysterischenLeidenssituation.

78

Dieses Verhältnis wird in der astrologischen Tradition ge-wöhnlich das von «männlichen und weiblichen Zeichen» ge-nannt, was man im allgemeinen Geschlechtscharakter nach Artdes chinesischen Yang und Yin verstehen muß, als alldurchdrin-genden Gegensatz zeugender Bewegung und empfangender Ru-he. Man darf es aber nicht im engen Sinne nehmen, etwa dasGeschlecht daraus erschließen wollen. Ebensowenig darf manschöpferische Qualitäten daraus ableiten, sondern wenn solchevorhanden sind, dann sind einige Aussagen über das «wie» derAuswirkung möglich, eine aktiver sein Anliegen herausschleu-dernde oder passiver das Vorhandene umbildende Form; durchweitere Bestimmungen modifiziert, später in «Einzeldarstellun-gen» hineingearbeitet gebracht. Die Vorzeichen + und − sind oh-ne jede Wertung zu verstehen. Bei der häufig gebrauchtenBenennung «positive und negative» Zeichen spielt oft eine sol-che mit, als ob den negativen etwas fehle, etwa beurteilt vom«Leistungskräftigen» aus; durch berechnende Bedachtsamkeit,Kritik und Vorsorge kann aber besonders bei den erdhaften Zei-chen erfolgsmäßig überboten werden, was der Dynamismus derfeurigen, in gleichen Angelegenheiten sorgloser, praktisch er-reicht. Die hie und da vorgenommene Übertragung der physikali-schen Begriffe «elektrisch» und «magnetisch» auf die beidenGruppen von Zeichen sei nur erwähnt. Einen besseren bildhaftenVergleich geben uns die beiden Tongeschlechter in der Musik,Dur und Moll. Nur darf man dies nicht wortwörtlich in hart undweich des Charakters übersetzen (ergäbe Fehlurteile bei , und/!), sondern sehe darin den Unterschied zweier Gestimmtheiten,in deren jeder ein und dasselbe Thema anders klingt. Wir wählenhier die Ausdrücke tätige und leidende Form als wertfreien Zu-standsgegensatz, gesehen in einem mehr ausgreifenden, vonsich-gebenden oder mehr zurückweichenden, hinnehmendenVerhältnis zur Umwelt.

Tätige Form

Auf die Dinge zugehen, in die Umwelt hineinwirken, unver-mitteltes, manchmal lautes, sich aufdrängendes Verhalten, Reize

79

schnell abreagierend mit der Tendenz, der Umstände Herr zuwerden; im allgemeinen ungeduldiger und unbescheidener, we-nigstens in Sofortansprüchen, das akut Erscheinende dringlichmachend, leichtere offene Aussprache, die gern «alle Patronenverschießt».

Leidende Form

Die Dinge an sich herankommen, die Umwelt auf sich einwir-ken lassen, abwartendes, langsam Beziehung herstellendes undmeist stilleres Verhalten, Reize verdauend, vielfach durch Um-stände bestimmt und geformt; im allgemeinen geduldiger undbescheidener, doch nachheriges umwegiges Anmelden von An-sprüchen, schwierigere Aussprache, die oft wichtiges «hintermBerg hält».

Für das Verständnis des Kreisganzen ist dies wechselnde «Tunund Lassen» sehr wichtig, es taucht weiter fortgebildet in derKonstruktion gegeneinander gestellter Dreiecke wieder auf (S.127-129). Man belasse es in einer den betreffenden Zeichen ge-meinsamen Gesamttönung und suche nicht einen ganzen Eigen-schaftskatalog daraus zu ziehen. Verkehrt wäre es, in derstärkeren Weltzuwendung, der Zeichen tätiger Form etwa schonGemeinschaftssinn zu sehen. Es gibt auch einen tätig in die Um-welt getragenen Autismus38, der zu seiner Kundgebung der äuße-ren Szenerie, eines gesteigerten Aufwands bedarf und dem dieMitmenschen zu Requisiten der Selbstdarstellung werden. Eben-sowenig besagt die stärkere Innenwendung der Zeichen leidenderForm schon Innerlichkeit und Tiefe; auch Herzenskälte, Ver-stocktheit oder die Unbeholfenheit, sich frei zu äußern und Kon-takt zu finden, können den Menschen auf sich zurückwerfen.Ferner gelangt ein summarisches Vorgehen leicht zu Fehlschlüs-sen über die Ansprechbarkeit. Manche erdhafte Zeichen erschei-

38 Krankhafte Selbstbezogenheit, von E. Bleuler (Lehrbuch der Psychiatrie, 1923) alseinseitige Beschäftigung mit eigenen Einbildungen und Phantasien verstanden; die affekti-ve und intellektuelle Einstellung darauf führt zur Nichtbeachtung der äußeren Wirklichkeitund zur mangelnden Anteilnahme am Mitmenschlichen. Eines der allgemeinen Kennzei-chen der Schizophrenie.

80

nen in dieser Hinsicht stumpfer ('�/); richtig gesehen sind siegegen momentane und flüchtige Reize besser gewappnet alsmanche wäßrige (1�)), das aber, worauf sie ansprechen, wirdgegenständlich genau erfaßt. Dem, der Ansprechbarkeit an dersofortigen Äußerung messen will, erscheinen manche luftigeZeichen ((�,, in diesem Sinne hochgradig reagibel) unbedingtstärker ansprechbar. Doch dringen die Eindrücke wenig nachhal-tig ein, genau genommen sprechen die betreffenden Menschenmeist nicht auf die Dinge selber an, sondern auf Signale, für diesie einen Vorrat fertiger Ausdrucksschemata mitbringen. AnStelle eines solchen «stärker» oder «schwächer» werden später(hineingearbeitet in «Einzeldarstellungen») qualitative Formender Ansprechbarkeit gebracht.

Grundformen des Wirkens und Werdens

Temperamente als feststehende Reaktionsartungen sindGrundbefindlichkeiten in der Beantwortung umweltlicher Reize.Mannigfache leib-seelische Wechselwirkungen greifen ineinan-der, um in Tempo, Lebensgefühl, Stimmungston, Ansprechbar-keit und im allgemeinen Seinsbezug jene Form des Zusammen-spiels zu ergeben, die wir mit Sicherheit von derjenigen des an-deren Temperaments unterscheiden. Seine ureingesessenen Ab-laufsschemata kommen unabhängig von bewußter Steuerung inGang. Temperament gehört zum relativ beharrlich Bleibenden,ungeachtet stattgefundener Entwicklung kehrt es im Persönlich-keitsbild wieder. Die Temperamentsarten bestimmten wir auszwei überkreuzten Gegensätzen der Äußerungsweise.

Eine andere Ordnungszahl wird nötig, wenn wir nach demWirken und Werden des Menschen fragen, nach Hervorbringenvon Dingen, Schaffen, Bilden, Erzeugen, sowie in der Zurück-lenkung der Aufmerksamkeit auf sich selber nach Selbstgestal-tung. Insgesamt- meinen wir damit nicht schlechthin ablaufendeKräfteäußerungen, sondern entwickelnde Vorgänge. Wird ihrProdukt, das Werk, nach seiner Dienlichkeit beurteilt und dieanlagemäßige Voraussetzung des Hervorbringens als Eignung

81

dafür, so beziehen wir mit der Zweckfrage eine schmälere Basisals in der Frage nach produktiven Eigenschaften überhaupt.Grundformen des Wirkens und Werdens sind darum nicht das-selbe wie gebietlich spezialisierte Begabungen, können aber alsnoch unausgegliederte Eignungs-Vorformen verstanden werden.

Theoretisch erfolgt auch hier zunächst eine polare Unterschei-dung und zwar von Momenten, die sozusagen in einem Zeuger-Gebärer-Verhältnis stehen; wir führen dies aber dann weiter zuetwas Drittem, auf das die Spannung ihres Verhältnisses ergeb-nishaft abzielt bezw. worin sich die vereinigten Kontrahenten derErzeugung, einander durchdringend, ergänzen. Dies stehe vorerstals Bild für das Eigentliche dieser drei Momente. Würden wir eszu eng als Vater-Mutter-Kind deuten, so kämen wir in Konfliktmit dem eintretenden Fall, daß sich das «Geschlecht» (im soebenbehandelten tätig-leidenden Sinne) bei der Beziehungsfunktionauch umkehrt. Grundformen herauszuziehen erfordert, vom kon-kreten Inhalt zu abstrahieren und über derlei behelfsmäßige Bil-der hinweg nur auf die funktionale Form zu achten, mit welcherdie unerläßlichen Faktoren - Anreger verändernder Vorgänge,Befestiger in einer vorhandenen Grundlage, Verwirklicher desErgreifens von Neuem und Einfügens in das Bestehende - einge-schaltet sind.

Auf abstrakte Form wird aber damit gebracht, was wir in dertäglichen Wirklichkeit anwenden. Bei jedem produktiven Vor-gange fragen wir dreierlei. Erstens: wer will etwas hervorbrin-gen, kraft welcher Könnensmöglichkeit? Zweitens: woraus undwo, womit will er es? Drittens: was will er hervorbringen, zuwelchem Ende und wie tut er es? Anders ausgedrückt fragen wirnach dem Wirkstreben, dem ingangsetzenden Impuls oder pla-nenden Gedanken, der wirkenden Kraft zum Ansatz des Entste-hens bezw. dem Urheber und Eigner eines produktiven Vermö-gens; ferner nach Boden und Material, Werkzeug, Umständenund Darstellungsraum, bezw. dem dieser Mittel kundigen, übersie verfügenden Träger; schließlich nach der Entstehung des Be-absichtigten selbst, der verwirklichenden Tätigkeit, der Art, denBedingungen gerecht zu werden und das Vorhaben durch alleauftauchenden Wechselfälle zum Ergebnis zu bringen, bezw.

82

dem tatsächlichen Hersteller und der von ihm angewandten Me-thode. Das Entstehen eines Gebäudes, einer Maschine, irgendei-nes werkmäßigen Gebildes, auch Gedanken- und Gefühlsge-bildes, eines Kunstwerks, was wir auch hervorbringen mögen,setzt dies dreierlei von Anstoßgebung, Mittelgebrauch und Er-eignisvollzug voraus; es soll zwar in einem vereinigt sein, docherfahrungsgemäß liegen die Eignungen ungleich. Nicht anders,wenn ein Mensch sich selber zum Gegenstand schöpferischerWeiterbildung wird: nötig sind entwickelnder Antrieb, ein Mate-rial bildefähiger Eigenschaftsanlagen sowie entwickelnde Ar-beit39.

Denken wir uns dementsprechend dreierlei Grundanlagen -noch undifferenziert, anwendbar auf alle Gebiete -, so werdendarin verschieden betonte Menschen sich zu unterschiedlichenAufgaben eignen, bezw. entwicklungsmäßig ungleich Verhalten.Sie heißen hier in der gebrachten Reihenfolge kardinale, fixe undlabile Anlagen. Wir gewinnen aus ihnen ein Urteil über Vorfor-men dessen, was sich dann gegenstandsbezogen auszweigt.

Wichtig für den Anwendungsfall ist eine Beziehung dieserDreiheit zu den Hauptkategorien der Deutung. Das Kardinale hatnäheren Bezug zu den Wesenskräften, den aus ihrem Aspektver-hältnis angeregten Veränderungen, «Entwicklungsschüben», dasFixe zur Sphäre des Ausdrucks, den darin verankerten periodi-schen Wiederholungen, durch die wir als «bleibender Charakter»fortbestehen, das Labile zur Interessensphäre, den aus demWechsel der sie auffüllenden Dinge hervorgehenden «Umstel-

39 In archaischen Götter-Dreiheiten taucht das Verhältnis auf als dreifache Entfaltung

der Schöpfungs-Einheit, als Verkörperung des schöpferischen, erhaltenden und verwirkli-chenden Prinzips. Es spiegelt sich noch in der Auffassung der Kausalität bei Aristoteles(Metaph. VII): «Alles was entsteht, entsteht durch etwas, aus etwas und als ein gewissesEtwas» (statt Verhältnis von Ursache und Wirkung), enthält aber eigentlich den Finalzu-sammenhang des Geschehens nach Ziel und Endzweck. Als zeitliche Folge wurde dieDreiheit in der Weise verbildlicht, daß das dritte Prinzip aus einer erzeugenden Polarität alsderen Frucht hervorgeht: Osiris, Isis und Horus. Unschwer erkennen wir hierin die mytho-logische Vorform des Dreischritts von Tbese-Antithese-Synthese (Satz-Gegensatz-Vereinigung), die Hegel von der «Erkenntnis des Entgegengesetzten in seiner Einheit»überführte zum «Rhythmus des organischen Ganzen» der Natur und Geschichte (Enzyklop.d. philos. Wissenschaften). Kontinuierlich sich abwickelnd, bildet dabei die mit der Verei-nigung des Gegensätzlichen herausgebildete Synthese jeweils die These einer neuen Phasevon Veränderungen.

83

lungen», «Wendungen». Dies ergibt praktisch eine Akzentver-schiebung in der Beurteilung des Gesamtbildes.

Überwiegen des Kardinalen besagt, daß der Betreffende leich-ter den entwickelnden Ansporn der Kräfte in sich aufschließt,doch auch ihren Spannungen stärker unterworfen ist. Er magdurch diese Strebetendenz selbstsichere Führung erlangen, aufproduktive Leistung eingestellt seine Bahn bestimmen, blind sei-nem Stern vertrauend dem Erst- und Einmaligen nachjagen undso sich selber Schicksal sein, oder aber herrisch, einflußgierig,verführerisch auf andere einwirken. Im Verhältnis von Streben zuBegabung neigt er zu jenem, zu dieser hingegen der nun folgen-de. Überwiegen des Fixen nämlich besagt, daß der Betreffendestärker im Material der Stilformen und der ihnen verwandtenEbenen ruht, alles Abändernde in periodischer Wiederkehr, Ge-regeltheit nach den Bedürfnissen seiner Lebensgrundlagen zubefestigen sucht, abwehrt, was in sein Reaktionsgetriebe einzu-greifen und das Gleichgewicht zu stören droht. Diese seine Ver-harrungstendenz mag Eigenschaften der Treue, Verläßlichkeit,Würde der Person oder des Auftrags, zäh ihn beherrschende Lei-denschaften zum Ausdruck bringen oder aber ihn entwicklungs-mäßig stagnieren lassen. Überwiegen des Labilen endlichtendiert zum Entwicklungsvollzug und besagt, daß der Betref-fende im Auf- und Abfluten seiner Interessen vielseitiger Anpas-sung an die Umstände fähig ist, leicht situative Bedingtheitenseiner Verwirklichung erfaßt, gegebenenfalls rascher die Zieletauscht. Er kann, auf Ergebnisse der Selbstentwicklung bedacht,in den Fluß veränderlicher Momente hineinspringen und dadurchvom einen zum anderen fortschreiten, oder aber unbeständig,wankelmütig hin und her treiben, Faszinationen erliegen, unent-schlossen im Wechsel der Lage mitplätschern.

Im Rückbezug zur urtümlichen Schöpfungs-Trinität liegt et-was, was über das Charakterologische engeren Sinnes hinaus-geht; darum können diese Grundformen zusammenfassen, wieder Mensch von sich aus in die Welt hineinwirkt und wie erselbst darin steht als ein Werdender, sich Entwickelnder. Deut-lich erkennen wir eine verschiedene Betonung der drei Hauptei-genschaften des Lebendigen: Impuls, verändernder Anstoß,

84

Regulation, Gleichgewichtserhaltung, Reizantwort, wechselfäl-lig-situative Verausgabung; dies gilt in Hinsicht auf Werdepro-zesse, nicht als feststehende Reaktionsartung.

Keinesfalls enthält die Dreiheit aber Wertgrade der Produkti-vität oder, wie irrigerweise oft angenommen, dreierlei quantitati-ve Kraftabstufungen. Das Kardinale ist nur dem Ursprung ausgestaltenden Kräften am nahesten, das Fixe steckt stärker imAnlagematerial und der bedingungshaften Einkleidung von Auf-gaben, das Labile zehrt von der fluktuierenden Spannung zwi-schen beidem, steuert auf die Teilnahme an bereits laufendenVorgängen hinein; inhaltserfüllt alle drei immer nur, wenn undsoweit entwickelnde, schöpferische Fähigkeit vorhanden (Aussa-gegrenze!), ohne sie sind es Leerformen der psychischen Bewe-gung. Kennzeichnend, von Einfluß auf die Gestaltungsweise,sind diese Bewegungsformen: Vorwärtsbewegung im Kardina-len, Kreislauf im Fixen, Pendelbewegung im Labilen.

Begnügen wir uns vorerst mit stichwortartiger Beschreibung.

Kardinal

Diese Anlage betrifft das Grundbewegende, Führende, Tonan-gebende, Veränderungen Anregende, Anstoßgebende in einemSchaffensprozeß, das ihn uranfänglich Hervorrufende und gegenwiderstrebende Bedingungen Vorwärtsbringende, den Sinn fürdie treibenden Momente und das, worauf es in einer Bewegungankommt; nach außen hin das Tätigkeitsbestimmende und unterUmständen Bahnbrechende, innerlich zwingende Ausrichtungauf Hauptpunkte des Strebens.

Fix

Diese Anlage betrifft die Einstellung auf das tragende Materialeines Schaffensprozesses, Prüfung und Sicherung der Grundla-gen, Festhalten an damit verknüpften Forderungen und Verharrenin bestimmten Voraussetzungen, Standhalten gegen Bedrohungder Erhaltungsbedingungen dessen, worum es geht; äußerlich die

85

Basis der Verwirklichung, innerlich das Begabungsmaterial undwas es unverfälscht zur Geltung bringt, in diesem Sinne kreisläu-fige Regulationen und Einhalten geregelter Bahnen.

Labil

Diese Anlage betrifft bewegliche Durchführung eines Schaf-fensprozesses, schmiegsames Angepaßtsein an veränderlicheUmstände dabei, wendiges Einspringenkönnen in laufende Vor-gänge und Pendelnkönnen zwischen verschiedenerlei Aufgaben,Einfügung in die aus dem Verhältnis zwischen Ziel und vorhan-denen Mitteln, bzw. angestrebter und vorgebahnter Form ent-standenen Lagen; Fluktuation zwischen äußeren und innerenMöglichkeiten, Dauerziel und Augenblicksforderung, Anstoßund Materialbedingung im Verwirklichen einer Sache.

Leicht prägt sich die Zuordnung der Zeichen an Hand dreierAchsenkreuze ein:

Wie immer die Verteilung und Betonung dieser drei Grund-formen liegen mag, ihre Geltung erstreckt sich auf Schaffenswei-sen, Entwicklungsverläufe. Das in sie auszweigende schöpfe-rische Vermögen, das Ingenium des Menschen, ist daran nichtabzulesen. In dieser Hinsicht steht der Einzelne im Fluß genera-tiver Entwicklungen, seiner Familienreihe. Für hervorstechendeFälle deuten sie die Stellung des Einzelnen in der Kette der Ge-nerationen an, in großen Zügen skizziert:

86

Kardinal

Aufbruch gestaltender, umändernder Kräfte, Ursprungs- undAusgangspunkte von Wirkungen, originales Streben, manchmaldie Begabung überfordernd.

Fix

Sammel- oder aber Brachzustände, klärender Ausbau und Ver-festigung von Begabungen, Träger erreichten Niveaus und des-sen Behaupter, zuweilen Regeneration.

Labil

Spezialisierungen, Höchstdifferenzierungen, Veredelungenoder aber degenerierende Endprodukte.

Solche Zusammenhänge können natürlich nur bezogen auf be-kannt vorliegende Familienreihen studiert werden40.

40 Vorzubeugen ist noch möglicherweise eintretenden Wortirrtümern. Die Begriffe fixund labil, bezogen auf den organischen Dreischritt, sind nicht gleichbedeutend mit stabilund labil im mechanischen Sinne. Ferner decken sie sich nur teilweise mit dem, was Ger-hard Pfahler («System der Typenlehren», 1943, «Der Mensch und sein Lebenswerkzeug»,1954) im Anschluß an Kretschmer und Prandtl als «feste und fließende Gehalte» herausar-beitete; Berührungspunkte hiermit wurden bereits beim Kräftepaar � und � genannt.Pfahlers Unterscheidung betrifft die eng-fixierende oder weit-fluktuierende Aufmerksam-keit sowie starke oder schwache Perseveration (Haftenbleiben von Eindrücken). Aufmerk-samkeit und Perseveration wird dabei als verkoppelt angenommen und in dieserVerbindung als Grundfunktion betrachtet. - Prinzipiell übereinstimmend mit Pfahlers Ge-danken eines von Geburt an gleichbleibenden Grundfunktionsgefüges, sieht die astrologi-sche Menschenkunde die Elemente dieses Gefüges reichhaltiger aufgebaut unddifferenzierter miteinander verknüpft. Sie geht nicht von Vorstellungs- und Wertinhaltendes bewußten Menschen, sondern von vorbewußten Lebenswurzeln aus, mit denen Auf-merksamkeit, Perseveration, wertendes Verhalten usw. in getrennten Anlagen vorgebabntist. Nur in Fällen einseitiger Lagerung schließt sich diese Mannigfaltigkeit für den Beurtei-ler so zusammen, daß summarisches Einreihen unter einem einzigen Begriffspaar einiger-maßen stimmt. So wird die Perseverationstendenz einer starken �Betontheit unterstütztdurch überwiegend fixe Anlagen, der Gegenfall einer �-Betontheit mit seiner «fließendenTendenz» durch überwiegend labile Anlagen. Kardinale Anlagen dagegen können nichtohne Künstlichkeit in das Schema fester und fließender Gehalte eingereiht werden. AlsExtremfälle stehen sich hier das haftende Sach- und Formgedächtnis bei /, unempfindlichgegen Lebensvarianten, sowie das erlebnismäßige Offensein für den Fluß und die Wechsel-fälle des Lebens bei ), formal unscharf doch mit guter Erinnerbarkeit des Stimmungstons

87

Die dreifache Abwandlung der Temperamente

Das Grundverhältnis der Dreiheit, angewandt auf die vier Ebe-nen des Seins bezw. die entsprechenden Temperamente, kann imSchaubild nicht besser zum Ausdruck gebracht werden als inForm von vier gleichschenkligen Dreiecken, deren Spitzen je einkardinales, ein fixes und ein labiles Zeichen in gleichmäßigerAnordnung und Folge angeben.

Mit anderen Worten: jedes Temperament tritt in dreifacherGrundform des Wirkens und Werdens auf.

Erdhaft Feurig Wäßrig Luftigkardinal / kardinal & kardinal ) kardinal ,

fix ' fix * fix - fix 0labil + labil . labil 1 labil (

und der Erlebniswerte, gegenüber. Das Haftenbleiben bei � ist unsachlicher, Persönlicher,darin ebenso fest.

88

Dem reinen Empiriker scheint in einer derartig symmetrischaufgebauten Verteilung, bezogen als tertium comparationis aufzweierlei sonst unvergleichbare Gegebenheiten - Stern undMensch -, das «Abenteuer der Vernunft» über die Grenzen desErlaubten hinausgetrieben zu sein. Er mag im Schaubild zunächstnur eine ordnende Hilfsvorstellung erblicken. Eben an der Empi-rie wird sich erweisen, daß hier eines der Ordnungssymbole vor-liegt, in denen Idee und Realität zur Deckung kommen. Wennwir nun im Weiterführen unserer Darlegung die Wirk- und Wer-de-Grundformen in jedem Temperament, bezw. auf jeder Ebenein schichteneigener Weise abwandeln, so nähern wir uns demErscheinungsbild. Wir sind uns jedoch darüber klar, daß etwaFeuertemperament immer Feuertemperament bleibt und kardinaleine bestimmte psychische Bewegungsform hinzugibt, daß dieEntwicklungshöhe des originalen Strebens aber von Faktorenjenseits der Aussagegrenzen abhängt.

Kardinal

Das Bewegende tritt real eingekleidet auf, in Form konkreterDinge. Die das Streben bestimmende ausdauernde Gegenstands-haftung eignet für Pläne auf lange Sicht und diese zielen aufgreifbare Resultate ab. Anpacken entsprechender Aufgaben vomHauptsächlichen, von den Gelenkpunkten und dem formal Faß-baren aus, durch sachliche Kenntnisse an Führungssicherheit ge-winnend. Abruptes Hervortreten mit langsam herausgebildetenEntschlüssen, wenn auch zögernd so doch bestimmt im Einsatz.Mit verhaltener Intensität, zähem Nachdruck auf das Endziellossteuernd, unerschütterliches Innehalten der einmal eingeschla-genen Bahn, solange die reale Aussicht des Erfolgs besteht. Im-pulsstauung vor Widerständen auf dem Wege, doch Tendenz,Härten nicht auszuweichen. Beim Wegfall der materiellen Vor-aussetzungen, sachlichen Maßstäbe für die Anstrengung eine jenach Gespanntsein mehr oder minder nachhaltige Erschütterung,schwierige Umorientierung. Schöpferisch in real fundierten Zie-

/ = erdhaft

89

len, stark im Durchhalten bei zeitraubenden und umständlichenAufgaben.

Das Bewegende entspringt organischem Impuls, einsetzend inForm von Willensstößen, die kräftig nach Soforterfüllung desAnliegens drängen. Brüsk ungestümes, gebieterisches Hervor-treten von Entschlüssen, wenig Konzilianz in der Mitteilung, ausder Selbstüberzeugung bezogene Zähigkeit. Rasch und unmittel-bar aus Reizmomenten entworfene Zielstellung, intensive Ver-wirklichung auf Anhieb, Trotz- und Zornaffekte bei Wider-ständen. Die Äußerungswucht rasch sich entladender Spannun-gen kann zu beispiellos kühnem Handeln treiben, erhitzt vomZiel, kaltblütig gegen die Folgen. In diesem Sinne Führerschaft,Antreiber in akut durchführbaren Unternehmungen; schöpferischin der Dynamisierung, Probleme auf praktische Tätigkeitsformenbringend, die jeweils direkteste Lösung vor Augen. Beim Mangeldes großen Wurfs eine gleiche Unkompliziertheit in der Intensi-vierung des Belanglosen, häufig in die eigene Bahn sich verren-nende Heißsporne ohne Kontakt zu allem anderen, vor kompli-zierteren Lagen und bei entschwindendem Ziel orientierungslos,ernüchtert. Die Stärke liegt im Anlaufsstreben, in kurzfristigerAufgabenverwirklichung.

Das Bewegende geht auf seelische Regungen zurück, infolgegelockerter Phantasie oft schwankende, vertauschbare Ziele, ge-fühls- und stimmungsbesetzt. Ein der Bahn des geringsten Wi-derstandes folgendes Streben, empfänglich für Ablenkungen,reizvolle Umwege. Weicher, unentschiedener Einsatz, von reinsachlichen Maßstäben befremdet; er bedarf entgegenkommenderUmstände und erstarkt durch Heimischwerden in der Sache. Häu-fig eine kapriziöse, launenhafte Note, doch Zähigkeit, wenn et-was zum selbsteigenen Anliegen geworden ist. Durch elastisches

& = feurig

) = wäßrig

90

Umgehen von Hindernissen, Aufgreifen neuer Eindrücke, dieihrerseits wieder nachwirken, vielfache Komplizierungen, bezw.abgeänderte Richtung, Krümmungen des Weges bis zum Ver-wirklichen der Vorsätze. Entscheidende Wendungen liegen in-nen. Zuweilen problematische Anstauung sich kreuzenderMotive, innerer Überdrang bei Flucht vor äußeren Schwierigkei-ten; anderseits Ausreifenlassen von Anregungen zu unver-krampften Entschließungen, zwingend und entschieden, sobaldals innerer Auftrag erlebt. In diesem Sinne schöpferisch, dieStärke liegt in entspannter Vorstellungs- und Einbildungskraft,die Führerschaft in sanfter Anleitung.

Das Bewegende besteht im ideellen Ausmünzen herantretentersinnlicher Eindrücke und mitmenschlicher Anregungen. Ausrasch und ausdrucksleicht gegebener Definition der jeweiligenSachlage hervorgehende Entschlüsse. Ihnen folgt das Strebenohne Gegenstandshaftung, frei von willensmäßigen Einseitig-keiten und entbunden von seelischem Symbolismus. LebhafterEinsatz geistig beschwingter Impulse bezw. der Einwirkung vonReizmomenten auf den Geist, bei sachlichen Erschwerungen ge-ringer Nachdruck. Schnelle Umorientierung, Änderung der Bahnbei überholten Voraussetzungen, in diesem Sinne situationsange-paßt und im allgemeinen lavierender Kurs. Leicht über Hinder-nisse hinweggleitende oder sie umgehende Zielverwirklichung.Schöpferisch als ständig situativ angeregter Anreger und Über-mittler, führungssicher durch gemeinverbindliche geistige Ma-ximen. Bei ihrem Mangel sich genügend in taktischen Sofort-lösungen, welche vorwärtsbringen können durch Kombinationvorgefundener Momente, ohne sich mehr daran zu binden, als fürdie momentane Aufgabe nötig. Die Stärke liegt in unbeschwerterFrische und elastischer Anpassung.

, = luftig

91

Fix

Das Grundlegende wird im Bereich realer Tatsachen gefunden.Stückweises Erleben der Dinge in voller Gewichtigkeit ihresSachwerts, in den Eigenschaften ihrer Materialität. Hierauf bautdie Lebenssicherheit im ruhigen Gleichlauf eingewöhnter Ver-richtungen auf. Kreislauf wiederkehrender Abwicklungen mitVorrang materieller Bedürfnisse, passives Festhalten an der Be-gabungskapazität, deren Erschließung durch regelmäßige Übungund nicht gewaltsame, forcierende Methoden. Gegenstandshaf-tung in den unlöslichsten Formen des Gebundenseins, sich-Festsetzen der Wünsche und herausgebildeten Anschauungen,Ausdauer in ihrer Verteidigung gegen Angriffe. FundamentalesErschüttertwerden durch Verlust von Liebgewonnenem. DieHaltung kann sich schwer aus einer bestimmten leib-seelischenZuständlichkeit herausreißen und trägt wenig zur Änderung ihrerVoraussetzungen bei, häufig Stagnationen, Konservierung un-ausgelebter Lebenserwartungen. Soweit Streben vorhanden,meint es stets Realitäten; die Gefühle brauchen sinnlichen Kon-takt mit ihrem Gegenstand, die Gedanken betreffen empirischVorhandenes oder die Grundlagen von Maß und Gewicht, statio-näre Werte, dogmatisierte Betrachtungsformen.

Das Grundlegende wird in organischen Werten gefunden, so-weit sie die eigenen Lebensinstinkte und demgemäßes Handeln-können ansprechen. Immer steht Leben über sachlichenRücksichten, heftige Abwehrreaktionen gegen das als ungesundEmpfundene. Ein Wille, sich des Gewünschten voll und ganz zubemächtigen, hochgespannte Daseinsansprüche. Aufschluß derBegabungsfülle durch sich selbst, aktives Ausspielen erworbenenKönnens, unternehmungsfreudiges Ausgreifen in den Umraum,in den Methoden eher improvisiert als pedantisch-regelhaft.Motorische Festigkeit der Gesamthaltung, d. h. Kreisläufe um

' = erdhaft

* = feurig

92

eine innere Achse schwingender Intensität, ein in der Dynamikder Bewältigung seiner Aufgaben manifestierter Eigenwert, dasBedürfnis, im so umschriebenen Bezirk unumschränkter Herr zusein. Verlust der Selbstgewißheit, wo kein Raum zu solcherKundgebung; bleibt sie auf das Potential der Person beschränkt,entstehen selbstherrliche Allüren. Kraftvoll beharrliches Fest-halten an Dingen, die zur Herzenssache geworden sind, soforti-ges Abreagieren von Erschütterungen, bei Eingriffen in dieeigene Kompetenz auflodernder Zorn, doch nicht nachtragenderGroll. Die Ausdrucksunmittelbarkeit bekundet Gefühle durchHandeln, im Denken ein Innehalten organischer Maßstäbe, wobeidie Dinge nicht an sich, sondern als Mittel der Lebenssteigerunggelten.

Das Grundlegende wird im Bereich des seelisch Bedeutungs-haften gefunden, Lebenssicherheit stützt sich auf den Symbol-wert der Dinge. Ein inneres Spannungsgefäll, dem naivenEmpirismus verborgen, bestimmt die Reaktionen, die darum demäußeren Anlaß oft unangemessen sind, manches nicht beachtend,in anderem übertrieben, je nach der umwegigen Auswirkung ein-behaltener früherer Reizungen. In den mitmenschlichen Stel-lungnahmen zuweilen nachtragend trotz geglaubter Versöhnung,heimliches Ressentiment, ambivalentes Verhalten. Zweiflerischsuchende Haltung gegenüber vorgefundenen Wertschätzungenbohrt nach beständig Bleibendem, im Fluß der Vorstellungen erstzu Ergründendem. Kreislauf wiederkehrender phasenhafter Ab-wicklungen: innerer Aufschwung durch Erwartung von Men-schen, Dingen oder Aufgaben, forderte Zuwendung, Ergreifenund Betreiben gemäß dem ihnen zugelegten Wert, dann Ernüch-terung, Ausgelebtsein, Krise des Verhältnisses und erreichter Ab-stand dazu, Reorganisation zum Durchstoß neuer Wertsetzungen.Hier liegt der Schwerpunkt äußerer Betätigung; sukzessives Auf-schließen der Begabungsfülle innerhalb dieses Bedeutungswan-dels, Festigkeit der Selbsterprobung im Wechsel äußerer

- = wäßrig

93

Erscheinungen. Verschmerzenkönnen von Verlusten, passive Re-sistenz im Festhalten an Wertsymbolen bis zu unbeugsamerStandhaftigkeit. Anderseits Gefahr des Verlustes organischerMaßstäbe, schwankend in Gefühlen und Leidenschaften, imDenken auf Hintergründiges gerichtet, auf Unzerstörbares imMetaphysischen.

Das Grundlegende wird im Ideenbereich, seinem systemati-schen Bau und seiner Tragfähigkeit in zeitgemäßer Anwendunggefunden. Der empfindbare Reiz von Dingen, die Spannung desErlebens erhalten erst vom ideellen Zusammenhang her Wert undBedeutung. Durch das Eingeordnetsein herantretender Momenteim geistigen Besitz wird ein Abstand zum Geschehen erworben,der die Raschheit und Ausdrucksleichtigkeit der Reaktionenstützt, insofern diese, gegenüber im Prinzip Bekanntem, oft nurflüchtig die Anlässe streifender Aufmerksamkeit bedürfen. Auf-schluß der Begabungen aus der Tendenz, sein Leben entbundenvon Gegenstandshaftung, Affekten und seelischen Symbolismennach geistigen Maßstäben einzurichten. Sicherheit in Kreis-läufen, die sich unabhängig von Artung und Zustand des Persön-lichen abwickeln: gleichmäßiger Turnus von Pflichten, festge-setzte Regelungen menschlichen Verkehrs. Beziehung zumTabellarischen, fragebogenmäßig Erfaßbaren, kalendermäßigWiederkehrenden, Sinnfixierung bedeutsamer Handlungen imRitual. Der ideologisch gegründete Gleichmut befähigt zuweilen,äußere Unzuträglichkeiten zu erdulden und auf persönliche Wün-sche Verzicht zu leisten, ohne schwer zu leiden. Mit erhebendenBlickpunkten anwachsende Unbeschwertheit des Fühlens, pla-nende Freizügigkeit des Handelns, im Sachlichen leichtflüssigeEinteilung und ordnende Übersicht, häufig mit Neigung zurSchablone.

0 = luftig

94

Labil

Die veränderliche Angepaßtheit bezieht sich auf konkrete Um-stände und handwerkliche Griffe an einer klar umrissenen Sache.Bewegliche Differenzierung mit Haften an den Dingen des Mi-lieus und Tätigkeitsfeldes, gebietsmäßige Eingrenzung, nervlichreagible aber umwegige Verwirklichung sachlicher Erfordernis-se. Gegenstandsgebundene Problematik dabei, ihre methodischsaubere Bewältigung aus dem Verhältnis von Aufgabestellungund Material, Präzision im Mechanisch-Materiellen. Bevorzu-gung langsam gründlicher Verfahren, Stauungen und Verwick-lungen bei unübersehbarer Vielfalt ineinandergreifender Verrich-tungen, im Tempo intensivierbar durch Sachkenntnis und gere-gelte Einteilung. Oft Routiniers, Spezialisten, die alles was nichtGegenstand und Methode betrifft auszuschalten suchen, dochhöchst interessiert sind an den ihr Fach angehenden Verbesse-rungen. Sperrige aber nachhaltige Gefühle, häufig an Kleinig-keiten haftend, durch sachliche Rücksichten behindert im freienSchwung des Ausdrucks, ein nüchtern, schrittweise vom Be-kannten aus weiterdringender Geist, lenkbar in Bahnen des empi-risch Beweiskräftigen, zurückweichend vor vagen Behauptungen.

Die veränderliche Angepaßtheit bezieht sich auf die Wechsel-fälle eines impulshaft eingeschlagenen Weges, auf eine großeLebens-Leitlinie ausgerichtet, einem organischen Ganzen die-nend. Expansiver Drang, Schwung und Begeisterungsfähigkeit,Bewegungsoptimismus mit Erhebung über die Erdschwere,sachliche Erfordernisse oft schon als entgegen geworfene Wider-stände empfindend, darin reizbar, dramatisierende Affekte. Tä-tigkeiten und Verrichtungen leben von der Zielspannung, beiletztgültig forderndem Ansporn alles andere ihr unterordnend,das Persönliche dem Verhältnis von Aufgabe zu Mittel dienstbarmachend. Phasen der Steigerung, in denen das Ausgerichtetsein

+ = erdhaft

. = feurig

95

auf entscheidende Höhepunkte alle Interessen in seinem Atemhält, nach Erreichen des Gipfels oft jähes Absinken bis zur Umo-rientierung auf andere Ziele. Die Verwirklichungs-Ungeduldwirft zuweilen sachliche Rücksichten über den Haufen, mancheswird verdorben durch Nicht-Abwartenkönnen, bei mangelnderinnerer Größe werden Kleinigkeiten überdimensioniert als er-strebenswert hingestellt. Mitreißendes Pathos der Gefühlsäuße-rungen, das Denken sucht organischen Sinn des Lebensganzenoder ergeht sich in souveränen Behauptungen.

Die veränderliche Angepaßtheit bezieht sich auf Gefühle, Ein-gebungen, vorausweisende Ahnungen, zuweilen medial Aufge-fangenes. Ein innerer Weg, im äußeren ablenkbar durchBeeindruckungen des Gemüts, Stimmungsnuancen oder auchVorspiegelungen der Phantasie. Hierdurch ändern die Dinge ihreBedeutungen, können im Fluß der Vorstellungen umgekehrteSymbolwerte erlangen. Anspannung und Leistung hängen vominneren Verhältnis zu ihnen ab, der erfühlten Aufgabe; Tätigkeitwill in irgend einer Form als menschliche Mission aufgefaßt sein.Bei so gefundenem Einsprung äußerste Hingabefähigkeit in die-sem Sinne, ohne Gegenstands- und Personbindung erlebt, Dienstam Menschen überhaupt. Wenn es solcher Direktiven ermangelthäufig ein Zerfall in momentane Stimmungshandlungen, der ge-rade sich bietenden Anregung und Gelegenheit folgend, zielbe-irrtes Schwanken, verführbar, von anderen leicht ausgenützt.Sensitives Fühlen mit gelöstem Ausdruck und vom Stimmungs-ton her leichtes Einfühlen in eine Sache, bei der das meist un-scharfe Denken versagt; der häufig gefundenen Willensschwächeund Anfälligkeit steht anderseits eine fast unbegrenzte Willigkeitgegenüber, die richtig erfaßt physische Erschöpfungszuständeüberwinden kann. Schwierig wird es nur immer, die Weite desMöglichen zusammenzuziehen auf ein sachlich bestimmtes«jetzt» und «Hier».

1 = wäßrig

96

Die veränderliche Angepaßtheit bezieht sich auf ein geistig dif-ferenziertes Erfassen momentaner Wendungen, womit die Durch-führung einer Sache an Klarheit und Intensität gewinnt. Sie dient,wie auch die Interessen liegen mögen, der Bewegungsform alssolcher, ohne unmittelbare gegenständliche Bindung; daher zuwechselnder Tätigkeit und Umschulung oft gern bereit. Fort-schrittsgeist an sich, beliebige, ihm dargebotene Möglichkeitenentwickelnd. Der Weg ist häufig ein Zickzackkurs. Leicht be-schwingte Methode, flott, flüchtig an Merkmalen und Zeichensich orientierend, «rasch im Bilde», unsentimental das Verhältnisvon Vorhaben zu zweckdienlichem Mittel abschätzend. Nerven-waches Verfolgen wechselnder Situationen auf dem einge-schlagenen Wege, momentanes Schwanken an Kreuzwegen,Zielveränderung bei Verschiebung der Erfolgsaussicht. UnstetesWollen, fluktuierende Gefühle ohne nachhaltig an etwas zu haf-ten, rasch und ausdrucksleicht in der Bekundung, mehr skizzie-render als kontemplativer Geist, dessen in leichten Zügenhingeworfene, oft urteilsscharfe Definitionen und Ausführungenselten das Standpunkthafte verlieren.

Auf diese Weise gehen aus der Verknüpfung der Dreiheit mitder Vierheit zwölf ungleichartig beschaffene, zueinander inSymmetriebeziehung stehende Prinzipien hervor. Wir haben da-mit eine Palette von unverwechselbaren Eigenschaftsfarben alsGrundstock für die Deutung. Doch mit einer solchen Palette mußman umgehen lernen; Malen ist die Kunst, den spezifischenFarbwert, wobei der Farbträger mitspricht, zu ermitteln und ihnzu anderen Farben, gemäß dem Ganzen des Werks, in Beziehungzu setzen. Auch unsere Deutung als Kunst beginnt hinsichtlichder «Farbträger» schon im Studium ihrer Elemente. Mit unserenEigenschaftsfarben würde man nur «anstreichen», nicht malen,wollte man sich durch ihre Symmetrie zu einem Schematismusder Anwendung von Fertigbegriffen verleiten lassen. Ihr Spezifi-sches liegt in der Überschneidung zweier Momente bei jedemPrinzip, wobei zum feststehenden Temperament nicht nur die

( = luftig

97

Entwicklungsform, sondern jeweils die vom Meßbilde aus unbe-kannte Entwicklungshöhe hinzutritt, welche die Erscheinung ab-wandelt.

Logischerweise kommt die unbedingte Festhaltetendenz der fi-xen Anlagen am wenigsten beirrt bei den Extremen, also beimerdhaften und feurigen Temperament zur Geltung. Bei ' ist diesein ruhiges Standhalten und Ausharren in der Naturanlage, dasErdhafte verbindet sich mit dem Fixen zum eigentlich Stabilen,bei * ist es die willensfeste Wucht des Ausdrucks dessen, wasdie Impulse gebieten, die Motorik des Feurigen dreht sich umeinen festen Punkt in der «Irrationalität des Herzens». Hingegendas mehr Schwankende, Gelöste, Assimilierfähige des wäßrigenund luftigen Temperaments setzt eine gewisse innere Arbeit vor-aus, um gleiche Festigkeit auf der seelischen und geistigen Basiszu erreichen. Absolute Standhaftigkeit beruht bei - und 0 auferrungenen Stellungnahmen, für die anlagemäßig nur die Ten-denz gegeben ist, nicht die Gewähr, daß sie erreicht werden. Beiihnen also, vor allem beim normalerweise unstabilsten und inmancher Hinsicht widerspruchsvollen, bei -, hat Entwicklungeinen größeren Spielraum, während dieser sich bei ' und *,verengt zu Gunsten weniger angestrittener Stabilität. Geht esdoch bei ' meist lediglich um Bewahren und unverkümmertesDarleben seines Naturwuchses, passive Resistenz gegen seineBedrohung. Selbst die geistige Basis von 0 bietet mehr Verfesti-gungstendenzen als die seelische von -.

Umgekehrt liegt es bei den labilen Anlagen. Ihnen kommt dasSchwankende des wäßrigen, das sich Verflüchtigende des lufti-gen Temperaments entgegen. Labilität in Form wechselnderHaltungen, Relativierung der Standpunkte findet sich daher amstärksten bei (, Gefühlslabilität eigentlichen Sinnes bei 1. Hin-gegen das feurig Willenshafte bei ., das erdhaft Sachgebundenebei + schreibt jenem eine zielgerichtete, diesem eine bei allemUmherpendeln in Bedingungen ruhigere Gangart vor. Im Fallejedes labilen Zeichens bildet Anpassung an Veränderungen dieVoraussetzung einer Entwickelbarkeit durch die Lage, in die derMensch versetzt wird; die Gegenstandshaftung bei + beschränktdies mehr auf die Prägung manueller und intellektueller Fähig-

98

keiten, mit Vorbehalten und Sperrungen gegen innere Anpas-sung, während 1 infolge des seelisch Empfänglichen, daher Be-einflußbaren, in dieser Hinsicht ausgesetzter ist und införderlicher Atmosphäre manchmal persönliches Können über-trumpfen läßt, aber oft auch die Gefahr der Haltlosigkeit herauf-beschwört.

Denkt man schließlich beim Kardinalen an bewegenden An-stoß, Impuls schlechthin, so steht unbestreitbar das feurige Tem-perament mit dem willensstarken Antrieb von y im Vorzug.Freilich enthält das Prinzip an sich keinerlei Entwicklungshöheund Idee des Strebens, nur den Dynamismus und dieser kannauch roher Selbstdurchsetzung dienen; es kommt auf die persön-liche Substanz an. Hat man demgegenüber sachbestimmte Bewe-gung und Aufwärtsklimmen, Konzentration realer Werte oderBauen einer Existenz im Raum der Tatsachen vor Augen, so liegtder Vorrang beim erdhaften /; ein zäh verhaltener Bewegungs-antrieb, der das Schachspiel mit dem Schicksal durch Kenntnisseiner Regeln und Gepflogenheiten zu gewinnen strebt. Gegendie Wucht und Konsequenz der Extreme gehalten, erscheint dasBewegende schwächer, bezw. unsicherer oder flüchtiger im wäß-rigen und luftigen Temperament. Von diesen zu ihnen ist häufigein Unterschied wie zwischen Geierkrallen und Taubenfüßen.Doch besagt dies kein minderes Streben bei ) und ,. FührendeEigenschaft kann auch in mehr schwankenden Verhältnissen zurGeltung kommen, man darf sogar behaupten, daß hier humanereMöglichkeiten liegen. Sind schöpferische Qualitäten vorhanden,so finden sie im Seelischen und Geistigen einen Spielraum, indem nicht Dynamismus und Gegenstandshaftung, sondern Ge-lockertheit der Vorstellungen, Assimilierung des Mitmenschli-chen, sanfte und unmerkliche Anleitung obsiegen.

Lebens- und Wertdimensionen

Ohne uns in das Labyrinth der Wertmetaphysik mit all ihrenSackgassen und Hinterpforten hineinzubegeben, sprechen wirhier von Lebenswerten allgemein. Wir verstehen darunter die

99

unabhängig von einem wertenden Bewußtsein hergestellte Be-ziehung eines lebenden Wesens zum Gegenstand, zu «Welt»,«Äußerem», die sich im Lebensvollzug als beherrschender An-sporn enthüllt. Er ist wirksam, gültig, ob als Wert gedacht odernicht. Zum Wesen des Wertes gehört ein objektives Gegeben-sein, das Vorhandensein eines Etwas in der Welt, sowie der sub-jektive Bezug, das, «wofür» etwas wert ist. Die Mehrdimensiona-lität der Werte sucht man gewöhnlich durch begriffliche Eintei-lungen von der menschlichen Wertethik her zu erfassen. Wennwir hier umgekehrt Wertdimensionen enthalten sehen in einemKreis, der schon vorbewußt mitgebrachte Anlagen umfaßt, undwenn dies allgemeine Lebenswerte sind, so will das besagen, daßauch gewisse geistige Wertsetzungen des Menschen untergründiggefärbt sind, insofern gewisse Dinge für die lebendige Selbst-verwirklichung etwas Bestimmtes bedeuten. Allerdings habenwir es mit der menschlichen Situation zu tun. Deshalb wird zuberücksichtigen sein, wo die Verwandlung solcher allgemeinerLebenswerte in spezifische Inhalte unserer Wertethik ansetzt.Der Weg von dem zum «Sein» gehörigen Ansporn zum «Sollen»darf also nicht versperrt werden durch falsch verstandenen Le-bensbezug.

Für den menschlichen Werte-Überbau naheliegender ist dieVerdichtung zu Gegenständen des Interesses. Wir werden dienunmehr zu besprechenden Dimensionen später in den Quadran-ten der Interessensphäre wiederkehren, ja infolge der gegen-ständlichen Einkleidung deutlicher zum Vorschein kommensehen. Die Interessen, die Motive sind demnach in großen Zügenausgerichtet nach einem individuellen Wert-Bedeuten. Diese be-wußtseinsnähere Sphäre sehen wir unterlagen von der lebens-grundnäheren Sphäre, von der vorerst die Rede geht; beideSphären stimmen im ordnungsmäßigen Aufbau überein, die Di-mensionen decken sich auch in dieser mit den Quadranten. Be-wußtseinsnähere und lebensgrundnähere Wertbetonungen kön-nen aber bei einem und demselben Menschen verschieden sitzen:eine Tatsache, die praktisch in der Ineinanderschiebung beiderKreise zum Ausdruck kommt.Es trägt durchaus keinen Biolo-gismus in geistige Belange, wenn wir zurückgehen auf die

100

Grundsituation, worin der Mensch als Organimus in prinzipiellgleicher Lage steht wie Pflanze und Tier. Greift doch das astro-logische Meßbild aus der immerwährenden kosmischen Verbun-denheit mit dem Zeitpunkt der Geburt, des ersten Atemzuges,einen uns zunächst als biologischen Akt geltenden Punkt heraus.Selbstverwirklichung ist in diesem Uransatz des individuellenDaseins die erste vollgültige Auseinandersetzung mit der Weltaußer uns; Umweltsbeziehung, zuvor im intrauterinen Raumdurch mütterliche Funktionen besorgt, wird von da ab selbsttätighergestellt41.

Jakob von Uexküll arbeitete in seinen «Funktionskreisen» ver-schiedenartige, bei allen Tieren wiederkehrende Formen der Be-ziehung zu ihrer Umwelt heraus (vgl. S. 32 ff.). Er unterschiedgeschlossene und offene Systeme. Offen nannte er ein organi-sches System, wenn ein Bedürfnis entsteht oder von außen erregtwird, das nur auf dem Wege über Aneignung oder Ausschaltungeines umweltlichen Faktums befriedigt werden kann. Ist dies Be-dürfnis, z. B. auftretender Hunger, gestillt, so wird damit, imBeispiel also durch Nahrungsassimilation, das System wiedergeschlossen.

Drücken wir dies Geschlossensein als Wertrelation aus; dasWesen ist sich selbst einziger und ausschließlicher Wert, es istals Welttatsache für sich selber da, aufgenommenes Fremdeswird unter diesem Wertgesichtspunkt assimiliert oder ausge-schieden. Vorher, im Zustand der Beutewahrnahme, war das Sy-stem offen, d. h. das Wesen aktiv in Hinsicht auf ein positivwerthaltiges Fremdwesen. Ein solches organisches System kannauch durch wertwidrige Reize von außen her geöffnet werden,wenn z. B. die Sinne plötzlich einen Feind signalisieren und derSelbsterhaltungsinstinkt die hierfür vorgesehenen Tätigkeitenauslöst. Diese doppelwertigen Fremdbeziehungen nannte Uex-

41 Aus dem Versuch, die bei eineiigen Zwillingen vorkommenden Wesensunterschiede

zu erklären, ist in der Zwillingsforschung, der Verlegenheitsbegriff einer intrauterinenUmwelt entstanden. Zwar gibt es ein verschiedenes Gelagertsein der Zwillinge, physischeEinwirkungen über die Mutter, taktile Reize, doch Umwelt im biologischen Sinne ist etwasanderes; Mutter und Kind leben während der Schwangerschaft in einem Wirts-Gast-Verhältnis. Die kosmotypische Begründung von Wesensunterschieden eineiiger Zwillingewurde schon im 1. Bd. S. 13/14 behandelt.

101

küll den «Feind-Beute-Kreis». Er wird ergänzt durch Freundbe-ziehung und Hilfeleistung innerhalb der Symbiose, wie z.B. beimbekannten Verhältnis zwischen Einsiedlerkrebs und Seeanemone.

In all diesen Fällen handelt es sich um Auseinandersetzung mitFremdorganischem, wobei die einzelnen Wesen positive odernegative Werte für einander darstellen und Zusammenhängesichtbar werden, die über die Arten hinausgreifen. Anders wenndas erregte Bedürfnis einem Wesen der gleichen Art gilt wie beider Geschlechtserregung, der Betätigung von Nestbau- und Brut-pflegeinstinkten, im «Fortpflanzungskreis». Dann können wirvon einem wechselseitigen Austausch aufeinander abgestimmteraufbauender Lebenswerte durch angleiche Wesen sprechen; ob-zwar Ansporne für die Einzelwesen, wirken sich die Werte dochim Dienst der Arterhaltung aus.

Schließlich braucht die Umweltsbeziehung gar nicht organi-sche Substanz zu betreffen, auch Lebloses kann von Lebenswertsein. Wenn ein Tier zur Tränke geht, schon wenn es atmet,schließt sich das System mit Hilfe von Anorganischem in derje-nigen Beziehung, die Uexküll «Kreis des Mediums» nannte. Wirkönnen von einem ausschnitthaften Eingerichtetsein des Einzel-wesens auf Wertmöglichkeiten, die allgemein und für alle in derWelt vorhanden sind, sprechen; die ganze anorganische Natur,ihre Stoffe und Energien, sind darin inbegriffen. Gegen diese um-fassendste Beziehungsform ist nur relative Abgeschlossenheiterreichbar wie im pflanzlichen Samenkorn, beim Tier in der En-zystierung, der Einkapselung. Weitaus weniger geschlossen istder Zustand des Winterschläfers, da die Atmung, wenn auch her-abgesetzt, weitergeht.

Uexküll, dessen Gedanken wir in freier Darlegung wiederga-ben, betont, daß jedem der drei Funktionskreise sowie dem Zu-stand des Geschlossenseins eine andere Erlebnistönung ent-spricht. Dies heißt mit anderen Worten, daß organisches Erlebenvier Dimensionen hat, wobei in jeder Dimension die Dinge einenanderen Wertcharakter tragen. Der Wertcharakter haftet nicht amObjekt für sich, er stellt sich im subjektiven Bezug her. Diesel-ben Tiere, die normalerweise friedlich nebeneinander äsen, ge-raten zur Brunftzeit in unwiderstehliche Erregung gegeneinander.

102

Dasselbe Fremdwesen, das ein Tier in Blutgier oder Panik jagt,wenn in den Merkzeichen für Beute oder Feind erlebt, kann totein gleichgültiges Hindernis auf dem Wege sein. Jede Dimensionist gekennzeichnet durch bestimmte Erlebniszustände in Einheitmit bestimmten Reaktionen bezw. instinktiven Tätigkeiten.

Geschlossensein in sich

Sättigungszustand, Verdauungsschlaf, träge Ruhe und Gleich-gültigkeit gegen nicht assimilierte Umwelt. Abstellen der Emp-findung äußerer Reize, soweit der Selbstschutz erlaubt, Stillstandnicht unbedingt nötiger Funktionen. Abkapselung, Absorbiert-sein durch innere Ausgleichsarbeit. Nach außen hin größte Be-dürfnislosigkeit, bis Anforderungen aus dem Organismus selbst(vornehmlich Ernährungsbedürfnisse) einen Zustand der Unruheund Unlust schaffen, der behoben werden muß, um Ruhe undSystemgeschlossenheit wiederzugewinnen. Erleben der Dinge alsdieses versprechende Lustmotive. Wertmaßstab: Einzelwesen alseinziger und ausschließlicher Selbstwert.

Schließung durch Artverwandtes

Organische Rhythmen der Fortpflanzung. Zu Brunft- undLaichzeiten Ingangsetzen der arterhaltenden Kräfte in den Indi-viduen, um den Orgasmus gruppiertes Vorbereiten und Abklin-gen, Lockung und Liebesspiel, Rivalitätskämpfe, Paarung;sodann Einstellung auf das Leben der neuen Generation, Ab-wicklung von Nestbau und Brutpflege. Artverschiedene Formendes Zusammenschlusses von Gleichartigem, Anfänge der Familieoder der Horde bezw. Herde mit Leittier, «Hordenvater» als her-ausgebildetem Repräsentanten des Ganzen, matriarchalisch «Kö-nigin». Dementsprechend Mannigfaltigkeit wechselnder, auf dieArt und ihre Erhaltung abgestufter Werte von beherrschenderMacht über Bedürfnisse der Einzelwesen. Wertmaßstab: Einzel-ner als sicherndes Schaltglied in der Kette der Generationen,Vorrang der Art als Ganzes.

103

Schließung durch Fremdorganisches

Akute Auseinandersetzung mit Freund oder Feind, äußersteWachheit und Witterung unterscheidender Merkmale, Sensibili-tät für Droh- und Schreckreize, Leistungs-Herausforderung. Auf-gepeitschtsein zum Angriff oder Widerstand, Kampf, Überwäl-tigung, Beuteraub oder Flucht. Gier der Sättigung am Wertzu-wachs oder Panik des Verschwindenwollens aus dem Gesichts-kreis des Wertwidrigen. Wechselseitige Zusammengehörigkeitvon Vergewaltiger und Opfer, Verfolger und Weichendem. An-derseits Hilfsleistungen innerhalb der Symbiose, wechselseitigeingespielte Unterstützung (Yukkamotte-Yukkablüte). Durch-gängiges Aufgerissensein widersprüchlicher Werterlebnisse,Motive der Aneignung oder Selbstverteidigung oder aber Tätig-keiten zu Gunsten fremdorganischer Zwecke. Wertmaßstab:symbiotisches Abgestimmtsein aufeinander, Arten und Naturrei-che überwölbende Beziehungen.

Schließung durch Anorganisches

Schweben und Schwimmen, sonstige Fortbewegung im Medi-um, Atmung, Tränkung, Bedürfnis nach Mineralsalzen und seineBefriedigung, Gasaustausch der Naturreiche (Sauerstoffabgabeder Pflanzen, Kohlenstoffabgabe der Tiere), Umgehung materi-eller Hindernisse. Zeiteinstellung auf klimatische Normen,Schlaf- und Wachperioden, Fortpflanzungszeiten, periodischeTierwanderungen usw., allgemeines Eingebautsein der Leben-sentfaltung in Jahr und Tag und andere periodisch wiederkehren-de Energieabstufungen. Instinkt für nahende geologischeKatastrophen, Erdbeben usw. Die jeweils einschaltenden und alsReiz ansprechenden Dinge haben Sachwert, dem organischer Be-zug erst gegeben wird. Wertmaßstab: den Allgemeinzustand desLebens Bedingendes und Tragendes.

Im Verhältnis dieser vier Dimensionen entdecken wir zweipolare Gegenüberstellungen.

104

Geschlossenheit, sich selber Genügen eines Wesens ist striktenur durchführbar, wenn die Funktionen stillgelegt sind wie in derstatischen Ruhe des Samenkorns. Insofern Leben aber Dynamikist, schließt es Verbrauch von Stoffen ein. Das damit erweckteBedürfnis nach Wiederbeschaffung in Form von Nahrung öffnetdas organische System. Die Pflanze ist vorwiegend auf die Mine-ralwelt eingestellt, das Tier auf Raub fremdorganischer Werte. Inder Tierwelt also steht dem Extrem des Beruhens in sich dasjeni-ge des offenen Kampfes gegenüber, geregelt durch symbiotischeBeziehungen mit besonderen Formen, auch des Angewiesenseinsvon Tier und Pflanze aufeinander. Diesem Kampf ums Dasein jenach der Besonderheit der sich ergebenden Situation seinen Zollzahlend, strebt das Tier wieder zur Ruhe und Geschlossenheit insich zurück, während die im wesentlichen ruhig aufbauendePflanze mehr passiv und vorsorgend (Schutzeinrichtungen) inden Kampf einbezogen ist.

Verschleiß der «Lebensmaschine», Tod der Individuen machtdie Neuhervorbringung des Arttypus, die Fortpflanzung nötig.Wenn nach dieser Seite geöffnet, tritt das Einzelwesen zurückvor dem Lebenskontinuum der Art; die durchführenden Hand-lungen, auch mitspielende kämpferische Auseinandersetzungen,sind allgemeinen lebensschöpferischen Normen unterstellt. DasIndividuum gilt in der Fortpflanzung nur, soweit es diese Nor-men zum Ausspielen bringt, zuweilen hat die Paarung unmittel-bar seine Vernichtung zur Folge. Das Kontinuum der Art,regelnd wirksam über die Individuen hinweg, sucht nun Erhal-tung innerhalb und in Benutzung der anorganischen Gesetze. DieRhythmen der Fortpflanzung erweisen sich mannigfach einge-ordnet in die Bedingungen des Mediums, in Wohnraum undKlima, sowie in die allgemeinen Perioden des Erdgeschehens(Einbau von Paarungs-, Trächtigkeitszeiten usw. in das Jahr,Mondperiodizität, periodische Tierwanderungen usw.).

Auf der zweiten Achse herrschen die allgemeinen Maßstäbedes Artkontinuums und des Erdschauplatzes; damit hebt sie sichab von der anderen Achse der Einzelwesen und -begegnungen,der besonderen Formen ihrer Auseinandersetzung und ihres Ver-

105

flochtenseins miteinander im Kampf ums Dasein, sowie der Zu-rückziehung daraus.

Die Weiterführung des Gedankens gebietet, uns die vier soaufeinander bezogenen Bezirke in logischer Anordnung zu ver-anschaulichen. Wir stellen einander gegenüber, was nach beson-deren oder allgemeinen Maßstäben polar zusammengehört, undzwar in der Weise, daß zugleich eine Folge anwachsender Di-mensionen von Einzelwesen, Art, Symbiose und Erdschauplatzentsteht.

Erdschauplatz Symbiose

Schließungdurch

Anorganisches

Schließungdurch

Fremdorganisches

In sichGeschlossensein

Schließungdurch

Artverwandtes

Einzelwesen Art

Für unsere Lebens-Grundsituation (auf der das spezifischMenschliche aufbaut) treffen dieselben Dimensionen zu. Die ge-braute Anordnung entspricht einer Wert- bezw. Erlebnistönungder Stilformen, beginnend mit dem Quadranten der Einzelperson,in Rechtsdrehung fortgeführt bis zu dem des Erdschauplatzes.Demnach umfaßt:

I. Quadrant II. Quadrant III. Quadrant IV. Quadrant& ' ( ) * + , - . / 0 1

Was über Temperamente sowie über Grundformen des Wir-kens und Werdens gesagt wurde, verschmitzt mit den werthalti-gen Lebensbezügen, welche die 12 Zeichen aus den Quadrantenerhalten. Die Bedeutungen erstrecken sich auf die Quadranten alsganze. Doch für das erlebnismäßige Zurückgreifen auf dieGrundsituation, das Bewahren der Basis der Lebenswerte und

106

ihrer Maßstäbe, gelten vor allem die fixen Zeichen, die flankiertvon je einem kardinalen und einem labilen die Mitte der Qua-dranten einnehmen. Hier vornehmlich ankern die Instinkte zurRegulierung der betreffenden Vorgänge. Beachten wir den tem-peramentsmäßigen Charakter dieser Zeichen ', *, -, 0, sosehn wir in der Aufeinanderfolge von erdhaft, feurig, wäßrig,luftig eine gestaffelte Bezugnahme zur materiellen, organischen,seelischen, geistigen Ebene, analog ihrem Überstufungsverhältnisim «Aufbau der realen Welt» (Nicolai Hartmann)42.

Wir mußten etwas weit ausholen, um auf dieses Urmaß zu sto-ßen, den Untergrund, über dem die menschliche Wertwelt er-richtet ist. In der Organisations-Mannigfaltigkeit des Menschensteckt auch Pflanzliches und Tierisches, und zwar nicht nur ingewissen Leibesfunktionen. Vorkommende seelische Regressio-nen auf die Tierstufe bringen mit schlaglichtartiger Deutlichkeitdie entsprechenden Erlebnistönungen umgewandelt zum Vor-schein; ohne solche des III. Quadranten wäre unsere Geschichtenicht so weitgehend Kriegsgeschichte, könnten Kriminalromanekeinen solchen untergründigen Reiz ausüben, wir spüren darin,weiteren Beziehungen vorgreifend, den «marsischen» Ton dieserBasis im Gegensatz zum «venusischen» des pflanzlich erlebten I.Quadranten43. Jedenfalls unterströmen Erlebnistönungen und

42 In urtümlichen Überlieferungen finden wir die «vier Weltgrundlagen». Als solche

sind zu deuten die Bilder des Stiers, des Löwen, des Adlers, des Engels, welche in der Visi-on Ezechiels das Fundament des Höchsten bilden, in der Offenbarung des Johannes an denEcken seines Thrones aufgestellt sind. Was sie als Bilder im imaginativen Raum verkör-pern, deckt sich mit der Symbolsprache der alten Astrologie. Der Stier, der Löwe sind un-verändert in den Tierkreis übergegangen. Der Adler ist eine andere Verbildlichung dessen,was der Skorpion umschreibt, die gehobenere, aufschwungsfähige, SchwereüberwindendeVariante. Der Engel als Bote höherer Ordnung, menschenähnlich-übermenschlicher Inspi-rator, entspricht dem Wassermann, der übrigens so wenig mit dem wässrigen Element zutun hat wie der Adler mit dem luftigen Medium, gemeint ist der Bringer des geistig Ein-strömenden; in der griechischen Mythologie ist es Ganymed, von Zeus' Adler geraubt, d. h.in den Olymp berufen und zum Mundschenk der Götter geworden. - Solche Überlieferun-gen wurden von späteren Auslegern teilweise mißverstanden, wie sich an der Zuordnungder 4 Evangelisten zeigt. Wesensmäßig richtig finden wir Lukas mit dem Stier, Markus mitdem Löwen, hingegen dem vergeistigsten, Johannes, wurde irrigerweise der Adler, Matt-häus der Engel beigegeben.

43 Auf die vegetative Seite im Menschen hat die richtig verstandene Jahreszeiten-Analogie (vgl. S. 26 ff.) einigen Bezug, während die animalische, mit der sich die Werte-thik hauptsächlich auseinandersetzt, in den Wertdimensionen liegt.

107

Werte aus diesen Dimensionen unser Verhalten, allgemein-menschlich, sowie individuell verschärft je nach der Betonungder Quadranten. Indes enthält das menschliche Wesen darin nichtnur rudimentäre Wertformen unterer Organisationsstufen, son-dern abwandlungsfähige Rahmen-Anlagen zur Herausbildungdes eigentlich Menschlichen.

Dadurch, daß der Mensch sein Eigentümliches auf den unterenNaturreichen aufbaut, wandeln sich die Gehalte und verlagernsich die Gewichte. Instinktmäßig sich darzuleben, bleibt in denbeiden ersten Quadranten relativ ungetrübt in Geltung; wir ge-horchen denselben Gesetzen der Ernährung und pflanzen unsnach gleichen lebensschöpferischen Normen fort wie Säugetiere.Nur die Wertformen der Bekundung von Trieb und Instinkt he-ben sich in einer Weise, welche den Ausdruck Kultur, im Wort-sinne angewandt (von colere = anbauen, züchten, Naturgege-benes veredeln), berechtigen. Die Stärke der hier rückver-sichernden Prinzipien ' und * liegt im Naturgeschöpflichen,einbeschlossen verfeinerte und übertragene Ausdrucksformen(«Sublimierungen») natürlicher Gaben.

Hingegen in den beiden folgenden Quadranten stellt unsereWertethik die tierhaften Auswirkungen entscheidend zur Diskus-sion. Die Stärke der Prinzipien - und 0 ist eine solche «nachoben», ihnen fällt die Sicherung spezifisch menschlicher Erwer-bungen zu. An die Stelle der pflanzlich-tierischen Symbiose trittbei uns die aus bewußter Kommunikation hervorgegangene Ge-meinschaft. Entscheidung über Freund oder Feind steht in men-schenwürdiger Wertung nicht Instinkten zu, wie auf geschicht-lichen Anfangsstufen oder in Fällen der Rückartung. Der reineNaturinstinkt gilt als unterwertig, wenn nicht auf höhere Wert-ziele umgebogen (Motiv für Verfälschungen: Religionskriege,Parteikriege usw.). Darum ist der III. Quadrant der unruhevollste,doch für die Weiterentwicklung bedeutsamste Wertbezirk. Hierklaffen die Niveauunterschiede auf in der ununterbrochenen Kri-sis des Kampfes um den Menschen: Mitmenschlichkeit in derMannigfaltigkeit der Stämme und Individuen, Aufbau sozialerFormen über Bindungen der Blutsverwandtschaft hinweg. Ge-schaffen werden damit die Voraussetzungen, gemäß dem IV.

108

Quadranten den Erdschauplatz einzunehmen und einzurichten inFormen, welche den Ausdruck Zivilisation im Wortsinne (voncivis = Stadtbürger) berechtigen. Das bewußte Erfassen der an-organischen Welt führt zu anwachsender technischer Beherr-schung und Durchgestaltung dieses Schauplatzes. Bewegt sichdas Tier in seinem natürlichen Medium durch instinktgelenkteOrganleistungen, so schaffen wir uns mit Hilfe von Organ-projektionen - Werkzeugen und Maschinen - ein künstliches Me-dium hinzu und entwickeln darin die naturfernsten Lebensfor-men.

Mit den skizzierten fundamentalen Wandlungen, der sie ver-wirklichenden Geschichte, bewegen wir uns vertikal gesehennicht im «Kreis», sondern in der «Spirale», das heißt wir berüh-ren diejenige Seite der Äußerung, die dem «Niveau» angehört.Dennoch bleiben horizontal gesehen die Wertdimensionen un-verändert. Die 12 Zeichen behalten ihren Erlebniston, ob in höhe-ren oder niederen Entsprechungen. Der Gedanke der Ent-sprechungen besagt: Elemente, die universeller Natur sind undjenseits empirischer Feststellungen liegen, erscheinen auf allenEbenen des Seins, auf allen Entwicklungsstufen wieder, doch je-weils in spezifisch anderer Form. Das Gemeinsame erfassen wirim Symbol, die spezifische Ausprägung dieses Vieldeutigen deu-ten wir durch die Entsprechung. Da innerseelisch auch entwick-lungsmäßig zurückgelegte Stufen erhalten bleiben, faßt jeder derQuadranten die niveaumäßige Vielschichtigkeit in einem unddemselben Menschen zusammen; das Festhalten obliegt den fi-xen Zeichen, so verstehen wir das besonders Problematischedesjenigen des III. Quadranten, -, später das seelisch Span-nungstragende genannt.

Die Teilung der Quadranten, das Achsenkreuz des Kreises, be-zieht sich demnach auf unverändert bleibende Bezirke unsererLebens-Grundsituation. Horizontale und vertikale Achse unseresSchemas fassen je zwei Bezirke zusammen und trennen sie vonden anderen beiden. Die horizontale Achse versinnfälligt dieSchnitt- und Scheidelinie eines im Menschen angelegten Wider-spruchs: unten vorwiegend unbewußtes Naturwesen, oben vor-wiegend bewußter Gestalter seiner Welt. Unten hängen wir am

109

Nabelstrang der Lebenstotalität, dem Zustrom unbewußter Di-rektiven geöffnet, oben sind wir Wesen mit Welt und Geschichte,Massenexponenten sozialer Vorgänge, an denen wir bewußtmitwirken. Stehen wir im Geschlechtskontakt oder in Beziehungzu Eltern, Geschwistern, Kindern, so laufen unterschwelligeReizlinien, die Wesenseigenes anrühren. Oberschwellig dagegenund im eigentlichen Sinne weltoffen verhalten wir uns, sobaldwir mit der SubjektObjekt-Scheidung die Linie überschreiten,über welcher die Signale zur Auslösung von Instinkten zurück-gedrängt werden von Zeichen, Ziffern, Begriffen bewußten Ge-dankenlebens; hier baut sich die eigentlich menschliche Wertweltauf, deren Gehalte aber rückwirkend auch in den unteren Bezir-ken neue Entsprechungen hervorrufen.

Wenn im astrologischen Meßbild betont, als Anlagen, vermel-den die Quadranten freilich nichts von der Entwicklungshöhe desbetreffenden Menschen. Auch darf das Verhältnis der horizonta-len Achse zur SubjektObjekt-Scheidung (wichtig für das nach-folgende Unterkapitel und den Ansatz der 4 Trigone) nicht dahinmißverstanden werden, daß über dieser Achse schlechthin be-wußte, unter ihr schlechthin unbewußte Anlagen zu suchen seien.Um diesen Irrtum auszuschalten, legen wir den Schnitt zwischen«wesenseigen» und «wesensfremd», wobei der erste Ausdruckdas Einzelpersönliche sowie instinktmäßige Beziehungen derBlutsverwandtschaft bezw. Fortpflanzung, der zweite die sozialeMitwelt einbeschließt.

In einem anderen Sinne scheidet die vertikale Achse die Bezir-ke. Auf Werte der Einzelperson beschränkt sein, heißt, vomKontakt mit Mitlebendem sich abzusetzen. Drastisch bewirktdies der Schlaf, indem die Fäden akuter Beziehung zur Umweltabreißen; die vom Einzelnen ausgegangenen Antriebe, die imWachleben bestimmte Handlungen auslösten und Kontakte schu-fen, werden als gestilltes Bedürfnis oder unerlöste Unruhe zu-rückgenommen und zum Ausgleich zu bringen gesucht. DieEindrücke verwandeln sich in Traumsymbole unter der Herr-schaft der Eigenperson und diese sucht intakt wieder herzustel-len, was die Auseinandersetzung mit Personfremdem aufsplitter-te. Auch das Abklingen einer geschlechtlichen Erregung enthält

110

solch Zurückfinden in die Vereinzelung, Loslösung aus gefunde-nem oder erhofftem Kontakt. In der Erlebnistönung dieses I.Quadranten gilt Erwartung oder Nachhall organischer Kontaktenur als Mittel zum Aufbau der Person, es ist gleichsam der An-eigner-Bezirk. In der Tönung des IV. Quadranten gelten sie be-reits nicht mehr. Hier geht es um Werte, deren vorwiegendsachlicher oder allgemein funktionaler Bezug von solchen Kon-takten absieht. Ein Selbstzweck der Apparate, Einrichtungen,Schemata oder der Aufträge und Sendungen macht sich geltend,das Persönliche wird aufgesogen von der Gestalt des «Funktio-närs».

Was je an Unabhängigmachung des Menschen vom Naturge-schöpflichen erreicht wurde, gründet in diesem Bezirk, vereinigtmit dem der selbständigen Einzelperson. Jedoch ein anderer Wi-derspruch des Menschenwesens bricht auf. Vereinseitigung aufobjektive Allgemeingültigkeit von Sache und Auftrag vergißtebenso leicht wie Selbstgenügen der Einzelperson, daß zurmenschlichen Vollständigkeit auch organisch gewachsene Wertegehören. Ist man abgesperrt von ihnen, sei es auf Grund erlittenerseelischer Verletzung oder sonstiger Kontaktstörung, so ver-schiebt sich das Verhältnis zur Wirklichkeit, dann liefern Traumund Sendung nur Modellbilder des Wahns. Diese organischenWerte, bezw. die sie aufbauenden Kontakte ankern auf der ande-ren Seite der vertikalen Achse. Im II. Quadranten herrschen dieBindungen der Blutsverwandtschaft, der Familie, im III. die Be-ziehungen der Lebensgemeinschaft mit Andersartigen, was so-wohl wahlverwandtschaftliche Übereinstimmungen als auchgegnerische Auseinandersetzungen einbeschließt. Es ist dasKontakt-Unmittelbare des Zusammengehörens und -lebens, dasden Einzelnen von sich abzieht und gelebte Gemeinsamkeit überrein sachliche Beziehungsregelungen stellt. Trotz aller Irrungenund Winkelzüge, aller drangvollen Situationen abstandslos er-lebter Mitmenschlichkeit, gerade hieran verjüngen sich die Maß-stäbe humanitären Verhaltens.

Die Kreuzung der beiden Schnittlinien läßt folgendes Bild ent-stehen. Die Erlebnistönungen und Werte überschneiden sich inder Weise, daß jeder Quadrant teil hat an zwei Tönungen, die ihn

111

mit den beiden benachbarten Quadranten verbinden. Nur mit sei-nem Gegenüber hat er keine Tönung gemeinsam. Es überschnei-den sich in I: wesenseigen + organisch kontaktlos, in II.wesenseigen + organisch kontaktgebunden, in III: wesensfremd +organisch kontaktgebunden, in IV: wesensfremd + organischkontaktlos.

Mit dieser inhaltlich wertgetönten Anreicherung sind wir anden Punkt gelangt, wo von einem bloßen Ausdrucksprinzip zusprechen ungenügend wird. Ein Stil des Erlebens, das Verhaltenauf verschiedenem Niveau und vor verschiedenartigsten Anläs-sen einheitlich bestimmend, klingt auf. Erinnert sei, daß vor al-lem den fixen Prinzipien die Rolle von «Wert-Bewahrern»zufällt, das Festhalten rudimentärer wie darübergeschichteterGehalte. Nunmehr müssen wir uns deutlicher die Rolle der kar-dinalen und labilen Prinzipien, in denen es um Erschaffen undAusspielen solcher Lebenswerte geht, vergegenwärtigen. Der

112

Kreis schließt sich dabei in einem Grundgedanken der Abfolgealler 12 Prinzipien.

Zusammenfassung unter dem Prinzip der Begegnung zwischenIch und Welt

Aus der gewonnenen Sicht wagen wir den Versuch, den Kreisder Stilformen als Urmodell welteingebauter partieller Vorgänge,die von einem lebenden Wesen ausgehen, begreiflich zu machen.

Bewußt oder unbewußt bewegt sich jeder Einzelne von uns inden Gegensätzen und durch die Gegensätze:

Ich Anderheit(selbsttätiges Subjekt)

+(Nicht-Ich, Du, Objekt)

als besonderem Widerspruch partieller Vorgänge, die Beziehungzu Umweltlichem schaffen, sowie:

Natur Mensch(lebens- und fortpflanz-

fähiger Organismus)

+(konzentrierte Welterfah-

rung)

als allgemeinem Widerspruch, der diese partiellen Vorgänge insich faßt, doch, wieder im Widerspruch zu deren Besonderheit,mit eigenen Formen zur Geltung kommt.

Empirisch wirkliche Dinge sind in diesen Gegenüberstellungennur in Form von Phasen und Relationen, als auswechselbareMomente prinzipiell wiederholbarer Vorgänge, enthalten. Auchbezeichnen die vier Grundbegriffe nichts starr voneinander Iso-liertes. Die Überkreuzung der beiden Widersprüche stellt einedialektische Beziehungsformel dar, ihre Gegensätze heben sichauf im universellen Geschehen, dem zusammenschließendenKreis. Nichtsdestoweniger sind es klar unterscheidbare Kompo-nenten der Lebensverwirklichung.

Mit Ich meinen wir das selbsttätige Subjekt, das als rationalesIch zum Bewußtsein seiner selbst gelangt, in seinen Inhalten und

113

Tätigkeiten sich wandelnd, ohne daß sein Spontaneitäts-Charakter von diesem Bewußtsein abhängig wäre. Mit Anderheitmeinen wir etwas rezeptiv Aufgenommenes, eine Gegebenheitder Sinnesempfindung, ein als Nicht-Ich unterschiedenes Objektder subjektiven Bewußtseinstätigkeit oder Du des Fremdkon-takts. Zeichen von etwas umweltlich Vorhandenem, wird unsdies zur Komponente eigenen Verhaltens und Wirkens. Das Ichist dabei sowohl Verarbeiter, Umsatzstelle solcher Anderheiten,als es sich anderseits mit wachsender Objektkenntnis durch An-derheiten bedingt und bestimmt, von ihnen umgrenzt, in ihnenenthalten weiß.

Natur, d. h. unser Gegebensein als Naturwesen mit Rückver-bindungen zur Lebenstotalität und deren Hervorbringung leben-der Arten, ist uns ohne weiteres verständlich. Doch nur infolgeder herausentwickelten Eigenschaft als Mensch. Dieser, in seinerGegenüberstellung zum Naturwesen, hebt sich von dessen Un-bewußtheit ab als bewußter Gestalter seiner Welt. Er ist das All-gemeine aller individuell besonderen Menschen. Obzwar jedereinzeln, unmittelbar und anlageverschieden in der Weltwirklich-keit steht, geht Welt als zusammenhängendes Ganzes doch nurnach dem Grade solchen Menschseins in ihn ein. Dies setzt eineSumme im Geschichtsprozeß erworbener Erfahrung von Objek-ten und die Ausgestaltung der Konsequenzen davon voraus, seies in geistigen Werken und technischen Umbildungen des Erd-schauplatzes, sei es in sozialen Produktionsverhältnissen und Be-ziehungen zwischen Individuen.

In der unmittelbaren Lebenswirklichkeit steht das Ich mit sei-nen Tätigkeitszielen sowie dem jetzt und Hier der Objektsituati-on im Vordergrund. Erfahrungen springen daraus nebenbei aboder spielen mit der Note subjektiver Verwendbarkeit hinein.Dagegen im Bewußtsein einer zusammenhängenden Objektweltunterstellt sich das Ich dem unpersönlichen «Man», d. h. der all-gemeinmenschlichen Erfahrung von Welt überhaupt, herausgear-beitet im Verlauf der Geistesgeschichte. Vom Gesichtspunktedieses «Man» aus wird es gleichgültig, wer die Erfahrungenmachte, wann und wo sie gemacht wurden und wer sie anwendet.Ebenso schwindet die sinnliche Unmittelbarkeit naiver Wahr-

114

nehmungsakte vor dem Zeugnis der Apparate und anderen mate-riellen Prüfmittel: diese erlauben gesicherte, vom organischenKontakt und dessen Fehlerquellen freie Feststellungen. Dochzwar auf diese Weise Verarbeiter und Umsatzstelle außer-menschlicher Natur, bleibt der Mensch nichtsdestoweniger selbstNaturwesen. Ob als Welt-Auftrag aufgefaßt, ob sachlicherSelbstzweck, seine Ziele und Leistungen sind bedingt in denMöglichkeiten und Bedürfnissen seiner Organisation. Dem«Man» tritt damit das «Es» gegenüber, d. h. das Selbst mit seinenVerbindungssträngen zur Lebenstotalität; Tatsachen der Außen-welt geraten in Wechselwirkung mit Regungen der Innenwelt.Letztere bilden den allgemeinen Nährboden alles dessen, was inichhafter Form dezidiert und vereinzelt, tätig-richtungsbestimmtzu Anderheiten in ein Verhältnis tritt.

Dies sind die Grundansätze, aus denen Begegnung, Beziehungund Austausch mit der Welt und wieder Zurückfinden in sichhervorgeht. Niemand kann ihrer entraten, niemand der Wider-sprüchlichkeit entrinnen. Jeder muß subjektiv selbsttätig sein,bestimmte Umweltsmomente aufgreifen, muß die besonderenSituationen, die entstehen, einbeziehen und einbauen in den all-gemeinen Zusammenhang erlebten Seins als Naturwesen und alsMensch. Wie wir es tun, ist individuell verschieden. Die Grund-ansätze nun stimmen nach Inhalt und Ordnungsform überein mitden kardinalen Anlagen, praktisch kann jede dieser Anlagendurch jede der Wesenskräfte betont sein. Es handelt sich dabeiwie bei allen Stilformen um eine Mehrbetonung von ohnehinVorhandenem, nicht um neu Anerschaffenes. Je nach der Kräf-testruktur treten sie mit ungleichem Gewicht als individuelleStrebungen hervor.

115

Die Thematik der durch dies Achsenkreuz ausgeschnittenenQuadranten steht in innerer Übereinstimmung mit den Inhaltendes vorigen Abschnitts. Dort richteten wir das Augenmerk aufGrundlagen, jetzt geht es um Strebungen; innerhalb derselbenLebensdimension gerät jeweils Grundlage und Strebung in einantithetisches Verhältnis. (So steht etwa im Verhältnis von ' zu& «fixe» Ruhe, Tendenz hermetischer Abschließung, der «kardi-nalen» Selbsttätigkeit des Ichs entgegen: Sicherung gegen einÜbermaß dynamischer Verausgabung). Mit den Quadranten, auf-gefaßt als Lebensdimensionen von anwachsendem Umfange derhergestellten Beziehungen, ist der rechtsläufige Drehsinn desKreises bestimmt, während die Gegensatzspannungen quer hin-durch gehen. Das selbsttätige Subjekt bildet den Einsatzpunktaller partiellen Vorgänge. Auch wenn diese reaktiv sind, d. h.

116

eingeleitet durch Wahrnehmung von Anderheiten, setzt es dochSelbsttätigkeit voraus - Wahrnehmung «wird gemacht» -, fernerzielt auch reaktives Verhalten zunächst auf Durchsetzung derEinzelperson ab. Erst entwicklungsmäßige thematische Verlage-rung im Fortgang der Quadranten weitet die Strebungen bis zurbesagten Aufhebung des Ichs im unpersönlichen Man. Dem sogesehenen Kreise als Bild vorsichgehender Entwicklungen fügtsich nicht nur die Aufeinanderfolge von kardinal, fix, labil in je-dem Quadranten ein, es schließt in sich auch das Wiedereinmün-den in den Ausgangspunkt: die Subjektivität gewinnt sich unteranderen Voraussetzungen, entwickelter, mit angereicherten In-halten, zurück. Jede Begegnung des Ichs mit der Welt verändertgewollt oder nicht seinen Standpunkt in ihr, fügt neue Vorausset-zungen seines Wiedereinsatzes hinzu.

Wie kann nun dieselbe Folge ein Rahmen vorsichgehenderEntwicklungen und gleichzeitig, als Meßkreis, eine Aufreihungnachweislicher Anlagen sein, über deren Entwicklungshöhe aberkeine Aussage möglich ist? Diesem Doppelsinn wurden wir be-reits in der Einleitung (S. 6) durch das Bild der zylindrischenSpirale gerecht. Mechanisch aufgefaßt liegt im Kreisläufigen ei-ne Wiederkehr des Gleichen, d. h. gleicher Formen des Erlebensund der Äußerung, während wir es mit dialektischen Lebensprin-zipien zu tun haben, die niederes und höheres Niveau zulassen.Demgemäß stellen wir uns entwicklungsdynamisch eine Spiralevor, die in Seitenansicht gesehen ansteigt. Blicken wir von obenauf diese zylindrische Spirale, die das quadrantenmäßige «An-wachsen der Dimension» (Schleuderkurve) in ein «Ansteigen»übersetzt, so bleibt die prinzipielle Gleichheit sich deckender Ab-schnitte bestehen, die trotzdem vorhandene Niveauverschieden-heit ergibt sich dem Blick von der Seite. Es sei deshalb stets klar,ob wir den entwicklungsdynamischen Spirallauf, den Menschenin seiner geschichtlichen Wirklichkeit, oder die Kreisordnung,den Kosmotypus meinen.

Daß in dieser Kreis-Spirale überhaupt ein Einsatzpunkt anzu-geben ist und daß er sinngemäß am Übergang des IV. in den I.Quadranten liegt, hat noch eine andere Bewandtnis als die desBeginns aller partiellen Vorgänge in der subjektiven Selbsttätig-

117

keit. Es sind die Quadranten «Erdschauplatz» und «Einzelwe-sen», die hier aneinanderstoßen. Stellen wir uns beide als ge-schlossene Systeme vor, so bedeutet dies eine Umschaltung desBeziehungsverhältnisses Makrokosmos-Mikrokosmos, d. h. es istder Punkt erreicht, an dem sich die phänomenologischen Grö-ßenunterschiede durch Analogie aufheben44.

Jedem Ansatz eines neuen Quadranten werden nun aus demEndgliede des ihm vorangehenden Quadranten bestimmte Ergeb-nisse, Effekte, Endprodukte beigesteuert. In diesen labilen Prin-zipien finden Entwicklungen ihren Ausklang, die angeregtwurden aus der Gegensatzspannung der kardinalen Strebungenzu den fixen Grundlagen.

Korrelative oder dialektische Widersprüche wie das thetisch-antithetische Verhältnis von kardinal und fix wie auch dasjenigeder Pole des Achsenkreuzes untereinander - sind nichts starr Ent-gegengesetztes, schlechthin sich ausschließend. Vielmehr sind eszusammen bestehende, aufeinander bezogene, ohne einandernicht denkbare, in ihren Äußerungen voneinander heraus-geforderte Widersprüche; sie negieren sich nicht durch ihren Ge-gensatz, sondern steigern sich an ihm, wirken in ihrer polarenBeziehung aufeinander zurück und bestimmen sich wechselsei-tig. Diese Wechselwirkungen, die einen Quadranten beschließen,zum nächsten überleiten, sind in den labilen Prinzipien ausge-drückt. Ihr veränderliches, fluktuierendes Wesen stellt die durch-führenden Entwicklungsbewegungen dar. «Dinge» gelten hierinals Momente eines Prozesses, einer fließenden Wirklichkeit.Während man von Kardinalen aus vorwiegend den Appell an einStreben erlebt, vom Fixen her feste Werte und Maßstäbe absolutzu nehmen neigt, gerät im Labilen alles in Fluß, nur auf entwik-kelnde Bewegung kommt es an und Ergebnisse heben sich inWeitergang der Bewegung wieder auf. Alles erscheint bedingt,

44 Die spiralige Entwicklungsdynamik entspringt zwar den Eigenschaften des Lebens, ist

aber in der Messungsgrundlage für unseren Kreis nicht vorbildlos. Unserem geozentrischenBlick stellt sich die jährliche Scheinbewegung der Sonne als zyklische Wiederholung dar.In Wirklichkeit kreist nach astronomischer Darstellung die Erde um die Sonne, wird durchderen Eigenbewegung von 20 km/Sek. mitgezogen und beschreibt so eine Spirale imRaum.

118

hat vorübergehenden, vergehenden Relationswert, bezogen aufQuadranteninhalt und gefärbt durch Temperament.

Die Schwierigkeiten des Verstehens, welche gerade diesenZeichen gegenüber bestanden (wie die traditionellen Benennun-gen «gewöhnlich», «doppelkörperlich» usw. zeigen, am brauch-barsten ist davon «veränderlich», «mutable» im englischenSprachbereich), lichten sich, wenn man sie als Entwicklungska-tegorien versteht. Wir ergänzen damit das bisher Gebrachte.

In der Einzelperson bedingte, sowie spontanen Unternehmun-gen entspringende Entwicklungen. Klare, rasche Sonderlösungenvon Fall zu Fall, worin die Dinge als das gelten, was sie in ihrerVerwertbarkeit für das momentane persönliche Interesse sind.Ihre Bedeutung kann sich daher von heute auf morgen verändern,je nach dem Ausfall des Widerstreits zwischen ihrer Geltungvom bisherigen subjektiven Blickwinkel und ihrem Angeleuch-tetwerden von einer neuen Seite her: Ausdruck der Umschaltungvon Interesse und Urteil. Organisch kontaktlose Geistigkeit, so-weit sich nicht am logischen Faden haltend sprunghaft in denWendungen. Aneignungsinstinkte mit der Tendenz, den Augen-blick zu nützen wo sich Gelegenheit bietet. Das primitive Ur-teilsschema «mir nütze oder unnütz» schlägt auch indifferenziertesten Formen als Schwarz-Weiß von Zustimmungoder Ablehnung durch. Erfassen von Ding und Widerspruch inihm selbst = Entwicklung aus Widersprüchen.

Durch Abstammung und Familienmilieu, sowie durch dieBreite und Vielfalt im Leben zusammentreffender realer Einzel-momente bedingte Entwicklungen. Komplizierte Probleme undLösungen, insofern die Kultivierung des Wesenseigenen, das Zu-rückweichen vor fremdartig Empfundenem, das Haften an derkonkreten Form der Tatsachen, in denen die Individualgeschichte

I. Quadrant (

II. Quadrant +

119

abläuft, überall Reserven aufnötigt. Anderseits Bedürfnis, organi-sche Kontakte materiell nützlich zu betätigen; sofern Familienge-fühle sich nicht direkt auswirken, häufig ihre Übertragung aufFachschaften und dergl., auch in Fürsorge und Sachwaltung um-wegig sublimierte «Nestbau- und Brutpflegeinstinkte». Werk-fleiß bleibt im Umkreis des Verwandten und Bekannten, das rüh-rige Mühen um Vollständigkeit braucht Schranken, sie zu errei-chen: Meisterschaft durch Beschränkung. Die Vorgänge laufenmeist mehrschichtig und die Tendenz, alles zum Resultat Beitra-gende berücksichtigen zu wollen, führt zur Gleichzeitigkeit mit-unter diskrepanter Betrachtungspunkte, die sich gegenseitig inSkepsis aufheben. Beobachten der Dinge in den ihnen immanen-ten Grenzen, sowie ihrem von vielen Seiten bespiegelten Relati-onswert = konkret ungleichartige Entwicklung.

Aus dem Verhältnis der Eigendynamik zur umweltlich jeweilsvorgefundenen Situation bedingte, durch tätige Entscheidung ge-fundene Entwicklungen. Stürmisch vereinfachende Lösung vonProblemen, die aus dem Widerstreit ambivalenter Wertungen von«Freund oder Feind», «mein oder dein» usw. entstehen; Partei-nahme von Fall zu Fall oder organisch sinnvolles «Sowohl-als-auch» aus darübergesetzten Postulaten. Dies mag Glaubenshal-tung, ideale Forderung oder Anlehnung an ein großes Vorbildsein, das Handeln mag kämpferische Instinkte zur Geltung brin-gen, in demonstrativ hingesetzte Behauptung oder vornehmeAbwendung aus dem strittigen Bezirk eingehen: letztendlichTendieren zu Blickpunkten über den Widersprüchen. Anderseitsbildet gerade deren Auftreten, die im organischen Kontakt erlebteGespanntheit, die Voraussetzung, eine einigende Linie herauszu-finden. Mitunter aus dem Fremd- und Seltenheitsreiz der Situati-on geborene kühne Tat. Erobern der Dinge in der Zusammen-gehörigkeit ihres Widerspruchs, im wechselseitigen Ineinander-übergehen der sie bestimmenden Momente = Entwicklung inHinblick auf Einheit des Gegensätzlichen.

III. Quadrant .

120

Durch Hineingestelltsein des Einzelnen in allgemeinmenschli-che Begegnungen und Schicksale, den Aufschluß innerer unbe-grenzter Möglichkeiten, bedingte Entwicklungen. Unwillkürlichsich ergebende Lösung von Problemen, die mehr gefühlt als be-wußt erfaßt sind. Oft nur dunkel das totale Ineinandergreifen derZeitströmungen erspürend, von seelischem Vertrauen in denWeitergang geführt, besteht fast Gleichgültigkeit gegen «Zieleund Zwecke», nur die Angst, sich irgendwo «totzufahren». Da-durch bedingter Wechsel, wenn man am Gegenstand zu haftenoder in Kurs zu erstarren droht. Sensibel einfühlsam, greift dasSeelische doch über organische Kontakte hinaus: vom Erlebniseines höheren Auftrags bewegt, einer Mission dienend, medialbestimmt oder aber ziellos durch Masseninstinkte mitgetrieben.Relativwert der Dinge gemäß ihrer Funktion im größeren Gan-zen, Einzelentscheide sind aufhebbar durch «Generallösungen».Erleben von Wechselbeziehungen, in denen die Dinge über sichhinaus weisen, aus ihrem nur in sich begründeten Zustand weg-streben = Entwicklung im universellen Zusammenhang.

IV. Quadrant 1

121

Jeder Quadrant klingt aus in Erwerbungen anderen Stils, diemit anderem Kriterium gemessen sein wollen (Begriffe an denEcken dieses Schaubildes). Als zusammenhängender Kreislauf sozu sehen: die Einheit jedes Quadranten spaltet sich in Gegensätze(kardinal + fix), aus deren durchgeführter Wechselwirkung (la-bil) stellt sich ein bestimmtes Resultat her; im nächsten Qua-dranten übernommen, wird es unter nunmehr einsetzender,dimensional anderer Kardinalstrebung zu einem neuen Ergebnisgeführt. Die vier Kriterienbegriffe enthalten jeweils das Ent-wicklungs-Thema des ganzen Quadranten, bereits im Kardinal-punkte anklingend.

Bloße formalogische Umkehr dieser Begriffe kennzeichnet ei-ne Mangelerscheinung des labilen Prinzips im gegenüberliegen-den Quadranten, wenn nur in dessen Dimension beschränktgelebt. Dann finden wir bei ( als Negativum einen Mangel anHöhe der Erhebung über das subjektiv Standpunkthafte, natürlichnicht gehaltsmäßige Tiefe, sondern Flachheit durch einseitigeRationalität und Vernützlichung; bei im finden wir Mangel anWeite des Horizonts, also Enge familienmäßig-milieuhafter so-wie fachlicher Beschränkung und konkretistischer Blickweise;bei . finden wir Mangel an Schärfe, nämlich, um glauben zukönnen, an Stumpfheit geistiger Distinktion grenzende Verein-fachungen, bezw. Ersetzung logischer Begriffe durch Behaup-tung und Willensimperativ; bei 1 schließlich fehlt zwar nichteine Fülle von Inhalten, doch, in ihrer konkreten Unbestimmtheitkeiner Kritik standhaltend, mehr schwankende Vermutungen,stellen sie im Ganzen eine Leere dar. Undialektischer Gegensatzheißt hier Umkehr positiver Entwicklungen.

Kennworte der zwölf Prinzipien

Die vielfachen Beziehungen aus ihrer Stellung im Kreis gebenjeder Stilform eine eigene Note. In der Zwölfheit runden sie sichzum Ganzen. Kennworte für dies Eigentümliche müssen sowohlder Symmetrie der Elementardreiecke, als auch der Quadran-tenordnung und ihren Tönungen gerecht werden. Außerdem hat

122

die Abfolge von kardinal, fix und labil in jedem Dreieck wie injedem Quadranten statt. Ausgegangen von einem Kardinalpunk-te, ragt das mit ihm anhebende Dreieck in drei nacheinanderfol-gende Quadranten hinein, vom vierten ist es ausgeschlossen. DieDreiecksspitze bezeichnet immer den Beginn eines Abschnittsvon 30 Grad und mit jedem Trigonschritt schiebt sich die Spitzeum ein Quadrantendrittel vorwärts. Der Geltungsbereich eineslabilen Prinzips stößt also jeweils an den Kardinalpunkt desjeni-gen Quadranten, von dem das Elementardreieck dieses Prinzipsausgeschlossen ist. All dies und das überschreiten der Hauptach-sen durch die Trigone oder Dreiecke hat seine Bedeutung. OhneAusführung solcher Nebenbedeutungen, die nach dem Vorange-gangenen von selbst einleuchten dürften, bringen wir nunmehrdie trigonale Zusammenfassung von Kennworten der Prinzipien.

123

124

Beziehung der Wesenskräfte und ihrer Aspekte zum Kreis derStilformen

Abschließend gilt es nunmehr, den in der Konstruktion derZwölfheit enthaltenen Zusammenhang aller Deutungselementezu untersuchen. Daß die formale Aufzeichnung zugleich Bezie-hungen der Abschnitte untereinander aufdeckt, die mit denHauptaspekten übereinstimmen, leuchtet ohne weiteres ein. Fol-gen sie doch derselben geometrischen Teilung des Kreises. Ex-akte Aspekte innerhalb der zwölfstufigen Ordnung fallen inZeichen der ihnen entsprechenden Distanz. Eine kurze verglei-

125

chende Betrachtung dieser beiden Kategorien ist daher für dasVerständnis beider von Gewinn.

Die Konjunktion verdeutlicht Zusammenstimmung differieren-der Kräfte durch ein und dasselbe Prinzip des Ausdrucks. DieOpposition entfacht den polaren Gegensatz, der in allen Gegen-überstellungen des Kreises liegt, zum Kräfte-Antagonismus,bahnt anderseits eine Vereinbarkeit über das Temperament an(Verwandtschaft in tätiger oder leidender Form); daß beide Polederselben Achse in derselben Wirk- und Werde-Grundform lie-gen, verschärft aber wiederum den Gegensatz als solchen vonzweierlei entgegengesetztem Streben, Festhalten oder Verwirkli-chen. Die Trigone weisen in die Einheit des Temperaments bezw.der Seinsebene, die den Kräften eine gleiche Ausdrucksform und-basis geben, und fassen bei Vollständigkeit alle drei Wirk- undWerdegrundformen zusammen. Die Quadrate tragen über dieDifferentialspannung der Kräfte hinweg noch weitere Spannun-gen in sie hinein: Abhebung verschiedener Ebenen bezw. Tempe-ramente voneinander, Umschalten aus tätiger in leidende Form,Betonung des Unterschiedes von Streben, Festhalten oder Ver-wirklichen in verschiedenen Wertdimensionen (Gleichheit derWirk- und Werde-Grundform bei verschiedener Quadrantenla-ge). Das Sextil bringt das abgeschwächte Bild des Trigons, indemdie Einheit der Auswirkungsform und -basis sich nur mehr aufVerwandtschaft der Temperamente erstreckt (entweder tätigeoder leidende Form). Halbsextil und Quincunx stellen lediglichBeziehungen zwischen Zeichen verschiedener tätiger oder lei-dender Form her, und zwar der in den Hauptaspekten nicht er-faßten benachbarten oder entfernt liegenden.

So dürfen wir sagen, daß die wichtigsten Aspektschritte in derBeziehung der Zeichen gleicher Distanz wiederkehren. Dochmuß anderseits die Geltung der Aspekte als unabhängige Katego-rie gewahrt bleiben, ihrem Charakter als reine Beziehungsformenentsprachen wir durch selbständige Ableitung aus der Kreisgeo-metrie. Auch im Falle der Unexaktheit noch zu rechnen, könnenAspekte die Grenzen der Zeichen analoger Distanz überschreiten,

126

ferner gibt es solche, die aus der zwölfstufigen Ordnung heraus-treten.

Immerhin leben Aspekte nur aus den Wesenskräften, als For-men ihrer Beziehung zu einander, während der Kreis der Stilfor-men eine formende Tendenz für sich hat, wie das Zeichen amAszendenten zeigt. Auf welche Weise aber hängen Kräfte undStilformen zusammen? Auch die Kräfte verstanden wir aus einerOrdnung und Regel, die, weil unabhängig vom aspektmäßigenVerhältnis, worin wir sie im individuellen Falle antreffen, ihreelementare Ordnung genannt wurde. Im organisch-kosmo-logischen Zusammenhang können nun nicht zweierlei völlig un-vereinbare Ordnungen gelten. Wir haben uns daher zu besinnen,worum es sich bei Planetenordnung und Tierkreisordnung fürdiesen Zusammenhang handelt.

Aus Planeten und Aspekten begreifen wir den Menschen alsGefüge von Kräften und in der Problematik, die sich durch ihreWechselwirkung ergibt; wir betrachten ihn dabei für sich allein,im Aufbau seiner organischen Ganzheit, sind uns jedoch darüberklar, daß dies nur ein relativ geschlossenes Ganzes ist und dieKräfte sich auch mit Umwelt auseinanderzusetzen haben. Erklä-ren wir den Menschen von der Umwelt her, so fragen wir nachGegenständen seines Interesses sowie nach der Art und Weiseseines Verhaltens; darauf finden wir Antworten aus den Häusernund dem Tierkreis bzw. dem, was hier Interessensphäre undSphäre des Ausdrucks genannt wird. In der Ausdruckssphäre sindwir den Kräften und der inneren Dramatik ihres Zusammenwir-kens um einen Schritt näher. Diese Sphäre umfaßt Formen desaktiven Ausgreifens der Kräfte in die Umwelt bzw. des reaktivenVerhältnisses zu ihr, wobei allgemein von «Reizen», noch nichtvon der Einkleidung in «Gegenstände» gesprochen wird. Es sindzwar «Leerformen» für die Äußerung der Kräfte, durch sie erstverwirklicht, doch vom Kräfte-Organismus nicht wegzudenken,denn das organische Ganze kann sich nur mit Hilfe aufgegriffe-ner und verarbeiteter Umwelt, also durch solche Kräfteäußerun-gen, aufbauen und wiedererneuern.

Die Grundlage der elementaren Kräfteordnung sahen wir imengeren Bezugssystem bis � (Bd. 1, S. 60 ff.), der Siebenheit.

127

Wenn eine Siebenheit und eine Zwölfheit vergleichbar sind, dannim Aufbau aus der Drei und der Vier, Aufbau jener durch Addi-tion, dieser durch Multiplikation. Einen additiven Gesichtspunktenthielt nun unsere Ordnung der Kräfte nach Gegensatzpaaren(Abb. Bd. I, S. 78), indem sich die Dreiheit �-�-� mit eigenar-tiger Verschränkung abhob von den einfachen Gegensatzpaaren�-� und �-�. Was dort noch nicht ganz verständlich gemachtwerden konnte, die widerspruchsvolle Zusammengehörigkeit von� und � sowie ihr gemeinsamer Gegensatz zu �, wird deutli-cher aus der nachfolgenden Zuordnung.

Auf den ersten Blick erhellt aus dieser Figur das Verknüpftseinder beiden Ordnungen. Die parallelgehenden Schrägen versinn-bildlichen die vom Mittelpunkte aus gestaffelt einander folgen-den Gegensatzpaare � : �, � : �, � : � und �. In dieserAnordnung ist enthalten, daß die im Kreis gegenüberliegendenStilformen auch gegensätzlichen Kräften zugehören; das (�-betonte Prinzip & etwa steht dem �-betonten , gegenüber usw.

128

Weiterhin enthält die Symmetrie, daß jede Wesenskraft in einertätigen und einer leidenden Form aufscheint, sich gleichsam ineiner Dur- und einer Molltonart ausdrückt (vgl. S. 83); beispiels-weise rechnet zu � die mit + bezeichnete Stilform & sowie diemit − bezeichnete -. Bei � und � tritt eine wechselseitige Er-gänzung ein, indem � ganz und gar nur tätige, � ausschließlichleidende Form hat. Diese ergänzende Zusammengehörigkeit derbeiden Haupt-Lebenssymbole begriff die alte Astrologie durchden Ausdruck «die Lichter».

Diese Zuordnung folgt den im Sonnensystem angetroffenennatürlichen Verhältnissen, die Erde als Bezugspunkt eingesetzt.Der Unterschied «äußerer» und «innerer» Planeten kommt darinzur Geltung, daß jene mit ihren Zuordnungen oberhalb, dieseunterhalb eines Kreisdurchmessers liegen; würden wir die so ent-standene Teilung einem Quadrantenschema zugrunde legen, dannmüßte dessen bestimmender Durchmesser vom Beginn des Ab-schnitts ' zum gegenüberliegenden des Abschnitts - gehen, derquer dazu gestellte Durchmesser ginge vom Beginn des Ab-schnitts *, zu dem von 0.45 Wir würden also die fixen Zeichenan den jeweiligen Anfang der Quadranten setzen und bekämenein Bild ruhender Symmetrie, mit starrer Scheidung von «außen»und «innen» relativ zur Erde, die als Bezugspunkt dem irdischenWesen analog steht. Die Bedeutung des für uns gültigen Bezugs-systems liegt aber gerade in der Aufhebung solch starren Ge-schiedenseins, in den von außen nach innen und von innen nachaußen laufenden Beziehungen, wie sie einem in seiner Umweltlebenden Wesen gemäß sind. Dies ist der Sinn der «Schräge»,mit welcher die kardinalen Entsprechungen von � und � - in derKräfteordnung der «konzeptionelle Gegensatz» den Durchmesserdes starren Systems überschreiten. Daraus ergibt sich die schrägeLage des ganzen Schemas, ausgerichtet auf die eigentlicheSchwelle der Lebensbegegnung, die vom Beginn des Abschnitts& zu dem von , geht. Durch eine weitere Abweichung von derstarren Symmetrie wird diese zum Lebens-Bezugssystem umge-

45 Hier erhebt sich ein inhaltliches Problem, das Julius Schwabe (vgl. Anm. S. 47) als

«ehemals richtig gestellten», jetzt «verschobenen Tierkreis» historisch zu lösen sucht.

129

wandelt, dadurch nämlich, daß wir den Erdtrabanten mit einrük-ken und dem Lebenspol des «existentiellen Gegensatzes» � und� beifügen. Im Quadranten der lebensschöpferischen Erneue-rung bekommt das unstarrste Symbol, �, die führende Rolle, diekardinale Entsprechung ), im antithetischen Verhältnis zu ihm� die erhaltende Rolle, die fixe Entsprechung *.

Den Stilformen werden durch die Kräfte-Zuordnung keine ih-nen fremde Inhalte aufgedrängt. Der Kreis wird sozusagen nurmit entsprechenden Vollzugsgewalten ausgestattet: ein Verhält-nis wie zwischen Legislative und Exekutive, in der astrologi-schen Überlieferung etwas mißverständlich «Regentschaft derPlaneten» benannt. In der Art gemeint, wie im Staat das Wirk-samwerden der Gesetze abhängig ist vom Beschaffensein der be-auftragten Vertreter, kann man in der Deutung ein «Dominanz-verhältnis» der Planeten zu bestimmten Zeichen gelten lassen.

Die Staffelung der Schrägen von unten nach oben enthält diePlanetenfolge von � bis �; die Erde hat dabei den ausgespartenBezugspunkt inne, ihr Trabant � steht am Fußpunkt der Verti-kale auf einer Schräge mit �. Fassen wir die Inhalte der unter-sten Schräge mit «Eigenklima», die der obersten mit «Fremd-substanz» zusammen, so entspricht es dem Charakter der betei-ligten Kräfte wie dem II. und IV. Quadranten, worin sie in Plus-Minus-Form den kardinal-fixen Grundton angeben. Quer zu denin der Vertikale angedeuteten innenweltlich-außenweltlichenExtremen steht die von allen direkten Auseinandersetzungen um-spielte Schwelle (Horizontale), auch Linie der Subjekt-Objekt-Scheidung. Hier setzen die Schrägen von � und � an, sie wirkenden I. und III. Quadranten ineinander und wechseln dabei in kar-dinal-fixer Bedeutung den Platz. Es entspricht dem Thema dieserSchwelle und den Planetencharakteren, wenn wir die Plus-Minus-Formen der einen Schräge mit «Energie», der andern mit«Gleichgewicht» zusammenfassen. Dies unterscheidet zwischenspontan aus dem Wesen selbst geäußerter, sowie durch die Um-weltslage geweckter Energie, ferner zwischen Gleichgewicht desWesens in sich, sowie im Verhältnis zur rezeptiv erfaßten Um-weltslage. Die dazwischenliegenden Schrägen enthalten nur la-bile Zeichen, einerseits der oberen, anderseits der unteren

130

Kreishälfte. In diesen entwickelnd durchführenden Plus-Minus-Formen geht es um Hineinwirken in die Außenwelt (Uexkülls«Wirkwelt») sowie um Hereinwirken von Außenweltlichem(«Merkwelt»). Die oberen fassen wir �-gemäß mit «Raumerobe-rung», die unteren �-gemäß mit «Merkreiz» (im nervösen undbewußten Innensystem) zusammen.

So erhalten wir folgende Kennworte für den thematischen Zu-sammenhang der Kräfte mit der Plus-Minus-Form ihres Auftre-tens.

+ –Fremdsubstanz � Entsprechung 0 /Raumeroberung � Entsprechung . 1Energie � Entsprechung & -Gleichgewicht � Entsprechung , 'Merkreiz � Entsprechung ( +Eigenklima �� Entsprechung * )

Eine strenge Symmetrie also verknüpft den Austausch zwi-schen Organismus und Umwelt mit den Wesenskräften, die ihnverwirklichen. Die dementsprechende Tönung der menschlichenÄußerungsweisen sei im folgenden veranschaulicht.

131

Fremdsubstanz

Bei / lastet auf dem Menschen nicht nur das Gewicht eigenerErfahrung, er schleppt in der Tradition auch die Last der Jahr-hunderte mit, unterstellt sich ferner den Wertschätzungen der ge-sellschaftlichen Konvention. Ihm, dem Anonymus, können siezum Namen verhelfen, der länger dauert als lebendige Persön-lichkeit. Grundhaltung des unter einer Bürde Einhergehenden,der anderseits aber Geduld und Zähigkeit aufbringt, um Bedrük-kungen, unter denen Andere zusammenbrechen würden, zu ertra-gen. Er nimmt die Dinge in ihrer ganzen Schwere, Dichtigkeitund Substanzhärte, kniet sich in seine Aufgaben hinein, seinStreben weicht nur dem Druck zwingender Tatsachen. Ziel: all-gemeingültige Konzentration von Werten, Einbau von Fremd-substanz in die eigenen Lebensvoraussetzungen, dadurchStabilität. Mißlingen bedeutet vorzeitige Schrumpfung und Er-starrung.

Bei 0 widersteht der Mensch der Fremdsubstanz, nichthaftendan ihrer materiellen Kompaktheit, durch systematisiertes Wissen.Er ist angelegt auf dessen Erwerb, auf eine Ideenwelt, die ihnunmittelbarem Erfahrungsdruck entrückt. Positive Verfügungüber allgemeinmenschliche Werte und Wissensformen steuertjederzeit ordnende Blickpunkte zur Sache bei, ermöglichtGleichmut vertrauensvoller Haltung und unbeeinflußbare Konti-nuität des Tuns. Praktische Wissensanwendung oder Tendenz,Stellungnahmen und Überzeugungen werbend auf den Mitmen-schen zu übertragen, lehrhaft in ihn zu senken. Je weniger fun-diert die gedankliche Haltung, umso mehr verflüchtigt sichPersönliches in Allgemeinplätzen, Nivellierung gewachsenerWerte, zufälliges Herausplatzen um Innendruck loszuwerden und

Für � unmittelbar ist die leidende Form /, mittelbar dietätige Form 0. Im seelischen Erscheinungsbild verhaltensie sich wie der Erfahrungsdruck äußerer Tatsachen zumGegendruck des Wissens davon.

132

«Wissen» an den Mann zu bringen, ohne Berücksichtigung derSituation.

Raumeroberung

Bei . wirft der Mensch weit gesteckte Ziele voraus und indemer ihnen nachjagt, vergrößert er sein Blickfeld, erhöht er seinKönnen, hebt er sein Niveau. Wert ist ihm erst zu erschaffenderWert, Aufgaben mißt er an ihrer Wertwürdigkeit, den sich abge-steckten Raum wertet er nach darin umsetzbaren Leistungen. Wosolcher Forderung des Raum-Eroberers, Raum-Durchdringersdas Regulativ eines organischen Sinns fehlt, entsteht Veräußerli-chung in mechanischen Leistungsmaxima, barocker Aufblähungeinfacher Tatsachen oder vorgetäuschter Expansion. Sind milieu-oder schicksalhafte Einschränkungen vorhanden, die eine über-kondensation äußerungsbereiter Kräfte bewirken, so befreien siesich in Ausbrüchen mit alternativ zugespitzter Problemstellung.

Bei 1 läßt das Erlebnis unendlicher Möglichkeiten den Men-schen schwer in konkret und persönlich umrissenen Aufgabenhaften. Damit unterhöhlt sich ihm der feste Fußpunkt und relati-vieren sich ihm die Ziele. Doch in seiner Sensitivität anderseitsresonant für die Vielgestaltigkeit des Menschlichen, des univer-sellen Lebens überhaupt, kann sich ihm eine überpersönlicheAufgabe erschließen. Das Glück des Eroberers wandelt sich mitUmkehr der Vorzeichen in das Glück, fremde Interessen zu denseinigen zu machen. Wem das innere Regulativ, die Weisheiteiner verstehenden Seele und Expansion der Selbsthingabe, ver-schüttet ist, der fühlt sich als verlorenes Pünktchen im All; von

Für � unmittelbar ist die tätige Form ., mittelbar dieleidende Form 1. Im seelischen Erscheinungsbild verhal-ten sie sich wie aktiver Gewinn von Raum sowie Ausfül-lung eines bestimmten Volumens zu passivem Hineinge-stelltsein in das Unendliche, Preisgegebensein an ansau-gendes Vakuum.

133

Einflüssen hierhin und dorthin geworfen, unfähig irgendwo Wur-zeln zu schlagen, wird er oft zum Werkzeug fremden Willens.

Energie

Bei & äußert der Mensch aus ihm selbst kommende Regungenin voller Antriebswucht, rücksichtslos gegen die Umstände. Dasspontane Gerichtetsein der Aktivität macht seine Stärke, seineanregende, oft auch nur beunruhigende Wirkung aus. Unleidlichund hilflos wird er, wenn er keine ihm angemessenen Aufgabenfindet, sich überflüssig vorkommt. Tätige Grundhaltung, die, so-bald sie Einsatzmöglichkeiten wahrnimmt impulsiv zum Handelnüberleitet, die Ziele auf geradestem Wege angehend. Sucht denDingen mit herrschlustiger, platzzuweisender Geste sein eigenesGesicht aufzuprägen. Nur aus unmittelbarer Objektbegegnungerarbeitete Einsichten, nicht akademische Betrachtungen befreienihn davon, sich allein als gültigen Wertmesser anzuerkennen.Persönliche Substanz setzt sich in technisch-praktische Form derBetätigung um.

Bei - handelt der Mensch reaktiv je nach den Umständen, diemit Anrühren der latenten inneren Bereitschaft seine Energiewecken. In seiner Sensitivität dem Einbruch fremder Direktivenausgesetzt, empfänglich für den Fremdwert und darum häufig inder Selbstsicherheit gestört, anderseits widerstandskräftig, nichtswas ihm bestehenswürdig scheint preisgebend, antwortet er oftmit unangebrachter Aggressivität. Entscheidend ist das Verhält-nis von Spannungslage und Reizbarkeit zu Anforderungen derUmwelt. Tiefinnerlich Bezweifeltes kann nach außen hin umsobetonter behauptet werden, anderseits innerseelischer Energie-verbrauch abstumpfen, Protesthaltungen, Ansichreißen dessen,was Bestätigung verspricht usw. Stärkster Energiebeweis in Kri-

Für � unmittelbar ist die tätige Form &, mittelbar dieleidende Form -. Im seelischen Erscheinungsbild verhal-ten sie sich wie kinetische zu potentieller Energie, bewe-gend ausgewirkte Energie zur Energie der Lage.

134

sen, Zusammenbrüchen, in Erhaltung von Werten über Zerstö-rung der Form hinweg. Durch Selbstdisziplin fähig zu sozial ein-gespannter Leistungsenergie.

Gleichgewicht

Bei ' lebt der Mensch in proportionaler Abgestimmtheit vonBedürfnis und Befriedigung, einem Selbstgenügen, reguliertdurch Geschmack und unbewußte Ausgleichsfunktionen. Nichtaus ihm selber akut werdende Bedürfnisse sind abgestellt, densich meldenden geht er in ungezwungener Naturfrische nach,überflüssige Anstrengungen vermeidend, das Dargebotene ge-nießend wie es ihm behagt. Tätigkeitsziele müssen in diesemSinne Hand und Fuß haben, ein Lustmotiv enthalten, die Dingehaben persönlichen Genußwert. Naive Sinnenfreude des Erlebenskostet das sie Ansprechende voll aus, kann bei Wegfall äußererReize von der inneren Bild- und Wunschwelt abgezogen mit of-fenen Augen dahinträumen, gleichgültig gegen Veränderungenum sich, die ihm keinen realen Aufbauwert bedeuten. Wenn mitdem Geschmack nicht höhere Ansprüche kultiviert werden, oftein stumpfes Dahinvegetieren.

Bei , spricht der Mensch auf den Augenblicksreiz und die An-regung der Situation an, physischer Bedingnisse mehr enthoben,weltoffen und einordnungsbereit. Ästhetisierte Geistigkeit undAusgleichsstreben sucht in strittigen Fragen eine mittlere Liniezwischen Eigen- und Fremdwerten, tendiert zu Lösungen mit Ge-schmack, Takt und Diplomatie. Haltungsmäßig Vermeiden vonAngriffsflächen, entgegenkommende Form, gefällig sich derMitwelt darbietend. Aus Anschlußbedürfnis ein Mitübernehmender Forderungen Anderer, dadurch Anstoß zum Handeln, Nach-

Für � unmittelbar ist die leidende Form ', mittelbar dietätige Form ,. Im seelischen Erscheinungsbild verhaltensie sich wie Harmonie des in sich Beschlossenen zur Har-monie im Einklang mit der Umgebung.

lassen wenn die sinnliche Unmittelbarkeit der Situation verflogenist. Ohne die Zugkraft gemeinschaftlicher Ideen häufig ein be-quemes Lavieren, ablenkbar, heiter-konsequenzenlos in den Taglebend. Niveau erweist sich in der Abstimmung des Persönlichenauf eine soziale Wertskala.

Merkreiz

alKoprlunaBeZuDSttreRgegein

stDWLaSaSt

lten Hin-

pan-anen

Für�� unmittelbar ist die leidende Form +, mittelbar dietätige Form (. Im seelischen Erscheinungsbild verhasie sich wie die nervenmäßige Spannung der Sache inblick auf ihre konkrete Auswertung überhaupt, zur Snung ihres zwecklichen Bezugs auf den moment

135

Bei + betrachtet der Mensch die Dinge kritisch prüfend vonlen Seiten, auf vollständiges Erfassen eingestellt, möglichemplikationen bedenkend. Gegen den Fremdwert distanziert,

obt sich sein Verhältnis zu ihnen in der sukzessiven Abwick-ng auftauchender Vorbehalte aus, ihre Verwertbarkeit wirdch mehreren Richtungen durchexerziert, bevor sie gesichertestandstücke des Eigenlebens bilden können. Mit dem einmalgelassenen tritt weitgehende Identifizierung ein. Intelligente

urchgliederung der Werkgriffe innerhalb eines bekanntenoffgebiets. Überraschende Situationen und unvermittelt heran-tende Entscheidungen sind nervenaufregend, weil die gestörte

egulation in Bahnen des Bekannten schwer ein Verhältnis dazuwinnen läßt. Wenn die eigene Logik nicht ausreicht, häufigschwätziges Abreagieren solcher Spannungen mit Ausbreiten

Einzelheiten.Bei ( stellt der Mensch von Fall zu Fall, geistig beweglich imändigen Neuanschnitt seiner Beurteilungen, Aspekte zu deningen her. Das sofortige Anspringen reizhungriger Nerven, dieendigkeit des Umformulierens bei eintretendem Wechsel derge, sowie die nervöse Unrast, die sich nicht lange mit einerche aufhalten will, tendieren zu krassem ja oder Nein der

ellungnahme, doch ohne Nachhaltigkeit. Daher, wenn sich dies

136

auf der Oberfläche bewegt, Sensationshunger, flüchtige Erledi-gungen, skrupelloses Verfolgen augenblicklich positiv-praktischbewerteter Aufgaben. Das Wertkriterium in der Person steigtnatürlich mit dem Niveau und läßt dadurch mehr Stetigkeit ge-winnen. Durchgliederung der Tempi, Intensitätsgewinn vermögerationaler Regelung der Arbeitszeiten.

Eigenklima

Bei * lebt der Mensch in voller Mittagshelle, mit Sicherheitvitaler Ansprüche und Könnensformen, Lebenswärme an seineUmgebung ausstrahlend. Von impulsiver Daseinsgläubigkeitdurchdrungen, fühlt er sich gern als Drehpunkt eines laufendenGetriebes, Regler und Verteiler, pater familias, Brennpunkt vonihm ausgehender Wirkungen. Solche spiegeln ihm seinen Eigen-wert, durch sie macht er Andere sich dienstpflichtig. Die Ver-antwortung für den beherrschten Umkreis auf sich nehmend,reibt er sich an Widerständen und kann zum Willensmotor wer-den, der sich in seinen Aufgaben heiß läuft. Die Tendenz, fortge-zeugtes und natürlich betätigtes Leben zu stützen, zu fördern, vonseinen Überschüssen abzugeben, kommt zum Ausdruck in derKinder- und Tierliebe. Bestrittenwerden seiner Stellung, seinesLebensrechts häuft Zündstoff für auflodernde Affekte, Zorn undEifersucht. Ersatz mangelnden Gehalts durch Eitelkeiten, hohleRepräsentation.

Bei ) wächst der Mensch in anfälligem inneren Klima heran,verletzlich, Temperaturschwankungen der Umgebung ausgesetzt,des Zuspruchs, der Ermunterung bedürftig. Anfänglich anleh-nungs- und nachahmungsbereit, treibt ihn sein Lebenshungerrund durch die Welt zu sich, Empfangenes zu Eigenem umfor-

Für � unmittelbar ist die tätige Form *, das ihr Mittel-bare der leidenden Form ) hat seine Entsprechung in �.Im seelischen Erscheinungsbild verhalten sie sich wie or-ganische Wärmeerzeugung, -regulation und -abgabe einer-seits, zu Wärmebedürftigkeit und -verbrauch anderseits.

137

mend. Er braucht einerseits Mannigfaltigkeit der Eindrücke,Fülle der Begegnungen, anderseits ein schützendes Gehäuse, ei-nen Raum in dem er, mit sich allein, aus Nachwirkungen vonErlebtem sein Inneres zum Aufschluß bringt. Haltungsmäßig so-zusagen in Dämmerungen und Übergängen lebend, gleichzeitigkindliche Erwartung wie mütterlich bergendes Gefühl. Schwä-chen liegen in sachlicher Realitätsbewältigung, leicht Verpassendes Gegenwärtigen durch Schwanken zwischen Vorfreude und -angst oder rückwirkender Erinnerung aus Früherem.

Es fielen die Ausdrücke «unmittelbar» und «mittelbar», sieführen auf den Gegensatz der solaren und der saturnalen Kräfte-gruppe. Jeder Gruppe sind zwei Elementardreiecke zugeordnet,eines der tätigen und eines der leidenden Form. Im Unterschiedbeider liegt nun begründet, ob für eine Kraft die erste oder diezweite Form unmittelbar ist. Der solaren Gruppe («aktiver Le-bensschwung») entspricht naturgemäß die tätige, der saturnalenGruppe («passive Sachbindung») die leidende Form. Dies besagt,daß in diesen Auswirkungsformen die betreffenden Kräfte beimganzheitlichen Aufbau am unmittelbarsten mit ihrer Eigenart zurGeltung kommen. Demgegenüber gibt es aber auch Lagen undVerhältnisse, in denen die Kräfte in der ihrem Eigencharaktermittelbaren Form, sozusagen mit umgekehrtem Vorzeichen,gleichwohl eine wichtige Rolle in Aufbau, Erhaltung oder Ver-wirklichung der Ganzheit erfüllen.46 Eine Wertung liegt alsodarin nicht.

46 Gewisse Feinheiten der Kombination leiten sich aus dieser Unterscheidung ab. Sie

verhilft uns auch - rückschauend - zum besseren Verständnis der Temperamente. Es ist keinZufall, daß die meisten Verwechslungen bezw. Unklarheiten die mittelbaren Formen betref-fen, das «Sanguinische» und das «Phlegmatische». Die vielberufene «sanguinische Heiter-keit» entsteht aus sachlicher Distanzierung vom leidenschaftlich-dranghaften Erleben undihr Witz, Ausdruck geistigen Enthobenseins vom Stoff- und Blutsmäßigen, nimmt gern dieForm der Ironie an. Selten aber finden wir beim luftigen Temperament die Herzenswärmeechten Humors als Ausdruck überschäumender Lebensfreude wie beim feurigen Tempera-ment, in dem sich die solare Gruppe unmittelbar ausspricht, nie dessen zwerchfellerschüt-terndes Lachen. Die Sachbindung der saturnalen Gruppe kehrt sich in der mittelbaren Formum zum leichten, lebendigen Ausspielen begrifflicher Extrakte, die, nun Mittel tätigenVerhaltens, durch Überschauen der Widersprüche des Daseins sozusagen eine Freude auszweiter Hand gewähren. Gerade die im Entbundensein verbleibende Kühle verleiht diesemWitz seine still auszukostende Würze: Überlegenheit. Ebenso vielberufen ist die «phleg-

138

Grundlegende Bedeutung bekommt die Zuordnung der Stil-formen zu den Wesenskräften für die Kombinatorik. Praktischkann im Gang der Konstellationen am Himmel jeder Planet injedem Abschnitt des Meßkreises stehen. Dem entspricht dieMannigfaltigkeit individueller Abwandlungen bei den daruntergeborenen Menschen; wenn wir nur an die 7 Kräfte des klassi-schen Bezugssystems denken, sind es schon 84 Äußerungs-Schattierungen. Das Zuordnungsverhältnis enthält die Regel, siezu sichten. In den zugeordneten Abschnitten stehen Kraft undStilform in Übereinstimmung (traditionell «Planet im eigenenZeichen»). Die betreffende Kraft äußert sich dann in ihrer urei-genen Ausdrucksqualität, während sie im gegenüberliegendenAbschnitt, hierzu in Widerspruch kommend, sich gemäß derAusdrucksqualität ihres Opponenten äußern muß. So befindetsich � in & in unmittelbarer Übereinstimmung, in , im Wider-spruch, umgekehrt � in , in mittelbarer Übereinstimmung, in &im Widerspruch. Letzterer bedeutet keine Schwächung (wie dertraditionelle Ausdruck «Vernichtung» nahelegt), der Effekt istvielmehr ein qualitativer und enthält nur insofern eine Erschwer-nis, als die Äußerung der Kraft an ihr gegensätzliche Auslö-sungsbedingungen gebunden ist.47

Das Gesagte ergänzt sich in einem Vertretungsverhältnis, daszwischen den Kräften und den ihnen zugeordneten Stilformenbesteht. Seine Anwendung läßt z. B. über ein unbesetztes Interes-senfeld etwas aussagen, indem man das Zeichen, in das es fällt,durch seinen Planeten vertreten läßt und aus dessen Stellung ur-teilt. matische Inaktivität». Sie besteht zwar in Hinsicht der freien Initiative und Kraft äußerenHandelns. Doch rührt dies nicht aus einem Mangel an Lebensschwung beim wäßrigenTemperament. Vielmehr tritt dies Merkmal der solaren Gruppe mit der Umkehr des Vor-zeichens zurück auf die Form des inneren Handelns, seelische Emotionalität, phantasiebe-schwingte Dramatik reflexiven Lebens, die, ungleich der Direktheit von Tatimpulsen, nurschwer den Übergang zur äußeren Tat findet. Diese Zurückhaltung ist aber nie selbstbe-schränkend, nie treffen wir die gleiche sachliche Kälte und Konkretheit der Ziele an wie imErdhaften, worin sich die saturnale Gruppe unmittelbar ausprägt.

47 Ein instruktives Beispiel ist Fritjof Nansen mit � in , an hervorgehobener Stelle(neben � in , und Asz. .). Es war stets eine sinnlich vorgestellte führende Idee, nichtsportlicher Bewegungstrieb, die bei Nansen außerordentlich kühne Energieleistungen her-ausholte, stets auch ein friedliches Ziel; sein späterer Einsatz galt den Opfern des Krieges,dem humanitären Ausgleich.

139

Die gebrachte symmetrische Anordnung erstreckt sich auf dasengere bzw. klassische Bezugssystem. Als ergänzende Bezie-hungen treten nun solche des weiteren Systems, der Transsatur-nier hinzu, ohne den Grundbau der Symmetrie aufzuheben. Wieschon erläutert spiegeln die Zuordnungen die Aufeinanderfolgeder Planeten im Sonnensystem wider, die Erde als Bezugspunktin der Mitte gedacht. Folgen wir der Kreisrichtung, so stoßen wirbei / mit � an die Grenze des engeren Bezugssystems, undüberschreiten wir diese, so erhält in gleicher Folge 0 als weitereZuordnung �, sowie 1 den nächstäußeren � zugewiesen. Diesebeiden Ergänzungen können als erfahrungsmäßig gesichert gel-ten. Naheliegend wäre der Fortgang, & und . Doch reichen dieErfahrungen nicht hin, um dies mit gleicher Sicherheit zu be-haupten. Ungeachtet der wahrscheinlichen Ordnungsgemäßheitgilt es zu bedenken, daß 0 und 1, nur mittelbar übereinstim-mend mit � und �, einer zusätzlichen Beziehung gelegener sind,daß ferner das Überschreiten des Kreis-Ansatzpunktes und der«Schwelle» eine neue Sachlage schafft, welche die Beziehungvielleicht überspringen läßt zu -, mittelbar auf � bezogen. Wirhalten uns darum vorläufig an die gesicherten «Nebenregent-schaften», wie diese zusätzlichen Beziehungen in der Traditionheißen. Inhaltlich nehmen die bei 0 berührten Befreiungen voneinem Innendruck die Form «uranischer Plötzlichkeiten» an,auch ist die Geistigkeit dieses Prinzips über saturnal verdichteteErfahrung hinaus intuitiv bestimmt und das Regelhafte verbindetsich mit Eingebungsmomenten. Die Tendenz der Bindungslosig-keit zu allem, was in der Normalität des engeren Systems be-schlossen liegt, wird dann bei 1 im «neptunischen» Sinneweitergetrieben: Zustände ziel- und maßlosen Weitendrangs biszur Aufhebung aller Nahkontakt-Bindungen treten auf, sowie dieInfiltration überpersönlicher Motive in Form von Ahnungen undWeisungen, es ist das Prinzip stärkster Medialität.48

48 Die Doppelbeziehung von 0 und 1 bringt die entsprechend zugeordneten Wesens-

kräfte in ein eigentümliches Verhältnis zueinander. Anders als das «höhere Oktave» ge-nannte Verhältnis darf es als ein Spiegelverhältnis über die Grenze des empirischErfahrbaren hinaus bezeichnet werden. In einem solchen Verhältnis stehen die «uranischenBlitze» zur «saturnischen Erfahrungshäufung», ihrer stummen Voraussetzung, so wie beikrisenhaften Erschütterungen ein depressives Tief dem befreienden Durchstoß vorangeht.

140

Tierkreis-Signaturen

Was über Signaturen und physiognomische Betrachtungsweisegrundsätzlich gesagt wurde (Bd. I, S. 96 ff.), gilt auch für dieVeranschaulichung der Stilformen, sei es in Gestaltbau und Ge-samtgepräge des Menschen, sei es in Werken seiner Hand. Beimanchem Zeichen drängt sich die Symbolik des Tierkreises ge-radezu erscheinungsmäßig auf. Doch nehme man solche Ver-bildlichungen stets nur als umschreibende Andeutungen vonInhalten, die auch von einer anderen Seite her anvisiert werdenkönnen. Andere Kulturkreise hatten dafür andere Bilder, gemäßden Vorstellungen kosmischen Bezugs, die zugrunde gelegt wur-den. Keineswegs ist diese Symbolik gleichbedeutend mit physio-gnomischer Beobachtung und Beschreibung.

Seit Kretschmer sind wir gewohnt, Gestaltbau und tempera-mentsmäßiges Verhalten in enger Bindung zu sehen.49 Seine fürdie Psychopathologie so fruchtbar gewordenen Untersuchungenhaben besonders Mediziner angeregt, Parallelen zu astrologi-schen Beobachtungen zu ziehen. Zum Vergleich bringen wir diedes Nervenarztes K. G. Heimsoth zur körperlichen Ausprägungder Aszendenten-Zeichen.50

Ein «neptunisches Chaos» wiederum bedeutet in ebensolchem Verhältnis die Auflösungeines «jupiterhaften Sinnglaubens», das dem Abstoßen von bekannten Ufern und Suchennach neuen Horizonten voranging. Das so gesehene Spiegelverhältnis betrifft die folge-rechte Weiterführung problematischer Vorgänge, die mit den normalen Aufbaukräften nichtzu bewältigen sind, durch außerrationale Mittelanwendung.

49 23 «Körperbau und Charakter.» Kretschmer hat bekanntlich aus empirischen Befun-den herausgearbeitet, daß gewisse Formen von Geisteskrankheiten (zirkuläre Psychosen,manisch depressiv, d. h. Wechsel von übererregt-vergnügt und gehemmt-traurig) vorwie-gend bei Menschen mit leiblicher Rundform (faßförmig, gedrungen, grazile Extremitäten)auftreten, hingegen eine andere Gruppe (Schizophrenie, Paranoia, Dementia Praecox) meistbei Menschen mit leiblicher Schlankform (Brust- und Schulterschmalheit, lange Extremi-täten). Er entwickelte Grundzüge einer Betrachtung verwandter charakterlicher Tendenzenauch bei Gesunden, im Auftreten übereinstimmend mit den beiden Körperbautypen. Die-sem zyklothymen und schizothymen Typus stellte er dann als dritten den athletischen Ty-pus mit stattlicher Wuchsform (mehr schlank, breiter Brustkorb, kräftige Extremitäten) zurSeite, in einer vierten, der dysplastischen Gruppe, faßte er verschiedene Extreme zusammen(eunuchoider Hochwuchs, polyelandulärer Fettwuchs).

50 K. G. Heimsoth «Charakter-Konstellation», Otto Wilhelm Barth, München-Planegg,1928. Vgl. ferner Frh. v. Klöckler «Kursus der Astrologie», Hermann Bauer Verlag, Frei-burg im Breisgau 1978.

141

&: athletische Körperform, asthenische Einschläge; virilerCharakter, schizothyme Einschläge.

': pyknische Körperform; phlegmatisch-zyklothymischer Cha-rakter.

(: asthenische Körperform; schizothymer Charakter.): lymphatisch-pyknische Körperform; passiver-zyklothymer

Charakter.*: athletische Körperform; vitaler Charakter, schizothyme

Einschläge.+: pyknische Mischform; charakterologische Mischform,

zyklisch, aber schizothymartig.,: Mischform; ausgeglichener Charakter.-: Mischform mit dysplastischem Einschlag; schizothymarti-

ger Charakter..: asthenisch-athletische Körperform; schizothymer Charakter./: Mischform mit dysplastischem Einschlag; schizothymarti-

ger Charakter.0: asthenischer Hochwuchs; schizothymer Charakter.1: pyknischer Lymphatiker; rezeptiv-zyklothymer Charakter.

Schon die sprachliche Abfassung läßt durchschimmern, daßhier etwas übersetzt wurde in Begriffe, die seiner Eigentümlich-keit nicht ganz gemäß sind, auch bringen die anderen Autoreneinige Abweichungen. Es geht uns mit dieser Seite der Stilfor-men wie mit den Düften: wir können sie durch Erfahrung kennenlernen und dann genau unterscheiden, aber unsere Sprache hatkeine geeigneten Worte dafür. Das Wesentliche ist nicht mitRundform oder Schlankform gesagt - auch wenn ein kleinesÜbergewicht der ersten bei den «leidenden», der zweiten bei den«tätigen» Prinzipien besteht -, so dankenswert die Verbindungs-brüchen zu Kretschmers Gestaltbautypen sind. Wir haben es mitmorphologischen Ideen weitaus komplexerer Art zu tun, die alldas leibhaft in sich fassen, was aus unserer nunmehr aufgebautenZwölfheit auf das einzelne Prinzip rückstrahlt; die sie aufbauen-den Komponenten enthalten wiederum Maßstäbe für die Ab-wandlungen, die «Untertypen». In bezug auf die Bindung an ein

142

bestimmtes Temperament ergibt die Praxis einen Gesichtspunkt,der solchen morphologischen Ideen eine gewisse Selbständigkeitverleiht. Körperphysiognomisch herrscht eindeutig der Stil desAbschnitts, in dem der Aszendent liegt, vor, während im Tempe-rament sich stärker die Gesamtbetonung durchsetzt, so daß hin-sichtlich des Aszendenten-Temperaments nur von einerverbindenden Tönung oder Untermalung des Ganzen die Redesein kann. Somit gibt es also Fälle, in denen sich das Verhältniszwischen Gestaltbau und Temperament ein wenig verschiebt.(Beispiel: Baudelaire. Körpertypus entspr. Asz. +, Temperamentstarke Vorherrschaft von &). Kretschmer wird dieser Erschei-nung in seinen trefflichen Einzelschilderungen dadurch gerecht,daß er seinen Typen eine große Variationsbreite zuschreibt.

Daß diese morphologischen Ideen gewisse Anklänge an be-stimmte Planeten-Signaturen enthalten müssen, läßt die im vor-angegangenen Abschnitt dargelegte Beziehung vermuten.Tatsächlich schlägt dies vor allem bei den «unmittelbaren» Zu-gehörigkeiten durch. Doch ist es eben nur ein Moment aus denkomplexen Bestimmungen der Zwölfheit. Schon das Auftreteneiner Wesenskraft in zwei Ausprägungen lenkt auf die übrigenBestimmungen hin; z. B. finden wir bei & wie bei - die profi-lierte Schärfe, die der Grundfunktion � entspricht, beim «fixen-wäßrigen» - aber jene Züge, die v. Klöckler von vorwiegendpyknischer Konstitution, Heimsoth wie oben angeführt sprechenlassen, beim «kardinalen-feurigen» & jene, die beide Autoren alsathletische Konstitution mit schizoiden Einschlägen definieren.Gegenüber solchen Übersetzungsversuchen trachten die hier ge-gebenen Beschreibungen den Stileigentümlichkeiten ohne Anlei-hen näher zu kommen. Erreichbar ist natürlich keineBeschreibung, die in allen Einzelheiten wiederkehrend beim be-treffenden Aszendenten stimmt eingedenk dessen nur vorherr-schender Note sowie mitsprechender Abwandlungen -, aber docheine solche der tonangebenden Körperbau-Stilform.

Auch für die Unterscheidung von Temperament und bewußtgesteuertem Charakter sind die Maßstäbe in den Aufbaukompo-nenten der Zwölfheit enthalten. Dies ist wichtig für die Aussageüber die Handschrift. Oft allerdings gelten lediglich dieselben

143

Bedingungen, unter denen das Temperament beurteilt wird. Fürüberwiegende Temperamentsnähe dieser komplexen Merkmaledes Ausdrucks seien einige Zusammenfassungen, nach Elemen-tar-Trigonen, vorausgeschickt.51

Erdtrigon

Unwegsamkeiten, Stockungen, hie und da wird auf der Stellegetreten, Gebundensein der schreibenden Persönlichkeit, Haftenan Formeigentümlichkeiten, sinkender Zeilenverlauf.

Feuertrigon

Ein zupackender Rhythmus, das sehr einheitliche Schriftbildstrahlt Wärme aus und hält sich unpedantisch im Ebenmaß; beistarker Erregung bekommt der Duktus etwas Flackerndes.

Wassertrigon

Ein flüssiger, weicher, wandelbarer Schriftcharakter, häufigDeformierung der Buchstabennormen, Schrift wirkt persönlicherals bei den Erdzeichen, bis in Nachlässigkeiten hinein.

Lufttrigon

Lichtes Schriftbild, leicht bewegt, schwerelose Buchstaben-formen, Verhältnis zur Fläche mehr logisch als ästhetisch geord-net, fast durchdacht wirkende Proportionen, Hebung desZeilenverlaufs.

51 Zur Erklärung einiger der später gebrauchten Ausdrücke. Verbundenheit = Verbin-

dung der einzelnen Buchstaben. Regelmaß = mechanisches Einhalten gleicher Schriftgröße,gleichen Neigungswinkels, gleicher Weite. Ebenmaß = gleichmäßiges Ausgewogensein desSchriftbildes auf der Fläche. Gliederung = Wortabstand und Zeilenabstand. Teigig in Ge-gensatz zu scharf = breiter Strich, auch in den Aufstrichen; kann entstehen aus Flachhal-tung des Schreibstiftes (mehr malerisch) oder als sinnliche Druckbetonung. Wo einfachgroß oder klein steht, ist die Zeilenhöhe gemeint.

144

Zum Schluß folgt dann eine Tabelle analoger künstlerischerWerkelemente. Über deren Einschaltung und Verknüpfung imSchaffensprozeß, ihre variative Geltung in den geschichtlichenStilepochen, die Auseinandersetzung ursprünglicher Ansätze derGestaltung mit dem überformenden Bildungserlebnis, wäre vielzu sagen. Ohne uns hier in Spezialuntersuchungen zu verlieren,sei die Tabelle zum Vergleich beigegeben.

&Signatur des willensmäßig Antreibenden

Erscheinungstypus

Mittelgroß bis groß, mager doch muskulös, verhältnismäßiglange Glieder, straffe Haltung mit knappen, energischen, stoßar-tigen Bewegungen. Schädel eher lang und schmal, an den Schlä-fen breiter, oft betonte Stirnwülste («Hörner»). VordrängendeKopfhaltung. Von der Wurzel an hervorstehende Nase, fast gera-de, mit leichter Krümmung. Schmale Wangen, dünner aber nichtverkniffener Mund, markantes Kinn, im Ganzen knochiges Ge-sicht. Mitunter «Faunsohren». Das Haar ist oft hellbraun oderrötlich, bei dunkleren Typen mit kupfernem Glanz. Augen kalt-blau mit scharfem, auch hartem und etwas starrem Blick oderdunkel, lebhaft, ein wenig vorgewölbt. Im Ausdruck etwas Ex-klusives und Selbstbewußtes, Befehlshaberisches. Frauen leichtmaskulin wirkend. Vorkommend ein untersetzterer, fleischigererUntertypus, beweglich-handlich. Meist zu harter Arbeit befähi-gender Körper.

Schriftbild

«Sägeblattstil». Ein mit tiefen Anstrichen beginnendes, energi-sches Auf und Ab, eng einrollende Rundungen, Ecken an denUnterlängenschleifen, stoßweises Vorwärtsschreiten der Zeile.Deren durch Querzüge betonte Richtung trotz rhythmischer Be-wegtheit stur durchgeführt. Vereinfachung der Formen, klare Ge-staltung der Anfangsbuchstaben, hingegen können die Wort-

145

enden vernachlässigt sein. Kurz ausfahrende Züge, sofort wiederin den Gesamtfluß überführt. Tendenz zu knappen Sätzen. Re-gelmaß, solange ein bestimmter Impuls anhält; der Duktus kannbrüsk in einen anderen umschlagen, der dann wieder in sich re-gelmäßig ist. Gesamtbild wirkt deshalb bei aller Rhythmik mit-unter holperig. Buchstaben verbunden, Tempo schnell, geringeLängenunterschiede außer Betonung der Großbuchstaben, leichtgeschrägt bis steil, eher eng. Rechtsläufig, Winkel, leichte Arka-dentendenz. Energiedruck, Schärfe, Gliederung. Eher klein alsgroß.

'Signatur des stofflich Grundlegenden

Erscheinungstypus

Breiter, gesetzter, mittelgroßer Körper, oft schwer und massigmit relativ zierlichen Extremitäten; lässige Haltung und bequemeBewegungen. Runde Schädelform mit breiter Basis. Glatt ge-wölbte Stirn, schlichte Augenbrauenbogen. Nase kurz und flei-schig, mitunter leicht aufgestülpt doch in schöner Proportion zumdicklippig geschwungenen Mund (etwas wulstige Unterlippe),volle feste Wangen. Kinn oft kräftig aber nicht vorstehend. Kur-zer, starker Hals, eingezogen wirkend durch die betonte Nacken-und Schulterpartie («Stiernacken»). Alle Formen abgerundet, beiFrauen «Patschhändchen». Haar- und Augenfarbe meist braun;seltener ein leuchtendes Weißblond neben «gefülltem», veilchen-artigem Blau. Blick gutmütig naiv, freundlich, auch verstecktschalkhaft. Im Ausdruck etwas bäuerlich Schlichtes, zuweilen«Bulliges». Meist starke schöne Stimme mit lyrischem Ton.Vorkommend ein feiner konstituierter, auch schlankerer Unterty-pus mit ruhig gemessenem Schwung der Bewegungen.

Schriftbild

«Pfannkuchenstil». Beharren in einem gleichmäßig langsamenfesten Rhythmus. Vorkommende nichtassimilierte Formen durch

146

Ebenmaß bewältigt und einem gefälligen Gesamtbilde eingefügt.Runde, volle, in sich stehende Formen, auch der Kleinbuchsta-ben, unter Vermeidung von Umwegen und scharfen Ecken. ImGanzen schwunglos. Kaum Ausfahrer. Etwas Unkomplizierteswie auch Treuherziges und Solides; man hat den Eindruck lang-samer, gründlicher Verdauung und ruhigen Wohlgefallens an derWelt. Mehr Gutmütigkeits- als Intelligenzzeichen. Verbunden,bedächtiges Schreibtempo, mittlerer Neigungswinkel, rechtsläu-fig, keine betonten Druckunterschiede, Längenunterschiede nichtallzu groß, voll, teigig.

(Signatur des geistig Fluktuierenden

Erscheinungstypus

Schlanker Körperbau, meist schmalbrüstig und selten betontmuskulös, lange Arme und Finger, letztere mit grazilen Bewe-gungen. Schmaler, auffallender Gesichtsschädel mit langer, meistgerader oder nur leicht geschwungener, unfleischiger Nase. Diesewie das Kinn häufig etwas spitz («Profilgesicht»). Dünne Wan-gen und schmale, etwas zusammengezogene Lippen. DünnerHals, hervortretende Schlüsselbeine («Salzfässer»). Frauen etwasmaskulin wirkend. In Zusammenhang mit der lebhaften Mimikrasche Kopfwendungen, nervöse Unrast des ganzen Körpers,«quecksilbrig», beim Gehen Pendeln und Schlenkern der Arme.Bewegungen aber arhythmisch, der Intellektspannung folgend.Haarfarbe meist dunkel oder sandblond. Die grauen oder braunenAugen blicken scharf, klug, mit schneller, neugieriger Schwen-kung der Sehachse, mitunter penetrant kühl. Dünne, zuweilenetwas schepprige Stimme. Vorkommend ein gedrungenerer, dochim Gestaltbau winklig wirkender Untertypus, auch die sonst ge-rade Nase an der Spitze leicht aufgewinkelt, im ausgeprägtenMienenspiel etwas mehr Verkniffenes. Meist blaß.

147

Schriftbild

«Kaufmannsstil». Leichte, hüpfende Schriftbewegungen ma-chen den Eindruck des Flüchtigen, Hastigen. Bei allem Schwungeine trockene, berechnende Note, häufig Mangel an künstleri-schem Raumgefühl. Ausfahrende Durchstreichungen, auffallenddurch den Gegensatz zu dünnen, schwindsüchtigen Formen. Pfif-fige Sondertouren. Wirkt manchmal gefestigter, was aber an dergleichmäßig flotten Führung liegt, die etwas oberflächlich überdie Inhalte hinwegsaust. Die Haltung des Schreibers läßt sichnicht beeindrucken und vom Inhalt bedrängen (gleichgültig obGeschäfts- oder Liebesbrief!), Unabhängigkeit des Schreibstilsvom Schreibzweck. Vorkommende Ästhetisierung der Formkann ebenfalls Inhalt überformen. Neigung zur Routine, dieleicht für Rhythmus gehalten wird. Regelmäßig, weniger Eben-maß. Buchstaben verbunden, mitunter aber Silbentrennungen.Rapides Tempo, schräg, eher eng (nur durch Größe der Klein-buchstaben weiter wirkend), rechtsläufig. Winkel drucklos, Län-genunterschiede groß aber nicht übermäßig. Gegliedert, verein-facht, mager, scharf, eher klein.

)Signatur des seelisch Schöpferischen

Erscheinungstypus

Mittelgroß bis klein, wenn auch abnorme Größen vorkommen.Unproportionierter Körperbau, Oberkörper meist etwas zu großund schwer für die unteren Gliedmaßen («Sitzriese»), relativkurzfingrige, weiche Hände. Lockeres Gewebe, «gedunsen», be-sonders häufig Neigung zur Korpulenz in späteren Lebensjahren.Frauen oft später welkende «jugendschönheiten». Verhältnismä-ßig großer Kopf mit abgerundeten Formen, breite fleischige Na-se, doch zart gebildet, volle Wangen, leicht sinnlicher, aus-drucksvoller Mund. Gesamtausdruck der Sensitivität undWeichheit unterstützt durch etwas schüchterne Stimme, Männerbehalten oft lange etwas Kindliches. Meist blaßblaue oder graue

148

Augen, auch wenn dunkel mit sprechendem Blick, Haarfarbe inden blonden Schattierungen indifferent wirkend, gegen extremesSchwarz sticht die häufig wächserne Hautfarbe ab. StarkerHaarwuchs, zuweilen strähnig und borstig («Igelkopf»), oder ex-trem weide; tiefer Ansatz der die Stirn niederer erscheinen läßtals sie ist. Gang und Haltung lässig, kann durch inneren Anspornetwas Gestrafftes bekommen ohne sehr überzeugend zu wirken.Vorkommend (Prinzip größter Variationsbreite!) ein schlanker,ätherischer, äußerst schmiegsamer und gefühlsbewegter Unterty-pus, sowie ein solcher mit schmalerem Schädel, kantigem Ge-sicht, zuweilen hakiger Nase, energiebetonter.

Schriftbild

«Regenwürmerstil». Schreibbewegung rund fließend aber nichtsehr schwingend, Gelockertheit des Gesamtbildes und der Ein-zelformen. Etwas Verbummeltes oder Schwärmerisches. Wellen-förmiger Zeilenverlauf, abhängig von Wortinhalten undStimmungen. Schreibduktus wechselt in verschiedenen Zeitab-schnitten. Gründe: Wandlungen im eigenen Seelenzustand, starkeBeeindruckbarkeit, Nachahmungsdrang meist ohne es zu wissen(«Versehen»), auch angelehnte Selbststilisierung. Häufig Wech-sel einzelner Buchstabenformen im selben Schriftstück. Keineausgeprägte Bindungsform wenn nicht doppelbogig, Lautzei-chenmischung kommt vor. Bevorzugung weicher, abgerundeterFormen, auch voller Schleifen. Wechselnde Rhythmen, doch in-neres Ebenmaß. Verbunden, gemäßigte Schnelligkeit. Wechseln-der Neigungswinkel, weit (Buchstaben in die Breite gezogen),eher rechtsläufig, mit linksläufigen Zügen. Im allgemeinen Nei-gung zu Girlanden und Fäden, wolkige Formen, emotionierteDruckstellen, sonst drucklos. Mittlere Längenunterschiede, ge-gliedert. Tendenz zur Bereicherung, eher teigig, groß.

149

*Signatur des willensmäßig Zusammenfassenden

Erscheinungstypus

Kräftig und wohlproportioniert, meist groß, breitschultrig, dochkommt abnormer Kleinwuchs vor ohne den Eindruck des Ge-wichtigen aufzuheben. Bewegungen können in der Jugend von«katzenartiger» Elastizität sein, später festes, breites Auftreten.Nicht zu kleiner Kopf mit breiter, oft gebuckelter Stirn, Gesichteher quadratisch als oval, rundes Hinterhaupt. Verhältnismäßigkleine aber gutgeformte Nase, abgerundet, auch an der Spitzeetwas breit. Großer, fester, nicht verkniffener Mund mit ge-schwungenen Lippen, viereckiges Kinn. Die ein wenig eng zu-sammengerückten Augen sind durch starke, bei Männern meistbuschig werdende Brauen überdacht. Augenfarbe ein klares Blau,ein ins Grünliche schimmernder Bernsteinton, oder Schwarz-braun; der Blick hat etwas frei Gebieterisches, furchtlos nachGegnern Forschendes, wenn er nicht Wärme ausstrahlt. StolzeKopfhaltung, starke Stimme, helle aber frische Hautfarbe, durch-blutet. Haar blond mit einem Goldton oder schwarzbraun, vonNatur gewellt («Mähne»). Vorkommend neben diesem imposan-teren, bei Frauen oft üppig-schönen Typus ein kleinerer, kom-pakter mit querulantenhaftem Ausdruck; auch bei zartem Baubetonte Willensmerkmale.

Schriftbild

«Dauerwellenstil». Freude an schwungvollen Rundungen undweit ausholenden, kreisenden, präzise gezogenen Bögen, die abernie ästhetischer Selbstzweck werden. Großzügige Verteilung derSchrift auf der Fläche. Repräsentative, prunkvolle Anfangsbeto-nungen, bei Überschriften und Anfängen von Abschnitten wer-den respektvolle Entfernungen eingehalten. Eigennamen häufigdurch Größe und Deutlichkeit hervorgehoben. Wertlegen auf dasÄußere, auch in der Papierwahl. Unpedantisch. AusgesprochenesEbenmaß. Buchstaben verbunden, mittleres Tempo, kraftvollbetonte Oberlängen. Mäßig schräg, manchmal eigenwillig über-

150

steil, eher weit, rechtsläufige Tendenz mit vorkommenderLinksläufigkeit der Bögen, Arkaden, druckstark. Längenunter-schiede mäßig groß, gegliedert, bereichert, voll, Schärfe, groß.

+Signatur des stofflich Eingrenzenden

Erscheinungstypus

In Größe und Proportionierung durchschnittlicher Vertreterseines Stammes, seiner Familie, während das Individuelle in Be-wegung und Mienenspiel zur Geltung kommt; animalische Vita-lität tritt hinter Psychologisierung zurück. Regelmäßiger Bau,auch in den grazileren Formen etwas Gesetztes neben der Be-weglichkeit, die aber arhythmisch, intellekt- und nervenbestimmtist. Schlichte, etwas «graue» Gesamtwirkung, wenig muskulös,keine extreme Schultern- oder Hüftenbreite, Unaufdringlichkeitder Geschlechtsunterschiede. Ovaler Gesichtsschnitt mit wohlge-formter steiler Stirn, nicht übermäßig großer gerader Nase, dün-nem, ziemlich kleinem Mund; dies sowie Kinn, Wangen,Schläfen in «Feinmodellierung» dem Ganzen eingepaßt. Die eherkleinen, klug, kühl und schnell beobachtend blickenden Augenlassen das Gesicht breiter erscheinen als es ist. Augen und Haar-farbe meist braun, wenig glanzbetont, Haar zuweilen gekräuselt.Der Eindruck des Herben, Trockenen wird unterstützt durchschwache Hautdurchblutung. Vorkommend ein gröberer, massi-gerer Untertypus, dem die feine mimische Fältelung etwas Ver-borgenes, «Hintersinniges» gibt.

Schriftbild

«Häkeldeckchenstil». In individuelles Schreibzeremoniell ein-gesponnen, Sondermerkmale in Form von Haken, Spiralen undLinksläufigkeiten, mitunter etwas Verschrobenes. (Wie in einerVitrine zufällig Angesammeltes unter Verschluß gehalten.) Klei-ne Pedanterien wie Haltepunkte in den Unterlängen, i-Punkterichtungsgenau, linksläufige Anfangseinrollungen (Hinterhältig-

151

keiten), eigenbrödlerische Zierformen. Steifheiten und Ansätzezum Schwung unverbunden nebeneinander. Gesamtbild häufigwie ein Fachwerkbau nach verschiedenen Seiten hin verstrebt.Unebenmäßig, Tendenz nüchtern bis zur Ver-Regelung, die aberständig bedroht ist durch störende Teilaktionen. Buchstaben imallgemeinen verbunden, doch kann mitten im Wort ein Brucheintreten. inhaltsgebunden, stolpert über Komplexe. Eine fastängstliche Eile, emsiges Weiterschreiben damit der Faden nichtabreißt. Große Längenunterschiede, steil, zuweilen übersteil, bismittlere Schräge, eng, Winkel und Arkaden. Meist Wortabstand,weniger jedoch klappt es mit dem Zeilenabstand, daher Verhä-kelungen (Ober- und Unterlängen verschiedener Zeilen ineinan-der). Verschnörkelt, mager, scharf, eher klein als groß.

,Signatur des geistig Lenkenden

Erscheinungstypus

Groß bis mittelgroß, schlank, mit zunehmenden Jahren fülliger,doch gut proportioniert bleibend. Leichter und graziöserSchwung der Bewegungen, Gangart auch bei Männern aus derHüfte heraus, mit Rechts-Links-Symmetrie, dadurch etwas Tän-zerisches. Körperhaltung sonst abwartende Bereitschaft. Fraueninsbesondere mit angeborener Eleganz, wohlgeformte Hände undFüße. Der Gesamtbau symmetrisch zur Mittelachse. LangerSchädel bei runder wirkendem Gesicht, harmonischer Schnitt derZüge. Gerader Ansatz der Nase, diese nicht zu lang, geschwun-gene Mundlinie («Cupidobogen»), die infolge leicht aufgeworfe-ner Lippen eingekerbt wirkt. Kinn und Wangen abgerundet.Häufig hellblondes Haar und helle Augen oder braunes, weichesHaar, lichtbraune Augen. Blick freundlich entgegenkommend,offen, Gesamtausdruck lächelnde Zuversicht. Vorkommend einkleinerer, robusterer und in der Haltung bequemerer Untertypus.

152

Schriftbild

«Tanzmeisterstil». Ein schwungvoll dekorativer Zug, ebenmä-ßiges, ausgewogenes Gesamtbild. Ästhetisch wohlgefälligeBuchstabengestaltung, Bereicherungen und Schnörkel (gleichsamVerbeugungen) oder Stilisierung auf geschmackvoll wirkendeGeste. Tendenz zur luftigen Größe und Weite. Leichte, be-schwingte Schriftzüge, weit ausholende und schön geschwunge-ne Bögen. Unterschied zwischen Haar- und Druckstrichendeutlich und in durchgehendem Gleichgewicht gehalten. Regel-mäßig ohne Pedanterie, Ebenmaß und Rhythmus, verbunden.Gegensatz zwischen Rundungen und Geraden in gutem Verhält-nis, überhaupt Bewahren der Gegensätze (z. B. Ober- und Un-terlängen), sie aber in Harmonie haltend. Eher schnelles Tempo,Schriftlage schräg aber nicht fallend, weit, rechtsläufig, festeGirlanden, scharf, Längenunterschiede eher groß, gegliedert, be-reichert, voll, groß.

-Signatur des seelisch Spannungstragenden

Erscheinungstypus

Fester, kompakter Körperbau, eher untersetzt als groß, bzw.massiger Oberkörper («Sitzriese»). Prägnantes Hervortreten derKnochenpunkte aus starken Muskelpartien, verhältnismäßig lan-ge Arme und eckige Schultern; untere Gliedmaßen oft unpropor-tioniert dazu (häufig «Säbelbeine»). Bewegungen kraftvollzweckmäßig aber ungraziös, manchmal «maschinell« wirkend.Meist kurzer dicker Hals. Schädel breiter wirkend als er ist durchkantigen Zuschnitt, betonte Jochbeine und Augenbrauenbogen,wodurch die Augen tief liegen, hakige und in der Basis nicht all-zu schmale Nase (oft «Adlernase»), meist großer, dünnlippiger,dennoch sinnlich wirkender Mund. Im Gesamtausdruck etwasscharf Schnittiges, zuweilen «übermodelliertes», manchmal«Satyrhaftes». Reichliches und meist dunkles Haar, oft gekräu-selt oder wellig, bei Männern struppige Augenbrauen, bogig oder

153

mit hochgezogenen «Mephisto»-Winkeln. Augenfarbe dunkeloder stahlgrau, der Blick sticht faszinierend, forschend oder ver-sucherisch aus den Höhlen hervor. Betonter «sex appeal», beiFrauen häufig «Vamp»-Typus. Starke, dunkel getönte, oft metal-lische oder rauhe Stimme. Vorkommend ein hagerer, asketischerUntertypus mit dem Ausdruck geistiger Leidenschaft.

Schriftbild

«Kakteenstil». Etwas Stachliges mit igelartigen Einrollungenoder etwas Ausgefranstes, Sägeblatt mit Scharten, zuweilen wildnach allen Seiten verspritzte Leidenschaft; dennoch einfacherDurchzug, der etwas fast Karges und Nüchternes gibt. Betontindividuelle Verschiedenheit des Duktus. Ungeregelt, mit derschwankenden Stimmung mitgehend, aber kraftvoll (keine«Waschlappenschrift»!). Affektive Durchstreichungen, zuge-spitzte Endzüge. Auch bei extremen Ausschlägen ein energischgeführter Schreibzug. Die Schrift macht den Eindruck der Entla-dung von Angesammeltem, Aufgestautem; daher ausfahrendeZüge, Unterstreichungen, Ausrufezeichen. Wortzerstückelungenkommen vor. Unregelmäßig, aber Ebenmaß, kräftiger Rhythmus,eher unverbunden, schnelles Tempo, schräg mit gelegentlichenSteilheiten, rechtsläufig mit vereinzelten Linksläufigkeiten, Win-kel, starker Druck, Längenunterschiede eher groß, gegliedert,bereichert. Großbuchstaben voll und teigig, kleine mager undscharf. Zeilenhöhe eher groß.

.Signatur des willensmäßig Zielstrebigen

Erscheinungstypus

Groß und schlank, lange Beine, im Gang elastisch federnd,stolze würdige Haltung. Sehniger und muskulöser Gliederbau,straff, meist ein zu sportlichen Leistungen befähigter Körper.Bewegungsschwung. Hoch gebauter Schädel («Turmschädel»)mit dadurch meist schmaler, doch schön gewölbter Stirn, abfal-

154

lendem Hinterhaupt. Haaransatz mit hoch gezogenen Ecken(«Geheimratswinkeln»), bogige Augenbrauen. Gewöhnlich langeund feingeschwungene Nase mit etwas überhängender Spitze(«Pferdenase»), beweglicher, leicht sinnlicher Mund, pointiertesdoch nicht vorstehendes Kinn, nicht zu dicker aber fester Hals.Häufig Asymmetrien im Gesichtsschnitt, Rötlich frische Ge-sichtsfarbe mit leuchtendem Blond oder Kastanienbraun der Haa-re, oder bleich mit olivenem Unterton und betontem Schwarz.Auch bei Frauen ein unternehmender, stolzer, fordernder Aus-druck und kräftige Bewegungen, ohne maskulin zu wirken. DerBlick der blauen oder hellbraunen Augen ist klar, offen, freimü-tig mit einem ins Weite strebenden, manchmal seherisch träu-menden Gespanntsein. Vorkommend ein kleinerer, korpulentererUntertypus von fast gleicher Beweglichkeit.

Schriftbild

«Flammenstil». Durch die Schrift geht ein starker Auftrieb,immer erneute Anläufe, exzeßartig ausfahrende Züge, hochge-setzte i-Punkte. Schwung nicht kreisend, sondern in Form lang-gezogener Ellipsen und Parabeln. Vereinfachungen im Sinneschwungvoller Andeutungen, etwas Hingeworfenes und dochGeformtes. Häufig S-Federungen, mitunter fackelartig, «Begei-sterungsfahnen» (Überstreichungen). Bei sonst lebhafter Rhyth-mik hie und da - in Zusammenhang mit Inhalt - ein Abfallen inTempo und Haltung. Ausprägung von Beziehungslosigkeiten.Normalerweise Ebenmaß, Buchstaben verbunden, Temposchnell, Oberlängenbetonung, mäßige Schräge, oft gegen Wor-tende zunehmend; eher weit, enge Wirkung durch vertikale Aus-dehnungstendenz, aber nicht schwindsüchtig. Rechtsläufig,schlanke Arkaden, mäßige Druckstärke, Längenunterschiedegroß. Gegliedert, scharf, groß, Buchstabenformen einfach, Be-wegung manchmal impulsgejagt.

155

/Signatur des stofflich Bewegenden

Erscheinungstypus

Rechtwinkliger Körperschnitt, starker Knochenbau, wodurchauch der hagere Untertypus etwas Kompaktes erhält, die pykni-schen Formen nicht schwammig, sondern schwer und fest. Mit-telgroß bis groß, doch kommen (erbbedingt) abnorme Kleinheitund Verwachsungen vor. In Gang und Haltung etwas Störrisches,Unelastisches («Ziegengang» oder «Fußschlepper»), mehr ge-beugt als aufrecht. Große Hände und Füße, letztere mit «Klam-mergriff». Häufig abstehende Ohren («Henkelohren»). Schädelpolygoner Form, eher lang als breit, doch breite Stirn mit gera-dem Haaransatz, der, spärlicher Wuchs, bei Männern meist frü-her Glatze weicht. Bei Frauen hingegen oft starkes Haar(«Pferdesträhnen»). Knochiges Gesicht mit sparsamer Mimikdoch bleibender Faltenbildung, Wangenfurchung, Nase nicht zugroß, knochig, etwas längliches, mitunter spitzes Kinn, dünnerHals. Beständigbleiben guter Rassenmerkmale, im Alter oft sehr»durchformter» Ausdruck. Meist dunkle Haar- und Augenfarbe,der Blick der klein und punktförmig wirkenden Augen ist fest-haltend, bestimmt. Gesamtwirkung ernst, auch in heiteren Au-genblicken nicht beschwingt. Trotz etwas müder Haltung machtauch der hager-sehnige Untertypus den gleichen Eindruck desDauerhaften.

Schriftbild

«Gehrockstil». Regelmäßig mit unveränderlichen Merkmalen,Festigkeit der einmal erworbenen Schriftform (Stabilität des Pro-dukts aus Konvention + Eigenart). Etwas holperig, unbeholfenbei aller eingeschliffenen Zügigkeit, arhythmisch, vorkommendeSchrumpfungen. Es fehlt durchschwingende Bewegtheit. Affektegezügelt. Beibehalten nichtassimilierter Formen, Fehlen vermit-telnder Wendungen, Tendenz zur Erstarrung und frühzeitigenFixierung der Buchstabenformen und gewisser Floskeln (wie«gefl.»). Gesamtbild klar und geschlossen, horizontal gerichtet,

156

Neigungswinkel eher steil, zu große Schrägen vermeidend. Ehereng als weit. Betonte Längenunterschiede, sie wirken nurmanchmal gering, weil alles konzentrativ zusammengehalten.Linksläufigkeiten. Mehr gegliedert als ungegliedert, vereinfacht,scharf, mittlere Schrifigröße. Polygone Buchstabenformen (drei-eckige Unterlängenschleifen), der Druckschrift genäherte Verein-fachungen, zuweilen fehlende Endstriche, Abkürzungen.

0Signatur des geistig Ordnenden

Erscheinungstypus

Mittelgroß bis groß, zuweilen abnormer Hochwuchs, dochschlaffe Haltung, wenn nicht durch momentane geistige Span-nung gestrafft. Der häufig gefundene Ausdruck der Überlegen-heit über Mitmenschen gleichen Milieus rührt nicht ausphysischen Qualitäten und Willensdynamik. In der Regel nichtzu schmaler Bau, oft gute Muskelanlage ohne im animalischenSinne kraftvoll zu wirken. Bewegungen ruhig, geduldig-maßvoll,doch mit intelligenzgelenkten Raschheiten. Breiter Schädelbau,mitunter mächtig gewölbte Stirn, Gesichtsschnitt breites Oval mitflachen Backenknochen, breitem Kinn, meist gerade Nase miteinem Zug vergeistigter Schärfe. Mund unsinnlich, Oberlippe oftein wenig vorstehend. Blasse, durchscheinende und empfindlicheHaut, rasches Erröten bei Frauen (oft «lebenskluger hübscherKameradin-Typus«); Geschlechtsunterschiede sonst mehr indif-ferent. Glänzendes, häufig flachsblondes Haar, zuweilen Schwarzmit bläulichem Schimmer, Tendenz vorzeitiger Ergrauung. Au-gen von leuchtendem Blau oder durchlichtetem Braun, oft mitetwas verbreitertem Zwischenraum; Blick hell und klar, kanndurchdringend sein ohne aggressiv zu wirken, etwas Umfassen-des. Vorkommend ein korpulenterer Untertypus, trotz leiblicherSchwere mit erdfernem Schein im Gesamtausdruck.

157

Schriftbild

«Schulmeisterstil». Ein luftig geordnetes Gesamtbild, gehtleicht in stereotype Züge und Pedanterien, ohne engherzig zuwirken. Selbstische Eigenheiten treten zurück. Der Duktusschreitet gleichmäßig feinzügig fort, hie und da aber Steifheitenin den Buchstaben. Atmosphärenlose Klarheit und Durchsichtig-keit, mancher schreibt «wie gestochene (aus Gefühlsscheuheit),behält erlernte Buchstabenformen bei und wiederholt sie; nüch-tern sachliches Anwenden der Grundformen, feststehendeSchriftgesten. Große Längenunterschiede, betonte Oberlängen,Haar- und Druckstriche verschieden. Regelmäßig, wenigerRhythmus und Ebenmaß, Buchstaben verbunden. Tempo schnell.Eher steil, eng, rechtsläufig, Winkel, gegliedert, mager, scharf,mäßig groß.

1Signatur des seelisch Teilhabenden

Erscheinungstypus

Mittelgroß bis klein, selten überdurchschnittlich. Meist feinerKnochenbau und schwache Muskulatur, doch hohe Elastizitätund fließende Leichtigkeit der Bewegungen (entspanntes «Sich-fallenlassen»). Eindruck der Schmiegsamkeit verstärkt durch ge-rundete Schultern, kurzen und dicken Nacken. Im Gang oft etwasWatschelndes, Armbewegungen flossenartig schlenkernd, ein-heitlich in Fingerbewegung übergehend (bei Klavierspielern«weicher Anschlag»). Frauen meist besser proportioniert alsMänner, (die etwas feminin wirken), mitunter von sensitiv be-schwingtem Ebenmaß des Gesamtausdrucks. Gesicht oval mitbreiter, gewölbter Stirn, Hinterhaupt rund. Alle Einzelformenzart gebildet, relativ kleine Nase, leicht vorgewölbte Augen,nicht sehr großer aber voller Mund, Kinn abgerundet, häufig«Doppelkinn». Haar gewöhnlich braun, seidig weich und etwaswellig. Augen wäßrig-blau, hellbraun oder grünlich opalisierendmit schläfrigem «Fischblick», verträumtem Schein oder visionär

158

weit geöffnet. Mit der Blickrichtung geht der ganze Körper mit.Gesamtausdruck etwas freundlich Ergebenes, Duldendes. Vor-kommend ein robusterer Untertypus, doch mit gleicher Locker-heit des Gewebes, Zeiten aufgepeitschter Anstrengung gefolgtvon solchen der Erschlaffung.

Schriftbild

«Fischflossenstil». Lässige, breitgezogene Schriftzüge, Ten-denz zur Fadenbindung. Gesamteindruck ruhige Fläche mit ein-gestreuten Wirbelbewegungen, wenig diszipliniert (läßt sich vonStimmungen treiben). Stärkste Auflösung der Buchstabenformen,Vernachlässigungen, Ängstlichkeiten, hochgezogene Endzüge.Sensibler weicher Duktus, elastische Zeilenführung. Einzelheitenwerden übergangen zu Gunsten des Gesamtbildes, rhythmischesGefühl und Ebenmaß. Verbunden, aber großer Wortabstand,manchmal auch zwischen Silben. Mittleres Tempo, durchgehen-der Schreibfluß. Eher betonte Oberlängen, algenartig hängendeUnterlängen, mittlere Schräge. Weite, Rechtsläufigkeit, Doppel-bögen und Fäden. Im allgemeinen drucklos, doch mit vereinzel-ten emotionierten Druckstellen. Gegliedert, vereinfacht, voll, tei-gig, klein.

159

Werkelemente der Künste

Musik Malerei Plastik

&Rhythmus

aus sich selbstströmender Fluß

Konturlineare Bewegtheit

Wurfeinheitlich

durchpulster Aufriß

'Ton

akustisch tragendesElement

Farbedekorativer Farbwert

MasseBlockcharakterdes Materials

(Takt

logisiertes ZeitmaßVerteilung

Hell-Dunkel-Gruppierung

GliederungDifferenzierung

der Masseneinheit

)Melodie

erlebte TonfolgeVision

erschauterWeltausschnitt

GestaltimaginiertesRaumganzes

*Polyphonie

mehrstimmigeEinheit

Polychromieentfaltete Schaulust

PolymorphiegruppierteVielgestalt

+Themadurchführung

methodischerSatzbau

MotivschilderungbeschreibendeWiedergabe

Vergegenständlichungempirisches Detail

,Harmonie

Maßeinheit desZusammenklangs

SymmetrieFlächen-

Abgewogenheit

StatikRuhelage

zum Standort

-Intervall

Tonschritt-SpannungKontrastierungFarben-Flächen-

Spannung

ZwischenräumeDurchblicke,Einkerbungen

.Ausdruck

Phrasierung, VortragDuktus

Pinselführung,Strichlage

GebärdeAusgriff in den

Umraum

160

Musik Malerei Plastik

/Form

Bezug aller Teileaufeinander

Bildgefügestrukturelle

Überschneidungen

BildegesetzAchsen-Grenz-

flächen-Verhältnis

0Komposition

ideelles Gebautsein

Ordnungsidee

ideelleGesamtausrichtung

Ideoplastik

eingekörperte Idee

1Klangfarbe

Instrumentierung

SchmelzÜbergänge

Lasuren, Stimmung

TastreizOberflächen-bearbeitung

161

Einzeldarstellungen

Vorausbemerkungen

Die Theorie der Kreisordnung bietet uns Handhaben, um dieStilformen in methodischer Beobachtung am lebenden Modell zuerkennen. Das Temperament ist als feststehende Reaktionsartungimmer vorhanden, aus ihm folgert tätige oder leidende Form.Hierin bewegen wir uns diesseits der Aussagegrenzen. Bei denWertdimensionen dagegen spielt das Niveau die entscheidendeRolle. Treten doch vor allem die Inhalte des III. und IV. Qua-dranten in ihrer eigentlichen menschlichen Bedeutung, als be-wußt objektiv erfaßte, das Streben bestimmende Fremdwerte, erstvon einer gewissen Stufe ab hervor. Die allgemeinen Lebens-werte sprechen jedoch immer mit, untergründig, Rudimentäreswird in Fällen tierischer Rückartung bloßgelegt. Anderseits sinddie Inhalte des I. und II. Quadranten nicht etwa nur im Sinne ei-nes primitiven Subjektivismus aufzufassen. Wohl liegt die Beto-nung stets auf Werten des persönlichen Eigenlebens, diese aberwerden, je höher die Entwicklungsstufe, mit umso stärkererRücksichtnahme auf die Mitwelt dargelebt. In den Quadrantenalso finden wir ein Kriterium, niveaumäßig verschiedene Schat-tierungen an das Prinzip gebunden zu sehen, wie umgekehrt, vonbeobachteten Äußerungen auf das Prinzip schließen zu können.Da die Entwicklungshöhe jenseits der Aussagegrenzen steht,kann diese Schattierung in einer «Blinddiagnose» nicht enthaltensein, nur bei vorgegebenen Anhaltspunkten dürfen entsprechendeMöglichkeiten angedeutet werden; in diesem Reich der Werte iststrikte Zurückhaltung geboten. Ähnlich liegt es bei den ’Wirk-und Werde-Grundformen hinsichtlich des Entwicklungsstrebensund der schöpferischen Qualitäten, nur die entsprechende psychi-sche Bewegungsform ist immer vorhanden.

Ein anderer Gesichtspunkt gilt für die Beziehung der Stilfor-men zu den Wesenskräften. Diese Beziehung ist stets gegeben, imEinzelfalle wird für die Stärke oder Schwäche der hieraus sichergebenden Eigenschafts-Differenzierung in Rechnung zu ziehen

162

sein, wie das betreffende Planetensymbol im Gesamtbilde steht.Dies ist Sache fortgeschrittener Kombination.

In gewissem Zusammenhange mit dem Temperament steht dieVitalität. Allgemein verstehen wir darunter Lebenskraft, Lebens-fülle. Ihre Stärke, da erbbedingt, ist ein Faktum jenseits der Aus-sagegrenzen. Quantitative Urteile aus dem Meßbilde sind alsounstatthaft, der Gesamtvorrat an Vitalität ist darin nicht ange-zeigt. Jedoch über Qualitätsformen können wir aussagen, sie sindim leiblichen Zustandsbewußtsein des Temperaments enthalten,modifiziert durch die Wirk- und Werde-Grundform. Hierzu ge-hören die Unmittelbarkeit der Durchsetzung vorhandener Vitali-tät, die Form der Verausgabung, die in Auslösungs- und Ver-laufstempo, Äußerungswucht und -Stimmung des Temperamentsaufscheint; bei der Regenerationsfähigkeit spricht vor allem derStand der Sonne mit, bei Erhaltung, Pflege, Kuren usw. der Gradvon lenkbar oder sperrig der betonten Zeichen, schließlich dieGesamt-Kräftestruktur (Aspektgerüst). Für jedes Zeichen findensich gesonderte Angaben.

Von diesen der geübteren Kombination vorbehaltenen Fein-heiten wird der Anfänger zunächst absehen. Er braucht erst bild-hafte Vorstellungen an Hand aus dem Leben geschöpfterBeobachtungen. Indes, ganz ohne Abstraktion geht es dabei nichtab. Eine Stilform findet sich ja immer als Komponente einesvielgliedrigen Wesensgefüges vor, nie für sich allein, Aszendentist nur «Vordergrund». Von diesem Zusammenhang müssen wirabstrahieren, tun es, indem wir jede Stilform als «Typus» vor-stellbar machen. Der Typus ist eine Fiktion, er kommt niemalsrein vor. Es gibt nur Häufungen, Überbetonungen. Unmöglich istder Fall, daß alle Planeten mit Sonne und Mond an einem Punkteder Ekliptik, der gerade am Osthorizont aufsteigen müßte, ver-sammelt wären. Dieser Fall würde den reinen Typus zur Erschei-nung bringen. Praktisch treffen wir nur auf Anhäufungen undmüssen uns stets ein Stück von diesem oder jenem Typus hinzu-denken. Da es sich aber bei den Wesenskräften, welche die Beto-nung zustandebringen, um nunmehr bekannte Elemente handelt,erhalten wir keinen ungefähren «Mischtypus» wie aus intellektu-ell konstruierten Typologien. Wir können vielmehr in jedem in-

163

dividuellen Fall genau feststellen, worin die komplexe Le-bensäußerung etwas von dieser, in welcher Hinsicht sie etwasvon jener Stilform hat. Eben dies ermöglicht es unserer organi-schen Typologie, aus einer großen Erfahrungssumme den reinenTypus herauszuschälen.

Erleichternd für dieses Unterfangen ist die Tatsache, daß in ei-nem Punkt die Stilform stets auch sinnfällig zur Erscheinungkommt: analog dem Aszendenten, in Gestaltbau und Physiogno-mie. Geeignet zum Studium sind besonders die Fälle, in denendie Färbung durch eine Wesenskraft wegfällt. Was der Aszendentist, wird im Kapitel «Die Interessensphäre» gesagt. Vom Gestalt-bau als morphologische Idee - trotz Beziehung zu einem be-stimmten Temperament doch wiederum selbständig - war in«Tierkreis-Signaturen» die Rede. Das «Zeichen am Aszenden-ten», wie die traditionelle Benennung lautet, bedeutet außerdemdie unmittelbare persönliche Reaktionsform. Bei dem nachfol-gend jeweils unter «Ausdruck» Angeführten hat dementspre-chend der Aszendent ein gewisses Übergewicht, während inbezug auf «Auffassung» sich die Gesamtbetonung der Zeichendurchsetzt, vor allem dasjenige der Sonne- und Mondstellung.Steht Merkur in einem anderen Zeichen als die Sonne, so diffe-renziert sich dies hinsichtlich der intellektuellen Auffassung, undauf solche Weise beschreiten wir allmählich den Weg der Kom-bination.

Jedes der zwölf Prinzipien hat eine gewisse Variationsbreite.Dies hängt zunächst in der geschilderten Weise zusammen mitdem Niveau, auf dem es gelebt wird. Je nach der Entwickeltheitdes Individuums in Auseinandersetzung mit der seines Milieus,seiner Nation, seiner Epoche bilden sich unterschiedliche Schat-tierungen heraus. In dieser Auseinandersetzung können be-stimmte Konfliktformen vorgebildet sein - «Schütze» beispiels-weise kommt bei Übermacht kleinbürgerlichen Milieus schwerzur «großen Linie» -, mit bestimmten Aus- und Abwegen. Zufol-ge der damit aufgerollten Teilbarkeit jedes der Prinzipien könneneinzelne Momente in ihm etwa das »Labile» in «Schütze» - über-kultiviert, andere etwa das «Jovische» - vernachlässigt werden.Ebendies kann außerdem - etwa isoliert gestellter �, der domi-

164

nant ist über . - konstellativ verstärkt oder abgeschwächt sein ineiner bei der Kombination darzustellenden Weise. Den aus alldiesem hervorgehenden Fällen können wir nur andeutungsweisegeredet werden durch Herausstellung einiger typischer Beispieleals «Untertypen». Weder macht dies Anspruch auf Vollständig-keit, noch kommt solchen Untertypen eine selbständige Geltungzu und gegebenenfalls, wenn nicht karrikaturhaft vereinseitigt,sind sie umbildbar im Rahmen des Stilprinzips. Man darf daherdie Abgrenzungen gegeneinander nicht allzu scharf ziehen undnehme das Beschriebene lediglich als Veranschaulichung vonSpielarten, wie das Leben sie mannigfach entwickelt.

In derselben gebührlichen Lockerheit verstehe man die Aussa-gen über Berufseignung, zumal hier die Herkunft das gewichtig-ste Wort mitspricht, Milieu und Erziehung modifizieren und dieAusbildung bestimmen. Kombinatorisch spielt die Gesamtver-teilung von kardinal-fix-labil hinein und vor allem die Stellungvon Planetensymbolen an den berufsbezüglichen Orten der Inter-essensphäre.

Empfehlenswert ist es, jeden Typus mit dem des gegenüberlie-genden Zeichens zu vergleichen. Die Gegensatzverwandtschaftzweier Zeichen besteht nicht nur in der Theorie. Bei steigendemNiveau tritt es vielmehr ein, daß der Mensch, über die Elementeseiner Individuation sicherer verfügend, sich nicht mehr abgrenztvon deren Gegensätzen, sondern zum Teil innerlich auf sie hinlebt, ohne sein Typisches zu verlieren. Für die gesuchte mensch-liche Synthese enthält das gegenüberliegende Zeichen den Er-gänzungstypus, in den zwischenmenschlichen Auseinander-setzungen von besonderer Bedeutung.

165

&Das willensmäßig Antreibende(feuriges, kardinales �-Zeichen)

Stoßartige Vitalität, angreifend und vorwärtsdrängend, bei ge-richtetem Impuls zäh in der Leistungsspannung, ein Wollen, dasgegebenenfalls über die Physis hinweggehen und dann zu mo-mentanen Zusammenbrüchen führen kann; auf Zeiten der motori-schen Unruhe, ja Überaktivität, folgen solche des Brachliegens,der Umorientierung; am stärksten Anlaufenergie, in allem dieTendenz, Schwierigkeiten durch akute Prozesse zu überwinden.

«Ich will»: Rechtfertigung und letzter Trumpf bei diesem Ty-pus, «im Anfang war die Tat»: seine Weltformel. Ein einmal ge-faßter Vorsatz wirft die besten Gegenargumente um, Pflicht ohneImpuls trägt nicht durch. Bietet sich diesem Menschen ein lok-kendes Ziel, zündet ein persönliches Verhältnis zur Sache, so be-ginnt er spornstreichs die Verwirklichung, blindlings seinerEingebung vertrauend, belehrbar nur aus Folgen eigenen Tuns.Langatmige Zurüstungen und abstrakte Theorien haßt er, verwik-kelte Probleme behandelt er nach dem Rezept des Schwerthiebsdurch den gordischen Knoten, Sinn für Feinheiten ersetzenddurch den Instinkt, wo der Nagel auf den Kopf zu treffen sei.Auch bei geistig Differenzierteren ein Denken in Sofortlösungen,das die Dinge aus neuer Sicht, ohne Rück- und Seitenblick aufgewohnte Begriffe, zu erfassen trachtet. Diese aktivistische Hal-tung bevorzugt Stegreifmethoden, mit denen der Handelnde -sich selbst um eine Nasenlänge voraus, Anderen seinen Imperativaufdrängend - straks auf das Ergebnis zustrebt und bedenkenlosdie Mittel benutzt, die sich gerade vorfinden. Die kühnsten Lei-stungen sind oft improvisiert, ihre Idee wurde erzeugt aus demEinschnappen praktischen Tatgeistes auf das Gebot der Stunde,Widerstände stachelten die Energie zum Einsatz auf Biegen oderBrechen auf und der Erfolg war dem sturen Richtungssinn zudanken - sofern glücklicherweise das Ziel richtig lag! Denn dieUnfähigkeit, einmal in Gang gebracht von der Aktionsrichtung

166

abzuweichen, kann auch in Verbohrtheiten hineinführen: Gegen-bild zu ,, dem Prinzip, sich objektiven Veränderungen der Lagegeschmeidig anzupassen.

Eigensinnige Auffassung, affektgelenkt, selbstsicher, gradlinig-prägnant, sperrig gegen Einwände, unablenkbar in der Richtungdes Anschnitts der Probleme. Scheuklappenhaltung: bei triebge-spanntem Tatendrang gleichgültig gegen alles außer dem Ziel,Anpassung an vorhandene Bedingungen gestört durch despoti-sche Züge. Geringschätzung dessen, was nicht eigener Überle-gung entsprang bzw. Begehren und Unternehmungsgeist reizt.

Dieses den Kreis eröffnende Prinzip entspricht der Anfangssi-tuation im Handeln: originale Erfassung der Sachlage, dringli-ches «jetzt und Hier», inspirierter Richtungssinn. Die Kardina-lität liegt im Erteilen erster Anstöße, gleichsam dem Aufschlußvon Keimenergie, worin inbegriffen ist, was je nach vorgefunde-ner Gunst äußerer Bedingungen sich herausentwickelt. Solch dy-namischer Subjektivismus steht und fällt mit der ins Lebenmitgebrachten «Substanz», seine «marsische» Moralität ist be-günstigt, wenn die Zeitlage ihm gestattet sich irgendwo an dieSpitze zu setzen. Besonders wichtig sind ererbte Begabungen,erworbenes Intelligenzniveau (Aussagegrenze!). Der Eine stelltAußerordentliches ans Licht als Anreger und Initiator, Bahnbre-cher und Vorkämpfer, mit nicht minderer Überzeugtheit packtein Anderer die Dinge seiner täglichen Lebenspraxis beimSchopf. Beide werden kräftig danebenschlagen, wenn vor Pro-bleme gestellt, die andersgeartetes Verständnis und Einfühlungerfordern. Trotzig und stößig suchen sie ihr Vorhaben durch-zusetzen, Kritik sich verbetend, oder streiken in «Ohne-mich»-Haltung. Bei mitspielendem Standesdünkel, versteifter Partei-nahme oder sonstigen Blickfeldbeschränkungen entsteht jeneBorniertheit, die innerhalb gewisser Grenzen scharfsichtig, tüch-tig, tapfer vorwärtsstürmt, der aber die übrige Welt verschlossenbleibt. Meist allerdings duldet die triebfrische Ursprünglichkeitkeine endgültigen Festlegungen der Absichten und Meinungen,ihr kommts darauf an, jeweils den Punkt zu finden, an dem Ent-

167

wicklungen vorangehen. In optimaler Ausprägung der Mann, derprachtvoll unbekümmert einen vom Schicksal durchkreuztenPlan verwirft und Neues forsch in Angriff nimmt, als sei nichtsgeschehen. Die «Feuer»-Natur greift im Impuls des Wollensleicht den vollzogenen Endeffekt vorweg, daher Stolpern überunvorhergesehene Bedingnisse, Ungeduld wartet nicht ab bis dieUmstände mählich heranreifen. Indem der Mensch die Vorgängebeschleunigen will, verdirbt er manches durch vorschnelles Ein-greifen, vergewaltigt die objektive Lage, das Material, die Mit-beteiligten. Eben diese Unbedingtheit des Wollens, der drang-volle Eifer, das Dringlichmachen werden gegebenenfalls, wennes eine ungewöhnliche Sache durchzusetzen gilt, zur Stärke.

Imperativischer Ausdruck, offen, geradezu, knapp und klar,vom Eigenrhythmus getragen dominierend, auch unbesonnen undvorlaut, kann im Rausch der Unternehmung gegnerische Mei-nungen niederreden und eine Gefolgschaft begeistern, aneifern.Stimmlich zuweilen unangepaßt laut, forciert. Bündig werden dieEntschlüsse hingesetzt, deren Um und Auf präzise, ohne Um-schweife oder Pedanterie, herausgehoben. Nur auf das Unmittel-bare Wert legend, zuweilen hilflos wo es nichts ansichzureißengibt.

Bewußt oder unbewußt strebt dieser Typus nach Einheit seinesWesens und Lebensstils mit dem, wozu er sich berufen glaubt. Indieser Einspurigkeit kann Größe liegen, beim Durchschnitt aberentspringt ihr vieles, was die Mitwelt ihm als unbefriedigend undmangelhaft ankreidet. Man sagt ihm Arroganz nach und meistfehlt teilnehmendes Gefühl, sofern er nichts Bestimmtes vomAnderen will, wenn, ist es wieder zu heftig und spannt man seineGeduld auf die Folter, so wird er leicht grob. HinterlasseneScherben auf seinem Wege pflegt er dem Recht stärkeren Lebensgutzuschreiben. Feinere Kultur gilt ihm oft als überflüssigesBeiwerk, wenn aber die Musen ihn selbst zum Tanze auserlesen,schiebt er die verbindende Regel beiseite und kultiviert seineOriginalität. Das Gefällige, der Takt, der Zusammenklang mitAnderen sind in seinem monodramen Aktivismus nicht zu Hau-

168

se. Er «macht die Musik die ihm paßt», mit Selbstverständlich-keit die erste Geige spielend, ist ein schlechter Zuhörer und wird,wo er kann, das Gespräch an sich bringen. Der Trieb, über ge-meinsame Interessen hinweg sich vorzudrängen, führt mitunterzu Zusammenstößen bei denen er unnachgiebig seinen Platz be-hauptet. An schöpferischen Impulsen fehlt es zwar selten, häufigjedoch ermangeln die Voraussetzungen und Stützen, die demHervorzubringenden gesicherte Dauer verleihen. Was nicht durchÜbung erworben, wird ersetzt durch geniale oder behelfsmäßigeGriffe. So entsteht der unternehmungslustige Gründer, der Erobe-rer, der in Niemandsland vorstoßende Pionier, der von Aktion zuAktion jagt - mit ein wenig Lagerfeuer-Romantik -, doch sichkaum um Bestand und Gedeihen des in Besitz Genommenenkümmert. Er geht mit ungedecktem Rücken vor, muß auf Anhiebsiegen, will klipp und klar, ungeschminkt vor Augen haben wo-mit zu rechnen ist. Auf jeder Station zimmert er sich neu seineWelt zurecht, Anlehnung verachtend sucht er, wofür noch keinVorbild existiert. Garantie liegt allein in der Artung seiner Per-son. Zuweilen ist dieser Antrieb stärker als physische Kraft undgeistige Fähigkeit, Mancher sucht sich über Erb- und Sozial-schicksal hinwegzusetzen. Ist der Tatkraft eines solchen Men-schen kein Spielraum gelassen, fehlt es der Zeit an zündendenIdeen, so wird er leicht verkümmern. Müßiggang bekommt ihmam wenigsten. Unter Druck gesetzt bricht er Streit vom Zaunoder verfällt auf seltsame Sondertouren, um sich Luft zu machen.Isoliertwerden fürchtet er nicht, denn Einzelgängertum entsprichtdem unkomplizierten Subjektivismus, der stets Hammer, nieAmbos sein will.

Untertypen. - Das männlich Heldenhafte ist die reinste Prägungdieses Zeichens, durchaus nicht auf physische Auseinanderset-zungen beschränkt. Unerschrockenes Eintreten für ein Lebens-recht, eine Gesinnung oder irgendeine Sache, mit deren Wert diePersönlichkeit sich eins fühlt, kann verschmelzen mit dem An-spruch auf Eröffnung einer neuen Ära. Beim Entdecker, beimLeiter einer Forschungsexpedition, beim religiösen Eiferer oderpraktischen Lebensphilosophen, beim Haupt eines politischen

169

Kampfbundes, beim Auslöser eines künstlerischen «Ismus»,beim technischen Erschließer eines Naturgebiets oder Gründereiner unabhängigen Zeitschrift, wo immer dies agonale Prinzipauftritt, seine Personunmittelbarkeit verlangt, daß ein Führer aussolchem Stoff beispielhaft die Lösung seiner Aufgabe verkörpe-re. Durchdrungen von einem zukunftsträchtigen Gedanken - tun-lichst so einfach, daß er in drei Sätzen erklärt werden kann -, lebter seinen Rhythmus dar, ein Funke, der Bereitliegendes in Brandsetzt, ein Rammbock für kommende Entwicklungen. Vielfachgibt es »Vorzeitige». Noch öfter allerdings scheint nur der Umrißder Größe auf, während die ausfüllende Substanz fehlt und dieLebensleistung ein skizzenhafter Wurf bleibt. Gutes Erbe ver-körpert sich zuweilen in jenem Adel der Erscheinung, der ohneandere Deckung seines Rangs als den Aufweis eines befehls-haberischen Profils disziplinierend wirkt. Im Gegenbild bringtempfundener Mangel an Niveau, Begabung und Glück, auf ir-gendeinem Gebiet in Führung zu kommen, häufig unruhige Que-rulantentypen hervor, die allerorts laut betonen, daß sie sichkeiner Autorität beugen. Den Ganz-, Halb- und Viertels-Exklusivitäten steht der wenig wählerische einfache Mann ge-genüber, der ohne viel Worte zu machen Hand anlegt und keineArbeit scheut, wenn nur «die Sache in Gang kommt». Gegebe-nenfalls robust die Ellenbogen gebrauchend, im Triebmäßigenein wenig roh, ist er normalerweise ein umgänglicher Bursche,nicht unkameradschaftlich, mit derben aber gutmütigen Spässenund öfter einem Zug zur Clownerie.

Kein der weiblichen Hingabe förderliches Zeichen, bekundetes sich schon äußerlich durch eine gewisse Angleichung der Ge-schlechter zur männlichen Seite hin. Die Haltung einer von ihmbeherrschten Frau schwingt zwischen herber Abweisung und jä-hem Entflammtsein; bei erweckter Leidenschaft übernimmt oftsie die erobernde Rolle, stellt den Erwählten vor ein Entweder-Oder, will den Gegenstand ihrer Gefühle unumschränkt für sichbesitzen. Anlehnung soll getragen sein vom Glauben an den un-bedingten Wert des Partners, der den eigenen hebt, bedeutet nie-mals Unterwerfung unter ein Du in seiner personalen und

170

sozialen Bedingtheit. Dem männlichen Typus ist Liebe meistTriebangelegenheit schlechthin, in Frage gezogene Zuneigungder Partnerin beeinträchtigt die Unbefangenheit momentanerAufwallungen wenig. Beide haben die Tendenz, über des Ande-ren Eigenart hinwegzuleben.

Berufseignung. - Die persönliche Initiative braucht Raum fürselbständige Entschlüsse, Erfindungsgabe wird durch die Praxisangeregt. Tauglich für kurzfristige, sukzessiv gesteigerte Aufga-ben, zur raschen, schubweisen Abwicklung klar überschaubarerEinzelhandlungen. Wenig geeignet für gleichmäßige, unselbstän-dige Büroarbeit; im Kaufmännischen eher am Platze, wo Wage-mut, originelle Werbemethoden, schnelle Ankurbelung vonGeschäften Erfolg versprechen. Verlustgefahr durch Unbeson-nenheit und Ungestüm. In der Technik der Typus des freien Un-ternehmers und Selfmademan, des Neuland erschließendenIngenieurs oder auch des Betreibers einer Werkstatt auf eigeneRechnung und Gefahr. In den Naturwissenschaften gedeiht ambesten manuell Handzuhabendes oder technisch Anwendbares -Chirurgie, praktische Physik -, Entdeckungen sind meist neue«Griffe» in dieser Richtung. Geisteswissenschaftlich mehr Men-schenbildner als abstrakter Theoretiker, oft Bannerträger sugge-stiv einzuimpfender Ideen. Künstlerisch Beziehung zu Drama,Solotanz, Plastik, kunstgewerblich Gravieren und Metallschnitt, -prägung, -treibarbeit. An die Stelle erklärungslosen Tuns kanndas Rhetorische treten mit der Tendenz, andere zu Entschluß undHandeln anzutreiben; in diesem Sinne Agitator, Volksredner oderAnwalt, der seinen Fall dramatisiert durch Appell an das mit derPersönlichkeit geborene Recht. Einsatz der Suggestiv- und Wil-lenskraft auch als Tierdresseur und -züchter. Der Landwirt diesesTypus hat einen Zug zum Industriellen, ist mehr Bodentechnikerund Zuchtunternehmer als mit der Scholle verwurzelter Bauer.Die häufig vorhandene Lust zum Soldatischen gilt weniger demKasernendienst, als den Taktiken des Angriffs, auch in techni-schen Waffengattungen. Auf Körperbetätigung beruhende Berufewie Turn- und Sportlehrer, Heilgymnastiker, Masseure, Artisten

171

und Jockeis. Selten fehlt Liebe zum Kampfsport, als Boxer dergeborene Fighter, als Fußballer der rasante Stürmer.

Auf welchem Felde es sei: ein Draufgänger, der von sich undAnderen nötigenfalls das Äußerste fordert. Hat er einen bahnbre-chenden Einfall, so wird er zum Einpeitscher der Verwirkli-chung. Zur detaillierten, geduldigen Ausführung taugt erweniger, doch Direktiven hinwerfen entspricht ihm. Mancher,sich als Herrennatur fühlend, wird dabei zum Knecht seinesWillens und Gefangenen seines Befehls, den er, einmal erteilt,um keinen Preis zurücknimmt. Für ein lockendes Ziel eine uner-hörte Verpflichtung eingehen, bedeutet ihm kein Problem; stößter aber auf unbrechbaren Widerstand oder gerät er in Verquik-kung mit fremdem Weh und Ach, so ist der kritische Punkt er-reicht. Den Glauben an sich verlieren, heißt alles verlieren.Dieser Typus kennt nur eine Bewegungsart: vorwärts! Der toll-kühne Gedankenblitz einer solchen Minute hat an Mut zum Risi-ko oder Erstlingserscheinungen schon erzeugt, was niemand fürmöglich hielt. Doch freilich sind Fehldiagnosen bei solchen Im-pulsentscheidungen nicht selten. Ist das Gelände umsichtig ge-worden, steht anstelle des anvisierten Ziels etwas anderes da, sobietet der unentwegt seiner Fiktion Nachjagende einen tragiko-mischen Anblick. Bei allem Sinn für Humor bringt es ihn unbän-dig auf, in solcher Lage nicht ernst genommen zu werden.Fremde Hilfe lehnt er ab, es sei denn, daß er sie anbefehlen darfund für eine ihm zustehende Diensterweisung hält. Man findetLeute, die auf einem Vorsatz herumreiten, obzwar sie längstmerken, wie lahm alles geht. Verbohrter Stolz verbietet ihnenaber, abzusteigen. So geben sie ihrem Gaul die Sporen und haltensich mit zusammengebissenen Zähnen aufrecht. Allzunahe liegtdie Verwechslung von subjektivem Starrsinn mit Erlesenheit,Genialität setzt das Einsehen persönlicher Willkürgrenzen vor-aus.

172

'Das stofflich Grundlegende(erdhaftes, fixes �-Zeichen)

Angestaute Vitalität, eine stark in Säften stehende doch undy-namische Zuständlichkeit, deren Kraftfülle gleichsam stockt; dasUnangesprochene und Ungelebte, nicht Bewältigte oder vom Le-ben Versagte wirkt sich in Stagnation und Anfällen von Depres-sion aus; starkes Schlafbedürfnis, auch sonst viel Absorbiertseindurch innere Ausgleichsarbeit, förderlich sind geregelte körperli-che Bewegung und maßvolle Lebensweise.

Ein gewachsenes, treu gehütetes Stück Natur, dieser Typus,selbstgenügsam und ohne aggressive Absichten. Die Welt ist ihmbeschlossen in der Erfüllung persönlicher Bedürfnisse, die zuverfeinern seine Entwicklungsmöglichkeit enthält. Ungern nimmter große Anstrengungen auf sich, zumal er sie meist als unnötigbetrachtet. Da das Schwergewicht dieser Anlage im Unbewußtenruht, dauert es geraume Zeit, bis alle Schichten des Wesens sichmit einer neuen Sache identifiziert haben und ein existenzwichti-ger Entschluß reif ist. Nur Lustreize lösen mitunter rasche Reak-tionen aus. Erhaltung seines Soseins im ungestörten Gleich-gewicht ist ihm oberstes Gesetz, dies meint: unabhängig, unbe-helligt von fremden Forderungen, in Bequemlichkeit seinenLiebhabereien nachgehen. Wenig beeinflußbar in den Anschau-ungen - die zwar zeitgemäß sein können, soweit es um Verbesse-rung der Lebensannehmlichkeiten geht -, wurzelt er, grundkon-servativ, bodenständig, im Althergebrachten und eigener Erlebni-stradition. Gewordene Tatsachen tragen für diesen Bewahrer desBestehenden heilige Patina. Kaum wird er je Reaktionär ausPrinzip sein, nur die Tempoverschiedenheit zu allem Sturm undDrang und pietätvolle Gefühle bringen ihn gegebenenfalls in denNachtrab der Geschichte. Laß ihn von greifbaren Früchten einesUmsturzes kosten und er wird sie genießen, ohne sich um revolu-tionäre Theorien zu kümmern. Innerlich Neues wächst diesemMenschen nur langsam zu; ist es ausgereift, so hängt er zäh daran

173

und wenn er mit dem Kopfe quer zur ganzen Welt liegt. Was ihnumgibt, muß, seinen gewachsenen Eigenwert stützend, ihm ver-traut sein. Jeder Schritt vorwärts wird darum ernst und gewichtig.Tiefer als andere ist er in seine Physis verstrickt. Sogar an ihnherangetragene Ideen kostet sein Unbewußtes gleichsam mit derZunge aus; das Kriterium, über das seine wesensmäßige Erden-schwere verfügt, liegt im Geschmack, der Sicherheit wählendenInstinkts: so und nicht anders paßt dies zu dem. Wünsche betref-fen reale Dinge und sind im Grunde unkündbar, mag die Erfül-lung sich über Jahre verschieben,-, beharrlich wird er die sichbietenden Gelegenheiten verfolgen und manchmal durch Nicht-handeln, durch passive Resistenz gegen Anderswollende, errei-chen was er will. Dies alles geschieht völlig naiv. Heikle Dingeumgehend, treibt er sich selber gegenüber etwas Vogel-Strauß-Politik: «was ich nicht sehe, ist nicht da» heißt sein Abwehrmit-tel gegen Unlustbetontes, Häßliches, gegen Leiden und Verzicht,die vom Gegenprinzip - geradezu aufgesucht werden.

Genießende Auffassung, empirisch gebunden, bildhaft-symbo-listisch und die Dinge in der unversehrten Massivität ihres An-schaulichseins nehmend, Realismus mit Sinn für die Poesie derTatsachen, schwer erregbar, behäbig an Verhältnissen und Ge-wohnheiten haftend. Natürliche Maßstäbe, naiv lustbetont aufstabiler Basis, auch bei hochentwickelter Intelligenz im Wesent-lichen nicht intellektbestimmt, langsame Stellungnahme, konser-vierender Zug. Vom Ästhetischen her differenzierbar undlenksam, sonst schwerfällig.

Auf das Prinzip der Eroberns folgt in der Kreisordnung dasje-nige der realen Landnahme. Es enthält das Fußfassen im Materialder Keimenergie, das Sichern von Elementen zum Aufbau, dieBefestigung der Form, die Assimilation von Stoff als Grundle-gung des organisch Wuchshaften. Die Vermessung des damitumschriebenen Bewegungsraumes, seiner Grenzen und Zustän-digkeiten, gehört zum erdhaft Fixen ebensowohl als das Bedürf-nis nach unangestrittenem Eigentum. Das «Venusische» pflegtBeziehungen, wenn sie nach Wunsch liegen, mit gefälligem, ja

174

zärtlichem Takt. Ein so bestimmter Mensch wünscht mit seinerUmgebung in Frieden zu leben und läßt jeden gewähren, der ihmnicht zu nahe rückt: etwas wie Respekt vor der Persönlichkeitgeht daraus hervor. Kämpfen wird er nur in der Notwehr, Kritikäußert er im nicht-Hinhören, tut, als habe er nicht verstanden. Esbedarf erst mehrfach aufeinandergesetzter Reize, Verletzungenseines Selbstgefühls und Glaubens, faktischer übergriffe auf seinRecht, um ihn aufzubringen. Dann allerdings kann friedfertigeGeduld in jähe Wut umschlagen, elementar brechen die gestautenAffekte los und er stampft nieder, was sich in den Weg stellt. Beikomplexhaft begründeten Empfindlichkeiten ist manchmalschwer vorauszusehen, welches harmlose Wort als rotes Tuchwirkt. Normalerweise muß diesem Realisten ein lockendes Etwasvor Augen stehen, um ihn in Bewegung zu bringen; seine Artvon Ehrgeiz hat durchaus praktische Ziele. Zum Lustmotiv trittGewohnheit als wirksame Macht und so gewöhnt er sich an ge-regelte Arbeit, wenn er weiß, wofür; ins Joch gespannt wird erzwar langsam, doch treu ausharrend Stück für Stück sein Pensumabackern, sogar sich Routine erwerben. Schwer fällt immer nurder Anfang, die Bewältigung von Unerwartetem, das Erlernenneuer Methoden. Fast unmöglich ist es ihm, zwei Dinge zu glei-cher Zeit zu tun, er will ungeteilt beim Gegenstand bleiben. Ob-zwar voller Lebenserwartungen und gesegnet mit konkret umris-senen Ansprüchen, kann er diese, ihm selbst zuweilen nur dunkelbewußt, lange im Hintergrund halten. Dies bedeutet alles andereals Askese, eines Tages verlangt er die Realisierung. Seinescheinbar entsagende Geduld war die nun durchgekostete Vorlustder Erfüllung. Dieser Typus meint nicht Ideale oder Willensziele,keine «Dinge an sich», sondern «Dinge für mich»: genau diewunschhaft aufkeimende, in der Vorstellung gehegte Wirklich-keit. Im Bereitsein dafür kann er die geeigneten Bedingungenschaffen, schwer aber sich vorzeitig über den Gegenstand aus-sprechen.

Bedächtiger Ausdruck, von der empfundenen Schwere des Ge-halts verzögert, meist reserviert doch ruhig sicher, auf unbe-kanntem Boden schwerfällig, manchmal unbeholfen. Alles

175

andere als ein Blender, will nicht mehr sein und gelten als er ist,nichts bloßer Wirkung halber tun und sagen. Naturfrisch, ehertreuherzig oder bauernschlau-verschmitzt als geschickt für Kon-ventionslügen, im differenzierteren Falle ästhetisierend-taktvoll,verschwiegen. Starke Stimme mit samtweichem Grundton.

Pflanzliche Natur ist diesem Typus erdgebundener Echtheitwesensverwandt - meist ausgesprochene Blumenliebe -, ein ge-mächlicher Assimilationsprozeß sein Werdegang. Er kann durchdie Mitwelt gelegentlich verführt, doch nie ganz verbogen wer-den. Infolge der Passivität gibt es stumme, heimliche Niederla-gen und aufgedrungene Verzichtleistungen, verpaßte Möglich-keiten und Überrumpelungen des Gemüts. An solch Vergange-nem haftet er komplexmäßig. Dies Lasten im Verlorenen bildetdie Gegenrechnung des immer bereiten Lustverlangens. NeuHinzutretendes, und sei es glücklichstes Erleben, verschmilzt nurlangsam mit Altgewohntem zur Einheit, das Eingeordnete undVerarbeitete jedoch wird unveräußerlicher Besitz. Die materielleLebensgrundlage hat bei diesem Typus immer einen für dasSelbstgefühl symbolischen Wert; wichtiger als geistige Origina-lität gilt den meisten eine regelmäßige Einnahme, die frei machtzum Ausbau einer persönlichen Lebenskultur. Von sinnlicherAnschauung aus, in gesunder Natürlichkeit und Frische des Emp-findens, nicht durch abstrakte Begriffe, wächst er zu Eigenemund wenn er sich in Theorien begibt, schafft er ihnen Hand undFuß.

Untertypen. - Wenig extremistisch-einseitig hervortretend;auch der Wirtschaftsmann ist selten ganz ohne musische Emp-fänglichkeit, umgekehrt weiß auch der Künstler den realen Ertragseines Schaffens zu schätzen. Dies läßt sogar manches Talentuntätig schlummern in einer Zeit, die seiner lukrativen Auswer-tung ungünstig ist. Anderseits gibt es zuweilen eine ästhetischüberzüchtete Passivität, sozusagen den Maler, der die Bilder sei-ner Träume ungemein schöner empfindet als alle, die er malenkönnte, und deshalb nicht malt. Erscheinungsmäßig geht die Rei-he der Untertypen von dezenter Eleganz bis zum tölpelhaft Klot-

176

zigen - es gibt auf niederem Niveau dumpfe Genießer, die wieein vergessenes Stück Urwelt in die Gegenwart hereinragen -, dieMitte liegt im Soliden. Der sorgsame Umgang mit Geldeswerthat manchmal nur eine Lücke: das private Vergnügungskonto.Aus diesem Grunde kommen unter diesem Prinzip der Zuverläs-sigkeit und Treue gegebenenfalls Defraudanten vor. Normaler-weise findet sich aber der geborene Verwaltungsmann, Schatz-hüter und Vormund, der Treuhänder im wahren Sinne des Worts.Häufig begünstigt bäuerliches Erbe, daß die Bewahrkraft desPrinzips einem übernommenen Besitz gilt, übertragbar auch aufGemeinbesitz. Manchmal geistige Festsetzungen, die entgegender sonstigen Toleranz mit dogmatischer Unduldsamkeit vertei-digt werden, «fixe Ideen»; meist findet sich dies bei Traditions-hütern auf das Basis komplexhaft gebundener Gefühle, würdeman ihnen solche Stützen wegnehmen, so bliebe eine anarchischeGrundhaltung übrig. Bei anderen konkretistische Vereinfachun-gen, welche die Erscheinungsfülle aus einem einzigen realenNenner abzuleiten sucht, «wissenschaftliche Eintopfmethode».

Tief im Unbewußten verborgene Leidenschaften können, ein-mal erweckt, diesen Typus zur Gänze ergreifen. Auch in der Lie-be Realist, wirbt er ohne übergroßen Aufwand oder schwärme-rische Idealisierung, nur in Vorstellungen erhofften Glücks zu-weilen ausgiebig sentimental. Seine heharrlichen Gefühle ver-mögen Zeiten der Trennung zu überdauern. Die gebundene, stilleErwartung ergibt Frauen, die erraten und in der Stunde ihres Blü-hens erfaßt sein wollen, nach außen vielleicht Aschenputtel undinnen verwunschene Prinzessin, oder Männer, die in Gegenwartder Geliebten, umfangen von deren Unmittelbarkeit, schwer zumAusdruck ihres Beteiligtseins finden, wenn sie nicht wenigstensden kleinen Finger darreicht - sogar ein Ritter Toggenburg kannaus diesem genußfrohen Prinzip hervorgehen! -, mancher wie-derum läßt sich zu viel Zeit, bis er seine Werbung aussichtsreichreal fundiert glaubt. Im Hinnehmen der Erfüllungen direkt, un-kompliziert und instinktfrisch.

177

Berufseignung. - Bei jeder Art Studiengang sind Trägheiten,oft auch Begriffsstutzigkeiten zu überwinden; eingewöhnte Me-thode, klare Ordnung und Folge der Gegenständlichkeit, festePflichtenregelung und gesicherter Ertrag erziehen jedoch meisteinen pünktlichen, verlässlichen Arbeiter, der sich in seinem ge-messenen Tempo durch nichts beirren läßt. Wenn nicht eine per-sönliche Sonderbegabung durchschlägt, ist er am besten aufge-hoben in Berufen, bei denen es auf gleichmäßige Abwicklungenmit Verantwortlichkeit für bestimmte Dinge ankommt Verwal-tungen und Finanzämter, Materialläger, Museen, Personalbüros,Bibliotheken -; Studium wendet sich einem lukrativen Fach zu,soweit nicht der Gegenstand einen «Liebhaberreiz» ausübt - Nah-rungsmittel- und Farbenchemie, Botanik, Archäologie, Kunstge-schichte -. Oft zeigt sich eine mathematische Begabung, einDenken in festen, berechenbaren Größen, Maß und Gewicht; siekommt dem Statiker, Geophysiker und Mineralogen zustatten,kann sich aber auch mit wirtschaftlichem Realitätssinn verbindenin Finanzoperationen. Im Kaufmännischen neben gediegener Ge-schäftsführung meist Bindung an ein bestimmtes Material, etwaTextilien, Musikalien, Haushaltgegenstände. Wer eine Scholleerbte, wird kaum wegzubewegen sein, auch haftet der Landwirt,Obst- und Blumenzüchter dieses Typus an altbewährten Metho-den. Dieser gärtnerischen Tendenz gemäß erfassen Kindergärtne-rinnen ihren Beruf wortgetreu als Pflanzstätte heranwachsendenLebens, auch soziale Betreuung, Landerziehungsheime unddergl. können so verstanden werden. In reinster Ausprägung be-währt sich dies Zeichen als Hort künstlerischer Begabungen,entweder im Raum-, Farben- und Formgefühl eines urwüchsigbildnerischen Talents oder im stimmlichen Ausdruck, im Gesang.Die Verbindung von Geschmack mit realem Zweck sichert demPrinzip einen Hauptanteil am Kunstgewerbe - Plakatkunst, Ke-ramik, Weberei, Innendekoration - und an der Mode.

Obzwar viele in die ganze Schwere der Materialität versinkenund auf unteren Stufen der dumpfe Genießer entsteht, darf mannicht von einem schlechthin ungeistigen Typus sprechen. Erbraucht nur in allem festen Boden unter den Füßen, lehnt unsi-

178

chere Experimente ab und beharrt im soliden Ausbau des Gege-benen. Von gesicherter Grundlage aus wird er, übertriebenen An-strengungen anderer zuschauend, mit bildhaft plastischem WitzStellung beziehen. Nicht wenig Humoristen gehen aus diesem imGrundton sonst melancholischen Prinzip hervor. Überwinder ih-ren eigenen Schwere. Meist besteht vom Unbewußten her einHang zu religiösen Überlieferungen, ohne diese vom praktischenLeben zu isolieren. Dieser Typus läßt in allem «die Kirche beimDorf»: muß er waghalsige Abstraktheiten überklettern, die ihn alsleerer Schein anmuten, so droht ihm etwas wie geistige Berg-krankheit. Was er von Ideen erwartet, sind verläßliche Regeln fürWirklichkeiten. Liebe zur Natur in ihren ruhenden Formen - imsympathetischen Bezug mehr ein Mensch der Ebene - entsprießteiner Seele, die selbst etwas Landschaftliches hat: Bereitliegenvon latenten Möglichkeiten, über deren Entfaltung äußere Bedin-gungen oft mehr vermögen als eigene Dynamik. Gering ist derentwicklungsmäßige Aufwärtsdrang, Stagnationen sind häufig,selten finden sich Neuerer, umso mehr Bewahrer von Kulturgut.Manches Leben genügt sich an wenig einfachen Bildern, imSelbstbewußtsein beschränkt darauf, sich, so wie man ist, alsnicht wegzudenkenden mathematischen Punkt im Raum zu wis-sen. In das Kind eingesenkte Vorurteile, durch Verhältnisse be-wirkte Mängel sind oft zeitlebens nicht ganz wegzubringen,andererseits erstellen früherworbene Formen des Umgangs, äs-thetischer Bildung, Gewohnheiten verfeinerter Lebensart denbleibenden Rückhalt einer Eigenkultur, in der jedes Ding seinenbestimmten Platz hat. Das Grundmotiv der Lust erzielt wohl dieeinzigen Sprünge in der sonst gelassenen Fortbewegung auf kon-stanter Bahn, reguliert aus dem eingeborenen schlichten, natürli-chen Maß.

179

(Das geistig Fluktuierende(luftiges, labiles �-Zeichen)

Unbeständige Vitalität, Zeiten hastigen, gespannten Einsatzeswechseln übergangslos mit solchen nervösen Beirrtseins, mo-mentanes Anfachen und momentanes Aussetzen des Schwungs;geistige Regsamkeit sowie körperliche Agilität geben der Hal-tung lange etwas jugendliches, leben aber meist zu flüchtig überdie vegetativen Vorgänge hinweg; Gefahr der Nervenüberrei-zung, ihr vorzubeugen sind Ruhepausen erklärungslosen An-schauens, Gemütsausgleiche, geregelte Atemführung nötig.

Unstet hüpft ein Wesen hin und her zwischen Möglichem,Denkbarem und faktisch Vorhandenem. Bei jenem ergeht es sichim freien Fabulieren, bei diesem sucht es Sachverhalte in ihrerVeränderlichkeit zu erhaschen. Die Dinge sind diesem Typusteils der interesseweckenden Spannung halber und teils als Be-weisstücke da, ihr Fürsichsein zerlöst sich in begriffliche Rela-tionen. Unaufhörlich ist der Verstand beschäftigt. Jedes seinerUrteile legt einen Schnitt quer durch die Wirklichkeit, die mor-gen ein anderes Gesicht darbietet oder an anderen Maßstäbengemessen, nach anderen Zwecken ausgerichtet wird. Immer wie-der sieht sich dieser vielgewandte, vielgeschäftige Typus ge-drungen, die Stellungnahme zu ändern. Erfolgt kein Anstoß dazuvon außen, so sucht seine Unrast dem Äußeren neue Blickwinkelabzugewinnen. Springlebendige, nervenwache Situationserfas-sung kreuzt sich mit einem manchmal lebensfernen Schwarz-Weiß der Begutachtung, die schlichte Tatsachen in Effekte be-rechnenden Scharfsinns, vor allem in erzählbaren Stoff verwan-delt. Zusammenschau ist nur auf begrifflicher Basis möglich.Liegt ihm die Welt nicht total im Zwiespalt, dann trägt er Wider-sprüche hinein, durch die sein Geist vorwärts kommt. Naturver-bundenes reißt er auf, denn vor eine nahtlose Einheit versetztliefe die geistige Ein- und Ausatmung und damit die entwickeln-de Differenzierung - sonst leer. Im Erproben und Anwenden sei-

180

ner Urteilskraft treibt er ständig Großes wie Kleines - die Dimen-sionen oft verwischend - durch die Mühlsteine nützlich und un-nütz, gut und böse und sondert die Produkte nach Verwendungs-zwecken. Die Eigenfarbe der Dinge entweicht in der dünnen Luftder Begriffe, mit denen er sie etikettiert. Intensiv den Augenblicknutzend, gesprächig, neugierig, wendig und witzig, quecksilbrigist ein Mensch dieser Anlage im beredten Entweder-Oder, Fürund Wider, im Wandel und Wechsel des Blickfeldes zu Hause.Seine Urteilsfindung befaßt sich weniger mit «letzten Dingen»wie unter dem Gegenzeichen . geschieht, als mit dem Nahestenim sensationellen Augenblick; auch ihm steht dabei etwas aufMessers Schneide, doch nicht innere Tat-Entscheidung, sonderngeistreich vordergründige Interpretation oder Herausziehensichtbaren Nutzens.

Abschätzende Auffassung, intellektuell-flattriges Angespro-chensein, logisch-folgernd und praktisch, doch ablenkbar,reizhungrig auf das Neue aus, lebhaft, rasch und unbekümmertim Urteil, womit eine Sache meist schon erledigt ist. Im Bewußt-sein der Vorläufigkeit solcher Urteile auch Hinausschieben end-gültiger Stellungnahmen, heiter beschwingte Ironie. Meistfrühreifer, leicht anregsamer, Probleme aufwerfender und derenLösungen flüchtig anskizzierender Geist.

Mit dem Vorwärtsdrang und der Erdschwere der ersten beidenPrinzipien ist ein Widerspruch gesetzt, dessen entwickelndeSpannung in der Pendelbewegung des dritten ihren Auslauf fin-det. Eine «merkurisch» aufgespaltene Welt, die labile Beweg-lichkeit ihrer Momente auf die geistige Ebene projiziert, ergibtdie »Zwillingssituation« im Menschen: Wechselrede mit sichselber, Position und Negation, wie Bälle hin und her geworfeneInhalte eines fiktiven Streits, wobei jeweils einer der Kontrahen-ten recht behalten muß, damit das diskursive Denken weitergeht.Seine durchgehende Bewegung stellt sich als logischer Fadendar. Bliebe es beim Gespräch mit sich allein, so läge diesem Ty-pus allzunahe die Gefahr fingierten Wahrheiten, der «Spiegel-fechterei»: begreiflich sein Bedürfnis nach wirklichen Ge-

181

sprächspartnern. Trotz geschliffener Argumentation findet manjedoch häufig jenen verkappten Primitivismus, der den Partnerfür eine nach außen getragene Selbstdiskussion mißbraucht, ihn,ob er will oder nicht, hineinzieht in ein logistisches Florettspiel,bei dem ihm die gültigen Stiche vorgemerkt sind: das Du sollangreifen, was das Ich abzuurteilen gesonnen ist und bekräftigen,was diesem bejahenswert, aber noch nicht ganz gesichert scheint.Es gibt Liebhaber des Debattierens, die beim Nächstbegegnendendasselbe Argument, das sie eben noch lebhaft bestritten, nun be-denkenlos als eigenen Trumpf verwenden. Erst der entwickeltereTypus (Aussagegrenze!) ist reif zum Geschmack an objektiverBeweisführung, gibt einen Irrtum auf seiner Seite oder ein10berzeugtwordensein zu. Bei ihm findet man dann das nachbar-lich-geschwisterliche Verhältnis zum Mitmenschen.

Leichtflüssiger Ausdruck, Einfälle hervorsprudelnd wie sie ge-rade kommen, mitunter naseweis, ehrfurchtslos, immer frisch,lebhaft und wendig. Bewegt sich gern in Superlativen, doch diesummarisch hinauflobenden Zustimmungen und kraß abfälligenVerurteilungen sind aus der Situation geboren; was heute gesagtist, braucht morgen nicht zu gelten. Von solch grellen Kontra-sten, in denen sich die Zustandsänderung spiegelt, stechen listigeZweideutigkeiten ab. Differenziertere streben nach geschmeidi-ger Beweisführung in Konditionalsätzen, die vielerlei Abschattie-rungen einzufangen suchen.

Naturfremd, mehr städtischem Leben verbunden, ist, wessenPersönlichstes in der Reaktionsgeschwindigkeit von Mensch aufMensch und der Logisierung ihres Verhältnisses lebt. Hier findeter sein Klima: Intensivierung des Verkehrs, Umlauf von Neuig-keiten, vielerlei Bildungsstätten und Gelegenheiten der Unter-haltung, unsentimentales Umspringen der Interessen. Gegebenen-falls ist jeder dem anderen Nachbar und doch im Eigentlichenallein. Stille, stumme Versenkung paßt nicht zu diesem Typus. Erbraucht bewegte Oberfläche, jagt Spannendem nach, will mittei-len; die Seichteren sind schlechthin Nachrichtenträger und Wet-terfahnen des Gemeingeistes. Meist geschäftstüchtig, rührig,

182

findig, auf seinen Vorteil bedacht und in schlechten Exemplarenverschlagen, beurteilt er allgemeine Verhältnisse vom Fort-schrittsoptimismus aus. Seelisch atmosphärenlos geht er von Be-griffen zu Tatsachen über und umgekehrt, immerwährendbeschäftigt und angespannt. Hochgezüchtete Intelligenzen ver-fallen oft der bindungslosen Selbstbewegung des Verstandes. Ih-re interessierte Teilnahmslosigkeit und Klarsicht speist denLebensstil der Ironie; die gläubige Einfalt des Pathos aus demGegenzeichen wird von diesen Eulenspiegeln aufs Glatteis ge-lockt, um am Ausgleiten selbstsicher gewordener Größe sich zuergötzen. Andere pflegen überraschende Wahrheiten in zart do-sierter Form anzubringen, wenn auch häufig solche mit doppel-tem Boden. Die Dinge ernst betrachtet, bleibt als Aussage nur diejeweils praktisch richtige Fiktion übrig, sofern die Welt nicht alsgroß zugeschnittener Dualismus - Geist und Materie, Antago-nismus von Gut und Böse usw. - ausgelegt wird. Diese Intelli-genzen betätigen sich, wo Grundurteile bereits gefällt undlediglich herantretenden Erscheinungen ihr Platz im fertig ge-dachten System anzuweisen, ihre Verwertbarkeit auszukalkulie-ren oder Anwendungsfälle lehrhaft zu übermitteln sind. Gegendie Inhalte (Ergebnis aus Zähler Umwelt und Nenner Familie-nerbe, Aussagegrenze!) ist dieses Prinzip indifferent, es geht beiihm nur um Verfeinerung des Denkinstruments. Moralischer Pu-rismus kann in mitleidloser Verteilung von Licht und Schattenein Gottesgericht dantesker Schärfe abhalten; dieselbe Tendenzgreift in politische Scheidungen, propagandistische Ankurbelun-gen, Parteireinigungen usw. ein; als Feind alles Verschwomme-nen und Ungefähren, praktische Einfälle logistisch auswertend,spellt mancher wissenschaftliche Sachverhalte auf, und wer einHandwerk ausübt, tut es mit Freude an findiger Nutzbarmachungder Materie. Die Dinge bekommen in diesem Prinzip etwashauchartig Durchscheinendes, Zeichenhaftes, Allegorisiertes, sieschillern in Bedeutungen, die zuweilen - wenn subjektiv willkür-haft - einer gebrechlichen Konstruktion entstammen, bei gegebe-nen Voraussetzungen aber Schlaglichter eines inspiriertenWeltblicks aufblitzen lassen.

183

Untertypen. - Die Doppelnatur des Prinzips erhellt aus zweideutlich unterscheidbaren Spielarten, einem mehr realpraktischeingestellten, meist etwas gröberen, und einem mehr feingeistigeingestellten Menschen, dem eigentlichen «Intellektuellen». Dererstere stellt die Nützlichkeitsfanatiker in Wirtschaft und Tech-nik, der Akzent liegt bei ihm auf möglichst intensivem Umsatzvon materiellen Werten. Unter dem zweiten findet man die Er-zähler spannender Geschichten mit glasklar durchgeführter Fa-bel, durchsichtiger Rollenverteilung und wohlvorbereitetenPointen, den Zuhörer beständig über den Ausgang im Zweifelhaltend, trotzdem er des happy ends sicher sein darf. Ists nichtwahr, so war es doch gut erfunden. Die Beziehung zum Schön-geistigen kann auch, dem wissenschaftlichen Motiv folgend, indie Widersprüche, Zweischneidigkeiten, den Doppelsinn literari-scher Werke, sowie die Lebensgeschichte ihrer Autoren hinein-leuchten. Eine kühl versachlichte Abart tritt im reinen Begriffs-menschen auf, dem die Welt - gleich, welches Gebiet er wählt einVorwand für die Schärfe, mitunter Lieblosigkeit seiner Unter-scheidungen ist und alles Erscheinbare zu Zahl und Zeichenwird. Schließlich trifft man ausgesprochene Doppelbegabungenvon Manuellem und Intellektuellem an, sozusagen Zwitter undproduktiv aus ebendieser Zwitterstellung.

Länger als andere behält dieser Typus etwas vom Zustand derPubertät: Gefühle mit ideologischen Vorzeichen, sprunghaft,zappelig, rasch von einem Menschen eingenommen, rasch ihnfallen lassend. Zuweilen verwechselt er mit zwingender Leiden-schaft, was mehr Nervenerregung aus der Fiktion einer solchenist; andererseits gibt es spiritualisierte Neigungen geschwisterli-cher Nähe, die manchmal fester halten als rein eros-gegründete.Die Pendelung der Gefühle treibt nicht wenige, zwei Eisen imFeuer zu halten und bindender Entscheidung zu entgehen. Nichtselten trifft man auf den grazilen Backfisch - auch dreißig Jahreund darüber -, ein scheinbar der Stoffschwere und animalischenBlutswärme enthobenes Kobold- und Elfenwesen; bei ihm gibt eskein ja ohne mögliches Nein im Hintergrunde und umgekehrt.Männliches Gegenstück ist der geistige Don Juan, der große Be-

184

törer mit Worten; durch fesselnde Gesprächsfäden spinnt er seinePartnerin ein, mit dem Erfolg ist seine Teilnahme schon verflo-gen. Soll unter diesem Zeichen beständige Zuneigung entstehen -kein nur auf Vorteile gegründeter Vertrag -, so muß sie sich inden Wechselfällen eines gemeinsamen Werdegangs immer neuentzünden und bestätigen.

Berufseignung. - Die Sicherheiten beharrlich begangener,gleichmäßig-gradliniger und traditioneller Wege können hiernicht erwartet werden, wären der neugierigen Unruhe und öfterenKonzentrationsflucht dieses Geistes auch reizlos. Beide Unterty-pen kommen vorwärts durch raschfertige Definition der Lage,Auffinden des Vorteilhaften, sie liefern zuweilen Schnelligkeits-rekorde in Beurteilung und Durchführung ihrer Aufträge.Brauchbar daher in Berufen, bei denen es auf Spürnase, schlüssi-ge Ableitung aus vorgefundenen Prämissen, Ausnützung sichbietender Gelegenheiten ankommt. Kaufmännische Agenten undReisende, Händler und Verkäufer, Reporter und Rechtsanwältedieses Typus sind im Erfassen der Situation und der Überre-dungskunst nicht auszustechen. Sprachlehrer können das Idiomwechseln wie einen Rock, Detektive, Diplomaten wissen die kür-zeste Verbindung zwischen vorliegenden Beweisgliedern herzu-stellen. Unter Psychologen findet man glänzende Diagnostiker,denen es weniger auf den Ideengehalt ihrer Methode als daraufankommt, was sie praktisch leistet in Hinsicht auf damit ver-folgte Zwecke. Bei all diesen bildet oft Flüchtigkeit die Kehrseiteder leichten Auffassungsgabe, im Studium ist auf tiefere Fundie-rung zu achten. Berufswechsel ist nicht selten. Technisch interes-sierten Köpfen entspringen Dinge wie Meßapparate, energiespa-rende Vorrichtungen usw., die kleinen aktuellen Nützlichkeiten,im Großunternehmen die rationelle Betriebsgestaltung. Das Ver-hältnis von nutzender Intelligenz zum Apparathaften kann auchdem eigenen Körper gegenüber Anwendung finden; am Trapez,in den Handgriffen des Jongleurs, auf dem Tennisplatz siegtnervlich angespannte Beherrschung des Augenblicks, und nichtnur der Zauberkünstler schlägt den Augenschein durch Ge-schwindigkeit, auch beim Reifenwechsel auf der Rennbahn gilt

185

es zu «zaubern». Die Neigung zu fingerfertigen Tricks führt denMusiker zum Virtuosentum. Was in der Malerei oft stört, das«Literarische», wird bei den mit dem Wort Umgehenden zur ei-gentlichen Begabung, auswertbar vom Nervenkitzel der Kolpor-tage bis zum psychologisch feingesponnenen Roman, zurprägnanten Kurzgeschichte. An dieser Erzählerkunst hat noch derHistoriker in seinen Menschenschilderungen teil. Zu Naturwis-senschaften nur vom Rechnerischen her Beziehungen, darin aberausgesprochene Begabungen.

Wer geistige Werte nutzvoll in Umsatz bringt oder auch nurLangeweile aus der Welt schafft, wer mit Zahl, Wort und Schriftzu tun hat, ausrechnend, oder berichtend, mittlerhaft oder wer-bend, wird dies Zeichen schwer entbehren können. Das Findige,Fintenhafte, klug am logischen Faden Abgespulte, plausibel Ma-chende verträgt sich nicht mit Mysterium und Mythos. Es reichtbis zur allegorischen Auslegung und dient aufklärenden Absich-ten, auf den unteren Stufen für Herumspionieren und wichtigtue-risch aufgemachte, undelikate Enthüllungen eingesetzt. InGeschmacksfragen entsteht Raffiniertheit oder aber Indifferenz.Verfeinerungen dieses Typus haben eine besondere Art von Äs-thetisierung des Lebens: skeptisch gegenüber bloß Kreatürli-chem, tun sie das unmittelbare Trieb- und Sinnenerlebnis als einwenig primitiv ab, erst die Transformation und der Blickpunkt,unter dem es zu betrachten sei, macht es ihnen lebenswert. Sosteht neben spiritualisierter Sinnlichkeit, hart sich dagegen ab-grenzend, puritanische Sinnenfremdheit. In moralischen Fragenfehlen die Zwischentöne zwischen Laxheit und unnachgiebigerStrenge, je nachdem, wie die Grundurteile liegen. Doch bei allemgibt es auch Fluktuation zwischen den Extremen, Zwitterhaftig-keit, unschlüssige Schwebe; hier setzt das Spielhafte an, derReiz, schwarz aus weiß zu machen und umgekehrt.

186

)Das seelisch Schöpferische

(wäßriges, kardinales �-Zeichen)

Stoffhungrige Vitalität, ansaugend und verarbeitend, schwachim Einsatz, doch nachhaltig im Umsatz des Verfügbaren, um-schaltebedürftig, wandelbar in den Zuständen je nach Intention,ungleichartig in den Leistungen; bei überwiegend passiver Hal-tung eine vegetative Fruchtbarkeit; wetterfühlig und auch sonstempfindsam, korrespondierend mit hohem Grade von Beeinflus-sung des Körperlichen durch die Seelenlage, wichtig daher auto-suggestive Steuerung.

«Es» - die Lebensgrundstimmung - lebt sich in diesem Typusdar nach einem seinem Bewußtsein zunächst verborgenen Ge-setz. Ein Suchender, ein Träumer und wenn er über seine Gabenverfügen lernt, ein Gestalter. Die empfängliche Passivität undheimliche Frage seines Verhaltens gibt dem Ausdruck oft etwasUnsicheres, das Bestätigung vom Gegenüber zu erwarten scheint,seine reflexive Einstellung schwächt die Richtungsbestimmtheitder Trieb- und Stoßkraft. Gemessen an dem, was er alles in derPhantasie schon vollbracht hat, ist die äußere Durchsetzung oft-mals dürftig. Ein nüchterner Beobachter wird feststellen: Wech-sel in den Interessen und Neigungen, Wandertrieb trotzandererseits vorhandener Liebe zum eigenen Heim, vielseitigeBeschäftigungen, aber schwankend und inkosequent, im Ansatzdes Handelns unentschieden, mangelnder Nachdruck, Auswei-chen vor harten Notwendigkeiten. Reicht die Selbstbeurteilung -konventionelle Wertungen aufgreifend - nur bis dahin, so ver-stärkt sie die Befangenheit beim Vergleich mit Anderen, derenWelt viel früher gültig geformt und abgeschlossen ist. Kein ande-rer Typus zerrt sich so häufig vor den inneren Richterstuhl, plagtsich so mit Skrupeln über Wollen, Können, Müssen, Dürfen.Hier entscheidet sich sein Kostbarstes, denn die kardinale Fragegilt der eigenen, unverfälschten, gefühlsunmittelbaren Lebens-melodie. Erklingt sie rein - im Falle der Genialität -, so durch-

187

wirkt sie die Formenfülle erlebter Welt mit Bezügen auf den Le-bensgrund und -ursprung; das stückweise Fürsichsein der Dingehebt sich darin auf, als Symbole und Gefühlswerte verschmelzensie zum Ganzen. Menschen beschränkteren Formats leiden andem Mißverhältnis übernommener Meinungen, die sie nicht ver-dauten, Maßstäbe, in die sie nicht hineinpassen, und andererseitseinem Zuviel an Eigenem, das wegen seiner Romantik in der«Normwirklichkeit» nicht untergebracht werden kann. Sie tragenoft Phantasmen hinein, holen Enttäuschungen heraus, stoßen je-denfalls zusammen mit Dingen, die von den meisten bedenkenlosbewältigt werden. Einige ziehen sich kleinmütig in ihr Schnek-kenhaus zurück. Unergründlich sind auch sie, insofern aus Wur-zeln lebend, die wie alle Wurzeln im Dunkel ihren Dienstverrichten. Doch was daraus ans Helle kommt, entbehrt dertraumsicheren Zuversicht des Genialen und sucht sich auf derLinie des geringsten Widerstandes zu verwirklichen. Viele gera-ten so in Abhängigkeit von äußeren Bedingungen. Ihr gleichwohlgepflegtes seelisches Eigenreich ist mehr ein Gebiet des Rück-zugs vor objektiven, sachlichen Ansprüchen, denen am bestendie Menschen des Gegenzeichens / genügen.

Einfühlende Auffassung, locker gemütsbewegt, weit, ganzheit-lich umfassend, im Einzelnen oft unscharf, anregungsbereit-phantasievoll, intuitiv. Beeinflußbar infolge weicher, nachgiebi-ger Haltung und großer Empfänglichkeit für mitmenschliche At-mosphäre, auch Gefühlshaftung, doch immer willens sich beiÜberfremdung zurückzuziehen. Im Eigenrhythmus störbar durchernüchternde Eindrücke, Ausgeliefertsein mit Gegenreaktion derBemächtigung auf Umwegen.

In der Kreisordnung verlassen wir mit diesem kardinalen Prin-zip den engeren Bereich der Person und eröffnen den der breitenLebensmannigfaltigkeit. Hier ist keine Scheuklappenhaltungmehr möglich; Betonung der seelischen Ebene heißt sensitivesMitschwingen, die Kardinalität verlangt Schöpfen aus der Fülleund dieser gegenüber zunächst richtungslos, strebt sie auf deneigenen Lebensgrund und -ursprung zurück. Die Rückbeziehung

188

zur Herkunft (Aussagegrenze!) erschließt eine Vielfalt angeerb-ter, bei Vorfahren oft nicht zur Auswirkung gekommener Poten-zen. Auf breitester Front lebt der Mensch im immerwährendenGrenzübertritt von Innen- zur Außenwelt und wieder zurück.Sein Lebenshunger will sich am variablen Reichtum äußerer Er-scheinungen sättigen, sieht das Vorschwebende oft in idealemGlanze verklärt, nimmt das Empfangene auf in Erlebnisräumenunterschiedlicher Resonanz. Sein Streben geht danach, unterwandelbaren Zielen die innere Führungslinie zu gewinnen. Ausihr kann er die anregenden Eindrücke verwandeln in Bausteinezur eigengesetzlichen Ausgestaltung der latent mitgebrachtenMöglichkeiten. Im Zusammenfallen von Erleben und Gestaltengelangt er zur Einheit des Mannigfaltigen. So verwirklicht seinWerdegang die ureigene oder bei weniger ausgeprägten Indivi-duen eine schlicht volksliedhafte Lebensmelodie. Nur als Ganzerist er Ganzem vergleichbar, wogegen Einzelheiten, detaillistisch-sachlich unter die Lupe genommen, oft unklar, behelfsmäßig,unselbständig, fragmentarisch oder aber abstrus eigenbrötlerischund launenhaft sind. Darin liegt das Weh und Ach all derer, die -sozial behindert oder ungenügend entschlossen zum Eigenen -nicht zur Totalität ihres Wesens durchdringen: kühl betrachtetsprechen ihre Leistungen nicht unbedingt für sich, sondern wasdamit gemeint war, bedürfte vielfach mitgegebener Erklärungen.Manche kreisen als Trabant um ein ihnen unbekanntes Gestirn,andere leben sich der Mitwelt gegenüber ständig in Entschuldi-gungen dar. Die Unfähigkeit zu mechanisch-seelenlosen Ver-richtungen, der Widerstand, etwas nur der Form halber zu tun,machen richtig erfaßt die Stärke des Gemüts aus; sie können An-zeichen ungehobener menschlicher Potenzen sein. Um sie aberzu erschließen und auszuwerten, um in der sozialen Welt damitzu bestehen, muß dieser Typus den Weg vom «guten Wollen undMeinen» zum sachgerechten Vollbringen finden. Ein häufig vor-handener Hang zur Selbstverzärtelung hindert, sich anstrengen-den und langwierigen Prozeduren zu unterwerfen. Die Meistensind strebsam, wollen sich allseitig bilden, scheuen aber eiserneRegelmäßigkeit im Studium und schöpfen lieber «lunar» aus derEinbildungskraft. Es gibt daher viel Dilettantismus und wohlge-

189

meinte Abrundungen, wo Exaktheit erforderlich wäre. Anderer-seits sind sie voller Einfälle, sehen überall neue Ausblicke undMöglichkeiten. Die Frische ihrer Lebensinstinkte wittert die Ge-fahren eines starren Drehens im Kreise der Rationalität, entziehtsich dessen Festlegungen und wechselt lieber das Klima als Un-erlebtes weiterzutun. Nur was innerlich Wurzeln schlägt, haltensie zäh fest und sind bereit, dafür Opfer zu bringen.

Beseelter Ausdruck, gefühlsgetragen-melodisch, inhaltsmäßigmehr andeutend, unexakt, offen lassend, Vortragsweise oftschüchtern, daher wenig überzeugend, wenn der Stimmungstonnicht vernommen wird. Lebhaft überschäumend jedoch, sofernvon einer Schau erfüllt und des Widerhalls gewiß. Vor kritischenZuhörern leicht verschwommen, stammelnd, häufig Ex-amensangst und Lampenfieber. Große reaktive Biegsamkeitspontaner Äußerungen und Modulationsfähigkeit der Stimme.

Rückhalt, Anlehnung, Geborgenheit braucht dieser Typus inirgendeiner Hinsicht, da es im mannigfach Abgestuften, Viel-schichtigen keine Eigenschaft gibt, die nicht auch in der Gegen-farbe schillern könnte. So entscheidet auf den Achsenunbeständig-standhaft, gefügig-selbstwillig, feige-tapfer, was zurAngelegenheit der Eigenmoral wird, bei Verschwendung-Geiz,was für das Selbst einen Wert repräsentiert. Für das, was ihmwert gilt, kann dieser Typus schaffen, sparen, haushalten wiekein anderer. Die vorkommenden Wankelmütigen, Haltlosen, -Spielball momentaner Reaktionen - sind die seelisch Entwurzel-ten und Ungeborgenen. Die Dimension der Darstellung diesesWesens umschreibt sich im Verhältnis vom Wurzelboden zumEntfaltungsraum. Einen natürlichen Rückhalt bildet die Familie,vielen wird sie zum Raum bescheidener, gefühlvoller Selbstver-wirklichung. Auch wer die Verhältnisse der Herkunft, die Maß-stäbe der Kinderstube verläßt, trägt ihre seelische Mitgift in neuehinein, um dort mit ihr, locker angelehnt an das Vorgefundene,sein Eigenes zu gründen. Letztes Geborgensein sucht dieser Ty-pus in einem mehr universalistischen, als fachlich beengtenWeltbild; die Farben und Gegenstände dieses Bildes entnimmt er

190

Selbsterlebtem und so fallen Weltblick und Selbstgestaltung ineins; aus Sinnverstehen erwächst wieder Anleitung anderer.Hieraus bezieht sich der bei aller Schwärmerei der Jugend - unddieser Typus bleibt lange kindlich - mit wachsender Reife be-kundete lebenspraktische, vorsorgend verpflichtete Zug, eskommen Phantasten, aber kaum Ideologen vor. Lebensnähe stel-len vor allem die Gattungsinstinkte her, nicht nur im engerenFamiliensinn, sie finden in übertragenen Formen von Fürsorg-lichkeit und psychologischer Führung breitere «familiär»-persönliche Auswirkungen, den organischen Kontakt pflegendund steuernd.

Untertypen. - Dies Prinzip der Variationen bringt eine großeAnzahl von Spielarten hervor. Unmodern geworden sind dieweltfremden Schwärmer, die einander ins Stammbuch schreiben:Gefühl ist alles! Überschwang der Gefühle und Introversionsnei-gung haben sich auf irgendeine Weise mit einer versachlichterenUmwelt abzufinden. Die «Angst vor der Blamage» wird vielenzur Triebfeder, eine künstliche Extraversion zu züchten; über-pünktlich verrichten sie ihre Arbeit, beachten sie die Umgangs-formen, machen sie das Treiben der Umgebung mit. Da dies aberwesensmäßig falsch sitzt und mehr der Anpassungsgabe zu dan-ken ist, entstehen Unfreiheiten, psychogene Pedanterien,Krampfhaltungen usw. mit der Gefahr plötzlichen Versagens.Anders die selbstverantwortliche Sorgfalt etwa des jungen Arz-tes, der sich anfangs täglich am Schild seiner neu eingerichtetenPraxis: Dr. X. Spezialarzt für ... klarmacht, daß er den sagenhaftgewordenen Doktor der gesamten Heilkunde nun eingetauschthat gegen eine bescheidenere Pflicht. Natürlich gibt es, besondersauf dem Gebiet des Eros, bei der Ansprechbarkeit des Gefühlsviele mit guten Vorsätzen bepanzerten Ritter der Eigenmoral,deren Rüstung vor herantretenden Versuchungen immer wiederdahinschmilzt. Einen Schritt abseits findet man die seltsamenHeiligen, die nach lockerer Jugend später zu Anwälten sittlicherGrundsätze werden. Auf der Achse des Selbstgefühls entwickelnsich manche zu Autokraten, in denen anlagemäßige Nachgiebig-keit, Mitgefühl usw. sozusagen umgestülpt wurden zu einer

191

Schutzschale, die weitere Niederlagen und Enttäuschungen ver-hüten soll. Das Verwurzeltsein in Familien- und Stammes-eigentümlichkeiten speist oft Heimatliebe, zähen Patriotismusaus Kulturverbundenheit, aber auch provinzielle Altertümelei.Das meist gute Gedächtnis gibt der Tendenz zum Rückerinnernpersönlichen Stoff, manche gehen immer wieder vergangene Er-lebnisse durch, erforschen die Motive damaligen Handelns, hal-ten sie gegen die jetzigen. Weniger um Gewissensprüfung wiediesen geht es den Sammlern von Andenken, stummer Zeugeneinstigen persönlichen Lebens; darunter sind solche, die, was ih-nen durch Wirklichkeitsflucht verloren ging, kompensieren, in-dem sie sich ein romantisches Heim schaffen, angefüllt mitDingen voller Bedeutungsgewicht, für Fremde ein Kuriositäten-laden. Nicht vergessen seien die Geborgenheitssucher in religiö-sen Sekten, okkultistischen Vereinen, die am Stimmungsreiznaschenden künstlerischen Dilettanten, die häuslichen Tyrannender Zärtlichkeit - solche und andere Abarten sind immer als et-was schrullige Ausdrucksformen echten Suchens und Fühlens zuverstehen. Bei der Kunstschöpfung, vor allem in Musik undDichtung, heißt das Problem, den hervorquellenden Lyrismus desErlebens in eine gültige Form zu gießen; die sensible Anregsam-keit bewegt sich hierbei auf der Achse vom eigenständigen Ver-arbeiter zum Plagiator. Die Gestalt des fürsorglichen Hausvatersschließlich kann sich übertragen auf verschiedenste Unterneh-mungen, denen er vorsteht, verarbeitete eigene Irrungen und Wir-rungen werden umgesetzt in verständnisvolle Anleitung vonSchutzbefohlenen.

Der Wandertrieb dieses Typus erstreckt sich auch auf Bezie-hungen zum anderen Geschlecht, insofern wechselnde Begeg-nungen die Phasen des Werdeganges widerspiegeln. DerJüngling, der mit vollen Segeln ausfährt, um die Welt kennen zulernen und sein Glück zu versuchen, will meist wenig von Eheund Familie wissen. Im Manne setzt sich langsam zu Boden, wasmit dem eigenen Wesen vereinbar ist, dann stellt sich auch derHäuslichkeitswunsch mit patriarchalischen Gepflogenheiten ein.Eine kluge Gefährtin läßt ihm Zeit, in der anfangs wohl nicht so

192

dauernd angesehenen Bindung zu verwachsen, denn begegnenseine Empfindlichkeiten eifersüchtigem Zwang, so löst er sichund gleitet wieder in den Fluß der Entwicklung. Im heimlich,stimmungsmäßig Eingewöhnten sitzt er um so fester. Frauen, ob-zwar gleichfalls wählerisch die Eigenatmosphäre hütend, sindmeist von Anbeginn so auf Mutterschaft gestimmt, daß deren Er-füllung ihnen Inhalt und Weg des Lebens ausmacht, sofern sienicht zu übertragenen Formen anleitender und pfleglicher Selbst-hingabe kommen.

Berufseignung. - Den Gebieten nach äußerst variabel, in derEnergie abhängig von der inneren Beteiligung an der Sache. Derweniger scharfe und logische als umfassend-einheitliche, intuiti-ve Geist eignet für Berufe mit mannigfaltigen und wechselndenAufgaben, Umgang mit vielerlei Gesichtern. Auch bringt keinanderer Typus eine ebenso pfleglich-verstehende Einstellung auf,daß sich Menschen bei ihm zu Hause fühlen, sei es in der Leitungvon Sanatorien, Erholungs- und Erziehungsheimen, in sozialerFürsorge und Kinderbetreuung, sei es als Gastwirt, Besitzer vonHotels und Vergnügungsstätten. Vor allem weibliche Berufs-kategorien dieser Art, ferner Pensionate, Heiratsvermittlung usw.Der häufigen Tendenz zu zurückgezogenem Leben entspricht es,einen Überschuß in der Stille abzugeben als psychologischer Be-rater und Helfer, Naturheilkundiger usw., wie überhaupt die Nei-gung zu «freien Berufen» unverkennbar ist. Dies alles setztnatürlich auf vielerlei Wegen erworbene Lebenserfahrung vor-aus, häufig bricht bei diesem Typus relativ spät die eigentlicheBerufung durch. In der Kunst geben sich Phantasie, Gefühl undFormenreichtum aus. Beim Studium Bevorzugung kulturellerGebiete - Kultur- und Kunstgeschichte, Völkerkunde usw. -, un-ter praktischen Medizin mit Beachtung leib-seelischer Zusam-menhänge, ein naheliegender Zweig ist Gynäkologie. DasSpielfeld dieses Prinzips liegt überall da, wo Lebendiges in Ob-hut und Pflege genommen wird oder komplexe Naturvorgängeverfolgt - z. B. Meteorologie -, auch Forscher- und Sammlernei-gung sich betätigen kann. Zur Technik bestehen wenig Bezie-hungen. Von fast symbolischem Rang aber ist der Typus des

193

geborenen Seefahrers, dem das Schiff sein bergendes Gehäusedarstellt, die Welt sonst offen steht; Wassersport zählt zu denwenigen hier gepflegten körperlichen Betätigungen.

Das Schöpferische dieses Typus ermißt sich daran, wieviel le-bensnahe Schau er zu realisieren vermag in nüchtern-konkreterForm, im sozial bedingten Dasein. Er muß dazu seine Verletz-lichkeit, das leichte Gekränktsein bei Mißverstandenwerden,ebensowohl überwinden lernen wie Nachahmung von Fremdemaus Schwäche, Bequemlichkeit, sowie die Schwellenangst vorEntscheidungen. Sein moralischer Mut ist im allgemeinen stärkerals der physische, in der Hingabe für ideale Werte beweist er ofterstaunliche Zähigkeit wie Elastizität. Das lange Unfertigsein -Ursache mancher Minderwertigkeitsgefühle - kann, richtig be-trachtet, Ausdruck der Stärke immer wieder umformender seeli-scher Antriebe sein. Bei in sich gefundenem Grund «innererAuftrag», zuweilen verbunden mit Sehergabe. Gilt es handelndesEingreifen in die Umwelt, so ist seine Angriffsweise wie die desMeeres, das Welle auf Welle aussendet und in sich zurückschla-gen läßt, aber schließlich doch die Klippen annagt.

*Das willensmäßig Zusammenfassende

(feuriges, fixes �-Zeichen)

Einsatzfreudige Vitalität, einheitlich ausgehend vom jeweiligenKernaffekt, kräftige Triebkonstitution, angelegt zum Leben ausvollen Zügen; das Angehen jeder Angelegenheit aus dem «Alles-oder-Nichts»-Prinzip bedingt hohen Energieverbrauch häufigÜbertemperatur -, dem ebensolche Regenerationskraft gegen-übersteht; mitunter jedoch Raubbau, bei eintretenden Störungensind meist drastische Maßnahmen, Umstellung der Lebensge-wohnheiten und Mittel kräftiger Dosis angebracht

194

Getragen von Eigenwert- und Kraftgefühl, mit seiner Persondes Menschen Daseinsanspruch und Würde vertretend, bezwingtdieser Typus alle, in denen Verwandtes anklingt. In der unmittel-bar gefundenen Resonanz liegen seine Möglichkeiten, aber auchGrenzen, über die er zuweilen, sie unterschätzend, hinwegsieht.Er will Wirkung ausstrahlen, sei es in einer durch ihn geschaffe-nen Atmosphäre der Wärme, des Frohsinns, sei es über Attributeäußerer Macht und Geltung. Offenherzig und frei tritt er vor dichhin, wer du auch seist, bestimmt in Absicht und Ausdruck. SeinLicht - klein oder groß - stellt er nicht unter den Scheffel, denRuhe- und Ordnungspunkt seiner Welt fühlt er in sich. Doch istdies weder ein Prinzip der Ruhe um der Ruhe willen, noch einMenschenschlag, der müßige Gedanken über Ordnung liebt. Auswarmherzigem Impuls ordnet er an, handelnd verbreitet er Ruhein der Bewegung, bindet an seinen Willen, was unruhevoll aus-einanderstrebt. «Leben» heißt sein Hauptwort - bezogen auf sich-, abgewandelt durch «leben lassen», bezogen auf den Umkreis.Dieser bedeutet ihm Gelegenheit, von seinen Überschüssen ab-zugeben, sowie ein Feld der Selbstdarstellung, der Herausstel-lung seines geheimen Grundmotivs: ich, der Kern, um den sichdie Dinge drehen. So kann er tatsächlich zum organisierendenMittelpunkt werden, ein ins Leben gerufenes Getriebe im Laufenerhalten, indem er seine willensmäßigen Erbreserven auf sachli-che Aufgaben wirft und verantwortlich hinter dem steht, was eranderen zu tun gebietet. Freilich kommt es auf die persönlicheSubstanz an (Aussagegrenze!). Manchen verleitet sein potentiellempfundener Wert - ohne durch entsprechende Leistung ausge-münzt zu werden - zur Präpotenz des Auftretens, großspreche-risch, eitel, rennomistisch. Auch werden des Lebens reizvolleUnberechenbarkeiten von diesem Typus eher kultiviert als abge-stellt; wenn die Freude am Dasein, die Lust zu einer Unterneh-mung aufschäumt, achtet er nicht immer auf objektives Rechtund darauf, wo die Mittel, zu gasten und zu geben, zu obsiegen,herkommen. Aus verschwenderischem Aufwand können Schul-den erwachsen, Leidenschaften können mit der Besinnungdurchgehen, kurz, nach dem Lineal des Theoretikers mißt er sei-ne Schritte nicht. Was er in seinen Lebenszusammenhang ein-

195

ordnet, geschieht organisch unmittelbar, oft improvisiert, meistaus großzügiger Sicht und nobler Gesinnung. Würze und Wertseines Daseins würden ihm schal, sollte er sein Tun und Treibeneinem für Alle gültig erdachten, ideologisch ausgerichteten undbegründeten Plan unterordnen, wie unter dem Gegenzeichen 0möglich.

Erwartungsfrohe Auffassung, affektbeschwingt und darin un-ablenkbar, unternehmend, spekulativ-wagemutig, vom freienSpiel der Möglichkeiten beflügelt, zentriert, selbstsicher ausgrei-fend. Visuell angeregter Geist, leidenschaftliches Eintreten fürÜberzeugungen, deren Festhalten eine Voraussetzung für wil-lensmäßige Regulationen bildet, Bevorzugung des plastisch Vor-stellbaren, untheoretisch, wirkungsvolle praktische Lösungen derProbleme. Sinn für repräsentative Form, Aufgaben und Veran-staltungen mit denen Ehre einzulegen ist.

In diesem «feurigen» und «sonnenhaften» Prinzip überschnei-den sich die Kreisbögen des Wesenseigenen und der organischenKontakte: stärkste lebenspositive Ausdruckskraft. Sein «Fixes»besagt, daß dies eingekörpert ist in einem Träger erbverliehenerLebensregulationen, der seinen Dynamismus sowohl ausspielenund zur Wirkung bringen, als auch in seinen Voraussetzungenerhalten und fortzeugen will. In ungetrübter, unreflektierter Ein-heit mit dieser seiner Bestimmung lebend, ganz Affekt undHandlung, gilt seine volle Intensität dem gelebten Augenblick. Erist der Mensch immerwährender Gegenwart. Das Gewicht des-sen, was er gerade tut, löscht ihm Vergangenes aus und im ver-trauenden Schwung, mit dem er es tut, nimmt er Künftigesvorweg. Dies hat freilich seine Kehrseiten, wenn jemand, allzuoptimistisch in Versprechungen oder im Ausstellen von Wech-seln, die Einlösungen und Fälligkeitstermine vergißt. Auch liegtdie Fehlspekulation oft nahe beim großen Wurf. Derartige Sorg-losigkeit kann ohne weiteres mit dem für dies Zeichen typischenEhrgefühl zusammengehen, nur widersprechen sich dann der so-lare Augenblick und die saturnale Einteilung auf die Dauer, ohnewelche Verantwortung ein hölzernes Eisen bleibt. Auch bei we-

196

niger Hemmungslosen gibt es häufig impulsgeschaffene Wirrnis-se, aus denen sie sich mit würdevoller Geste herausreißen müs-sen; aber sie tun es, der Mann, der nie an der Möglichkeit,Verfahrenes wieder einzurenken, zweifelt, die Frau, die sich zu-traut, alle Fragen vom großen Herzen aus lösen zu können! Die-ser Typus braucht Raum für die Devise «wer nichts wagt, nichtsgewinnt». Zu wünschen ist ihm eher eine Spanne für erworbenenAufstieg, ein soziales Milieu, das seine Willenskräfte anspannt,als geburtsmäßiges Obenstehen, Verwöhnung in der Kindheit.Der Drang, graue Tage zu vergolden, Feste zu feiern, daß derTisch sich biegt - mit Einladungen und Geschenken Parasitenzüchtend -, hat bei zu günstigen Ausgangsbedingungen schongute Begabungen versanden lassen. Allzu starker Druck wieder-um, erlittene Demütigungen, hinterhältige Einwürfe und Quer-treibereien können die autokratischen Züge zu verrissenemPochen auf Anerkennung steigern, bei Widerstand die Krallenzum Vorschein bringen.

Autoritärer Ausdruck, sonorer, selbstsicherer Ton, folgt ohneSkrupel und theoretische Spitzfindigkeiten seinen Impuls, seinerÜberzeugung, Beachtetwerden seiner Meinung als sonnenklareSelbstverständlichkeit betrachtend. Bei Betroffensein im Ehren-punkt aufbrausend, doch ohne nachtragend zu sein: kann demsoeben Niedergedonnerten im nächsten Augenblick, wenn aufEinsehen stoßend, versöhnlich die Hand reichen. Zugänglich fürden Humor der Situation, Umschwenken der Affekte.

Herz eines Ganzen, König seines Reiches sein, aus solchemLebensgefühl schafft dieser Typus das Klima, das er braucht.Ohne sachliche Rücksichten stets das tun, was er sich selberschuldig zu sein glaubt, wird ihm zum Hebel auch seiner sozialenLeistung und Haltung. Der Drang, aus dem Vollen zu schöpfen,der Ehrgeiz, irgendwo unumschränkt zu gelten, duldet keinekleinliche Kontrolle oder gar Mißtrauen. Dienen kann dieserMensch nur unaufgefordert und da, wo er liebt oder wenn es gilt,Mitlebendem, das strauchelt oder eingezwängt ist, unter die Ar-me zu greifen. Die lebensfördernden Instinkte befähigen zuwei-

197

len, in Notlagen, bei Unglücksfällen, auch in seelischen Kon-flikten, resolut einzugreifen ohne die «richtige Technik» erlerntzu haben oder nach «zuständigen Stellen» zu fragen. Ausgespro-chen ist die Kinder- und Tierliebe; Aufwachsenden, Unmündi-gen, Schutzbefohlenen wird gern ein Recht zugebilligt, dasRivalen versagt würde. Macht man ihm seinen Anspruch strittig,durchkreuzt man seine Bahn oder zieht seine Motive in Zweifel,so geht es kaum ohne dramatische Auftritte ab. Er erwartet ge-genseitigem Vertrauen und im Austrag von Gegensätzen ritterli-che Waffen; nur Emporkömmlinge im Machtrausch sind grausamund falsch. Seine Organisationsgabe beruht auf dem Einfall an-gesichts dessen, was die Lage erfordert - «Feldherrnhügel» -, derEntschlossenheit, benötigte Hilfsmittel heranzuholen wie und wosie sich gerade vorfinden, sowie dem Blick für den richtigenMann am richtigen Platz. Tauglichkeit nach Fragebögen zu be-urteilen, in der Mittelbeschaffung sich an eingereichte Listen zuhalten und im Gesamtunternehmen nach einem abstrakten Sche-ma vorzugehen, widerstrebt diesem Typus, dessen Erbfeind «derBürokrat» heißt. In einer Gesellschaft, die zwangswirtschaftlicheMethoden bevorzugt, in der sich amtliche Erlasse nicht nötigen-falls als «Wisch» abtun lassen, fällt er daher öfter durch imponie-rende Unregelmäßigkeiten auf. Zwar wünscht er geregeltesoziale Funktionen, doch diese Kreisläufe sollen der Initiativedes Einzelnen freien Spielraum lassen.

Untertypen. - insofern Ehrbegriffe stetige Sitten brauchen, fin-det sich dieser handelnde Typus bei Umwälzungen oft auf Seitender Reaktion, doch nicht aus geistigem Konservativismus, son-dern als lebensvoller Vertreter des «ancien régime», an gewohn-ten Sitten festhaltend. Befindet er sich auf der Gegenseite, dannnie als Doktrinär, sondern als tätiger Organisator neuer Macht-gruppierungen, gewohnte Geleise umlegend. In normalen Ver-hältnissen vorzugsweise der Typus des freien Unternehmers,weniger mit theoretischer als mit praktischer Intelligenz undWille ausgestattet. Als Abart dieses «Könners» trifft man gele-gentlich auf fragwürdige «Lebenskünstler», «Industrieritter», diemit Dekor und Bluff arbeiten - effektvoll gedruckte Briefbögen

198

einer Firma versenden, deren Finanzierung zweifelhaft, seriöseGutachten für eine windige Angelegenheit besorgen usw. -, auch«Spielernaturen», die auf großem Fuße lebend ein Loch mit demanderen zustopfen. Scheitern sie nicht, sondern haben sie Glück,dann danken manche der Gunst des Schicksals, indem sie dieFundamente nachträglich mauern und mit steigenden Aufgaben,der vom Leben ihnen zudiktierten Rolle, selber wachsen. DieSubstanz muß sehr schlecht beschaffen sein, wenn sie kein sol-ches Aufholen erlaubt. Mißlingen, dessen Ursache meist bei an-deren gesucht wird, mündet zuweilen in Erscheinungen vonVerfolgungswahn: Negativform des bei allen starken Drangs,sich in den Vordergrund zu spielen. Stille Dulder kommen kaumvor, wohl aber eitle Ausposauner angedichteter Verdienste, Po-tenzprotzen, hohle Repräsentationsmenschen. Auch diese aberhaben meist einen menschlichen Charme, der ihre Wirkung er-klärt. Bei Frauen sind solche Abartigkeiten seltener, das Wir-kungsbedürfnis beschränkt sich auf die persönliche Erscheinung,ihre «Unregelmäßigkeiten» sind Irrungen des Herzens. In man-cher scheint sich das matriarchalische Herrschaftsprinzip verkör-pert zu haben.

Liebe ist bei diesem Typus ein groß geschriebenes Wort undeine Leidenschaft kann ihm zum lebensbeherrschenden Themawerden. Ganz und unteilbar soll ihm auch der Partner angehören.Aufflammende Eifersucht signalisiert, daß in diesem Punkte dieSelbstachtung berührt wird. Wohl gibt es Autokraten des Ge-fühls, die alle dem anderen untersagten Freiheiten sich selber ge-statten, doch die starken Gattungsinstinkte verleihen der Familie,wenn sie nur irgend den Lebenserwartungen entspricht, bindendeMacht. Oft daher ausgesprochen monogame Tendenz. Der Fraubedeuten Ehe und Mutterpflichten selten eine Minderung des Ei-genlebens, sondern stecken ihr das Reich ab, in dem sich ihreWillenskräfte entfalten, im engeren Kreis wie in der Repräsenta-tion des Hauses nach außen. Kinder empfindet auch der Mannmeist als lebendige Aufgabe und die Obsorge, sie mit allem fürdie Zukunft Nötigen auszustatten, kaum als eine Last. Alles aber

199

ist Instinkt- und Impulssache, richtet sich nicht nach einem Ehei-deal.

Berufseignung. - Unternehmender Geist und Durchsetzungs-kraft, wo mit möglichst wenig Papierverbrauch aus Gutdünkenund freiem Ermessen zu entscheiden ist, unfähig jedoch, alsNummer X nach unpersönlichen Vorschriften zu fungieren. Ir-gendwo an der Spitze stehend, verliert dieser Typus nie ganz dieväterliche Note; er dringt auf Autorität, schreitet rücksichtslosgegen Querulanten ein, aber ein Appell an seine Menschlichkeitgeht selten fehl. Dies eignet zu leitenden Stellen aller Art aus derPraxis hinaufgelangend -, sogar in Amtern trifft man ihn, dernicht vom Buchstaben ausgeht, sondern einen Fall von Menschzu Mensch zu erledigen trachtet. Mehr allerdings ist er in derfreien Wirtschaft zu Hause als selbständiger Unternehmer oderLeiter von Betrieben sowie in öffentlichen Funktionen prakti-scher Art, etwa Feuerwehr, Rettungsstationen, Polizei. HäufigMaterialgefühl für Eisenverarbeitung, Sinn für betriebliche Er-fordernisse der Herstellung von Maschinen, Motoren, bei Neu-einrichtung von Betrieben, Einfahren von Fahrzeugen,Autorennen; auch Beziehung zu Waffen, sei es als Hersteller, seies im Gebrauch als Jäger und Soldat, im letzteren Falle Eignungfür motorisierte Waffengattungen. In der Medizin Bevorzugungmanueller Praktiken - Chirurgen, Gynäkologen, auch Heilge-hilfen, Masseure - oder solche suggestiver Art - in der PsychiatrieHypnose usw. -, ferner Gymnastik mit therapeutischer Absicht.Viele Pädagogen freier Methoden, auch Werk- und Turnlehrer.Tierzucht und Dressur. Künstlerische Anlagen gliedern sich nachder Seite des Darstellerischen - Schauspiel einschließlich Regieund Bühnenbildnerei, Cabaret, Zirkus - oder des Optischen; inder Malerei Verbindung von Koloristik mit Sinn für Bildaus-schnitt, in angewandter Form beim Plakatentwerfer, Dekorateur,Photographen. In der Musik zusammengefaßte Instrumentierung,Dirigenten. Überhaupt auf allen Gebieten einheitliche Einschal-tung und Beherrschung der Hilfsmittel, Gesamtwirkung. Künstlerauf ihre Art sind die Modekönige und Küchenchefs. «Zuschnitt»und «Servieren» im übertragenen Sinne, verbunden mit dem Dar-

200

stellerischen, beim Festredner, der eindrucksvollen Vertretungeiner öffentlichen Sache.

Reichlich will dieser Typus die Mittel bemessen haben, Machtsoll als Fülle erscheinen, Selbstwert sich im Umsatz zeigen. Sei-ne Seele ist nicht für Dämmerstunden; betritt er abends seineWohnung, so knipst er sämtliche Schalter an. Auch mit sich geizter nie, Geheimnisse halten sich schwer bei solcher Licht-verschwendung, wohlgemeinte Indiskretionen schaffen nichtselten Verwirrung. Doch intim läßt er sich nur mit solchen ein,die er als ebenbürtig betrachtet und hält, was ihm untergeordnetscheint, in Abstand. Unbeherrschtheit wird gebändigt vom Re-gulativ der Form. Verschweigen persönlichen Kummers, Ver-decken eines Mangels gehören zur Repräsentation der Persön-lichkeit. Dem Kleinlichen und Subalternen ist er geschworenerFeind, selber ungeeignet für Detailarbeit in knechtisch empfun-denen Verhältnissen. Lieber verlumpt er ein wenig oder schafftmit ungedeckten Konten etwas her. Zuweilen ist die Fassade et-was aufdringlich. Mancher spielt gern den «Unwiderstehlichen».Aber alle Impulssünden, Selbstherrlichkeiten, übereilten Ver-sprechungen haben den Grund, daß er Repräsentant einesmenschlichen Werts sein will. Nur aus diesem zentralen Punkt ister entwickelbar. In voller Potenz geschätzt und gebraucht wer-den, Wirkung strahlen, schenken, spenden können ist ihm natür-liches Bedürfnis, sei die Hilfsbereitschaft auch nur dadurchausgelöst, daß der Anblick Darbender seinen Frohsinn stört. Wieer seinen - relativ selten vorkommenden - körperlichen Anfällig-keiten mit Roßkuren, Schwitzbädern, Generalreinigungen zuLeibe geht, so auch äußeren Unstimmigkeiten, selten um Hilfs-mittel verlegen. Lebensgrundstimmung: Niederlage - ausge-schlossen. Was drückt, wird abgewälzt, was tiefer trifft, führt zurErschütterung des Gesamtvertrauens zu sich, zum Leben.

201

+Das stofflich Eingrenzende(erdhaftes, labiles �-Zeichen)

Dosierte Vitalität, sie spielt sich in getrennten Reizbezirken ab,insgesamt abhängig von der Beachtung und Pflege einer, auchwenn sie kräftig angelegt ist, doch leicht störbaren Konstitution,die nüchtern geregelter Lebensweise bedarf; häufig ausgespro-chene Idiosynkrasien und Ablehnung bestimmter Nahrung, an-derseits wählerischer Instinkt für das individuell Bekömmliche,der nicht durch Schematismen verdorben werden dürfte; Anfäl-ligkeit oft weniger von Natur gegeben als gefördert durch über-ängstliche Beschäftigung mit dem eigenen Organismus, hoheAnsprechbarkeit auf Medizingifte.

Kritische Reserve ist die Grundhaltung dieses Typus: skep-tisch, wo andere gläubiger Begeisterung voll sind, nüchtern, sichan nächstliegende Tatsachen haltend, wo sie schwärmen undschweifen. Ein feines Häutchen scheint sein Wesen gegen An-dersgeartete abzuschließen. Mimosenhaft empfindlich hütet undwahrt er sein Eigenes in jedem Knick und jeder Falte seinesSobeschaffenseins. Betriebsam bewegt er sich im Sachlichen, ineinem ihm bekannten Material und in Bahnen erworbener Routi-ne, ständig ausschauend nach Gelegenheiten, die genutzt werdenkönnten. Im Naturblick wie in menschlichen Beziehungen geht ervorsichtig vom Gesicherten aus, vergewissert sich Schritt fürSchritt des Umfanges praktischer Folgerungen und sorgt vor. Be-fremdenden Überraschungen weicht er aus. Im Kopfe dieses ge-borenen Kasuisten befindet sich eine Kartothek mit Wenn undAber für möglicherweise eintretende Fälle. Dies hindert ihn, dasHerantretende ohne irgendeine Rückversicherung auf sich ein-wirken zu lassen, vitale Wünsche frei zu bekunden. Infolgedes-sen selten restlos von etwas ergriffen, schwer sich hingebend, giltdieser Mensch gemeinhin als kalt, berechnend, egoistisch. Oftaber ist er nur der Gefangene seiner automatischen Abwehrreak-tionen gegen Fremdes, nicht Ausgeprobtes, von Abweisungen,

202

deren Folgen ihn dann wieder in Selbstquälerei werfen. Ängstli-che Scheu verbirgt sein Suchen nach Kontakt. Er braucht An-schluß, will aber seine Eigenheiten unbeeinflußt erhalten, aus derÜberzüchtung dieser Tendenz entsteht nervöses Gereiztsein beiStörung mitunter nebensächlicher Gewohnheiten. Befürchtungenerstrecken sich auch auf das, womit er sich identifiziert. Dermeist scharfe Verstand sucht den Dingen mit kausalen Einzel-erklärungen oder formelhaft, «wie man es macht», beizukom-men. So förderlich dies den Arbeitsleistungen abgetan vom Per-sönlichen ist, bei schwebenden Entscheidungen werden dieArgumente doch häufig ins Schlepptau genommen durch unter-gründig nachwirkende Momente der Individualgeschichte (Aus-sagegrenze!). Unvorhergesehenen und beispiellosen Lagengegenüber daher mitunter äußerste Komplizierung, einen Ent-schluß zu fassen. Aus der Tendenz, kein Moment unberücksich-tigt zu lassen, geht sogar die Verwirklichung unmittelbarer Inte-ressen oft einen gewundenen Weg. Der Überschlaue straucheltgelegentlich über seine eigenen Sicherheitsvorrichtungen. ImGemeinschaftlichen stößt dieser Mensch bei allem Geschick undbestem Willen, das Herbe, Spröde abzulegen, immer wieder anGrenzen, überbrückbar nur durch äußerliche Anpassung. Diffe-renzierung innerhalb dieser Grenzen ist aber hier gleichbedeu-tend mit der Entwicklungsweise, die zum letztmöglichen Durch-feilen im Begrenzten strebt. Nie läßt dieser Typus sich vonFremdem hinreißen, noch schöpft er Weisungen aus dem Drangnach unbekannten Horizonten, wie unter dem Gegenzeichen 1;optimal ist er formklarer Vollender eines erbmäßig vorgezeich-neten Entwicklungsthemas.

Auswertende Auffassung, intelligentes, rasches Orientiertsein ingenauer Nahbeobachtung, erfahrungsgebunden-kritisch, analy-tisch scharf, nüchtern, winkelzügig-beweglich, aus Übervorsichtpedantische Züge. Registrieren der Dinge in allen Einzelheitenaus einem bestimmten Blickwinkel - oft sich der Relativität desStandpunktes bewußt -, sie stückweise aus dem vorgefundenenZusammenhang ausgliedernd sowie methodisches Einordnennach Merkmalen, Sachgebiet, Dringlichkeit, Zweck und Nutzen.

203

Selbstunsicher, häufig ressentimentgefärbt-moralisierend undamusisch, dezentriert, sperrig gegen Gefühlshaltungen.

In der Kreisordnung haben wir das letzte Prinzip des subjektivbestimmten Halbbogens, heranführend an den Punkt, ab dem dieObjekte das Übergewicht bekommen; die organischen Kontaktestauen sich vor der Schwelle des Bestimmtseins durch denFremdwert. Die beiden vorangegangenen Prinzipien enthieltensensible Beeindruckbarkeit und dynamische Ausdruckswucht desLebensschöpferischen. Diese Spannung des Quadranten pendeltaus im «merkurischen» Vollbringen, einer von innen nach außenund zurück - ad infinitum - umspringenden Neutralität der Intel-ligenzbewegung. Das Erdhafte liegt im Gegenstandsbezogenen.Wo Grenzen sind, lauert Angst vor dem Unberechenbaren da-hinter. Als bedroht empfundener Eigenwert erweckt die Welt-angst tieferer Schichten. Alles Erdenkliche stellt dieser Typus an,um die abgründige Unruhe zu stillen. Er legt den Pfennig für dieNot zurück und hängt sein Seelenheil an den stimmenden Haus-haltsplan, überwacht die Symptome möglicher Krankheiten biszur Hypochondrie, um vorbeugen zu können. Seine abwehrendeSkepsis, geboren aus Angst vor einem Enthusiasmus, der ins Bo-denlose führen könnte, häuft ein Arsenal von Sicherungen gegenLeidenschaft und mitreißenden Glauben. Er haßt die «genialeSchlamperei» des Gegenzeichens, seine bedingtere, «hausbacke-ne» Welt ist säuberlich geordnet. Unter wissenschaftlicher Obhutentsteht jene selbstbewahrende Kühle - in der Kritik unähnlichdem schöpferisch aufwühlenden Zweifel -, die Probleme, derenBerechtigung nicht logisch plausibel zu machen ist, zurückstellt,sich verfänglicher Aussagen enthält und beschränkt auf Metho-den, mit denen sorgfältig prüfend von Bekanntem auf Unbe-kanntes geschlossen wird. Auf niederem Niveau entsteht darausder nörglerische Einspruch gegen alles groß Gewollte. Ein Vie-lerlei von innerlich unverbunden nebeneinander Bestehendemmacht die Welt dieses Analytikers aus. Er setzt sie mosaikartigzusammen, die Stücke nach Gebieten geordnet, das Ganze giltihm als Summe von Teilen, die seine Beobachtungslinse mitÜberschärfe heranholt. Solch Nahblick auf materiell begriffene

204

Dinge macht die meisten blind für die Seele des Ganzen; sie se-hen statt eines Menschenantlitzes nur Merkmale, erfassen denRhythmus eines Lebens als Sammlung von Anekdoten undSchicksal als ein Gewirr kausaler Fäden, für deren jeden eineSpezialfunktion auszubilden und möglichst ein bestimmtes Gerätzu erfinden sei. Nahe hierbei liegt die Tugend des Prinzips, imbescheidenen Dienst an einer Sache äußerste Präzision zu errei-chen; nur braucht sie ein Bewußtsein der Ausschnitthaftigkeitihres Tuns.

Überlegter Ausdruck, auf Fragen «interessierte Auskünfte», d.h. Antworten mit denen etwas Bestimmtes bezweckt wird, vor-sichtig reserviert, häufig ausweichend, intelligent maskenhaft.Detaillistisch beschreibender Empiriker, der sich genau ans Ge-genständliche hält und keinen Umstand überspringen kann, daherleicht im Zusätzlichen und Beiläufigen den Faden verliert. Ge-fühle drücken sich indirekt aus über fürsorgliche Bedenken undMaßnahmen, materielle Zuwendungen, Diensterweisungen;wenn im Eigenen gestört Zurückweichen bis ins Stimmliche hin-ein.

Durch das egozentrische Verhalten zuweilen qualvoll isoliert,wird dies Lebensgefühl dennoch gespeist aus verbindenden Ka-nälen zu Verwandtem, sei es Blutsverwandtschaft, eigene Fami-lie oder Kollegialität, Fachschaft. Die gemeinschaftlicheAtmosphäre zerfällt dabei allerdings in diskutierbare Vorfälleund austauschbare Kenntnisse. Rationalität beherrscht also auchdie zwischenmenschlichen Beziehungen, häufig Zuständigkeits-Schematismus. Sie zu erhalten und pflegen bezweckt, für sich zugewinnen, ohne daß dies einen Widerspruch zu bilden brauchtzur dienstwilligen Fürsorge, dem absichtslosen Bestreben, sichnützlich zu machen. Diese untergründige Triebfeder, häufig ver-stärkt durch sublimierte Gefühlsbindungen, entgeht meist derMitwelt, die nur den Ausdruck berechnender Kühle wahrnimmt.Schranken der Herkunft durch intelligente Anpassung zum Teilvermischend, entfernt sich dieser Typus doch nicht allzu weitvon den Bedingungen seines innerseelischen Haushaltes, ent-

205

standenes Ungleichgewicht kann er schwer einrenken. Sein ge-schäftig umherjagender Verstand flieht das Weite und Unbe-stimmte. Die Gefahr heißt: Überdifferenzierung, Totlaufen imSpezialistentum, nicht mehr Zurückfinden zu den schöpferischenUrsprüngen. Auf der positiven Seite stehen rastloser Gewerbs-fleiß, Hang zu Sauberkeit und methodischer Ordnung. Dies undvor allem unbestechliche Sachtreue der Beobachtung hat dieNaturwissenschaften hochgebracht, führt verläßliche Rechen-schaftslegung in der Wirtschaft und im Staate durch, nützt über-all das Nutzbare und methodisiert das Lehrbare, in den Künstenvollbringt der handwerkliche Zug sowie die Materialbezogenheit,was Technik und Regel bewirken können.

Untertypen. - Zumeist erstellt dies Prinzip die Chargenfigurendes Welttheaters, die rührigen Talente und beim Genie den An-teil des Fleißes; eine der Wirkung sich versichernde Bühnenbe-setzung braucht solche durchgebildeten Charaktere. Manchestechen mit einem Schuß Dämonie sonderlingshaft hervor wieder «Säuberungsfanatiker», der moralische, hygienische, ernäh-rungsmäßige oder sonstige Reinheitsforderungen aufs i-Tüpfelchen erfüllt sehen will. Übertreibungen streifen zuweilenan die Komik des hausfraulichen «Ordnungsteufels», dem derproduktivste Mann weichen muß, wenn sein Schreibtisch «dranist», an die überdrehte Ernsthaftigkeit des «Umstandskrämers»,der ständig über Bedingungen stolpert und mit der Tücke desObjekts kämpft, des «Ordnungsphilisters», dem ein falsch ge-legtes Besteck, ein nicht minutengenau fertiges Mahl die Lust amEssen verdirbt. Wieder andere erwecken eher Mitgefühl wie diein ihren verpaßten Gelegenheiten eingestaubte «Sitzengeblie-bene», der schon angedeutete «Hypochonder». Dieser kommtauch in Übertragungen vor als «Kümmerer», der Dritte in man-chen Ehen, ständig um die Frau besorgt in ihren Seelenproble-men, modischen Anwandlungen, Verdauungsfragen; als Lieb-haber ungefährlich, versteigt er sich in der Rolle des «heimlichenIntelligenzgatten» bestenfalls zu gouvernantenhaften Belehrun-gen und Zurechtweisungen. Unmöglich, alle Schattierungen auf-zuzählen. Im allgemeinen findet man den grauen Durchschnitt

206

einer bestimmten Menschenkategorie ins intelligent Bewegliche,Anstellige, Emsige gehoben. Wohl am häufigsten ist der «gebo-rene Fachmann», der im engen Zirkel scharf umrissener Aufga-ben sein Bestes hergibt, seine durch Milieu und Familien-geschichte vorgezeichnete Sondernote pflegend, damit aber imHorizont begrenzt. Er macht sich verdient als lebendes Nach-schlagebuch des Fachwissens, Vermittler und Ausübender hand-werklicher Kniffe. In der Forschung sind es die ordnendenHausgeister der «Wissenschaftsfamilie», kritischen Einschlags,im Schrifttum die Virtuosen der Anmerkungen, Belege, Rezepte,Hinweise. Die oft vorhandene Tendenz zum «Haarspalter» machtbesonders die Gestalt des «Kritikers aus Ressentiment» unbe-liebt. Nicht nur in den praktisch nutzenden Zweigen trifft manÜbergänge zum Ökonomisten, der die Schöpfung von der Haus-haltsrechnung aus betrachtet. Verdichtet zur Figur des «Knause-rers», nehmen die Sparmaßnahmen mitunter groteske Formen an.Manche teilen sogar den für das Privatleben verfügbaren Betragin Sonderkassen ein und buchen sorgfältig ab, was sie der einenKasse für die andere entnehmen, sich selber 'beleihend und über-vorteilend. Trotz aller Rationalität gelingt es manchen dieses un-tergründig rückverbundenen Zeichens nicht, den Aberglauben zubannen; dann fangen sie ihn in orakelnde und beschwörendePraktiken ein. Die Tragikomik vieler Abarten liegt immer in derzu Ende getriebenen Vereinseitigung von Regungen, die ebensobeim gesunden Durchschnitt vorkommen und denen nur durchproduktive Aufgaben Herr zu werden ist.

Kernproblem selbst in der Liebe ist die Angst, vom Lebens-strom überflutet sich zu verlieren. Für manchen bedeutet sie zu-nächst eine Abwicklung physiologischer Tatsachen, die er mitnervösem Mißtrauen gegen störende Befremdung verfolgt. «DerNatur ihren Zoll zahlen» heißt noch nicht als Mensch mitgehen:Quelle für Konflikte. Doch findet sich einmal warme Nähe einesPartners und Ergänzung durch ihn, ohne die Reservate des Ei-genlebens anzutasten, so können die zurückgestauten Gefühleumso anhänglicher frei werden. Andererseits gibt es echte Rein-heit, durchseelte Stille des Trieblebens. Die Selbstverliebtheit

207

nimmt, vorzugsweise bei Männern, häufig narzistische Formenan, bei Frauen kann im Falle des Übergangenwerdens ihrer Ei-genheiten sich Frigidät herausbilden. Gleichwohl liegt normaler-weise keine Triebschwäche zu Grunde, nur Scheu vor demUntergehen der Individualität im Gattungswesen. Mitunter suchtmißgeleiteter Eros seine Entschädigung im hirnlichen Spiel miteinem Stich ins Frivole; auf niederem Niveau bereitet dies denBoden für Klatsch, der sich auf dem Thron nachweislicherNichtverfehlung an Sünden anderer genugtut.

Berufseignung. - Beim Naturforscher glänzen die Tugendendieses Zeichens: Kritische Stoffbeschränkung und experimentel-les Geschick, vorsichtige doch schlüssige Diktion, klare Be-schreibung. Den originalen Köpfen reiht sich das Heer tüchtigerLaboranten an. Häufig Mediziner, spezialisierte Techniken undEinzeldiagnostik. Geisteswissenschaften gebunden an anschauli-chen Stoff; in der Geschichte z. B. redliche Urkundenprüfung,mehr Schilderung historischer Persönlichkeiten als Erfassen gro-ßer Zusammenhänge bzw. Blick auf solche vom wirtschaftlichenaus. In der Psychologie meist Anklammern an Meßgerät, Testsusw., Ersetzen unmittelbarer Einfühlung durch Regeln, zuweilenspitzfindige Konstruktionen. Bei Nationalökonomen, Juristen,Schriftleitern und der übrigen Fülle intellektueller Berufe drängtsich die dem praktischen Nutzen zugewandte Seite vor. ImKaufmännischen der «Pfennigskaufmann», oft Raffinement inder Auswertung kleinster Mengen, Materialkenntnis in seinemZweige, kaum Hinüberwechseln zu einem anderen, Sinn für dieTradition des Hauses, in die er als Angestellter hineingewachsenoder der er durch Familie verbunden ist; Leitsatz: gediegeneKundenbedienung ist die beste Werbung. Die gleiche Tendenzder Sachkenntnis gilt für Technik und Handwerk. Neigung zukunstvollen Kleinformen: Feinmechaniker, Uhrmacher, Instru-mentenbauer, Schriftsetzer, bei den ins Ästhetische hineinspie-lenden Zweigen ein Hang zum Netten, Niedlichen: Spitzen-klöpplerinnen, Modistinnen, Schneider, Ziergärtner oder Züchterbestimmter Sorten. Den Landwirt dieses Typus kennzeichnetdurchdachte Wirtschaftlichkeit. Die Breite dienender Tätigkeiten

208

und des Hilfspersonals: Schwestern, Kindergärtnerinnen, Hote-langestellte, Fürsorge- und Registraturbeamte usw. Beim bilden-den Künstler und Musiker ist die Begabung häufig eng an einenbestimmten technischen Zweig gebunden, dessen Durchgliede-rung die Vorzüge ausmacht; überwucherndes Detail, Virtuositätstört oft große Form, durch Regel und Methode überwindbar.Beim Schriftsteller epische Breite, anschauliche Schilderung inliebevoller Kleinmalerei.

Oft signalisiert dies Prinzip leistungsmäßiger Endstufen diefamilienmäßige Aufzucht einer speziellen Begabung, zuweilenInzucht im engeren oder übertragenen Sinne (entweder Ver-wandtschaftsehen oder generationenlanges Verharren im glei-chen Lebenskreise; Aussagegrenze!). Irgendwie vereinigt sichMilieufall und Träger eines Familienschicksals in einem unddemselben Menschen; das Prinzip gibt nur den formalen Rahmenfür Inhalte, deren Beurteilung besonders sorgsamer Untersu-chung der konkreten Bedingungen und Umstände bedarf.

,Das geistig Lenkende

(luftiges, kardinales �-Zeichen)

Anregsame Vitalität, aus der sinnlichen Reizempfindung sichverjüngend, situationsbestimmt und kontaktbedürftig, durch Ver-hältnisse und Personen der Mitwelt aufgemuntert oder herabge-stimmt; Grunderfordernis eine harmonisch beschwingte Lebens-weise, bei stumpfem Gleichlauf leicht Versinken ins Bequeme;Überwindung schwieriger Perioden durch Aufsuchen erheitern-der Eindrücke, Wechsel des Orts und Umgangs oder von sonsti-gen Erregern der reagibel lenksamen Energie.

«Das bist Du»: unmittelbares Angesprochensein geistigen Be-gehrens nach Kontakt mit Anderheiten, Aufschluß von Welt.Definiere die Reizwirkungen seiner Umgebung in einem be-

209

stimmten Augenblick und du hast den Haltungsansatz dieses Ty-pus. Dies meint nicht Willens- und Rückgratlosigkeit und es mußdurchaus nicht so zugehen, daß der Zuletztgekommene bei ihmrecht behält. Vielmehr ist die Rede von einem Menschen, dessenLebensgleichgewicht im Ausgleich mit jeweils Zuhandenem be-steht. Erst in Kommunikation befindlich lebt er auf, durch sieschwingt er sich hinaus über sein Normalmaß, ihr Mangel läßtihn daruntersinken. Bei keinem anderen als Diesem seiner Ei-gennote nach Darbietungsmensch - ist die Beschaffenheit undZusammensetzung, sind die Vorgänge der Umwelt so wichtig.Wenn die Mittel, herandrängenden Anforderungen zu genügen,ihm nicht spontan einfallen und keine Zeit zur Erwägung derUmstände bleibt, gelangt der sonst so rasch Reagible schwer zumEntschluß; dann siegen oft momentane Eindrücke und derWunsch, Konflikten auf bequemste Weise aus dem Weg zu ge-hen. Ein und derselbe Mensch kann überbauend-richtungweisendwie flau und unentschieden sein aus der Tendenz, dem Heran-tretenden gerecht zu werden und den Punkt zu finden, in dem dieaufgetauchten Widersprüche sich ergänzen. Mit dem geistigenNiveau (hier weniger gespeichertes Wissen als Erkenntnislustbetreffend; Aussagegrenze!) wächst der Aktionsradius. Der einehält stets die schöpferische Mitte einander durchkreuzender Stre-bungen inne, spricht das schwebend Gemeinsame in der Idee aus,der andere müht sich um Vermittlung und Einigung um des lie-ben Friedens willen, schleift Spitzen ab, die Anlaß zu Streitfällengeben könnten. Beide erfüllen eine Brückenfunktion. Stärken wieSchwächen dieses Typus entspringen der sinnlichen Anregungs-bereitschaft, die bei Mangel an Aufgaben ins Liederliche schlit-tern läßt. Seine Initiative bedarf des äußeren Anlasses, der ihmmit dem Ansatzpunkt zugleich die Form bietet, in der er aktiveingreifen kann; geführt vom Empfinden für die Situation, mitSinn für das Gemäße - sozusagen den dekorativen Rang der mit-spielenden Momente, fädelt ihm Witterung für Benötigtes seinVorhaben ein. Am seltensten von allen gestattet sich dieser Ty-pus eine unbesehene Ablehnung dessen, was nicht zum eigenenWollen paßt. Vielen mag man deshalb Mangel an persönlicherNote und eine ständig schwankende Haltung nachsagen, andere

210

wissen dies zu einem Plus situationsangepaßter Wirkung umzu-kehren, sie glänzen, indem sie anbieten, was gefällt und in einerForm, die anspricht; auch reiche Geistesgaben werden mitunterin der unterhaltsamen Art des Conferenciers vertändelt. DochBeansprucht- und Gebrauchtwerden durch eine bestimmte Ge-meinschaft erhöht wiederum manchen, indem er ihre treibendenKräfte auffängt, im Format. Sein Richtungweisendes liegt gegen-sätzlich zum imperativischen Willensprinzip &, fließt aus demEingehen auf das Vorgefundene, er lenkt, indem er sich lenkenläßt, durch Einsicht in Aufgabe und Lage.

Weltoffene Auffassung, schweifend-kombinierend, weit be-schwingt und zugleich gelassen, ausgeglichen, situationsbe-stimmt, beweglich-lenkbar. Ästhetisch anregsam, Blick für dasSchöne, Weiträumige, locker angeordnet zueinander Stimmende.Diagnostisch und physiognomisch vorgehendes Denken, demsich aus jeweils Vorhandenem zwanglos Ziele ergeben und derLage angepaßte Methoden entwickeln. Meist unprofiliert-harmonisch, nichts gewaltsam in die sich stellenden Problemehineintragend.

Mit diesem Prinzip gerät die kreisläufige Aufeinanderfolge inGegensatz zu ihrem Beginn. Subjektives Wollen schlägt um inden Aufschluß von an sich Gegebenem, Außerpersönlichem, Ich-und Dustrebung kommen hier zum Ausgleich. Das «Venusische»liegt im Kontakthalten, dem auch das Genußleben durchformen-den Ebenmaß und Stil. Die Kardinalität besteht in der Bereit-schaft, nach Lage und Eigenart der Objekte vorzugehen, auf dasMitlebendige hin zu leben, in die Gemeinschaft hinein zu wirkenim Sinne übergeordneter Auffassungen und Bedürfnisse. Diedem Prinzip eigene latente, erwartende Geistigkeit, manifest imAbwägen und Kombinieren von situativ Ermitteltem, kann sichebensogut des Worts als der Handhabung ästhetischer Werte be-dienen. In der Lebenskunst gleicht dieser Typus dem Segelflie-ger, der sich in Schwebe hält und vorwärts bringt durchAusgleichen abgefangener Strömungen: mit einem Mindestein-satz eigener Energie, durch Aufgreifen und Umlenken fremder

211

Antriebe, gewinnt er Höhe und Weite. Harmonie, Gerechtigkeit,Objektivität können glanzvolle Leitsterne der Entwicklung sein,bleiben freilich oft nur frommer Wunsch eines Menschen, derheiter durchs Leben tänzelt und dem Genuß des schönen Augen-blickes frönt. Berufensein zur Führung sproßt aus dem, was Im-puls und Begeisterung weckt und damit dem Streben entschie-dene Richtung gibt: mehr ein Angezogenwerden als ein Treibenund Drängen. Die schöpferischen Vertreter dieses Prinzips sinddie ständig angeregten Anreger. Sie senden Direktiven nach allenSeiten aus, ohne sich an das zu klammern, was im einzelnen da-mit geschieht; das sie Bestimmende hat etwas von der Spreng-kraft der Samenkapsel, die reife Körner zur Weiterentwicklungverstreut. Bescheidener im Ausmaß ist die Kunst der unbe-schwerten Einstellung auf das Unvermeidliche. Es gibt solche,die als äußerlich Unterworfene innerlich Sieger bleiben, sie be-schenken, wo sie dienen und erobern im Nachgeben, indem sieandere sich damit verbinden. Geistig Minderbemittelte findensich halt zurecht und wursteln fort. Friedliche und ausgewogeneVerhältnisse sind diesem meist auf irgendeine Art zur Verfeine-rung strebenden Typus im allgemeinen günstiger als solche, inden grobe Durchschlagskraft die Oberhand hat.

Vermittelnder Ausdruck, verbindlich ansprechender oder mitheiterem Schwung befriedender Ton, Vermeiden extremer Fest-legungen in der Stellungnahme, tolerant. Die Haltung geht diplo-matisch, doch meist mit Gegenwärtigkeit des Herzens, vom Ver-hältnis zum Gegenüber aus. Höfliche Umgangsformen sind dahernicht bloße Form, sondern kundgegebene Bereitschaft, zu verste-hen und auf das Andersartige einzugehen, meist Geschmack, dasim Augenblick Passende zu sagen. Vor ernste Probleme gestelltallerdings zuweilen leer, schönfärberisch, Umgehen unbequemerKonsequenzen.

Gäbe es im Psychologischen einen Ausdruck analog dem derFeldstärke in der Physik, so müßte er vornehmlich auf diesenAnsatz des zweiten Halbbogens seine Anwendung finden. InReinkultur entsprechen ihm Menschen, deren Wille als Funktion

212

des umschließenden sozialen Feldes begriffen werden kann. Ja,gerade dies macht gelegentlich ihre Stärke, ihre Führungseigen-schaft aus. Solch Wegfallen «persönlichen» Wollens hat bei ih-nen keine Selbstauflösung zur Folge. Nichtsdestowenigernämlich ist die Möglichkeit der Freiheit gegeben, je mehr dasje-nige, was die Persönlichkeit intakt erhält, zur bewußten Verfü-gung kommt: der Standort im Felde obliegt der freien Wahl. Dieoft angetroffene Unbeständigkeit, das instinktive «sich die Ellen-bogen frei halten», die Flucht vor bindenden Verpflichtungen,auch mehr oder minder elegante Schlamperei hat darin seinenGrund, daß bei mehr sinnlich befangenen Schattierungen diesMoment der Freiheit nicht zur bewußten Einsicht und Planungvorgedrungen ist. Wählerisches Feingefühl hält dann die Dingesolange in Abstand, bis etwas kommt, worauf der bei allemGleichmaß doch Übererregbare «fliegt». Was hier vorwärtstrei-bende Empfindung, bewirkt bei mehr geistigen Schattierungenideologisches Angesprochensein. Ideen jedoch, die diesem Typusbedingungslose Hingabe an eine Sache möglich machen, habennichts abstrakt Starres. Indem sie die Wechselwirkung zwischenGeistigem und Ästhetischem, Abstraktem und Lebensverbunde-nem einbegreifen, finden solche Ideen durch Wandlungen derSituation immer neue Bestätigung und Auslegung. Erst wo dieseWechselwirkung aussetzt (nachträglicher Niveauverlust!), neigtsich da die Waagschale zum farblos Geistigen, dort zur ungeisti-gen Kultivierung des Sinnenlebens.

Untertypen. - Die Dimensionen des Geistigen und des Sinnli-chen spielen je nach ihrer Betontheit in die Bildung der Schattie-rungen hinein, doch niveaumäßig umfaßt jede Dimensionverschiedene Grade; anderseits bestehen durchgehende Gemein-samkeiten. Es gibt unter Hochintellektuellen wie unter harmlosenGemütern den «Mann der goldenen Mittelstraße», der, vom Ge-wicht einer irgendwo gehörten Meinung beschwert, automatischdie gegenteilige zu hören verlangt und den Ausgleichswert sucht.Hierher gehören auch die «ewigen Ausschaukler», die «Einer-seits-Anderseits-Männer», die «den Mantel nach dem WindHängenden». Auch in seiner positiven Tendenz, nie ganz die

213

menschliche Mitte zu verlieren, steht dies Zeichen der Herausbil-dung extremistischer Untertypen entgegen; solche unterscheidensich mehr nach Oberflächlichkeit oder zusammengefaßtem Ge-halt. Gern gesehen sind überall, wo man Zeit und Langeweilehat, mehr Leichtigkeit als Geist braucht, die Meister geselligerKünste, die geborenen Festordner und Empfangschefs, vor seriö-sem Hintergrund findet man die typischen Vereinspräsidentenund Kongreßleiter, welche die Diskussion auf den einigendenPunkt hinzusteuern wissen, oder bei anderen Anlässen des Zu-sammenprallens von Auffassungen die Schlichter, die Virtuosendes versöhnenden Schlußworts. Kaum je trifft man auf verbohrteEinzelgänger, wenn auch nicht stets Gemeinsinn die treibendeKraft ist. Unauffällig erfolgreich ist der Diplomatentypus in jederForm öffentlichen Auftrags oder privaten Geschäfts in seiner ge-schmeidigen Taktik, mit Andeutungen und Hinweisen den Ge-sprächspartner «auszuholen», etwas zu bewirken ohne zuhandeln. Dies gipfelt in einem Führertypus, der, was er durch-setzt, mit Hilfe eingesetzter Kräfte anderer erreicht, ihre Antago-nismen «ausschaukelt», oder durch Mächte, mit denen er sichverbündet; einem Beherrscher der lavierenden Künste, der sichstets als «Zünglein an der Waage» einzuschalten weiß. Als ange-botene Gabe vieler Frauen prägt diese Kunst, zusammen mit Taktund physiognomischem Instinkt, spezifisch weibliche Führungs-eigenschaften, die sogar den männlichen des Gegenprinzipsüberlegen sein können.

Die Liebe, da sie schon als Trieb über die Grenzen des Indivi-duellen hinwegstrebt und, hinaufgeführt zur Vereinigung im Gei-stigen, wiederum den Trieb überstuft, nimmt einen für diesPrinzip symbolhaft hohen Rang ein. Fast jeder Kontakt zu Men-schen anderen Geschlechts ist hier in irgendeiner Weise vomEros durchschwungen. Diese Kontaktoffenheit wird zumeiststärker empfunden als die Bindung an einen bestimmten Partner:Menschen, die mehr die Liebe lieben als die Person. Die Stetig-keit einer Beziehung hängt daher nicht so sehr vom Grad derLeidenschaft ab, sondern von verwirklichter Lebensharmonie imAustausch der Interessen, der Gefühle, nicht zum mindesten vom

214

Gleichklang ästhetischen Genießens. Hinzu tritt die Pflege desÄußeren. Frauen sind meist ausgesprochen geschmacksbetont inder Kleidung wie im Abstimmen häuslicher Dinge aufeinander,mit einem Zug zur «großen Welt», freilich auch oft gefallsüchtig.In Umkehr des Gegenprinzips zeigt sich körperlich eine gewisseAngleichung der Geschlechter zu Gunsten des Weiblichen, auchbei Männern häufig betonte Eleganz des Auftretens.

Berufseignung. - Die charakteristischen Berufsarten liegen imKünstlerischen oder haben irgendwie mit geschmacklichen Krite-rien zu tun. Ersteres in einer leichtbeschwingten Weise, unterBevorzugung Lichter Klänge und lebhafter Farben. Die großflä-chig dekorative Note weist auf Plakatkunst, Innenarchitektur,Wandbehang, Festausstattung, Bühnenbild, Gestaltung öffentli-cher Plätze und Parks. Regie und Ensemblespiel auf der Bühne,Ballett, Gesellschaftstanz, Kunstformen des Eislaufs sowiesportliche Betätigungen, bei denen es auf Kombination und Ein-gespieltsein einer Mannschaft ankommt. Beziehungen zur Mode-schöpfung und -vorführung, Konfektion, zu Luksus- undGalanteriewaren. Handwerklich: Tapezierer und Dekorateur,Glaser, Friseur. Unter weiblichen Berufen solche, die dem Wesender Frau unmittelbar entsprechen oder ihm wenigstens nicht ab-träglich sind. Die geistige Qualität des Prinzips führt vorwiegendzu ästhetischen und sprachverbundenen Fächern Literatur- undKunstwissenschaft, Sprachforscher, Übersetzer, Dolmetscher -,ergibt unter Ärzten und Psychologen rasche Diagnostiker, dieGabe der Exploration findet ferner Anwendung in Sozialberufen,Beratungsstellen usw. Ihre andere Seite, rechnerische Kombina-torik und Gleichgewichtssinn, bewährt sich, bei konstruktivenAufgaben der Technik wie Brücken- und Flugzeugbau, bei stra-tegischen Planungen, Meinungsforschung, auch im Großhandel.Häufig Lehrbegabung. Die ideologische Tendenz kommt in Frie-dens- und Kulturmissionen, sozialen und völkerverbindendenAufgaben zur Geltung.

Für den universellen Zug dieses Prinzips stehen alle Dinge ineinem heimlichen Bunde. Doch sein Lebensgefühl beläßt dies in

215

der Schwebe der Möglichkeiten. Es sucht keine Geheimnisse auf,duldet nur nichts schlechthin Isoliertes und kann entlegensteDinge von Fall zu Fall, die Beziehungen aufhellend, in über-raschenden Kontakt bringen. Sein Persönliches erlebt dieser Ty-pus immer aus der Relation zu anderem. Die entscheidenden An-stöße empfängt er von außen, sie reißen ihn aus Stagnationen,das, Bedürfnis danach läßt ihn Bequemlichkeiten und Gewöh-nungen überwinden. Dies treibt den Primitiveren gleichwohl imGenießen oft Raffinierten - dahin, wo Vergnügung und Unter-haltung lockt, den geistig Anspruchsvolleren führt es zu neuenPerspektiven des Weltblicks. «Witterung» hat jeder auf seine Art.Geringer ist meist die Geduld zu konsequentem Ausbau mo-mentaner Einfälle. «Haltung» bedeutet für manche ein Provisori-um, umstimmbar mit veränderten Verhältnissen und Aufgaben:Kehrseite eines geistigen Impressionismus, der vorurteilslos indie jeweilige Situation hinein-, unbelastet wieder heraussteigtund dessen Vorzüge jenseits des Moralischen liegen. Verläßlich-keit ist hier eine Frage der Kardinalität, des zu Leitideen durch-gedrungenen Strebens. Aus solchen erreicht dieser Typus ohnegewaltsame Askese und ohne Verdrängung ein Nichthaften andem, was subjektiv wünschenswert wäre. Im Parallelogramm derKräfte steckt seine Weisheit und führende Eigenschaft.

-Das seelisch Spannungstragende

(wäßriges, fixes �-Zeichen)

Umsatzkräftige Vitalität, ansaugend und reaktiv sich verausga-bend, auf eindringliche Wirkungen eingestellt, Unruhe nicht ner-vöser, sondern untergründiger Art, Bedürfnis nach exzeßhafterAnspannung; starke sexuelle Anziehung und auch sonst sugge-stive, manchmal hypnotische Einflußkraft; von Zeit zu Zeit um-sturzbereit, vom Seelischen her ins Körperliche eingreifende

216

Krisenzustände, gegenüber funktionellen Trägheiten sind Blut-reinigungs- und Entschlackungskuren angebracht.

Typus der Umwertungen und Wandlungsstufen, der seelischenWiedergeburt: im Zusammenprall divergierender Strömungenerwacht seine selbstbestimmende Kraft. Er braucht die Mitwelt,doch erst bei getrübter oder bedrohter Harmonie setzt sein Ei-gentliches an. Dies muß nicht Unverträglichkeit sein, obzwar er -streitbar und umstritten - selten als angenehmer Zeitgenosse gilt.Heitere Unschuld ist ihm fremd, abgründige Zweifel und drang-voll gesteigerte Konflikte, wissenwollender Ernst beherrschensein Gemüt. Nie kennt das Spannungsgefäll, wer von außen dar-an rührt, dieser Mensch stellt ihn vor Überraschungen. Höchstreizbar durch Vorgänge und Fremdäußerungen, die er in leicht-verletzlichem Selbstgefühl auf sich und das ihm Wertgeschätztebezieht, antwortet er oft mit überscharfen Trümpfen. Er suchtReibungsflächen auf, geht ihnen zumindest nicht aus dem Wege,das in ihm Lösungsbereite dirigiert ihn instinktiv dorthin, woEntladung zu erwarten steht. Gegensätze, Diskrepanzen fordert ergeradezu heraus, verlangt Verbeißen in schwierige Aufgaben.Für manchen besteht die Umwelt aus mehr oder minder akutenAnlässen, um kämpferische Aggressivität oder Arbeitsenergieloszuwerden, geistigen Spürsinn zu betätigen, Sexualspannungenabzureagieren. Seiner bohrenden Kritik gewährt keines der zeit-weisen Ziele, wenn erreicht, auf die Dauer hinlängliche Befriedi-gung. An diesem Ungenügen schärft die weitergehendeProblematik des Seins ihre Fangzähne. Das Leben wird zum Ex-periment, zum Suchen nach Wertbeständigem, die Maßstäbewandeln sich in einem Werdegang mit periodischen Einschnitten.Ästhetische Normen zuweilen brüskierend durch die Verachtungschöner Form, werden in Selbstreinigungsakten die Gärstoffeeiner unreifen, die Gifte einer überholten Seelenlage herausge-schleudert und damit abgetan. Profunde Triebe setzen sich dabeirücksichtslos durch. Erst wenn umgebogen und verfälscht, erge-ben sie Motive, die auf Um- und Abwegen hinterhältige Auswir-kungen suchen. Der niedere Typus ist der zynisch Bösartige, derdes «Stichs in den Rücken». Die Tugend dieses Prinzips aber

217

liegt im Mut, Scheinlösungen verwerfend einzustehn für unbe-queme Wahrheiten, auch wenn sie «ins eigene Fleisch schnei-dend, Preisgabe oder gar Vernichtung des Liebsten erheischen.Unter keinem anderen Zeichen kann die Fähigkeit, Verluste,Niederlagen zu Überwinden, Schmerz zu ertragen, Opfer zubringen, derart mitbestimmend in Entschluß und Bekenntnis zuGemeinwertigem inbegriffen sein: Gegenbild zum Selbstschutzunter dem Zeichen ', der Wahrung friedvoll in sich kreisenderpersönlicher Lebensgewohnheiten.

Untersuchende Auffassung, sezierend scharf, zweiflerisch, imVergänglichen nach Beständigem schürfend. Problematisch boh-render, oft aggressiver Geist auf dem Untergrund stimmungsmä-ßig-affektiver Zuständlichkeit, gespannt, experimentierlustig,umwegig. Fragmentarischer Denkstil mit intensivem Anschnittdes jeweils Beschäftigenden, Fallenlassen mit Abbrechen derUnmittelbarkeit. Schwankungen vom Besessensein durch eineSache bis zum Abscheu davor, auch ambivalente Gefühle wieHaßliebe, Leidenswollust usw. Wandlungsfähig, kann Tren-nungsstriche ziehen, markant phasenbetont. Metaphysische Ten-denzen durchsetzen das Anschauliche symbolistisch-bedeutungs-haft.

In der Kreisordnung, nun es um sichere Grundlagen im Ge-meinschaftsquadranten geht, ist der Zustand der Krisis erreicht.Unter Umständen kann Negation hier schöpferisch werden. An-tithetische Stellungnahme zu bloßen Meinungen - eigenen wiefremden -, kritische Sichtung begangener Irrtümer, Rückschlägefehlgegangener Versuche, Hineingezogensein in katastrophaleEntwicklungen, manchmal erst Schuld und Reinigung vermittelnerprobte und gefestigte Einsichten. Dazu muß das «reaktiv Mar-sische», verankert auf der seelischen Ebene, im Zeichen desWertwandels durchgestoßen sein zu den überpersönlichen Inhal-ten der menschlichen Symbiose. Indem der Einzelne spürt, waser anderen mit jedem Begehrnis raubt, vermag er nicht mehr indie Naturunschuld zurückzutreten; ist er zu unreif für höhereMenschlichkeit, so verliert doch der Egoismus seine Naivität,

218

besseres Wissen oder Gewissen übertrumpfend, nimmt er dieForm der Ichsucht an. Dann allerdings wirkt Negation schlecht-hin negativ. Der manchmal verzweifelte Kampf um selbst-sicheren Grund wird hineingetragen in die Sucht nach äußerenBestätigungen, Ansichreißenwollen persönlicher Macht undGeltung, in Protesthandlungen, Aufbegehrungen, überschärfteAnsprüche. Rudimentäre Feind-Beute-Instinkte werden wach,verbündet etwa mit verdorbener Erbanlage, Einfluß ungesunderVerhältnisse oder herausgebildetem Ressentiment (Aussagegren-ze!). In solchem Konfliktfalle entstehen zerrissene Seelen, dereneine Anlage der anderen widerstreitet und die, um sich von ihrerGespanntheit zu erlösen, dem Nächstbesten ihren Zersetzungs-keim weiterimpfen. Auf einer gehobeneren Stufe, derjenigenkompromißlos geschöpfter Erkenntnisse, gehen diese häufig inangriffslustigen Sarkasmus ein. Abbaureifes ausspionieren, Mor-schem, Abbröckelndem nachhelfen und in entdeckte Sprüngenoch Sprengstoff legen, kann geistig sanktionierte Zerstörungs-lust zum Ausdruck bringen. Andere treiben Katastrophenpolitikmit sich selber, oder aber die Sicht gemeinnütziger Lösungen,dem Durchstoß des «Eigentlichen» näher, entfesselt emphati-schen Bekennermut. Auch in «Bekenntnisse» jedoch kann sicheine Eitelkeit der Selbstentblößung einschleichen. Mancher wie-der wirbt um die Märtyrerkrone auf der Basis geheimer Schuld-gefühle ohne individuellen Grund, erbsündenhaft, sowieübernommener Sühneforderungen. Die mannigfaltigsten seeli-schen Zwischenzustände, Grenzsituationen und Selbstausstrei-chungen - etwa Umschlagen des krassen «Sichauslebens» derunteren Stufen in Askese - sind am Werk; wenn positiv verstan-den, einer inneren Regeneration dienstbar. Auch in soziale Um-schichtungen wird dieser Typus meist stärker als andere ingleicher Lage hineingezogen. Es ist das Zeichen, das von phy-siologischen Ausscheidungen bis zu niveaumäßigen Scheidungenüberall die Werte sondert, im sozialen Organismus führt es dasWertwidrige durch seine Übertreibung ad absurdum. Das auftre-tende Unmaß ist Ausdruck einerseits verlorengegangener, ande-rerseits gesuchter Maßstäbe. Wo traditionelle Sicherheitenzusammenbrechen, sind die höchsten Vertreter fähig zum geisti-

219

gen Wagnis, neue Werttafeln mit dem Anspruch der Gültigkeitaufzustellen: die inspirierten Umwerter im kollektiven Erneue-rungsprozeß, die unerschütterlichen Kämpfer für neu gezeugteMaßstäbe des Menschenrechts.

Derbdrastischer Ausdruck, nennt die Dinge beim Namen undscheut nicht Unbeliebtheit, wenn es etwas von anderen ver-schwiegen Gehaltenes aufzudecken gilt, zuweilen gesteigert zurLust, an hohlen Autoritäten und konventionellen Vorurteilen zurütteln. Anderseits Verbergenkönnen eigener Absichten, Fang-fragen beim Gang einer Untersuchung, im Banne des Triebhaftenversucherisch-suggestiv. Stimmlich rauh und metallisch, leiden-schaftlich, manchmal schneidender Ton, der ohne die Worte zuwägen herauswirft, was die Tiefenlotung des Augenblicks her-aufholt. Mitunter Freude an deplacierten Bemerkungen, ätzenderSarkasmus, mitleidlose Kritik.

Das markant «Persönliche» der Äußerungen läßt nicht ohneweiteres durchschimmern, wie sehr die Gemeinschaft sowohlKraftquelle als Prüffeld ist. Selbst primitiver Machtdrang suchtVerstärkung durch einen Umkreis an sich gezogener Menschen.Die Person bildet unter diesem Zeichen sozusagen den Aneignerund Verbraucher, Umwandler und Rückerstatter der seelischenPotenzen anderer - natürlich einer niveaubestimmten Sphäre -,das Eigene, Verwandelnde ermißt sich als innere Leistung (Aus-sagegrenze). Wo diese aussetzt, wird gestörtes Gleichgewichtund Problematik der Umweltslage an diesem Typus besondersoffenbar, sie verschärfen seine eigenen Konflikte und deren af-fektbetonte Herausstellung. Umgekehrt macht seine psychischeAnfälligkeit ihn umso wachsamer; wenn die Kraft zur Umpolari-sierung vorhanden ist, leitet die Witterung für Fäulnis und Zer-setzung entsprechende Gegenreaktionen ein. Auf derselben Basiswie im vorigen Falle die einen Unruhezustand weitertreibendenStörer und Aufreizer, enstehen daher ebenso betonte Warner undWächter der Sicherheit, des Friedens, des sozialen Gleich-gewichts. Umwertende Verneinung von Tendenzen der eigenenTriebstruktur wird zum Hebel sozialwertiger Tat. Das «so oder

220

so» ist allerdings unberechenbar und ergibt sich nicht im gefahr-los abstrakten Raum, sondern mitten in den Brechungslinien desAndrangs umweltlicher Verlockung und, Gelegenheit. Mancherverbraucht seine Kraft im Austragen eigener ambivalenter Span-nungen. Tiefer Bohrende gelangen zu Grenzfragen der existenti-ellen Unsicherheit überhaupt, der Unverläßlichkeit rationalerGrundlagen, des Leiden-, Sterben- und Schuldigwerdenmüssensals unlöslich zum Lebensdrang gehörig. Ihr kritischer Schnittdurchteilt die empirische Oberfläche hin zu überindividuellenWertsymbolen, metaphysischen Gewißheiten. In jedem Falle ent-springt dem Ungleichgewicht dieser untergründig gewitter-schwangeren Atmosphäre die Energie des Suchens, wenn inbestimmte Bahn gelenkt, einer Leistung, deren konkrete Zieleden Aufwand nur ungenügend erklären können. Antrieb, Leiden-schaft und Energieverbrauch sind häufig der erstrebten Sacheoder bezweckten Wirkung völlig unangemessen, steigerbar biszum Exzeß.

Untertypen. - Ein Seelenklima, in dem nichts feststeht als wasdem Zweifel und der Versuchung widersteht, bringt Extreme po-sitiver Bewährung wie des Herausgeschleudertseins aus der Bahnhervor, sowie dazwischen arnbivalente, vielfach mehrspältige,gebrochene Naturen. Eine kaum benennbare Fülle von Unterty-pen. Wo kämpferische Spannung sich im Dumpfen, Unklarenoder im Lichte von Halbwahrheiten ausgibt, entstehen die An-kläger, Nörgler und Untergangspropheten, Ruhestörer aus Prin-zip, die ihren bissigen Witz nicht bändigen können oderUnfähigkeiten in den Mantel falscher Tragik hüllen, auch Kon-spiratoren im Parteileben oder sektiererische Geheimniskrämer.Das Herunterreißen dessen, was andere verehren, kann zur Suchtausarten, Pathologisches ist oft Entgleisung echter Ansätze.Mancher Götterstürzer krankt am eigenen zerfallenen Bild deshöchsten Werts, sein Zynismus bringt die Kehrseite fehlge-gangener Ideale zum Vorschein. Andere spüren sozialen Miß-ständen nach, um sie, hungernd nach Polizeibefugnis, auszurot-ten. Vor allem Unruhezeiten, Gewaltherrschaften locken die 150-prozentigen Reiniger und Peiniger sowie ihre Angeber und Zu-

221

träger auf den Plan, rudimentäre Triebe unter hochlautenden Ti-teln auslebend. Der in Tribunalen und Folterkammern betätigteSadismus gehört hierher, wie nicht minder sein masochistischesGegenbild, Selbstbezichtigung, Leiden-Aufsuchen. Danebensteht die «gesunde Grobheit» der Meuterer und Landsknechtnatu-ren, ihr «reinen Tisch machen». Die Situation geschichtlicherOperationsschnitte bringt zugleich innere Mauserungen hervor,sich dokumentierend im äußeren Kurswechsel, politische Über-läufer, die heute verfolgen was sie gestern anbeteten, desgleichensolche in kulturellen und geistigen Ausscheidungskämpfen. Wie-der andere treiben den Exzeß nach innen - auch Selbstkritik kannOrgien feiern, Selbstverstümmelung sich einen Heiligenscheinleihen -, entgleiste Parallelfälle echter Selbstprüfung und Kathar-sis. Aus denselben Wirren, Trübnissen und Leiden läutern sichanderseits fundierte Überzeugungen und freiwilliger Opfergangheraus. Die Extreme sind im ganzen genommen Grenzfälle derUnmenschlichkeit oder aber übermenschlichen Aufschwungs,wobei der Übergang zuweilen fließend und ein Umschlagen inden Gegensatz möglich ist. Den gesunden Normalfall kennzeich-net nicht einfach ein Abgemildertsein der Spannung. Vielmehr istdieselbe ober-unbewußte Spannweite oft zusammengehaltendurch besondere Disziplin mit Energieentladung an denjenigenPunkten, die bewußtes Einordnen in die Gemeinschaft zulassen.

Wohl bei keinem anderen Prinzip hat das geschlechtlicheTriebleben so an der Dynamik der Entwicklung teil. Deren Ein-schnitte, Stagnationen, Fortschritte markieren sich häufig durchentscheidende Begegnungen, erlebte Versagung oder Lösung,auch freiwilligen Verzicht oder Sublimierung. Es gibt eine die-sem Zeichen eigene Sexualmagie. Unterhalb der geistigen Stel-lungnahmen wirksam wie ebenso ablösbar vom Physiologischen,beruht sie auf dem Ansaugen und Umpolarisieren fremdseeli-scher Kräfte. Dies bringt etwa Männer hervor, die latent in einerweiblichen Hörerschaft Vorhandenes faszinierend anzusprechenwissen, sowie Frauen, die, was in einem Manne geistig aufkeimt,abfangen und in Worte fassen, bevor es ihm selbst klar wird. Wodiese Form potentieller Geistigkeit der rein sexuellen Wunsch-

222

kraft dienstbar bleibt, schlägt oft eine Dämonie der Erwartungnach dem Erfolge um in den Affekt des Vonsichstoßens; solchebrüsken Schwankungen «kalter Leidenschaft» sind Zerrbilder desDurchgedrungenseins zum positiven Ausdruck: Beständigkeiteiner im objektiven Wert des Geliebten gegründeten Liebe.

Berufseignung. - Arbeit, einerseits als Wertmesser der Persön-lichkeit erlebt, verselbständigt sich anderseits zum Tun um derSache willen. Meist Leistungsehrgeiz. Setzt das Spannende derUnternehmung aus, so kann sie schroff abgebrochen werden, ge-nügt ein Werk der eigenen Kritik nicht, so wird dieser Typus dererste sein, der Hand daran legt. Gegen fremde Bedrohung hinge-gen und Angriffe, deren Recht er bestreitet, verteidigt er das Ge-schaffene bis zu den Zähnen. Die Durchsetzungskraft istungleich, Zähigkeit wächst mit der Beteiligung, zuweilen rück-sichtslos in der Wahl der Mittel. So grundwichtig das innereVerhältnis zum Beruf, ist bei entwickelter Theoretisierung keineAufgabe zu schwierig, bei primitiveren Schattierungen keine zuwidrig oder unmoralisch. Für korrigierende Eingriffe in das or-ganische Leben - als Chirurg, Unfallarzt, Operations- und Heb-ammenschwester - bringt dieser Typus die Nerven mit; diag-nostischer Spürsinn vereint mit beherztem Zupacken auch imbreiteren Arbeitsgebiet des praktischen Arztes, in der Irrenpflegeusw. Häufig sind magnetopathische Heilkräfte vorhanden, auchBeziehung zur Hypnose. Bei anderen liegt der Schwerpunkt inanalytischer Schärfe der Theorie, die manchmal ein Urwissen,bis dato als mystisch geltend, im Lichte neuer Forschung wiederaufrollt. In diesem Sinne Pharmakologie, Chemie, Erkenntnis-kritik, philosophische Grundlagenforschung oder aber Befassungmit okkulten Fragen. Viele Entdecker. Im Wirtschaftlichen undIndustriellen häufig theoretische oder praktische Sicherung derProduktion durch Konjunkturforschung, experimentelle Rohstof-funtersuchung, Personalüberwachung usw.; materialmäßig Be-ziehung einerseits zu Metallen, auch Verwertung von Abfallpro-dukten aller Art, anderseits zu Säuren, Gärprozessen, Desinfekti-onsmitteln. Schädlingsbekämpfung. Im Sozialkörper der Siche-rungsdienst nach innen - Polizei, Kriminalistik, Straf- und

223

Korrektionsanstalten - wie nach außen - Militär, diplomatischerGeheimdienst -, auch Feuerwehr, sanitäre Maßnahmen usw. DerZug zur Disziplin und Gewaltanstrengung ergibt im Sportlichenzähe Leistungsmenschen, im Kampfsport solche, die Niederlageneinstecken und daraus lernen können. In der Kunst stört oft dasGewaltsame, übertriebene die Harmonie, während der Ausdruck,die Charakteristik gewinnt; meist Vordrängen des Bedeutungs-haften, Einmischung theoretischer Tendenzen. Die kritischeüberwiegt oft die Gestaltungsgabe. In der Literatur führt die an-klägerische, entlarvende und fordernde Note manchmal zu Pam-phlet und Tendenzdichtung, sonst aphoristischer Stil imeinzelnen, Bewußtheit des dramaturgischen Aufbaues im ganzen.

Häufig signalisiert dies Zeichen ein erbbiologisches Problem:die Überkreuzung von Erbreihen mit starken Anlagenverschie-denheiten - Rassenmischung, Niveauunterschiede, extreme Le-bensausrichtung der Eltern oder sonstiges Spannungsgefäll -,eine Bastardisierung im engeren oder übertragenen Sinne. (Vgl.das Inzuchtproblem bei +, auf der anderen Seite von ,, demSpannungsausgleich). Die Untersuchung gibt näheren Aufschlußüber Diskrepanzen, die gemäß dem Aspektgefüge in die akuteProblematik eingehen, daraus färbt sich das Erscheinungsbild.Beispielsweise bildet Unterdrückung in früheren Generationen,sozusagen ererbtes Ressentiment, die Voraussetzung jener Tük-ken, plötzlichen Ausbrüche und knurrenden Töne, die Nietzscheals «Eigenschaften alter Hunde und Menschen, die zu lange ander Kette gelegen haben» bezeichnet. Es liegt also mit an derErbkonstitution, ob der streitbare Geist in schroffer Hervorhe-bung seiner Leitgedanken besserungswütig das Bestehende an-greift oder, ruhig aufbauend, fundierte Erkenntnisse in offenerKritik zur Diskussion stellt. Gemeinsam ist allen Äußerungen dasAnkämpfen gegen stagnierende Zustände oder was dafür gehal-ten wird. In Zusammenhang mit der inneren Unstabilität - dem«Fixen» nicht widersprechend, da sich Stabilität durch eine Artvon Rüttelverfahren erst herstellt - steht die mitunter vor nichtszurückschreckende Energie. Die inhaltliche Erfüllung des Prin-zips fordert viel. Wer nur Entladung von Spannungen, nur «Ab-

224

reagieren» sucht, bleibt im Negativismus stecken. Erst kritischeSelbstprüfung und objektive Leistung geben Ruhe, Sicherheit,und erhöhtes Lebensgefühl fließt aus dem Getragensein von einerSendung.

.Das willensmäßig Zielstrebige

(feuriges, labiles �-Zeichen)

Aufschießende Vitalität, affektiv reizbar, ausdrucksstark, durchBegeisterung entfachte Bewegungsfreude, steigerungsfähig beinacheinander auftauchenden Motiven die in gleiche Richtungdrängen, Ungeduld der Zielverwirklichung; gehobene Stimmungan Brennpunkten der Entscheidung - fliegende Pulse, erhöhteTemperatur -, solch Furioso kann rapid absinken zu Verzweif-lungs-Tiefenpunkten, die aber nicht lange andauern; häufigsportliche Anlage, Tendenz zu Übertreibungen, rasche Fieber-neigung.

In Schwung und Gläubigkeit verhält sich dieser Typus so, wiees seinem über-Ich entspricht, dem Leitbild seiner Wünsche,Willensimpulse, der überwertigen Idee seines Seins. Als Werten-der, Fordernder tritt er damit an die Umwelt heran. Nicht dasAlltägliche lockt ihn, sondern das Außerordentliche, ihm giltnicht was ist, sondern was sein soll. Scheint dieser Anspruch zuverwirklichen möglich, so kann er das letzte aus sich herausho-len. Unbändig ist sein Freiheitsdrang. In gleichbleibend festge-ordneten Verhältnissen fühlt er sich eingesperrt, gegen sozialeSchranken, Bevormundung und vorgeschriebene Zeiteinteilunglehnt er sich auf. Er braucht Bewegungsraum, eine selbstge-wählte, im Wert indiskutable Aufgabe, Motive der Eroberung;hinter sich wird er mehr als einmal die Schiffe verbrennen, dieihn herangetragen, sein Glück dem Wagemut anvertrauend.Ängstlich ist er nur in einem: nie das ihm Heilige an banale

225

Zwecke preiszugeben. Doch indem er hochgesteckten Zielennachjagt, überspannt er leicht die Tragkraft der Realitäten, derBogen seines Aufschwungs biegt um zum Absturz in Enttäu-schung. Mancher, der dem Zug der Größe folgt, stürzt über Hin-dernisse, die ihm nicht der Beachtung wert schienen. TrotzigesAufbäumen gegen Tatsachen, Ableugnung dessen, was ihm nichtgefällt, Dagegenwerfen von Behauptungen eines abenteuerlichenHerzens oder aber Zerknirschung, Einkehr, versuchte Anpassung- jede Lösung des Konflikts mit dem Vorhandenen ist in derDurchführung affektbetont, ermißt ihre Überzeugungskraft amsouveränen Wollen. Dies Prinzip vereint das organisch Ge-schöpfliche mit dem Menschenwürdigen im Klima der Höchst-forderungen, der gesteigerten Erwartung, der Existenzentschei-dungen. Das Niveau (Aussagegrenze!) kontrolliert sich an dem,was der Mensch verehrt. Freilich kann dies auch der Schein desVornehmen sein, dann entstehen erborgte Allüren bis zur Hoch-stapelei, die Pose des Höhergeltenden, oder ein Idol der Kraft,ein mit falschem Pathos gerittenes Prinzip, infolgedessen in leereTheatralik verirrter Lebensschwung. Schließlich kann der idealeAnspruch so herausheben aus jeder Wirklichkeit, daß der Zu-sammenprall mit dem Tatsächlichen ein unwürdig scheinendesLeben wegwerfen läßt: Selbstmord als negativer Freiheitsbeweis.Meist jedoch siegt unverwüstlicher Optimismus, Frische undNatürlichkeit im Anpacken der Dinge. Im Hinblick auf darüber-gesetzte Willensziele verfolgt dieser Typus konzessionslos sei-nen Weg. Die Triebfedern seiner Entwicklung vorsichgehend imAblauf einer stark akzentuierten Linie von Ereignissen - über-steigen das Nurnützliche, rational Berechnende des Gegenzei-chens (, für dessen Urteil wiederum seine Kraftentäußerungoftmals an zweckloses Vergeuden streift.

Begeisterungswillige Auffassung, affektiv sinnsuchend und -gläubig, ausgerichtet auf Fernziele, Vorbilder, Ideen mit derenBedeutendheit sich Anspannung und Leistungswille steigert.Gradlinig beweglich-bemächtigend, expansiv, Wechsel von Auf-schwung, Absinken und wieder Überholung. Angesprochen-werden durch synthetisch aufbauende und organische Blick-

226

punkte, aus denen sich die Einzelheiten in große Zusammmen-hänge ordnen. Entschlußkräftig mit Bevorzugung friedlicherProblemlösungen, seltener Radikalismus mit utopischen Zügen.

In der Kreisordnung stehen wir im Abschnitt vor der Unterwer-fung unter Norm und Vorschrift, noch diesseits der Linie desAbbrechens organischer Kontakte. Gemeinverbindliche Ideensind aufgeworfen, die Leidensform der Krisis ist überholt, imPendelschwung zwischen idealer Forderung und existentiellemZweifel erwächst der Glaube an die positive Tat. Gemäß demFeuertemperament labiler Form will Naturhaftes sich in letzt-möglicher Unbändigkeit ausrasen, im «jovischen» wiederum gip-felt Sinn und Würde des Menschseins, zumindest dem Niveauentsprechende abklärende Vernunft. Darin ist die Lebens-spannung dieses Typus, Forderungshaftes in Sachdeckung zuüberführen, wie sein niveaumäßiger Spielraum enthalten. Wophilosophische Besinnung durchbricht, hat sie ihre Richtpunktein «letzten Dingen», Vereinigung von Pathos und Ethos im Per-sönlichkeitswert, der zugleich Überwindung egoistischen Wol-lens bedeutet; errungene Gipfeleinsamkeit bildet die Voraus-setzung des Drangs, in gemeinnützige, verantwortliche Betäti-gung hinabsteigend den Daseinssinn zu erhöhen. Doch enthältdas intellektuelle Niveau nicht den eigentlichen Wertmesser. ImZeichen organischer Vollendungsstufen wiegt vielmehr edle Ge-sinnung und Adel der Haltung, Repräsentation einer besonderenForm, zu sein, zu handeln. Bedingungen der Herkunft (Aussage-grenze!) haben dabei viel zu sagen. Sind diese primitiver Art undübertönt das Temperament den besonnen Stolz einer Sondergel-tung, so wird solche mehr in äußerer Dramatisierung zu erreichengesucht. Man findet etwa frischverwegene Burschen, Eroberer-naturen, Rekordebrecher teils aus Ehrsucht, teils aus Abenteuer-lust, Herausforderer ihres Schicksals, für die ein Unternehmenerst dann richtigen Wert hat, wenn mit dem Kitzel der Gefahrverknüpft. Bis in die Abseitigkeit des Verbrechens reicht dieSucht nach Größe. Die Einheitlichkeit des Prinzips tendiert aberauf allen Stufen effektiven Getriebenseins oder erdferner Blick-höhe zur personunmittelbaren Einheit von Tat und Gedanke. Dies

227

ergibt ein Leben gleich einer Gratwanderung, gespannt durchBewußtsein der Absturzmöglichkeiten; vorbereitende Phasen fas-sen sich zusammen im Streben zu Spitzenleistungen, erreichterErfolg läßt nicht rasten, sondern gilt als hingesetzte Kennmarke,um in erneutem Aufschwung über sich selbst zu springen.

Freimütiger Ausdruck, impulsiv, zuweilen reizbar-eigenwilligund hochfahrend-heftig, zuweilen friedfertig und duldsam, etwasfeierlich. Pathos optimistisch lebensvertrauenden Grundtons,vornehm distanziert, doch Mitgefühl mit allem Lebensunmittel-baren, von daher dem Menschlich-Allzumenschlichen zugäng-lich. Oft unvorsichtiges Herausfahren der Regungen, getragenvon Selbstachtung und im Gegenüber das Beste voraussetzend,auch Verfechten idealer Werte mit eifernder oder lehrhafter Ten-denz, tätige Anwendung seiner Einsichten.

Ein wesenhaftes Problem lautet, wie mit dem Phlegma des Da-seins in seinen beiläufigen Verrichtungen fertig zu werden sei.Die Masse der täglichen normalen Abwicklungen ist ja wederkühn, glanzvoll, noch heilig und vollzieht sich keineswegs imTempo des Eroberungsrauschs, die Gebote sozial eingegliederterExistenzfristung sind in ihrer Nüchternheit selten vereinbar mitbegeisterungswürdigen Zielen. Dies macht viele dieses Typus inihrem Eigentlichen zu Einzelgängern, wenngleich sich dies Per-sönlichste vom Gemeinwertigen abhebt, um auf einer außerper-sönlichen Wertskala zu den oberen Sprossen gelangen zukönnen. So gibt es Steckenpferde, geritten vor einem Welthinter-grund, als handle es sich um einen für die Menschheit entschei-denden Vorgang. Schaffen aber Unruhen in der sozialen Umwelt,aufgestoßene Tore für Expansion oder kollektive Unternehmun-gen, die wagemutigen Einsatz erfordern, entsprechende Gelegen-heiten, so kommen bei den Primitiveren dämonische Gewaltenund Leidenschaften zum Ausbruch, bei den Entwickelteren rafftdie soziale Gefügeverschiebung, der kulturelle Umbruch undsonstige überspringende Bewegung die Energien zusammen für«den» Augenblick, der auch ihre Spannung löst und einem gro-ßen Wurf die Erfüllung verspricht. In der ungewöhnlichen Situa-

228

tion bewähren sich manche, die in der Tretmühle versagen. Auchdas Genie sticht in Form der Einzigkeit hervor aus der Breite desMenschenmöglichen, indem sein zur Spitze getriebener Persön-lichkeitsstil die Lösungen dessen, was die Problematik der Epo-che schwebend enthält, betont herausstellt. Zugkraft hat hier dasnie Wiederkehrende, Unvergleichliche.

Untertypen. - Solche scheiden sich an den Anreiz bietendenInhalten, während deren Verfolgen in exzessiver Form das Ge-meinsame enthält. Die Zielgerichtetheit ergibt oft, was einer «fi-xen Idee» ähnelt, ohne dem labilen Charakter des Zeichensabträglich zu sein; genau genommen ist es ein Leitbild, nach demzuweilen der ganze Lebensgang in seinem Auf und Nieder, sei-nen dramatisierten Einzelwendungen ausgerichtet ist. Aufgabensymbolisieren den Persönlichkeitswert, der sich am darangesetz-ten Willen und Mut, der bedingungslosen Hingabe erweist. Sowird dem Gipfelstürmer eine noch unbestiegene Wand zur Lok-kung und Anklage, dem Stoßtruppführer der Einbruch in eineuneinnehmbar geltende Stellung zur Ehrensache, dem Forscherder weiße Fleck auf der Landkarte ein zum Aufbruch mahnendesSignal. Je sinngetragener, umso mehr werden die Aufgaben alsAuftrag, von einer inneren Stimme geboten, bis zur religiösenInbrunst erlebt, je sinnentleerter, umso äußerlicher wirkungsu-chend. Die Haltung nimmt beim letzteren den Stil des Vabanque-spielers an, der alles auf eine Karte setzt, wenn nicht desGlücksritters, hart am Kriminellen vorbei oder mit einem Stichins Operettenhafte. Wie hier Verdeckung einer Leere mit besin-nungraubender Spannung und Bewegung um der Bewegungwillen, so gibt es inhaltlich auch falsches Pathos und schauspie-lern vor sich selbst. Der linear-dynamischen Wesensrichtung ent-sprechend kann man schließlich von verschiedenen Typenmarkanter Lebenskurven sprechen. Hierher gehören der Früh-vollendete, der raketenhaft seine Bahn durchläuft und scheitertoder sich darin verbraucht, der Spätling, Wanderer durch Wirr-nisse, Aufregungen, Wenden und Wechselfälle, um am Ende zuseinem Eigentlichen zu kommen, der Emporgeschleuderte, seineBerufung erfahrend durch ein inspiratives Erlebnis, eine einzig-

229

artige Begegnung oder einmalige Ereignis-Verkettung, das übri-ge Leben hindurch davon zehrend.

Lebenswarmer Impuls und hochfliegende Gedanken machenauch die Liebe zum Abenteuer, bei dem es um erhöhten Sinn,wenigstens spannungsvolle Erhebung über die Gewöhnlichkeitendes Daseins geht. Sie kann zu einer das Wesen beherrschendenLeidenschaft auswachsen und verlangt, die Sterne vom Himmelzu reißen - schwer vereinbar mit Kleinkrieg um die Existenz undHaushaltspflichten. Dies der Grund mancher barocker, dem Part-ner lästig werdender Ansprüche, effektiver Behauptungen undHeftigkeiten bei Frauen, wenn sie nicht den Geliebten zum Idolerheben, so sich unterordnend, oder ihren Überschuß an Gefühls-kraft sublimieren, was häufig mit Tendenz zum Religiösen oderHumanitären geschieht. Entspricht ein Erlebnis dem Bedürfnisnach «Einmaligem», «Ausschließlichem», dann können die Ge-fühle von Dauer sein. Ohne diese Erfüllung werden sie leichtselbstherrlich und lösen eine Kette frei gewählter Verbindungenmit jähem «Kopfverdrehen» und nachklappenden Enttäuschun-gen aus. Überhitzter Trieb und überspitzter Wunsch auch beiMännern, nur seltener die Sinnverlagerung des ganzen Daseins inden Eros hinein.

Berufseignung. - Spezialbegabungen, Ergreifen lohnender Ge-legenheiten sind weniger ausschlaggebend als erlebte Berufung,eine voll und ganz mit Eigenem durchpulste Aufgabe. Bei man-chen genügt sich der Tätigkeitsdrang im Physischen. Wo diesnicht der Fall und keine eindeutige Wahl erfolgt, behält dieserTypus allen Beschäftigungen gegenüber das Gefühl der Vorläu-figkeit mit der Erwartung, daß «das Richtige» noch kommenwerde. Hieraus und aus Reisedrang sowie aus Wenden der Ent-wicklung erklärt sich mancher Berufswechsel, sonst gradlinigerKurs. In praktischen Berufen braucht der unternehmende Geisteine gewisse Sonderstellung, Freizügigkeit, ihm übertragenesVertrauen. Dies eignet mehr für Außendienst, bewegliche Ver-hältnisse, werbendes oder belehrendes Wirken als für Stillsitzenim Büro, Abstrakta, Zahlen. Zum Wirtschaften mit knappen

230

Mitteln nicht sehr geeignet, kann dies unkaufmännische Prinzipdoch am Platze sein, wo wirtschaftsstrategisch große Richtlinienzu geben, gigantische Pläne zu verwirklichen sind. Wissenschaftist selten Selbstzweck, zuweilen aber Leidenschaft vom Ge-sichtspunkte des Forschens und Entdeckens aus - beim Expediti-onsleiter etwa verbunden mit unbedingtem Tatwillen, der eineGefolgschaft über Entmutigungen hinwegreißt -, oder erlebt alsethischer Auftrag, zu helfen und heilen, Mitmenschen einen Wegzu weisen. Von hier Oberleitung zu religiösen Formen, Missio-nar, Wanderprediger, Obhut von Entgleisten und Schwererzieh-baren. Eine ebensolche Note bekommt das Sozialgefühl; imDienst einer Parteistrategie etwa eher auf Gestaltung kommenderVerhältnisse als auf bestehende Einrichtungen abgestimmt.Volksredner in diesem Sinne, rhetorischer Schwung und Drama-tisierung der Fälle auch bei Rechtsanwälten. Bei anderen be-stimmen sportliche Neigungen den Beruf - Schulungsoffiziere,Reit-, Fecht- und Skilehrer, Bergführer, Handhabung von Fahr-zeugen -, zuweilen mit artistischem Einschlag. Unter handwerk-lichen Tätigkeiten werden solche in freier Luft bevorzugt, etwadie des Zimmerers, oder auf Erlesenheit des Gegenstandes beru-hend, etwa Geigenbau; kennzeichnend für organische Vereini-gung von vielerlei Aufgaben ist der Försterberuf. Als eine derunmittelbarsten Ausdrucksformen im Künstlerischen kann derTanz gelten, ferner die Bühne, in den übrigen Künsten eine ex-pressive Note sowie Beziehung zum Sakralen.

Man könnte sagen: der Typus der Sondertypen, insofern derStil persönlichen Lebens, wenn auch Gemeinsamem zugewandt,ein eigenes Profil herausbildet. Irgend etwas thront in seiner Weltals heilig. Mit Nächstbesten, die für das Hinanziehende kein Or-gan haben, machen sich diese Menschen nicht gemein. Der Frei-heit müssen Entscheidungen offenstehen, sie lieben denfedernden Schritt ins Unerschlossene. Was ihr Wesen ist, enthülltder gegangene Weg, die Jugendpersönlichkeit lebt sozusagenvom vorverlegten Zentrum, das die Alterspersönlichkeit erreichthaben soll; daher oft die befürchtete Tragik, ein großes, nichteingelöstes Versprechen zu bleiben. Eine eng, vernützlicht emp-

231

fundene Sachwelt reizt das ruhelose flackernde Temperament,den umstellenden Raum zu sprengen. Mancher wird sich eher ausProtest abenteuernd zu Grunde richten, als durch lukrative Ab-hängigkeiten lahm legen. Wenn man diese Perspektiven unter-bindet, seine Beweggründe mißversteht und ins Kleinlicheumdeutet, reißt ihn Jähzorn zu unbesonnenen Handlungen fort.Doch duldet die optimistische Bewegungsnatur nicht, daß sichein Unmut festsetze und gern ist er zur Versöhnung bereit. Beidauernden Einschränkungen packt er sein Bündel und wechseltden Schauplatz. Enttäuschungen können ihn ganz - aber nur kur-ze Zeit, solange in vorherige Erwartungen verbohrt - zu Bodenwerfen; immer wieder schwingt er sich auf zur Kulmination inüberschäumender Daseinslust. Mit zunehmender Reife beruhigtsich meist dies ungestüme Wesen, Toleranz erwächst aus Ein-sicht in Sinngedanken über den Gegensätzen, unähnlich der an-fänglichen Heftigkeit seiner Zu- und Abneigungen. Oft muß erstdie Arroganz fordernder Unreife abgewetzt sein, bevor Erfüllungdurch latente Einfügungswilligkeit des Geistes, Sinn für organi-sches Gesetz und menschenverbindende Idee, zum Vorscheinkommt.

/Das stofflich Bewegende

(erdhaftes, kardinales �-Zeichen)

Verhaltene Vitalität, zähflüssig und ausdauernd, widerstands-fest, ohne jeden Übermut und Übertreibung, nur nötigste Bewe-gungen, schwerfälliges Tempo, häufig Untertemperatur, sparsamin der Ausgabe des Gesamtvorrats, ungeachtet stockender Pro-zesse meist gute Konservierung der Energien bis ins Alter; ge-mäßigte und regelstrenge, genügsame Lebensführung entsprichtder «Rechtwinkligkeit an Leib und Seele»; verhärtende Tenden-zen, schlechte Regeneration von Abgenutztem, einlaufende Er-schwernisse nehmen häufig chronische Form an, Müdigkeits-und Melancholiezustände geistig überwindbar.

232

«Man» verhält sich so oder so: Haltungsgrundsatz dieses Ty-pus, «die allgemeine Meinung»: gültiges Kriterium. Sein Eigent-liches, schwer zuweilen ergründbar, liegt versteckt unter dem,was im betreffenden Falle zu sagen üblich ist. In kleinen Kor-rekturen gemäß persönlicher Erfahrung von Dingen und Men-schen wird es bemerkt. Nur nach erhärteten Tatsachen richtetsich sein kühl beharrliches Streben, nach Normen sein Verhalten.Stimmungen und Gefühle sind ihm ohne Verlaß, Originalität be-deutet ihm etwas erst zu Bewährendes, subjektive Willkür wäregeradezu ein Verstoß gegen die Sicherheit der Welt. Dies Einge-stelltsein auf das Dauernde und Allgemeine findet Rückhalt ge-gen Meinungsschwankungen im Herkömmlichen, in Brauchtumund Sitte. Tradition ist hier ein lebendiges Wort oder aber eineRumpelkammer opportunistisch hervorgeholter Formen: daranscheidet sich das Niveau (Aussagegrenze!). Der eine trifft hartund streng seine Entscheidungen nach dem Gebot, das er veran-kert sieht im stabilen Bau sittlicher und staatlicher Ordnung, derandere geht mit kühlem Realismus vom Boden des Gegebenenaus, beurteilt, was zu tun, nach den für sich zu erwartenden Kon-sequenzen. Zwischen des letzteren Egoismus, der die statistischeNorm zu seinen Gunsten anwendet und dem normativen Pflicht-standpunkt des ersteren stehen die Gruppenegoismen. Ihnen zu-folge spielen in die Auffassung der Dinge die Erhaltungs-grundsätze des sozialen Standes, der Kaste, welcher der einzelneangehört, hinein, modifiziert durch die Zeitlage. Mehr als alleanderen wird dieser Typus von seinem sozialen und geschichtli-chen Ort bestimmt. Stark ist sein Ehrgeiz, meist ein Bedürfnisnach geachteter Stellung und einem Namen von Klang. Aus-zeichnungen, Ehrenpreise, Titel, Orden sind ihm Symbole per-sönlichen Werts, Uniform, Standestracht trägt er mit Bedeutung.Damit solche Attribute das Selbstgefühl heben, darf ihr Erwerbnicht dem Zufall noch günstiger Gelegenheit zu danken sein.Dem echten Vertreter dieses Prinzips werden sie erst süß durchsauren Schweiß und als Ergebnis einer Planung auf lange Sicht.Geduldig wird er von Sprosse zu Sprosse der vorgefundenen Stu-fenleiter hinansteigen. Er scheut keine Schwierigkeit, kann De-mütigungen ertragen. Zäh und gründlich, gewissenhaft, ausdau-

233

ernd, korrekt im Einhalten von Vorschriften, Anwärter auf dengleichen Platz mit nachhaltiger Energie - bei niederem Niveaumit berechnender Tücke - beiseitedrückend, führt er durch, waser sich vorgenommen hat. Seine Lebensstrategie will Zug umZug wie im Schachspiel logisch berechnete Positionen erringen,immer konzentriert auf den Endzweck. Diese Haltung ist nichtumstimmbar durch momentane Eindrücke auf das Gemüt, wieunter dem Gegenzeichen ), ihr fehlt dessen Einfühlung in varia-ble Lebenszufälle, eben darum kann sie mit konstanter Folge-richtigkeit alles Private dem Allgemeingültigen unterordnen.

Feststellende Auffassung, nüchtern und sachlich, trocken-erfahrungsgebunden, schwunglos, sperrig gegen Beeinflussungvom Gefühl her, formale Beurteilung äußerer Daten, konzen-triert, eng-fixierend, Tendenz zum Gesetzmäßigen. Konservati-ver Zug, Bedürfnis nach Kontinuität, prüft Neuerungen auf ihrenWirklichkeitsgehalt und wartet ihr breiteres Anerkanntwerden ab.Langsame Meinungsbildung, unterdrückt persönliche Neigungensofern diese unvereinbar mit normativen Maßstäben.

Das Tor zum Menschheitlichen ist in der Kreisordnung gemau-ert vom Prinzip stärkster materieller Konzentration. Die Kardi-nalität liegt im nachdrücklichen Dingen auf Realisierung derVorhaben im sozialen Raum und dessen Bedingungen. Ihr geisti-ger Aspekt besteht darin, daß, nunmehr absehend von organi-schen Kontakten, aus dem stofflichen Fürsichsein jedes Dingsder Gehalt gezogen wird, der es eingefügt in die Tektonik desWeltganzen erkennen läßt. Hier herrscht die unerbittliche Klam-mer des Saturn. Der Geniale kommt zur perspektivenfreien For-mulierung des Absolutums, dem der Standpunktbedingte schul-digen Gehorsam pflichtet. In einer gestrengen Welt lebt dieserTypus auf jeden Fall. Wer nur den Druck erlebt und kein Prinziphinter der Entbehrung sieht, reagiert mit zuweilen schäbigemEgoismus. Für den Mangel an vitaler Unmittelbarkeit aber meistentschädigt durch gute Geistesanlagen, ist der Typus wie keinzweiter dafür geschaffen, sich in mühevolle Aufgagen zu vergra-ben, langwierige Studien durchzuhalten. Schnellsiedemethoden

234

und Sachen, die leicht von der Hand gehen, sind ihm verdächtig.Er schätzt das Gediegene, Zuverlässige, systematische Stoffglie-derung und geregelte Zeiteinteilung. Sein Weg baut Überra-schungen vor und strebt konsequent aufwärts. Keinen Schritt tuter zu früh, keinen zurück, höchstens tritt er auf der Stelle, wennes die Umstände verlangen, und verharrt in einer vorgesehenenReservestellung. Liegt in persönlichen Entscheidungen keine ge-bräuchliche Lösungsform und kein Präzedenzfall seiner Erfah-rung vor, so lehnt er sich meist an bewährte Autoritäten an, erbedarf der Ermächtigung und Absolution. Dies muß nicht Un-selbständigkeit sein, ist eher Ausdruck eines überpersönlichenRechtssinnes, der sich an allgemeinverbindliche Satzungen hält.Irgendwie vom Durchzug flutenden Lebens abgeschaltet, tempe-ramentmäßig irnpulsarm (relativ zum Familien- und Stammesty-pus, Aussagegrenze!), ersetzt er geschmeidige Anpassung durchRegelmaß und formelle Einordnung.

Formalistischer Ausdruck, prägnant, sparsam, überflüssigesvermeidend, karg und schmucklos, Vorliebe für Extraktsätzeoder Gebrauch stereotyper, oft konventioneller Wendungen.Trockene Redeweise mit müde-melancholischem, manchmalbrüchigem Ton. Verbreitet sich umständlich über ein sachlichesThema, nur durch Stoff und Gedankenführung fesselnd, im Per-sönlichen zurückhaltend, wenn nicht verschlossen, auch in derErregung beherrscht. Unangenehme Tatsachen werden mit Härteund ohne Rücksicht auf die Gestimmtheit des Gegenübers gesagt.Verschweigen dessen, was den Ruf schädigen könnte oder dieKarten aufdecken würde.

Bei der Transformation von Ererbtem in Umweltsgeprägteshört man hier gleichsam die Scharniere knarren, bzw. die verfüg-bare Vitalität steuert das Öl für möglichste Lautlosigkeit desVorgangs bei. Sie verselbständigt sich nicht in Unruhe und Wirr-nissen, ihre gesteigertste Form heißt Leidenschaft der Sachlich-keit. Auskristallisierte Erbsubstanz geht eine Verbindung ein mitKonzentraten aus umweltlich Vorgefundenem, Anerzogenem, amdeutlichsten, wo es noch Standespersonen von Geburt gibt. Man

235

darf weniger Anreger und Neuschöpfer erwarten als Durchbild-ner im «Raum, in dem sich hart die Dinge stoßen». Mancher al-lerdings ist selbst der Gestoßene, Geduckte, Getretene -dissonanter Milieufall oder chronischer Pechvogel -, andere sindEndprodukte dissonanten Erbes mit «letzter Anstrengung desSpätlings». Dringt der Mensch nicht zum geistigen Erfassen desPrinzips durch, dann entstehen jene murrenden, klagenden Laute,Auslassungen pessimistischer Betrachtungsweise, die jeden Auf-schwung in ihrer Umgebung unterbinden: selbstquälerischerUnmut verschafft sich Äquivalente gepreßten Eigenwerts in derUnterdrückung anderer. Starke Charaktere hingegen bekommendurch äußere Ungunst etwas vom Wuchs des Wetterbaumes, ihreSonderbarkeiten - wenn nicht seelischen Verkrüppelungen - las-sen gerade am sichtbar gewordenen harten Gesetz ihrer Existenzden zähen Willen zu Leistung und Selbstbehauptung erkennen.So findet man unter diesem Prinzip die letztmöglichen klassi-schen Ausfeilungen, fleischgewordenen Pflichtgrundsätze undBauherren auf Ewigkeit, neben müdem Eklektizismus undschwunglosem Verhaftetsein im Materiellen; Genialität bestehtin Formvollendung, erprobt am sprödesten Material, geistigesNiveau erweist sich im Grade unpersönlicher Verarbeitung vonSachkenntnis.

Untertypen. - Fast ist es so, als ob das Tiefgründige des Prin-zips sich erst aus Leid herausläutert, seine Standortfestigkeit imVerzicht wurzelt, seine Energie an Widerständen erwächst. Frei-lich gibt es auch oberflächliche Konventionalisten, die kein Erbeder Väter drückt und denen in der Kindheit das Leben allzu leidetgemacht wurde; sie denken in Gemeinplätzen, ihr Selbstgefühlhängt an Äußerlichkeiten, die Trümpfe der öffentlichen Meinungsind ihre Fetische. Gesellschaftliche Formsicherheit tarnt oft einGefühl geistiger Inkompetenz, verschanzt hinter Autoritätsaus-sprüchen, Zitaten, Dogmen, Paragraphen oder der Meinung dermeistgelesenen Tageszeitung. Ferner sind die besten Verhältnissekeinerlei Schutz gegen Lebensangst, es gibt Millionäre mit demVerhungerungskomplex; die sowohl psychisch begründete alsphysiologisch ausgewirkte Verkrampfungs- und Zurückhaltung-

236

stendenz ergibt schließlich die knauserigen Filze, Geizhälse,Schatzsammler. Der Sammeltrieb ist etwas unter diesem Prinziphäufig Verselbständigtes, ernährt seine Steckenpferde von Auto-grammen und Briefmarken bis zu Mineralien und Kunstwerken;einerseits befriedigt er die Neigung des Geduldspiels, anderseitsdie Freude der Komplettierung. Ein Abschein hiervon liegt nochauf der Ahnenforschung. Am Ahnenstolz stärkt sich vor allemdas Selbstgefühl der Vertreter einer ehemals herrschenden Klas-se; der unzeitgemäß gewordene Stil des Auftretens negiert dievor sich gegangene Umschichtung, die Zugeknöpftheit bewahrtden alten Anspruch. Der Gegenfall zu diesem «Ehemals-Typus»liegt im «nie zum Zug kommen» eines anderen, der, mit schlei-chenden Stimmungen übelnehmender und mißgönnerischer Artsich unleidlich machend, Strafpunkte an die Umgebung austei-lend, ständig auf die ihn hindernden sozialen Umstände hinweist;Mangel an Selbstzutrauen sowie an Entschlossenheit, die Regieseines Lebens zu übernehmen, stecken dahinter. Wohltuend hebtsich davon der rechtschaffene Durchschnitt ab mit seinen handfe-sten, wenn auch trockenen und ledernen Lebensweisheiten, sei-ner zuverlässigen Tüchtigkeit.

In diesem herben Seelenklima bedeutet die Liebe weniger einHingegebensein an den Rausch des Blühens, als eine Sorge umdie Früchte. Bei der Frau kommt die Wirtschafterin und Erziehe-rin schon in der Puppenzeit zum Vorschein, Koketterie entfaltetsich spärlich, um so besser redliche Neigung. Manche bleibenmißtrauisch distanziert vom Willkürhaften, Unverläßlichen dermännlichen Triebnatur, ihr Gouvernantenblick tötet «unerlaubteRegungen», die Freuden des Eros gestatten sie sich nur als eheli-che Pflicht oder im Gewand der Gesinnungsfreundschaft. Jeden-falls ist die Darbietung verhalten, die Erschließung zögernd, derAufwand in der Kleidung schlicht oder von vornehmer Ge-dämpftheit. Beim Manne erstreckt sich das bedachtsam Über-legte meist auch auf Triebziele; es gibt lebenslange, schicksal-hafte Leidenschaften oder sachliche Erledigung von Naturnot-wendigem - auf den unteren Stufen trifft man auf Faunisches, inpathologischen Entgleisungen Fetischismus -, aber kaum Tände-

237

lei, leichtes Spiel mit der Situation. Ehen werden selten ohne Be-rücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte geschlossen, häu-fig ausgesprochene Standes- oder Geschäftsheiraten.

Berufseignung. - Neigung und Wahl gehen auf beständigeMaterie, gesetzmäßige Form, dauerhafte Einrichtungen. Häufigist der Beruf durch Familientradition vorgezeichnet. Das Bedürf-nis nach Sicherstellung bevorzugt eine Laufbahn mit stufenmäßi-gem Aufrücken, Abschluß durch Pension, auch Titel und andereEhrungen üben eine Zugkraft aus. Für den Staatsdienst, in Amts-stuben und Registraturen, auf Verwaltungsposten, überall, wopünktliche Pflichterfüllung gefordert wird, wo Entscheidungensich nach Zuständigkeiten und Ressorts regeln, ist dies das an-gemessenste Prinzip. Auch beamtenmäßige Stellungen in wirt-schaftlichen Großunternehmen - Angestellte auf Vertrauens-posten, Kassierer, Archivare, Lagerverwalter - rechnen hierher,ferner zuchtmäßige Auffassung des Schuldienstes, Leitung oderAufsicht in Pensionaten, Klosterschulen, Kadettenanstalten usw.In bezug auf Studium und Forschung erfahrungswissenschaftli-che sowie mathematische Tendenzen, Zahlen- und klassifi-zierendes Sachgedächtnis - Astronomen, Physiker, Mineralogen,Statistiker, Historiker - oder sprachlich-formale Begabung - Juri-sten, Grammatiker, Theologen, als solche Dogmatiker -, im So-ziologischen ein Zug zur Herausarbeitung von Gesetzmäßig-keiten aus empirischem Material. Beziehung zu Münzwesen, He-raldik, Genealogie. Ferner das Bauwesen im ganzen Umfange:Maurer, Materiallieferanten, statische Berechner, Bauämter,Städteplanung, dabei anknüpfend an örtliche Tradition, Unter-ordnung des Privaten unter gemeinnützige Zwecke. Grundstück-und Häusermakler, Bodenbesitz und Bergbau in seinen vielenMöglichkeiten, Bodenforschung, Landwirtschaft großen Stils,Gutsverwalter, Lehrer an Agrarschulen. In den Künsten meistangewandte Formen, Druckereierzeugnisse, künstlerischesSchriftbild oder im Dienst des öffentlichen Auftrags, Monumen-talkunst, Plastik in diesem Sinne, Mosaik. In der Musik mathe-matisch-konstruierende Tendenz, Kontrapunktik, in der Literaturvorzugsweise epische Form. Überall ordnet sich das Stimmungs-

238

mäßige der Würde und Bedeutung des Gegenständlichen unter,wird das Improvisierte, Skizzenhafte und Fragmentarische ver-worfen.

Erb- und sozialgeschichtlich steht der Einzelne auf den Schul-tern vorangegangener Generationen. Ihre Schäden gilt es auszu-bessern, Tüchtigkeiten aber nicht zu verwirtschaften. Denjugendlichen, der sich selbst sucht und mehr als nur Fortsetzersein will, ergreift oft lastende Melancholie, die langsam zu wei-chen beginnt, je näher er, Mühseligkeiten des Daseins bewälti-gend, seinem Wirkungszenit zurückt. Mancher wird dies Läh-mende - und damit Ängstlichkeit, Mißtrauen, Verknöcherung-stendenz - paradoxerweise gerade im Alter los: errungenerichtige Selbsteinschätzung löst die Härten und Starrheiten, erwird zugänglicher, bekommt eine eigentümliche trockene, knap-pe Art des Humors ohne den früheren bitteren Bodensatz. Unterdiesem Prinzip lernt der Mensch, sein Streben dem «an sich Be-stehenden» anzubequemen. Ein latenter Gehorsam gegen Höhe-res ist in ihm. Seine Erfolge sind meist unoriginell - auch die derehrbeflissenen Streber und pedantischen Käuze -; Fristen undBedingungen stellt nicht er, erkennt sie aber und dies ist seineChance. Es ist das Zeichen etwa eines Staatsmannes, der durchDienen herrscht, die Stunde abwartet und - ohne sich mehr alsnötig zu exportieren - Tatsachen schafft. Die unbestechlicheSachtreue des Zeichens tendiert letztendlich zur allgemein-gültigen Richtschnur des Menschseins, persönliche, familienmä-ßige, nationale und standesmäßige Vorurteile ausmerzend.

0Das geistig Ordnende

(luftiges, fixes �- und �-Zeichen)

Unberechenbare Vitalität, durch geistige Spannkraft getragenund erneuert, sie kann sich sowohl sprunghaft aktiviert äußern,

239

bis zu krampfartigen Anspannungen, als auch Perioden der Ab-gespanntheit und Apathie durchmachen; geringe Triebstärke undmangelnde Unmittelbarkeit der Instinkte, häufig Blutarmut, da-her oft substanzlos wirkend, doch unter Umständen elastischeWiderstandskraft, ausdauerndes Ertragenkönnen von Entbehrun-gen; empfänglich für lebensreformerische Regulationen, Atem-technik, autogenes Training usw., deren praktischer Einbau inLebensgewohnheiten die Konstitution kräftigen hilft.

Ein Typus, dessen Heimat in seinem ideologischen Halt liegt.Er wirkt nicht durch die physische Unmittelbarkeit seiner Person- alles andere als «Naturbursche»-, sondern das, was in Hinsichtauf etwas Überpersönliches sein persönliches Leben erfüllt undträgt. Dies mag ein Bildungsideal oder ein Vorschlag zur Elektri-fizierung der Erde sein, das sinnlich Greifbare ist ihm lediglichfunktionelles Schaltglied seiner Gedankenwelt, nur darauf Bezo-genes hört und sieht er. Ausmaß und Gehalte seines Allgemein-blicks durchlichten ihm das Einzelne, je nach diesem mitgeteiltenLicht geht ihn etwas im Besonderen an. Ob seine Welt seichtoder tief ist (Aussagegrenze!), auf jeden Fall weht helle, klareLuft gleichmäßigen Verständnisses für die darin enthaltenenDinge. In diesem Sinne der geborene Aufklärer, befindet er sichdurch seinen ordnenden Geist - er muß nicht logisch, kann auchintuitiv-regelnd sein, nicht vom schlechthin «Intellektuellen» istdie Rede - entweder über der Situation oder gar nicht darin. Setztdies Verständnis aus, so sind Reize, die für andere überwältigendsein mögen, ihm ohne Bedeutung. Fremden Erregungen steht erdaher mit gleichmütig offen gehaltener Tür interessiert-teilnahmslos gegenüber; Gefühle der Sympathie oder Antipathiekönnen hierbei eine Brücke schlagen zur Einsicht in die Unter-schiedlichkeit der Charaktere und ihrer Triebfedern. Je reiner dasPrinzip zur Ausprägung kommt, um so mehr behebt sich Partei-nahme im Blick für das Menschenantlitz aller Schattierungen.Aufregend für manchen Partner, wie selten dieser Typus durchmomentane Eindrücke außer Fassung zu bringen ist! Seine kühlegeistige Leidenschaft läßt ihn mitten im Meinungskampf demGang der Wirrungen folgen im Versuch, sie durch Aufhellung

240

der Motive effektiver Ausbrüche diskutabel zu machen. Etwaswie einen persönlichen Ehrenpunkt außer vielleicht dem dergeistreichsten Parade - scheint es nicht zu geben. An dessenStelle schaltet eine Zentralidee ein, Gott, Weltgeist, menschlicherFortschritt oder ein sonstiger Ausrichtungspunkt, auch die Son-derlichkeiten des verschrobensten Eigenbrödlers erklären sichaus seiner Idee des Seins. Leuchtet ihm das überzeugtsein voneinem solchen Regulativ des Handelns aus den Augen, so trittalles Private in den Schatten. Aus dieser Idee allein und nur fürsie lebt er, sie gibt ihm Sicherheit in Gefahren und Schwankun-gen; eine Umbenennung des so hinausverlegten Zentrums wirdihm zum Angelpunkt plötzlich veränderten Lebensstils, darinenthaltene Zukunftsperspektiven machen Kräfte frei, die er gege-benenfalls ohne Rücksicht auf seine Physis einsetzt. Fehlt einederartige ideologische Beschwingtheit, dann gilt dem nunmehrPlatz greifenden Nihilismus alles gleich, was denkbar und theo-retisch möglich ist, soweit nicht in etwas pedantischer Befolgungnüchterner Lebensregeln und eines Umgangs-Zeremoniells einephiliströse Befriedigung gefunden wird. Dies vom Gedanklichentemperierte Seelenklima richtet sich in strittigen Fragen gemein-hin nach dem, was den Zusammenhang von Mensch zu Menschwahrt: Geheimnis seiner Mäßigung und Toleranz. Aus der Ideeeines besseren, erstrebenswürdigen Zustandes jedoch entstehenmitunter starr doktrinäre Handlungsweisen mit Übergehen allesorganisch Gewachsenen, Individuellen. Sogar sich selbst kaummehr als «ein gewisser X meiner Reflexionen», ist diesem Typusvitales Ergreifen und Gestalten dessen, was unmittelbar vor Au-gen steht - Lebensnerv des Gegenzeichens *, - genau so, dochohne unbedingt zwingenden Anspruch, denkbar wie andere Re-aktionen.

Besonnene Auffassung, intuitiv planend, systematisch einord-nend, wenig durch sinnliche Reize beeindruckt, indifferent gegenAffekthaltungen, doch lenksam durch ideellen Überblick, die In-tensität eines Interesses festhaltend, auch wenn ein Bruch mitgewohnten Anschauungen nötig. Einsichtig regulierender Geist,zuweilen voller Sonderbarkeiten, der die Dinge zeichenhaft nach

241

abstrakten Zusammenhängen gruppiert sieht. Die Anwendungder Theoreme bewegt sich in der Spanne zwischen flotter Orga-nisation, praktischer Zielverwirklichung oder weltfremder Ideo-logie, Prinzipienreiterei, Schematismus.

Dem Abschluß der Kreisordnung genähert, erreichen wir unse-re letzte und eigentliche Grundlage als Mensch auf der geistigenEbene. Sie kann saturnal aus Erfahrung oder uranisch inspiriertgewonnen sein; im Ausdruck ist es der andere, der «fröhlicheSaturn», der manchmal Schellenkappen trägt. Organische Kon-takte, subjektiver Eigenwert und Lokalton der Herkunft tretenhier zurück. Das «Fixe» dieses Zeichens gilt nicht etwa im Sinnefixer Ideen die im Uneigentlichen vorkommen -, sondern die demTypus eigentümliche Geistigkeit ist ein gleichmäßiges, effektloserkennendes Umspielen und Durchdringen der Dinge, sie suchtdem «Ansich» ihres Beschaffenseins aus dem Einbau in eine zu-sammenfassende Ordnung gerecht zu werden. Die Grundlageliegt im Mittel der Systematik. Mit jedem System ist der Wirk-lichkeit ein Schema auferlegt, um sie besser zu fassen.- ein be-wußtes Zuordnen da, wo unbewußtes sich-Darleben innaturwüchsigen Ordnungen versagt. Das Mittel kann freilich zumSelbstzweck werden im abstrakten Schematismus, dann entste-hen Unnatur und blutleere Doktrinen. Ebenso gibt es eine Ver-selbständigung der sozialen Regelungen und technischenEinrichtungen, konstruiert, um Naturhaftes einzudämmen oderauszuwerten. In der Überschätzung solcher abgeleiteter Formenfixieren sich diejenigen, die weniger der universelle Gedanken-flug als ein Schlagwort wie «Wissen ist Macht» anspricht. Dasmenschliche Niveau (nicht das intellektuelle, Aussagegrenzen!)entscheidet, wie weit jemand in edelmütiger Selbstüberwindungsich über egoistische Ziele hinausschwingt oder die Gestuftheitder menschlichen Natur vom «Oberstübchen» her verzerrt sieht,die Ichtriebe abwertet, ohne sie zu überwinden und Meutereien inden unteren Stockwerken hervorruft. Das Genie bezieht das Per-sönliche ins Universelle ein und erlebt das Prinzip als Umschöp-fer, Träger und Repräsentant eines Weltaspektes.

242

Gleichmütiger Ausdruck, ungeachtet lebhaften Verfolgensakuter Interessen, wenig Modulation in der Stimme, relativ ra-sche und bestimmte Entschließungen, doch ohne Aggression.Illusionslos und unsentimental beim Besprechen heikler und ge-fährlicher Dinge, je nach Überblick oder meditativem Innege-wordensein klar umrissene Behauptungen, unempfänglich fürEinspruch, wenn die Begründung fehlt. Aufbauende Beharrlich-keit, solange mit dem Grundgedanken einer Sache einverstanden,unverrückt bleibende Ziele zuweilen mit sprunghaften Methodenansteuernd, bei Änderung der Grundgedanken plötzlicherSchwenkungen fähig. Formleichtigkeit, oft Eleganz der Beweis-führung, witzige Darstellung, auch ohne Geltungsdrang meistdominierend in seinem Diskussionskreis.

In einer Zivilisationslandschaft lebt dieser Typus, auch wennman ihn in freier Natur antrifft. Für deren Formen braucht er ei-nen Richtweiser im geistigen Medium. Naturgegebenes liefertihm sinnträchtige Bilder für eine Gesamtschau, Stoff für syste-matische Einteilungen oder Rechenzeichen für mechanischeKonstruktionen. Seine Interessiertheit haftet nicht am lokal undpersonal Bedingten, an Gefühlsstandpunkten, sie tendiert zu In-halten, die allerorts und für jeden in jeder Situation gelten könn-ten. Deshalb fehlt den Mitmenschen an ihm - ungeachtetgefundenen Verständnisses - oft der eigentliche Herzenston: siefühlen alles durch einen originellen Geist richtig benannt, den-noch sich zu unpersönlich behandelt. Dies Prinzip der größtenLebensferne ist aber zugleich dasjenige einer Überwindung derAbhängigkeit von Gefühl und vitalem Anreiz, daraus entsteht diekameradschaftliche Duldung eines jeden in seiner Lebens- undDenkart. Beim Genie erhöht sich dies im inspirierten Teilhabenam Unisono der großen Geister, der kleine Mann wird sich mehrpraktisch als Allerweltsfreund betätigen und die Leitungen repa-rieren. Der Appell an allgemeingültige Grundsätze führt schließ-lich zu einem religiös indifferenten Altruismus der Handlungs-weise. Viele können verzichten und dulden um ihrer Anschauun-gen willen, mancher erreicht darin ein Höchstmaß dessen, wasMenschen überhaupt zu ertragen fähig sind. Alles hängt jedoch

243

vom innerlich Tragenden ab und vom Organ für die «vox huma-na». Fehlt das Niveau zur Ausfüllung der Weltidee, so entstehtunter diesem Zeichen eine Nivellierung durch leere Allerwelts-begriffe. Auch berührt sich in ihm das Heilige mit dem Frivolen;es bedarf oft nur einer kleinen Akzentverschiebung vom einenzum anderen, denn das Prinzip der Aufhellung läßt kein Mysteri-um zu und setzt dem freizügigen Gedanken keine Schranken derScheu. Um einen guten Witz, eine geistreiche Formulierung aufdem Boden des Zeitgemäßen wird leicht das Ewige preisgege-ben. Positiv ist die geistige Redlichkeit, sie duldet keinen Wider-spruch zwischen Glaube und Vernunftseinsicht. Liegen die Plau-sibilitätspunkte dieses Typus im Politischen, so wird er unterUmständen - durch Vereinseitigung seiner Idee wirklichkeits-blind - mitleidlos sachlich, als hemmungsloser Umstürzler oderOrdnungsfanatiker der Heilsidee, alle menschlichen Angelegen-heiten von einem Schaltbrett aus regeln wollen, ohne die kon-kreten Folgen zu sehen.

Untertypen. - Am Verhältnis der geistigen Kapazität zurMenschlichkeit scheiden sich vielerlei Schattierungen. Ist dieFassungskraft gering, so besteht doch die Neigung, sich geistigeTitel des menschlichen Verhaltens zu suchen; viele Anhängervon Lehren, deren Gehalt sie nicht durchzudenken vermögen unddie ihnen gleichwohl Ausrichtung des Daseins bieten, entstehendaraus. Ähnliches schimmert durch bei den weiblichen Variantender Dulderin, Entsühnerin oder der büßend um den Heiligen-schein buhlenden Kurtisane. Beim umgekehrten Mißverhältnisfinden sich oft Härten der Überspannung einer Idee, die nicht mitvoller Menschlichkeit ausgefüllt werden kann. Manchem stehtgeistig mehr zur Verfügung als er lebensunmittelbar umzusetzenfähig ist: den leibhaftigen philosophischen Wörterbüchern, En-zyklopädisten, Wort- und Zahlenkundigen aller Art, deren sonstoft papierne und ausgelaugte Wesenheit im Selbstwert aufleuch-tet, wenn man sie befragt. Wie hier die «fixe Regel» in der Ein-teilung nach Schubfächern liegt, so bei erzählbarem Stoff instereotyper Form und einem gewissen Ritual des Vortrags. Ab-gesehen von der bekannten Art trockenfeierlicher Einstreuung

244

des Oberlehrers in sein Pensum: «an dieser Stelle pflege ich fol-genden Witz zu machen ... » gibt es mehr locker ausgespielte,heiter-geistreiche Klischees der Unterhaltung, stets im gleichenWortlaut hingeordnet auf eine Pointe, auswechselbare Stücke;ihre Umsetzer - den «Mann mit der Witzkiste», den Anekdo-tenerzähler, den Kolporteur fesselnder Neuigkeiten - wurde esauseinandersprengen, wenn sie keine geneigten Ohren fänden.Wissensgut, gleich welchen Inhalts, darf bei diesem extraversivgerichteten Prinzip nicht brach liegen, es ist ferner unabhängigvon der persönlichen Form des Erlebens, bei der komunikativenAnwendung geben Sprecher und Hörer lediglich die Facetten her,in denen es sich spiegelnd bricht. Für die Selbstbeschäftigungerfindet der geistige Spieltrieb allerlei abstrakte Steckenpferdemit einer Systematik und Regel, nach der sich die Fülle der Welterjagen und einfangen läßt. Dergleichen Betätigungen reichenvom Liebhaber des Schachs und anderer reiner Denkaufgaben,der magischen Quadrate und kabbalistischen Zahlenordnungen,des I-Ging, Tarot oder Patiencelegens - Verregelung von Manife-stationen des Unbewußten -, bis zu den unentwegten Lösern vonKreuzworträtseln, die ein unausgefülltes Feld als Lücke ihrerVollständigkeit empfinden. Die Verselbständigung geistiger In-halte besteht noch in ihrer Anwendung auf persönliche Lebens-kultur, etwa bei denjenigen, die dem Tag durch einen Leit- undSinnspruch etwas ihn Tragendes geben, wobei die Spielsituationdurch Wählen, Aufschlagen eines Kodex, hergestellt werdenkann.

Grundverkehrt wäre es, einen Mangel an Gefühl zu behaupten.Gerade das Liebesgefühl hebt sich lebhaften Schwungs undidealistisch-schwärmerisch als beseelter Anhauch des Freude-spendens aus der gleichmäßig schwebenden Grundstimmung.Mit dem «Wesen zwischen Tier und Engel» sich ausein-andersetzend, pflegen viele den letzteren herauszudestillieren;diese versuchte Umstilisierung des wirklichen Partners be-schwört zuweilen einen Engelssturz als Rebellion der Natur her-auf. Andere streben zum Gegenpol, es gibt auch Anbetungen der«schönen Bestie». Die von beiden Extremen umspielte Mitte ist

245

eine erosbeschwingte, spiritualisierte Körperfreundschaft mitAbstand zum bloßen Sexus. Die Spanne zwischen Idee undWirklichkeit, in diesem Zeichen nicht immer aufgehend, sowiesein Hang zum Exzentrischen lenken manchmal den Trieb ausseiner natürlichen Bahn; vielleicht häufiger als unter anderenZeichen findet sich eine Hinwendung zum Gleichgeschlechtli-chen, sucht wiederum vitale Armut einen Ersatz in pornographi-schem Wissen.

Berufseignung. - Geldverdienen geht selten ganz ohne idealenBeiklang. Der Ingenieur, der seine von ihm erfundene Kühlanla-ge vorfahrt, sucht eine Lebensreform einzuleiten, die Auskunftim Reisebüro zelebriert Kursbücher wie kirchliche Texte, derWirtschaftstheoretiker, verkörpert die persönliche Identität vonFortschritt und Gemeinwohl. Produktiv wird dies Prinzip, wo esauf leichte Erfassung eines Zusammenhangs, Dispositionsfähig-keit, geregelte Zeit- und Sacheinteilung ankommt. Seine Urbani-tät will den einzelnen als mitwirkenden Teil einer Gesamtheitwissen, gleichgeschaltet der geistigen und technischen Höhe sei-ner Zeit. Wissenschaft ist unter diesem Prinzip etwas, dessenFortgang durch Zusammenarbeit von allen Einzelgebieten ausgewährleistet wird. Wir finden Systematiker ihres Fachs, ohnedarin beengt zu sein, häufig mit der Begabung, verschiedensteAuffassungssysteme lehrhaft darzulegen und in gerechten Ver-gleich zu stellen, auch die organisierenden Köpfe geistiger Be-wegungen und Gesellschaften; im kleinen Format natürlich diephiliströsen Ordner und Überordner. Brücken von der Theorie zupraktischen Anwendungsformen meist von der Physik aus: Er-finder, Konstrukteure, Elektrotechniker; ferner Flugzeugbau undFlugverkehr, das gesamte Gebiet des Bahn-, Post- und Funkwe-sens. In anderen praktischen Berufen durch geistige Anlagen be-stimmte Stellungen, Bevorzugung eines regelmäßigen Turnus;etwa Sprachbegabung bei Kaufleuten in Welthandelshäusern,Auslandsvertretungen, bei Leitern von Reisegesellschaften usw.,Orientierungs- und Dispositionsfähigkeit, Belesenheit im Ver-lags- und Pressewesen, Buchhandel, Lektorentätigkeit. Stenoty-pistinnen, Telephonistinnen sind erfolgreich durch System und

246

unpersönliche Anpassung. In Ämtern, im diplomatischen Dienstusw. die Hüter der Aktennummern, Belege, Arbeitspläne sowiedie Verbindungsmänner zur Öffentlichkeit. In der Heilkundemeist reformerische Einstellung, Psychiatrie. Zuweilen Wün-schelrutengänger, unmittelbare Empfänger tellurischer Vorgänge.Sonst überall Bevorzugung rationeller Methoden und neuzeitli-cher Maschinen, selbst beim Landwirt dieses Typus. Architekto-nische Gesamtplanungen unter Berücksichtigung der hygieni-schen und Verkehrsverhältnisse. In den bildenden Künstendrängt sich meist Gedankliches störend vor, doch Durchdenkenvon Aufgabe und Material sowie charakterologisches Verständ-nis kommt der Lehrbegabung zugute. Bühnenbildner, beliebigauf Milieu und Zeitlage der Stücke einstellfähig, Kostümkunde;Extreme wie Stilbühne, Weihespiel und anderseits Varieté, Film.Hier wie in der Musik saubere Techniker, Beziehung zur Ge-samtkomposition, Regie.

Im ideellen Gegründetsein ist enthalten, daß dieser Typus,zwar nach festen Regeln und Gepflogenheiten sich einrichtend,nie durch Umstände so festgelegt werden kann als andere. Gei-stige Unabhängigkeit ist das zentrale Bedürfnis. Eine entwick-lungsmäßige Umstellung bedeutet oft den plötzlichen Auszug ineine neue Welt. Sein Grunderlebnis, überall zu sein, wohin derGedanke reicht, macht ihn dem wesen nach übernational, fähig,in eine fremde Kultur sich hineinzuversetzen; auch kann er ineiner vergangenen Epoche ebensogut zu Hause sein wie in einemZukunftsstaat, wenn nur der optimistische Grundton hineinver-legbar ist, schließlich, obzwar haltungsmäßig dem Mitmenschenzugewandt, sich in die Absonderung begeben wenn ein geistigesMotiv dies verlangt. Manches Ideologen Welt hängt allerdingsvöllig in der Luft, andere sind jeder Entsagung fähig für eineIdee, die Wirklichkeit anders, neu, besser zu gestalten. Aller Pro-blem heißt, die Gedankenspur mit persönlichem Leben auszu-füllen.

247

1Das seelisch Teilhabende

(wäßriges, labiles �- und �-Zeichen)

Verfeinerte Vitalität, allseitig reagibel, verstreuend verausgabt,schwankend mit der Seelenlage und Beanspruchung, oft anfällig,doch meist elastisch sich wiederherstellend; in unangeregtem Zu-stande schlaff und bequem in der Haltung, geringer Muskeltonus,manchmal Umschlagen der Übersensibilität in Betäubung, Emp-findungslosigkeit; verbesserungsfähig durch rhythmische Gym-nastik, Wechsel von energiemäßiger Spannung und Entspannungin Einklang mit seelischer Gestimmtheit, wodurch der Tendenzzum Versinken in vegetativen Vorgängen entgegengearbeitetwird.

Eine Hilfeleistung, ein Spiel und ein Traum zwischen den Din-gen ist das Wesen dieses Typus. Interessen, Einsichten zerlösensich in Stimmungen. Es hält ihn nicht in festen Formen. Erwar-tung und Bereitschaft sind unruhevoll wach. Sein Verhaltenschließt den Mitmenschen ein und darüber hinweg die gesamteKreatur, mitfühlend mit Leidenden, Verfolgten, das Sachlichebeseelend, sich des Letzten entäußernd für das, wovon er ergrif-fen wird. Er lebt aus dem Überschwang innerer Möglichkeiten,trägt aber nichts Greifbares in der Hand. Zwischen sensiblenReizempfindungen, ansprechend auf jede Oberflächenbewegungwie auf das verborgen Erregende hinter den Erscheinungen, an-derseits den Vorgaukelungen zuweilen abstruser Phantasie: inden Sensationen dieses Zwischenreiches schwankt die Gefühls-lage. Das Unerwartete, das unfaßbare Wunder lockt ihn. Magsein Alltag arm und dürftig sein, ihn überstrahlen Bilder und Zei-chen, die aus dem Unbewußten emporsteigen. Mancher wird zumSpielball suggestiver Eindrücke, dunkler Ahnungen und unbe-gründeter Ängste. Andere erfüllen still und freundlich, was ihnendas Schicksal zuwirft, wollen mittun, wo es um große Dingegeht, dienen anspruchslos bis zum Versagen der Kräfte. Es gibtden reinen Toren, sicherer geschützt durch seine Absichtslosig-

248

keit als er es durch selbstbewahrende Vorsicht vermöchte; Irrtü-mer, Verfehlungen, die Klügeren verhängnisvoll würden, schla-gen ihm zum besten aus. Freilich gibt es auch das zerfahreneKatastrophenweib, in Phantasterei umhergetrieben, immer aufden erlösenden Glücksfall hoffend. Entscheidend ist hier dieSeelengröße (Aussagegrenze!). Die meisten zwar klammern sichaus Weitenangst, bei Passivität, an naheliegenden Sicherungen inBeruf und Familie; irgendwie jedoch werden sie deren Maßstäbeüberschreiten, entgleisend den Ordnungen, die an berechenbarenDrähten laufen. Es ist das Prinzip der Grenzfälle in der Aufhe-bung normaler Persönlichkeitsschranken: Genialisierung oderKorruption. Dazwischen geht das Mühen um Halt in der bürger-lichen Mitte, in vielem sich versuchend, mit vielen sich einlas-send. Gewohnheiten, Anschauungen bilden sich aus, doch nieerstarren sie ganz, innere Elastizität ist die stärkste Gabe diesesTypus. Er kann zu Boden gedrückt werden, ohne daß etwas inihm zerbricht, kann nach Verlusten, Zusammenbrüchen unzer-stört auf neuer Basis wieder beginnen, anderen Eindrücken undAnregungen geöffnet. Seine Schwierigkeiten stammen aus Eige-nem: häufigem Zuviel an Gaben, ständigem Zuwenig an metho-discher Sachbeschränkung, also Unstabilität derjenigen Zäune,innerhalb welcher die Gegentendenz + sich häuslich anbaut; de-ren Sparsamkeit springt um in Verschwendung, deren Vorsorgein Sorglosigkeit, deren nüchterne Tatsachenbeoachtung inrauschhafte Vision und deren genaues Bedenken in das Ungefäh-re des Meinens und Vermutens.

Mitschwingende Auffassung, phantasievoll-gefügig, schwei-fend, beweglich fließend, Eindrücken ausgeliefert, einfühlsamesGeschehenlassen, Erfassen in einem die Einzelheiten verschmel-zenden Stimmungston. Pendelschlag von still beschaulicher Hin-gabe zu intensivem Mitgerissenwerden, dann wieder Umschlagenin panikhafte Abwehr, in Wellen vererbende Erregung. Wech-selnde, wenig nachhaltig oder umwegig betriebene Interessen, oftmehrere gleichzeitig, mitunter heimliche, Vielseitigkeit, gelöst-fluktuierend, universalistisches Denken, begrifflich oft unscharf.

249

Am Ende der Kreisordnung steht das Zeichen weitestgehenderIchlosigkeit, darüber täusche nicht, daß die Mitwelt in den Äuße-rungen dieses Typus meist mehr «Persönliches» als «Sachliches»sieht. Was er über die Gründe seiner Stimmungen und Impulsevorbringt, klingt oft phantastisch, weit hergeholt und hört sichwie leere Einbildung an. Es gibt darunter geradezu Meister nichtzur Sache gehöriger Einfälle. Doch liegt es umgekehrt wie beimGegenprinzip, wo äußerste Ichbezogenheit unter sachlichen Ar-gumenten verborgen wirkt; die Fremdbestimmtheit hier kleidetsich ein in die Nöte, Bedrängnisse, Mängel oder glücklichen An-reicherungen einer seelischen Labilität. Sie kann den Menschenaus plötzlicher Eingebung da- oder dorthin jagen, warum, weiß ernicht und erst am Orte zeigt sich, daß er tatsächlich dort ge-braucht wird. Unstichhaltige Erklärungen führen oft irre. Unterdiesem Zeichen der Medialität, der präzisen Vorahnungen, des«Abzapfens fremdseelischer Inhalte», aber auch der Selbst-täuschungen und Sinnesverwirrungen findet man öfter als sonstden Persönlichkeitszusammenhalt gefährdet. Die bewußte Argu-mentation reicht selten an das Bewegende heran. Diese neptuni-sche Seite läßt eigentlichen Egoismus nicht zu, höchstens den derPanik beim Schiffbruch. Den Grenzfällen seelischer Transparenzgesellt sich die jovische Seite, sie gelangt über Aufopferung zumWesen: gläubiges Ergriffensein von einem Sinn, der im Wider-spruch zu intelligenten Zwecken sein «credo quia absurdum est»in der Handlungsweise vorführt. Barmherziges Liebeswerk ansolchen, die von allen aufgegeben werden, gehören zu den un-mittelbarsten Äußerungen. Der in den beiden vorangegangenenPrinzipien umrissene Gegensatz des «Man», der stofflich be-dingten unpersönlichen Tatsachenführung und der im Menschenerfaßten Zentralidee, dem geistig Grundlegenden, pendelt im Be-schluß des Kreises aus; im Labilen wird alles Wirken instrumen-tal auf der Ebene seelischer Symbolik, die Gehalte vonsaturnalen Starrheiten lösend. «Niveau» heißt auf dieser Ebene:Tiefe der Annäherung an den Urgrund. Daher schlägt der reineTypus traumsicher die nötigen Wege ein, die «es» ihn zu seinenAufgaben weist, die universelle Ordnung bedarf ihm keiner Be-weise, sondern ist im Gefühl der Geborgenheit ihm unmittelbar

250

inne gegeben. Erst wo diese Rückverbindung abreißt, treten Täu-schungen und Ängste ein, verwirrt sich der Ausdruck im «allzu-persönlich Persönlichen», an dessen zweifelsfreien Einsatz dieletzte Wandlungsstufe auf höherem Niveau heranführen soll.

Zartfühlender Ausdruck, biegsam-abstufend, geht leicht aufAnregungen ein, mehr bildhaft umschreibend als logisch diszi-pliniert, zuweilen durch Unklarheiten und deren Verbesserungs-versuche weitschweifig bis ins Uferlose. Haltungsmäßigangepaßt, nachgiebig-unsicher, friedliebend, ausgleichend-vermittelnd, in den Absichten leicht störbar durch feindlicheFremdatmosphäre. Stimmungsmäßig vibrierender Ton, meist et-was einschmeichelnd weich oder getragen von sanft bescheide-nem Dahinträumen, manchmal umschlagend ins Exaltierte, infassungslosem Ausbruch rauh. Rasch erlahmende Ansätze zurHärte, häufig resignierende Grundstimmung, selten frei und hei-ter, dann rückhaltlos hingegeben.

Im Strom der universellen Bewegung gibt es nirgendwo Haltnoch Stillstand. Unerträglich sind dieser Einstellungsform sta-gnierende Zustände, sich selbst auferlegter Zwang oder Formali-tät. Die Normen und Schemata der bürgerlichen Ordnungempfindet ein so gestimmter Mensch meist als beengend, für sichnicht bindend. Wo er kann, weicht er aus, lebt in den Tag hineinund hält es am liebsten mit den Vögeln unter dem Himmel, vollerVertrauen, daß die Vorsehung weiter spenden und die Dinge oh-ne willentliches Zutun richtig fügen werde. Auf den unteren Stu-fen ergibt dies Schlamperei und Entartung, Entgleiste aller allerArt, «verbummelte Genies», Deklassierte, Desperados geschicht-licher Umbruchzeiten und die armen «Fußkranken der Revoluti-on». Mit steigendem Niveau schwinden deren Halbheiten, Gele-genheitsschwelgereien, Verführungen, Minderwertigkeitsgefühleund kompensatorischen Glückseligkeitsträume, an die Stelle pas-siven Treibenlassens tritt - je vernehmbarer der Ruf, der den Kursdorthin lenkt, wo Entwicklungen in Fluß kommen aktive Opfer-freude. Fachlichen Komplizierungen, standpunkthaften, engher-zigen Auffassungen pflegt dieser Typus verschwimmend ferne

251

Ziele und einfachste Lösungen entgegenzustellen. Mancher folgtutopischen Erwartungen kollektiven Ausmaßes, andere suchenim persönlichen Umkreis den schlichten Sinn der Menschlichkeitdarzuleben, oft leidend unter «Sinnlosigkeit und Unvernunft derWelt» und gerade in dieser Leidensrolle eine Auszeichnung fin-dend. Wieder andere ergreift das «unbestimmte Sehnen», derWeitendrang; es kommt vor, daß jemand eines Tages geordneteVerhältnisse und geliebte Menschen verläßt, um ins Unbekanntehinauszusegeln. In irgend etwas treiben sie Selbstverschwen-dung, schwer können sie Eigenes zusammenhalten. Das Hilfsbe-reite, Gastfreie dieses Typus übersteigt mitunter alle ökonomi-schen Rücksichten, häufig wird er darum ausgenützt undmißbraucht. Doch unter demselben Zeichen kommen ebensoPläne aus großer, weiträumiger Sicht zur Verwirklichung.

Untertypen. - Das Problem, die innere Stimme aus dem äuße-ren Lärm herauszuhören, stellt sich in zuweilen seltsamen Emp-fangsgeräten, bei vielen deshalb so schwierig, weil sie selbstnicht wissen, was sie wollen und in der Rolle des «Unverstande-nen» sich relativ wohlfühlen. Vorgespiegeltes enthält häufig eineZuflucht vor Anstrengungen, die der Mensch sonst schwer aufsich nehmen könnte, mitunter ist es eine poetische Verzierungdes Daseins als Ersatz für Versäumtes. Nicht selten findet sichein Schuß von Genialität bei Menschen, die sie nicht auszufor-men vermögen, im Gegensatz zur zielsicheren Beschränktheit derTalente, ihrem innerhalb eingeborener Grenzen betätigten Fleiß,bedroht das Maßlose sowohl Form als Fassung. Oft daher dilet-tantische Vielseitigkeit bei Mangel an sachlich-methodischemArbeitswillen. Bei manchen hilft ein situativer Instinkt aus, sobeim «geistigen Hochstapler», der durch Einfühlung sich vonFall zu Fall hindurchschwindelt, wo Wissen und Logik nicht aus-reißen würden. Den Bodensatz strukturloser Masse stellt der Ver-führbare, Willensschwache, Rückgratlose dar, der, vom Gefühleines Minderwertigseins zwar bedrückt, nur insofern dagegenankämpft, als er unterkriecht wo sich zufällig ein Halt bietet. Soentstehen Scheintugenden ohne Kraft, wie bei anderen aus Angstvor dem oft beherrschenden ziellos-zerfahrenen Wandertrieb.

252

Erwartungsvoller Glaube nimmt auf dem Niveau der Amoralität,Kritiklosigkeit und Willensschwäche bestenfalls die Form passi-ven Erlösungswunsches an. Beim gutwilligen Mittelmaß trifftman neben Weichheit und Hang zum spielerisch Bequemen -kompensiert in gefühlsdurchwobenen Weltanschauungen - nurauf jenen Mangel an Abgrenzung, durch den man sich anderleutsBegehrnisse und Ansinnen in all ihrer Zufälligkeit aufhalsen läßt.Sie können nichts zurückweisen. Auf diese Weise entstehen oftextraversive Überformungen mit «verschobenem Zentrum». Da-gegen gefühlte Berufung menschlich-sozialer, künstlerisch oderreligiös gerichteter Art ist gleichbedeutend mit Zentrierung desWillens.

Leicht klingt bei diesen weitherzigen Menschen etwas an, was,mit eigenen Möglichkeiten korrespondierend, eine entgegen-kommende Bewegung auslöst. Dies und sensible Erregbarkeitdes Eros läßt viele sich in wahllosen Liebeleien verzetteln,Schranken lediglich in der Abneigung gegen alles Rohe. ZurFeinfühligkeit, auch des männlichen Typus, tritt oft die Gabe,den Knoten der Problematik im Partner besser entwirren zu kön-nen als den eigenen; seelisches Gebrauchtwerden in diesem Sin-ne bildet die Voraussetzung für tiefere Bindung, häufig zuUnrecht mit Hörigkeit verwechselt. So entsteht ein Frauentypusechter Demut, stärker im Dienen als im Fordern, der in der Liebeeine Mission sucht und dadurch erst ein charakterliches Profilerhält. Zuweilen wäre eher von universeller Menschenliebe kon-kreter Aufgabestellung, als von personbezogener Leidenschaft zusprechen.

Berufseignung. - Sofern nicht eindeutig innere Berufung ent-scheidet, ist unter diesem Prinzip der Unspezialisierten die Wahloft schwer. Empfänglichkeit für vielerlei Dinge und Methodenbedarf entsprechend wechselvoller Tätigkeit. Mit rein Ökonomi-schem meist auf dem Kriegsfuße, kann sich dieser Typus doch inGroßplanungen, die Phantasie und Ahnvermögen erfordern, be-währen. Indirekte Beziehungen zum Kaufmännischen über Man-nigfaltigkeit und saisonhaften Wechsel in Aufkauf und Vertrieb -

253

von Warenhäusern bis zu Ramschläden -, auch über Materie sen-sibler und aromatischer Wirkung - pharmazeutische Produkte,Parfums, Spirituosen -, oder solche musischen Charakters. Diemenschliche Seite kommt zur Geltung in Organisationen der Hil-fe und Fürsorge, besonders für Mindertaugliche, Beschädigte -Taubstummen- und Blindenheime, Asyle, Rettungsstationen -, insolchen zur Besserung und Läuterung - Trinkerheime usw. -,Ärzte, Lehrer, Schwestern solcher Anstalten, philanthropischesWirken allgemein. Das soziale Motiv spricht oft in der Literaturmit, sonst Betonung des Stimmungshaften, Nuancierten, Phanta-siemäßigen, vor allem in Musik und Malerei. In den Wissen-schaften universalistischer Blickpunkt über Fachbeschränkungenhinweg, Übergänge und Grenzfragen. Zur Technik wenig Bezie-hungen außer vom Unstarren, der Beurteilung veränderlicher,ineinandergreifender Kalküle aus; elastische Materien, Turbinen-und Mühlenanlagen, Stromlinienkonstruktionen usw. Grundbe-ziehung zum Wasser erweist sich in Seefahrt, Fischerei. Die um-herwandernde, veränderlichen Gelegenheiten nachgehendeLebensweise gilt schließlich für das erfahrende Volk» aller Kate-gorien, Zirkus- und Schaubudenbetrieb, Stimmungsmache, Ver-gnügungsstätten.

Die Kräfte und Fähigkeiten diese Typus kommen oft imDurchsetzen der Person nicht zum Ausdruck. Letztmögliche Ge-nialität kann auf der untersten sozialen Rangstufe stehen, es gibtvergessene einstige Berühmtheiten, Untergetauchte, vom WindeVerwehte aller Schattierungen, anderseits Mächtige, die vielver-zweigte Fäden vom Verborgenen aus lenken. Ein Hauch der An-onymität, des Geheimnisses ist um diese Personen und wen seineSendung auf die Tribüne oder Kanzel stellt, der fühlt sich alsSprachrohr eines Massenwillens oder Gefäß religiösen Auftrags.Es ist das Prinzip der durch soziale, fachliche, begriffliche Ab-sperrungen diffungierenden Menschlichkeit, freilich auch desKonflikts mit solcherlei Ordnungen, der verzerrten Perspektiven.Krisen der Entmutigung bleiben wenigen erspart, bevor sie zurEinheit des Ichs mit der Welt finden - vielleicht als ein unschein-barer Mensch von weitreichender Wirkung.

254

DIE INTERESSENSPHÄRE(Die Häuser)

ALLGEMEINDARSTELLUNG

Das Horizont-Meridian-System

Beim regelmäßig - in gleichen Abschnitten des Jahres wieder-kehrenden Lageverhältnis der Erde zur Sonne, ihrem Umlauf,bleibt der Ort auf der Erdoberfläche unberücksichtigt. DieserBewegung entnahmen wir den Maßstab für die Sphäre des Aus-drucks. Hingegen bei der Drehung um ihre Achse, der Tagesrota-tion der Erde, ist jeder Ort auf ihr ein umlaufender Punkt. Täglichbeschreibt er einen Kreis, der dem Erdäquator parallel läuft. Ausdieser Bewegung, rechnerisch übertragen auf die Ebene desUmlaufs der Erde, beziehen wir den Maßstab für eine andereSphäre des Menschenkosmos. Überdenken wir zuerst, wie dieLage eines solchen Punktes im Raum zu bestimmen sei.

Von einem festgehaltenen Ort auf der Erde aus erscheint derVorgang umgekehrt als eine Drehung des ganzen Fixsternhim-mels von Osten nach Westen. Nur die in den Weltraum hinausverlegten Pole der Erdachse ruhen; wer auf dem Nord- oder Süd-pol stünde, sähe also den Himmel sich um seinen Scheitelpunktdrehen. Schräg zum parallelen Gang dieser Scheindrehung allerFixsterne - dem Primum Mobile der Alten - führt jene Bahn derWandelsterne, die mit verschiedener Schnelligkeit ihren Platzgegenüber den starr bleibenden Figuren der Fixsterne verändern,die Ekliptik, von der bisher die Rede war.

Da wir als Beobachter uns nicht frei im Weltraum schwebendum uns selber drehen, sondern auf der Erde mitgedreht werden,ist uns von der anscheinend rotierenden Himmelssphäre immernur ein Teil sichtbar. Über den sichtbaren Teil des Himmels, denunser Horizont oder Gesichtskreis frei gibt, beschreibt jeder Sternseinen eigenen Bogen. Die Neigung dieser Bögen gegen den Ho-

255

rizont verändert sich naturgemäß mit der Polhöhe, der geographi-schen Breite des Standorts. Auf dem Nordpol wären nur die Fix-sterne des nördlichen Sternenhimmels, dagegen nicht diejenigendes südlichen, sichtbar, und ihre Bögen wären geschlosseneKreise. In unseren mittleren Breiten sehen wir außer solchen«Zirkumpolarsternen» andere mit kürzeren oder längeren Bo-genteilen, die sich unter dem Horizont ergänzen.

Astrologisch gehn uns in der Hauptsache die Wandelsterne an.Deren scheinbare tägliche Bahnen schneiden den Horizont unse-res Standorts in einem Punkte des Aufgangs und einem des Un-tergangs, wodurch z. B. der Tagbogen der Sonne seinen Anfangund sein Ende findet, ergänzt durch ihren unsichtbaren Nacht-bogen. Infolge der gleichbleibend schrägen Lage der Erdachsezur Ekliptik, einmal die Südhälfte, einmal die Nordhälfte der Er-de stärker der Sonne zukehrend, entsteht das bekannte regelmä-ßige Höhersteigen und Absinken des Sonnen-Tagbogens im Laufdes Jahres, sein täglich zunehmendes Ausdehnen in der erstenund Zusammenziehen in der zweiten jahreshälfte. Mittags er-reicht die Sonne einen Punkt höchster Erhebung über den Hori-zont, sie kulminiert wie jedes Gestirn zu seiner entsprechendenZeit. Eine diese Sternbögen-Gipfel verbindende Linie heißt Mit-tagslinie bezw. Meridian und zwar der obere oder Scheitel-meridian, während seine Fortführung unter dem Horizont, dietiefsten Senkungen der Sternbahnen verbindend, den unteren Me-ridian, die Mitternachtslinie, ergibt. Beim Horizont ist noch eineUnterscheidung zu treffen. Im gewöhnlichen Sprachgebrauchmeinen wir damit die Kimmlinie, an der sich Himmel und Erdezu berühren scheinen (natürlicher H.). Im strengeren Sinn wirdals Horizont eine Ebene definiert, die am Ort des Beobachters imrechten Winkel zum Erdradius steht (scheinbarer H.). Für unsereBerechnungen nehmen wir statt dieser dem Beobachtungsort derErdoberfläche aufliegenden Tangentialebene diejenige Ebene,die parallel zu ihr durch den Erdmittelpunkt führt (wahrer H.).52

52 Dies ist infolge der großen Entfernungen der Sonne und Planeten ohne weiteres er-

laubt, für den Mond müssen für feinere Untersuchungen sog. parallaktische Korrektioneneingeführt werden.

256

All diese Ebenen und Verhältnispunkte werden in den Raumhinausprojiziert als Abmessungen des Himmelsglobus vorgestellt(vgl. Abbildung und Text des Anhangs). Am Himmel aufweisba-re Kreise bezw. Ebenen unabhängig vom Standort sind lediglichEkliptik und Äquator; der Standort wird angegeben durch seinenHorizont und seinen Meridian, zu denen als dritte auf beidensenkrechte Ebene der sog. «erste Vertikal» hinzukommt, der denHorizont im Ostpunkt und Westpunkt schneidet.

Fassen wir nunmehr die Erscheinungen des Tages für einenGeburtsort auf unserer Nordhalbkugel etwas näher ins Auge; in-sofern diese Erscheinungen aus der Erdrotation hervorgehen, be-ziehen sie sich auf das äquatoriale System. Im Winkel von rund23½ Grad schneidet der Äquator die Ekliptik, auf der wir dieStellungen von Sonne, Mond und Planeten angeben. Den sowohlZenit und Nadir des Geburtsorts, als auch Nord- und Südpol desHimmelsglobus verbindenden Schnitt durch diese beiden Ebenenstellt der Meridian dar, senkrecht zu ihm steht der erste Vertikalund diese beiden teilen den Äquator in Quadranten. Jeder Punktauf der Ekliptik gleitet einmal im Tag über den Osthorizont hin-auf zum oberen Meridian, seinem südlichsten Ort, sinkt von daan zum Westhorizont hinab, weiter bis zum unteren Meridian,seinen nördlichsten Ort, und steigt dann wieder zum Osthorizonthinauf. Der im Aufsteigen begriffene Punkt der Ekliptik (Aszen-dent) trifft aber nur dann genau auf den Ostpunkt (worin sich Ho-rizont und erster Vertikal mit dem Äquator schneiden), wenneiner der beiden Schnittpunkte von Äquator und Ekliptik (Wid-der- und Waagepunkt) aufsteigt.53 Sonst weicht er nach rechts

53 Ein Blick in die zur Berechnung verwendeten «Häusertabellen»: bei Aszendent 0° &ist das MC 0° /, bei Aszendent 0° , ist es 0° ). Nur in diesen Fällen dürften wir vonQuadranten auf der Ekliptik sprechen, da diese sog. Eckpunkte dann um 90° voneinanderentfernt liegen. Hingegen bei Aszendent 0° ) und 0° / finden wir enorme Ausdehnungenoder Zusammenziehungen des Bogens von Eckpunkt zu Eckpunkt, anwachsend mit derPolhöhe; bei nördl. Breite 48° beträgt der erste Bogen rund 120°, der zweite rund 59°, beigleicher südl. Breite dasselbe im umgekehrten Verhältnis. - Wenn der Bogen von Eckpunktzu Eckpunkt in der Deutung stets schlechtweg «Quadrant» heißt, so leitet sich die Berech-tigung dieses Sprachgebrauchs aus Äquatorquadranten ab, wobei der Horizont die Lagedes Ost- und Westpunkts in schiefer Aufsteigung auf die Ekliptik überträgt. In den äquator-näheren Ländern, in denen die Astrologie ihre Ausbildung erfuhr, konnten sich die Proble-me der ungleichen Bögen von Eckpunkt zu Eckpunkt nicht in derselben Weise geltendmachen wie in unseren Breiten.

257

oder links ab, da diese sog. Knotenlinie sich infolge der Erdrota-tion täglich um einen ganzen Kreis dreht. Hierauf beruhen diescheinbare Schaukel- oder Schraubenbewegung der Ekliptik so-wie die verschiedenen Auf- und Untergänge der Sonne, die jastets einen bestimmten ekliptischen Ort einnimmt, demzufolgeauch die unterschiedlichen Tages- und Nachtlängen außer wenndie Sonne in der Knotenlinie steht (Frühlings- und Herbstbe-ginn). Nur die mit dem Meridian gewonnen Punkte auf derEkliptik (MC, Gegenpunkt IC) steigen beständig senkrecht vonden entsprechenden Teilungspunkten des Äquators auf bezw. ab,sie haben «gerade Aufsteigung» (Rektaszension); der Aszendentund andere vom Äquator auf die Ekliptik bezogene Teilungs-punkte desselben haben dagegen «schiefe Aufsteigung».

Soweit das Nötigste zum Verständnis des «Häuserproblems»;viel behandelt im astrologischen Schrifttum, reduziert es sich ge-nau genommen auf die Zwischenfelder zwischen den Teilungs-punkten, die Horizont und Meridian auf der Ekliptik ergeben. DieFrage geht um die Drittelung dieser sog. «Quadranten» (vgl.Anm. unten). Wie aus den Erläuterungen im Anhang ersichtlich,stehen zwei Methoden zur engeren Wahl, Regiomontanus undPlacidus de Titis. Regiomontanus legte für die Teilung mit demÄquator den wahren Bewegungskreis zu Grunde, er erzielte mitHilfe der durch Nord- und Südpunkt gehenden Großkreise eingeschlossenes Raumbild. Placidus berücksichtigte die relativeEigenbewegung der Ekliptik, was er teilte, ist eigentlich Zeit,übertragen auf Raumteile der Bewegung; dies erschwert dieräumliche Vorstellbarmachung. Das erste stellt ein streng logischanschauliches, das zweite ein geophysikalischen Verhältnissengenähertes System dar. Die Unterschiede der Gradzahlen sindmanchmal sehr gering und da praktisch erst bei genau bekannterGeburtsminute nachprüfbar, werden noch viele Untersuchungenerforderlich sein, bevor darüber das letzte Wort gesprochen wer-den kann. Zur charakterologischen Auswertung genügen zu-nächst die meistverbreiteten, nach Placidus berechnetenTabellen, empfehlenswert ist jedoch das Studium der Abwei-chungen, die sich nach Regiomontanus ergeben. In keinem Falleaber dürfen die verwendeten mathematischen Hilfsvorstellungen

258

dazu verleiten, an reale Abteilungen des Himmelsraumes, in de-nen der Ursprung der gedeuteten Erscheinungen läge, zu glau-ben.54 Wir müssen unterscheiden zwischen Strecken der Ekliptikund den sphärischen Raumschnitten, die zu ihrer Berechnungbenötigt wurden, sowie den Feldern als Deutungselementen.

Gegen diese ungleichen Felder liefernden «inäqualen» Metho-den, vor allem die placidische, erhebt sich der Einwand, daß sieüber den Polarkreis hinaus versagen, wo die letztere nur mehrimaginäre Raumteile ergibt. Bereits in Breiten, die sich dem Po-larkreis nähern, schrumpfen manche Felder zusammen, wachsenandere übermäßig an, so daß praktisch oft nur von einer Beset-zung der Hälften über oder unter dem Horizont die Rede seinkann. Stößt dies das ganze System um? Gelten in den hohenBreiten andere Maßstäbe? Oder bedeutet es, da Menschen auchin diesen Breiten geboren werden, einen Fortfall gewisser Diffe-renzierungen bei diesen? Zwar darf eine Frage der Logik nichtauf die Empirie abgeschoben werden, doch umgekehrt muß logi-sche Überlegung an der Natur des Gegenstandes anknüpfen. DasHorizont-Meridian-System ist uns der rechnerische Ausdruck fürdie kosmische Feineinstellung, die Abhebung einer Eigen-Wesenheit vom Stammestypus - bei Eskimos, Lappen, Samoje-den usw. vorderhand gering -; das Erfahrungsmaterial aus stärker

54 Der manchmal mit mathematischem Scharfsinn, häufiger mit Vorurteilen und Recht-haberei geführte Streit der Astrologen um die «richtige Häusermanier» verkennt gemeinhinfolgendes. Zu beurteilen, was die gebrauchten rechnerischen Konstruktionen bezw. dieRealitäten, auf denen sie fußen, im allgemeinen Tatsachenzusammenhange sind, obliegt derGesamtforschung und ihrer Kontinuität, folgt aus innerer Einheit des Weltbildes. Mathe-matik mit ihren Grundformen geistigen Ordnens gehört dabei zu den methodischen Voraus-setzungen, um verläßliche Unterlagen für die Deutung zu erlangen. Ihre Verwendung in derAstrologie verbürgt jedoch für sich allein nicht deren Wissenschaftlichkeit. Diese steht undfällt mit der Evidenz, dem methodischen Gebrauch und dem empirisch Zutreffenden ihrerDeutungsbegriffe, die sich auf jene mathematischen Proportionen beziehen. - Gegenüberder damit umrissenen Aufgabe ist es allzu naiv, mathematische Ermittlungs-Hilfslinien fürbare Wirklichkeiten zu nehmen, von denen ursächlich herrührt, was Deutungsregeln aus-sagen. Solcher Art ist die zuweilen auftauchende abstruse Vorstellung «konstanter magneti-scher Felder«, über den ganzen Erdglobus gebreiteter, doch für jeden Ort andererHimmelsräume: angesichts der meist unkritisch aufgestellten Regeln eine Art Theatergar-derobe des Schicksals, das seine Regiestücke in gegenständlich detaillierten «Schickungen»an die Individuen austeilt! - Dagegen eine Hypothese, die ihre Elemente organisch-kosmologisch begründet, sieht in den «Himmelsfeldern» nur den rechnerischen Ausdruckeiner kosmischen Feineinstellung auf Ort und Minute der Primäräußerung individuellenLebens.

259

individuierten Rassen ist sehr eingeschränkt. Hier liegen nochwenig in Angriff genommene Probleme. Allgemein gesehen darfman sagen, daß in höheren Breiten weit mehr extreme Strukturender Kräfterichtung hervorgebracht werden als in äquatornahenGegenden. Solcherlei wurde bisher nur aus Klima und Daseins-kampf erklärt, es mögen aber die Anlagen-Schemata der unglei-chen Felder mitsprechen. Anderseits können die Kernpositionenauch in einem zusammengezogenen Quadranten liegen (z. B. imGeburtsbild von Maria Stuart). Geht man diesen Dingen unvor-eingenommen nach, so wird man das «Häuserproblem» nicht nurvon theoretischen Forderungen aus zu lösen trachten. Ungeachtetder strittigen Zwischenfelder kann das Horizont-Meridian-System am Erfahrungsmaterial mittlerer Breiten, auch der südli-chen, als gesichert gelten.

Die Zählung beginnt in jeder Methode beim Aszendenten,schreitet fort über das IC zum Deszendenten, von dort über dasMC wieder zum Aszendenten zurück. Diese Richtung entsprichtder Drehung des Äquators, geht also entgegengesetzt der Schein-bewegung des Himmels. Stellen wir uns den «Tagesgang» derSonne vor, so durchwandert sie nach dem Aufgange zuerst das12., dann das 11., 10. Feld und so weiter rückwärts gezählt, nachDurchwanderung des 7. Feldes geht sie am Deszendenten unterund erreicht am anderen Morgen wieder den Aszendenten.

Ausrichtung auf Lokalität und Tageslauf

Inhaltlich betrifft uns das rechnerische System im engsten Ver-hältnis mit realen Tatsachenzusammenhängen. Dem Orientiert-sein einer Geburt im totalen Erdraum entspricht die Grund-orientierung des betreffenden Menschen im tagtäglich erlebtenRaum körperhafter, gegenständlich vielgestaltiger Lebenswirk-lichkeit. Kennen wir die Vokabeln der Übersetzung, so ersehenwir daraus festbleibende Richtungs-Einstellungen im Bezug vonDingen auf die Individualität. Dies ist nicht ohne einsehbarenGrund in der Sache selbst, wenn wir dabei statt an äußere Kausa-lität an innere Entsprechungen denken. Die astronomischen

260

Sachverhalte, auf die sich das System stützt, ergeben den Ta-gesrhythmus, der genaue Augenblick in diesem Rhythmus unddie Perspektive des Orts führen zur zahlenmäßigen Fixierung.Allgemeine Naturgegebenheiten von Lokalität und Tageslauf se-hen wir in Analogie zu Grundeinstellungen, mit denen wir indi-vidualisiert ins Dasein treten.

Aufzusuchen sind mithin die lebensprimären Streberichtungendessen, was sich in späteren Formen differenzierter, eingespielterLebensgeübtheit mannigfach verwirklicht. Nähern wir uns diesenInhalten vorerst aus der Bedeutung der vier Eckpunkte für dasLeben im allgemeinen.

Scheitelpunkt und Fußpunkt (auf der Ekliptik MC und IC) ver-sinnbildlichen entgegengesetzte Streberichtungen. Am oberenMeridian steht nicht nur die Sonne in höchster Kraftentfaltung,Licht und Wärme spendend, auch die Gravitation des Mondes,wenn er kulmininiert, tritt als Flutwelle der Meere kräftig in Er-scheinung, eine schwächere Wirkung übt er auf das Luftmeeraus, ferner wurde eine verstärkte Weltraumstrahlung bei Kulmi-nation der Milchstraße nachgewiesen. Vom Organismus, wenn erin diese Richtung bauen oder sich bewegen will, wird der eige-nen Schwere entgegenzuwirken verlangt. Alles in allem: Rich-tung einer Meistbeanspruchung des Organismus durch denkosmischen Umraum, sowie - besonders wichtig für das Pflan-zenleben - der maximalen Zufuhr kosmischer Energie. Hingegenin Richtung des unteren Meridians sind die Strahlungen abge-schirmt durch die Dichte des Erdkörpers, mit der Bodenemanati-on kommt die Lokalität als solche zur Geltung, die Eigenschweredes Organismus strebt nach unten; im indirekten Erscheinungs-zusammenhang tritt die Mondgravitation als Nadirwelle der Flu-ten auf. Es ist die Richtung der Mindestbeanspruchung des Orga-nismus durch den kosmischen Umraum, im solaren Tagesgangbestimmt sie die Zeit der Reorganisation für die bei Licht aktivenWesen.

Seit Bachofen, Nietzsche, Frobenius und anderen ist uns einGrundgegensatz zweier menschlicher Haltungen, der analog die-sen Richtungen steht, geläufig. Die eine, vom Gipfelerlebnis be-stimmt und einen Weltstandpunkt demonstrierend, baut in die

261

Höhe, ins Helle und Tagesklare hinein, erhebt den Blick zumMakrokosmos, erforscht und deutet seine Gesetze, will in staatli-chen Ordnungen deren Spiegelbild geben, stellt frei einem Höch-sten verpflichtet sittliche Regeln auf. Die andere, vomHöhlenerlebnis bestimmt und an die Tore der Unterwelt pochend,strebt in die Tiefe, ins Dunkle und Nächtige hinein, wendet dieInnenschau unmittelbarem Leben zu, versenkt sich in seine Ge-heimnisse, sucht das Rätselvolle in Bindungen, Rückverbindun-gen auf, folgt lebensschöpferischen Regeln der Natur.Durchsichtig sind die Beziehungen jener zum phallischen, dieserzum vaginalen Prinzip, zu Patriarchat und Matriarchat; doch wasoft als Ursächlichkeit formuliert wird, gilt hier als Entsprechungfür vorindividuelle kosmische Einstellungen. In die Elemente derIndividuation einbezogen, lassen sie haltungsmäßig Verwandtesauf verschiedenen Ebenen anklängen. Entsprechungen umschrei-ben dasselbe in der Vielschichtigkeit psychischen Geschehens; inunserer individuellen Lebenswirklichkeit sehen wir den Gegen-satz wiederkehren in der Einstellung auf Erfordernisse öffentli-chen Wirkens oder auf die Entspannung privater Zurückge-zogenheit, jene einer mehr extraversiven, diese einer mehr intro-versiven Selbstverwirklichung gemäß, sowie in der täglichenWiederholung von Wachen und Schlaf, Denk- und Traumwelt.

Gleichsam Wipfel- und Wurzelrichtung der Lebenseinheit,bringen diese Strebungen extrem zur Entfaltung, was sich als Ge-samttönung auf die Felder über oder unter dem Horizont aus-breitet. Der Horizont nun gibt die Umschaltungen an, deren eineüberleitet vom Unteren, Verdeckten, Nächtigen zum Oberen, Of-fenbaren, Taghellen, deren andere wieder zurückführt. Die auf-gehende Sonne erhebt sich am Aszendenten über den Horizontund strebt der Himmelshöhe zu. Analog dieser Umschaltungsteht der Aufbruch subjektiven Tätigseins zur maximalen Be-mächtigung äußerer Dinge und Verhältnisse, anders gesagt: Er-wachen der Persönlichkeit zum ungebrochenen Einsatz, empor-steigend aus einem Zustand, worin die unbewußte Lebensseelevorherrschte. In Konsequenz. des «Tagesbogens» splittert sichdie solitäre Einsatz-Geschlossenheit dann auf in ein Wirklich-keitsbewußtsein von Anderheiten, zu denen er in Auseinander-

262

setzung brachte; gefundene Anregung und Ergänzung, doch auchErmüdung, Enttäuschung und Einbuße. Anwachsende Selbstent-fremdung durch Aufnahme von Anders-Seiendem läßt einen Ge-genzug mächtig werden, die Tendenz zur Abkehr von der Weltbewußter Objekte. In unserem Bilde: die Sonne sinkt am De-szendenten unter den Horizont und strebt der Himmelstiefe zu.Analog dieser Umschaltung steht die Heimkehr in das natürlicheFürsichsein, die Geborgenheit des Eigenlebens, worin sich dieDinge nach privatem Bedürfnis gestalten, in Konsequenz des«Nachtbogens» dann den geschlossen einsatzfähigen subjektivenZustand wiederherstellend. Auch diese Umschaltungen deutenGesamttönungen an, die sich auf die Felder östlich oder westlichdes Meridians erstrecken und mit denen der Horizontscheideüberschneiden.

Der späteren Darlegung vorgreifend, werden hier zum freienVergleich die Hauptinhalte herausgestellt.

263

Wollte man die Analogie ins einzelne treiben, so würden sichdie lebensprimären Beziehungen im Zusätzlichen und Relativenverwirren. Es geht nicht um zeitlich den Auf- und Untergängenund Kulminationen der Sonne parallele Oberflächenerscheinun-gen. Dies hieße dem Menschen ein Sonnen-Tages-Programmaufdrängen, das weder mit zivilisationsbedingter Lebensweise inEinklang zu bringen, noch in höheren Breiten durchführbar wäre.Wir gerieten in denselben Fehler wie der Versuch, Inhalte derAusdruckssphäre aus den Jahreszeiten abzuleiten, die Individua-tion erschiene in konstanter Beharrlichkeit angepaßt an einenGleichlauf mit sekundären Naturvorgängen, die nur für gewisseZonen gelten. Die Analogie gilt unpedantisch. Bei einem Schau-spieler etwa fällt der Wirkens-Zenit gegebenermaßen in eineZeit, da die Sonne unter dem Horizont steht. Doch mögen wiruns drehen und wenden, wie wir wollen, und die Nacht zum Tagmachen, auf den Tagesrhythmus als solchen sind unsere Funktio-nen abgestimmt. Leben wir unter der Mitternachtssonne, soSchaffen wir uns eine künstliche Tages-Zeiteinteilung. In diesemprinzipiellen Tagesrhythmus gibt es auf jeden Fall einen «obe-ren» und einen «unteren» Bogen. Der erstere gliedert sich in An-spannungen auf subjektive Bemächtigung der Außenwirklichkeit,sowie in Abspannung und Verbrauch, doch auch Anreicherungdurch Objektwirkungen, ob diese «Bogenteile» nun vor- undnachmittags liegen oder nicht. Der zweite Bogen gliedert sich inentspannende Lösung von den Objekten, ihre Umbildung, «Frei-zeitgestaltung», sowie in Wiederherstellung der Person aus ihrenunbewußten Lebensvoraussetzungen, Aufbau für die Bewälti-gung neu zu erwartender Anspannungen. Diese Teilung des«Nachtbogens» reicht bis in die psychische Traumtätigkeit hin-ein: einerseits kausale Abwicklung von «Tagesresten», anderseitsfinale Ausrichtung auf künftigen «Tageserfolg».

Wenn Inhalte dieser Art sich aus der Natur der Sache ergeben,so gewiß nur andeutungsweise, überschläglich. Erinnert sei andie Gegenläufigkeit des solaren Tagesgangs zur Zählung der Fel-der. Der ordnungsmäßige Aufbau der Zwölfheit, die inhaltlicheDurchgliederung als «Entwicklungsspirale» folgt der Zahlen-richtung. Um also die Inhalte zusammenhängend zu verstehen,

264

ist sowohl eine direkte als auch eine konverse Lesung nötig, vonden Eckpunkten nach rechts wie nach links gehend. Aus solchemAnleuchten von zwei Seiten her erhellt dann, was einseitig beur-teilt nur unvollständig erfaßbar wäre.

Das Stationäre, lokal Fixierte (entsprechend dem örtlichenRaum-Koordinaten-System) sowie das auf Fortgang in der Kon-kretheit täglicher Dinge Abgestimmte (entsprechend dem innerenTagesrhythmus) gibt dieser Sphäre ihre eigentümliche Note. Mankann darin feststehende Lebensgebiete sehen, nach Bedeutungenzueinander geordnet. Dem Menschen geht es jedoch im normalenTagesbewußtsein nicht um diese Bedeutungen, sondern um Din-ge, denen sie anhaften. So erwächst die grundsätzliche Frage,was die Gegenständlichkeit der Welt uns bedeutungsvoll macht.

Die Begriffe Interesse, Triebfeder, Motiv

Greifen wir auf den Ansatz der astrologischen Menschenkundezurück, ihren Welthintergrund, so impliziert das Zugrundelegender Konstellation, daß, wenn sie überhaupt eine Gültigkeit fürden Menschen hat, wir im Verstehen hinausgehen müssen überBeschreibung subjektiver Zustände und deren Bedingungs-Analyse. Der Charakter spiegelt sich am Gestirnbild in seinemHingeordnetsein auf «Welt». Diese Seite nun tritt besondersdeutlich hervor in der Interessensphäre, dem bewußtseinsnahe-sten Bereich unserer Struktur, welcher das Verhältnis zu denDingen vorzeichnet. In ihr sind jene Kräfterichtungen fixiert, de-ren gegenstandsbezogene Form wir Interesse nennen.

Bei der Sphäre des Ausdrucks fragten wir nach dem «wie», derArt und Weise, in der eine Wesenskraft sich äußert. Den Ton aufdie innere Einheit legend, auf das Gemeinsame von Verlaufs-und Gestaltungstendens unter jedem der gefundenen Prinzipien,sprachen wir von Stilformen. Wie im künstlerischen Schaffen,wenn es Stil hat, Manier und Behandlung verschiedenartigerMotive in gleicher Weise zusammengefaßt sind, anderseits einund dasselbe Motiv in jeder Stilform deren bestimmtes Geprägeerhält, so bleibt das Eigentümliche der Zeichen &, ', ( usw.

265

vor den verschiedenen Anlässen prinzipiell dasselbe. Bei allenAbwandlungen, auch einer Niveauverschiebung nach oben oderunten, schlägt die damit bezeichnete Art und Weise charakterli-cher Äußerung unverkennbar durch.

Zwar wurden mit den Wirk- und Werde-Grundformen gewisseEignungen in Betracht gestellt, Vorformen der Begabung, derenAuswertung dann aus der eigentlichen Charakterstruktur heraus-tritt und auf Leistung abzielt. Doch ging die Frage immer nachdem «wie». «Woran» ein Mensch sich entwickle, «was» er schaf-fe, «worauf» sich seine Kräfte richten, danach fragten wir nicht.Das Gegenständliche, wovon wir in der Ausdruckssphäre abse-hen mußten, rückt aber in den Vordergrund, je umstandsgenauerwir die Verwirklichung des Charakters im Dasein ins Auge fas-sen. Nicht mehr nur die Art und Weise, Dinge zu sehen, zu erle-ben, ihnen gegenüber sich zu verhalten und, auf die Stimmunggeblickt, das «wie mir ist» beschäftigt uns dann. Um die Aus-richtung auf das «was» zu verstehen, sehen wir nunmehr von die-sem «wie» ab. Gegenständliches gilt uns nicht mehr beliebig, wirtun einen Schritt auf die Ziele des Strebens, der Tätigkeiten hin,fragen nach den tatsächlichen Auslösern der Reaktionen, nachdem Stoff, dessen sich die Begabungen und ausgebildeten Fähig-keiten bemächtigen, auf den sie in der Anlage schon hinweisen,kurz nach dem Hineingestelltsein der Individualität in die realeWelt.

Für die psychische Beziehung zu den Dingen bietet sich unsder Ausdruck Interesse an, wortwörtlich «Dazwischensein» - ei-nem Dinge zugewandt, befindlich zwischen Gewahrwerden undÜbergang in Tätigkeit -, jedoch wegen des uneinheitlichen Ge-brauchs nicht unbesehen übernehmbar.

Gewöhnlich meint das Wort ein Beteiligtsein von Aufmerk-samkeit, Verstand oder Gefühl, Anteilnahme schlechthin, meistbewußtes Gefesseltsein durch Spannendes, Reizbietendes, Lok-kendes; doch können auch unbewußt bleibende Momente in die-sem Sinne von Belang sein und uns in Anspruch nehmen.Weiterhin: in der Wendung, daß etwas in unserem Interesse liegt,es ein solches zu wahren gilt, bekommt das Wort einen deutli-chen Bezug auf Nutzen, Vorteil und Gewinn. So verstanden geht

266

es vielfach sogar in den wissenschaftlichen Sprachgebrauch ein.Nach Kerschensteiner besitzt unser Interesse jedes Mittel, das derVerwirklichung unserer individuellen Zwecksysteme dient. Einwenig anders liegt die Betonung bei Gehlen, der Interessengleichbedeutend ansieht mit umstandsbewußten und auf Dauergestellten, handlungsangepaßten Bedürfnissen.55 Sehen wir «um-standsbewußt» im Instinkt enthalten, dann müßten wir den soverstandenen Begriff ausdehnen auf das gesamte instinktgelenkteTeilhaben lebender Wesen an der realen Welt. Demgegenüberbeschränkt sich Lersch («Aufbau der Person») auf eine besonde-re Bedeutung des Begriffs, indem er von der wissenden Teilhabespricht. Er greift die Unterscheidung zwischen Interessiertheit«an» und sich interessieren «für» etwas auf und sieht im letzteren- wenn wir vom Interesse für Mathematik, für Geschichte, Poli-tik, Kunst usw. reden - das Streben nach Erweiterung des Wel-thorizonts wirksam, nach Einsichtgewinnen in Sachverhalte undZusammenhänge. Gemeint ist ausschließlich bewußtes Interesse,aber nicht unmittelbar zwecklich ausgerichtet, ja, Lersch scheidetvom «echten Interesse» - wissender Teilhabe - ausdrücklich dasAnstreben und Ausnutzen von Wissen als Mittel zur Selbstsiche-rung oder -durchsetzung ab.

Weitere Auffassungen vorerst beiseite lassend, haben wir unsklarzumachen, ob und wie weit das bewußte Gerichtetsein aufbestimmte Gegenstände wesentlich zum Begriff des Interesses,wie hier gebraucht, gehört, ferner, wie weit mit ihm ein Zweckbezw. die Befriedigung eines Bedürfnisses inbegriffen ist.

So vielartig der Wortgebrauch, Interesse weist immer auf etwasaußer dem Handelnden hin, darin mit Wert und Bedeutung ver-knüpft. Die Sprache sagt: ein Interesse wird erregt, geweckt, ein-geflößt «durch» dieses Etwas, das anzieht, lockt, reizt, spannt,fesselt. Jedenfalls bezeichnet Interesse eine Form des Teilhabensan Vorhandenem und wenn es Tatsachen der Innenwelt sind, sodoch vor-, das heißt, einem Betrachtenden im reflexiven Erwä-gen gegenübergestellt, aus völligem Einssein mit sich herausge-stellt als gleichsam äußere Dinge. Für den allgemeinen Begriff ist

55 Arnold Gehlen, «Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt», Junkerund Dünnhaupt, Berlin 1940.

267

unerheblich, ob solches Teilhaben mit logisierten oder intuitivenWissensformen beginnt, ob es instinktiv ansetzt, ebenso uner-heblich, ob es empirischen oder theoretischen Gegenständen gilt.Dies Verhältnis zu Vorhandenem gehört nur insofern dem amleichtesten Bewußtseinsfähigen an, als Interesse im Hervorrufeneiner besonders eingenommenen Form des Aufmerkens, desAuswählens und Bevorzugens zur bewußten Auseinandersetzungtendiert. Tendieren überhaupt, die transitive Strebeform, machtsein Wesen aus. Interesse ist für sich nichts als ein übergehen,19berleiten, Hinstreben, ausgelöst von einem bestimmten Etwasdurch dessen Wertsein und Bedeuten, darin unterscheidet es sichvon bloßer Neugier. Bewußtsein kann etwas, das man mit naivemInteresse tut, auch als Unwert abtun. Eine interessemäßige Rich-tungstendenz kann anderseits fortbestehen über anfängliche Ab-sichten hinweg. Genügend Beispiele wären beizubringen, daßbewußte Interessen sich im Schlepptau vitaler Antriebe auslöstenund dann, vermöge dieses transitiven Charakters, über die ur-sprünglichen Triebziele hinausgriffen. Mit der «Echtheit» vonInteressen aber berühren wir diejenige Seite, die nicht im Gegen-stande liegt, sondern in der subjektiven Wert-Ansprechbarkeit.Zweifellos gibt es unechte Interessen sowohl im Sinne vorge-täuschten, als auch irrigen Strebens, der wertblinden wie der auffalsche Werte gelenkten Betriebsamkeit. Ein Mensch kann etwader Konvention halber Mitgemachtes, Angebildetes für Interes-seneigenes halten und auch sonst in mancherlei Irrtümer überseine eigentlichen Interessen verstrickt sein; als Wissenschaftlerist er vielleicht auf Erweiterung des Welthorizonts ausgezogenund dann an Gegenständen, Apparatur, Gepflogenheiten seinesFachs, wenn nicht an lukrativen Nebenrücksichten, hängen ge-blieben, identifiziert sie aber mit seinem echten Interesse, weilsie von diesem aus wertbesetzt wurden. Er mag in seinen Ab-sichten irren, doch nicht eine Grundstrebung seines Teilhabensan der Welt kann irrtümlich sein.

Offenbar stammt vom Bewußtsein, so wichtig es für die Klä-rung der objektiven Umstände und den methodisch erzielten Er-folg ist, nicht die «psychische Energie» der Vorgänge, die Lippsfür die Interessen als kennzeichnend ansieht. Lediglich eine For-

268

derung stellt es dar, sich der letzten Beweggründe, des «Eigentli-chen» seiner Interessen, möglichst täuschungsfrei bewußt zuwerden. Voraussetzung hierfür wäre, daß die Thematik der An-triebe und Einstellungen, die sich bewußt-interessenhaft einklei-den, bekannt sei: der uns hier beschäftigende Hauptinhalt.

Wie weit geht es dabei um Verwirklichung individuellerZwecksysteme? Nähern wir uns dieser Frage von der Negationher, der Uninteressiertheit. Nicht an allem objektiv Wichtigenhaben wir teil, vieles läßt uns gleichgültig, kalt, wir sind unemp-findlich selbst gegen eingesehenen Wert von Dingen für andere,sie berühren uns nicht. «Uninteressiertheit» kann nun auch denBeiklang des Verdienstvollen, Unselbstischen haben. Im Mangel,in Stumpfheit läge kein Verdienst. Vielmehr: das egoistischZweckhafte entfällt bei jener wissenden Teilhabe bezw. dem ob-jektiven Wissensdrang, den Lersch folgerichtig zu den Strebun-gen des Menschen über sich hinaus rechnet, ebenso bei derEmpfindung des objektiv Schönen und demjenigen Handeln, dasweder in gröberer noch feinerer Weise auf egoistischen Gewinnabzielt und objektiv gut genannt werden kann. Dies sind die Fäl-le, in denen man gelegentlich von Uninteressiertheit im Sinneuneigennützigen Strebens spricht. Gemeint ist nicht Interesselo-sigkeit überhaupt. Ein Interesse besteht gleichwohl, doch fällt esnicht mit einem individuellen Zweck oder Bedürfnis zusammen,es sei denn, wir erweitern den Begriff der Individualität über dieEinzelperson hinweg. Dies aber ist möglich, ohne in der entspre-chenden Äußerung stets ein höherwertiges Streben zu sehen.56

Gibt es außer den Interessen persönlichen Nutzens solche, dieüber die Beschränkung darin hinausweisen, können sie bei einem

56 Versteht man «Individualität» wortwörtlich als Unteilbarkeit, so entsteht ein Wider-

spruch zwischen Wort und Sache, wenn min weiterhin an Zusammensetzbarkeit aus ele-mentaren Teilen denkt. Doch liegt wie bei allem Organischen eine Einheit desMannigfaltigen vor, die Elemente betreffen also Einteilbarkeit als innere Abstufung ganz-heitlichen Wesens. Nur für den unterscheidenden, seine Urteile im Begriff isolierendenVerstand verselbständigen sich die Abstufungen als «Teile», und er muß zusammensetzen,um der gewachsenen Synthese nahezukommen. Rechnet man nun gewisse «Strebungenüber sich hinaus» zum ganzheitlichen Wesen der Individualität, dann kann dies so aufge-faßt werden, daß der einzelne potentiell die Menschheit in sich trägt; hieraus wird möglich,daß er im Interesse an kollektiven Entwicklungen gegebenenfalls Partei nehmen kann ge-gen seine Einzelexistenz, ohne damit seine innere Einheit aufzugeben.

269

Widerstreit der Strebungen die Oberhand über den Egoismus be-kommen, so müssen wir in das Wesensgefüge auch überpersönli-che Strebungen eingebaut denken, ein neutrales Verflochtenseinmit Fremdinteressen, wertpositiv erst im überwindenden Motiv.Die individuelle Interessenstruktur ist jedenfalls nicht so zu ver-stehen, daß sie nichts der Einzelperson Nachteiliges zuließe. Sieumfaßt vielmehr unbeschadet der individuellen Einheit - auchInteressen, die mit einem sozialen Wertzeichen besetzt denen derEinzelperson entgegenstellen. Wie strittig die Werte aber hiersind, zeigen am deutlichsten Nietzsches Angriffe auf die «Her-denmoral».

Unausbleiblich schließt die Auffassung vom Interesse gewisseGrundurteile über die Stellung des Menschen in der Welt ein.Wollte man an der Bezeichnung «Zwecksystem» im genanntenerweiterten Sinne festhalten, so läge darin die Behauptung in derIndividualität verankerter, kollektiver, menschheitlicher Zwecke.Von diesen ginge eine Gegenführung zu denen der Einzelpersonaus, unter Umständen bis zu deren Vernichtung angestrebt. Auchsie, etwa in Form der Opferwilligkeit, wären als innewohnendeBedürfnisse auffaßbar. Eine Metaphysik darf einen solchen en-telechialen Überbau, worin die Ergebnisse der Entwicklung vor-ausbestimmt wären, zu Grunde legen. Hingegen eine Forschung,welche die Ziele der Entwicklung offen läßt, den Kampf imMenschen um den Menschen untersucht und Niveauverschie-bungen aus einzelnen, persönlichen Entscheidungen herausgebil-det sieht, kann in besagter Hinsicht nur von zielstrebigenTendenzen reden. Diese Unterscheidung ist besonders wichtighier, wo nicht allein psychische Sachverhalte in Betracht stehen,sondern die Gegenständlichkeit der Umwelt mitspielt.Wir sehendemnach Interessen nicht ausschließlich auf Zwecke gegründet,nicht von bewußter Absicht und Einsicht abhängig, trotzdem sieüberwiegend praktisch Leistungshaftes enthalten sowie die Aus-einandersetzung mit der Welt in Ding- und Bewußtseinsnähe be-treffen. Keinesfalls ist das Grundgefüge unserer Interessen eineOrganisationsform des rationalen Ichs. Dieses, wenn aus der un-bewußten Vorform, der «reinen Tätigkeit» Fichtes, herausent-wickelt, steht nur als Bezugspunkt interessemäßiger Selbstver-

270

wirklichung am Anfang des kreisläufigen Systems. Die von ihmausgehenden Absichten verwirren sich oft genug in den Mascheneines Netzes, aus dem «bewußt nicht Gewolltes» mit dämoni-scher Eigenlogik, als «schicksalhaft Aufgedrungenes», zum Ge-genstand eines unfreiwilligen Interesses wird. Dieses Netz ist dieins Dasein mitgebrachte Felderstruktur, das System der «zwölfHäuser» in der alten Astrologie.

Gerade diese Häuser waren seit ihrem Ausbau in der spätenAntike der Tummelplatz zweckgerichteter gegenständlicher Be-fragungen. Ein Orakel, ein Schicksals- und Götterspruch, sollteaus ihnen verkündet werden und für die vulgäre Auffassung ist esdabei geblieben. Die Mehrzahl durchschnittlich gestellter Fragensind «Häuserfragen»: Geld, Gesundheit, Berufserfolg, Liebe undEhe, Kinder, Freunde und Feinde. In dieser Entstellung zumWunschkatalog beschränkt sich die menschliche Interessensphäreauf wenige typenhafte Bedürfnisse, für deren Befriedigung dasHoroskop als Beihilfe dienen soll. Jedoch bei aller Bedenklich-keit des rohen Gegenstandsinteresses, das die innere Fortent-wicklung der Astrologie so sehr behinderte, ist ein Punkt getrof-fen, an dem ihre Aussagemöglichkeiten hinausgreifen über diegebräuchlichen psychologischen Methoden: das Hingeordnetseinder Individualität auf die Welt, ihr Darinstehen in realen Tatsa-chenzusammenhängen, unabhängig von Vorstellungen und Er-wartungen. Im Gebrauch für beschränkte Zwecke sehen wir nurdie unvollkommene Auswertung von Einsichten, die hier zu he-ben sind.

Vor der weiteren Verfolgung des Gedankens sei noch das Ver-hältnis der wandelbaren Motive oder Interessen zum gleichblei-benden Gefüge des Charakters geklärt. Wenn wir hier vonInteressenfeldern sprechen, so darf nicht überhört werden, daßdie Betonung auf «Feld» liegt. Der Ausdruck Feld meint ein Be-ständiges, auch wenn seine Bestandteile ausgewechselt werden;diese Beständigkeit hat es als Glied eines Strukturbereiches. Hin-gegen in Interesse ist eine Dynamik mitenhalten sowie Besonde-rung und Vereinzelung, insofern Streben gerichtet ist; wir meinendamit den unmittelbar auf Dinge gerichteten Bezug, der aus ei-nem solchen Felde heraus ansetzt. Innerhalb eines Feldes können

271

sich verschiedenerlei, dennoch bedeutungsmäßig zusammenge-hörige bzw. in dieselbe Grundrichtung weisende, einander ablö-sende und untereinander austauschbare Einzelinteressen aus-bilden. Sie machen den äußeren Wechsel der Dinge mit, aberauch den inneren Wandel des Durchdringens zur Bedeutung, densie aus der Felderstruktur empfangen. Individuell fixiert bleibtdas Feld, als bestimmte Grundausrichtung im Kreis motivischerBedeutungen, den Menschen in die Mitte seiner Möglichkeitengestellt; veränderlich sind die Entsprechungen, die es aktuell aus-füllen, die Dinge, die zum Motiv des Strebens werden und in de-nen sich die Feld-Bedeutung verwirklicht. Eine ungeschichtlicheBlickweise sah nur das Stationäre des Feldes und beschränkte dieEntsprechungen auf das typenhaft Wiederkehrende, dessen Ärm-lichkeit ohne Anschluß blieb an die geschichtsschöpferischeRolle der Interessen, wie sie etwa Rothacker sieht («Geschichts-philosophie», 1934): «Das Neue entsteht aus einem neuen Inter-esse, einem neuen Wollen, aus dem Auftreten neuer, eine neueWelt öffnender Organe und Funktionen.» So wird auch die Indi-vidualgeschichte vorwärts getrieben von wechselnden Interessen,bei denen die leicht überschätzte Neuheit der Strebensziele unsmanchmal alles von Grund auf verändert wähnen läßt. Unwan-delbar bleibt deswegen doch die prinzipielle Form des Weltbe-zugs von der Jugend bis zum Alter dieselbe; ihr ist zu danken,daß wir uns nicht an den Gegenständen erschöpfen, aus dem da-mit gegebenen Drang der Selbstverwirklichung bezieht sich daseigentlich Spannende, die dinglich unerschöpflichen Bedeutun-gen geben uns auf jeder erreichten Entwicklungshöhe neue An-sporne.

Weltbezug muß nun, wie schon im Begriff des Interesses als«Dazwischensein» liegt, doppelseitig verstanden werden. Das-selbe, was von der einen Seite gesehen Interesse «am» Gegen-stand ist und zur Tätigkeit anspannt, gilt von der anderen Seiteals Wirkung des Gegenstandes «auf » den Interessierten. Dorthaben wir die Thematik der Antriebe und Einstellungen, hier dasSystem der realen Welt, in das die so beschaffene Individualitäthineingeboren ist. Was uns ereignismäßig in wechselnder Gegen-standsfolge vor Augen tritt, beurteilen wir zufolge der Subjekt-

272

Objekt-Scheidung: Anderheiten, die nach kausalen Gründen ab-rollen, zufällig in unser Gesichtsfeld treten, und unter denen wirje nach Interesse eine subjektiv beliebige Auswahl treffen.Astrologie wirft demgegenüber das Problem auf, daß es ein not-wendiges Zusammentreffen jener beiden Seiten geben kann, in-dem unsere Interessensphäre schon von Geburt aus angelegt istauf Tatsachenzusammenhänge, deren Verzahnung weiter ausholtals unser jeweiliges Gesichtsfeld reicht. Dies würde besagen, daßwir unter behelfsmäßigen, oft «irrigen» Vorstellungen und Er-wartungen von tieferen Schichten aus gewisse Ereignissituatio-nen ansteuern, die in bezug stehen zu Plan und Anlage unsererIndividualität.

Eine solche Sicht der Dinge - so ungewöhnlich Konstellationenals Prüfmittel sein mögen - schließt Kausalität im Vollzug nichtaus. Fragwürdig mag erscheinen, ob der Ausdruck «Interesse»dann noch anwendbar sei. Doch eine hinlänglich weite Definitiondes Interesses an einem Erlebnis gab bereits Theodor Lipps. Erversteht «... unter Interesse alles, was irgend macht, daß dies Er-lebnis in mir «Bedeutung» gewinnt, alles also, was ein psychi-sches Geschehen fähig macht zur Aneignung der psychischenKraft oder der Aufmerksamkeit, oder ihm hilft zum Apperci-piertwerden, also ihm die Möglichkeit gewährt, im Zusammen-hang des psychischen Lebens wirksam zu werden, insbesonderealso auch auf seinen natürlichen Erfolg hinzuwirken und Hem-mungen entgegenzuwirken».57

Die Anwendung auf ein Verhältnis zu Realitäten, die sich demBewußtsein empirisch noch gar nicht darbieten, mag zuerst be-fremden. In anderer Form ist es jedoch nicht ungebräuchlich.Gelegentlich sagen wir von manchen Handlungen eines heran-wachsenden Mädchens, daß sie im Interesse der Liebeswahl ge-schehen bevor es genaueres von diesen Dingen weiß. Ein solchesmit dem Geschlecht innegegebenes Interesse haben wir nur indi-viduierter zu denken als gewöhnlich angenommen, mit vorge-prägtem Wahltypus und Zeiten des Bereitseins zur Erschließung.Ferner kann der von Lipps gesehene Gegensatz, des Interesses an

57 Theodor Lipps, «Vom Fühlen, Wollen und Denken», Joh. Ambrosius Barth, Leipzig1902.

273

einem unangenehmen Ereignis im Widerspruch zum enger per-sonbezogenen Interesse, das es abzuwehren strebt, vertieft auf-treten bis zum strukturell vorgeprägten Konflikt, aus dem jemandin genau das Unglück, das er befürchtet, hineinläuft. Hier steckenpsychologische Zugänge zum Thema der Abwendbarkeit vonvorbestimmt Geglaubtem, demselben Liebesunglück etwa, dasder Orakelspruch zeitgenau weissagt.

Für die Verwirklichung des Charakters enthält die Interes-sensphäre die gegenständliche Ausrichtung der Wesenskräfte. Siezeigt ihn einkomponiert, dem Angelegtsein nach mit überpersön-lichen Tatsachenzusammenhängen verflochten. Ein mit der Rea-lität des Seins verwachsenes System, reicht sie weiter als das vonKlages aufgestellte System der Triebfedern. Dieses ordnet inHinblick auf die eine Seite - Thematik der Antriebe und Einstel-lungen im persönlichen Lebensspielraum - nach Selbstbehaup-tung und -hingebung. Die andere Seite, das System der realenWelt, bleibt seiner rein charakterologischen Einteilung indiffe-rent. Vorzug dieser Einteilung ist ihre klare Übersichtlichkeit füreinen in seelischen Bewegungsformen sich orientierenden Ver-stand; anzunehmen hat man allerdings sein oberstes Erklä-rungsprinzip, das z. B. soziale Streberichtungen als Einschrän-kung persönlicher Triebfedern durch sittliche beurteilt. Nicht nurwegen des damit angedeuteten Unterschiedes sind die Berüh-rungspunkte mit unserer Interessensphäre seltener, als vielleichtzu erwarten wäre. Zur Eigentümlichkeit astrologischer Meßbildergehört die Verschiebung von Ausdrucks- und Interessensphäregegeneinander sowie deren variable Betonung durch unter-schiedliche Kräfte: eine Mannigfaltigkeit möglicher Kombinatio-nen, die der Charakterologe, wenn er die entsprechendenkomplexen Erscheinungen nach Beweggründen durchpflügt, oftanders angelegten Begriffen subsumiert.

Klages versteht das Wort Triebfeder als Verdeutschung vonInteresse, während es dem Sinne nach mehr die von Motiv ist,dem Aufrührenden, Bewegenden, dem Beweggrund, der einVerhalten von innen her einsichtig macht. In der Verwendung beiKlages bekommt der Begriff allerdings dann das wesentliche desInteresses, wie auch hier verstanden, Richtungseigenschaft, Be-

274

ziehung auf ein Ziel. Nur schreiben wir diesem Gegenstand oderZiel des Strebens eine realere Rolle zu, als daß sie lediglich äuße-rer Bezugspunkt ausgelöster Tätigkeiten seien. Der Gebrauch desAusdrucks Motiv in der Künstlersprache hat nun einen merkwür-digen Doppelsinn geschaffen, worin er sowohl das ursprünglichdamit Gemeinte bedeutet, den Beweggrund, die Erlebensseite, alsauch den äußeren Gegenstand, der diesem entspricht und diePhantasie anregt. Dieser Wortgebrauch trifft wechselseitige Be-ziehungen zwischen beidem, unterhalb bewußter Interessen: derKünstler trägt ein Motiv in sich bevor er seiner ansichtig wird, ersucht, findet Motive, nimmt sie aber nicht in äußerer Realistik,sondern im symbolhaften Bezug zum, Erlebensgrund der Span-nung, die den eigentlich schöpferischen Vorgang auslöst. JedesMotiv ist eine abgegrenzte Einheit, ein Konkretum für sich aufbedeutungshaftem Untergrund; der von ihm Erfüllte und Be-herrschte lebt gleichsam abgezogen von seinem Ich darauf hin,bis er es zur Ausgestaltung gebracht hat. Das so verwendete Wortbezeichnet am genauesten Bildgehalt und Zugkraft der hier be-rührten Gegenständlichkeit. In diesem Sinne gebrauchen wir esund fassen die Inhalte der Interessensphäre als «Kreis der Moti-ve» zusammen, ein sprachlich gleichsinniges Gegenstück zum«Kreis der Stilformen».58

58 Worte verpflichten! In solchen Ausdrücken steckt die Forderung, über die wissen-

schaftliche Festigung astrologischer Begriffe hinaus die Deutung als Kunst zu handhaben,im höchsten Rang einer solchen. Geht es ja hier wie mit künstlerischen Dingen überhaupt:der Laie und Dilettant fragt zuerst nach dem Gegenstand und äußeren Nutzen, erst bei ge-hobenerem Niveau nach der Formgestaltung und inneren Einheit im Stil. Dies, auf wißbareInhalte bezogen, ist das Verhältnis von «Häuserfragen» und «Tierkreisfragen». Der Deu-tende muß stets über dem Niveau des Fragenden stehen. Auch ein primitiver Mensch hateinen persönlichen Stil, weiß es nur nicht, naiv wirkt er ihn aus; je mehr ihn aber die Pro-blematik gegenständlicher Interessen beschäftigt, wird er davon überfremdet. Ebenso habendie Dinge eigentliche Zugkraft als Motive der Selbstgestaltung, dies verlieren sie, wenn sieselbstherrlich werden. Bildungsfähigkeit im höheren Sinne setzt voraus, daß nicht nur dasinteressierende «Was», sondern auch das gestaltende «Wie», die Art und Weise seinerBehandlung, sowie das «Warum», der Lebens- und Entwicklungswert dieser Sache, pro-blematisch geworden sind.

275

Ordnungsmäßige Übereinstimmung der beiden Sphären

So weit der Begriff des Interesses - wie soeben verstanden -und der erläuterte Doppelsinn von «Motiv» in reale Tatsachenzu-sammenhänge hineinreicht, im Gebrauch dieser Ausdrücke be-schränken wir uns hier auf Anlagekomponenten des Menschen.Wir schreiben diesen Anlagen aber einen Bezug auf Realitätenzu, der als solcher unabhängig ist vom bewußten Erkennen desMotivs - in beiderlei Hinsicht - durch den Betreffenden. An sei-nem Geburtsbilde ablesbar, sind es Formen kosmischer Einstel-lung. Erfahrung berechtigt zu sagen: Wenn bei der Geburt einPlanet in dieser oder jener Distanz zu Horizont oder Meridianstand, dann inkliniert der Mensch in der entsprechenden Kraft zudiesen oder jenen Interessen. Ebenso, wie wir die Inhalte derAusdrudrssphäre im Prinzip der Begegnung zwischen Ich undWelt enthalten sahen, betrachten wir diejenigen der Interes-sensphäre als dem Menschen inhärent. Sie stellen die Weiter-führung des gleichen Prinzips in die konkrete Gegenständlichkeithinein dar. Des Unterschiedes von Ausdruck und Interesse, vonStilform und Motiv bewußt, bedienen wir uns nun derselben ord-nenden Gesichtspunkte. Keinerlei Wirkung von außen kann alsGrund dieser inneren Geordnetheit gelten, sie ist das Urphäno-men welteingepaßter Selbstverwirklichung.

Die schon bekannten Symmetrien also kommen in Betracht,doch ihre Spürbarkeit, ihr Verhältnis untereinander erfährt einigeVerschiebungen. Das Temperament, das in den Stilformen starksich verdrängt und immer merklich mitspricht, tritt im Kreis derMotive zurück, bzw. wird übersetzt in einen Bedeutungston. Im«Wie» lebendiger Äußerung spielt der Grad der Affektibilität,der Bedachtsamkeit usw. eine spürbare Rolle, hingegen im«Was», worauf sie sich richtet, klingt nur feineren Wahrnehmun-gen vernehmlich die untere Seelenschicht an, auf die wir Tempe-rament bezogen hatten. In diesem Sinne sei es verstanden, wennwir in der Literatur gelegentlich folgende Einteilung der Felder -begrifflich in Anlehnung an die Gegliedertheit der Tempera-mente herausgebildet - antreffen:

276

materiell persönlich psychisch spirituell10, 2, 6 1, 5, 9 4, 8, 12 7, 11, 3

Da auch der entschiedenste Realist, wenn an Gegenständen in-teressiert, streng genommen nicht auf diese, sondern ihr «ihmbedeuten» anspricht, verdient der Bedeutungston gar wohl be-achtet zu werden. Die spezifische Tönung eines Interessenfeldesschwingt mit, ob bemerkt oder nicht, praktisch können Gegen-stände demgemäß mehrfach einreihen. Ein akademischen Titel z.B. hat vom 3. Felde her gesehen seine Bedeutung als Abschlußeines Studiengangs, einer Phase der persönlichen Geistesbildung,hingegen vom 10. Felde her einen materiellen Beiklang, bezeich-net eine gesellschaftliche Realität, Zugang zu bestimmten Beru-fen usw., vom 2. Felde aus gespiegelt unter Umständen einehöhere Gehaltsklasse. Ein und dieselbe Frau, gemäß dem 5. Fel-de in persönlich-vitaler Tönung der Liebesbegegnung erlebt,wird zu etwas anderem vom Blickwinkel des 7. Feldes, wo diespirituelle Führung des Zusammenlebens den Ausschlag gibt, dieIch-Du-Diskussion der Ehe, oder vom 4. Felde her, in der psychi-schen Tönung häuslicher Atmosphäre. Betontheit eines Interes-senfeldes besagt Angespanntsein und Erwartung in bestimmterRichtung, wobei die gebietseigene Tönung mit zur Echtheit desMotivs gehört. Durch das Hineinschieben der Ausdruckssphärekann dies Motivische dann unterströmt werden von einer tempe-ramentsmäßig anderssinnigen Art der Interessenverfolgung, et-wa: erdhaftes Zeichen im 3., oder aber verstärkt durch einegleichsinnige, etwa: erdhaftes Zeichen im 10.. feuriges im 5. Fel-de usw.Der Wechsel von tätiger und leidender Form (bzw. + und−) in der Aufeinanderfolge findet seine Entsprechung in einensolchen anschaulicher Gehalte: Personifikationen und Sachmoti-ve. Der Bedeutungston tritt hierbei gestalthaft verdichtet auf undzwar - zusammengezogen - der persönliche und spirituelle alsPersonifikation, der materielle und psychische als Sachmotiv.Dieser sehr markanten Motivation des Seelenlebens - in der tra-ditionellen Astrologie kaum beachtet - gilt der besondere Ab-schnitt «Inbilder der Selbstverwirklichung». Vorerst die Zuord-nung, leicht zu merken als gerade Zahlen für −, ungerade für +:

277

Personifikationen Sachmotive1, 3, 5, 7, 9, 11 2, 4, 6, 8, 10, 12

Am häufigsten wird die Dreigliederung angeführt, doch, wieschon die unglücklich wertende traditionelle Bezeichnung «Eck-häuser», «nachfolgende Häuser», «fallende Häuser» erkennenläßt, unter der irrigen Meinung, es gehe dabei um Stärkegrade.Auf dieser Basis entstanden zuweilen unsinnige, keiner kriti-schen Prüfung standhaltende Regeln, wie � im 6. (weil fallen-den) Hause = geschwächte Gesundheit. Dieses Urteilsschemasieht die stärksten «Planetenwirkungen» in den unmittelbar andie Eckpunkte anschließenden Feldern gegeben, ein Absinken inden danach folgenden und schließlich die schwächsten in denEndfeldern der Quadranten. Es unterstellt eine terrassenförmigeStufung der Quantität. Abgesehen von dem empirisch gerecht-fertigten Zusatz, daß sich am Anfang jedes Feldes der Charaktereines Deutungssymbols am intensivsten geltend macht, liegt eineVerwechslung von Qualität und Quantität vor. Die Dreiheit vonkardinal, fix, labil in der Ausdruckssphäre ist eine qualitativeUnterscheidung. Übersetzt auf die Interessensphäre kehrt siewieder als ebensolche qualitative Stufung der Intensität, Interes-sen zu verfolgen. Die Intensität einer Wesenskraft x kann, jenach Stellung in einem der Felder die wir quantativ neutral Eck-felder, Mittelfelder, Endfelder nennen -, in dreierlei Weise auf-treten: als Formungsintensität, Beharrungsintensität oderDurchführungsintensität. Wie vorhin im Bedeutungston, habenwir darin eine ordnungsmäßige Übereinstimmung beider Sphä-ren. Der eigentliche Ausdruck wird dann durch das Zeichen be-stimmt, wobei verschiedene Überschneidungen vorkommenkönnen.

Die traditionelle Auffassung rührt als echter Irrtum nicht ausBeobachtungsfehlern her, sondern ist eine irrige Auslegung. Mannahm wahr, daß Planetenstellungen an den Eckpunkten physio-gnomisch stärker in Erscheinung treten als solche an anderenFeldanfängen und schloß daraus auf erhöhte Quantität der Wir-kung. Nach unserer Unterscheidung handelt es sich jedoch um

278

ein Hervorstechen der Formungsintensität, und zwar in einemlebensprimären Vorgang tief unter der Bewußtseinsschwelle. Einderart �-betonter Mensch trägt schon physiognomisch die ent-sprechende Signatur, zu seiner individuellen Eigenheit gehört es,aktiv formend die durch das betreffende Eckfeld bezeichnetenDinge in Angriff zu nehmen. In einem Mittel- oder Endfeldesteht � deswegen nicht «schwächer», die Aktivität ist nur weni-ger formend intensiv, sondern gibt sich aus im Sinne anhaltendverfolgter oder beweglich vertauschter Motive. Befindet � sichnun in einem labilen Zeichen, so wird dessen Tendenz zum be-weglichen Mittreiben in vor sich gehenden Veränderungen be-stärkt im Endfelde, im Eckfelde hingegen dringt bei allerBeweglichkeit das spontan Formgebende durch. Richtig ist injedem Falle, daß diese qualitativen Intensitäts-Unterschiede beiStellung an einem Feldbeginn (gebräuchlich «Spitze») in erhöh-tem Grade hervortreten. Die so verstandenen Zuordnungen sindfolgende:

EckfelderFormungsintensität

MittelfelderBeharrungsintensität

Endfelder Durch-führungsintensität

1, 4, 7, 10 2, 5, 8, 11 3, 6, 9, 12

Allerdings, wenn auch Qualitäten, dieselbe Farbigkeit erleb-nismäßiger Beteiligung wie bei den Stilformen liegt nicht darin.Interessen, für sich genommen, sind gleichsam alle grau; Begei-sterung, Farbe, Blut und Leben ihres Verfolgens stammt aus derAusdruckssphäre. Bei dieser sprachen wir von Wirk- und Werde-Grundformen, bezogen uns also auf entwicklungsmäßige Wand-lungen und Arten der Gestaltung, die für sich kultiviert eine ge-wisse Selbstherrlichkeit gegenüber dem Gegenstand - ein l'artpour l'art - erlangen können. In Fragen der allgemeinen Bega-bung, der Entfaltung von Fähigkeiten wird die Kombination daanknüpfen. Mit Interessen hingegen sind Begabung und Fähig-keit nicht unmittelbar verquickt, nur Intensität ist es, nie denkbarohne ein Ziel. Die dreifache Art, die Dinge anzugehen, stellt da-

279

bei dreierlei Anwendungsform desselben Quantums an Intensitätdar.

Formungsintensität sucht dem Angestrebten den eigenenStempel aufzuprägen, bzw. passiv erlebt ist sie die Bereitwillig-keit, durch den Gegenstand des Interesses einen solchen sichaufprägen zu lassen.

Beharrungsintensität erweist sich im hartnäckigen Verfolgeneines Interesses, bzw. passiv erlebt ist sie stärkere Ausdauer desHaftens an Gegenständen, die der Interessenrichtung entspre-chen.

Durchführungsintensität kann am leichtesten die Ziele wech-seln, sich Bedingungen anpassen, zwischen mehreren Gegen-ständen pendeln, aktiv und passiv leichter vertauschen, wie es dieDurchführung eines Interesses verlangt.

Über aktiv und passiv (nicht zu verwechseln mit tätiger undleidender Form der Zeichen, die aber als Ausdrucksqualität mit-spricht) entscheidet die Art der Wesenskraft, das Intensitäts-quantum wird aus der Stellung des entsprechenden Planeten-symbols im Gesamtbilde beurteilt.

Wohl die wichtigste Gliederung der Interessensphäre liegt inden Quadranten. Klar unterscheidbar von Intensität und Bedeu-tungston tritt damit etwas hinzu, was bei Kreuzung mehrerer In-teressen insgeheim den Ausschlag gibt und eines dringlichmacht, zum momentan herrschenden erhebt: der Wert. Aus deminneren Gewichtsverhältnis von Werten regelt sich anderseits das

Eckfelder

Mittelfelder

Endfelder

280

Bleibende im Wandel. Die Gegenstände des Interesses machen jabei jedem Menschen einen solchen durch, bzw. sein Ich ' mitdem jeweiligen Interesse identifiziert, ist in ständiger Wanderungbegriffen, wobei zunächst mehr der «Neuheitswert» der Dingesich durchsetzt. In fortwährend herandrängenden Fragen hat esferner zu entscheiden - nur eingefahrene Gewohnheiten, habitu-elle Einstellungen nehmen ihm die Wahl ab -, es nimmt Partei fürdas eine oder andere. Doch trotz Anpassung an die Aktualität derLage, wechselnder Form und Gegenständlichkeit der Bestrebun-gen fällt jeder auf bestimmte Hauptgewichte, Wert-Betonungenzurück. Sie sind nicht etwa dasselbe wie Gewohnheiten, sondernzählen zu deren inneren Voraussetzungen. Der Mannigfaltigkeitvon Dingen im Fluß des Geschehens gegenüber entscheiden wirgleichsam auf Grund einer angeborenen Musterkarte und folgendarauf fixierten Grundwerten. Wir wählen oder verwerfen denGegenstand, der symbolisch dafür eintritt, meinen aber einendurch ihn verkörperten Wert. Diese Grundwerte nun liegen inden Quadranten begründet, die für sich betrachtet zu werden ver-dienen.59

59 Daß die traditionelle Astrologie von diesen Quadranteninhalten so wenig Notiz nahm,

ist wohl der Beschränkung des Blicks durch das leidige Orakeln zuzuschreiben. Doch dieBeachtung vor allem der Hälften setzt bereits bei Ptolemäus an in der Unterscheidung östli-cher und westlicher Stellungen; bei jenen deutet er im allgemeinen auf froheres Durchbre-chen der Wirkungen, Begabungen und Erfolgstendenzen, bei diesen auf späteresWirksamwerden. Auch gibt er, was Morin de Villefranche in seiner «Astrologica Gallica»(1661) dann ausbaute, den Ost- und Weststellungen der Planeten verschiedene physiogno-mische Entsprechungen. Unter neueren ist besonders v. Klöckler zu nennen, der in seinemmehrfach erwähnten Lehrwerk eine Kombination der Quadranten beider Kreise versucht,sowie Felix M. Diemer, dessen leider nur im Vervielfältigungsverfahren verbreiteter Lehr-gang mit der Beurteilung der Quadranten beginnt.

281

Persönlichkeitsaufbau und Gegenläufigkeiten der Entwicklung

Wonach man bei den Stilformen erst schürfen muß, weil sichim Ausdruck das Temperament verdrängt, das kommt bei denMotiven offensichtlicher zutage, die Wertausrichtung in Dimen-sionen, die hier den Aufbau der Persönlichkeit im Verhältnis zurUmwelt angehen.

Zum ersten Überblick führt die Zusammenfassung nach oberen(7-12) und unteren Feldern (1-6). Analog den Teilungen derAusdruckssphäre finden wir die Anteilnahme an der realen Weltgeschieden durch den Bezug auf Wesenseigenes und Wesens-fremdes. Deutlich verspürbar ist auch in der Interessensphäre dieSchwelle vom 1. und II. zum III. und IV. Quadranten und wiederzurück. Der Mensch tritt heraus aus dem «nächtigen» Bereich, indessen Tiefenpunkt (IC) das unbeeinträchtigte Organismus-Seinihn von der Wurzel her erneuerte, er tritt ein in die «Tagwelt»,deren Höhepunkt (MC) weltverpflichtete Leistung von ihm for-dert. Im Oberschwelligen überwiegt die sozial bestimmte Welt:Erfahrungen, Normungen, Einrichtungen, extrahiert und geschaf-fen in einem geschichtlichen Prozeß. Die unterschwelligen Vor-gänge hingegen sind im sozialen Sinne ungeschichtlich,retardierend; die von hier bestimmte Individualgeschichte bestehtin der Form und Folge, das familienmäßige Erbe darzuleben, sichweiterzupflanzen oder in Auszeugungen übertragenen Sinnes ei-nem eigenen Reich seinen Stil aufzuprägen. Stärkere soziale Ein-flüsse dort stehen stärkerem Zustrom unbewußter Lebens-direktiven hier gegenüber, obzwar Verfolgung von Interessenimmer einen höheren Grad der Bewußtheit in sich schließt alsTemperamentsäußerung. Deshalb sind sie für den Persönlich-keitsaufbau so wichtig.

Im praktischen Gebrauch dieser Unterscheidung bestätigt sich,daß das individuelle Wesensgefüge auf den Mitmenschen hinangelegt ist. Hier liegt der Ansatz dessen, was wir in der Einlei-tung eine «Atomtheorie der Soziologie» nannten. Der allgemeineproblematische Widerstreit im Menschen, sowohl Eigenwerte alsauch Fremdwerte erfüllend seine Ganzheit aus wechselnden Be-dingungen immer neu herstellen zu müssen, verschärft und spezi-

282

fiziert sich in bestimmten Fällen zum individuellen Konflikt. Einsolcher ist im Gefüge angelegt; doch Entwicklungshöhe undselbstbestimmender Faktor treten zum Kosmotypus hinzu, diesgibt den Gegenläufigkeiten zur Logik des Persönlichkeits-aufbaus, an deren Festfahrungen auch die Umwelt mitwirkt, ihrebesondere Bedeutung. Vom Bau der Interessensphäre aus stehtnicht Unvereinbares einander gegenüber, nicht starr geschiedenhier das Individuum mit seinen egoistischen Trieben, da die esbefehdende, Unterwerfung verlangende, ihm sittliche Triebfe-dern, die nicht schon keimhaft in ihm lägen, anerziehende Mit-welt. Vielmehr lebt die entwicklungsfähige, dynamische Einheitder Menschenseele aus diesem dialektischen Widerspruch deseinzelnen zum Gruppendasein. Unabhängig von der Ausbildungsittlicher Begriffe reicht die individuell-soziale Verflochtenheitin die Individuation hinein. Dinge kollektiver Bedeutung könnenvon Geburt an zum Lebensthema gehören und Aufbauwerte derPersönlichkeit, deren Eigentümliches sich auf sozialer Plattformoder nirgends sonst verwirklicht, enthalten.60 Ob allerdings Willeund Bewußtsein des Betreffenden auf der Höhe seiner Problema-tik sind, steht nicht im Geburtsbilde. Wie er die inneren Wetter-zeichen deutet, ob er die Forderungen kollektiven Lebensbegreift, Fremdwerte unter ihrem eigenen Nenner positiv gestal-tend in sein Dasein einbezieht, oder ob er sie aus egoistischemBlickwinkel mißachtet und die Mitwelt herausfordert, um amEnde unfreiwillige Korrekturen durch sie einzustecken, dies istSache des «Niveaus». Niveau heißt hier, befindlich sein auf derHöhe seiner Aufgabe, den allgemeinen Widerstreit in einer indi-viduell mitgebrachten Problemform zu lösen.

Wie in der Ausdruckssphäre gehen die Bedeutungen der Qua-dranten aus der Überschneidung zweier Kreishälften hervor.Vertikal schieden wir organisch Kontaktloses von organischKontaktgebundenem. Das erste bezeichnet das Gemeinsame derlinken, hier der Osthälfte (10-3), es ergibt sich über der Hori-zontale der Quadrant der Gesellschaft, unter ihr derjenige der

60 Auch die in der Vulgärastrologie so gefürchteten Felder 8 und 12 gehören dazu! Werdarin nur Tod und Vereinsamung sieht, wird nie begreifen können, was es bedeutet, daßetwa Hindenburg seine Kernpositionen im 8., Hugo Stinnes die seinen im 12. Felde hatte.

283

Einzelperson. Das zweite benennt das Gemeinsame der rechten,der Westhälfte (4-9), es ergibt sich über der Horizontale derQuadrant der Gemeinschaft, unter ihr derjenige der Verwandt-schaft. Diese Begriffe werden noch zu klären sein. Auch dasVerhältnis zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderenwiederholt sich, die erste Achse hat ihre Pole in MC und IC, diezweite in Aszendent und Deszendent. Der inhaltliche Zusam-menhang besteht in der Weise, daß Aszendent-Deszendent mo-mentane Wertkonzentrationen dessen bezeichnen, was die imKreislauf nachfolgenden Eckpunkte in dauernden und allgemein-gültigen Werten anstreben lassen. Der Aszendent enthält dasmomentan Ichbezügliche; dessen Eigentümlichkeit wird ausge-lebt im Drang und Vorhaben des akuten Augenblicks, gespiegeltim hineinprojizierten Wertcharakter. Der Deszendent enthält dasmomentan Fremd- und Dubezügliche; die Welt wird im Wert desjeweils anvisierten Objekts, der einmaligen Situation, dieMenschheit im Besonderen bestimmter Mitmenschen und ihrerGruppierungen erlebt. (Daher bei Betonung der Aszendent-Deszendent-Achse besonders lebhafte Ich-Du-Auseinander-setzungen!). Insofern sich nun sowohl in Aszendent als in De-szendent die Werttönung ihrer Hälfte verdichtet, ist jene alte Ost-West-Regel (Anm. S. 285) bei einseitigen Lagerungen nicht ohneSinn. Der organisch kontaktlos auf sein Ich Ausgerichtete kommtgemeinhin früher dazu, seine Anlagen durchsetzungskräftig zuFähigkeiten auszubilden und etwas damit zu erreichen. Umge-kehrt braucht der organisch kontaktgebunden dem Du Zuge-wandte, immer wieder abgezogen von sich und seinen Zielen,gemeinhin länger oder er erreicht es eben im Schlepptau solcherKontakte. Doch summarische Regeln dieser Art erfassen nichtdie Differenziertheit des individuellen Falls. Anstatt mit so unge-fährer Ausbeute zufriedengestellt, schreiten wir, um sicheren Bo-den für die Deutung bemüht, im Herausarbeiten elementarerBegriffe fort.

Aus der Überschneidung der Kreishälften gehen die vierHauptrelationen hervor, in denen der Mensch antreffbar ist: Ver-einzelung, Verwandtschaft, Gemeinschaft, Gesellschaft. Siestellen auf menschliche Verhältnisse übertragen dar, was die

284

Sphäre des Ausdrucks als allgemeine Lebensdimensionen ent-hält: Einzelwesen, Art, Symbiose, Erdschauplatz. Verstanden wirdie Stilformen als Wurzeln wertender Haltung, naturnäher undmit Rückgriffen auf die tierische Stufe, so bezeichnen die Motivebewußtseinsnähere Ausrichtungen und Einstellungen, derenWertcharakter enger im spezifisch Menschlichen ruht.

Vor allem in den Sozialbeziehungen bedarf es der Klarlegung,wie die Begriffe gemeint sind. Gemeinschaft kommt zustandeaus besonderen Kontakten, sie kann nicht absehen vom Erlebniseines Du und vom organisch Gemeinsamen mit dem anderen,Fremden; hingegen Gesellschaft beruht auf der Allgemeinheitverbindender Formen, gleichgültig, wer sich ihrer bedient und obzu ihm ein besonderer Kontakt besteht. Gesellschaft sind rechtli-che und staatliche Formen, solche des Standes und der berufli-chen Stellung, der geistigen Verständigung über Nation undSprache hinweg, letzten Endes die Form und Fortentwicklung

285

allgemein menschlicher Zivilisation. Zur Gemeinschaft gehörtdas Vereinigtsein einer Gruppe oder zumindest zweier Menschenim unmittelbaren Kontakt und Austausch, geschaffen durch be-stimmte Ziele, Anschauungen, Liebhabereien, durch seelischeGemeinsamkeiten, Sprache, im Zusammenleben gefundene An-regung und Ergänzung oder aber Gegnerschaft, Ablehnung,Neid, Mißgunst als negative Wertinhalte.

Die Unterscheidung von organisch kontaktgebunden oderkontaktlos bleibt hierin enthalten, übereinstimmend mit der Auf-fassung von Ferdinand Tönnies: «Das Verhältnis selber, und alsodie Verbindung, wird entweder als reales und organisches Lebenbegriffen - dies ist das Wesen der Gemeinschaft, oder als ideelleund mechanische Bildung - dies ist der Begriff der Gesellschaft.»(«Gemeinschaft und Gesellschaft», 1922, Hervorhebungen eben-da). Nur beschränkt Tönnies beides mehr auf Verbindungen undBildungen durch ein positives Verhältnis, bejahende, auf Erhal-tung gerichtete Wirkungen, «Förderungen, Erleichterungen, Lei-stungen, welche hinüber und herüber gehen, und als Ausdrückeder Willen und ihrer Kräfte betrachtet werden», während wirGemeinschaft und Gesellschaft einschließlich ihrer inneren Wi-dersprüche, also auch schädigender und vernichtender Tenden-zen, verstehen. Im Widerstreit positiver und negativer Tendenzenspricht die noch zu behandelnde Gegenläufigkeit zum Persön-lichkeitsaufbau mit. Weiterhin scheidet Tönnies von der Gemein-schaft nicht die Verwandtschaft ab, der hier ein Quadrant für sicheingeräumt ist; er folgt dem Sprachgebrauch und setzt die Fami-liengemeinschaft, in der wir durch Geburt stehen, sowie Haus-gemeinschaft überhaupt, in die gleiche Kategorie wie Religions-gemeinschaft, die der Sprache, Sitte usw. Dagegen in unseremSystem direkt und konvers ineinandergreifender Wertstrebungenschiebt sich zwischen Vereinzelung (Relation: Beziehungs-formen der Person auf sich) und Gemeinschaft der Lebenszu-sammenhang von Verwandtem ein; dieser besteht auch ohne di-rektes Zusammenleben, stellt in einem solchen aber ein vomUnterschwelligen her organisch bindendes Faktum dar. In primi-tiven Stammesgenossenschaften finden wir beides zunächst ver-schmolzen. Daß die Einzelperson sich vom Lebenszusammen-

286

hang der Sippe absetzen und die eigentliche Individuation anhe-ben konnte, setzt anderseits die geschichtliche Herausbildungeines bestimmten gesellschaftlichen Zustandes voraus, dies un-terstreicht die Wechselbezüglichkeit der beiden organisch kon-taktlosen Quadranten.

Bei den Inhalten ist zu beachten, daß wir es mit einem Schemalogischer Aufeinanderstufung zu tun haben, das Leben jedochkeineswegs immer in dieser werteaufbauenden Richtung verläuft,sondern ebenso gegenläufig. Wir betrachten daher die Aufeinan-derfolge ebensowohl in direkter wie in konverser Richtung, wasim Ineinandergreifen benachbarter Quadranten gleichbedeutendist mit sinngemäß und sinnwidrig.

Vereinzelung

Die ichbezogene Welt, Ausschnitt des vor sich und anderen zugelten, zu besitzen und als Werdemöglichkeit zu sein Bean-spruchten; Person in ihrer Einzigkeit und Unvergleichlichkeit,Dinge als Eigentum und Schaltglieder persönlichen Willens,subjektiv ursprüngliches Erfassen des einmaligen, unwieder-holbaren Augenblicks. - In direkter Fortsetzung des IV. Qu. dasgesellschaftliche Atom, auf sich allein gestellt und frei von orga-nischen Bindungen, mit denen anderseits der II. Qu., in Form vonGefühlsfesseln die Unabhängigkeit der Entschlüsse bedrohend,konvers hereinwirkt.

Verwandtschaft

Die innenbezogene Person, unterschwellige Vertrautheit mitden durch Geburt oder freie Wahl Verbundenen (hinzutretend zurBlutsverwandtschaft die Triebwahl); Gefühl des Geborgenseins

I. Quadrant

II. Quadrant

287

darin ohne Verdienst und notwendige Gegenleistung, Heimisch-sein und Heimlichkeit der Dinge einer häuslichen Atmosphäre,unbefangene Entfaltung eigener Potenzen im Raum des von Na-tur Gleichgearteten oder entsprechend Empfundenen. In direkterFortsetzung des I. Qu. das Ausschwingen des Ichs im breiten,natürlichen Lebenszusammenhang und im organischen Kontaktmit dem ihm Verwandten, wobei aber im tatsächlichen Zusam-menleben auch der III. Qu. konvers hereinwirkt, indem momen-tane Distanzierungen und Befremdungen das verwandtschaftlicheVerhältnis verdunkeln.

Gemeinschaft

Das dubezogene Innenleben, der zu anderen hergestellte undnoch in der Fremde gefundene organische Kontakt, ob in freiwil-liger oder zwangsläufiger Berührung, ob in Form des Zusam-mengehenkönnens oder der Gegnerschaft, gemeinsame Interes-sen in aller Strittigkeit, in wechselnder Lage ihrer Probleme undAnforderungen, die in menschenwürdigem Sinne zu bewältigenobjektive Gegenleistungen verlangt, sowie Anerkennung vonGemeinbesitz an bestimmten Dingen. - In direkter Fortsetzungdes II. Qu. das Hervorgehen von Beziehungen aus entdeckterWahlverwandtschaft, dadurch positives Zusammenwirken in in-nerer Gemeinsamkeit, anderseits sieht sich die freizügige Le-bensanpassung bedroht durch konverses Hereinwirken des IV.Qu.: Aneinandergebundensein durch erstarrte und veräußerlichte,lebensfremd gewordene Formen der Gesellung, auch Forderun-gen sozialer Stabilität, etwa juristischer Begriff der Ehe gegen-über unmittelbarer Lebensgemeinschaft zu zweien.

III. Quadrant

288

Gesellschaft

Der außenbezogene Mitmensch, in den Beziehungen zueinan-der geregelt durch Formen, die absehen vom organischen Kon-takt in der Unstabilität und Zufälligkeit momentaner Wendungen;geschichtlich notwendiges Gewordensein sozialer Gruppierun-gen, Schichten und Kasten, sowie deren Weiterbildung aufGrund allgemein verbindlicher Realitäten, Anschauungs- undZivilisationsformen; die Bedingungen beruflichen und öffentli-chen Wirkens darin, des zu erwerbenden Namens undNachruhms. - In direkter Fortsetzung des III. Qu. die formelleAnerkennung des Du, des anderen Willens unter dem Blick-punkte der Dauer und Allgemeingültigkeit des Verhältnisses, derrechtlich-politische Ausdruck gemeinschaftlichen Lebens Über-haupt, anderseits, wofür das Absehen von organischen KontaktenVorschub leistet, Bedrohungen durch konverses Hereinwirkendes I. Qu.: Eigenwilligkeit und -nützigkeit ichhafter Tendenzen,bei deren überwiegen die Gesellschaft einen pluralistisch-anarchischen Charakter bekommt.

Verstanden wir die Aufeinanderfolge von Einzelwesen, Art,Symbiose, Erdschauplatz als ein Anwachsen der Lebensdimen-sionen, so finden wir nunmehr ihm analog ein solches der Wer-tinstanzen des Interesses, wobei wir jeweils den ganzen Umfangder in einem Quadranten möglichen Relationen in Betracht zie-hen müssen.

Eindeutig beschränkt sich diese Instanz im I. Quadranten aufdie Einzelperson, ihr Wollen, Empfinden, Urteilen.

Im II. Quadranten haben wir zunächst Blutsverwandtschaft undTriebbindung (analog Uexkülls Fortpflanzungskreis), die dazu-gehörigen kulturellen Lebensformen von der urtümlichen Sippean bis zur heutigen Familie, sodann im Eigenleben wirksameStammes- und Rassengemeinsamkeiten, die einer Wahlverwandt-schaft ihren unterschwelligen Erlebniston geben, endlich übertra-

IV. Quadrant

289

gene Formen patriarchalischen oder, matriarchalischen Verhält-nisses bis zur hausgemeinschaftlichen «Arbeitsfamilie».

Im III. Quadranten schließt die zwischenmenschliche Symbio-se die vielfältigsten Formen ein (mit geschichtlich nachwirkenderHerrschaft Bevorrechteter, Hörigkeit Unterworfener, Heirats-und Tributsystemen, Schutz- und Treueverhältnissen usw.), indenen einander herkunftsmäßig Fremde lockerer oder fester, im-provisiert oder länger dauernd verbunden sind. Jede freiwilligoder unfreiwillig zusammenlebende, -arbeitende, irgendwelchegemeinsamen Interessen anstrebende oder um solche in sichkämpfende Gruppe, jedes Angewiesensein aufeinander im un-mittelbaren Kontakt bildet besondere Wertmaßstäbe aus. Dasdiesem Quadranten Typische, unterschiedliche Interessen undAnschauungsformen unter einigende Wertsymbole zu bringen,reicht bis zum Lebensspielraum des Volkes, der Nation; an denGrenzen stehen die diesen Rahmen sprengenden Religionsge-meinschaften oder Parteien, wenn sie ihr Anrecht aus allgemeinmenschlichen, höchsten Werten beziehen.

Im IV. Quadranten, geschichtlich beginnend mit wirtschaftli-chem Denken gegenüber sakralen Vorstellungen, einer Einstel-lung, die wiederum Vergrößerung der gesellschaftlichenVerbände herkunfts- und rechtmäßig ungleicher Individuen,Dichtigkeit der Siedlungen usw. voraussetzt, sind es zunächstsachliche Wertmaßstäbe und feste Einrichtungen, deren «orga-nisch kontaktloses Eigenleben» über das der Personen herrscht.Als programmatisch verkündete oder stillschweigend anerkannteWertinstanz aller sozialen Auseinandersetzungen auf fortge-schrittener Stufe, Rechtfertigung und Weltstandpunkt für obrig-keitliche Maßnahmen darbietend, gilt die Menschheit. Eingeistiges Kontinuum, ist die Menschheit allerdings nur ge-schichtlichem Vorstellungsvermögen erlebbar, doch ihre geisti-gen Fortpflanzungen reichen hinein in den realen gesell-schaftlichen Ausschnitt der mitgelebten Epoche, die als ihrenRepräsentanten wieder den einzelnen wert- und anschauungsmä-ßig mitbestimmt.

So ergibt sich die «anwachsende Spirale»:

290

IVMenschheit

IIINation

EinzelpersonI

FamilieII

Es sind dieselben Wertinstanzen, die bereits Kungfutses «Gro-ße Lehre» benennt: Ich, Familie, Land, Reich. Der altchinesi-schen Denkweise galt dabei «Land» analog unserem Begriff derNation und «Reich» als der im eigenen Staat verstandene Inbe-griff menschlicher Ordnung, die in Einklang mit der Weltord-nung zu halten oberstes Gesetz war.

In dieser direkten Folge der Quadranten sehen wir einen Kanonfür den Aufbau des vollständigen Menschen; dies heißt also nichtdas variable Hintereinander dessen, was in einer Entwicklungempirisch einander folgt und ablöst, heißt auch nicht die allge-meingeschichtliche Folge, worin die Einzelperson sich erst vomStammestypus abheben mußte, heißt vielmehr logische Stufungaufeinander gesetzter Wertinstanzen. Ausfall einer dieser Stufenbedeutet einen Mangel der persönlichen Vollständigkeit (Ge-fahrtendenz unbetonter Quadranten, doch sprechen wir nochnicht vom individuellen Fall, sondern der für alle gegebenen Si-tuation; Unbetontheit kann auch ein ansaugendes Vakuum fürErwerbungen sein). Wir werden als Persönlichkeit vollwertig,indem wir diese Stufen durchschreiten und einnehmen gelernthaben, doch mit den aufgenommenen Ergänzungen, sie dem Be-stand des Persönlichkeitsbewußtseins einverleibend, wieder zu-rückfinden zur Ausgangsstufe: ein ständig wiederholterAufbauweg.

Dem ordnungsmäßigen Aufbau in der Zahlenfolge, der direk-ten Lesung, hatten wir nun, entsprechend dem gegenläufigen so-laren Tagesgang (S. 263 ff.), die konverse gegenübergestelltsowie gleichzeitig das vom Ort aus bestimmte Ruhende des Fel-dersystems beachtet. Dieses Vielbezügliche läßt einen Betrach-tungszusammenhang von jedem Eckfeld nach zwei Seiten zu.61

61 Ein Betrachtungszusammenhang, der in den richtig gesehenen überlieferten Zuwei-

sungen steckt. Dies gilt vor allem für die Achse 4-10, in welcher die jüngere Tradition (F.

291

Die von einem Eckfelde ausgehende Formungsintensität, beur-teilt in Hinsicht auf vorwärtsgehende Entwicklung, wirkt dabeiinnerhalb ihres eigenen Quadranten (direkte Richtung) ihre Zielean inhaltlich gemäßen Bedingungen aus. Jeder Quadrant be-zeichnet aber nur einen Ausschnitt des ganzen Lebensspielraumsund in der Wirklichkeit laufen die Dinge auch gegensinnig zumEntwicklungsstreben, Aufbau der Persönlichkeit will gegensinnwidrige Tendenzen erworben sein. In unserem Feldersystemist dies so ausgedrückt, daß da, wo die Quadranten aneinander-stoßen und die Tendenz des nachfolgenden Eckfeldes gegenläu-fig hereinwirkt (konverse Richtung), ein Widerstreit von Strebenund Gegenstreben entsteht. Hierdurch erhalten die Endfelder derQuadranten, also die Bereiche der jeweiligen Durchführungsin-tensität, eine merkwürdig zwielichtige Note.

Setzen wir das primitiv kindliche «Ich als Ein und Alles» (1).Es ist ein von Nahestehenden zunächst bewundertes Naturphä-nomen, wie in der ersten Lebenszeit der Trieb zur Ichdurchset-zung aktiv sich der Welt bemächtigt, im Aufbau des Leibes durchNahrung (2), im Gebrauch der Glieder und Sinneswerkzeugefortschreitet und in naiver Aneignung der Dinge seines Interessesder kindliche Geist sich differenziert (3). Ungebrochen ist diepersönliche Besonderheit schon da, aber noch unerprobt; dieprimitivsten Grundlagen späterer Gemeinschaft mit anderen Schwab, W. Knappich, u. a.) die Frage nach dem woher und wohin des Menschen beant-wortet sieht. Gehen wir von 4, der Herkunft, dem Lebensursprung, rückwärts nach 3, sofinden wir dort die Geschwister und vorwärts, in 5, die Kinder, also zurückweisende undvorausweisende verwandtschaftliche Zusammenhänge. Von 10 aus, dem Ziel, der öffent-lich errungenen Stellung, finden wir rückwärts in 9 das große Vorbild, geschichtliche Per-sönlichkeiten und religiöse Menschheitsführer, vorwärts in 11 den Freund und Gönner, dieerfolgsstützenden Zeitgenossen, also gleichfalls zurück- und vorausweisende Beziehungen.Weniger eindringlich kann diese Betrachtungsart auf der Achse 1-7 zur Geltung kommen,weil die hier flankierenden Felder keine eigentlichen Personifikationen enthalten (vgl.281/82). Sie deutet sich aber an, indem in 1 die Persönlichkeit gesehen wird, die in 12 un-greifbaren feindlichen Fremdwirkungen ausgesetzt und in die Vereinsamung gedrängt ist,dagegen nach vorwärts, in 2, sich auf greifbaren Besitz, materielle Erwerbungen stützt. ImGegenfelde 7 steht der Partner, nach rückwärts gezählt, in 6, das Mitlebendige in dienstba-rer Form, etwa als Hausangestellter, auch Haustiere rechnen dazu. Nur vorwärts geblickt,im vielverkannten 8. Felde, sieht die Tradition wenig Gemeinschaftsbezügliches, es seidenn Mitgift und Erbschaft; zumeist entnimmt man ihm nur Verluste und andere abbauen-den Rückwirkungen der Objektwelt, bis zum endlichen Tod, verlegt das Positive in meta-physische Gedankengänge, sieht nicht Opfer des Einzelnen als notwendige Voraussetzungfür das Leben der Gemeinschaft.

(Selbstbeherrschung, Verzichtenkönnen, Anpassung an eineOrdnung außerhalb des persönlichen Lebensrhythmus) müssengegen das vorherrschende egoistische Lustmotiv erst angebildetwerden. Hier schaltet im «Erziehungsfeld» (3) neben der elterli-chen Obsorge die Rolle der Geschwister für die frühe Persön-lichkeitsbildung ein; noch keine «Schulaufgabe», nichtÜbermacht und Autorität der Erwachsenen, sondern lebendigeLernsituation durch aneinander sich reibende Triebe der Ich-durchsetzung. Auch über Niederlagen und Versagungen hinwegbildet sich ein Modus heraus, nach dem der eine kameradschaft-lich neben dem anderen bestehen kann. Der hier hereinragendeQuadrant «Familie», positiv vom Ichstreben bewältigt, bietet einLehrmodell dar, «mit dem Leben fertig zu werden».

drVbdauNddpsNsgngh

s

3. Feldkonver

292

Auch im günstigsten Fall besteht der Ertrag, rein vom I. Qua-ranten beurteilt, darin, daß die Eigenpersönlichkeit sich mit ih-en Urteilsstandpunkten vom Lebensmodus und von denerhältnissen der Herkunft unterscheiden lernt, eine eigene Le-enstechnik daran erwirbt. Diese Verhältnisse können aber füren Eigenanspruch erdrückend sein, schon hier setzt Schicksaln. Durch das unterschwellige Band wirken auch Enttäuschungnd Kränkung umso stärker, in mancher Kinderstube nehmeneid und Eifersuchtskämpfe erbitterte Formen an, Bevorzugungurch die Eltern kann das «Lieblingskind» und demgegenüberen «Zurückgesetzten», Verwöhntwerden den «Nesthäkchenty-us» für das Leben festlegen, entscheidend ist immer, ob Ge-chwister da sind oder nicht und wichtig, ob ältere oder jüngere.icht zu vergessen die Eltern: Wieweit verstehen und würdigenie ursprüngliche Entwicklungsansätze oder wieweit, was häufi-er zutrifft, projizieren sie eigene Wünsche, ihre selbst oft garicht taktfeste Moral, ihren vielleicht zu kurz gekommenen Ehr-eiz sowie überhaupt abweichende Lebensansprüche in das Kindinein? Gerade die gute Absicht, daß es das Kind «besser haben

293

soll», kann bei Unangepaßtheit an sein Wesen dessen Persön-lichkeitsaufbau stören (Entwicklungsneurosen aus diesem Grundnicht selten!), zu schweigen von der Beeinflussung eines Werde-gangs durch elterliche Ehekonflikte. Dieser Art sind Problemedes 3. Feldes vor aller Beschäftigung mit abstraktem Lehrstoff:Die Erwerbung des geistigen Gesichts inmitten von Zwiespältig-keiten zwischen Persönlichkeitsbestimmtem und familiär Beein-flußtem.

In ihrem eigenen Quadranten erlebt, ist die Familie ein Positi-vum als Rückhalt, Anlehnung oder, wenn es sie zu gründen undzu ernähren gilt, langfristige Aufgabe der ichhaften Augenblick-simpulse. Eine erst langsam und in Dauerwirkungen intimer Na-tur erfahrbare Formungsintensität, das «Selbst in Haus undHerkunft» (4). Das Selbst: Der innere Quellpunkt der Person; dasHaus: Raum und Atmosphäre des Geborgenseins; die Herkunft:erlebter Erbzusammenhang, auch an Verwandten hervortretendeStammeigenschaften und heimatlicher Wurzelboden. Wie immerder lebensschöpferische Trieb (5) sich auszeugen mag, in Kind,Zögling oder Werk, worin das Selbsteigene abgewandelt wiederauflebt, Verwirklichen heißt Bewältigenmüssen stofflicher Be-dingungen (6). Spiel leitet über in Mühe, Heim in Hausstand,Nestwärme in hygienische Verrichtungen, Betätigungslust infunktionelle Beherrschung von Mittel und Werkzeug, der eigeneKörper wird zum Instrument, tüchtig gemacht oder untauglich fürbestimmte Leistungen, nur solche mißt und entlohnt man. In die-sem «Arbeitsfeld» (6), ob im Rahmen der Wohnung gelegen oderabgetrennt in Werkstatt, Laboratorium, Betrieb, schaltet derMitmensch ein als Lehrmeister, Anordner, Brotgeber oder alsGesinde, Diener, Bote, untergeordnete Hilfskraft, nie eigentlichin Person, sondern «als» etwas, versachlicht. Alles hier wird zumGegenstand einer auf sich und die Seinen beschränkten Selbst-verwirklichung, in den Durchführungen geht es lediglich darum,die Dinge realpraktisch «in den Griff zu bekommen».

etdgdsWdBaWcesDKrs«FtpcSU

«ldnhg

s

6. Feldkonver

294

Wirkt sie gegenläufig in den selbsteigenen Naturzustand her-in, so stellt uns die Mitwelt gewisse Bedingungen der Arbeits-eilung. Erworbenes Können bedingt die darin erreichbare Rolle,ie «Charge», das Fach, die damit verknüpften Lasten und Ver-ünstigungen, Pflichten und Abhängigkeiten. Übung, Eifer suchtie Lage zu verbessern. Doch konvers bietet sich die Gemein-chaft nicht als Idealfall, sondern im objektiven Zustand an.enn in primitiveren Lebensformen hier der Haussklave zu fin-

en war, der «Mensch ohne Sippe und Seele» (mundartlich inayern noch «das» Mensch für weibliche Dienstboten), so hatuch die moderne Gesellschaft ihre Arbeitstiere; menschlicheürde, eine Sache der Eigenkultur, zählt meist wenig. In man-

her vergifteten Betriebsatmosphäre kommt der Intrigant, der deninen gegen den anderen ausspielt, besser vorwärts, Kollegen-chaft besteht oft im Abreagieren gemeinsamen Getretenseins.as Schicksal verkleidet sich normalerweise in den täglichenleinkram, durch welchen man den Tätigkeitsbedingungen ge-

echt werden muß («Milieukrankheiten»), und am Arbeitsgegen-tand in die «Tücke des Objekts». Der Körper selbst istArbeitsmaschine», Krankheit vom Gesichtspunkt maschinellerunktionsstörungen gehört hierher, dementsprechend auch die

echnischen Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit, Körper-flege, Ernährungsmethoden. Aus einer Summe von Problem-hen setzt sich das Ganze dieses 6. Feldes zusammen.elbstverwirklichung an objektiven Bedingungen der besonderenmwelt.

Demgegenüber ist es ein Positivum, wenn der Einbruch in dasEin-und-alles-Sein» und daraus die Überstufung des Ichs ge-

ingt. Freiwilligkeit der Wahl und Kontakt mit dem Andersseines anderen schafft das «Ergänzende in Gemeinschaft und Geg-erschaft» (7). Auch Gegnerschaft: offene Feinde von Niveaueben das eigene und machen uns, sofern es um Förderung eineremeinsamen Sache geht, Lücken, Einseitigkeiten, Übertreibun-

gen besser bewußt als unsere Anbeter. Gleichgestimmtsein hebtnicht das persönlich Besondere auf. Lebendige Gemeinschaft läßtes gelten, sie liegt im schwebenden Gleichgewicht des Handelnsaus verschiedener Perspektive, das jedoch über momentaneÜbereinkünfte hinweg eine Grundlage braucht (8), aus welcherder einzelne auch Verzichte leistet für das Gemeinwesen, damites in Krisensituationen bestehen kann sowie eine Zielrichtungdes Strebens über sich hinaus (9), die überschüssige Energienzusammenfaßt. In diesem Feld der «Fernziele» (9), für den Per-sönlidikeitsaufbau der Erhöhung in einem Über-Ich, schaltet nunder geschichtliche Befund der Dinge ein, um die es geht. Dieweißen Flecken auf der Erdkarte sind rapid im Schwinden, dermoderne Columbus wird in die Mondrakete steigen, die Verhält-nisse für Eroberungen liegen anders als zur Zeit der Völkerwan-derung, der moderne Attila siegt mit Hilfe einer politischenDoktrin, die uralten Glaubenssymbole sind meist von Skepsisangefressen und wollen neu erschaut sein, doch in der Forschungliegt stets offenes Land, solange der Menschengeist vom Nahenund Bekannten nach Lösung der Welträtsel strebt. Unter welchenZielen es auch sei, ob aus lebendigem Gemeinsinn heraus oderseine Aufgabe vor dem Hintergrund gemeingültiger Werte ab-zeichnend, das Ungenügen am privaten Dasein drängt «über sichhinauszusteigen».

kndnwasl

s

9. Feldkonver

295

Außerordentliches vermag der Zug zum Größeren, Besseren,ühn Angezielten oder auch nur Glänzenden, der Drang von ei-em gesicherten «Hier» zu einem neue Blickpunkte versprechen-en «Dort», der Aufschwung über das behäbige «Heute» in einoch unsicheres und eben darum spannendes «Morgen» hinein;as der einzelne zu erreichen sich nicht zutrauen darf, erhofft eruf dem Rücken einer erlesenen Schar. Im Quadranten «Gesell-chaft» dagegen rechnet man kühl mit Tatsachen; seine Gegen-

äufigkeiten lenken aufbruchsbereiten jugendlichen Idealismus,

296

Abenteuerlust, daneben Steigerungsbedürfnis und Flucht vorLangeweile in zweckgerichtete Kanäle. Mehr als sonstwo kannZeitgeschichte hier Schicksal werden, wenn die Über-Iche klei-ner Leute durch Uniform und Rang ausstaffiert, mit dem geisti-gen Marschgepäck vereinfachender Losungen versehen,Geschichtsdynamik spielen. Es ist der Bezirk «Vorbild und Ge-folgschaft», in einem gewissen Alter der Nährboden für Ge-schichten und Filme, die das Absonderliche, Ungeheuerliche unddie Patentlösungen der Tat pflegen. Weil aber im Gegensatz zujenem von den Eltern gewünschten «Besserhabensollen» einVerbesserungswille im Menschen selbst aufbricht, der die Gren-zen des Milieus überschreitend zu unbekannten Ufern auszieht,ist die Beteiligung nie ganz gespielt; sich mißleitet erkennenkann Persönlichkeitskrisen auslösen, maskeradenhaften Ersatzvon heute auf morgen abwerfen, einen Flaggenwechsel nach sichziehen. Auch im bürgerlichen Normalleben gibt es geschäfts-tüchtig bereitgestellte Mittel, um den Persönlichkeitswert undWunsch nach höherer Bildung zu blähen; etwa durch raumraf-fende Motoren, im Rundreisetempo durchjagte Kunststätten;zwielichtig ist manchmal das Angespanntwerden etwa desSportlers durch Titelkämpfe, des Gelehrten durch einen Lehr-stuhl, die anderseits tatsächlich die Leistung heben. Mehr passiveNaturen verlegen ihr 13ber-Ich nach außen, projizieren es in dieverehrte Person des Meisters, Führers, Sehers und Weisen, demsie anhängen. Der Sinn dieses in die Weite ausgreifenden Feldesist die darin gefundene Leitlinie; Probleme spitzen sich zuweilenauf den «einen großen Augenblick», die Lebensentscheidung zu,das Wagnis, von dem aus das Dasein sich verändert.

Vom nüchternen Boden des Bestehenden aus baut die Gesell-schaft weiter; ihr Positivum für den Persönlichkeitsaufbau liegtdarin, daß wir endgültig aus dem Fühlen, Wollen, Meinen her-austreten in Tatsachen der bestandskräftigen Verwirklichung.Dies ist das «Verpflichtende in Öffentlichkeit und Ehre» (10).Öffentlichkeit: Daseinskampf unter Bedingungen wie alle dergleichen Kategorie, Ehre: Spiegelung des herausgestellten sittli-chen Werts und der Tüchtigkeit in Zeitgenossen oder Nachfah-

ren. Das mit offenen Fragen an die Welt ausgezogene Ich begeg-net, schon von der Schule an, einem geschlossenen Block vonAntworten; all seine Ansprüche sind darin genormt, die Trieb-kräfte in ein Regelwerk von Geboten und Verboten gezwängt,die Bestrebungen abgestempelt und ihre Motive nach dem herr-schenden Durchschnitt bewertet, die persönlich erst zu entfalten-den Fähigkeiten resultathaft vorgemerkt und eingeordnet. «Man»setzt sich durch in Übereinstimmung mit den Bewegungs-gesetzen, nach denen dieser Block als ganzer weitergewälzt wird.Zur tragenden Grundlage unserer Anstrengung aber finden wir,wo Mensch und Mensch gleichgeschaltet sind in freier Verbind-lichkeit (11), sie sich in Wissen und Austausch ihrer Überschüssegegenseitig stützen, fördern und insgesamt den Zeitgeist verkör-pern, dem wir schließlich, um Beruf als Berufung durchführen zukönnen, eine selbsteigene Mission (12) entnehmen. In diesemFeld der «kommenden Dinge humanen Maßstabes» schalten nungegenläufig die Mißbräuche und Unvollkommenheiten im Beste-henden ein, die aus der Inhumanität ungereinigter Ichstrebungenstammen, all der ehrgeizigen Streber, Schelme, Erfolgsjäger, diedas Zeitalter noch bestimmen sowie das eigene Ich, soweit es anSchäden der Gesellschaft krankt. In Hinsicht auf entwicklungs-mäßiges Zurückfinden zu sich, weitergehenden Persönlichkeits-aufbau, müssen wir die Erwerbungen, an denen Eigennutz haftet,zurücklassen, untertauchen ins Namenlose, lernen, «selbstüber-windend sich hinzugeben».

vüadgD

12. Feldkonvers

297

Gemäß dem allgemeinen Stand der Tatsachen einer der meist-erkannten Bezirke, weshalb die vulgäre Auslegung so wenigber heimliche Feinde und Gefängnisse hinauskam. Man kannuch sein eigener Gefangener und heimlicher Feind sein. Wennie Formungsintensität des primitiven Ichs erstmalig mit derjeni-en des sozialen Umraums zusammenstößt, wenn der kindlicheurchsetzungsimpuls sich unbrechbarem Zwang gegenüber

298

sieht, erfährt es sich in der Negation, in Ohnmacht und Hilflosig-keit. Daß dahinter die Absicht der Erwachsenen stehen möge, ausihm einen künftigen Baustein der Gesellschaft zurechtzumeißeln,ist dem naiven Bewußtsein unfaßbar, Einsehenkönnen der Grün-de beginnt erst in einem späteren Alter. Bei besonders anfälligerDisposition entsteht darum bereits frühkindlich ein Feld erlebterMinderwertigkeit gegen Übermacht, hinzutretende verständnislo-se Erziehungstricks («der schwarze Mann», «in den Schranksperren») züchten geradezu die Angst vor dem Unbekannten,Geheimnisvollen, Versteckten. Bald wird es zum Feld der Ver-drängungen und anderseits der Kompensation durch eigeneHeimlichkeiten, verborgen gehaltener Ersatzlösungen der Ich-triebe. In Internaten und Kasernenstuben kann dies im Gruppen-maßstab geschehen («Budenzauber»), wobei der von Natur ausSchwächere und Empfindsamere gern zum Objekt der Gewalt,des Spotts, der Verführung ausersehen wird. Das konvers gegendie Gesellschaft gestellte Ich muß jedenfalls über Unlusterfah-rungen und Zweideutigkeiten hinweg zu sozialen Grundsätzenvordringen. Vielfach liegt in empfangenen Schockwirkungen dergenannten Art die Voraussetzung späteren Versagens vor der ge-sellschaftlichen Wirklichkeit. Doch wäre es verkehrt, die ganzeFülle hierher gehöriger Erscheinungen kausal-psychologisch ab-leiten zu wollen; es geht um wesensmäßige Dispositionen undHineingeflochtensein in Zusammenhänge, die in unruhigen Zei-ten die Form des Massenschicksals annehmen: aus politischenGründen Verfolgte, im Verlauf von Umschichtungen Emigrierte,wegen einer den herrschenden Mächten unerwünschten Geistes-haltung Geächtete, Verfechter einer Utopie in Zwangsanstalten,die normalerweise für Verbrecher vorgesehen sind usw. Auf deranderen Seite steht freiwillige Weltflucht oder aber tätiges Wir-ken zu Gunsten der Zurückgesetzten, Geschundenen und Miß-handelten, Kranken und Schwachen. Schlechthin alles, was durchdie Risse und Spalten des bestehenden Gesellschaftsbaues hin-durchsickert, wirkt sich in diesem Felde aus, dessen Problemeeigentlich nur in Teilnahme an Gesamtentwicklungen gültig zulösen sind. Für den einzelnen liegt der Sinn, der aus den Ereig-

299

nissen ihm nahegelegt wird, in Umwandlung, Läuterung, Bereit-werden für eine überpersönliche Aufgabe.

Wie bei den Stilformen handelt es sich bei den Interessenfel-dern um Anlagen, die sämtlich im Wesen des Menschen begrün-det sind; das individuelle Geburtsbild bezeichnet nichts neuAnerschaffenes, sondern das Betontsein bestimmter Richtungenvon Kräften, je nach den Planetenständen sowie ein dementspre-chendes Hineingestelltsein in überpersönliche Realzusammen-hänge. Als einzelne sind wir mit unseren Anlagen je nach derKonstellation ungleich gelagert, mit anderen Wirklichkeiten ver-knüpft, an diesen setzen unsere Entwicklungen an. Die gebrach-ten Stufen des Persönlichkeitsaufbaues bestehen aber für jedenMenschen, auch die unbetonten Gebiete sind latent in uns vor-handen und darum ist Vervollständigung über das Individuellehinaus erreichbar. Hierfür ergibt sich durch das Einschalten kon-verser Streberichtungen ein merkwürdiges Bild der Bedingungen,das etwas von einer Springprozession an sich hat: zwei Schrittevor, einen Schritt zurück von jeder Formungsintensität aus.

300

Die weiterleitende Problematik der Entwicklung entspinnt sichdemnach in den Endfeldern der Quadranten, insofern die Durch-führungsintensität nicht unbehelligt den Impulsen der zu ihr ge-hörigen Formungsintensität folgen kann, sondern sich mit derGegenstrebung einer anderen Wertdimension auseinandersetzenmuß. Eben darin liegt aber wiederum ihr Übergangscharakter,analog den ihnen in der anderen Sphäre entsprechenden Zeichen(vgl. Abb. 6, S. 125). Beachtet man den Bedeutungston in denInhalten dieser Felder, so erkennt man leicht die Beziehungeninnerhalb der Trigone. Das ichbezogen Persönliche des 1. Feldesschwingt aus im Über-Ich des 9., das spirituell Gemeinschaftli-che des 7. Feldes klingt an im Geschwisterlichen des 3., das ausArtung und Herkunft stammende Psychische des 4. Feldes erlebtim 12. seine letztgültige Verwandlungsform, das sozial be-stimmte Materielle des 10. Feldes ragt in die konkreten Tätig-keitsbedingungen des 6. hinein.

Gegensatzführung der Interessen

Mit den Quadranten wird nicht nur das Thema ihrer sinngemä-ßen Aufeinanderfolge, sondern auch dasjenige einer Gegenüber-setzung darin enthaltener Eigenwerte und Fremdwerteangeschnitten. Haben wir in einem Geburtsbilde gegenüberlie-gende Felder betont, so ist zugleich der Gegensatz zweier Wert-dimensionen aufgerührt; zum unausweichlichen Problem wirddies in der Opposition. Der symbolische Gehalt der opponieren-den Planeten gibt dabei die hier wie dort verankerten Wesens-kräfte an, gegebenenfalls eine personale Einkleidung (s. denfolgenden Abschnitt «Inbilder»), die Felder bezeichnen die Ge-biete der Auslösung bzw. bei personalen Einkleidungen dasdurch sie Repräsentierte. Als instruktive Fälle einer Vater-Mutter-Problematik, ausgedrückt durch 3 von � und �, wurdenim I. Bande Goethe (Angaben im Anhang dort) und Friedrich d.Gr. gestreift. In beiden Geburtsbildern stand nun �, das Mutter-symbol, im 4., �, das Vatersymbol, im 10. Felde. Hierdurchdeutet sich ein Gegensatz der mütterlichen und väterlichen Le-

301

benseinstellung an, im Sohn als beider Erbteil mit den entspre-chenden Wesenskräften nach zwei Richtungen strebend; in diehervorgerufenen Konflikte waren bekanntermaßen Vater undMutter als Person eingeschaltet, bzw. ihr Verhalten bewirkte mit,daß das Problem zum entscheidenden Austrag kam. In fast über-persönlicher Symbolik verdeutlicht diese Lage der Oppositionenden Gegensatz von «Mutter» Erde oder Natur und «Vater» Staatoder Gesellschaftsbau, sowie eine lebenslange Spannung zwi-schen öffentlichen und privaten Interessen, Willens- und Seelen-raum. Der gewaltsame Austrag der Konflikts bei Friedrich d. Gr.liegt freilich nicht in dieser Opposition allein vorgezeichnet, son-dern in der hinzutretenden exakteren von � (bei �) und � (bei��.

Was in einem solchen Falle verschärft als individueller Kon-flikt auftritt, durchzieht in latenter Form den Bau der Interes-sensphäre. Als kreisläufiges Bezugssystem stellt sie einerahmenhafte Ordnung von gegensätzlichen, doch in ihrem Wi-derspruch zusammengehörigen, sich wechselseitig bedingendenund ergänzenden Strebungen dar. Jedes Interessenfeld empfängteine bestimmte Note aus dem Gegensatz zu einem anderen; dieentsprechenden Anlagen-Gegensätze schließen sich nicht aus, ihrGegensatz ist relativ und ergänzt sich zur höheren Einheit. ImErleben, Austragen und fallweisen Lösen der mit diesen Achsenuns eingeborenen Widersprüche, in denen gesteigert auseinan-dertritt, was zu vereinigen ist, verwirklicht sich die menschlicheTotalität.

Das Gegenständliche der Motive macht diese Gegensatzfüh-rung dringlicher als bei den Stilformen, wo wir sie gleichwohlschon antrafen. Mit der Interessensphäre befinden wir uns imRaum der Strittigkeit bestimmter Dinge. Was sie aber fixiertträgt, sind nicht die konkreten Ziele, um die es geht. Das bisherErläuterte zusammenfassend, sagen wir: es ist der Bedeutungs-ton, mit dem wir ein Ding erleben (Viergliederung), die Intensi-tätsform, mit der wir das Interesse an ihm verfolgen(Dreigliederung), der Grundwert im Sinne einer der Hauptrela-tionen (Quadranten), außer der noch darzulegenden Doppelungvon Personifikation und Sachmotiv. Hieraus versteht sich, daß

die gegenständlichen Inhalte der Felder in lockerer, vertauschba-rer Weise gelten, dem unterschiedlichen Niveau wie den vielerleiWechselfällen des Lebens gerecht werdend.

uMfmgLmzevgbnühswdLvsgriid

ld

1. und 7. Fe

302

Achse der Formungsintensität im BesonderenWiderstreit von persönlich (1) und spirituell (7)

Widerstreitende Interessen aus der Verschiedenheit von Ichnd Du. Die Einzelperson in den Besonderheiten ihrer Absichten,einungen und spontanen Verhaltensweisen, bestimmte Dinge

ür sich beanspruchend, stößt mit anderen in Berührung kom-end entweder auf offenen Widerspruch oder korrigierende Ein-riffe, oder aber auf Unterstützung und ergänzende Anregung.etzteres erfolgt nicht ohne Forderung einer Gegenleistung, zu-indest von Konzessionen an die Eigenart des anderen Ichs. Sie

u erfüllen trägt den Widerstreit in die eigene Persönlichkeit hin-in, wo, wer nur bis zur Antithese seiner ursprünglichen Ansätzeordringt, in der Direktheit seiner Entschlüsse, seines Handelnseschwächt wird. Die Behebung liegt im Anerkennen von über-auend Gemeinsamem, wodurch die Energie der Gegensatzspan-ung umgewandelt wird und im gleichgerichteten Wettstreit, aufberpersönliche Ziele gelenkt, Auslösung findet. Anderseits ge-ören auch unversöhnliche Gegner zusammen - manches Men-chen Niveau sinkt, wenn er keinen Feind mehr hat, der seinerürdig ist -, nur nimmt der Austrag des Gegensatzes vernichten-e Formen an, sofern die Betonung im persönlichen Pol liegt.iegt sie hingegen im spirituellen Pol der Achse, so schwebt eineerbindende Problematik über der diskursiven Auseinander-etzung einander sonst vielleicht gleichgültiger Menschen, Ge-enspannung kann in Überzeugtwerden umschlagen. Ob kämpfe-ische, ob friedlich aufbauende Gemeinschaft, die Bewältigungst auf dieser Achse von Fall zu Fall, aus der Situation heraus undmmer wieder als Sonderlösung zu leisten; dies macht den leben-igen Atem der Streitfälle und der Übereinkünfte aus. Buchstabe

und Garantiebriefe halten hier nicht stand, kein Amtssiegel retteteine dahinkränkelnde Gemeinschaft; ihre leitende Idee will sichaus unmittelbarem Zusammenleben heraus, durch Bereinigungentstehender Konflikte und unter Berücksichtigung spontanerStellungnahmen, ständig wiedererzeugen.

ueaEgeZvKmbssleGkknIenpk

ld

2. und 8. Fe

303

Achse der Beharrungsintensität im BesonderenWiderstreit von materiell (2) und psychisch (8)

Wider5treitende Interessen aus den Grundlagen der Personnd der Gemeinschaft. Die Bedürfnisse des physischen Aufbau-s, der materiellen Sicherstellung, des Schutzes persönlicher Un-bhängigkeit bringen einerseits die Ziele des Aneignungs- undrwerbstriebes zur Geltung, anderseits fordert die Grundlegungemeinschaftlicher Existenz eine Abgabe und Zubuße. Die Inter-ssen drehen sich in Einzelfällen um Mein und Dein, in größerenusammenhängen um die Verflechtung von beidem im Volks-ermögen, hierdurch akuten Schwankungen - Konjunkturen undrisen - ausgesetzt. Ist die Beharrungstendenz dieser Achse imateriellen Pol betont, so erfolgen momentan geforderte Abga-en unfreiwillig; Verluste durch geleisteten Verzicht zu ver-chmerzen oder gar freiwillige Opfer fallen dem Menschenchwer, erst Katastrophen rütteln ihn aus dem Gleichlauf persön-icher Bedürfnisbefriedigung. Betontsein des psychischen Polsrleichtert all dies. Doch das geringere Haften an persönlichenütern enthält ohne weiteres noch keine soziale Gesinnung. Manann auch auf fremde Rechnung leben, von arbeitslosem Ein-ommen zehren oder in der Bereicherung am Gemeinbesitz sei-en Gewinn suchen - Stiftungen, Erbschaften oder Kriegs- und

nflationsgewinne -; am psychischen Niveau scheidet sich, obtwa die Annahme eines Stipendiums als Vorschuß auf gemein-ützige Leistung erlebt oder ein solches als Gelegenheit für einarasitäres Dasein angestrebt wird. Die eigentlichen Inhalteommen erst in dematerialisierten Interessen und solchen des

Wirkens für das Gemeinwohl zum Durchbruch. Hier zweigenmetaphysische Gedankengänge, Beschäftigung mit den Grenz-fragen des Seins überhaupt, von den mehr praktischen Formensozialer Betätigung ab. In jedem Falle ist der Einzelne stark indie wechselnden Strömungen der mitmenschlichen Atmosphäreeinbezogen. Die Beharrungsintensität erweist sich im zähenDurchfechten langwieriger, in viele Sonderaufgaben zerfallenderAuseinandersetzungen, sie muß mit Belastungsproben des einge-nommenen Niveaus rechnen oder mit Erlebnissen, die denGrundbau der Anschauungen erschüttern.

uAbwusbnVnswhtflüsp

ld

3. und 9. Fe

304

Achse der Durchführungsintensität im BesonderenWiderstreit von spirituell (3) und persönlich (9)

Widerstreitende Interessen aus dem Unterschied persönlichernd überpersönlicher Entwicklungsrichtung. Urteile, geistigeneignungen und Anregungen aus Ereignissen des täglichen Le-ens, die schon mit Eindrücken der Kinderstube anhebende Ent-icklung in ihrer Weiterführung durch Schule, Kurse, Lehrstättend alle Wendungen des Bildungsgangs, auf Reisen, in Ge-prächsform oder in sonstiger Umschau erlangte Kenntnisseringen vorwärts, befriedigen aber nicht das Verlangen nach ei-er Leitlinie, die höher trägt. Eine solche bietet sich dar überorbilder, die den eigenen Zug zur Größe ansprechen und ihnenachzueifern auffordern. Im sich-Messen an Außerordentlichemteckt, daß die Person sich mit etwas Überpersönlichemunschhaft identifiziert, das Ich sich in ein Über-Ich transportiertat. Bei jeder Heldenverehrung, Nachfolge eines Religionsstif-

ers, Entscheidung für das Forscher-Ideal oder in Begeisterungür irgendeine Form der Leistungsauslese tritt ein gemeinschaft-icher Grundwert in personhafter Repräsentation auf. Demgegen-ber hat das unmittelbar und nur der Einzelperson Dienliche, fürie Lehrreiche und technisch-methodisch Erwerbbare, der in denersönlichen Stil des Lebens eingehende Bildungsstoff einen spi-

rituellen Bedeutungston. Dieser verhält sich zu jenem wie Fragender Taktik zur Strategie der menschlichen Lebensführung, einesergänzt sich im anderen. Je nach herantretender Lage und Aufga-be schlägt bei richtigem Verhalten das eine in das andere um, sodaß diese Durchführungs-Intensität am allerwenigsten eine starreHaltung erträgt; im einen Fall gebietet Zweckmäßigkeit, den na-heliegenden Vorteil des Augenblicks zu nutzen, im anderen Fallist es sinnvoll, ihn zurückzustellen, um vorzuschreiten auf Fern-ziele höchsten Wertgrades. Es sind zweierlei Formen des Situati-ven, die des täglichen Zickzackkurses und die des lebensbe-herrschenden Bogens, die auf dieser Achse in Übereinstimmungzu bringen sind.

ufcRmväsmKztddds«

ld

4. und 10. Fe

305

Achse der Formungsintensität im AllgemeinenWiderstreit von psychisch (4) und materiell (10)

Widerstreitende Interessen aus dem Gegensatz des Familiärennd des Sozialgültigen. Die naturwüchsigen Eigenschaften ent-

alten und verfeinern sich am ungezwungensten in einer häusli-hen Eigenatmosphäre, in psychischer Rückverbindung zumaum und Boden der Herkunft und allem, was den Menschen mitütterlicher Geborgenheit umfängt. Demgegenüber verlangt das

äterliche Prinzip des Existenzkampfes eine Hinwendung zurußeren Tatsachenwelt. Deren Zucht und Zwang gilt es durchzu-tehen und sich den Schliff gesellschaftlicher, zeitgültiger For-en zu geben, auf diese Formen- und Normenwelt sind dieräfte zu konzentrieren und Tatsachen gegen Tatsachen zu set-en. In der Breite sozialer Verhältnisse, auf der Straße, im Be-rieb oder Amt, auf der öffentlichen Plattform bestehen können,en Pflichten des Berufs und Standes entsprechen, heißt ständigen Weg aus der inneren Heimat in die Fremde wiederholen undie soziale Gestalt aus dem Naturgeschöpf herausmodeln. In die-em Rahmen sind Geltung und Achtung zu erringen, «man» wirdjemand» für die öffentliche Meinung, unter Umständen eine

Autorität, die mitlenkt an den Fäden der Zeitgeschichte, derenMarionetten andere sind. Doch ohne Kultivierung des Eigenle-bens hat die soziale Gestalt nur das Scheinleben eines Robots,klingt der erworbene Name hohl, bedeutet die Verausgabung vonEnergie dafür einen Raubbau. Die regenerativen Kräfte werdendort geweckt, wo der Mensch sich in natürlichen Äußerungsfor-men unbekümmert darleben kann wie er ist, vielleicht Neigungenpflegt, welche die äußere Stellung verbieten würde. Betonungdieses psychischen Pols der Formungsintensität gestaltet Lebennur dem eigenen Selbst und Nahestehenden verantwortlich, Be-tonung des materiellen Pols behaut den Baustein des sozialenÜberbaues. Vereinseitigung nach hier oder dort ergibt Flucht indie Fassade oder Flucht in den Unterschlupf. Beide Enden derAchse zufammenfassen, erfordert Umschaltenkönnen des Stre-bens in aller Vielfalt hierhergehöriger Erscheinungen.

tdbbuVrPdgscpW

ld

5. und 11. Fe

306

Achse der Beharrungsintensität im AllgemeinenWiderstreit von persönlich (5) und spirituell (11)

Widerstreitende Interessen aus der Spannung zwischen Natur-rieb und Zivilisationsgehalt. Auf dieser Achse will das Bleiben-e vitaler Bedürfnisse und das Typische des Menschseins zureherrschenden Regel gelangen: das Kreatürliche und unmittel-ar aus dem Herzen kommende, zu Herzen gehende Menschlichend Allzumenschliche einerseits, anderseits das aus kollektivenerallgemeinerungen zusammengefügte Menschenbild, ausge-

ichtet auf den Übermenschen, dessen Klarblick zurückgelegtehasen der Geschichte überfliegt und künftige Dinge plant. Wieort persönliches Eigenleben lustvoll, schaubedürftig, vergnü-ungssuchend oder organische Werte schaffend ausschwingt undich fortpflanzt, so schaltet hier der Geist der Epoche das Unglei-he parallel im kontinuierlichen Weitergang des Ganzen. Der amersönlichen Pol mächtige Trieb der Gattung speist vitaleunsch-Erwartungen, entfaltet sich im Liebesspiel, führt zur

leibhaften Erzeugung des Nachwuchses und dessen Heranbil-dung im spielmäßigen Kontakt, wie schon bei höheren Tieren dieAlten den jungen ihre Lebensart vorspielen. Demgegenüber trittder im spirituellen Pol gegründete Mensch aus dem Kreis desTriebbestimmten heraus, stellt sich zum Mitmenschen gleichwelcher Herkunft - in ein Verhältnis, welches das Zwischen-menschliche nach Spielregeln geselligen Nebeneinanders auf derErde, nach allgemeinen Erfordernissen der Produktion, Vertei-lung und des Verbrauchs der Güter von gemeinsamem Wert re-guliert. Bildet letzteres die soziale Anstiegs- und Erfolgsbasisdurch Beziehungen, und wenn man oben steht, diejenige der För-derung anderer, des Mäzenatentums oder der Belehrung, so liegtim ersteren die Basis des spekulativ Schöpferischen wie des Le-bensgenusses in gröberer oder feinerer Form. Das dimensionalAuseinanderstrebende auf dieser Achse gilt es zusammenzuhal-ten, dann wird sie zur Achse des in allen Lagen des Seins «richtigliegenden» Vollmenschen.

gtdkdsgutÜsk

ld

6. und 12. Fe

307

Achse der Durchführungsintensität im AllgemeinenWiderstreit von materiell (6) und psychisch (12)

Widerstreitende Interessen aus den verschiedenartigen Bedin-ungen individueller und kollektiver Lebensfunktionen. Den ma-

eriellen Pol der Achse bildet die Körperlichkeit und Arbeitskraftes Einzelnen, worin er, Produkt eines Erbganges, das Mitbe-ommene ausbildet und anwendet, den psychischen Pol bildetas, wofür er Gefäß und Werkzeug ist in Hinsicht auf die Be-timmung im größeren Zusammenhang. Zweierlei Anforderun-en schlingen sich damit ineinander. Das leibliche Organgefügend Funktionsgetriebe, die Automatismen, auf denen Handfer-

igkeit und methodisches Geschick beruhen, ihre Pflege undbung, ihr Ausspielen im Werkfleiß, das Heranziehen techni-cher Hilfsmittel dabei verwirklichen den Menschen als Tätig-eitsform. Hochspezialisierung - wohin dies tendiert wirkt

308

qualitätssteigernd bei wesengemäßer Art der Arbeit, ist aber auchum so störbarer und sozial bedingten Umstellungsforderungenunangepaßt. Leichter fällt die Anpassung vom psychischen Polher, insofern der Mensch beliebig gestellte Aufgaben und darge-botene Gelegenheiten aufgreifen kann, wenn er im Gefühl einerSendung sich übergeordnetem dienstbar weiß. Das einmaligKonstellierte, Erbbedingte und Eingeübte, die Liebe zu einer be-stimmten Materie und Methode tritt dann an Bedeutung zurück.Doch dies «wenn» ist Sache des psychischen Niveaus sowie derinstrumentalen Tauglichkeit, schließlich des Berufenseins durchdie Zeitlage. Betontheit dieses Pols enthält nicht ohne weiteresdas Organ, in der Spannweite des Möglichen seinen Kurs zu fin-den - mancher ist ein treibendes Etwas im Strom des Zeitgesche-hens und glücklich, wenn er sich auf eine Insel retten kann -,noch ist damit Willigkeit und Kraft gegeben, Verspürtes zu er-füllen. Ein Versagen in dieser Region des Anbahnens kommen-der Dinge, ein Zuwiderhandeln oder oft nur am unrechten Platzstehen setzt den Menschen am stärksten unfreiwilligen Korrektu-ren aus. Die Durchführungsintensität auf dieser Achse verlangtmenschliche Breite und Fülle; ihre Problematik ist nicht durchrasche Sonderlösungen zu bewältigen, sondern in langsamerWechselwirkung der Pole aufeinander, den individuellen Akti-onsradius immer erneut am größeren Geschehenszusammenhangüberprüfend.

Von unmittelbarer Wichtigkeit ist, wie gesagt, die Gegensatz-verwandtschaft der im Kreis sich gegenüberliegenden Felder fürentsprechend gelagerte Probleme (Oppositionsaspekte). Ein denWiderstreit der Interessen akut machender Kräfte-Antagonismuserhebt es dann zur Forderung des Zusammenhalts, jedem derPole in irgendeiner Weise zu genügen, es entsteht eine anlage-mäßige Hauptachse der Selbstverwirklichung. Bei einseitigerBetonung dagegen, wenn also der Gegenzug nicht direkt verspürtwird, geben diese Achsen die Entwicklungsrichtungen über dasDeterminiertsein hinaus an; der Vergleich mit anderen oder derenReaktion bringt dann nahe, wo die Aufrundung ansetzen müßte.Dieses Verhältnis zwischen dem Zug der Neigung und dem Ge-genzug der Ausgleichsforderung, allen polar angelegten Ele-

309

menten gemeinsam, ist in der motivischen Gestaltung des Da-seins praktisch am ehesten in die Hand zu bekommen.

Inbilder der Selbstverwirklichung

Die Objektivation wird in der Interessensphäre weiter getriebenals in der Sphäre des Ausdrucks. Angeborene Grundeinstellun-gen auf die Gegenständlichkeit der Welt bilden die Basis zurAusbildung habitueller Einstellungen, die es ermöglichen, Inter-essen in einem bestimmten Milieu zu verfolgen, soziale Bezie-hungen reibungslos zu pflegen. Für das mitspielende Bewußtseingeht es meist nur um die Objekte. Die Lebensunmittelbarkeit derVorgänge aber ist getragen vom Bedeutungston, mit dem dieDinge erlebt werden. Über diesen Bedeutungston - ebenso unver-änderliche Anlage wie das Temperament - verlegt sich die sub-jektive Anteilnahme in die Gegenstände hinein; zur Gesamt-beteiligung treten noch Intensitätsform und Wertausrichtung hin-zu. Praktisch fließt dies alles zusammen zum lebendigen Interes-se. Die Aufgabe der astrologischen Diagnostik, individuelleWirklichkeit aus Grundkomponenten zu erschließen, gebietethier eine genaue Unterscheidung, da diese einzelnen Momenteverschiedene Einsatzpunkte für Niveau und Milieuwirkung dar-bieten.

Erlebt werden anschauliche Gehalte. Dabei verdichtet sich derBedeutungston, wie schon berührt, in zwiefacher Form, als Per-sonifikation und als Sachmotiv. Das System der zwölf Felder -individuell konstelliert zu verstehen stellt in diesem Zusammen-hang eine Art Filter dar, das dem betreffenden Menschen die her-antretende äußere Welt siebt und sichtet. Sind ausschließlichungerade Felder betont, so muß und wird er sich zwar auch mitsachlichen Dingen beschäftigen, vor allem wenn die Sachbezo-genheit des erdhaften Temperaments mitspricht. Motivisch ge-schieht es jedoch mehr oder minder in Hinsicht auf bestimmtePersonen getätigt, aus direkten Begegnungen angeregt oder aufUmwegen personhaft bezogen. Umgekehrt, bei ausschließlicherBetonung gerader Felder, kann der Betreffende sich natürlich

310

nicht mitmenschlichen Auseinandersetzungen entziehen undspricht die Impulsfärbung des feurigen Temperaments mit, sogeschieht es im Ausdruck personunmittelbar. Motivisch jedochordnen sich die Reaktionen irgendwelchen Sachmotiven unter,bzw. die Personen werden zu Gegenständen eines Besitzan-spruchs, des beruflichen Interesses, zu Hilfswerkzeugen der Ar-beit usw. Darin liegt eine für die Herausbildung derStellungnahmen wichtige Akzentverschiebung, wenn auch demErlebenden in seiner Befangenheit von sich meist unmerklich.Extreme einer ausschließlichen Betonung der geraden oder unge-raden Felder sind zwar selten, kommen aber vor.

Solche Reaktionen auf Herantretendes umfassen erst die eineSeite des Verhältnisses zur äußeren Welt. Die andere liegt inmitgebrachten Bereitschaften und Erwartungen, innerseelischenAnspornen zum Aufsuchen von Wirklichkeiten. In der seelischenBilderwelt nämlich machen sich bestimmte Motive bereits gel-tend, bevor dazu passende Erfahrungen eintreten, sie sind demSeelengrunde eingeboren wie der Huhn-Seele die Gestalt desHabichts, doch positiv gestaltträchtig auf Zukunft hinzielend.Diese vorformenden Motive der Selbstverwirklichung heißenhier Inbilder.

Gewisse Personbeziehungen, mehr die Reaktionsart des Natur-triebs betreffend als suchend-projektiv wie diese Inbilder, fandenwir bereits durch Wesenskräfte vertreten: Vater �, Mutter �,Liebhaber �, Geliebte �, bei den letzteren einerseits die eigeneRolle, anderseits den Ausgleichstypus des Geschlechts. Zu ihnentritt nun gemäß der Betonung ungerader Felder (Kombinationvon Planet und Zeichen) etwas erwartungsbesetzt Vorschweben-des mit gestalttypischen Merkmalen, erinnernd an Uexkülls«Suchbilder» und Rothackers «imago-motorische Reaktionen».In der individuellen Abwandlung können diese Inbilder, wenneine der obengenannten Wesenkräfte ein entsprechendes Feldbesetzt, mit jenen Personbeziehungen zusammentreffen, einesvom andern sich Züge ausleihen; z. B. kann die erwünschte Ehe-partnerin mehr Geliebten- oder Muttertypus sein usw., Überfor-mungen, denen nachzugehen Sache der Kombination ist.

311

Während jedoch jene Personbeziehungen im Naturzuständlichenbleiben, haben die Inbilder ein Beziehungen schaffendes seeli-sches Eigenleben bis zur Verselbständigung.

So umfaßt das Mittelfeld des für die Fortpflanzung bedeutsa-men Quadranten, das 5., in der Region des vorbereitenden Su-chens den Liebespartner, in derjenigen des Erwartens nacheingetretener Verwirklichung das «wunschbesetzte Kind». IhreBildfunktion ist das Hervorrufen einer triebunterströmten Er-wartungsstimmung, Bereitschaft zum Abenteuer und Liebesspiel,Anbahnungen vorzeichnend, ferner die Einstellung auf einWunschkind mit dementsprechendem Korrigierenwollen abwei-chender Wirklichkeit. Der Ton liegt in diesem Felde verheißendauf dem Erlebenswunsch, der ein spekulatives Wagen und Ge-stalten anregt; die Personifizierung kann je nach mitsprechenderTendenz zu illusionären Erwartungen, Götzenanbetung treiben,manche gestalthafte Vorprägungen tragen die Unerfüllbarkeit insich, anderseits setzen hier häufig Sublimierungen an wie künst-lerisches Gestalten, pädagogische Übertragung, alles in lebens-unmittelbarer Weise und mit Rückverbindungen zum Spieltrieb.Diese seelenbildlich vorgemerkte Liebeswahl - etwas anderes alsder geschlechtliche Ausgleichstypus � oder � - unterscheidetsich vom Inbild des Ehepartners, des Lebenskameraden analogdem 7. Felde. Lebt das 5. vom «ewigen Suchen», so setzt das 7.Feld ein Gefundenhaben voraus, um mit seinem Eigentlichen zubeginnen, dem hier obwaltenden spirituellen Bedeutungston gehtes um menschliche Ergänzung in gemeinsamer Lebensführung.Sie muß durchaus nicht immer harmonische Ergänzung sein,manchem ist eine Rolle des Partners als antreibender Stachel ein-geboren. Jedenfalls sind das Bild der Partnerschaft und das derLiebeswahl zweierlei, Aspekte sagen aus, wieweit sie leicht inDeckung zu bringen oder schwer vereinbar sind, es kann aberauch nur eines betont sein.

Läßt sich analog dem 5. und 7. Felde die Liebe, wenn zum Zu-sammenleben führend, in Kameradschaft überleiten, so steht ihrgegensatzverwandt im 11. Felde gegenüber, was hier als Freund-schaft gilt. Es wäre ein undialektischer Gegensatz, den Begriff inder mißbräuchlichen Form zu nehmen, wonach ein Reden von

312

«Freundschaft» als Signal für das Abflauen wahrer Liebes-leidenschaft verstanden wird. Doch echt gemeint klingt selbstdarin der Unterschied persönlichen Bedeutungstones in 5 zumspirituellen in 11 auf, insofern die Freundschaft, unabhängig vomGefallen an Leiblichkeit und Erscheinung der Person, in geistigerSympathie wurzelt. Geschlechtsunterschied schließt sie nicht aus,obzwar er oft eine gewisse Erschwernis für die Wertausrichtungdes Quadranten darstellt, dessen Mittelfeld das 11. ist. Auch hierpflanzt sich etwas fort, in geistiger Form: allgemeinmenschlichBedeutsames. Es geht um dessen Austausch, Diskussion desStandpunkts zur und in der Welt, der Freund ist nach einemWorte St. Exupérys ein «Fenster zur Welt»; über ihr Andersge-artetsein hinweg wissen sich Freunde verbunden in dem, wasMenschen überhaupt angeht. Demgemäß zehrt das hierhergehö-rige Inbild am wenigsten von eroshaften Motiven - wenn nichtmit ��oder � in 11 eine Überlagerung eintritt -; es enthält sozu-sagen die Idee des Menschen in individuell erlebbarer Gestalt.Wie das Gegenfeld hat es einen typischen Erwartungston, dochepochal gerichtet: an der Schwelle eines neuen Zeitalters stehen,Bestärkung finden im Freund, mit ihm zusammen «sein Jahrhun-dert in die Schranken fordern». Urtümlicher Brauch heiligte densippenfremden Bund im Ritual der Blutsbrüderschaft, unseresymbolferne Zeit genügt sich an gefundenen Übereinstimmun-gen, die aber von gleich zwingendem Ernst sein können. Fehltdies Regulativ einer im Zeitgeist verankerten Interessen-gemeinsamkeit, so entsteht die Pseudo-Freundschaft mit Erwar-tung eines Vorteils, das «Beziehungen haben», die Erfolgsbasisin diesem Sinne.

Früheste Distanzierung vom anderen und ebensowohl gleich-geordnetes Nebeneinander erleben wir an Geschwistern, ausge-drückt im 3. Felde. Gleichsam Anfangsübungen mitmenschlichenUmganges, wirkt auf die spätere Haltung nach, wieweit darinÜberhebungen oder Unterdrückungen möglich waren, ob mander ältere, der jüngere, ob überhaupt auf Geschwister sich einzu-stellen gedrungen war. Jede Entwicklungsstufe läßt wieder damitbeginnen, wo immer wir, in gleiche Aneignungsbedingungenversetzt, «auf einer Schulbank sitzend», zu Mitmenschen in ein

313

geschwisterlich-nachbarliches Verhältnis treten. Im spirituellenBedeutungston dieses Feldes kommt es nicht so sehr auf Bluts-verwandtschaft an (Unfreiwilligkeit konversen Hereinwirkensaus 4); das von Eindrücken der Kinderstube freigesetzte Inbildbetrifft «den anderen» schlechthin, den Gleichgeordneten mitdem wir uns wohl oder übel auseinandersetzen müssen, abfindenlernen, Wissenswertes austauschen, an dem wir den eigenenFortschritt messen, uns durchsetzen üben. Demgegenüber liegtim 9. Felde das Inbild des Vorbildhaften, Erstrebenswürdigen,das zur Nachfolge aneifert. Wer es auch sein mag, der zu dengroßen Repräsentanten, den Lehrern, Heilern und Helfern, denHelden und Heiligen des Menschengeschlechts oder auch nur zuSternen bedingterer Leuchtkraft gezählt wird, solch Erlebtwerdensteigert seine Erscheinung über das Normalmaß hinaus. Das hierwurzelnde Verehrungsbedürfnis verträgt schwer private Zügeeines Mitlebenden, leichter projiziert es sich in große Männer derGeschichte (konverse Beziehung von 10 her), anderseits verlangtder persönliche Bedeutungston, irgendwann dem Vorbild leibhaftzu begegnen. Dies wird zur Quelle projektiver Vergrößerungempirischer Personen, der Idolbildung und Verleihung von Über-format, sofern nicht als eigener Ansporn zu Außerordentlichemerkannt.

Wird Lebens-Grundantrieb in Interesse übersetzt, so ist dereinzelne zunächst sich der wichtigste Gegenstand. Mit einem In-bilde seiner selbst tritt er seine Bahn an. Darin eröffnet sich dieGestaltenreihe im 1. felde, dessen persönlicher Bedeutungstondas eigene Einzigsein in der Einstellung auf die äußere Welt be-trifft. Unser Wort Persönlichkeit ist bekanntermaßen die Umbil-dung von Persona, der Maske des antiken Schauspielers -abgeleitet von personare = durchtönen -; so verwendet bezeichnetes die erscheinungsmäßige Gestalt und Form der Äußerung, mitder wir vor andere hintreten. Letzteres enthält auch die Auffas-sung von C. G. Jung, daß der Funktionskomplex der Persona sichausschließlich auf das Verhältnis zu den Objekten beziehe. Beiseiner Ausbildung sprechen die Gründe der Anpassung an dasMilieu mit, dasjenige, worin wir kollektiv sind in C. G. JungsBegriffsfassung, d. h. den allgemeinen Umständen, den allge-

314

meinen Erwartungen entsprechend. Doch nur von dieser habitu-ellen Einstellung aus verstanden wäre Persona ein Abstraktum.Konkret tritt das Persönliche in einer bestimmten Gestalt undleib-seelischen Anlage auf, bevor im bewußten Vergleich mitanderen der Mensch sich selbst zum Objekt seiner Betrachtungwird. Diese physiognomische Prägung ist angegeben durch dasZeichen am Aszendenten, ergänzt durch Planetenstellungen im 1.Felde, und zwar mit unverkennbaren Merkmalen für den kundi-gen Beobachter.

Überzeugend erweist sich in diesem konkreten Geprägtsein dieselbständige Realität des Kosmotypus. Persönlichkeit und Inter-essensphäre stehen ferner in unlöslichem Zusammenhang, nichtals Produkte des rationalen Ichs, sondern von Geburt an vorge-formt. An der Ausbildung der habituellen Züge, die der Mitweltund ihren Maßstäben angepaßt sind, ist vornehmlich das rationaleIch beteiligt, indem es die Verwirklichung des Vorgeformtensteuert. Ihm als untergründiges Gestaltmotiv beigegeben wirktsich das zum Kosmotypus gehörige Inbild seiner selbst aus. Die-sem Inbild dürfte man den Hauptanteil an der gestaltenden Kraftder Persönlichkeit zuschreiben, den Unterschied zur Persona be-tonend: Lebendiges Interesse an der eigenen Person mit der Er-wartung, sich in unvergleichlich einmaliger Weise in der Welt zuverwirklichen, an deren Objekten sein Ureigenes zu gestalten.Nicht also nur angebotene starre Maske physiognomischer Prä-gung (bei eineiigen Zwillingen nahezu gleich), auch nicht ausrationalen Gründen angenommene Maske, die vorspiegelt, wieman sich zu sehen wünscht und vor anderen gelten will, sondernAnsporn zur selbsttätigen Auseinandersetzung mit der Welt(worin eineiige Zwillinge differieren). In der Richtung auf «Er-wirken», «Bewirken», im verwirklichenden Interesse der so ver-standenen Persönlichkeit liegt dennoch ein Äußeres, wenn auchlebendig sich Fortbildendes. Ihr Hingewandtsein zur Welt derObjekte stellen wir uns vor «durchtönt» vom Eigentlichen, demWesenskern. Diese beiden Einsatzpunkte, Identität im Gesamt-Lebensantrieb und sein übersetztsein in Interesse, können in ver-schiedenem Verhältnis stehen, nur wo � sich genau am Aszen-denten findet, treffen sie anlagemäßig zusammen.

315

Vorgeformt im Seelengrunde, weitergebildet durch schöpferi-sche Phantasie, leben diese Inbilder von der erwartungsmäßigenZugkraft, die sie ausüben. Über sie verströmt, verzweigt sich derDrang zur Objektivation. Das uns Eingeborene suchen wir in deräußeren Welt, wählen oder verwerfen, stimmen zu oder grenzenuns ab, je nach der gestalttypischen Art der Bilder und mit derSpannung der ihnen anhaftenden Problematik. Als Gestalten derSelbstverwirklichung sind sie am wenigsten Milieueinflüssenausgesetzt, in dem was sie hervorrufen, bringen sie das Niveaudessen, der sie erlebt und ausgestattet, zum Vorschein.

Immer steuern diese Personifikationen auf Wirklichkeiten hin,welche den sie anzeigenden Planeten und ihren Aspekten ent-sprechen. Sie können von Haus aus im harmonischen wie im dis-sonanten Lichte stehen, manche dürsten nach Tragik, andere sindmit Triebkonflikten besetzt, es gibt Lockungs- und Verweige-rungstendenzen. Einem Menschen zufällig begegnende Personen,die ihn da anreizen, setzen unabhängig von ihrem Verhalten eineseelische Dynamik in Gang, bei der sie eine vorbeurteilte Rollespielen. Man kann unter Umständen Beglückungen oder Enttäu-schungen hervorrufen, ohne Zutun, wenn man an solche Inbilderrührt. Dasjenige der Liebeswahl trägt den Hauptanteil einer«Liebe auf den ersten Blick» mit dem Erlebnis zweier Menschen,sich schon von Urzeiten her zu kennen. Auch das Bild der eige-nen Person ist nicht ausgeschlossen davon, daß dies Bereit-schaftssystem tatsächliches Leben zeugt, indem seine Kriterien indie Begegnungen und den Lauf der Handlung eingreifen. DasScheinleben, das ein Dichter auf die Bühne stellt, bezieht aus denInbildern seine echtesten Gestalten, entbunden von Zügen derWirklichkeit, die für den Gestaltungsvorgang akzessorische Be-deutung haben. Auf der Wirklichkeitsbühne gehört nun geradedies Zusätzliche zur durchgeführten Objektivation. Der Spiellei-ter Schicksal verlangt, eine Fehlerhaftigkeit konfliktbelasteterBlickweise zu korrigieren an dem, was ist, fordert, die Selbst-verwirklichung in das Vorhandene einzubauen. Je mehr die inuns vorgeformten «anderen», die Inbilder, uns zu tatsächlichenMitmenschen in Beziehung gebracht haben, umso mehr werdensie von Erfahrungsbildern überlagert. Besteht jedoch der eine

316

Fehler der Selbstverwirklichung darin, sich nur im eigenen Kreiszu drehen, so der andere, den Drehpunkt seiner Motive zu verlie-ren. Wenn die Inbilder an den Erfahrungsbildern verblassen, ge-winnt die Wirklichkeitsangepaßtheit. Im gleichen Maß aber trittder selbstgestaltende Drang, der innere Ansporn, über schon Be-kanntes hinweg neue Begegnungen zu wagen und sich an Unbe-kanntem zu versuchen, zurück. Schließlich ist ein Grad vonAngepaßtheit erreichbar, in dem die lebenzeugende Bildkraftsich an habituellen Einstellungen totgelaufen hat.

Noch eine weitere Möglichkeit besteht. In Fällen, in denen dieObjektivation nicht geleistet wird, kommt es zu Erscheinungender Dissoziation. Die mit den einzelnen Inbildern verknüpfte,jeweils andere Einstellung und Erwartung erzeugt dementspre-chende Verhaltensunterschiede auf den betreffenden Gebieten.So entstehen verschieden sich verhaltende Figuren bzw. Maskeneines und desselben Menschen. Hier liegen motivische Voraus-setzungen krankhafter Persönlichkeitsspaltung, wie in den nun-mehr zu streifenden Sachmotiven solche eines Fetischismus:inhaltliche Ansätze bei dafür gegebenen Bedingungen, die alssolche nicht im Meßbild stehen.

In den Sachmotiven dürfen wir uns kürzer fassen. Deutlicherals die Personifikationen, die ein seelisches Sonderleben führenund einerseits Züge von empirischen Personen ausleihen, ander-seits ihnen solche andichten, lösen sich die Sachmotive in Rela-tionen auf: Bezüge der einzelnen Dinge zur persönlichenGesamteinstellung auf die Welt der Objekte. Die lebendige Ge-stalt tritt zurück, es geht mehr um leblose Dinge und Sachver-halte, Zustände und Verhältnisse. Vergebens sucht die traditio-nelle Astrologie - unsicher in diesem Punkt, wie die wechselndeZuordnung beweist - Vater und Mutter aus dem 10. und 4. Feldezu deuten. Was daran statthaft, begründet sich in der Bedeutungdes MC für die gesellschaftlich konstellierte Außenwelt, des ICfür die familienmäßig konstellierte Innenwelt. Jene wird norma-lerweise durch Wollen und Wirken des Vaters, diese durch We-sen und Walten der Mutter verkörpert und vorgelebt. Problema-tische Verwicklungen mit diesem und jenem sind dementspre-chend im 4. und 10. Feld zu finden, insofern ragen die Eltern

317

schattenhaft in die eigene Gestaltung häuslicher oder öffentlicherAngelegenheiten herein; nicht aber personifizierende Deutungenlassen diese Felder zu.

Die personalen Beziehungstypen �, �, �, � haben in den ge-rade bezifferten Feldern einen schlechten Nährboden des Perso-nunmittelbaren. Eine solche Stellung drückt aus, daß diesymbolisierten Personen mit einem sachmotivischen Beige-schmack erlebt werden, ihre Gestalt steht im Bezug zur Verwirk-lichung des betreffenden Interessengebiets. Nur die Tempera-mentsfärbung des Zeichens kann zuweilen über diese versach-lichtere Note täuschen. Projektive Verselbständigungen einesInhalts - wozu die Personifikation im vorhinein neigt - sind beiden geraden Feldern im allgemeinen etwas Nachträgliches, Ha-bituelles, wenn nicht Krankhaftes (Fetischismus). Die konkretenVorstellungen werden an Dingen der Erfahrung erweckt und inderen Form gehen die Inhalte des Interessengebiets ein, belegtmit einem materiellen oder psychischen Bedeutungston; demge-mäß ist hier die Prägsamkeit durch das Milieu relativ stärker,auch vorgezeichnete oppositionelle, kämpferische Stellungnah-men sind enger durch konkrete Eindrücke bestimmt.

Wenn man es so formulieren will, lassen sich eine Reihe vonTrieben und Instinkten hier unterbringen: Nahrungs-, Aneig-nungs-, Besitztrieb in 2, ins Menschliche übersetzte Nestbau- undBrutpflegeinstinkte in 4, Beschäftigungstrieb, hygienische In-stinkte in 6, Kampf-, Todestrieb, auch die Ambivalenz von Raub-und Opfertrieb in 8, soziale Geltungstriebe und Klasseninstinktein 10, Verheimlichungstrieb und Weltflucht sowie anderseitsMasseninstinkte in 12. Doch wäre dies nur die Übersetzung ein-zelner Inhalte - der Verbindung und des Übergangs zu anderenermangelnd - in gewohnte Begriffe und würde zu den Fehlernallzu spezialisierter Trieblehren verleiten.

Was in solchen Lehren unberücksichtigt bleibt, gehört zur Ei-gentümlichkeit der menschlichen Interessensphäre: Austausch-barkeit von Inhalten. Sie ist ohne Einbuße möglich, sofern einanderes als ein ursprünglich angestrebtes Objekt denselben Be-deutungston und Grundwert anspricht und wenn an ihm sich die-selbe Intensitätsform auslösen kann. So haben wir in diesem

318

System einen Kanon, nach dem Milieuanpassungen und Subli-mierungen unbeschadet der Persönlichkeitsstruktur, mit Niveau-hebungen oder -senkungen, erfolgen können. In dieserentwicklungsmäßigen Hinsicht verhalten sich die Sachmotivemeist weniger sperrig als die Personifikationen, die ihrerseitswieder als Erreger zwischenmenschlicher Dynamik von Bedeu-tung sind.

319

EINZELDARSTELLUNGEN

Vorausbemerkungen

Jede Aufzählung gegenständlicher Entsprechungen bekommtunvermeidlich etwas Katalogartiges, wenn nicht das Verbindendedazwischen, das indes nunmehr als bekannt vorausgesetzt wer-den darf, mitgelesen wird. Nach dem Vorangegangenen könnenwir uns auf eine Zusammenfassung der Grundmotive bzw. -erscheinungen in jedem Felde beschränken.

Als primär betont gilt ein Interessengebiet, wenn ein Planet indem entsprechenden Felde steht. Dieser gibt dann an, worauf sichdie durch ihn symbolisierte Wesenskraft richtet, bzw. durch wel-che Gegenstände ihr Einsatz ausgelöst wird. Ebenso macht sichdie mit seinen Aspekten umschriebene Problematik in Angele-genheiten des betreffenden Gebiets bemerkbar. Mehrfache Pla-netenbesetzung heißt, daß auf diesem Gebiete sich Kräfteverschiedener Art manifestieren. Die Gesamtbesetzung des Fel-derkreises läßt somit auf den ersten Blick überschläglich erken-nen, welche Gebiete individuell gewichtig und welche minderbetont sind, wo Konflikte und wo unbeschwertere Auswirkungenliegen.

Unbesetzte Felder besagen jedoch nicht, daß die darin umfaß-ten Motive völlig fehlen. Sie sind nur anlagemäßig minder be-tont. Ein Schluß auf die Art ihres Erlebt- und Betätigtwerdens -zunächst allgemein die Stilform betreffend - ergibt sich aus demZeichen am Feldbeginn, im weiteren Verfolgen dieser Frage trittdann das Vertretungsverhältnis zwischen Kräften und Prinzipienin Rechnung. Dies Zeichen an der «Spitze» gilt als individuelltonangebend für das ganze Gebiet. Bei der ungleichen Größe derFelder kommt es vor, daß manche Zeichen auf diese Weise für 2Felder tonangebend, andere aber ganz von einem solchen einge-schlossen sind, d. h. noch nicht an dessen Spitze liegen, währendan die Spitze des nächsten Feldes schon das darauffolgende Zei-chen rückt. Einem solchen «eingeschlossenen Zeichen» - wennnicht durch Planeten besetzt - fehlt gleichsam die Handhabe, un-

320

mittelbar wirksam zu werden. Nur über das Dominanzverhältnisfindet die betreffende Stilform zur Auswirkung. Steht nun einPlanet in einem eingeschlossenen Zeichen, so macht sich dieseszwar in der Modifikation der betreffenden Wesenskraft geltend,die Kraft selbst aber erscheint in der freien Verfügung über diefraglichen Interessen meist ein wenig behindert; auch hier gibtdas Dominanzverhältnis weiteren Aufschluß.

Bezüglich der Stellung von Planeten in der Nähe von Feldspit-zen, wo ihnen eine hervorgehobene Bedeutung zukommt, kannein gewisser Umkreis (Orbis) für jede Spitze angenommen wer-den. Er erstreckt sich im allgemeinen auf 5 Grade nach rechtsund links - an- und abschwellend, Exaktheit bedeutet immermarkanteste Stellung -, so daß also ein Planet bereits ab 5 Gradvor der Spitze teilweise auf das betreffende Feld bezogen gilt.Beim Aszendenten darf dies auf 8-10 Grad erweitert werden, jenach Planetencharakter (s. bei den Aspekten gültige Umkreise).Ebenso darf der Umkreis bei den übrigen Eckpunkten etwasweiter, doch nicht so weit als beim Aszendenten, gerechnet wer-den. Gleichwohl gilt ein solches Planetensymbol noch verankertin den Motiven des Feldes, in dem es steht, nur von hier ausge-hend bereits orientiert auf diejenigen des Feldes, zu dessen Spitzeer Kontakt hat. (Diese Übergänge enthalten die Hauptschwierig-keit, zwischen den Methoden Placidus und Regiomontanus ein-deutig zu entscheiden.)

Ein nach diesen Richtlinien beurteiltes Interessenfeld sagt aus:1. ob es durch Kräfte der Individuation primär betont ist und

zwar, welche Kräfte sich unmittelbar darin auswirken,2. auch bei sekundärer Betontheit, auf welche Art und Weise

die betreffenden Interessen verfolgt, Motivisches erlebt, gestaltetund ausgewirkt, Gegenstände behandelt werden - mehr theoreti-sierend, praktisch tätig, gefühlsbewegt usw. -, sowie welcheKraft sich mittelbar darauf bezieht,

3. primär oder sekundär betont: Grundauffassung des betref-fenden Gebiets und mit ihm verknüpfte Problematik.

Jeder Punkt der Kombination schafft zugleich eine Ausleseunter der Vielzahl möglicher Entsprechungen, die nun folgen.

321

1. Persönlichkeit

Die Grundform der äußeren Erscheinung, soweit den Rassen-und Familientypus modifizierend, Gestaltbau und insbesondereGesichtsbildung, Eigentümlichkeiten der Gebärde, des Mienen-spiels. Konstitutionelle und psychische Eigenheiten in Zusam-menhang mit dem Wuchshaften; nicht Gesamtkonstitution,sondern bezüglich der Reaktionen auf unmittelbare äußere Ein-wirkungen (Klimaempfindlichkeit, Sensibilität, Motorik usw.),sowie die psychomotorische Grundeinstellung zur Welt, die Art,an die Dinge heranzugehen und die Instinkte, sich in seiner Be-sonderheit durchzusetzen. Ihr Ausdruck in Stimme, Bewegungs-weise, sonstige besondere Merkmale und Kennzeichen.

Das vom Inbild seiner selbst bestimmte Interesse an der eige-nen Person. Der Aufwand, der Gebrauch von Mitteln, sie zur Er-scheinung zu bringen und persönliche Motive in Szene zu setzen,Grad der Selbständigkeit dabei oder der Anpassung an Erwartun-gen der Umgebung. Selbstbewirkte Persönlichkeitsprägung, Sti-lisierung des Benehmens auf eine Form, in der man zu geltenwünscht. Umkreis der Dinge, mit denen man sich fraglos identi-fiziert, die Art ihrer Handhabung, die Abhängigkeit von solchenDingen als Attributen persönlichen Lebensstils oder das Freiseindavon.

Ursprünglich naiver Anspruch des Ichs: «die Welt gehört mir»,fortgebildet in späteren Lagen der Bewußtseins-Differenzierungzum Standpunkt «dies meine Welt», «so sehe ich die Dinge»,«dies habe ich zu fordern». Die darin enthaltenen subjektivenGrundmotive und ihr Wirksambleiben über Erziehung, Sozialan-passung und den weiteren Prozeß der Objektivation hinweg. Ihreinteressenhafte Einkleidung in direkter oder durch Kompromißmit der Umwelt maskierter Form. In jeder Auseinandersetzungsich wiederholender Kampf der persönlichen Lebensunmittelbar-keit gegen das Selbstzweckwerden der Dinge.

322

2. Eigentum

Die Mittel, mit denen das Ich in der realen Welt Fuß faßt, dievorfindlichen Aufbaustoffe, das zur Verkörperung Angeeignete.Nahrungsgrundlage, Genuß und Assimilation von Stoffen, phy-siologischer Aufbau, organische Maßnahmen zum Schutz derkörperlichen Unversehrtheit. Seelische Einstellung auf diesenrealen Untergrund und seine Anforderungen, seine Sicherungs-bedingungen. Beschaffung und Bereitstellung materieller Mittel,Erwerb zur Fristung der Existenz. Über dies Notwendige hinaussich verselbständigender Stoff-Aneignungs-Trieb bzw. seineÜbertragungsformen; Besitz und seine Hortung, Verhältnis zuFinanzen und ihrer Verwaltung, wirtschaftliche Regelungen nachGesichtspunkten der Sicherstellung einer Reserve. Ankauf(Wertpapiere, bewegliche Güter) und Verkauf, Ausgabenrege-lung, Wirtschaftsgebaren überhaupt.

Körperliches Eigenwertgefühl, «Recht auf den eigenen Kör-per». Wertgefühle dinglichen Bezugs, insgesamt das auf Privat-eigentum gestützte Unabhängigkeitsgefühl, besonderes Verhält-nis zu selbsterworbenen Dingen (Einrichtungsgegenstände undandere Anschaffungen), sich, objektivierend in ihrer Pflege. In-teresse an der geschmacklichen Verwendung des Erworbenen.Umgang mit Wertobjekten, Schmuck, Kunstgegenständen usw.Instinkte für den Aufbauwert der Nahrungsmittel und den Ge-brauchswert der Gegenstände praktischen Bedarfs.

Übertragene Formen der Einverleibung von Dingen in den per-sönlichen Bestand, auch geistiger Besitz und seine Dogmatisie-rung gemäß den Sicherheiten, die er dem Realitätsbewußtseinbietet. Ferner Besitzanspruch auf bestimmte Menschen, zur Ge-wohnheit gewordene Liebhabereien, geregelte Wiederkehr vonLustbedürfnissen und ihrer Befriedigung. Grundlagen des Per-sönlichkeitsaufbaues - mehr oder minder differenziert -, allesMaterialhafte in seiner Rolle als «Ding für mich», je nach Auf-fassung «unbedingt notwendige oder «notfalls entbehrlicher Lu-xus».

323

3. Werdegang

Die Entwicklungsform des täglichen Lebens. Aufgreifen vonAnregungen aus dem Wechsel der Umstände und begegnendenPersonen, Bewußtmachung des Vorteils, des emotionalen Ver-hältnisses zu ihnen, Betätigung des Lern- und Bildungstriebessowie des Drangs nach geistigem Austausch und Ausgleich. Ein-drücke der Kinderstube, Auseinandersetzung mit Geschwistern,Aneignung von Wissensstoff in Schule, Lehre, Studium, weitereFortbildung durch Gewerbekunde, Kurse, Vorträge und privateDiskussionen; Bücher in diesem Sinne, auch Zeitungen und Zeit-schriften, Reiseeindrücke, alles was dem Erwerben von Kennt-nissen dient oder Neuigkeiten in Umsatz bringt.

Anwendungsformen des praktischen Urteils im nachbarlichenVerkehr und besuchsweisen Umgang, im ganzen Umkreis derLebenstechnik, soweit sie den Stempel des Persönlichen be-kommt. In diesem Sinne Rationalisierung der Erwerbs- und Be-rufspraxis gemäß den persönlichen Interessen und Bedürfnissen,erzielte Verbesserungen, zweckdienliche Veränderungen. Reisensowie das Verhältnis zu den Wegen und Verkehrsmitteln, siedurchzuführen. Differenzierung des mündlichen und schriftlichenAusdrucks, Stilübungen, Befassung mit dem Schrifttum, Brief-wechsel.

Niederschlag und Kennmarken des persönlichen Entwick-lungsweges, insbesondere der Ausbildung logisch-formaler In-telligenz; Krisen, Wendungen und durchgehende Linie diesesWeges. Interesse am Handschriftlichen im direkten und übertra-genen Sinne, am Biographischen, an allen Zeugnissen eines Ichsin seinem Wollen und Wesen, seinem Standpunktwechsel undden Formen seines Umtriebs in der Welt: die eigene Werde-Persönlichkeit, an anderen sich spiegelnd und kontrollierend.

4. Wurzelboden

Die Rückverbindung zu Elternhaus, Heimat, angestammtenMilieuverhältnissen und ererbtem Besitz, ferner zur Natur im all-

324

gemeinen. Anderseits eigen gegründete Familie und selbstge-schaffene Häuslichkeit. Grund- und Hausbesitz, unbeweglicheGüter und Liegenschaften, Verhältnis zur Scholle, auch zu Bo-deninhalten und deren Auswertung (Bergwerke, Sandgrubenusw.). Insgesamt der Komplex «Blut und Boden».

Heim und Herd als mütterliche Region. Das Hauswesen alsOrganismus und die Fähigkeit bzw. das Interesse, ein solches inGang zu setzen, zu pflegen, ihm vorzustehen und, das Wohlerge-hen der Hausgenossen ungestört erhaltend, es mit innerer Atmo-sphäre zu beleben. Abstimmen mehrerer Personen und Verrich-tungen aufeinander, so, daß jeder zu seinem Recht kommt undsich in persönlichen Eigenheiten entfalten kann, dabei aber imZusammenspiel das Ganze gefördert wird.

Sich Zurückziehen ins Private und «vor der eigenen Tür keh-ren», selbsterzieherische Rechenschaftslegung vor dem «innerenRichterstuhl», Erschütterungen und Krisen der Eigenmoral beiEinbruch des Schicksals in die Privatsphäre. Das Leben im eige-nen Gehäuse, sich darin gebend gemäß dem Wuchs der Natur-anlagen und selbsterworbenen Maßstäben. Einerseits derWesensgrund in seinen frühkindlichen Erinnerungsbildern, derNachwirkung versunkener Märchenwelt, unausgewirkter Wün-sche, verborgen gebliebener Strebungen, anderseits die den Le-bensumständen abgerungene Selbstverwirklichung, bzw. derenNiederschläge und konsolidierten Werte, welche die Problematikim Alter bestimmen. Anklingen urtümlicher Symbole für allge-meine Lebensmotive, Befassung mit Anfang und Ende der Din-ge.

5. Fortzeugung

Im engeren Sinne die Mittel und Wege zur Verwirklichung derGattungstriebe, Bedingungen für zeugende Potenz oder Konzep-tionsfähigkeit. Die Liebe mit ihren Hoffnungen und Enttäu-schungen, Ereignis- und Erlebnistendenzen. Kinder und dasVerhältnis zum Kind als pflegebedürftiges Wesen und Trägerihm überpflanzter Lebenserwartungen, auch als Gegenstand der

325

Erziehung, sowie angenommene Zöglinge und Schüler. Im weite-ren Sinne die Fortzeugung im schöpferischen Werk, vor allem imKunstwerk oder in Unternehmungen, die auf künstlerische Weiseprojektiert wurden. Sublimierung vitaler Triebe und deren Sicht-barmachung, Vergegenständlichung.

Spielsituation des Lebens im ganzen Umfange. «Spekulationder sich regenerierenden Gattung» in der Fortpflanzung, eingrei-fend in das Wagen und Wähnen des Liebesabenteuers, die in dasKind gesetzten Hoffnungen. Pädagogik vom Spieltrieb her - wieTiere ihren jungen gewisse Griffe der Lebenskunst vorspielen -,ebenso Ausübung und Betrachtung der Kunst als spielmäßig sichgestaltender Schau- und Darstellungstrieb, von der Erfüllunghöchster ästhetischer Forderungen an bis zur Unterhaltung; Lust-barkeit; Vergnügungen, die der Erholung dienen, Sport in diesemSinne betrieben; schließlich Glücksspiele, Lotterie, Wetten undGeldspekulationen. Jedes echte Spiel als ein in sich Beschlosse-nes - Raum und Regel zur Begrenzung des Überschwangs -, in-nerhalb dessen aber eine spontane Bewegung entfesselnd, dieihre Ziele mit außerrationalen Mitteln erreicht. Fiktionen, «als-ob» spekulativer Gedankengänge, Wagnis ins Unbekannte, Un-ternehmungen über berechenbaren Erfolg hinaus, soweit sie ihrenAnsporn aus solchem spielhaften Freiwerden vom rational Bere-chenbaren beziehen.

Selbstregulierungen von der Triebgrundlage her. Teils Aus-spielen von Potenzen in schon gekonnter und wirkungssichererForm, teils Ahnung und Erweckung noch unerschlossener; ihrAusdrucksuchen in Liebhabereien, Steckenpferden, dilettanti-schen Neigungen oder aber Exzessen des Daseinsgenusses. Dasin aufkeimenden Hoffnungen einer Liebe erlebte Hinauswachsenüber den Alltag; einerseits Ausblicke und Zukunftspläne, ander-seits selbsterzieherischer Drang, eines wertgeachteten Partnerssich würdig erweisen zu wollen. Interesse, in einem Zögling an-zuregen, was seinen besten Antrieben zufolge aus ihm werdenkann.

326

6. Arbeit

Der Körper als Arbeitmaschine, deren Störungen und Ausbes-serungen (Ernährungsreform, Kuren usw.), Stoff- und Energie-wechsel; gesundes Ineinandergreifen der Funktionen bzw.Erhaltung der Leistungsfähigkeit, oder aber Beeinträchtigung,organische Erkrankungen und ihre Behandlung. Körperpflege,Gymnastik, sportliche Tüchtig- und Tauglichmachung, Übungdes Körpers in instrumentaler Hinsicht, Erwerben von Handfer-tigkeiten oder sonstige Leistungs-Spezialisierung.

Methode und funktionelle Durchführung der Arbeit überhaupt,sei es in Anwendung körperlicher, sei es in Auswertung geistigerEnergien. Verwendung von Hilfsmitteln und dienstbaren Kräften,ihre technische und werkgerechte Beherrschung bzw. das Versa-gen darin. In diesem Sinne also die Eignung im Arbeitsverhält-nis, Behandelnkönnen von Angestellten und Untergebenen bzw.Hervorrufen von Reibereien, Nichteinschaltung, oder aber eigeneDienstbarkeit; ferner Beziehung zu Werkzeug, Gerät, Arbeitsge-genstand. Ordnung der Dinge nach ihrer Funktion und Ge-brauchsfähigkeit für beabsichtigte Zwecke, Einteilung derArbeitsgänge, Materialpflege.

Haushaltsführung, Verhältnis zu Wirtschaftsgegenständen undBekleidung, hygienischen Einrichtungen und nützlichen Dingendes Lebenskomforts überhaupt, zur «apparatmäßigen» Durchfüh-rung des Eigenlebens im ganzen. Verrechnung des Aufwands imRahmen der zur Verfügung stehenden Mittel, oder aber Schul-den- und Kreditwirtschaft. Dienstboten und Hilfspersonal, Haus-und Arbeitstiere.

7. Zusammenleben

Die Auseinandersetzung mit dem Anderssein und den Ansprü-chen der Mitwelt, Durchsetzung gegen sie, aber auch interesse-mäßiges Verknüpftsein mit ihr, Bedürfnis nach Anregung undgeselligen Umgang. Wechselfälle des Gegeneinander- oderGleichstrebens in jeder Form von Vereinigung und Teilhaber-

327

schaft; sich auslesende Interessenverbindungen und ihre parla-mentarische Plattform, Bündnisse, zusammenwirkende Gruppen,ihr die Privatinteressen überwachsendes Sonderleben; führendePosten in solchen Vereinigungen, erlangtes Übergewicht oderZukurzkommen in Geschäftsteilhaberschaft. Bildung von Verträ-gen, deren Bestand oder Bruch, Streitfälle und ihre Bereinigung,offene Gegenerschaft und ihr Austrag, Prozeßführung.

Lebenskameradschaft zu zweien, Ehe. Das Strittigwerden derIchtriebe an Recht und Person des Du. Die jeweils zwischen Be-hauptung und Gegenbehauptung ermittelte Brücke und Überein-kunft, Zugkraft überbauender Gemeinsamkeit, Harmonie derLebensführung, gefundenes Echo oder aber entdeckte Mängelder Resonanz, Unverträglichkeiten. Eigene Schwächen und wun-de Punkte, auf die der Partner hinweist, Möglichkeiten ihrer Kor-rektur aus dem Zusammenleben heraus, Mißverständnisse, innereund äußere Störungen des Verhältnisses, Trennung.

Situationsangepaßtheit in wechselnden Lagen der Umwelt auchrednerische Bezauberung einer Hörerschaft - oder aber ihr Aus-setzen, das «Stolpern über die Tücke des Objekts», Unverständ-nis für Beschaffenheit des anderen oder Antriebe gemein-schaftlichen Lebens, Unzugänglichkeiten, Abgrenzung. Demge-genüber wieder Offensein für geistigen Zustrom aus Gesprächund Mitteilung, kommunikatives Verständnis, Angesprochen-werden durch das «an sich» der Dinge, objektiviertes Streben.

8. Lebenshintergrund

Bedingungen und Grenzen des Verbrauchs vitaler Energie,naturbemessene Zeitdauer eines Lebens. Umstände der physi-schen Abnutzung, des Ermüdens und Alterns, des Todes; ander-seits in den Erbreserven vorhandene Elastizität, Regenerations-und Widerstandskraft. Aufbau einer Leistungsform durch Ansau-gen und Umsatz fremder Energie aus der engeren Umgebung,sowie Getragensein durch soziale Umweltsatmospäre; aber auchdarin enthaltene Gefahren, körperlich und seelisch, Spannungen

328

aufgewühlter Rudimentärtriebe, Schauder erregende Eindrücke,psychische Ansteckung in diesem Sinne.

Hineingestelltsein der Persönlichkeit in die konkreten Beding-nisse und Widersprüche der Gemeinschaft, besonders eng bezo-gen auf Krisen, Geldentwertung, Katastrophentendenzen, Kriegeund Unruhen, anderseits auf Konjunktur und Wohlstand. Gewin-ne oder Verluste dadurch, außernormale Bereicherung oder Ent-eignung. Mitarbeit an Aufgaben zu Gunsten des Gemeinwohlsund Gemeinbesitzes; Sozial- und Steuerämter, verwaltungs- undvermögensmäßige sowie vertragliche Grundlagen von Geschäfts-zusammenlegungen, Trusts, Körperschaften und Parteien allerArt, sowie Tätigkeitsbereich der Sicherheitsorgane. Fähigkeit derEinpassung in den internen Ton von Amtern, Instituten, Bürosusw. Aufbauarbeit für fremde Rechnung, Verwaltung und Revi-sion gemeinsamen Besitzes. Anderseits Zersetzungsarbeit an dersozialen Sicherheit, entweder hinzielend auf neue politischeFormen oder aus asozialen Motiven. Extreme des freiwilligenOpfers an Gut und Blut, wie anderseits der Bereicherung amVolksvermögen (Kriegs- und Inflationsgewinne), der Beraubunganderer, sowie Sabotage gesetzlicher Forderungen (Steuerhinter-ziehung). Auch rechtlicher Zuwachs an Besitz über persönlichErworbenes hinaus (Stiftungen, Legate, Unterstützungen, Mitgift,Erbschaften).

Die in der letzten Einsamkeit des Sterbens Trost und Halt bie-tenden Gewißheiten: Befriedigung über sinnerfülltes Leben oderVorstellung von Existenzformen jenseits der Schwelle, die ausdiesem Leben herausführt. Befassung mit den Rätseln, die unsVergänglichkeit des Irdischen, leiblicher Zerfall und Tod beiBewußtsein von geistig Dauerndem aufgibt. Interesse für Grenz-fragen überhaupt, metaphysische Anschauungen und Erlebnisvon Hintergründigem, das in lebendige Gegenwart hereinragt.

9. Leitziele

Formen der menschlichen Gesamtentwicklung, darauf Abzie-lendes. In diesem Sinne Teilnahme an Glaubensbewegungen,

329

Aufgaben der Forschung, Missions- und Entdeckungsreisen, po-litischen Umgestaltungsversuchen und -kämpfen, am Kulturfort-schritt, auch an wirtschaftlichen und technischen Entwicklungengroßen Stils, Welthandel und Weltverkehr. Vorstoß in den Blick-raum des Überpersönlichen und Internationalen von bestimmtenDingen aus, zu denen ein persönlicher Kontakt besteht; geogra-phische oder geschichtliche, rechtliche oder theologische Interes-sen, Folklorismus und Mythenkunde. Die «Auslese der Unsterb-lichen» in der Weltliteratur, die Lehrer und Führer der Mensch-heit, ihr persönliches Vorbild und dessen Nachfolge. Bewegun-gen aktuellen Charakters, die in irgendeinem Punkte das «Heute»aus einem «Morgen» in seinen optimalen Möglichkeiten ansteu-ern. Organisation völkerüberbrückender, gemeinnütziger Ein-richtungen; entsprechende Ziele, Lehrtätigkeit an Hochschulen,Gelehrten- und Studentenaustausch, öffentliche Bildungsstättenin diesem Sinne.

Expansion über das angestammte Milieu hinaus, Überschreitendes normalen Daseins und gewohnter Grenzen. Auswanderungals Projektion dieses Strebens und schroffer Bruch mit der Her-kunft, weite Reisen im Sinne empirischen Welt-Anschauens,Verarbeitung befruchtender Eindrücke der Fremde oder mehräußerliches Kennenlernen der Welt, Exotismus, Globetrotter, ge-schäftliche Auslandsbeziehungen.

Der weltanschauliche Blickpunkt, seine wissenschaftliche oderreligiöse Durchbildung. Sicht auf große Linie, Wertungen vomHoch und Tief menschlicher Qualitäten aus, des Edlen, Erhabe-nen, Heldenhaften, Gigantischen einerseits, des abgründig Ver-worfenen anderseits. Philosophie unter dem Aspekt derErziehung des Menschengeschlechts, Befassung mit «letztenDingen», aufgestellte Idealtypen und Begriffswandel in derDeutung des Ewigen. In einzelnen Fällen prophetische Intuitio-nen und Wahrträume.

330

10. Öffentlichkeit

Realitätsbewältigung vor den Augen der Allgemeinheit, Prä-gung und Durchfeilung einer sozialgültigen Form des Auftretens,dem Stande, der Klasse, dem geschichtlichen Zeitpunkt ange-messen. Selbstbeweis unter geltenden Normen, Anschauungenund Gebräuchen, sowie Durchsetzung gegen den Druck der all-gemeinsten, zwingendsten Tatsachen. Hervortreten aus der An-onymität und Emporgetragensein von der öffentlichen Meinung,Erwerben von Anerkennung, Name, Amt und Würde, Machtein-fluß und Ruhm. Der zum Forum geistiger Auseinandersetzungen,in staatliche Stellung oder wirtschaftliche Schlüsselpositiondrängende Ehrgeiz, autoritatives Wirken, Pflichten des öffentli-chen Auftrags, Repräsentationsstellung. Voraussetzungen desStandorts innerhalb der gesellschaftlichen Struktur, die mit ihmverknüpften Ehrbegriffe und Kriterien der Leistung. Aufstieg,aber auch seine Gefährdung bzw. Bedingungen des Sturzes ausbereits erreichter Höhe. In Bemeisterung äußerer Formen der«Mann von Welt», in Konzentration des politischen Willens der«epochemachende Staatsmann».

Berufliches Streben, bei fehlendem Dienst an der Sache «Stre-bertum». Führung des Existenzkampfes im Maßstab sozialerBreite gesehen, begünstigende oder beeinträchtigende Umstände,spezielle Eignungen und Materialbeziehungen; «Selfmademan»oder Hinaufdienen auf vorhandener Stufenleiter, eigenmächtigeMethoden oder Unterordnung unter das Übliche, unternehmeri-scher Schwung oder passive Anlehnung an geschätzte Autoritä-ten.

Eingriffe der Zeitgeschichte in die äußere Laufbahn, derenEinbezogensein in soziale Umschichtungen, politische Verände-rungen, auch kriegerische Verwicklungen oder Aufbau- undBlüteperiode, je nach Epoche und sozialem Standort; dadurchBestimmtwerden des Welt-Standpunktes, der geschichtlichenPlattform des Politikers, der wirtschaftlichen des Geschäftsman-nes, beim Geistigen das erfahrungsmäßige Unterbautsein derSicht auf zeitgenössische Angelegenheiten, beim Künstler dasAllgemeinverpflichtete.

331

11. Zeitgeist

Bedingungen und Gelegenheiten zeitgenössischen Erfolgs, derFähigkeit, den allgemeinen Bedürfnissen und Erwartungen derZeit gegenüber «richtig zu liegen». Gestützt- und Getragenseindurch Gewerbe- oder Standesinteressen, ideologische Gemein-samkeiten, gesellschaftliches Zeremoniell und Auswertung vonBeziehungen, im Rahmen der Erhaltungs-Grundsätze einer brei-ten sozialen Schicht oder im Zukunftsanspruch eines engerenKreises. Die hiermit gegebenen Aussichten, gefundenen Gönner,Ratgeber und Fürsprecher; Protektion und Produktionsförderungdurch sie, oder aber Mißleitung durch den Umgang sowie ver-fehlte Anstrengungen, vorwärtsbringende Bekanntschaften zumachen, zweifelhafte Chancen. Zuweilen exzentrische Wir-kungsbasis, deren Tragkraft davon abhängt, ob sie bestimmtenZeitforderungen entspricht und das Beabsichtigte im Kolorit derGegenwart einen Wert bedeutet.

«Mensch unter Menschen sein» im Freundeskreise, auswäh-lende Strömungen der Sympathie und Antipathie, Zusammen-schluß von Gesinnungsgenossen. Der Freund als Repräsentantdes Bildes vom Menschen überhaupt, geistige Intimität und Aus-sprache mit ihm, seine Rolle als Prüfstein des eigenen Werts ineinem von egoistischen Interessen freien Bund, oder aber«Zweckbeziehungen», «Vetterwirtschaft», Cliquenfreunde».

Der Geist der Epoche in all seinen Spiegelungen, Gleichge-schaltetsein mit anderen in gewissen Ideen der Zeit, ihren Pro-blemen und technischen Aufgaben. Die im Querschnitt durcheinen gesellschaftlichen Zustand zutage tretenden Zellen und Or-ganisationsformen, der sie bestimmende Korpsgeist sowie dieideologischen Verbindungskanäle zwischen ihnen. Orientiertseinin diesem Gesichtsfelde, darauf basierte Ausrichtung der Interes-sen; ferner philantropische Bestrebungen, Ausübung eines Mä-zenats, Förderung aufkeimender Talente. Allgemein: sozialeGegenwart in der wechselseitigen Durchdringung von geschicht-lich Nachwirkendem und Vorausgreifendem.

332

12. Anonymität

Abrücken von den offiziellen Brennpunkten gesellschaftlichenLebens, Wirken im und aus dem Verborgenen. Der namenloseHelfer in Notlagen, der unbekannte Soldat der Zeitgeschichte,der Weltabgeschiedene in klösterlicher Ruhe, auch die heimli-chen Könige in Wirtschaft und Politik. Alles was von den herr-schenden Mächten verboten oder an den Rand geschoben, vomgeltenden Meinungsdurchschnitt mißachtet, in seiner wahrenNatur nicht erkannt und gewürdigt wird, in den gegebenen Ver-hältnissen nicht entwickelt werden, der üblichen Mittel sich nichtbedienen kann oder aus anderen Gründen verdeckte Wege geht.Geheimdienst, illegale Verbände und ihre konspirativen Metho-den, Schüsse aus dem Hinterhalt, politische Hintertreppenge-heimnisse, Denunzianten, Mißbrauch des Namens, der Firma,gefälschte Dokumente und verschollenes gut; die unbestimmtenFaktoren im Massengeschehen, Legenden, Gerüchte und Pa-nikstimmungen, der Einzelne als Exponent der Masse. Aber auchhumanitäres Wirken in der Stille, Rettung Schiffbrüchiger, Hei-lung und Wiedergutmachung der Schäden sozialer Härten, derMassenkatastrophen, private und religiöse Organisationen, diesich dieser Aufgabe widmen.

Im staatlichen Rahmen das Abseits- und Ausgeschaltetsein derals asozial, gefährlich oder gefährdet Geltenden, sowie die Un-terbringung von Hilfsbedürftigen. Gefängnisse, Zuchthäuser undKorrektionsanstalten, Konzentrationslager, Strafkompagnien;ferner Irrenhäuser, Heil- und Pflegeanstalten, Krüppelheime,Krankenhäuser; schließlich Auffang von Flüchtlingen. Das Heerder an solchen Orten Festgesetzten, anderseits die mit Behand-lung und Wartung bzw. Strafvollzug Beauftragten. PolitischeVerfemung und Verbannung, Gefangenschaft und Verschollen-sein im Kriege. Untertauchen Verfolgter, Heraustreten aus bür-gerlichen Bindungen, Vagabundieren. Anderseits die unpersön-liche Atmosphäre einer Internatserziehung, Zucht einer Ordens-regel, die auf Umgestaltung abzielenden Normen einer Par-teischule usw.

333

Innerlich betrachtet Orte der Prüfung, der möglichen Umkehrund Läuterung, des Durchgangs zu noch unbekannten Zielen.Physiologisch die Auswirkung verborgener Schäden, infektiöseoder epidemische Krankheiten. Allgemein: die anonymen Mäch-te der Zeitlage, ihr undurchsichtiger Kurs; Opferung des einzel-nen im Gefolge von Umschichtungen, untergründige Vorberei-tung kommender Dinge, allgemeine Wenden und Wandlungender Menschlichkeit; dementsprechende utopische Vorstellungenoder aber seherisches Aufgreifen neuer Entwicklungsziele.

334

N A C H L E S E

Sparsamkeit der Mittel ist ein erzieherisches Prinzip beim Er-lernen jeder Kunst. Indem die Übung sich auf die Hauptelementebeschränkt, lernt man ihre Möglichkeiten ausschöpfen und be-kommt sukzessive eines nach dem anderen in die Hand. Diestrenge Schulung unterscheidet den Künstler vom Dilettanten,der wahllos mit einer Fülle von Mitteln umgeht und, weil ihm dieSelbstüberwachung des Gebrauchs fehlt, ständig ihre Aussage-kraft durcheinanderwirft. Am Anfang der Befassung mit derastrologischen Diagnostik lautet die Frage nicht: was kommtnoch alles in Betracht, was könnte und müßte noch eingesetztwerden? Es gilt vielmehr, die Stammbegriffe zu studieren undanwenden zu lernen. Sie sind der Inhalt dieser beiden Bände: we-sensaufbauende Kräfte (Planetensymbole), die Art und Weiseihres Ausdrucks (Tierkreiszeichen), ihre gegenständliche Ge-richtetheit (Häuser bzw. Felder) und ihre Beziehungen in der Le-bensdynamik (Aspekte). Bewußtsein der Aussagegrenzen gehörtbei alledem dazu. In der Zueinander-Ordnung dieser Elementeliegt der Sinn der astrologischen Menschenkunde, deren Grund-züge darzulegen mein Bemühen war.

Vermehrung der Mittel birgt immer die Gefahr, sich im Zu-sätzlichen zu verlieren. Indes steckt die Auswertung konstellati-ver Verhältnisse noch voller offener Fragen. Soweit deutungs-technische Erweiterungen bereits in der Literatur aufgetauchtsind, ist eine wenigstens knappe Beantwortung nötig; es gibt teilsNeuerungen jungen Datums, teils aus früheren Jahrhundertenmitgeschleppte Einreihungen und Gesichtspunkte, zu denenStellung genommen sei. Im Wesen der Deutung als Kunst liegt,daß jede Epoche den mit ihren Gesamtanschauungen überein-stimmenden Deutungsstil finden muß, und die antike statischeAuffassung, deren Begriffe noch umlaufen, behindert zuweilendie Ausbildung einer zeitgemäßen diagnostischen Methode.

In letztgenannter Hinsicht verwerfe ich den ganzen Apparatvon «Würden» (Erhöhung, Grenze oder Termin) und «Schwä-

335

chen» (Vernichtung, Fall oder Casus), womit der Stellung einesPlaneten in einem bestimmten Zeichen bzw. in bestimmten Gra-den diese oder jene Qualitäten zugeschrieben werden. Wer dasVerhältnis zwischen Wesenskräften und Stilformen durchdenkt,findet, was daran plausibel ist, in «Entsprechung» und «Wider-spruch» als den Beziehungsextremen enthalten. Desgleichen er-übrigt sich die mit «Tag- und Nachthäusern der Planeten»gemachte Unterscheidung, nur ein anderer aber verwirrenderAusdruck für + und − der beiden einem Planeten zugeordnetenZeichen. Der Unterschied der solaren und saturnalen Gruppe, aufden sich meine Unterscheidung von «unmittelbar» und «Mittel-bar» bezieht, kommt darin nicht zur Geltung.Nicht unbegründetdagegen sind Tierkreis-Unterteilungen, wenn man sich darüberklar ist, daß dies nur eine Durchvariation der Stilformen betreffenkann. Der Abschnitt von 30° wird dabei als Teileinheit genom-men, worin sich die Symmetrie des Kreisganzen bzw. seinerAufbauzahlen widerspiegelt. Am wichtigsten ist die Dreiheit,wodurch drei Unterabschnitte von je 10° (Dekanate) abgeteiltwerden, die das Verhältnis kardinal-fix-labil wiederholen. Wasdaraus oder aus willkürlichen Planeten-Zuordnungen an «Deka-nats»- oder «Triplizitätsherrschern» abgeleitet wird, betrachte ichals irreführend. In die Beachtung kleiner Abschnitte von 2½°führt die Spiegelung der Zwölfheit in jedem Zeichen, die vor al-lem für Urteile über den Aszendenten, sogar Abwandlungen desErscheinungstypus, gewisse Anhaltspunkte gibt. Insgesamt be-kommen wir damit ein System feiner Tönungen, allerdings erstbei genauer Bekanntschaft mit den Stilformen anwendbar.

Zufolge dem obersten Grundsatz der Deutung «keine Einze-laussage ohne Blick auf das Ganze» bedarf es methodischer Un-tersuchungen dieses Ganzen, der «inneren Gestalt» desMenschen. Sinngemäß sind sie Bestandteil einer noch zu brin-genden Formen- und Kombinationslehre; sie tragen keine neuenMittel hinein, sondern werten die schon in der Elementarlehreenthaltenen Ansätze aus. Das mit der Planetenkonstellation einesAugenblicks - bezogen auf einen bestimmten Ort - gegebene in-dividuelle Thema wird darin einer Betrachtung seiner Proportio-

336

nen unterzogen. In einer solchen Formen- und Kombina-tionslehre wird zu den Figurinen- bzw. Gestalttheorien von Mei-er-Parm und W. A. Koch Stellung zu nehmen sein.

Betrachtung von Proportionen enthält im Keim, was sich in derLiteratur oft als selbständiges Mittel gebärdet und dann als rech-nerische Spielerei erscheint, die Einbeziehung von Hilfspunkten.Gemeint sind solche Punkte der Ekliptik, die nicht als Raum-richtung eines Gestirns eine astronomische Realität angeben,sondern was sie aussagen, aus dem beziehen, woraus ihre Pro-portion genommen ist. Wer kausalistisch denkt, wird darin fikti-ve Elemente, leere Konstruktionen sehen, da es sich um nichts«Bewirkendes» handelt. Wer hingegen an proportionale Be-standglieder eines Gestalt-Ganzen denkt, betrachtet sie als deut-bare Verhältnispunkte, eine Auffassung, der ich prinzipiellzustimme. - Diese Punkte leuchten in Verhältnisse zwischensämtlichen Planeten hinein, auch solchen, die nicht im Aspektverbunden sind; in der Deutung ist allerdings darauf Rücksicht zunehmen, ob ein Aspekt vorliegt und welcher, sowie überhaupt,wie der interstrukturelle Zustand der in Beziehung gesetzten We-senskräfte ist. Daher Vorsicht beim Gebrauch verallgemeinernderRegelbücher! - Die Hilfspunkte gehen unter verschiedenen Na-men. Bei den sog. Sensitivpunkten der Ekliptik wird die Streckezwischen zwei Planeten vom Aszendenten aus in Kreisrichtungabgetragen, das zu rechnende Verhältnis kehrt sich um mit Tag-oder Nachtgeburt (� über oder unter dem Horizont). Z. B. hatder seit altersher gebräuchliche «Glückspunkt» (⊕) im erstenFalle die Proportion �� : �, im zweiten Falle � : �. Vom As-zendenten unabhängig sind die sog. Teilungspunkte oder Halbdi-stanzen, sie betreffen die halbierte Kreisstrecke zwischen zweiPlaneten. Eine dritte Gruppe, bei der sich die Lage nur eines Pla-neten an einer Hauptachse spiegelt, stellen die Antiscien oder«Gegenschattungen» dar. Bei ihnen gilt die Linie zwischen dentropischen, den Wendepunkten (0° )�0°�/) als Scheidelinie, undes wird für jedes Gestirn derjenige ekliptische Punkt aufgesucht,der den gleichen Abstand nach der Gegenrichtung hat. Wenigergebräuchlich sind ebensolche Spiegelpunkte zur Linie der Aequi-

337

noktien (0° & und 0° ,). Diese Unzahl von Punkten rückt dieGefahr der Überwucherung mit Detail nahe, sie dürfen niemalsverselbständigt betrachtet werden, ihre Aussagekraft ist Sacheder richtigen Kombination.

Bezüglich der Planeten und anderen astronomischen Kompo-nenten kommt einiges in Betracht, was ihre Rolle innerhalb derKonstellation weiter beleuchtet.

Haben zwei Planeten gleiche Deklination (Orbis bis zu 1°), sostehen sie in einem «Parallelaspekt» (//) genannten Verhältnis.Dieser Aspekt kommt nach Qualität, aber nicht Quantität einer 2gleich und besagt, daß das sonstige Bezogensein der betreffendenPlaneten eine Verstärkung erfährt. Analoge Parallelen der Breite(wenige Bogenminuten Orbis) sind von noch geringerer Bedeu-tung. - Manche rechnen sog. Mundanaspekte, bei denen nichtEkliptikgrade, sondern proportional einander entsprechende Ab-schnitte der Häuser in Vergleich gesetzt werden (bei 2 und 3dasselbe, doch z. B. ein 4�auf der Ekliptik kann in entsprechendeAbschnitte von Häusern fallen, die untereinander ein 5 bilden).Als Modifikation bei eindeutigen Fällen in Betracht zu ziehen,hängt diese Beurteilungsweise noch am Problem der richtigenZwischenfelder. - Die Rückläufigkeit eines Planeten (für dengeozentrischen Blick), vulgär meist schematisch als «Ver-schlechterung» gewertet, bedeutet analog der Gegensinnigkeitzur allgeminen Umlaufsrichtung etwas, was z. B. bei � origina-litätsbetontes Denken steigern, bei � Kontaktempfindungen min-dern kann usw., will also nach dem aus Planet und ZeichenKombinierten beurteilt sein. Zwischen Recht- und Rückläufigkeitliegt die mit Stillstand bezeichnete Wende: relative Aufhebungder Bewegungsnatur, stationäre Kraftentfaltung. In die Beurtei-lung eines Aspekts spielt die Rückläufigkeit hinein hinsichtlichApplikation und Separation, ansonsten nur auf das Verhältniszwischen Planeten nach ihrer Umlaufsgeschwindigkeit anwend-bar; ein langsamer Planet wird normalerweise von einemschnelleren «eingeholt», ein Planet, der eine exakte 3 zu einemanderen schon überschritten hat, doch rückläufig ist, «läuft in die

338

Opposition hinein». Dies gilt dann als Verstärkung, hingegen Se-paration als Abschwächung des Aspekts, ohne dessen Qualität zuändern. (Nicht zu verwechseln mit dem Verhältnis von Impulsionund Repulsion in meiner Aspekttheorie). - Ein erst in jüngsterZeit mehr beachteter Umstand (gelegentlich schon von Kepler inBetracht gezogen) ist die Erdnähe der Planeten (Tafeln vonSchreiweis, Ebertin-Verlag), noch Gegenstand der Untersuchung.- Bei großer Breitenabweichung eines Planeten und Stellung amAszendenten trifft sein wahrer Aufgang nicht mit dessen Eklip-tikgrad zusammen, bei exakt bekanntem Aszendenten bedarf eszur Genauigkeit (ob der Planet über oder unter dem Horizont)einer besonderem Berechnung. Die Auf- und Untergänge derPlaneten insgesamt zieht Dr. Michel in einem eigenen Deutungs-verfahren heran, woraus sich neue Gesichtspunkte ergeben, eben-so deren heliozentrische Konstellation. Eine ergänzendeBedeutung der letzteren kann ich bestätigen. - Gleiche Breite von� und � bei geozentrischer 2 und 3�ergibt bekanntlich die Fin-sternisse, im Geburtsbild als Verstärkung des Aspekts mit«Überschattung» eines von beiden zu werten.

Aus verschiedenen Gründen kann eine Unabgeschlossenheitder Planetenreihe, die Möglichkeit der Entdeckung weiterer mitbloßem Auge nicht sichtbarer Planeten vermutet werden. Dieshat manche zur Einführung hypothetischer Planeten in die Deu-tung veranlaßt, was ein Experimentiergriff, doch vom Standpunktgewissenhafter Aussage völlig undiskutabel ist. Nach den an �,�, gemachten Erfahrungen kann es sich kaum um Elementehandeln, die für den normalen Aufbau des Wesensgefüges gelten.- Anders liegt die Frage der Planetoiden (über die ich mich in«Das Sonnensystem - ein Organismus» äußerte); Untersuchun-gen über Vesta sind im Gange (Meier-Parm). - Ergänzend wur-den besonders von der arabischen und mittelalterlichen Astro-logie die Fixsterne einbezogen. Alle Angaben darüber sind mitgroßer Vorsicht aufzunehmen, teils wegen hineingelegter be-dingter Wertungen, teils weil diese Faktoren außerhalb unseres -als Einheit betrachteten - Systems sich überhaupt einer Deutungmit denselben Maßstäben entziehen; die Untersuchbarkeit be-

339

schränkt sich auf gradgenaue Konjunktionen (Planeten, Asz. undMC).

Last not least: der Mondknoten. Die etwas schräg zur Ekliptikliegende Bahn des Mondes schneidet diese in zwei Punkten, ei-nem der Erhebung (!, aufsteigender Mondknoten, «Drachen-kopf») und einem der Senkung (", absteigender Mondknoten,«Drachenschwanz»), beide stehen sich in der Ekliptik gegenüber.In der alten Gut- und Böse-Wertung wurde diese Knotenlinie als«Wunschachse» gedeutet, mit guten Versprechungen dort undbösen Erfüllungen hier. Zu einem brauchbaren Gesichtspunktkommen wir durch Analogie, indem wir das Verhältnis derMondbahn zur Ekliptik als Gegenbild auffassen des Verhältnis-ses dieser, der (scheinbaren) Sonnenbahn, zur Ebene der Erdro-tation (Äquator); danach entspricht also ! dem &-Punkt und "dem ,-Punkt. Wir hätten dann im ersten einen Punkt der Sub-jektivation, im zweiten einen der Objektivation dessen, was auf� bezogen werden kann, es betrifft das lebensfunktional-Passiveim Gefühls-, Phantasie- und insofern auch Wunschleben gegen-über dem lebensschöpferisch-Aktiven aus �. Wenn hierbei Ob-jektivation «böse Erfüllungen» bedeutet, so liegt es an derEinstellung des betreffenden Menschen zur Realität; derselbePunkt " kann auch objektiv dargelebtes Gefühl, in realen Mittelngestaltete Phantasie bzw. Verwicklungen im wunschhaften Ten-dieren danach andeuten, ! hingegen den subjektiven Ansatz zualledem, Geht man einen Schritt weiter, so kommt man zu einemKreislauf des lebensfunktional-Passiven, in den sich die Symme-trie der Zwölfheit hineinspiegelt. Bis dahin berührt sich meineAuffassung mit derjenigen von M. Froger und M. Vági (abgese-hen von des letzteren Felderberechnung); nur beziehe ich die 12Regionen des «Mondkreises» nicht auf äußere Realitäten, son-dern auf urbildhafte Vorbereitung und kompensatorisches Aus-klingen dessen, was im lebensschöpferisch-aktiven Kreisgeschieht. Nicht zu verwechseln ist dieser «Mondkreis» mit denMondstationen, einer alten Ekliptikteilung in 27 oder 28 Ab-schnitte, über die wir wenig wissen.

340

NAMENVERZEICHNIS

Aristoteles;41;56;58;59;60;82

Bachofen, J. J.;6;7;261Bleuler, E.;79Brinkmann, D;71Campanus;351Diemer, F. M.;281Empedokles;56Exupéry, A. de St.;313Fichte, J. G.;34;35;271Francé, R. H.;3;4Frobenius, L.;261Froger, M.;340Gehlen, A.;267Goethe, J. W.;2;4;39;62;301Hartmann, N.;

12;15;30;41;72;106Hartmann, W.;27;28Hegel, G. W.;35;82Heimsoth, K. G.;140;142Hellpach, W.;26Hipparch;44Huizinga, J.;10Jaspers, K.;67Jung, C. G.;60;71;314Kant, I.;15;51Kayser, H.;13Kepler, J.;7;13;28;38;339Kerschensteiner, G.;267Klages, L.;

46;49;51;52;60;64;274;275Klöckler, H. Frh. v.;

26;140;142;281

Knappich, W.;292Koch, W. A.;60;337Kretschmer, E.;

51;86;140;142Kujawa, G. v.;10Kungfutse;291Lavoisier;58Leibniz, G. W.;39Lersch, Ph.;55;267;269Lipps, Th.;269;273;274Mayow, J.;58Meier-Parm, H. Chr.;337;339Michel, H.;339Moreno, J. L.;22Morin de Villefranche;281Nietzsche, F.;

4;5;223;261;270Paracelsus;38Pfahler, G.;86Placidus de Titis;258;352Plato;41Prandtl;86Ptolemäus, Cl.;25;281;354Pythagoras;13Regiomontanus;258;321;

349;351;352Rothacker, E.;

16;17;18;19;272;311Rudder, B. de;26Schelling, F. W. O.;34;35Schopenhauer, A.;4Schreiweis, J.;339Schwab, F.;292

341

Schwabe, J.;43;128Sigaud;75Spranger, E.;21Stahl, G. F.;58Teirich, H. R.;22Thymus, Frh. v.;13Tomaschek, R.;28Tumlirz, O.;21Tönnies, F.;286

Uexküll, J. v.;30;33;34;35;100;101;130;289;311

Vági, M.;340Vehlow, J.;353Weininger, O.;4;5Weizsäcker, V. v.;24Wellek, A.;16;18;19Winkel, E. M.;27;28;354Witte, A.;353Wundt, W.;51;52

342

SACHVERZEICHNIS

AbwehrreaktionenAffinitätenAmbivalenz, ambivalentAngstAnlagen-RadikaleAntithese, antithetischAntrieb - HemmungApperzeptionAspekteAesthetische, das

(s. a. Venus)AszendentAtemzug, ersterAufbau, polarerAusdrucksbewegung, gestaltAussagegrenzenAussagemöglichkeitenautomatische Abläufe,

Automatismen

BedeutungstonBereitschaften, ...stendenzenBeziehungs- und Bedeu-

tungsweltBezugssystem, engeresBezugssystem, weiteresBildekräfteBilder, -sprache, -weltBilderkreisbildnerisch-magischer AktBildprojektionbildschöpferische Funktion,

... Phantasie

Biologismus, niedererBlinddiagnose

Denken, harmonikalesDenkstilDeszendentdeterminiert, deterministischDeterminationenDeutungsprinzip, oberstes

Dialektik, dialektischDifferentialspannungdiffusganzheitlichdispositioneller UnterbauDominanzverhältnisDopplerprinzipDrehpunkt, innerer,

existentiellerDreischritt, dialektischer,

organischer

EckfelderEckpunkteElementar-OrdnungEigenrhythmusEigenverantwortungEigenwertEinflußtheorie (Gestirn-

wirkung)EinfühlungEingebungeingeschlossenes ZeichenEkliptik

343

EnergieEnergie, psychischeEntartung, pathologischeEntelechieEntsprechungEntwicklung, entwickelnEntwicklung, frühkindlicheEntwicklungshöhe, -niveau,-

stufe, -zustandEntwicklungsschub, -sprungEntwicklungsziel, -thema, -

richtungErbanlagen, -substanz, ErbeErbschicksalErgänzungstypusEros-Erleben, Reich des,

Spiel desEros-TriebEros, kosmogonischerErwartungen, vorgeprägteErziehungEthik, EthosExtraversion-Introversien

FamilieFamilienmerkmaleFeinstrukturFinalität, Finalzusammen-

hangFixsterne, FixsternhimmelFluktuationformale Logik, formallogischFrauFreiheit, der Entscheidung,

sittliche, Willens...FremdwerteFrühlingspunkt

Funktionskreis (v. Uexküll)

Ganzheit, das GanzeGattungswesenGeburtsaugenblickGedächtnisGegensatz, polarer, -

verwandtschaftGegensatzpaareGemeinschaftGemütgenetische Ordnung, ReiheGenie, GenialitätGenotypusGeschlechtGeschlechtsreife (s. Pubertät)GesellschaftGestaltGestaltbau (s. Körperbau)Gestirnwirkungen (s. Ein-

flußtheorie)GewissenGleichgewichtGravitation (s. a.

Schwerewirkung)Grenzgebiete, ...phänomene,

...fälleGrenzüberschreitung, kate-

gorialeGrenzsetzende, das (Saturn)GrundfunktionenGruppe, solare und saturnaleGruppen, sozialeGruppentherapieGut und Böse

Habitus, habituell

344

HandschriftHarmonieharmonikales DenkenHauptphase, Lebens-HemmungHimmelsmechanikHorizontHypothese, kosmo-

biologische

Ich, rationalesIdee, fixeIdee, primär bestimmendeIdee, überwertigeIdentifizierungIdiosynkrasieimago-motorische Reaktio-

nenIndividualitätIndividuationIndividuationsstufeInstinkt, instinktivIntroversion-ExtraversionIntuition, intuitiv

Jahresperiodische Erschei-nungen

Jahreszeiten, -Analogie

Kategoriale Grenzüber-schreitung

klassisches SystemKollektiv, daskollektives Schicksal,

...sfeld, MassenschicksaleKombination, ...smethode

Kompensation, kompensato-risch

Komplexe, psychischeKomplexneigung und -

bildungKonfliktspannuncenKonstitutionKontakt, geselligerKontakt, organischerkonturiert ganzheitlichKörperbau (Gestaltbau)kortikale PersonKosmosKosmotypusKräftebeziehungenKräfte-WidersprüchekräftestrukturellKrisenKunstKünstler

LambdomaLebens- GrundstimmungLebensmelodieLebenswerteLeitbild, ...idee ...linie

MachtdrangMann, männlichmantische Prozedur, -

Methodemechanistische Auffassung,

der MechanistMenscherrwürdige, dasMeridianMerkweltMilieu

345

MinderwertigkeitsgefühleMischtypenMitwelt, sozialeMuttersymbol

NaturkausalitätNeurose, Neurotiker, neuro-

tischNiveau

OptimismusOrbisOrdinalia, OrdnungszahlenOrdnungsgedankeOrganischen, Kategorien desOrganismus

Pathologische, dasPendelbewegungPeriodizität, periodischPerseverationPhänotypusPhantasiePhantasiedinge, …wertePhasen (Lebens-, Entwick-

lungs-)phasengesetzlich, ...haftPhysiognomie, menschlichePhysiognemik, physiogno-

mischPlanPlaneten, untere-obere,

innere-äußerePlanetoidenpolarer Aufbaupolaristisch

Polarität (s. a. Gegensatzpaa-re)

polar zusammengehörigPräzessionPrimitive, derProjektion, psychische,

projektivpsychische EnergiePubertät

rationales Ich (s. Ich)Regentschaft (d. Planeten)Regression (s. a. Rückartung)Regulation, regulativReihe, ansteigendeReizempfänglichkeitReizempfindungReizerregung, -antwortReligiöse, das, religiöse Pro-

blemlösungRhythmusRitualRückartung, asozialer Rück-

schlagRückverbindungen zum

Kosmos

Säftelehre, antikeSchichten, SchichttheorieSchicksalSchizophronieschizothymer TypusSchöpfungs-TrinitätSchreckeindruck, …reiz,

…wirkungSchwellenangst

346

Schwere, positive und nega-tive

Schwerewirkung (s. a.Gravitation)

Sein, dasSeinsebenen ....stufen,

…schichtenSelbstbeherrschung

...disziplinselbstbestimmender FaktorSelbsterziehungSelbstverwirklichungsensitive ZeichenSignale, biologische,

signalisierenSignaturenSinn, -strebenSituationsanpassungSollen, dasSonnenbahnsozial angepaßSoziogrammSpannungSpielsituationSpiel, -trieb, spielhaftSpirale, Entwicklungs-SternbilderStilSubjekt-Objekt-ScheidungSublimierungSuchbilder, …tendenzenSymbiose, symbiotischSymmetrie, symmetrisch

TanzTemperament

These-Antithese-Synthese(dial. Dreischritt)

TierTotem, totemistischTraum, -Tätigkeit, -symbole,

träumenTypologie, typol. Einteilun-

genTypus und Gegentypus,

Typenachse

Uebertragung, psych. über-tragende Funktion

UmweltUmwelt, biologischeUmweltsbegriff, kosmobio-

logischerUninteressiertheitUrbilder, urbildlichUrphänomenUrqualitäten

VerfolgungswahnVerklammerungVernunft, ... sdenkenVerstand, . . . esdenkenVertretungsverhältnisVerwirklichuneszwangVitalitätVulgärastrologie

Wahlfreiheit (s. Freiheit)Wandern und Wandel der

Bedeutung, des InteressesWeltangst, LebensangstWeltbild, geezentrischesWeltoffenheit, weltoffen

347

Wenn-Dann-Formel(-Voraussetzung)

WertWert, oberster, höchsterWertdimensionenWertordnungWesengefügeWesenskernWilleWillensbegriff, nationalisti-

scherWillensfreiheit (s. Freiheit)WirkweltWunschkatalog

Yang und Yin

Zahlenspielerei

zentriertganzheitlichZeitgeistZielverwirklichungZielstrebigkeit, zielstrebigZivilisationZornzusammengehöriger Gegen-

satzZwillinge (eineiige, zweieii-

ge)zyklothymer Typus

348

Das Horizont-Meridian-System

(Abbildung: Konstruktion von Regiomontanus)

Der Beobachtungsort bzw. Ort einer Geburt bildet den Bezugs-punkt eines feststehenden Systems von Raum-Koordinaten. DieGerade vom Erdmittelpunkt her gibt in den Raum verlängert denScheitelpunkt diese Ortes an, den Zenit, sowie nach der Gegen-seite, in Lotrichtung geführt, den Nadir. Diese Achse steht senk-recht auf der Horizontebene und damit auch der Kreis Zenit-Nordpol-Nadir-Südpol, der Meridian, der den Horizont in zweiPunkten schneidet; der Punkt näher dem Nordpol heißt Nord-punkt, der gegenüberliegende Südpunkt. Im rechten Winkel zurHorizont- und Meridianebene steht die Ebene des ersten Verti-kals. Ihr Großkreis führt durch Zenit und Nadir des Meridianssowie Ost- und Westpunkt des Horizonts. Die Schnittpunkte desletzteren durch Meridian und ersten Vertikalkreis markieren alsodie vier Himmelsrichtungen. - In dieses ruhende Koordinatensy-stem beziehen wir nun die beiden Ebenen der Bewegung ein,Äquator und Ekliptik. Untereinander im Winkel von rund 23½Grad, erheben sie sich - von einem Ort auf der nördlichen Halb-kugel gesehen nach Süden zu über die Horizontebene, sinken sienach Norden unter diese (auf der südlichen Halbkugel umge-kehrt). Der Äquator ist die Rotationsebene der Erde, ihm parallelgeht die Scheinbewegung der Fixsterne. Die Ekliptik scheint fürunseren Blick in einer Bewegung begriffen zu sein, die täglicheinmal jeden Punkt auf ihr über den Osthorizont heraufbringt,zum oberen Meridian führt, wo er «kulminiert» und wieder amWesthorizont hinab verschwinden läßt. Der Schnittpunkt derEkliptik mit dem Osthorizont heißt Aszendent oder aufsteigenderPunkt, derjenige mit dein oberen Meridian heißt Medium Coelioder Himmelsmitte (abgekürzt MC), der Schnittpunkt mit demWesthorizont heißt Deszendent oder absteigender Punkt undderjenige mit dem unteren Meridian heißt Imum Coeli oderHimmelstiefe (abgekürzt IC). Dies sind die vier natürlichen Tei-lungspunkte, welche vier Hauptabschnitte (sog. Quadranten)

349

350

unserer ortsbezogenen Ekliptik-Ausmessung angeben, in dasMeßbild eingetragen heißen sie die «Eckpunkte». Die vom Früh-lingspunkt («Widderpunkt») an in Grade geteilte Ekliptik gleitetdurch unser ruhend gedachtes Koordinatensystem hindurch; wirddiese Bewegung in einem bestimmten Augenblick gleichsam an-gehalten, so lassen sich die Eckpunkte in Gradzahlen von 0 bis360 ausdrücken, bzw. als so und so viel Grade in diesem oderjenem «Zeichen». Die bezifferten sphärischen Zweiecke der Fi-gur geben die später erläuterten zwölf Felder an.

Über die naturgegebene Festlegung der vier Eckpunkte hinauswird es problematisch, eine Drittelung der ekliptischen Ab-schnitte zwischen Eckpunkt und Eckpunkt vorzunehmen. DasProblem lautet, was dabei zu unterteilen sei. Es entstanden in ge-schichtlicher Folge drei Auffassungen. Horizont und Meridiantreffen in Nord- und Südpunkt zusammen und schneiden den er-sten Vertikal im rechten Winkel. Diese Schnittpunkte beibehal-tend, teilte Campanus (um 1260, † um 1297) den Vertikalkreis inzwölf gleiche Teile und übertrug diese durch sog. Positionskreise(Großkreise, welche durch die Teilungspunkte auf dem erstenVertikal sowie durch Nord- und Südpunkt des Horizonts gehen)auf die Ekliptik, wo sie die «Häusergrenzen» (auch «Spitzen»)ergaben. So entstand eine Konstruktion sphärischer Zweieckevon der Art einer geschälten Orange, deren Kelchrest und Stie-lansatz dem Nord- und Südpunkt entsprechen, mit zwölf gleichgroßen Keilstücken. Man kann sich dabei den Horizont um dieAchse Nordpunkt-Südpunkt gedreht denken und die Drehung ingleichmäßigen Abständen innehalten lassen, woraus fünf weitereQuasi-Horizonte hervorgehen; diese sechs Ebenen schneiden aufder Ekliptik sechs «obere» und sechs «untere» Häuser bzw. Fel-der aus, dort können sie verschieden groß sein. Eine solche Dre-hung entspricht jedoch keiner wirklichen Bewegung und dererste Vertikal ist eine mathematische Abstraktion. Die wirklicheDrehebene ist der Äquator. Hier setzte die Konstruktion des Re-giomontanus an (Johannes Müller aus Königsberg in Franken,1436-1476). Indem er die durch Horizont und Meridian ausge-schnittenen Äquator-Quadranten drittelte, entstanden zwölf Ab-schnitte von je 30 Äquatorgraden; die erhaltenen Teilungspunkte

351

übertrug Regiomontanus über ebenso durch Nord- und Südpunktgelegte Großkreise auf die Ekliptik. Ererhielt ein ähnliches Bildwie Campanus, mit etwas anderen Graden der Zwischenfelder.Bleiben diese beiden Auffassungen in einer geschlossenenRaumvorstellung, so bezweckte die von Placidus de Titis(Hauptwerk 1650, † 1688) stammende, räumlich schwierigervorstellbar zu machende Rechnungsart eine Proportionierungder Raumteile der täglichen Bewegung. Die vier Eckpunkte blei-ben bestehen und darin liegt ein Bezug zu den Äquator-Quadranten. Doch bilden sich in diesem Zeit-Teilungssystemkeine «Orangenschnitte». Die Zwischenfelder folgen aus demGrundsatz, daß derjenige Punkt der Ekliptik gefunden werdenmuß, der auf seinem eigenen Bewegungbogen (halbem Tag- oderNachtbogen) proportional von Meridian und Horizont absteht.Dieser Grundsatz sucht der schraubenförmigen Scheinbewegungder Ekliptik gerecht zu werden. Als die zur Bestimmung einesRaumpunktes nötige Deklination wird diejenige der Ekliptik ge-nommen.

(Deklination heißt der Abstand eines Gestirns oder Raum-punktes vom Äquator, nördlich mit +, südlich mit − bezeichnet.Wenn z. B. die Sonne in einem Äquinoktialpunkt steht (0° &oder 0° ,), d. h. die Deklination 0 hat, so sind Tag- und Nacht-bogen je 180°, die Sonne befindet sich zwölf Stunden über, zwölfStunden unter dem Horizont. Steht sie dagegen in einem derSolstitien (0° ) oder 0° /), so hat sie ihre äußerste Deklination,Tag- und Nachtbogen sind maximal verschieden. Tagbogen heißtin jedem Fall derjenige Teil, der über, Nachtbogen derjenige, derunter dem Horizont liegt).

Die Berechnung ist durch die «Häusertabellen» sehr verein-facht worden. Den Ephemeriden wird die Sternzeit des Mittags,welcher der Geburt vorausging (bzw. Mitternacht, je nach Anla-ge der Ephemeriden), entnommen, und zwar gilt diese Zeit fürGreenwich. Sodann ist die Ortsgeburtszeit festzustellen (Abwei-chung von Normal- und Sommerzeiten beachten!). Die seit Mit-tag (bzw. Mitternacht) verflossene Zeit ist nun, verwandelt inSternzeit, der aus den Ephemeriden genommenen, auf die östli-che Länge des Orts korrigierten Sternzeit zuzuzählen. Das Re-

352

sultat drückt den kulminierenden Punkt des Äquators in Zeit aus,unter diesem und der Breite des Orts sind die Grade und Zeichenaus der Häusertabelle abzulesen. Schließlich werden die auf dieGreenwichzeit der Geburt berechneten Planeten eingesetzt.

Abweichende Methoden. - Ein Versuch, das Problem der höhe-ren Breiten (vgl. Buchtext S. 262) zu lösen, ist die MethodeWitte. Sie betrachtet die Häuser als Zeitabschnitte des Funda-mentalkreises der Rotation (Äquator), der vom Meridian ausge-hend in zwölf gleichmäßige Abschnitte zerlegt wird, überträgtdiese Abschnitte in gerader Aufsteigung auf die Ekliptik und er-hält so zwölf annähernd gleich große Ekliptikteile. Diese Metho-de der «Zweistundenmeridiane» ist bis in die höchsten Breitenanwendbar. Doch ihr künstlicher Aszendent stimmt nur in ganzseltenen Fällen mit dem im Osten aufsteigenden Punkt derEkliptik überein. Damit entfällt das neben dem MC sicherstePrüfmittel der Richtigkeit. Die Lösung des Breitenproblems istdadurch erzielt, daß das Rotationssystem des Äquators von derEkliptik abgetrennt und verselbständigt wird, während Placidusversuchte, die Beziehung beider Bewegungskreise aufeinander,gesehen in dem für den Ort gültigen Koordinatensystem, herzu-stellen. - überhaupt nicht an Bewegung denkt die sog. äqualeManier, die den Aszendenten richtig berechnet und von ihm auseine gleichmäßige 12-Teilung der Ekliptik vornimmt. Als Gegen-stück zur Witte-Methode erhält man eine künstliche Himmels-mitte, die mit dem mathematischen MC nur in seltenen Fällenübereinstimmt. Eine der Versionen (Vehlow) teilt von den so er-mittelten Punkten, sie als «Häusermitten» betrachtend, nachrechts und links je 15 Grade ab und erhält damit «Häusergren-zen». Bei diesen äqualen Methoden handelt es sich um geometri-sche Konstruktionen, errichtet auf der Linie Aszendent-Deszendent; in analoger Weise wie Auf- und Untergang am Ho-rizont, können folgerichtig auch Meridian und Mondknotenlinie(s. «Nachlese») als Achsen eines Symmetriesystems dienen. Läßtman eine symbolische Geltung solcher Systeme und die Mög-lichkeit von Aussagen daraus offen (analog den gleichfalls aufgeometrischer Ekliptikteilung beruhenden sog. «symbolischenDirektionen»), so könnte dies für Ergänzungen herangeholt wer-

353

den. Verfehlt aber ist das Ausspielen eines Totalitätsanspruchsgegen das Horizont-Meridian-System. - Die Vertreter äqualerMethoden nennen ihr Verfahren gern «antike Manier» und beru-fen sich auf das kompilatorische, viele Mißverständnisse undUnklarheiten enthaltende Werk von Firmicus Maternus, der sichangeblich auf Ptolemäus stütze. In des letzteren «Tetrabiblos»finden wir eine Tagesstundenrechnung, die an die babylonischenDoppelstunden erinnert. Nach dem Übersetzer E. M. Winkel(«Tetrabiblos», Linser Verlag, Berlin-Pankow 1923) sind diese«Aufgangsstunden» des Ptolemäus als natürliche Sonnenstundenzu betrachten, man kann darin gewissermaßen den Vorläufer derplacidischen Methode sehen.