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Versicherungswirtschaft Heft 13/1999 926 Analysen . . . Berichte . . . Aufsätze Risikoaggregation mittels Monte-Carlo-Simulation Dr. Werner Gleißner, Günter Meier, Nürnberg I m Rahmen des Risikomanagements eines Un- ternehmens werden zunächst einzelne Risiken identifiziert und inventarisiert. Erforderlich ist an- schließend immer eine Aggregation – also Zu- sammenfassung – aller Risiken. In der Stellung- nahme des Instituts der deutschen Wirtschaft (IdW) zum KonTraG vom Oktober 1998 wird dazu folgendes ausgeführt: „Die Risikoanalyse beinhal- tet eine Beurteilung der Tragweite der erkannten Risiken in bezug auf Eintrittswahrscheinlichkeit und quantitative Auswirkungen. Hierzu gehört auch die Einschätzung, ob Einzelrisiken, die iso- liert betrachtet von nachrangiger Bedeutung sind, sich in ihrem Zusammenwirken oder durch Kumu- lation im Zeitablauf zu einem bestandsgefährden- den Risiko aggregieren können.“ Die ökonomische Bedeutung der Risikoaggrega- tion ist offensichtlich, weil sich alle Risiken letzt- endlich gemeinsam auf das Eigenkapital des Un- ternehmens auswirken. Risikoaggregation ist also nicht nur eine KonTraG-Anforderung, sondern vor allem eine Realität, auf die jedes sinnvolle Verfah- ren der Risikoanalyse und Risikobewertung Rück- sicht nehmen sollte. Von besonderer praktischer Bedeutung ist dabei die Kenntnis, welche Einzelri- siken (z. B. externen Störungen) maßgeblich die Gesamtrisikoposition beeinflussen. Mit dem Auf- zeigen der relativen Bedeutung einzelner Risiken (Sensitivitätsbetrachtung) wird die Basis für ge- zielte, klar priorisierte und aktive Risikomanage- mentmaßnahmen gelegt. Da jedoch die so wichtige Aggregation von Einzel- risiken methodisch relativ schwierig ist, wird sie in der Praxis des Risikomanagements oft vernach- lässigt oder zumindest mit ungeeigneten Metho- den „gelöst“. Nachfolgend ist daher ein wirksames Verfahren zur Aggregation von Risiken dargestellt: die Monte-Carlo-Simulation. Value-at-Risk als Risikomaß Um einzelne Risiken vergleichen zu können, sollte – soweit möglich – für alle Risiken ein objektives, einheitlich eingesetztes Bewertungs- oder Meß- verfahren angewendet werden. Häufig wird als ein solches Risikomaß nur der „Risikoerwartungs- wert“ angegeben, also das Produkt von „Abwei- chungsumfang“ (= „Schaden“) und der zugehöri- gen Eintrittswahrscheinlichkeit. Im allgemeinen verursachen Risiken aber im Fall des Eintretens nicht immer genau den gleichen Schaden, was die Ermittlung einer statistischen Verteilung der Schadenshöhen erforderlich macht. Beispielswei- se kann sich – mit unterschiedlichen Eintritts- wahrscheinlichkeiten – ein Absatzmarktrisiko durch einem Schaden in Form eines 1%igen, 2%igen oder auch 5%igen Marktpreisrückgangs manifestieren. Alternativ oder zumindest ergänzend kann man Risiken auch als sogenannten Value-at-Risk – eine Art „wahrscheinlicher Höchstschaden“ – messen. Der Value-at-Risk (VaR), der sich unmit- telbar aus einer Schadensverteilung ableiten läßt, ist dabei definiert als Schadenshöhe, die in einem bestimmten Zeitraum („Halteperiode“, z. B. ein Jahr) mit einer festgelegten Wahrscheinlichkeit („Konfidenzniveau“, z. B. 95%) nicht überschrit- ten wird. Formal gesehen ist ein VaR ein Quantil einer Wahrscheinlichkeitsverteilung. Während der Schadenserwartungswert nur Infor- mationen über die „durchschnittliche Ertragsbela- stung“ eines Risikos liefert, berücksichtigt der VaR explizit die – für KonTraG relevanten – Kon- sequenzen einer besonders ungünstigen Entwick- lung für das Unternehmen. Dieses kardinale, ein- deutige Risikomaß, das schon seit Jahren bei Kreditinstituten angewendet wird, ist daher vorzu- ziehen. Ein geeignetes Risikomaß alleine garantiert natür- lich noch keine möglichst exakte Beurteilung der Risikosituation eines Unternehmens. Die Qualität jeder Folgerung – natürlich auch die Aussagen zum Umfang der Unternehmensrisiken – hängt offensichtlich von der Qualität der Ausgangsdaten (Annahmen) ab. Grundsätzlich sind Ausgangsda- ten wünschenswert, die objektiv nachvollziehbar bzw. begründbar sind durch empirische Daten gestützt werden sowie möglichst geringe Unsicherheit („Varianz“) aufweisen und erwartungstreu sind. Wegen des Fehlens objektiver Daten muß leider in der Praxis häufig auf subjektive Einschätzungen fachkompetenter Experten zurückgegriffen wer- den. Diese Schätzungen erreichen jedoch eine zu- mindest akzeptable Datenqualität, wenn alle subjektiven Daten von den Experten disku- tiert und detailliert begründet und die Schätzungen möglichst nachträglich noch- mals auf Plausibilität geprüft werden. Die Verwendung subjektiver Daten im Rahmen des Risikomanagements ist grundsätzlich ge- rechtfertigt, wenn keine besseren Daten verfügbar sind, weil eine völlige Vernachlässigung nicht ob- Risiko Wahrschein- Schadens- Schadens- lichkeit höhe (Ertrag) stufe 1. Großkunden- 5 % 250 Mill DM 4 verlust 2. Haftpflicht- 10 % 50 Mill DM 3 schaden bei Kunden 3. Zusatzkosten 25 % 12 Mill DM 2 durch Maschi- nenausfall Tabelle 2 Identifizierte Risiken bei der Mustermann AG: Schadensstufe/ Tragweite Höhe 1 „gering“ 0-10 Mill DM 2 „mittel“ 10-40 Mill DM 3 „hoch“ 40-150 Mill DM 4 „existenzgefährdend“ 150-400 Mill DM 5 „tödlich“ 400 Mill DM Tabelle 1 Skala der Risikobewertung der Mustermann AG: jektiv bewertbarer Risiken meist zu einer größeren Fehleinschätzung der momentanen Risikositua- tion führt. Ergänzend zur Value-at-Risk-Analyse bietet es sich an, mittels Sensitivitätsanalysen und Worst-Case-Szenarien (Streßanalysen) die Kon- sequenzen extremer Störungen und Marktschwan- kungen abzuschätzen. Vernetzte Risikobetrachtung mittels Monte-Carlo-Simulation Das Risikoinventar ist eine bereinigte, kompri- mierte Zusammenfassung aller im Verlauf der Risikoanalyse identifizierten Einzelrisiken eines Unternehmens, bei der insbesondere Doppelzäh- lungen und Überschneidungen eliminiert wurden. Die nun anstehende Risikoaggregation ist metho- disch schwierig: (A) Beispielsweise zeigt sich, daß man – mögli- cherweise entgegen der intuitiven Vorstellung – nicht die möglichen Schäden zweier Risiken A und B, die jeweils eine 5%ige Eintrittswahrscheinlich- keit haben, bei der Aggregation addieren kann. Die Wahrscheinlichkeit des gemeinsamen Eintretens beider Risiken ist mit 0,25% nämlich in der Regel vernachlässigbar. Für die Risikobeurteilung inter- essanter ist damit das Szenario, daß A oder B eintritt. (B) Selbst wenn man von diesem Problem der Eintrittswahrscheinlichkeiten absieht, ergeben sich bei einer gelegentlich zu sehenden Addition von (ordinalen) Schadensstufen erhebliche Probleme, wie folgendes Beispiel belegt (Tabelle 1 und 2). Aggregiert man das zweite und das dritte Risiko durch Addition der Schadensstufen, also 3 und 2, ergibt sich für beide Risiken gemeinsam die Stufe

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Versicherungswirtschaft Heft 13/1999926

Analysen . . . Berichte . . . Aufsätze

Risikoaggregation mittelsMonte-Carlo-SimulationDr. Werner Gleißner, Günter Meier, Nürnberg

Im Rahmen des Risikomanagements eines Un-ternehmens werden zunächst einzelne Risiken

identifiziert und inventarisiert. Erforderlich ist an-schließend immer eine Aggregation – also Zu-sammenfassung – aller Risiken. In der Stellung-nahme des Instituts der deutschen Wirtschaft(IdW) zum KonTraG vom Oktober 1998 wird dazufolgendes ausgeführt: „Die Risikoanalyse beinhal-tet eine Beurteilung der Tragweite der erkanntenRisiken in bezug auf Eintrittswahrscheinlichkeitund quantitative Auswirkungen. Hierzu gehörtauch die Einschätzung, ob Einzelrisiken, die iso-liert betrachtet von nachrangiger Bedeutung sind,sich in ihrem Zusammenwirken oder durch Kumu-lation im Zeitablauf zu einem bestandsgefährden-den Risiko aggregieren können.“Die ökonomische Bedeutung der Risikoaggrega-tion ist offensichtlich, weil sich alle Risiken letzt-endlich gemeinsam auf das Eigenkapital des Un-ternehmens auswirken. Risikoaggregation ist alsonicht nur eine KonTraG-Anforderung, sondern vorallem eine Realität, auf die jedes sinnvolle Verfah-ren der Risikoanalyse und Risikobewertung Rück-sicht nehmen sollte. Von besonderer praktischerBedeutung ist dabei die Kenntnis, welche Einzelri-siken (z. B. externen Störungen) maßgeblich dieGesamtrisikoposition beeinflussen. Mit dem Auf-zeigen der relativen Bedeutung einzelner Risiken(Sensitivitätsbetrachtung) wird die Basis für ge-zielte, klar priorisierte und aktive Risikomanage-mentmaßnahmen gelegt.Da jedoch die so wichtige Aggregation von Einzel-risiken methodisch relativ schwierig ist, wird siein der Praxis des Risikomanagements oft vernach-lässigt oder zumindest mit ungeeigneten Metho-den „gelöst“. Nachfolgend ist daher ein wirksamesVerfahren zur Aggregation von Risiken dargestellt:die Monte-Carlo-Simulation.

Value-at-Risk als Risikomaß

Um einzelne Risiken vergleichen zu können, sollte– soweit möglich – für alle Risiken ein objektives,einheitlich eingesetztes Bewertungs- oder Meß-verfahren angewendet werden. Häufig wird als einsolches Risikomaß nur der „Risikoerwartungs-wert“ angegeben, also das Produkt von „Abwei-chungsumfang“ (= „Schaden“) und der zugehöri-gen Eintrittswahrscheinlichkeit. Im allgemeinenverursachen Risiken aber im Fall des Eintretens

nicht immer genau den gleichen Schaden, was dieErmittlung einer statistischen Verteilung derSchadenshöhen erforderlich macht. Beispielswei-se kann sich – mit unterschiedlichen Eintritts-wahrscheinlichkeiten – ein Absatzmarktrisikodurch einem Schaden in Form eines 1%igen,2%igen oder auch 5%igen Marktpreisrückgangsmanifestieren.Alternativ oder zumindest ergänzend kann manRisiken auch als sogenannten Value-at-Risk –eine Art „wahrscheinlicher Höchstschaden“ –messen. Der Value-at-Risk (VaR), der sich unmit-telbar aus einer Schadensverteilung ableiten läßt,ist dabei definiert als Schadenshöhe, die in einembestimmten Zeitraum („Halteperiode“, z. B. einJahr) mit einer festgelegten Wahrscheinlichkeit(„Konfidenzniveau“, z. B. 95%) nicht überschrit-ten wird. Formal gesehen ist ein VaR ein Quantileiner Wahrscheinlichkeitsverteilung.Während der Schadenserwartungswert nur Infor-mationen über die „durchschnittliche Ertragsbela-stung“ eines Risikos liefert, berücksichtigt derVaR explizit die – für KonTraG relevanten – Kon-sequenzen einer besonders ungünstigen Entwick-lung für das Unternehmen. Dieses kardinale, ein-deutige Risikomaß, das schon seit Jahren beiKreditinstituten angewendet wird, ist daher vorzu-ziehen.Ein geeignetes Risikomaß alleine garantiert natür-lich noch keine möglichst exakte Beurteilung derRisikosituation eines Unternehmens. Die Qualitätjeder Folgerung – natürlich auch die Aussagenzum Umfang der Unternehmensrisiken – hängtoffensichtlich von der Qualität der Ausgangsdaten(Annahmen) ab. Grundsätzlich sind Ausgangsda-ten wünschenswert, die● objektiv nachvollziehbar bzw. begründbar sind● durch empirische Daten gestützt werden sowie● möglichst geringe Unsicherheit („Varianz“)

aufweisen und erwartungstreu sind.Wegen des Fehlens objektiver Daten muß leider inder Praxis häufig auf subjektive Einschätzungenfachkompetenter Experten zurückgegriffen wer-den. Diese Schätzungen erreichen jedoch eine zu-mindest akzeptable Datenqualität, wenn● alle subjektiven Daten von den Experten disku-

tiert und detailliert begründet und● die Schätzungen möglichst nachträglich noch-

mals auf Plausibilität geprüft werden.Die Verwendung subjektiver Daten im Rahmendes Risikomanagements ist grundsätzlich ge-rechtfertigt, wenn keine besseren Daten verfügbarsind, weil eine völlige Vernachlässigung nicht ob-

Risiko Wahrschein- Schadens- Schadens-lichkeit höhe (Ertrag) stufe

1. Großkunden- 5 % 250 Mill DM 4 verlust

2. Haftpflicht- 10 % 50 Mill DM 3 schaden bei Kunden

3. Zusatzkosten 25 % 12 Mill DM 2 durch Maschi- nenausfall

Tabelle 2 Identifizierte Risiken bei der Mustermann AG:

Schadensstufe/ Tragweite Höhe 1 „gering“ 0-10 Mill DM 2 „mittel“ 10-40 Mill DM 3 „hoch“ 40-150 Mill DM 4 „existenzgefährdend“ 150-400 Mill DM 5 „tödlich“ � 400 Mill DM

Tabelle 1 Skala der Risikobewertung derMustermann AG:

jektiv bewertbarer Risiken meist zu einer größerenFehleinschätzung der momentanen Risikositua-tion führt. Ergänzend zur Value-at-Risk-Analysebietet es sich an, mittels Sensitivitätsanalysen undWorst-Case-Szenarien (Streßanalysen) die Kon-sequenzen extremer Störungen und Marktschwan-kungen abzuschätzen.

Vernetzte Risikobetrachtung mittelsMonte-Carlo-Simulation

Das Risikoinventar ist eine bereinigte, kompri-mierte Zusammenfassung aller im Verlauf derRisikoanalyse identifizierten Einzelrisiken einesUnternehmens, bei der insbesondere Doppelzäh-lungen und Überschneidungen eliminiert wurden.Die nun anstehende Risikoaggregation ist metho-disch schwierig:(A) Beispielsweise zeigt sich, daß man – mögli-cherweise entgegen der intuitiven Vorstellung –nicht die möglichen Schäden zweier Risiken A undB, die jeweils eine 5%ige Eintrittswahrscheinlich-keit haben, bei der Aggregation addieren kann. DieWahrscheinlichkeit des gemeinsamen Eintretensbeider Risiken ist mit 0,25% nämlich in der Regelvernachlässigbar. Für die Risikobeurteilung inter-essanter ist damit das Szenario, daß A oder Beintritt.(B) Selbst wenn man von diesem Problem derEintrittswahrscheinlichkeiten absieht, ergeben sichbei einer gelegentlich zu sehenden Addition von(ordinalen) Schadensstufen erhebliche Probleme,wie folgendes Beispiel belegt (Tabelle 1 und 2).Aggregiert man das zweite und das dritte Risikodurch Addition der Schadensstufen, also 3 und 2,ergibt sich für beide Risiken gemeinsam die Stufe

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Analysen . . . Berichte . . . Aufsätze

„5“, was eine „tödliche“ Bedrohung implizierenwürde. Dieses Ergebnis ist offensichtlich falsch;die Risiken zwei und drei würden bei gleichzeiti-gem Eintreten (2,5% Wahrscheinlichkeit) einenSchaden von 62 Mill DM verursachen, was immernoch nur der Schadensstufe 3 („hoch“) zuzuord-nen wäre. Für eine sinnvolle Risikoaggregationbenötigt man immer die kardinale Informationüber die Schadenshöhe; die Angabe von Scha-densklassen hat bestenfalls klassifizierende Be-deutung. Bei der Aggregation von Risiken ist alsodie Addition von Schadenshöhen – oder gar vonSchadensklassen – eine ungeeignete Methode.(C) Ein grundsätzliches Problem bei der Risikoag-gregation ergibt sich dadurch, daß man immer dieZusammenhänge (Abhängigkeiten) zwischen ver-schiedenen Risiken berücksichtigen muß. Die Be-schreibung der Zusammenhänge zwischen Risi-ken erfolgt mit Hilfe einer Korrelationsmatrix. EinePlausibilitätsprüfung einer erarbeiteten Korrela-tionsmatrix ist möglich, weil man grundsätzlichdavon ausgehen kann, daß Risiken positiv korre-liert sein müßten, wenn sie gemeinsame deter-minierende Ursachen aufweisen.Während vollständig korrelierte Risiken (Korrela-tion = 1) bei der Aggregation zu addieren sind,berechnet sich die Summe völlig unkorrelierterRisiken gemäß dem „Wurzel-Ansatz“: Gesamtri-siko = � (Summe der Einzelrisiken2).Eine Aggregation für andere Korrelationstypen istim allgemeinen sehr schwierig und nur mittelsSimulationsverfahren möglich. Bei dieser im all-gemeinen relativ komplizierten Aggregation derEinzelrisiken ergibt sich allerdings eine wesentli-che Vereinfachung dadurch, daß eine Vielzahl un-korrelierter Einzelrisiken sich aufgrund des Di-versifikationseffektes weitestgehend aufheben,sofern die Risiken eine ähnliche (kleine) Grö-ßenordnung haben. Solche „kleinen Risiken“müssen also nicht einzeln berücksichtigt werden.Grundsätzlich lassen sich somit die Risiken (unterSimulationsgesichtspunkten) in zwei Gruppen un-tergliedern:1. Einerseits beschreibt man Risiken durch

Schwankungen von (Markt-)Parametern (z. B.Absatzmenge) in denen sich eine Vielzahl vonEinzelstörungen� widerspiegeln, die nicht ge-trennt werden können („verteilungsorientierteRisiken“). Gemäß dem „Zentralen Grenzwert-satz“ konvergiert die Summe solcher Einzel-störungen gegen eine Normalverteilung.

2. Andererseits können Zielabweichungen auchdurch (größere) besondere einzelne Ereignissehervorgerufen werden („ereignisorientierte Ri-siken“), die sich meist nicht mit einer Normal-verteilung beschreiben lassen.

Ein Unternehmen ist einer Vielzahl von Risikenausgesetzt, die sich durch völlig unterschiedlicheSchadensverteilungen – z. B. Normalverteilungoder Binomialverteilung – und Wirkungen – z. B.

auf Umsatz oder auf Personalkosten – beschrei-ben lassen. Eine Aggregation der Risiken läßt sichbei dieser Komplexität nicht oder nur sehr schwermathematisch-analytisch exakt lösen. In der Rea-lität findet man häufiger solche komplizierten Pro-bleme. Eine Alternative zur analytischen Lösungist in solchen Fällen die Simulationstechnik. Manvereinfacht dabei die komplexe Realität durch einemöglichst realitätsnahe Modellbildung. Aus demVerhalten des Simulationsmodells kann manRückschlüsse auf das tatsächliche Verhalten zie-hen. Dazu verändert man Ausgangsparameter unduntersucht das Verhalten von Zielvariablen.Bei einer Monte-Carlo-Simulation werden durchZufallszahlen stochastische Stichproben erzeugt,wodurch die unbekannten Parameter, mit denendie Risiken beschrieben werden, durch Zufalls-größen bestimmt sind. Beispielsweise wird alsofür den Verkaufspreis eine Zufallszahl gesetzt, dieeiner – eventuell aus Daten der Vergangenheitabgeleiteten – Verteilung folgt.Zunächst kann man vereinfachend nur die Auswir-kungen der einzelnen Risiken auf die Gewinn- undVerlustrechnung (GuV) eines Jahres betrachten.Risiken sind dann Zielverfehlungen durch uner-wartete Schwankungen um die jeweiligen Plan-werte (Erwartungswerte) der GuV. Für die Monte-Carlo-Simulation wird zunächst ein Excel-Modellder GuV des Unternehmens aufgebaut. Die Wir-kungen der Einzelrisiken sind dabei möglichst denentsprechenden Posten der GuV zugeordnet. Kanneine derartige Zuordnung nicht eindeutig vorge-nommen werden, bietet es sich an, ein Risiko dem„außerordentlichen Ergebnis“ zuzuweisen.Bei der Risikoaggregation wird beispielsweise inunabhängigen Simulationsläufen eines Excel-Mo-dells insgesamt 5000 mal das Jahr 1999 „durch-gespielt“ und jeweils eine Ausprägung der GuV

berechnet. Dazu werden Zufallszahlen erzeugt, dieden Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu den ein-zelnen Risiken gehorchen. Mit diesen Zufallszah-len wird ermittelt,● welche konkrete Ausprägung bei den vertei-

lungsorientierten Risiken die entsprechendenMarkt-Parameter (also z. B. die Absatzpreise)haben und

● ob ein bestimmtes ereignisorientiertes Risikoinnerhalb eines der simulierten Jahre wirksamwurde und welche Schadenshöhe gegebenen-falls eingetreten ist.

Die so berechneten Realisationen der ereignisori-entierten Risiken und die Ausprägungen der Para-meter verteilungsorientierter Risiken werden ent-sprechend den Zusammenhängen in einer Ge-winn- und Verlustrechnung ausgewertet, wasletztendlich in jedem Simulationslauf zu einemWert für Betriebsergebnis, Gewinn vor Steuer undCash-Flow führt. Durch das Simulationsverfahrenwird somit die nicht oder nur sehr schwer lösbareAufgabe der analytischen Aggregation einer Viel-zahl unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsvertei-lungen durch eine mehrfache, beispielsweise5000fache, aber numerisch einfache Aggregationvon konkreten Ausprägungen der Wahrscheinlich-keitsverteilungen ersetzt.Aus den so ermittelten Realisationen für Betriebs-ergebnis, Gewinn vor Steuer und Cash-Flow erge-ben sich aggregierte Verteilungen dieser Zielva-riablen. Berechnet wird dann für diese Zielgrößen– außer dem Erwartungswert und dem Median –insbesondere als Risikomaß der Value-at-Risk,d. h. es wird angegeben, welche Werte dieserKennzahlen mit beispielsweise 95%iger Wahr-scheinlichkeit nicht unterschritten werden. Sowird eine „Bandbreite“ der wahrscheinlichen Un-ternehmensentwicklung ermittelt. Mit Hilfe einer

Grafik 1

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Analysen . . . Berichte . . . Aufsätze

solchen Simulation werden zudem die wesentli-chen Einflußfaktoren auf diese Gesamtrisikoposi-tion ausgewiesen.Die damit ermittelte Gesamtrisikoposition eines Un-ternehmens sollte unterhalb eines definierten, inAbhängigkeit des Eigenkapitals festzulegenden Le-vels – dem Risikolimit – liegen (vgl. Grafik 1 und 2).Wesentlich ist aber, daß eine abschließende Beur-teilung der Relevanz eines Risikos durch die Risi-kosimulation auf alleiniger Basis einer einjährigenGewinn- und Verlustrechnung nicht möglich ist,weil hierbei systematisch Risiken unterschätztbzw. vollständig vernachlässigt werden, die● erst nach dem Simulationsjahr zu Schäden

führen können oder● eine über das Simulationsjahr hinausgehende

anhaltende Wirkung aufweisen (z. B. anhalten-der Ertragsrückgang durch eine bleibendeSenkung der Marktpreise).

Beide Probleme lassen sich prinzipiell durch einSimulationsmodell mit einem Value-at-Risik be-zogen auf den Unternehmenswert lösen, was je-doch ein Unternehmensbewertungsmodell (meistein Discounted-Cash-Flow-Modell) erfordert.Entscheidend ist, daß neben den Risiken, die dieErtragssituation des aktuellen Geschäftsjahresmaßgeblich beeinflussen, auch solche Risiken indas organisierte Risikomanagementsystem einbe-zogen werden müssen, die eine langfristige odererst in fernerer Zukunft liegende wesentliche Wir-kung zeigen.

Ein einfaches Beispiel zurRisikosimulation

Die Anwendung der Monte-Carlo-Simulation sollnachfolgend durch ein sehr einfaches Beispielverdeutlicht werden. Die Stuttgarter Maschinen

AG, deren Gesamtrisikoumfang ermittelt werdensoll, zeigt folgende Ausgangssituation:Umsatz: 3,0 Mrd DM

davon (deutlich)größter Einzelkunde: 0,6 Mrd DM

Übliche Schwankungs- 4% (Standard-breite des Umsatzes: abweichung)Variable Kosten 1,5 Mrd DM, also(Materialkosten): 50% des UmsatzesGewinn: 0,1 Mill DMBilanzsumme: 2,0 Mrd DMEigenkapital: 0,4 Mrd DMIm Unternehmen wurden nur drei (ereignisorien-tierte) Risiken identifiziert, die in der folgendenTabelle 3 dargestellt sind1:

Risiko Wahrschein- Schadenshöhelichkeit (Ertrag)

Umsatzverlust 5% 300 Mill DM(insb. durchGroßkundenverlust)Imageschaden 10% 130 Mill DMdurchAbwasserproblemeZusatzkosten durch 25% 80 Mill DMMaschinenausfall

Tabelle 3

Quantil Gewinn 0,0% Minimum -622 2,5% -403 5,0% VaR(5%) -277 50,0% Median -27 95,0% 84 97,5% 107100,0% Maximum 217

Tabelle 4

Frequency Chart

,000

,009

,017

,026

,034

0

42,5

85

127,5

170

-350,00 -200,00 -50,00 100,00 250,00

5.000 Trials 177 Outliers

Forecast: Gewinn

Grafik 3

Grafik 2

Zu berücksichtigen ist, daß das Risiko „Großkun-denverlust“ zu den beiden anderen Risiken jeweilseine Korrelation von +0,5 aufweist, weil das Ein-treten eines dieser beiden Risiken, zu einer erhöh-ten Abwanderungswahrscheinlichkeit dieses Kun-den führt.Bei einer Risikobewertung wird ein Geschäftsjahrnun mittels Monte-Carlo-Simulation 5000 mal„durchgespielt“. Wie die obigen Angaben zeigen,wird dabei in 5% (= 250) aller Fälle (Jahre) zufäl-lig ein Großkundenverlust eintreten und jeweilseinen Schaden von 300 Mill DM verursachen. Diebeiden anderen Risiken werden entsprechend be-handelt. „Normale Absatzschwankungen“ werdendurch eine Normalverteilung mit einer aus denvergangenen Jahren ermittelten Standardabwei-chung von 4% dargestellt.In jedem der simulierten Geschäftsjahre ergibtsich ein bestimmter Gewinn, der davon abhängt,welche Risiken in welchem Umfang wirksam wur-den (Tabelle 4).

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Analysen . . . Berichte . . . Aufsätze

Diese Verteilungsfunktion des Gewinns (Grafik 3)weist ein arithmetisches Mittel von -48 Mill DMund eine Standardabweichung von 114 Mill DMauf. Nur in 5% der Fälle wird ein Verlust von 277Mill DM unterschritten, womit dieser Wert derValue-at-Risk ist.Eine einfache Sensitivitätsanalyse (s. Tabelle 5)zeigt, daß die Gewinnschwankungen stärker durch„übliche Absatzschwankungen“ als durch die dreianderen Risiken bestimmt werden; letztere beein-flussen aber – wie eine ergänzende Untersuchungzeigt – entscheidend den VaR.

Absatzmengenschwankung 55,9%* Maschinenausfall 19,8%* Großkundenverlust 13,6%* Image 10,6%

Tabelle 5 Target Forecast: Gewinn

* = Correlated assumption

Eine Vielzahl von Risiken bei einem Unternehmenzu identifizieren, ist eine relativ einfache Aufgabe.Anspruchsvoll ist dagegen die Systematisierungund insbesondere die Aggregation von Risiken,wenn man den Gesamtrisikoumfang eines Unter-nehmens – und seine wesentlichen Bestim-mungsfaktoren – fundiert beurteilen will. Hier istals sehr leistungsfähiges und flexibles Verfahrender Einsatz von Simulationsverfahren erforderlich,um die zusammengefaßten Wirkungen der Risikenauf Zielgrößen wie Gewinn, Cash-Flow oder Un-ternehmenswert aufzeigen zu können. Die hoheBedeutung einer fundierten Risikoanalyse für dasgesamte Risikomanagement und letztlich auch fürdie Unternehmensstrategie rechtfertigt den Einsatzsolcher etwas anspruchsvolleren, aber bewährtenMethoden.Die Autoren: Günter Meier ist Geschäftsführer, Dr. Wer-ner Gleißner Mitarbeiter der Günter Meier & Cie. Mana-gement GmbH & Co., Nürnberg.

Anmerkung

1 Häufig sind solche Risiken nur durch subjektiveSchätzungen bestimmbar. Auch dann ist jedoch derEinsatz von Simulationsmethoden zur Risikoaggre-gation sinnvoll. Denn auch „schlechte“ Ausgangs-daten werden durch den Einsatz „schlechter“ Aggre-gationsmethoden nicht besser.