Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen...

96
Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Mensch und Sicherheit Heft M 169 Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel

Transcript of Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen...

Page 1: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Berichte derBundesanstalt für Straßenwesen

Mensch und Sicherheit Heft M 169

Ber

icht

e d

er B

und

esan

stal

t fü

r S

traß

enw

esen

Hef

tM

169

ISSN 0943-9315ISBN 3-86509-303-5

Risikoanalysevon Massenunfällen

bei Nebel

Page 2: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Berichte derBundesanstalt für Straßenwesen

Risikoanalysevon Massenunfällen

bei Nebel

Mensch und Sicherheit Heft M 169

von

Günter DebusDieter Heller

Matthias WilleElisabeth DütschkeMatthias Normann

Lars Placke

Institut für Psychologie der RWTH Aachen

mit einem Beitrag von

Henning WallentowitzDirk Neunzig

Ahmed Benmimoun

Institut für Kraftfahrwesen der RWTH Aachen

Page 3: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Die Bundesanstalt für Straßenwesen veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs-ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihebesteht aus folgenden Unterreihen:

A - AllgemeinesB - Brücken- und IngenieurbauF - FahrzeugtechnikM- Mensch und SicherheitS - StraßenbauV - Verkehrstechnik

Es wird darauf hingewiesen, dass die unter dem Namen der Verfasser veröffentlichtenBerichte nicht in jedem Fall die Ansicht desHerausgebers wiedergeben.

Nachdruck und photomechanische Wieder-gabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmi-gung der Bundesanstalt für Straßenwesen, Referat Öffentlichkeitsarbeit.

Die Hefte der Schriftenreihe Berichte derBundesanstalt für Straßenwesen können direkt beim Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaft GmbH, Bgm.-Smidt-Str. 74-76, D-27568 Bremerhaven, Telefon (04 71) 9 45 44 - 0, bezogen werden.

Über die Forschungsergebnisse und ihre Veröffentlichungen wird in Kurzform imInformationsdienst BASt-Info berichtet.Dieser Dienst wird kostenlos abgegeben;Interessenten wenden sich bitte an dieBundesanstalt für Straßenwesen, Referat Öffentlichkeitsarbeit.

Impressum

Bericht zum Forschungsprojekt 82.108/1997:Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel

Projektbetreuung:Claudia Evers

Herausgeber:Bundesanstalt für StraßenwesenBrüderstraße 53, D-51427 Bergisch GladbachTelefon: (0 22 04) 43 - 0Telefax: (0 22 04) 43 - 674

Redaktion:Referat Öffentlichkeitsarbeit

Druck und Verlag:Wirtschaftsverlag NWVerlag für neue Wissenschaft GmbHPostfach 10 11 10, D-27511 BremerhavenTelefon: (04 71) 9 45 44 - 0Telefax: (04 71) 9 45 44 77Email: [email protected]: www.nw-verlag.de

ISSN 0943-9315ISBN 3-86509-303-5

Bergisch Gladbach, Juni 2005

Page 4: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Kurzfassung – Abstract

Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel

Ziel des Projektes war, die Bedeutung und Einord-nung sozialer Risikofaktoren für das Entstehen vonnebelbedingten Massenunfällen und deren Konse-quenzen für Präventionsmaßnahmen empirisch zuklären. Ausgangspunkt war die Hypothese, dasssich Fahrer im Nebel an der Fahrweise des voraus-fahrenden und nachfolgenden Fahrers (Sog-Druck-Hypothese) orientieren (SCHÖNBACH, 1996a,1996b). Die Hypothese wurde in einen breiteren Er-klärungsansatz für eine empirische Klärung inte-griert.

Nach einer Literaturanalyse wurden eine Serie vonSimulatoruntersuchungen, eine Datenerhebung ander Autobahn und eine Verkehrssimulation durch-geführt. In den Untersuchungen am Fahrsimulatorwurde das Fahrverhalten in Allein- und Folgefahr-ten unter verschiedenen Witterungsbedingungen(Klarsicht, mäßiger und starker Nebel) bei verschie-denen Geschwindigkeiten und Beschleunigungenuntersucht. Die an einer Autobahn-Messschleifeerhobenen Fahrdaten wurden für einen Vergleichvon Nebel- und Klarsichtbedingung organisiert undhinsichtlich Fahrgeschwindigkeit und -abstandanalysiert. Schließlich wurden Fahrparameter ausden eigenen Untersuchungen in ein Simulations-modell des Verkehrsflusses eingegeben und dieBedingungskonstellationen für das Auftreten vonUnfällen ermittelt (Beitrag von WALLENTOWITZ,NEUNZIG und BENMIMOUN, Institut für Kraftfahr-wesen der RWTH Aachen).

Die Ergebnisse stützen die „Sog-Druck“-Hypothe-se nach SCHÖNBACH nicht, sondern sprechen fürdie Annahme, dass das zu schnelle Fahren Folgegenereller Anpassungen des Fahrverhaltens anFahrbedingungen, wie Verkehr und Witterung, sind.Die Anpassungen sind hinsichtlich ihrer Sicher-heitsmarge nur unzureichend erfahrbar. Sowohl dieHöhe der Fahrgeschwindigkeit als auch das beiNebel verstärkte Oszillieren von Geschwindigkeitund Abstand in der Kolonne werden nur unzuläng-lich erkannt und deshalb zu Risikofaktoren, wie inder Verkehrssimulation gezeigt.

In einem Expertengespräch wurden die Befundehinsichtlich möglicher Schlussfolgerungen für Prä-ventivmaßnahmen bewertet.

Aus den im Forschungsprojekt gewonnenen Be-funden lassen sich Maßnahmenempfehlungen ab-leiten, die als Ausgangspunkt die Fahrweise untereingeschränkten Sichtbedingungen und deren Er-kennbarkeit (awareness) haben. Diese liegen imrechtlichen (StVO, StVZO), pädagogischen (z. B.Thematisierung der Fahrweise in der Kolonne),technischen (z. B. Fahrerassistenzsysteme) undstraßenseitigen Bereich (z. B. Markierungen).

Der Originalbericht enthält als Anhänge die Ergeb-nisniederschrift eines Expertengespräches (A), einePräsentation der Ergebnisse des Institutes für Psy-chologie der RWTH Aachen im Rahmen dieses Ex-pertengespräches (B), eine Präsentation der Er-gebnisse des Institutes für Kraftfahrwesen derRWTH Aachen im Rahmen dieses Expertenge-spräches (C) sowie zusätzliche Grafiken zu Kapitel6 „Verkehrssimulation“ (D). Auf die Wiedergabedieser Anhänge wurde in der vorliegenden Veröf-fentlichung verzichtet. Sie liegen bei der Bundes-anstalt für Straßenwesen vor und sind dort einseh-bar. Verweise auf die Anhänge wurden zur Informa-tion des Lesers im Berichtstext beibehalten.

Risk analysis of multiple crashes in fog

This project was intended to empirically determineand categorize the significance of social risk factors contributing to multiple crashes in fog, aswell as consequential requirements for preventivemeasures. The initial hypothesis was that drivers infog orient themselves toward the driving patternsof the preceding and succeeding automobiles(pull-push hypothesis, SCHÖNBACH, 1996a,1996b). This hypothesis was included in a broaderempirical examination.

A literature analysis was followed by a series of driving simulator tests, motorway data acquisitionand a traffic simulation. The driving simulator testsfocused on driving behaviour in lone as well as trailing vehicles under different weather conditions(clear visibility, moderate fog, heavy fog) at variousspeeds and accelerations. The motorway datameasured by means of an induction loop were organized for purpose of comparisons betweenclear-visibility and fog conditions, and analyzed interms of vehicle speed and spacing. Finally, the driving parameters ascertained during the

3

Page 5: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

independent investigations were fed to a trafficflow simulation model for determining the sets ofconditions under which accidents occur (report byWALLENTOWITZ, NEUNZIG and BENMIMOUN,Automotive Institute at the RWTH Aachen).

Instead of corroborating SCHÖNBACH's “pull-push“ hypothesis, the obtained results suggestthat overspeeding results from a generally inadequate adaptation of driving behaviour to driving conditions such as those related to trafficflow and weather. The safety tolerances of theseadaptations cannot be determined to a sufficientdegree of accuracy. Absolute travelling speed, aswell as speed fluctuations and clearances betweenvehicles in convoys in fog are not identified properly, thus giving rise to risk factors as indicatedby the traffic simulations.

A panel of experts discussed the findings to ascertain consequential requirements for preventive measures.

The findings obtained in the research project servefor an issue of recommendations for measuresbased on driving patterns in restricted visibility and related awareness levels. They fall into legal(road traffic and road worthiness regulations), educational (for example, convoy driving patterns),technical (for example, driver assistance systems)and road-specific categories (for example, markings).

Appendices to the original report include a recordof the outcome of a discussion by a panel of experts (A), a presentation to this panel of resultsobtained by the Institute of Psychology at theRWTH Aachen (B), a presentation to this panel ofresults obtained by the Automotive Institute at theRWTH Aachen (C) as well as additional diagramsrelated to Chapter 6 “Traffic Simulation” (D). The appendices do not accompany this publication.They are available for viewing at the Federal Highway Research Institute. References to the appendices have been retained in the report for thereader's information.

4

Page 6: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Inhalt

1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71.1.1 Massenunfälle bei Nebel und

Präventionsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . 71.1.2 Hypothesenprüfungen in Feld-

und Simulationsstudien . . . . . . . . . . . . . 81.1.3 Die Hypothese von SCHÖNBACH . . . . . 8

1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit . . . . 9

2 Literaturanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102.1 Befunde zum Fahren im Nebel . . . . . . . . 102.1.1 Daten zu Unfällen im Nebel . . . . . . . . . . 102.1.2 Fahrverhaltensparameter und

Nebelunfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112.1.3 Wahrnehmungs- und Motivations-

faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

2.2 Maßnahmen zur Vermeidung von Nebelunfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.2.1 Maßnahmen zur Verbesserung der Sichtbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.2.2 Maßnahmen in Form von Warnsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

2.2.3 Personenbezogene Maßnahmen . . . . . . 17

3 Vorstudien und Replikationen . . . . . . . 173.1 Vorstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173.1.1 Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183.1.2 Studie 1: Abstandsschätzungen . . . . . . 183.1.3 Studie 2: Nebelfahrten mit freier

Geschwindigkeitswahl . . . . . . . . . . . . . . 193.1.4 Studie 3: Sichteinschränkungen

durch Nebel vs. Straßen-topografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

3.1.5 Studie 4: Sichteinschränkung durch Nebel und Abstand zum Vordermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

3.2 Replikationsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . 213.2.1 Das Simulationsexperiment von

SNOWDEN et al. (1998) . . . . . . . . . . . . . 213.2.2 Replikationsstudie 1: „Bildschirm:

Unstrukturierte Landschaft mit Seitenpfosten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

3.2.3 Replikationsstudie 2: „Bildschirm: Unstrukturierte Landschaft ohne Seitenpfosten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

3.2.4 Replikationsstudie 3: „Bildschirm: Strukturierte Landschaft“ . . . . . . . . . . . . 22

3.2.5 Replikationsstudie 4:„Fahrsimulator“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.2.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

4 Modelluntersuchungen 1-3 . . . . . . . . . 244.1 Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244.1.1 Theoretischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . 244.1.2 Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254.1.3 Untersuchungsmethode . . . . . . . . . . . . . 25

4.2 Modelluntersuchung 1 . . . . . . . . . . . . . . 264.2.1 Versuchsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264.2.2 Durchführung und Auswertung . . . . . . . 274.2.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274.2.4 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

4.3 Modelluntersuchung 2 . . . . . . . . . . . . . . 314.3.1 Versuchsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314.3.2 Durchführung und Auswertung . . . . . . . 324.3.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334.3.4 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

4.4 Modelluntersuchung 3 . . . . . . . . . . . . . . 404.4.1 Versuchsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404.4.2 Durchführung und Auswertung . . . . . . . 414.4.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414.4.4 Oszillationen im Fahrverhalten . . . . . . . . 484.4.5 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

5 Analyse von Autobahndaten . . . . . . . . 515.1 Reanalyse der Daten von

RICHTER und SCHLAG . . . . . . . . . . . . . 515.1.1 Der Datensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525.1.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525.1.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

5.2 Eigene Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585.2.1 Umsetzung der Datenerhebung . . . . . . . 585.2.2 Nebelereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595.2.3 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

6 Verkehrssimulation der gewonnenen Daten in PELOPS . . . . . . 66

6.1 Einleitung und Aufgabenstellung . . . . . . 66

6.2 Modell des Fahrerverhaltens im Nebel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

6.2.1 Das Verkehrssimulationsprogramm PELOPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

6.2.2 Nebelmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706.2.3 Verkehrliche Wirkung des Fahrer-

verhaltens bei verkürzter Sichtweite . . . 74

5

Page 7: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

6.2.4 Szenario Spurwegfall auf der Autobahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

6.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

7 Schlussfolgerungen und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

7.1 Stellungnahme zur SCHÖNBACH-Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

7.1.1 Die Befundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817.1.2 Der Untersuchungsplan . . . . . . . . . . . . . 837.1.3 Simulator- und Realdaten . . . . . . . . . . . . 847.1.4 Verkehrssimulation . . . . . . . . . . . . . . . . . 867.2 Alternativ-Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . 867.2.1 Fehleinschätzung der Fahr-

geschwindigkeit bei Nebel . . . . . . . . . . . 867.2.2 Generelle sichtbezogene Fehl-

anpassung der Geschwindigkeit . . . . . . 877.2.3 Generelle kolonnenbezogene

Fehlanpassung der Fahrge-schwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

7.2.4 Oszillation der Fahrgeschwindigkeitbei Sichtbehinderung . . . . . . . . . . . . . . . 88

7.2.5 Fahrertypbezogenes Fehlverhalten . . . . 88

7.3 Bedingungsfaktoren von Massen-unfällen bei Nebel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

7.3.1 Erklärungsmuster für das Fehlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

7.3.2 Erklärungsansatz zur Entstehung von Massenunfällen im Nebel . . . . . . . . 90

7.3.3 Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

7.4 Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 907.4.1 Ausgangspunkt und Zielsetzung . . . . . . 907.4.2 Optionen und Empfehlungen für

Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 917.4.3 Maßnahmenbewertung . . . . . . . . . . . . . . 92

8 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

6

Page 8: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

1 Einführung

1.1 Einleitung

1.1.1 Massenunfälle bei Nebel und Präven-tionsmaßnahmen

Massenunfälle bei Nebel sind Ereignisse, die immerwieder auftreten. Die Überraschung durch eineplötzliche Nebelbank mag eine plausible Erklärungfür das scheinbar Unvermeidbare sein. Doch wei-sen die Berichte auch Unfälle beim Fahren imNebel aus. Hierfür werden überhöhte Geschwin-digkeit und zu geringer Sicherheitsabstand beimFahren im Nebel als wesentliche Ursache verant-wortlich gemacht. Wird ein Unfall ausgelöst,kommt es – zumindest der öffentlichen Berichter-stattung zufolge – zu Massenkarambolagen. DasBilden von unangemessen dichten Fahrzeugkolon-nen scheint dafür eine wesentliche Ausgangsbe-dingung zu sein.

Das Risiko eines Unfalls im Nebel sollte – und ist eswahrscheinlich auch – jedem Fahrer bewusst sein,ist ihm doch Absatz 1 des Paragraphen 3 der Stra-ßenverkehrsordnung (StVO, § 3 (1)) bekannt: „DerFahrzeugführer darf nur so schnell fahren, dass ersein Fahrzeug ständig beherrscht. Er hat die Ge-schwindigkeit insbesondere den Straßenverhältnis-sen sowie seinen persönlichen Fähigkeiten undden Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung an-zupassen. Beträgt die Sichtweite durch Nebel,Schneefall oder Regen weniger als 50 m, so darf ernicht schneller als 50 km fahren, wenn nicht einegeringere Geschwindigkeit geboten ist. Er darf nurso schnell fahren, dass er innerhalb der überseh-baren Strecke halten kann.“

Auch ist davon auszugehen, dass die meisten Fah-rer die Aussagen des § 17 (3) StVO kennen: „Be-hindert Nebel, Schneefall oder starker Regen dieSicht erheblich, dann ist auch am Tag mit Abblend-licht zu fahren. Nur bei solcher Witterung dürfenNebelscheinwerfer eingeschaltet werden [...]. Ne-belschlussleuchten dürfen nur dann benutzt wer-den, wenn durch Nebel die Sichtweite weniger als50 m beträgt.“

Neben der allgemeinen Kenntnis der StVO – zu-mindest in diesen Punkten – bringen die Fahrerweiteres Wissen aus der Fahrschule mit. Die Lehr-mittel (z. B. Degener Lehrmittel GmbH Hannover)gehen explizit auf Unfallgefahr bei Nebel ein. Eswird hervorgehoben gewarnt: Unfälle enden ofttödlich. Verwiesen wird auf Nebelfallen: Flussläufe,

Seen, Moorgebiete, feuchte Wiesen und Talsenken.Konkrete Handlungsanweisungen werden gege-ben:

- Abblendlicht frühzeitig einschalten (Nebel-scheinwerfer/-schlussleuchten nach Vorschriftnutzen),

- Sicht nur 50 m = nicht schneller als 50 km/h(noch weniger Sicht = noch langsamer),

- mehr Abstand, nicht „anhängen“,

- besser nicht überholen, Verbote beachten,

- nicht auf der Mittellinie fahren.

- Bei Zwischenfällen keine Zeit verlieren:

· wenn möglich, runter von der Fahrbahn,

· raus aus dem Fahrzeug (Vorsicht!),

· schutz suchen, z. B. hinter die Leitplanke,

· herankommenden Verkehr warnen.

Die über die Fahrschulen vermittelten Instruktionenwerden durch Medien bei gegebenen Anlässen re-gelmäßig wiederholt. In solchen Warnungen wer-den über Handlungsanweisungen hinaus nochplausible Erklärungen für falsches Verhalten ange-boten. So warnt der Automobil-Club Verkehr (ACV)in seiner Mitgliederzeitschrift vor der dunklen Jah-reszeit und beschreibt, dass vor allem auf Auto-bahnen Nebelunfälle oft folgenschwer in einerMassenkarambolage enden. Fast immer seien zuhohes Tempo und zu geringer Abstand die Ursa-chen. Der Grund: Es entstehe ein „Mitzieheffekt”,weil sich die Autofahrer an den Rücklichtern desVordermanns orientierten. Weil die Hintermännermeinen, genug zu sehen, beginnen sie zu drängeln.Die Vorherfahrenden werden schneller. Das Tempowächst. Dabei wissen Nebelfahrer meist gar nicht,wie schnell sie tatsächlich sind. Mit der reduziertenSicht auf die Umwelt gehe nicht nur die Orientie-rung verloren, der Fahrer verliere auch das Gefühlfür die Geschwindigkeit des Wagens. Auch er-scheint im dichten Nebel das vorausfahrende Autoweiter weg, als es wirklich ist.

Auch im Internet findet der Fahrer Beratung zumVerhalten bei Nebel, zum Beispiel (www.rheinische-post. de):

„Bei Nebel grundsätzlich Tempo drosseln und Ab-stand halten. Der Sicherheitsabstand zum Vorder-mann sollte im Normalfall der Sichtweite entspre-chen. So kann man rechtzeitig reagieren, wenn ein

7

Page 9: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

vorausfahrendes Fahrzeug plötzlich verzögert odergar auf ein Hindernis auffährt. Außerdem bestehtso die Möglichkeit, zu dichtes Auffahren Nachfol-gender auszugleichen. Bei Nebel unbedingt dasAbblendlicht einschalten, die Nebelschlussleuchtejedoch erst bei Sichtweiten unter 50 Metern. Sonstkönnen nachfolgende Verkehrsteilnehmer geblen-det werden.“

Meldungen über Massenunfälle bei Nebel werdenin den Medien genutzt, um den Fahrer über ange-messenes Fahren bei Nebel zu informieren. Den-noch scheint der Erfolg auszubleiben.

Wenn Kolonnenbildungen bei Nebel zu einem typi-schen Phänomen gehören, dann sollte man anneh-men, dass einige Fahrer als Schrittmacher dieNebel-bezogenen Handlungsanweisungen umset-zen und so andere Fahrer zu ähnlichem Verhaltenveranlassen und sich dadurch ein homogenes Ko-lonnenverhalten einstellt: Verlangsamung, größereAbstandswahrung, Einschalten des Abblendlichtsund der Nebelschlussleuchte (unter 50 m Sichtwei-te). Für das Einschalten der Beleuchtung – als dis-krete Handlung – scheint dies zu funktionieren.Problematisch scheint die angemessene Umset-zung für die Geschwindigkeits- und Abstandsregu-lation – als Handlungsprozess – zu sein.

Unterstellt wird bei den Handlungsanweisungen,dass der Fahrer kognitiv in der Lage ist, die Hand-lungsanweisungen so zu befolgen, wie sie konzi-piert sind: die Sichtweite zutreffend bestimmen, dieeigene Fahrgeschwindigkeit und den Abstand zumVordermann zutreffend einschätzen, die Beschleu-nigung und Verzögerung im Kontext des voraus-fahrenden und nachfolgenden Fahrzeugs ange-messen wahrnehmen. Auch wird unterstellt, dassder Fahrer rational die richtigen Zuschreibungenvornimmt, wer sich beim Fahren in der Kolonnewann wie warum verhält.

Welche wissenschaftlichen Belege gibt es für dievorgenannten Annahmen? Festzustellen ist, dassErkenntnisse über Bedingungen und Wirkmecha-nismen des Fahrverhaltens im Nebel noch wenigsystematisch und valide untersucht wurden. Dasliegt in erster Linie an methodischen Schwächender bislang angewandten Untersuchungsmetho-den.

1.1.2 Hypothesenprüfungen in Feld- und Simulationsstudien

In Feldstudien ist man darauf angewiesen, auf zu-fällig auftretende Nebelereignisse zu warten, waszu relativ langen Untersuchungszeiträumen führt,in deren wenigen Nebelphasen selten ähnlicheSichtbedingungen, geschweige denn vergleichbareRandbedingungen, wie Verkehrsaufkommen,Tages- und Wochenzeit oder Lichtverhältnisse,herrschen. Daher sind die Ergebnisse solcher Stu-dien auch untereinander kaum zu vergleichen.Über Messschleifen an Straßen registrierte Para-meter des Fahrens sind punktuell gemessene Ge-schwindigkeiten und Abstände der Fahrzeuge.Kontinuierliche Erhebungen dieser Parameter füreinzelne Fahrzeuge zur Beschreibung der Fahran-passungen im Nebel und im jeweiligen Verkehrsge-schehen liegen nicht vor. Einheitliche und allgemeingültige Schlussfolgerungen und Maßnahmeemp-fehlungen existieren somit kaum bzw. gehen mehroder weniger von der allgemeinen Aussage aus:„Im Nebel wird zu schnell gefahren und der Ab-stand zum vorausfahrenden Fahrzeug ist zu ge-ring.“ Darüber hinausgehende Erklärungsmodellefür ein solches Fehlverhalten zahlreicher Autofahrersind empirisch bisher kaum untersucht.

Die wenigen bisher existierenden Simulatorstudienzum Fahren im Nebel versuchen ansatzweise, dasFehlverhalten unter kontrollierten Bedingungen zuuntersuchen. Die Simulationstechnik erreichte abererst in den letzten Jahren ein Niveau, das eine rea-litätsgetreue Darstellung von Nebel und entspre-chenden Fahrsituationen erlaubt. Die Zukunft derForschung zum Fahren im Nebel liegt sicherlich inentsprechenden Simulationsparadigmen, in denenreales Fahrverhalten bei konstanten bzw. kontrol-lierten Nebel- und Sichtbedingungen und ver-gleichbaren Randbedingungen systematisch ana-lysiert werden kann. Nur so können tief greifendereErklärungsmodelle zum Verstehen des Fahr- undFehlverhaltens im Nebel entwickelt und überprüftwerden.

1.1.3 Die Hypothese von SCHÖNBACH

Unter der Perspektive kontrollierter experimentellerUntersuchungsmöglichkeiten mittels eines Fahrsi-mulators gewann ein Erklärungsansatz vonSCHÖNBACH (1996a) Bedeutung. SCHÖNBACHnimmt – bestärkt durch Befragungsdaten – an,dass unangemessenes Fahren bei Nebel außer aufperzeptive Faktoren vor allem auf unbewusst ab-

8

Page 10: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

laufende Prozesse, die die Interaktion eines Fah-rers mit dem vorausfahrenden und nachfolgendenFahrer („Druck-Sog“-Hypothese) betreffen, zurück-zuführen ist. Seiner Hypothese zufolge verhinderndie weit gehend unbewusst ablaufenden Prozessedie angemessene Umsetzung der Handlungsan-weisungen bei Nebel, nämlich hinreichend die Ge-schwindigkeit zu reduzieren und hinreichend Ab-stand zu halten. SCHÖNBACH schlug Untersu-chungen zu „sozialen Risikofaktoren bei Nebelfahr-ten“ vor und machte „Vorschläge für sachdienlicheUntersuchungen mit einem Fahrsimulator“(SCHÖNBACH, 1996b, unveröffentlichtes Exposé).Die Anregung wurde von der Bundesanstalt fürStraßenwesen aufgegriffen und ein Projekt zur „Ri-sikoanalyse für Massenunfälle bei Nebel“ mit fol-gender Erläuterung ausgeschrieben: „Vor dem Hin-tergrund sozialpsychologischer Theorien (Theoriesozialer Vergleichsprozesse und Reaktanztheorie)sind universitäre Untersuchungen mit Unterstüt-zung der Deutschen Forschungsgemeinschaft(DFG) zu einer in sich stimmigen Erklärung für dasZustandekommen des Massenunfalls bei Nebelund seiner Voraussetzungen gekommen, die sich –vereinfachend – aus der psychologischen Beein-flussung des Fahrers durch den vorausgehendenVerkehr (erlebter Sog) und nachfolgendem Verkehr(erlebter Druck) ergibt. Die Ergebnisse dieser Arbeitgilt es zu überprüfen und für die praktische Ver-kehrssicherheit nutzbar zu machen“ (Ausschrei-bung FE 82.108/1997).

1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

Es ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, dieSCHÖNBACH-Hypothese zugleich anhand vonFahrsimulator- und Realdaten zu überprüfen. In derUntersuchungsplanung folgen wir jedoch nichtausschließlich den Vorschlägen von SCHÖNBACH(1996, unveröffentlichtes Exposé), sondern bezie-hen in unsere Untersuchungspläne weitere Er-klärungsansätze ein. So werden nicht nur Vorher-sagen aus sozialpsychologischen Konzepten, son-dern auch allgemein psychologische Annahmenbei der Versuchsplanung berücksichtigt. Auch liegtder Schwerpunkt der Untersuchungen auf der Ana-lyse der Bedingungsfaktoren von Nebelunfällenund nicht auf der Evaluation von Maßnahmen.Beide Ziele in einem Projekt umzusetzen, wie vonSCHÖNBACH angedacht, würde das Projekt über-frachten. Die Zielsetzung ist jedoch, die SCHÖN-BACH-Hypothese so zu prüfen, dass geeignete

Ansätze für präventive Maßnahmen aufgezeigtwerden können. Grundlage dafür ist die hypothe-sengeleitete systematische Untersuchung desFahrverhaltens und die modellbasierte Vorhersagevon Unfällen auf der Basis des beobachteten Fahr-verhaltens.

Die Arbeit gliedert sich in folgende Kapitel: Nachder Einleitung (Kapitel 1) werden zunächst diewichtigsten Befunde aus der Unfallstatistik referiertund anschließend in einem Literaturüberblick die inder Literatur zurzeit diskutierten Erkenntnisse undModelle zum Fahren im Nebel dargestellt (Kapitel2). Es werden die wichtigsten Erklärungsansätzebesprochen und die bisher existierenden Maßnah-meempfehlungen kritisch gewürdigt. Dabei wirdauf den sozial-psychologischen Ansatz der Druck-und Sog-Hypothese von SCHÖNBACH (1996a und1996b) hier nur insoweit eingegangen, wie es fürdie Verhaltensvorhersage erforderlich ist. Da diesozial-kognitionspsychologischen Annahmenselbst nicht explizit geprüft werden, wird auf ihreDarstellung verzichtet.

Der empirische Teil beginnt mit dem Bericht übereine Reihe von Vorstudien (Kapitel 3), durch dieeine empirische Vorklärung zur Gestaltung der Si-mulationsanordnung vorgenommen wird. Esschließt sich der erste zentrale empirische Teil zuden Fahrsimulationsuntersuchungen an (Kapitel 4),im dem drei Experimente berichtet werden. Darauffolgt der zweite zentrale empirische Teil (Kapitel 5)mit einer Reanalyse der umfangreichen Feldstudiezum Fahren im Nebel von RICHTER und SCHLAG(1997, siehe auch RICHTER, 2002) sowie der Ana-lyse einer eigenen Datenerhebung an der Bundes-autobahn.

An den empirischen Teil (Kapitel 3-5) schließt sicheine Verkehrssimulation (Kapitel 6) an, in der einecomputergestützte Simulation des Verkehrsflussesmit Eingabe der im empirischen Teil gewonnenenDaten zur Vorhersage des Auftretens von Unfällenim Nebel durchgeführt wird.

Schließlich werden abschließend die Befunde be-züglich der Schlussfolgerungen und Maßnahme-empfehlungen diskutiert sowie das Ergebnis einerExpertenrunde zur Entwicklung von Präventions-maßnahmen zusammengefasst (Kapitel 7).

9

Page 11: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

2 Literaturanalyse

2.1 Befunde zum Fahren im Nebel

2.1.1 Daten zu Unfällen im Nebel

Unfälle, bei denen Nebel als Ursache genannt wird,stellen entgegen der öffentlichen Wahrnehmungzahlenmäßig nur einen sehr kleinen Anteil aller po-lizeilich erfassten Unfälle dar – der Prozentsatz vonso genannten Nebelunfällen lag in den Jahren 1995bis 2001 bei maximal 0,21 %. Die Bedeutung vonNebelunfällen in der Unfallprävention ergibt sich je-doch daraus, dass Unfälle mit der Ursache Nebelhäufig besonders schwere Unfälle sind. Das zeigtsich daran, dass bei Nebelunfällen mehr Personengetötet oder schwer verletzt werden als bei Unfäl-len mit anderen Ursachen. Während beispielsweiseUnfälle mit der Ursache Nebel im Jahr 1999 nur0,13 % von allen Unfällen mit Personenschadenausmachten, kamen 0,31 % aller Getöteten ineinem Nebelunfall um (LERNER, 2002).

Die Statistik zeigt seit 1995 insgesamt einen Rück-gang der absoluten Zahl von Nebelunfällen. Es zei-gen sich aber starke Schwankungen, die auch aufder jeweiligen Nebelhäufigkeit in den einzelnenJahren beruhen. Gleich bleibend ist jedoch die be-sondere Gefährlichkeit von Nebelunfällen, die sichin den vergleichsweise hohen Anteilen Getöteterund schwer Verletzter zeigt (LERNER, 2002).

Weiterhin unterscheiden sich Nebelunfälle von Un-fällen anderer Art auch dahingehend, dass sie sichzu zwei Dritteln außerorts (ohne Autobahn) ereig-nen, nur zu 20 % innerorts und zu 15 % auf Auto-bahnen. Für alle anderen Unfallursachen liegen die

Anteile insgesamt bei knapp zwei Dritteln innerortsund einem knappen Drittel außerorts, 8 % auf Au-tobahnen (LERNER, 2002).

Trotz der starken öffentlichen Wahrnehmung vonMassenunfällen ist der Anteil von Alleinunfällen – ohne weitere Unfallbeteiligte – mit 30 % bei Nebeldeutlich höher gegenüber 20 % ohne Nebel. Wennweitere Personen am Unfall beteiligt sind, dann istdie Anzahl unter Nebel etwas höher als unter Klar-sicht: Während es bei 16 % der Nebelunfälle mehrals zwei Beteiligte gibt, liegt der Prozentsatz beianderen Unfällen nur bei 10 % (Angaben für dieJahre 1995-1999 nach LERNER, 2002; alle Ten-denzen stimmen mit den Angaben des Statisti-schen Bundesamtes, 2003, zu den Jahren 2000und 2001 überein).

Die zeitliche Verteilung von Nebelunfällen hängt di-rekt mit dem zeitlichen Auftreten von Nebel zusam-men. Jahreszeitlich treten Nebelunfälle vorwiegendin den Herbst- und Wintermonaten auf. Die tages-zeitliche Häufung liegt in den Morgenstunden zwi-schen 5 und 9 Uhr – im Zusammenhang mit typi-schem Frühnebel und Berufsverkehr.

Bei der Erfassung von Unfällen wird nach Art derersten Kollision der Unfalltyp festgehalten. Bei Ne-bel ereignen sich typischerweise so genannte Fahrunfälle (rund 40 %), bei denen der Fahrer dieKontrolle über das Fahrzeug verliert ohne eine Be-teiligung eines anderen Verkehrsteilnehmers. Ty-pisch sind jedoch auch das Abkommen von derFahrbahn im Nebel (ca. ein Drittel) oder Konfliktemit anderen Verkehrsteilnehmern im Längsverkehr(d. h. ein Fahrzeug, das sich in gleicher oder ent-gegengesetzter Richtung bewegt, Anteil ca. 30 %).

10

Tab. 1: Nebelunfälle mit Personenschaden und Verunglückte bei Nebelunfällen sowie deren Anteil an allen Unfällen mit Personen-schaden bzw. allen Verunglückten von 1995-2002 (LERNER, 2002)

Jahr

Nebelunfälle mit

Personen-schaden

Verunglückte bei Nebelunfällen Anteil in % an allen Unfällen mit

Getöteteschwer

Verletzteleicht

VerletztePersonen-schaden

Getötetenschwer

Verletztenleicht

Verletzten

1995 648 44 307 695 0,17 0,47 0,25 0,18

1996 791 49 427 819 0,21 0,56 0,37 0,22

1997 704 35 375 766 0,18 0,41 0,32 0,20

1998 418 24 233 457 0,11 0,31 0,21 0,12

1999 500 24 255 500 0,13 0,31 0,23 0,12

2000 488 28 222 588 0,13 0,37 0,22 0,15

2001 464 30 209 518 0,12 0,43 0,22 0,13

2002 399

Page 12: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Hauptverursacher von Nebelunfällen sind mit 80 %Pkw-Fahrer, was deutlich über dem entsprechen-den Anteil bei Unfällen ohne Nebel liegt. Als typi-sche Ursache des Unfalls auf Seiten des Fahrersliegt in der Regel unangepasstes Fahrverhalten vor:zu hohe Geschwindigkeiten (60 %), Überholenoder unangemessener Abstand (zusammen 10 %)(LERNER, 2002).

Das Problem überhöhter Geschwindigkeiten alsnebeltypische Unfallursache ebenso wie die auffal-lend vielen Beteiligten zeigen sich auch in Statisti-ken der BASt in einer Strukturuntersuchung zumUnfallgeschehen auf Autobahnen (KÜHNEN,BRÜHNING, SCHEPERS, SCHMID, 1995). In Ne-belunfälle auf Autobahnen waren in den Jahren1991/92 (nur alte Bundesländer) mit 4,3 Beteiligtenpro Unfall fast doppelt so viele Verkehrsteilnehmerverwickelt als im Durchschnitt aller Autobahnunfäl-le mit schwerem Personenschaden (2,2 Beteiligte).Auf unangepasste Geschwindigkeit gehen lautStrukturuntersuchung bei Nebel 74 % aller Unfälle,die von Pkw verursacht werden, zurück, insgesamtsind dies jedoch unter 50 % (Daten aus den altenBundesländern, 1991/92).

Genauere Angaben zu der Entstehung von Nebel-unfällen lassen sich aus den existierenden Statisti-ken nicht ableiten, da die Erfassung von Unfällenstark vereinfacht erfolgt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bri-sanz von Nebelunfällen sich nicht aus ihrer absolu-ten Häufigkeit ergibt, sondern aus ihrer besonderenUnfallschwere entsteht. Der typische Nebelunfallereignet sich in herbstlichen oder winterlichen Mor-genstunden, in der Regel außerorts oder auch aufder Autobahn. Auslöser ist eine zu hohe Geschwin-digkeit oder ein zu geringer Abstand, sodass derFahrer entweder von der Fahrbahn abkommt oderin Konflikt mit mehreren anderen Verkehrsteilneh-mern gerät, die in gleicher oder in entgegengesetz-ter Richtung unterwegs sind.

Eine Forschung, die auf die Prävention von Nebel-unfällen abzielt, hat sich somit damit zu beschäfti-gen, weshalb und inwiefern bei Nebel unangepasstgefahren wird und wie genau aus diesem Fahrver-halten heraus typischerweise ein Unfall entsteht.

2.1.2 Fahrverhaltensparameter und Nebel-unfälle

Erklärungsmodelle und Untersuchungen zum Fah-ren im Nebel und zur Entstehung von Unfällen im

Nebel betrachten vornehmlich relativ einfach zu-gängliche Parameter des Fahrverhaltens, wie Ge-schwindigkeit, Abstand und Zeitlücke. Weniger zu-gängliche Parameter betreffen die Regulation desFahrverhaltens, wie Beschleunigungs- und Verzö-gerungsparameter.

Geschwindigkeitsverhalten

Nicht angepasste Geschwindigkeit wird von vielenals die Hauptursache von Unfällen im Nebel ange-sehen. 60 % der Nebelunfälle von Pkw sollen da-rauf zurückzuführen sein (vgl. LERNER, 2002). DieBetrachtung der gefahrenen Geschwindigkeitenbei unterschiedlichen Sicht- und Fahrbedingungenist daher von zentraler Bedeutung für die Konzep-tion eines geeigneten Untersuchungsparadigmas.

In seiner umfangreichen, oft zitierten Studie zumVerkehrsverhalten auf Autobahnen bei einge-schränkter Sicht kommt HAWKINS (1988) zu demSchluss, dass die mittlere Geschwindigkeit die sicham deutlichsten ändernde Variable unter den ver-schiedenen Wetterbedingungen ist. Ein Geschwin-digkeitsrückgang setzt nach HAWKINS bereits beieiner Sichtweite von ungefähr 300 m ein. Wenn dieSichtweite nur noch etwa 100 m beträgt, reduzie-ren sich die Geschwindigkeiten auf allen Fahrstrei-fen um 25 % bis 30 %. Auch die Standardabwei-chungen der gefahrenen Geschwindigkeiten redu-zieren sich mit abnehmender Sichtweite. Dennochbleiben die reduzierten Geschwindigkeiten deutlichüber den entsprechenden empfohlenen Richtge-schwindigkeiten.

SHEPARD (1996) führte eine Metastudie zu redu-zierter Sicht unter Nebelbedingungen auf Autobah-nen durch. Eine signifikante Verringerung der Ge-schwindigkeit gibt es seiner Analyse nach erst,wenn die Sichtweite unter 150 m liegt.

In einer Feldstudie auf britischen Autobahnen un-tersuchte EDWARDS (1999) unterschiedliche Ein-flussfaktoren auf die Fahrgeschwindigkeit. Der Ein-fluss von Witterungsbedingungen auf die Fahrge-schwindigkeit lässt sich vor dem Hintergrund desEinflusses von Fahrzeugart, Tageszeit, Wochentag,Verkehrsaufkommen, Fahrspur und weiteren Fak-toren darstellen. Die Geschwindigkeitsreduktionbei Nebel (über die Sichtweite gibt er keine Anga-ben) liegt in seiner Untersuchung bei 9,2 %. BeiRegen wird die Geschwindigkeit hingegen nur um2,9 % verringert. Die Studie von EDWARDS machtdeutlich, wie schwierig es in einer Feldstudie ist,

11

Page 13: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

vergleichbare Untersuchungsbedingungen herzu-stellen bzw. zu finden, da die unterschiedlichenEinflussfaktoren der gefahrenen Geschwindigkei-ten nicht unabhängig voneinander sind und kaumkontrolliert werden können.

HOGEMA und van der HORST (1995) führten eineFeldstudie mit Induktionsschleifenmessung aufniederländischen Autobahnen durch. Sie fanden,dass die Geschwindigkeitsreduktion im Nebel aufder linken Fahrspur weniger stark ausgeprägt war als auf der rechten. Dabei wurde nicht zwi-schen Einzel- und Kolonnenfahrern unterschieden.Beim Vergleich der Ergebnisse der Feldstudie miteiner Simulatorstudie zeigten sich im hohen undniedrigen Geschwindigkeitsbereich keine Unter-schiede zwischen den realen und im Simulator ge-fahrenen Geschwindigkeiten. Im mittleren Ge-schwindigkeitsbereich waren die im Simulator ge-fahrenen Geschwindigkeiten geringer als in derRealität.

Auch Fahrermerkmale, wie z. B. Persönlichkeitsei-genschaften, werden in Zusammenhang mit Fahr-geschwindigkeit bei Nebel gebracht. SCHLAG(1988) betont, dass 47 % der Fahranfänger zu ris-kantem Fahren, also auch zu überhöhten Ge-schwindigkeiten, in kritischen Situationen wie Ne-belfahrten neigen. Bei männlichen Fahrern ist dieTendenz noch einmal wesentlich stärker.

Die Untersuchungen zeigen, dass die Geschwin-digkeiten, die im Nebel gefahren werden, nicht nurvon der Sichtweite abhängen, sondern auch vonden unterschiedlichen Rahmenbedingungen derFahrstrecke und der Fahrsituation sowie von indivi-duellen Faktoren. Die Geschwindigkeit wird imNebel zwar reduziert, jedoch nicht so weit, wie esdie Sichtbedingungen eigentlich erfordern.

Abstandsverhalten

Neben den überhöhten Geschwindigkeiten wird inder Literatur immer wieder das unangemesseneAbstandsverhalten als Ursache für Nebelunfällethematisiert. Ein zu geringer Sicherheitsabstandgilt mit 31 % als zweithäufigste Unfallursache.

HAWKINS (1988) erfasste in seiner Studie nebenden Geschwindigkeiten auch andere Verkehrspara-meter, wie Abstände, Fahrstreifenverteilungen undPulkbildungen. Die Daten erhielt er über Induktions-schleifen in der Fahrbahn und Zeitmessungen. DieSicht wurde durch Beobachtungen und Nebelde-tektoren ermittelt. Geschwindigkeiten und Fahr-

zeuglängen wurden durch doppelten Infrarotstrahlgemessen.

Die Pulkbildung ist nach HAWKINS bei starkemNebel auf allen drei Fahrstreifen stärker als bei kla-rer Sicht. Dabei nimmt zwar die Anzahl der Pulksab, die jeweilige Größe der Pulks (Anzahl der Fahr-zeuge) wächst jedoch deutlich. Auch treten imNebel weniger Fahrstreifenwechsel auf. Als Folgeder Pulkbildung nehmen die gefahrenen Abständeunter 60 Metern im Nebel zu. Die Fahrer hängensich mit relativ geringem Abstand an den Vorder-mann und achten darauf, dass der Sichtkontakt er-halten bleibt. Zeitlücken von unter einer Sekunde – die den tatsächlichen Gefahrenbereich ausma-chen – gehen aber auf dem rechten und dem mitt-leren Fahrstreifen zurück und nehmen nur auf demlinken Fahrstreifen leicht zu.

In ihrer Feldstudie kamen HOGEMA und van derHORST (1995) zu dem Ergebnis, dass sich der Ab-stand zum Vordermann bei Nebel besonders aufder rechten Spur verringerte. Da sie weder zwi-schen Lkw und Pkw unterschieden noch unter-schiedliche Verkehrsbelastungen berücksichtigten,bleibt die Aussagekraft dieses Ergebnisses aller-dings unklar.

Die Ergebnisse zum Abstandsverhalten beim Fah-ren im Nebel sind noch nicht sehr aussagekräftigund eignen sich nicht zu verallgemeinerten Aussa-gen. Systematische Untersuchungen über Ausmaßund Bedingungen für ein verändertes Abstandsver-halten existieren noch nicht.

Zeitlücke

Zeitbasierte Maße spielen für Verhaltensweisen zurFahrzeugkontrolle eine große Rolle. Die Zeitlückeist dabei die Zeit, die ein Fahrer benötigt, um denOrt des vorausfahrenden Fahrzeugs mit der aktuel-len Geschwindigkeit zu erreichen. Berücksichtigtman darüber hinaus auch die Differenzgeschwin-digkeiten der beiden Fahrzeuge, kann man die Zeitbis zur Kollision (TTC = Time to collision) bei gleichbleibenden Geschwindigkeiten berechnen.

In einer Simulatorstudie variierten HOGEMA, vander HORST, van NIFTERICK und STOOP (1996) dieSichtweiten, die Tageszeit und die Geschwindig-keitsvorgaben. Sie verwendeten neben einer „Free-Driving“-(Einzelfahrt) auch eine „Car-Following“-Bedingung (Kolonnenfahrt), in der sie die „Time tocollision“ (TTC) zum Vordermann analysierten. DieTTCs stiegen bei Nebel leicht an. Insgesamt wur-

12

Page 14: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

den TTCs unter 5 Sekunden jedoch selten beo-bachtet. In keiner der beiden Studien von HOGE-MA et al. (1995, 1996) zeigten die TTCs zum Vor-dermann einen Effekt der Sichtweite. Die reduzier-ten Abstände bei Nebel sind also alleine durch dieverringerten Geschwindigkeiten zu begründen.

Van der HULST, MEIJMAN und ROTHENGATTER(1999) betonen die Bedeutung der Zeitlücke für einsicheres und vorausschauendes Fahren. In einemSimulatorexperiment zeigten sie, dass Fahrer, dieein kritisches Ereignis, z. B. das Abbremsen desvorausfahrenden Fahrzeugs, erwarteten und vor-hersehen konnten, eine größere Zeitlücke zu die-sem Fahrzeug einhielten als Fahrer, für die diesesEreignis unerwartet und plötzlich eintrat. Sie beto-nen, dass gerade bei Fahrbedingungen wie Nebelund Dunkelheit die Vorhersehbarkeit stark herab-gesetzt ist. Berücksichtigen Fahrer dieses bei derWahl ihrer Zeitlücke zum Vordermann nicht, so fah-ren sie mit geringeren Zeitlücken, als es die Sicht-bedingungen zulassen.

GODTHELP et al. (1986) stellen fest, dass Autofah-rer in der Regel eine sehr gute Fähigkeit besitzen,die Zeitlücke abzuschätzen, und sie tun es ihrerMeinung nach beim Fahren auf der Autobahn auchständig und regelmäßig. SUMMALA (1998) unter-streicht dies mit der Feststellung, dass die Zeit-lücken häufig mit Reaktionszeiten korrelieren. Jebesser ein Fahrer also auf ein Ereignis reagierenkann, desto geringer ist die Zeitlücke, die er zumVordermann wählt.

Bei der Betrachtung des Fahrverhaltens im Nebelist das Maß der Zeitlücke der Time to collision vor-zuziehen, da Letzteres den Aspekt der einge-schränkten Vorausschau, der im Nebel eine ent-scheidende Rolle spielt, nicht angemessen berück-sichtigt. Darüber hinaus nutzen Fahrer nachGODTHELP (1986) auch eher die Zeitlücke und we-niger die TTC als Kontrollvariable beim Fahren.

Fahrverhaltensparameter als Regelgrößen

Welche Verhaltensweisen beim Steuern einesKraftfahrzeugs auftreten, ist Gegenstand von Fah-rermodellen in Verkehrssimulationen. Bei der Ge-staltung und Entwicklung von Verkehrssimulatio-nen spielen die Auswahl und Beschreibung einesgeeigneten Fahrermodells eine wichtige Rolle. Indiesen Modellen des Fahrers treten Geschwindig-keitsverhalten und Abstand bzw. Zeitlücke zumVordermann als Regelgrößen auf, die sich in Inter-aktion mit dem direkten Verkehrsumfeld verändern.

DIEKAMP (1995) beschreibt die Parameter in die-sen so genannten psychophysischen Fahrzeug-Folge-Modellen. Der Fahrer ist in diesen Modellendeterminiert durch seine Wunschgeschwindigkeit,die er unbeeinflusst (also als Einzelfahrer) auf freierStrecke fahren möchte, sein individuelles Sicher-heitsbedürfnis, das sich im Abstandsverhaltenzeigt, seine Kontrolle über das eigene Fahrzeugund seinen maximalen Beschleunigungswunsch,also auch die Bereitschaft, Geschwindigkeitsände-rungen vorzunehmen.

Im Fahrzeug-Folge Modell von WIEDEMANN(1974) wird der Fahrtverlauf als eine Kombinationvon vier unterschiedlichen Fahrsituationen be-schrieben, in denen der Fahrer sich signifikant un-terschiedlich verhält. Beim freien Fahren (1) fährtder Fahrer möglichst mit seiner Wunschgeschwin-digkeit. Beschleunigungen treten in diesem Fall nurin geringem Ausmaß als Folge zufälliger Fluktuatio-nen oder nach Behinderungen zum Wiedererrei-chen der Wunschgeschwindigkeit auf. BeimAnnähern (2) an ein vorausfahrendes Fahrzeugpasst sich der Fahrer durch Verzögerung und unterBerücksichtigung seines Sicherheitsbedürfnissesbezüglich Abstand und Zeitlücke dem Geschwin-digkeitsniveau des Vorausfahrenden an. Beim Ko-lonnenfahren (3) kann es schnell zu Abstands-schwingungen kommen, die abhängig von der Dif-ferenzgeschwindigkeit der beiden Fahrzeuge undderen Abstand sind. Aber auch Wahrnehmungs-schwellen spielen hier eine Rolle. Bei Erreicheneines für den Fahrer charakteristischen unterenFolgeabstands verlangsamt er etwas und folgt demvorausfahrenden Fahrzeug mit variablem Abstand.Erhöht sich der Abstand auf einen charakteristi-schen oberen Folgeabstand, versucht der Fahrer,durch kurzzeitiges Beschleunigen wieder den unte-ren Folgeabstand zu erreichen. Innerhalb diesesFolgebereichs sind Beschleunigungen und Verzö-gerungen zumeist unbewusst. Verlangt die Ver-kehrssituation ein gezieltes Bremsen (4), spielender Anhalteabstand und die Time to collision einegroße Rolle für das Fahrverhalten.

In Verkehrssimulationsstudien zeigt sich, dassgrößer werdende Differenzgeschwindigkeiten undder daraus resultierende höhere Regulationsauf-wand beim Annähern und Folgen schnell zuStörungen im Verkehrsfluss, bis hin zum Stau, undzu einer entsprechenden Erhöhung des Unfallrisi-kos führen. Inwieweit auch Einschränkungen derSichtbedingungen, zum Beispiel durch Nebel, die-sen Regulationsmechanismus beeinflussen, ist

13

Page 15: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

noch nicht untersucht. Denkbar ist, dass sich dieDifferenzgeschwindigkeiten und Abstandsschwin-gungen beim Fahren im Nebel durch individuellbreiter streuende Wunschgeschwindigkeiten undSicherheitsabstände erhöhen.

2.1.3 Wahrnehmungs- und Motivationsfaktoren

Wahrnehmungsleistungen

KIEGELAND (1996) betont in seiner Abhandlung zu„Fahrzeugführung im Nebel“, dass der optischeKanal, als wichtigste Informationsquelle für Kraft-fahrer, bei Nebel, Schnee und Regen stark beein-trächtigt ist. Dies betrifft die Erkennbarkeit von Ob-jekten, die Entfernungsschätzungen und die Ge-schwindigkeitswahrnehmung. Er hebt hervor, dassder Tachometer als Informationsquelle gerade imNebel unbeliebt ist, da er den Blick zu lange vonder Fahrbahn lenkt.

Nach einem Befund von ROSS (1967) werden Ob-jekte unbekannter Größe bei natürlichem Nebel von30-130 m Sicht als doppelt so weit entfernt wahrge-nommen als bei einwandfreier Sicht. CAVALLO, CO-LOMB und DORÉ (2000) replizierten dieses Ergeb-nis in einem Laborexperiment mit Fahrsimulator undkünstlichem Nebel für Objekte bekannter Größe (3Arten von Rückleuchten). Sie kamen zu dem Ergeb-nis, dass Entfernungen bei Nebel um 60 % größereingeschätzt werden. Darüber hinaus fanden sieeine Wechselwirkung zwischen der Art der Rück-leuchten und den Sichtbedingungen. Die Fehlein-schätzung der Entfernung war bei kleinem horizon-talem Abstand der Leuchten größer als bei größe-rem Abstand der Leuchten. Sie empfehlen dem-nach, dass der Abstand zwischen den Rückleuch-ten möglichst groß sein sollte, um Fehleinschätzun-gen des Abstands zum Vordermann möglichst ge-ring zu halten. Auch RICHTER und SCHLAG (1998)betonen, dass bei Nebel die Entfernungen deutlichüberschätzt werden und auch die Streuungen derEntfernungsschätzungen deutlich ansteigen.

PAUMIER, PAULMIER, DUBUISSON, DORÉ undCOLOMB (1991) liefern eine psychophysische Be-gründung für den Effekt der schlechteren Entfer-nungsschätzung bei Nebel. Sie haben in Laborex-perimenten eine quantitative Abschätzung desKontrastverlustes von Verkehrszeichen vorgenom-men. Bei dichtem nächtlichem Nebel war derSchwellenkontrast am geringsten. SCHMEDDING,SAAT und SCHAL (1994) bestimmten die Erkenn-barkeitsweiten von unbeleuchteten bzw. verschie-denartig beleuchteten Pkw bei homogener Nebel-

verteilung. Sie fanden einen Zusammenhang zwi-schen der Erkennbarkeitsentfernung und demKontrast. Je höher der Kontrast, desto höher liegtdie Erkennbarkeitsentfernung.

CAVALLO, LAYA und LAURENT (1986) ließen ihreVersuchspersonen in einem Laborexperiment dieZeit bis zur Kollision mit einem vorausfahrendenFahrzeug schätzen und beschränkten dabei syste-matisch das zur Verfügung stehende visuelle Feld.Mit zunehmender Einschränkung des visuellen Fel-des kam es zu Unterschätzungen der Zeit bis zurKollision. Da auch im Nebel das visuelle Feld peri-pher eingeschränkt ist, lassen sich die Ergebnisseauf Fahrten im Nebel übertragen. Denn Fahren imNebel stellt eine Belastungssituation dar, die zueiner Einengung des funktionalen visuellen Feldesführen kann. Dadurch werden periphere Bewe-gungsreize weniger wahrgenommen, Tachoblickebleiben aus, und die Geschwindigkeitskontrollewird reduziert.

Nach einer Hypothese von SNOWDEN, STIMP-SON und RUDDLE (1998) wissen Autofahrer, dassbei Nebel die Geschwindigkeit reduziert werdenmuss. Der Grund für dennoch überhöhte Ge-schwindigkeiten im Nebel liegt nicht im bewusstenVerstoß gegen diese Vorschrift, sondern darin,dass die Wahrnehmung der Geschwindigkeit ver-zerrt ist. Sie wird bei zunehmendem Nebel unter-schätzt, weil sich der Kontrast des Umgebungsbil-des verringert und somit die wahrgenommeneFahrgeschwindigkeit abnimmt. Die Fahrer habenalso den Eindruck, sie fahren angemessen, obwohlsie objektiv zu schnell fahren.

In einem Experiment mit einer einfachen Fahrsimu-lation am Bildschirm hat SNOWDEN seine Ver-suchspersonen gebeten, bestimmte vorgegebeneGeschwindigkeiten zu fahren und einzuhalten. Eszeigte sich, dass umso schneller gefahren wird, jenebliger es ist. Der Tachoblick wird zunehmendwegen der nicht gewollten Abwendung des Blickesvon der Fahrbahn vermieden. Bei Nebelszenarienwerden Geschwindigkeiten als langsamer wahrge-nommen als bei Klarsichtszenarien. Die Ergebnisseder experimentellen Simulationsstudie von SNOW-DEN et al. (1998) deuten darauf hin, dass Ge-schwindigkeiten bei Nebel umso stärker unter-schätzt werden, je schlechter die Sichtbedingun-gen sind. Hierbei waren die Versuchspersonennicht in der Lage, mittels eines Fahrsimulators eineunter Klarsicht geübte Geschwindigkeit bei Nebelkorrekt erneut einzustellen.

14

Page 16: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Dieser Befund ist sowohl aus ergonomischer Sichtinteressant, da sich auf dessen Grundlage poten-zielle, technische Einflussmaßnahmen gegen einFehlverhalten konzipieren ließen, als auch aus methodischer Sicht, da mittels eines solchen Standardparadigmas weitere Fragestellungen derFahrzeugführung im Nebel untersucht werdenkönnten.

Die Veränderungen von Wahrnehmungsbedingun-gen beim Fahren im Nebel dürfen bei der Entwick-lung von Erklärungsansätzen für Fehlverhalten imNebel nicht unberücksichtigt bleiben und spielenein große Rolle bei der Konzeption eines geeigne-ten Simulationsparadigmas.

Motivationsfaktoren

Nach KIEGELAND (1996) liegt das subjektive Si-cherheitsgefühl im Nebel höher als die objektiv ge-gebene Sicherheit, was zu kollektivem Fehlverhal-ten auf den Straßen führe. So werden die Fahrerbei einer geringen Sichtweite und einem Vorder-fahrzeug außerhalb dieser Sichtweite ihre Fahrwei-se eher so wählen, als sei kein Fahrzeug vor ihnenvorhanden, und sich nicht auf möglicherweise vor-handene Vorderfahrzeuge einstellen.

HAWKINS kommt zu dem Schluss, dass die Sicht-verhältnisse von den Fahrern unwissentlich missin-terpretiert werden, sodass ihnen die Gefährlichkeitihres Verhaltens nicht bewusst wird. Die große Va-riationsbreite des Verhaltens von Kraftfahrern imNebel zeigt, dass die normalen Verhaltensgewohn-heiten nicht mit den Anforderungen im dichtenNebel in Einklang stehen. Das irrationale Verhaltender Kraftfahrer bei eingeschränkter Sicht ist nichtvermeidbar, solange den Fahrern die Gefährlichkeitihres Verhaltens nicht klar ist. Nach HAWKINS istalso fehlendes Bewusstsein über die im Nebel wir-kenden Mechanismen ein Hauptgrund für dasFehlverhalten im Nebel.

Das bisher umfassendste auf kognitive Urteilspro-zesse bezogene Erklärungsmodell für das Entste-hen von Unfällen im Nebel liefert SCHÖNBACH(1996). Grundlagen seiner theoretischen Konzeptionsind die Theorie der sozialen Vergleichsprozessevon FESTINGER (1957) und die Theorie der psycho-logischen Reaktanz von BREHM (1966). Komplexekognitive Prozesse determinieren nach SCHÖN-BACH das Fahrverhalten, welches als Zusammen-spiel mehrerer intrapersonaler Faktoren mit der Ver-kehrssituation angesehen werden kann. Das Fahr-

verhalten des Einzelnen ist dabei in die Kommunika-tionsprozesse integriert und wirkt auf diese ein.

Nach SCHÖNBACH (1996a und 1996b) entstehenMassenunfälle im Nebel aufgrund folgender sozial-psychologischer Kausalität: Fahrer fühlen sich ei-nerseits im Nebel durch die Scheinwerfer einesnachfolgenden Fahrzeugs bedrängt und anderer-seits durch das Sehen der Rücklichter des Vorder-manns beruhigt. Dies führt zu Geschwindigkeitser-höhungen, einerseits um den Sicherheitsabstandzum Hintermann zu wahren und andererseits umAnschluss an den Vordermann zu halten.

Die Kolonnenfahrt ist bei SCHÖNBACH also einewichtige Bedingung für überhöhte Geschwindigkei-ten. SCHÖNBACH schließt nicht explizit aus, dassauch Einzelfahrer überhöhte Geschwindigkeitenzeigen können, wofür perzeptive Faktoren maßgeb-lich sein dürften. Das Fahrverhalten der Einzelfahrerim Nebel wird im sozialpsychologischen Ansatz(Druck-Sog-Hypothese) nicht thematisiert. Den Ein-zelfahrer bei der Überprüfung des sozialpsychologi-schen Ansatzes auszuklammern würde jedoch eineaus unserer Sicht unzulässige Einengung der Un-tersuchungskonzeption darstellen. Vergleichend mitFahrern in der Kolonne muss geprüft werden, wiesoauch Einzelfahrer im Nebel oftmals mit unange-passter Geschwindigkeit fahren. Der Erklärungsan-satz von SCHÖNBACH, ergänzt um wahrneh-mungspsychologische Aspekte, ist deshalb derAusgangspunkt für die Konzeption unserer Simula-torexperimente (siehe Kapitel 3).

2.2 Maßnahmen zur Vermeidung vonNebelunfällen

Trotz der zurzeit noch relativ geringen Erkenntnisla-ge über Wirkmechanismen und Bedingungen fürFahren im Nebel gibt es bereits eine Reihe vonMaßnahmeempfehlungen, um Nebelunfälle zu ver-meiden und richtiges Verhalten zu fördern. Mankann dabei unterscheiden zwischen Maßnahmenzur Verbesserung der Wahrnehmungsbedingungenim Nebel und Maßnahmen zur Verhaltenssteuerungdurch Warnsysteme sowie personenbezogenenMaßnahmen.

2.2.1 Maßnahmen zur Verbesserung der Sicht-bedingungen

Eine Möglichkeit, die Wahrnehmungsbedingungenim Nebel zu verbessern, ist ein Vision Enhance-ment System (VES). Das VES präsentiert dem Fah-

15

Page 17: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

rer Schwarz-weiß-bilder der Fahrstrecke in Klar-sicht in einem Head-up-Display. Dadurch wird dieVorausschau beim Fahren im Nebel erhöht, wo-durch die Sicherheit bei Nebelfahrten erhöht wer-den soll. Untersuchungen von NILSSON und ALM(1993) zeigen, dass sich zwar die Reaktionszeitenverbessern, gleichzeitig aber auch höhere Ge-schwindigkeiten gefahren werden. Workloadmaßewurden über einen Fragebogen ermittelt (NASA-TLX). Hierbei zeigte sich niedrigere mentale undphysische Beanspruchung bei Fahrten ohne dasVES-System.

ISHIMOTO, FUKUZAWA, KAJIYA, HAGIWARA undTAKEUCHI (1993) beschäftigten sich ebenfalls mitMöglichkeiten der Wahrnehmungsverbesserungunter schlechten Sichtbedingungen (Nebel undSchneetreiben). Sie zeigten, dass optische Hin-weisreize in der Umgebung in Form von die Straßeflankierenden Bäumen zur Aufrechterhaltung einerSichtlinie effektiver sind als konventionelle Markie-rungsmaßnahmen in Form von Straßenmarkie-rungspfosten. Außerdem wurde festgestellt, dassmit abnehmender Sichtweite die Blickbewegungender Fahrer von der Mitte der Straße häufiger an denlinken Fahrbahnrand tendieren (Japan hat Links-verkehr) und gleichzeitig die Dauer der Blickzuwen-dungszeit steigt.

SCHREUDER (1991) beschäftigt sich mit der Ver-besserung der Fahrbahnbeleuchtung, um beiNebel kritische Elemente besser sichtbar zu ma-chen. Die Umgebung sollte über 200 bis 300 m zuüberblicken sein, damit sicheres und schnellesFahren möglich ist.

Alle diese Maßnahmen dienen eher dazu, das zuhohe Tempo im Nebel noch zusätzlich zu fördern,und helfen nicht, Fehlverhalten zu erkennen und zukorrigieren. Das wäre besonders bei solchen Sys-temen, die direkt im Fahrzeug eingebaut sind (wiez. B. dem VES oder einem Anti-Kollisions-System)gefährlich, da sich dadurch die Spannweite der ge-fahrenen Geschwindigkeiten weiter erhöht undsomit das Unfallrisiko weiter steigt.

2.2.2 Maßnahmen in Form von Warnsystemen

Maßnahmenempfehlungen zur Einführung vonWarnsystemen können sich auf fahrzeuginterneoder -externe Warnsysteme beziehen. Bei externenSystemen handelt es sich in erster Linie um so ge-nannte „intelligente Beschilderung“.

Nach SHEPARD (1996) kann zwar die Geschwin-digkeitsreduktion durch Beschilderung beeinflusstwerden, was aber nicht verhindert, dass immernoch zu schnell gefahren wird. Die Schilder solltenkonkrete Geschwindigkeiten vorgeben und nichtnur eine allgemeine Anweisung, bei Nebel die Ge-schwindigkeit zu reduzieren. SHEPARD sieht ins-besondere die Variabilität der Geschwindigkeit alsUrsache vieler Unfälle im Nebel.

Ziel eines Forschungsvorhabens von DURTH,BARK & LIPPOLD (1995) war es, Hinweise für dieEntwicklung einer effektiven Nebelwarnung imStraßenverkehr zu geben. Prinzipiell sind danachzwei Möglichkeiten denkbar, den Kraftfahrer an derStrecke vor Nebel zu warnen. Zum einen sind dasan Unfallschwerpunkten installierte stationäre Ver-kehrsbeeinflussungs- oder Nebelwarnanlagen. Sieerreichen mit ihrer Information jeden Kraftfahrerohne zusätzliche Ausrüstung am Fahrzeug. Auf deranderen Seite sind mobile Nebelwarngeräte imKraftfahrzeug möglich. Diese besitzen den Vorteil,Nebel an jedem Punkt des Straßennetzes erfassenzu können. Zur Beschreibung des Unfallgesche-hens bei Nebel wurden Daten über Unfallzeitpunkt,Unfallort und die zum Unfallzeitpunkt vorherr-schenden Nebelarten (Nebelbank, gleichmäßigerNebel) erhoben. Von allen Nebelunfällen ereignetensich 15 % auf Bundesautobahnen und 85 % aufBundes-, Landes- (Staats-) und Kreisstraßen. Daauf Bundes- und Landstraßen in der Regel keineexternen Warnanlagen installiert werden können,können damit rund vier Fünftel aller Nebelunfällenur durch eine zusätzliche Warnung des Kraftfah-rers aus dem Fahrzeug vermieden werden. Wegender vor allem auf Landstraßen ebenfalls hohen An-zahl von Unfällen, bei denen Fahrzeuge nachrechts oder nach links abkommen, wurde eine zu-sätzliche Information des Fahrers über seitliche Ab-stände zur Querregelung empfohlen.

BRISBANE (1992 und 1994) führte auf australi-schen Straßen eine Feldstudie mit Geschwindig-keits- und Abstandsmessung sowie Erfassung deraktuellen Sichtverhältnisse durch. Die Fahrer er-hielten über „intelligente Schilder“, so genannte Fibreoptic Signs eine Warnung, wenn ihre Ge-schwindigkeit beim aktuellen Sicherheitsabstandzum vorausfahrenden Fahrzeug in Abhängigkeitder Sichtverhältnisse nicht angemessen war. DieSchilder geben Informationen über die aktuellenSichtverhältnisse und eine Rückmeldung über dieeigene Geschwindigkeit, sowie Anweisungen zurAnpassung der eigenen Geschwindigkeit an die

16

Page 18: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Geschwindigkeiten umgebender Fahrzeuge. Die-ses System führte in den Untersuchungen vonBRISBANE (1994) zu einer Verminderung der ge-fahrenen Geschwindigkeiten unter allen Sichtbe-dingungen.

BRISBANE (1996) vergleicht seine Ergebnisse desFahrverhaltens von Australiern im Nebel mit Über-see-Studien und findet eine deutlichere und sicht-weitenangepasstere Geschwindigkeitsreduktionbei australischen Autofahrern.

Traditionelle Nebelwarnsysteme zeigen lediglicheine Geschwindigkeitsempfehlung für bestimmteSichtverhältnisse und führen nach BRISBANE(1996) zum Gegenteil des erwünschten Effekts, dadurch sie die Variabilität der gefahrenen Geschwin-digkeit steigt und sich infolgedessen das Unfallrisi-ko erhöht.

In einer Simulatorstudie verwandten HOGEMA etal. (1995) ein Nebelsignal-System, das jeweils dieden Sichtverhältnissen angemessene Geschwin-digkeit zeigt. Die tatsächlich gefahrenen Geschwin-digkeiten näherten sich zwar den vorgegebenenan, erreichten diese jedoch nicht völlig – es wurdeimmer noch zu schnell gefahren.

Allen hier vorgestellten Maßnahmen ist gemein,dass sie sich nicht auf ein vorhandenes Er-klärungsmodell für Fahrverhalten im Nebel stützenund daher unspezifisch und bis zu einem gewissenGrad beliebig sind.

2.2.3 Personenbezogene Maßnahmen

Im Kontrast zu den zuvor behandelten sicht- undrückmeldungsbezogenen Maßnahmen, nachdenen der Fahrer als „Opfer“ suboptimaler Wahr-nehmungsbedingungen gesehen wird, stehen aufdie Person gerichtete Maßnahmen, Training undWissensvermittlung. Derartige Maßnahmen werdenexplizit von SCHÖNBACH (1996) als Konsequenzseiner umfassenden Theorie des Zusammen-wirkens mehrerer Faktoren erwartet. Dieseschließen „sowohl intrapersonale Faktoren alsauch das Zusammentreffen bestimmter Merkmaleder Verkehrssituation mit Eigenschaften und Hand-lungstendenzen der beteiligten Personen“ ein (S. 124). SCHÖNBACH schlägt nach erwarteterempirischer Bestätigung seiner Hypothese dieÜberprüfung personenbezogener Maßnahmen vor:„dann wäre der nächste Schritt ein Trainings-projekt, in dem Fahrschüler als Teil ihrer Ausbil-dung Gelegenheit zu einer Fahrt im Simulator bei

Nebel erhalten, einschließlich der Erfahrung einesAuffahrunfalls, wenn sie die Sicherheitsgrenzenvon Abstand und/oder Geschwindigkeit verletzen.Dieses Projekt sollte außer einer Wiederholung derSimulationsfahrt nach einem angemessenen Zeit-raum zur Evaluation des Lernerfolgs möglichstauch eine Langzeitbeobachtung der Unfallhäu-figkeit in der Testgruppe und in einer Kontrollgrup-pe ohne Simulatorerfahrung einschließen, wobeiUnfälle bei Nebel und ähnlichen Situationenschlechter Sicht (Nachtfahrten, Schneetreiben,starker Regen) besonders zu beachten wären“ (S. 125). Weiterhin: „die Grundzüge der hier ange-wandten sozialpsychologischen Theorien [... ] soll-ten im Anschluss an die Simulatorerfahrungenerörtert werden und gegebenenfalls auch in denFahrschulunterricht, also insbesondere auch zumfesten Bestand der Fahrlehrerausbildung, gehören“(S. 215).

Angesichts dieses Gegenentwurfs ist es auch Zielder vorliegenden Arbeit, darüber zu entscheiden,welcher Typ von Maßnahmen zur Vermeidung vonMassenunfällen bei Nebel als zielführend empfoh-len werden kann. So wird als Ziel und Nutzen vonSimulationsuntersuchungen formuliert (BASt-Aus-schreibung): „Bestätigen sich die bisherigen Be-funde, wäre die Entwicklung von Trainingspro-grammen für Fahrlehrer und Fahrschüler mit demZiel, verdeckt ablaufende sozialpsychologischeProzesse bewusst und damit beeinflussbar zu ma-chen, angezeigt. Je nach Befund können auch Än-derungen der StVO und StVZO in Betracht gezo-gen werden (obligatorisches Anbringen von Nebel-schlussleuchten, strengere Benutzungskriterien alsbisher).“

3 Vorstudien und Replikationen

3.1 Vorstudien

Die Vorstudien dienten dazu, die verwendete Fahr-simulation und insbesondere die Nebelsimulationauf Realitätsnähe und Aussagekraft hin zu über-prüfen. Es wurde eine Studie zur Abstandsschät-zung durchgeführt, eine Studie zum Einfluss des si-mulierten Nebels auf das frei gewählte Fahrverhal-ten und eine Studie zum Einfluss einer Sichtbe-schränkung durch Nebel im Vergleich zur Sichtbe-schränkung, die durch einen entsprechendenStreckenverlauf entsteht (z. B. unübersichtlicheKurven).

17

Page 19: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

3.1.1 Durchführung

Die Vorstudien wurden in Räumen des Institutesdurchgeführt. Es wurde eine einfache Simulations-anordnung realisiert. Das Simulationsprogrammwurde mit Hilfe eines tragbaren Projektors auf eineProjektionswand geworfen. Dieser wurde untereinem leichten Winkel unter der Raumdecke ineinem Abstand von vier Metern zur Projektions-wand befestigt. Daraus ergab sich eine leicht tra-pezförmige Projektion der Simulation (Breite 2 mHöhe 1,70 m). Die Versuchsperson saß zwei Metervor der Projektionswand an einem Tisch. Zur Be-dienung der Simulation stand ihr ein Lenkrad miteiner Pedalkombination (Brems- und Gaspedal) zurVerfügung. Lenkrad und Pedalkombination warengetrennt und nur über ein Kabel verbunden. DerRaum war während der Experimente abgedunkelt.

Die simulierte Strecke bestand aus einer Geraden,gefolgt von einer sehr lang gezogenen Linkskurve,an die sich erneut eine Gerade anschloss, wiede-rum gefolgt von einer lang gezogenen Rechtskur-ve. Die Strecke endete am Ausgang der Rechts-kurve. Die Länge betrug 6.000 m. Sie wurde einoder zwei Mal durchfahren, was zu einer Gesamt-länge der Teststrecke von bis zu 12.000 m führte.Die Strecke enthielt keine Veränderung des Höhen-profils, um den Einfluss von Steigungen oder Ge-fällen auszuschließen.

An den im Folgenden beschriebenen Vorstudiennahmen sechs bis acht spontan rekrutierte Pro-banden aus dem Institut teil. Alle Versuchsperso-nen konnten vor dem eigentlichen Experiment dasFahren mit dem Fahrsimulator trainieren.

3.1.2 Studie 1: Abstandsschätzungen

In den Studien zur Abstandsschätzung befand sichvor dem Wagen des Fahrers in einem bestimmtenAbstand ein anderer Pkw. Die Aufgabe der Ver-suchspersonen bestand zunächst darin, diesenAbstand zu schätzen. Sie waren instruiert, dabeinicht loszufahren. Folgende Abstände wurdenjeder Versuchsperson in randomisierter Abfolgegezeigt: 30 m – 40 m – 50 m – 60 m – 75 m – 100m – 150 m (siehe Bild 1).

Bild 2 zeigt die Darstellung der Mittelwerte der ab-gegebenen Abstandsschätzungen und die dazu-gehörigen Standardabweichungen. Die gestrichel-te Linie markiert den Verlauf einer theoretisch kor-rekten Schätzung.

Es zeigt sich eine gute Übereinstimmung derSchätzungen mit den simulierten Abständen bisetwa 80 m. In diesem Bereich sind auch die Stan-dardabweichungen relativ gering. Bei Abständenüber 80 m werden die Abstände jedoch deutlichüberschätzt und auch die Standardabweichungenwerden deutlich größer.

Die Größe der Projektion und die damit verbunde-nen scheinbaren Maße und Verhältnisse, wie dieBreite der Straße oder die Größe des entferntenWagens bei einem bestimmten Abstand, blieben inallen folgenden Studien konstant. Daher könnendie hier gewonnenen Abstandsschätzungen für diespäteren Studien als Grundlage verwendet werden.Es zeigt sich, dass in der gegebenen Versuchsan-ordnung Entfernungen bis 80 m von den Versuchs-personen korrekt und mit geringer Varianz einge-schätzt werden können. Daraus ergibt sich dieSchlussfolgerung, dass die simulierten Abstands-parameter (z. B. Sichtweite) im Bereich unter 80 mdie wahrgenommenen Abstände der Versuchsper-

18

Bild 1: Darstellung der Fahrsimulation während der Abstands-schätzung Version 2 der Vorstudie 1 (abgebildet ist einFremdfahrzeug, dessen Abstand – 40 m – zu schätzenwar); Original in Farbe

Bild 2: Ergebnisse der Abstandsschätzung der Vorstudie 1. Diegestrichelte Linie gibt die dargestellten Abstände wie-der

Page 20: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

sonen relativ exakt abbilden. In den weiteren Ver-suchen können Abstandsparameter bis 80 m daherals realistisch im Sinne der Simulation angesehenwerden.

3.1.3 Studie 2: Nebelfahrten mit freier Ge-schwindigkeitswahl

Ziel der zweiten Studie war es, den Einfluss derverwendeten Nebelsimulation auf das Fahrverhal-ten zu prüfen. Es wurden zwei Nebelbedingungensimuliert, die beide auch in den weiteren Studienverwendet wurden. In der ersten Bedingung wurdeeine Sichtweite von 80 m simuliert, in der zweitenBedingung eine Sichtweite von 30 m.

Die Abfolge der Bedingungen erfolgte zufällig. DieAufgabe der Versuchspersonen bestand darin, densimulierten Wagen auf eine Geschwindigkeit zu be-schleunigen, die ihrer Einschätzung nach denSichtverhältnissen angemessen ist. Sobald siesich, ohne Zeitdruck, auf diese Geschwindigkeiteingependelt hatten, wurde die Fahrt abgebrochenund die zuletzt gefahrene Geschwindigkeit gewer-tet. Die Fahrten erfolgten ohne Geschwindigkeits-rückmeldung.

Es zeigt sich, wie in Tabelle 2 zu sehen, dass dieeingestellte Endgeschwindigkeit mit zunehmenderNebelstärke sinkt. Zudem wählten die Versuchs-personen Geschwindigkeiten, die der Sichtweiteangemessen sind. Die Nebelsimulation beeinflusstalso das Fahrverhalten. Bei 30 m bzw. 80 m Sicht-weite werden Geschwindigkeiten gewählt, dieunter Gesichtspunkten der Verkehrssicherheit als

vernünftig anzusehen sind. Das deckt sich mit denBefunden aus den Abstandsschätzungen, da Ent-fernungen und damit auch Sichtweiten bis 80 m alsrealistisch erlebt werden. Auch die Geschwindig-keiten in der Simulation werden, zumindest in demhier gewählten Geschwindigkeitsbereich, als realis-tisch im Sinne dieser Simulation erlebt.

3.1.4 Studie 3: Sichteinschränkungen durchNebel vs. Straßentopografie

Ziel der Studie war es, den Einfluss einer Sichtbe-hinderung durch Nebel mit der Sichtbehinderungdurch eine entsprechende Streckenführung zu ver-gleichen. In einer ersten Untersuchung wurden dieVersuchspersonen instruiert, die Strecke von 5.952m einmal vollständig zu durchfahren. Die Versuchs-personen konnten die Geschwindigkeit frei wählen,mussten diese aber nicht konstant halten. Es gabwieder keine Geschwindigkeitsrückmeldung durchden Tacho. Die Strecke wurde unter drei verschie-denen Sichtbedingungen durchfahren (klare Sicht,Nebel mit 80 m Sichtweite und Nebel mit 30 mSichtweite). Die Reihenfolge der Bedingungen er-folgte wiederum zufällig. Ausgewertet wurden diemittlere Geschwindigkeit und der Geschwindig-keitsverlauf in Abhängigkeit zur Streckenposition.An dem Experiment nahmen sieben Versuchsper-sonen aus dem Institut für Psychologie teil. DerVersuch dauerte etwa eine halbe Stunde pro Ver-suchsperson.

Es zeigt sich eine deutliche Reduzierung der mitt-leren Geschwindigkeit mit zunehmender Sichtbe-schränkung. Die resultierenden mittleren Ge-schwindigkeiten sind der jeweiligen Sichtbedin-gung angepasst. Betrachtet man den Verlauf derGeschwindigkeit über die Strecke, so zeigt sich,dass es am Kurveneingang zu einer Abnahme derGeschwindigkeit kommt. Diese schlägt sich jedochnicht in der mittleren Geschwindigkeit nieder, daunmittelbar nach Kurveneingang wieder beschleu-nigt wird. Im Folgenden wird der Einfluss derStreckentopografie genauer untersucht.

Hierzu wurden zunächst zwei neue Strecken ent-wickelt. Die erste Strecke bestand aus einer 4.300m langen Geraden mit vier, je 500 m langen Ne-belbänken, in denen die Sichtweite 80 m betrug.Die zweite Strecke bestand aus einer sich abwech-selnden Folge von sechs 1.000 m langen Geradenund engen Kurven. Die Sichtweite innerhalb derKurven war durch eine Baumreihe an der Innensei-te beschränkt. Dadurch ergab sich eine Sichtweite

19

Tab. 2: Eingestellte Endgeschwindigkeiten (Werte in km/h), diedie Versuchspersonen als sicherheitsangemessen ein-stuften, Vorstudie 2

Sichtweite Mittelwert St. -Abw.

80 m 64,97 21,18

30 m 37,63 16,00

Bild 3: Darstellung der Nebelsimulation mit 30 m Sichtweite inder Vorstudie 2; Original in Farbe

Page 21: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

von 75 m für Rechts- und 105 m für Linkskurven.So konnten Nebelpassagen mit Kurvenpassagenverglichen werden, die eine vergleichbare Sichtbe-schränkung hatten. Die Versuchspersonen sollteneine den Sichtbedingungen und den Streckenver-hältnissen angepasste Geschwindigkeit wählen. Esgab wieder keine Geschwindigkeitsrückmeldung.Die Reihenfolge der beiden Testfahrten erfolgte zu-fällig. An dem Experiment nahmen fünf Versuchs-personen teil, von denen die meisten wie in dervorherigen Studie Studenten am Institut für Psy-chologie waren. Ausgewertet wurde jeweils nur diezweite Streckenhälfte.

Es zeigt sich, dass unter Klarsichtbedingungenschneller gefahren wird als im Nebel. Gleiches giltfür eine gerade Strecke im Vergleich zu einer Kurve(s. Tabelle 3). Das Fahrverhalten auf einer geradenStrecke bei klarer Sicht ist gleich, unabhängigdavon, ob diese Strecke zwischen zwei Kurvenliegt oder zwischen zwei Nebelbänken. Interessan-terweise entspricht das Fahrverhalten in den Ne-belbänken sehr gut dem in den Kurven. Die etwashöhere mittlere Geschwindigkeit in den Kurven istim Wesentlichen dadurch zu erklären, dass nur dieRechtskurve mit einer Sichtweite von 75 m sehr gutder Sichtweite in den Nebelbänken (80 m) ent-sprach. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass dieBeeinflussung des Fahrverhaltens durch die Nebel-situation im Wesentlichen auf eine Einschränkungder Sichtweite zurückgeführt werden kann.

3.1.5 Studie 4: Sichteinschränkung durch Nebelund Abstand zum Vordermann

In einer letzten Vorstudie sollte der Einfluss einesvorausfahrenden Pkw auf die Fahrgeschwindigkeitunter verschiedenen Sichtbedingungen untersuchtwerden. Hier ging es zum ersten Mal direkt um em-pirische Hinweise für den von SCHÖNBACH pos-tulierten Sogeffekt durch ein vorausfahrendesFahrzeug. Von den Ergebnissen wurden Spezifizie-rungsmöglichkeiten für die Konzeption der Modell-untersuchungen erwartet.

Die Sichtbedingungen (bzw. Nebelbedingungen)variierten in den drei Stufen: klare Sicht, Sichtweite80 m und Sichtweite 55 m. Die Versuchspersonenfuhren zum einen in Einzelfahrten ohne voraus-fahrenden Pkw, zum anderen mit einem voraus-fahrenden Pkw im Abstand von 45 m oder im Ab-stand von 30 m (das vorausfahrende Fahrzeug fuhr immer mit der gleichen Geschwindigkeit wiedie Versuchsperson). Somit variierte die Fahrt-bedingung ebenfalls in drei Stufen. Die aus dem 3 x 3-Design resultierenden Versuchsbedingungenmussten von den Versuchspersonen in einer ran-domisierten Reihenfolge durchfahren werden.

Es gibt einen signifikanten Haupteffekt der Sicht-weite (p < 0.001). Die Versuchspersonen fahrenlangsamer, je schlechter die Sicht ist. Es gibt kei-nen signifikanten Haupteffekt für die Fahrtbedin-gung (p > 0.1). In der Klarsichtbedingung zeigt sicheine Tendenz, in Begleitung eines vorausfahrendenPkw langsamer zu fahren als bei der Einzelfahrt.

Bei starkem Nebel (Sicht 55 m) fahren die Ver-suchspersonen schneller in der Begleitung einesPkw als unter der Bedingung Einzelfahrt. Im Ge-gensatz dazu zeigt sich bei der schwachen Nebel-bedingung (Sicht 80 m) kein Einfluss der Fahrbe-dingung auf die mittlere gefahrene Geschwindig-keit.

Ein besonders auffälliger Anstieg des gefahrenenmittleren Tempos zeigt sich bei der Kombinationvon einer Sichtweite von 55 m und einem voraus-fahrenden Pkw im Abstand von 45 m. Hier fahrendie Versuchspersonen mit einer mittleren Ge-schwindigkeit von 72,2 km/h deutlich schneller alsin den beiden anderen Fahrbedingungen bei glei-cher Sichtweite. Möglicherweise orientieren sichdie Versuchspersonen bei starkem Nebel zuneh-mend an dem Bezugspunkt des vorausfahrendenPkw. Droht das Auto mit dem weiten Abstand beider hohen Nebeldichte permanent im Nebel zu ver-schwinden, versuchen die Fahrer ihm als einemihrer wichtigsten Bezugspunkte zu folgen.

20

Tab. 3: Gefahrene Geschwindigkeit in km/h in Abhängigkeitdes Streckenabschnittes oder der Sichtbedingung.Mittelwert, Standardabweichung, minimaler und maxi-maler Wert; Vorstudie 3

Mittelwert St.-Abw. Min Max

Klar 91,85 30,64 40,01 157,15

Nebel 63,21 24,76 26,92 161,10

Gerade 125,4 33,87 52,39 191,84

Kurve 77,61 27,89 27,42 140,61

Tab. 4: Gefahrene mittlere Geschwindigkeiten [km/h] in Vorstu-die 4

Sichtbedingung

Fahrtbedingung Klarsicht Nebel 80 m Nebel 55 m Kurve

Einzelfahrt 151,6 82,7 59,6 98,0

Abstand 45 m 113,9 84,0 72,2 90,0

Abstand 30 m 108,0 86,7 65,1 86,6

Mittelwert über die Fahrtbe-dingungen 124,5 84,5 65,6 91,5

Page 22: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Die Ergebnisse dieser Vorstudien liefern erste Hin-weise, worauf bei der Konzeption der Modellunter-suchungen geachtet werden muss und unter wel-chen Bedingungen Effekte der Sichtweitenein-schränkung zu erwarten sind.

3.2 Replikationsstudien

3.2.1 Das Simulationsexperiment von SNOWDEN et al. (1998)

Zur Konzeption unserer Modelluntersuchungenzum Fahren im Nebel war es sinnvoll, von einemUntersuchungsansatz auf dem Fahrsimulator aus-zugehen, mit dem bereits bei einer Einzelfahrt einEinfluss von Nebel auf das Fahrverhalten gezeigtwurde. Die Untersuchung von SNOWDEN et al.(1998) schien dazu geeignet, denn in ihr wurde mitzunehmender Sichtbehinderung schneller als dievorgegebene Richtgeschwindigkeit gefahren unddie wahrgenommene Geschwindigkeit eines Fahr-zeugs unterschätzt. SNOWDEN et al. zeigen diesanhand einer technisch einfachen Fahrsimulator-studie. Die Versuchspersonen sollen zunächst einevorgegebene Richtgeschwindigkeit bei klarer Sichtüben und sich den Geschwindigkeitseindruck ein-prägen. Dann sollen sie diese zuvor geübte Ge-schwindigkeit unter drei verschiedenen Sichtbe-dingungen, ohne Geschwindigkeitsrückmeldung,erneut einstellen. Insgesamt wurden 3 Geschwin-digkeiten getestet: 30 m. p. h. (48 km/h) – 50 m. p.h. (80 km/h) – 70 m. p. h. (112 km/h). Das Ergebniszeigt, dass bereits bei klarer Sicht die zuvor geüb-ten Geschwindigkeiten um mindestens 15 % zuhoch eingestellt werden. Diese nach oben gerich-tete Abweichung von der geübten Geschwindigkeitstieg mit zunehmendem Nebel auf bis zu 56 % an.

Bevor die Ergebnisse von SNOWDEN in die Kon-zeption der Modelluntersuchungen einfließenkonnten, sollten sie zunächst mit Hilfe unserer, inden Vorstudien (Kapitel 3) vorgestellten, Versuchs-anordnung repliziert werden. In diesem Zusam-menhang sollten auch die Ursachen für den – imweiteren so genannten – SNOWDEN-Effekt genau-er untersucht werden. Im Folgenden werden vierReplikationsversuche vorgestellt.

3.2.2 Replikationsstudie 1:„Bildschirm: Unstrukturierte Landschaftmit Seitenpfosten“

Wie bei SNOWDEN wurde unsere Simulation eben-falls am Bildschirm durchgeführt. Die von SNOW-

DEN verwendete Simulation zeichnet sich beson-ders durch eine sehr realistische und detaillierteDarstellung der Landschaftsszene aus (siehe Bild4). Um den Einfluss der visuellen Darstellung derSimulation auf den beschriebenen Effekt genauerzu untersuchen, wurde von uns zunächst eine Dar-stellung gewählt, die möglichst einfach und un-strukturiert war. Lediglich Seitenpfosten am Stra-ßenrand verstärkten den Geschwindigkeitsein-druck.

Das experimentelle Design wurde von SNOWDENübernommen. So wurden drei verschiedene Sicht-bedingungen verwendet: Klarsicht (Sichtweite =3.000 m), diesig (Sichtweite = 80 m) und nebelig(Sichtweite = 30 m). Als Richtgeschwindigkeitenwurden 50 km/h, 80 km/h und 110 km/h verwen-det. Es nahmen zwölf Versuchspersonen (7 männ-lich/5 weiblich) mit einem Alter von 22 bis 31 Jah-ren an dem Experiment teil. Die mittlere Fahrpraxisin Jahren betrug 5,8 mit durchschnittlich pro Jahr10.091 gefahrenen Kilometern. Die Versuchsperso-nen absolvierten alle drei Richtgeschwindigkeitenunter allen drei Sichtbedingungen. Zunächst wur-den die drei 50-km/h-Fahrten absolviert, danachdie drei 80-km/h-Fahrten und anschließend die drei110-km/h-Fahrten. Die Reihenfolge der Sichtbedin-gungen innerhalb dieser Blöcke war randomisiertüber die Blöcke und über die Versuchspersonen.Ein Block begann mit einer dreiminütigen Übungder jeweiligen Geschwindigkeit. Daran schlossensich die drei Testphasen an. Vor der zweiten unddritten Testphase fand nochmals eine 1,5-minütigeÜbung statt. Während der Übungsphasen war eineGeschwindigkeitsanzeige eingeblendet. In derTestphase fehlte diese Anzeige. Die Versuchsper-sonen sollten in den Testphasen die zuvor geübtenGeschwindigkeiten ohne Zeitkontrolle herstellen.

21

Bild 4: Darstellung der von SNOWDEN et al. verwendeten Si-mulation; Original in Farbe

Page 23: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Wie Bild 5 verdeutlicht, ließ sich der „SNOWDEN-Effekt“ in dieser Versuchsanordnung nicht replizie-ren. Weder kommt es zu einer erhöhten Geschwin-digkeitswahl bei klaren Sichtbedingungen noch zueiner darüber hinausgehenden Unterschätzung derRichtgeschwindigkeit (d. h. erhöhte tatsächlich ge-fahrene Geschwindigkeit) mit zunehmender Sicht-behinderung durch Nebel. Die Versuchspersonenzeigen sich vielmehr sehr gut in der Lage, die zuvorgeübten Geschwindigkeiten bei allen Sichtbedin-gungen erneut herzustellen.

3.2.3 Replikationsstudie 2: „Bildschirm: Unstrukturierte Landschaft ohne Seiten-pfosten“

Die zweite Untersuchung unterscheidet sich vonder ersten in zwei Punkten, die die Entwicklung desSNOWDEN-Effekts verhindert haben könnten. Zumeinen wurde auf die Darstellung der Seitenpfostenverzichtet, da sie eine Geschwindigkeitsschätzungdurch Zählen erlauben. Zum anderen wurde nunauch die Reihenfolge der einzelnen Blöcke (derRichtgeschwindigkeiten) über die Versuchsperso-nen randomisiert, um die Überlagerung durcheinen Übungseffekt auszuschließen.

An der Untersuchung nahmen drei männliche unddrei weibliche Probanden zwischen 22 und 27 Jah-ren teil, die eine mittlere Fahrpraxis von 6,7 Jahrenmit durchschnittlich 21.200 gefahrenen Kilometernpro Jahr hatten. Auch mit der veränderten Ver-suchsanordnung lassen sich weder eine Über-schätzung der Geschwindigkeit bei klarer Sichtnoch eine Zunahme der gewählten Geschwindig-keiten mit zunehmender Sichteinschränkung nach-

weisen (Bild 6). Erneut waren die Versuchsperso-nen sehr gut in der Lage, im Mittel die geübte Ge-schwindigkeit unter allen Sichtbedingungen richtigeinzustellen.

Allerdings deutet ein Anstieg der Standardabwei-chung der Geschwindigkeit auf individuelle Unter-schiede in der Reaktion auf die Sichtbedingunghin. Dieser Befund legt die Vermutung nahe, dassder von SNOWDEN berichtete Effekt möglicher-weise nur dann bei allen Probanden entsteht, wennein vergleichbar realistischer Landschaftshinter-grund besteht. In der folgenden Untersuchungwurde deshalb versucht, sich noch stärker derSNOWDEN-Simulation anzunähern.

3.2.4 Replikationsstudie 3: „Bildschirm: Strukturierte Landschaft“

In der dritten Untersuchung wurde der Detailreich-tum der dargestellten Landschaft stärker an die Si-mulaton von SNOWDEN angepasst, da diese De-tails als visuelle Merkmale für die Geschwindig-keitswahrnehmung eine Rolle spielen können. An-stelle des bisher einfarbig blauen Himmels wurdeein bewölkter Himmel simuliert. Ebenso wurde dereinfarbig grüne Rasen durch einen mehrfarbigstrukturierten Rasen ersetzt. Darüber hinaus wur-den links und rechts der Straße in unregelmäßigenAbständen Bäume platziert und die Mittellinie vonder Darstellung der Straße entfernt. Schließlichwurde auch noch der Gaspedaldruck variiert, umRückschlüsse auf die Geschwindigkeit über diePedalstellung auszuschließen. Ansonsten wardiese Untersuchung in methodischer und experi-

22

Bild 5: Mittelwerte der erreichten Endgeschwindigkeiten überalle Versuchspersonen in Abhängigkeit von den Sicht-bedingungen (Replikationsstudie 1)

Bild 6: Mittelwerte der erreichten Endgeschwindigkeiten überalle Versuchspersonen in Abhängigkeit von der Sicht-weite (Replikationsstudie 2)

Page 24: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

menteller Hinsicht identisch mit den beiden vo-rausgegangenen.

An diesem Experiment nahmen sieben männlicheund drei weibliche Probanden zwischen 20 und 37Jahren teil. Die mittlere Fahrpraxis in Jahren betrug6,3 mit einer durchschnittlichen Kilometerleistungpro Jahr von 12291 km. Erneut zeigte sich keinesignifikant erhöhte Geschwindigkeit bei klarer Sichtund ebenso kein signifikanter Anstieg bei zuneh-mender Sichtbehinderung (siehe Bild 7). Aber einsignifikanter Einfluss der Sichtbedingung auf dieStandardabweichung der Geschwindigkeit zeigtsich auch in dieser Untersuchung. Auch wenn sichder SNOWDEN-Effekt nicht zeigt, so deutet derletzte Befund dennoch auf die mit zunehmenderSichtbehinderung ansteigende Variabilität in derReaktion auf die Sichtbedingung hin.

Ein weiterer Replikationsversuch, bei dem die vonuns verwendete als realistisch empfundene Ne-beldarstellung durch eine einfache flächige Kon-trastreduktion ersetzt worden war, wie SNOWDENsie eingesetzt hatte, blieb ebenfalls ohne Erfolg.

3.2.5 Replikationsstudie 4: „Fahrsimulator“

Da alle Modifikationen und Varianten mit der in Aa-chen zur Verfügung stehenden Simulationsanord-nung keine Replikations-Erfolge brachten, wurdeeine Untersuchung am Simulator des WürzburgerInterdisziplinären Zentrums für Verkehrswissen-schaften (IZVW) geplant. Der Simulator, der auchfür unsere Modelluntersuchungen eingesetztwurde und in Kapitel 4 ausführlicher beschriebenwird, erlaubt eine realitätsnahe Darstellung: eine

180°-Präsentation der Fahrszene, ein realistischesFahrumfeld in Form einer kompletten Fahrgastzelleeines 5er BMWs und letztendlich die Simulationder Fahrdynamik.

Die Verwendung des Würzburger Fahrsimulatorserforderte einige experimentelle Veränderungen.Die neue Strecke, eine zweispurige, kurvige Land-straße (max. Länge 8.800 m), hatte eine Mittellinie,aber keine Seitenpfosten. Die Straße war rechtsund links in unregelmäßigen Abständen mit Bäu-men gesäumt. Es wurden keine Verkehrschilder,Häuser, Fußgänger oder andere Autos dargestellt.Die Bewegungssimulation war aktiviert, die Fahr-und Motorgeräusche waren dagegen deaktiviert,da dies ein direkter Indikator für die gefahrene Ge-schwindigkeit gewesen wäre. Als Richtgeschwin-digkeiten dienten wieder 50, 80 und 110 km/h. DieSichtbedingungen wurden zwischen Klarsicht,Sichtweite 75 m und Sichtweite 30 m variiert. Ander Untersuchung nahmen drei weibliche und fünfmännliche Probanden mit einem Alter zwischen 25und 39 Jahren, einer mittleren Fahrpraxis von 12,8Jahren und einer durchschnittlichen Kilometerleis-tung von 13.166 km pro Jahr teil. Die Fahrer hattenzwar die gesamten 8 km der Strecke zur Verfü-gung, eine Testfahrt wurde jedoch beendet, sobaldder Fahrer die Geschwindigkeit eingestellt hatte.Das war in der Regel nach spätestens einer Minu-te der Fall.

Die Durchführung entsprach den vorangegange-nen Replikationsstudien. Den neun Testfahrten(drei Richtgeschwindigkeiten bei je drei Sichtbe-dingungen) ging jeweils eine Übungsfahrt mit ein-geschaltetem Tacho voran. Dabei waren die dreiSichtbedingungen bei einer Geschwindigkeit ge-blockt, die Abfolge der Blöcke und die Reihenfolgeinnerhalb der Blöcke aber randomisiert. Zusätzlichzu den bisherigen Untersuchungen sollten die Ver-suchspersonen zusätzlich angeben, wann sie ihresubjektive sichtabhängige Sicherheitsgrenze derGeschwindigkeit erreicht hatten.

Ausgewertet wurden die mittlere Geschwindigkeit,die maximale Geschwindigkeit, die Varianz der Ge-schwindigkeit und die mittlere laterale Abwei-chung. Bei der lateralen Abweichung handelt essich um ein Maß für das Spurhaltevermögen. Es istdie absolute Abweichung in Metern von der Fahr-spurmitte. Die Varianz der Geschwindigkeit drücktaus, inwieweit die Geschwindigkeit konstant gehal-ten wird. Sie berechnet sich aus der Standardab-weichung der Geschwindigkeit als prozentualer

23

Bild 7: Mittelwerte der erreichten Endgeschwindigkeiten überalle Versuchspersonen in Abhängigkeit von der Sicht-weite (Replikationstudie 3)

Page 25: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Anteil vom Mittelwert der Geschwindigkeit inner-halb des ausgewerteten Zeitraumes. Tabelle 5 zeigtzunächst die Ergebnisse für die Fahrten mit freierGeschwindigkeitswahl.

Sowohl die resultierende mittlere Geschwindigkeitals auch die maximale Geschwindigkeit steigensignifikant mit zunehmender Sichtweite (jeweils p < 0.001). Am Fahrsimulator in Würzburg wurdenhöhere Geschwindigkeiten gewählt als bei ver-gleichbaren Sichtweiten in der Simulationsanord-nung in Aachen. Allgemein lässt sich sagen, dassdie gewählten Geschwindigkeiten für die entspre-chenden Sichtverhältnisse im Nebel um ca. 15-20km/h zu hoch sind.

Der leichte Abfall der lateralen Abweichung mit zu-nehmender Sichtbehinderung wird nicht signifikant(p > 0.09). Allerdings ergibt sich ein signifikanter Ef-fekt für die Varianz der Geschwindigkeit (p < 0.005),der auf den erhöhten Wert bei starkem Nebel(Sichtweite 30 m) zurückzuführen ist. Mit zuneh-mender Sichtbehinderung kommt es wiederum zueiner verstärkten Varianz im Geschwindigkeitsver-halten.

Der SNOWDEN-Effekt zeigt sich auch bei dieserUntersuchung nicht, wie Bild 8 verdeutlicht. Es er-gibt sich ein hochsignifikanter Einfluss des FaktorsRichtgeschwindigkeit (jeweils p < 0.001). Wie zu er-warten, liegt die erreichte Geschwindigkeit umsohöher, je höher die vorgegebene Richtgeschwin-digkeit war. Allerdings gab es keinen signifikantenEinfluss der Sichtbedingung (jeweils p > 0.9). Wiebei den Versuchen in Aachen zeigt sich im Gegen-teil erneut, dass die geübte Geschwindigkeit unterallen Sichtbedingungen mit hoher Genauigkeit re-produziert wird.

3.2.6 Zusammenfassung

Die von SNOWDEN berichteten Effekte der Sicht-einschränkung durch Nebel auf die Reproduktioneiner geübten Geschwindigkeit konnten in keinerder Untersuchungen gezeigt werden. Vielmehr wares den Versuchspersonen unter allen dargestelltenUmständen jeweils möglich, die Geschwindigkeitin guter Übereinstimmung mit den geübten Ge-schwindigkeiten zu reproduzieren.

4 Modelluntersuchungen 1-3

4.1 Konzeption

4.1.1 Theoretischer Ansatz

Der sozialpsychologische Ansatz von SCHÖN-BACH beschränkt sich auf die Annahme, dass dieunangepasste Fahrgeschwindigkeit bei Nebeldurch das Fahren in der Kolonne entsteht. Er bietetkeine Erklärung für eventuell unangepasstes Fah-ren des Einzelfahrers. Nun zeigen die Vor- und Re-plikationsstudien, dass die frei gewählte Fahrge-schwindigkeit bei Einzelfahrt den Sichtbedingun-gen angemessen angepasst wird und eine vorge-gebene Richtgeschwindigkeit – wider Erwarten –auch unter ungünstigen Sichtbedingungen (Nebel)vergleichbar wie unter Klarsichtbedingung zutref-

24

Tab. 5: Gefahrene Geschwindigkeit (km/h) und Spurhalteleistung (m) unter den drei Sichtbedingungen für die Fahrten mit freier Ge-schwindigkeitswahl. Erhobene Variablen waren Geschwindigkeit, Maximalgeschwindigkeit, Varianz der Geschwindigkeitsowie die mittlere laterale Abweichung, jeweils Mittelwerte und Standardabweichungen; Replikationsstudie 4

Klarsicht Sichtweite 75 m Sichtweite 30 m

Mittelwert St.-Abw. Mittelwert St.-Abw. Mittelwert St.-Abw.

Mittlere Geschwindigkeit 124,2 15,4 94,5 18,4 59,9 17,3

Maximalgeschwindigkeit 137,4 16,3 104,6 19,4 71,5 18,4

Varianz (in % vom MW) 6,11 1,26 6,10 2,03 9,04 1,87

Mittlere laterale Abweichung 0,35 0,13 0,32 0,15 0,26 0,13

Bild 8: Mittelwerte der während der Testphase gefahrenen Ge-schwindigkeiten über alle Versuchspersonen in Abhän-gigkeit von der Sichtweite (Replikationsstudie 4)

Page 26: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

fend eingestellt wird. Die Hypothese, dass perzep-tive Faktoren das Fahrverhalten des Einzelfahrersbei Nebel ungünstig beeinflussen, konnte – trotzder allgemeinen positiven Befundlage in der er-fassten Literatur – in den vorliegenden Untersu-chungen nicht bestätigt werden. Die fehlende Be-stätigung in den eigenen Simulationsuntersuchun-gen darf jedoch nicht zu einer generellen Verwer-fung der Hypothese führen. Die Einzelfahrtbedin-gung wird deshalb – schon aus untersuchungslogi-schen Gründen – in den folgenden Modelluntersu-chungen als „Kontrollbedingung“ weitergeführt.

SCHÖNBACH nimmt an, dass unangepasste Fahr-geschwindigkeit in der Kombination Kolonne undNebel auftritt. D. h., er erwartet nicht, dass Kolon-nenfahren gegenüber Einzelfahren generell, beiNebel und Klarsicht, zu unangepasster Fahrge-schwindigkeit führt. Ein solcher Effekt ist jedochnicht auszuschließen. Deswegen ist es – wiederumaus untersuchungslogischen Gründen – erforder-lich, eine Klarsichtbedingung immer als „Kontroll-bedingung“ mitzuführen. Es ist zu kontrollieren, obsich die Kolonnenfahrt bei klarer Sicht nicht ver-gleichbar wie bei Nebel abspielt: Werden bei Klar-sicht Fahrzeugabstände gewählt, die bei einerplötzlichen Stockung des Verkehrs zu Unfällenführen würden, die sich aber dadurch vermeidenlassen, dass der vorausfahrende Verkehr über dasunmittelbar vorangehende Fahrzeug hinaus über-wacht werden kann? Die spezifische Wirkung desNebels bestünde dann vor allem darin, dass dieÜberwachung des übrigen vorausfahrenden Ver-kehrs wegfällt.

Schließlich nimmt SCHÖNBACH an, dass beiNebel und Kolonnenfahren eine dritte Bedingunghinzukommen muss, um eine unangepasste Fahr-geschwindigkeit zu bewirken, nämlich das Be-schleunigen des vorausfahrenden bzw. das Drän-geln des nachfolgenden Fahrzeugs der Kolonne.

Die nachfolgenden Untersuchungen überprüfenschrittweise die einzelnen Annahmen.

4.1.2 Fragestellungen

In drei Modelluntersuchungen werden folgendeFragestellungen untersucht.

1. Wie verhält sich ein Testfahrer bei Nebel als Ein-zelner und in der Gruppe, wenn der Abstandzum vorausfahrenden oder nachfolgendenFahrzeug konstant bleibt, also die dritte not-wendige Bedingung für unangepasstes Fahren

nach SCHÖNBACH – die Beschleunigung mit-fahrender Fahrzeuge in der Kolonne – nicht ge-geben ist? Es wird erwartet, dass der Fahrerseine frei gewählte Fahrgeschwindigkeit denSichtbedingungen anpasst, vergleichbar in derEinzel- und Kolonnenfahrt. Die Alternativhypo-these besagt, dass bei der Kombination vonschlechter Sichtbedingung (Nebel) und Kolon-nenfahrt die Fahrgeschwindigkeit überpropor-tional erhöht wird.

2. Wie verhält sich der Testfahrer in der Gruppeunter verschiedenen Sichtbedingungen, wennvorausfahrende bzw. nachfolgende Fahrzeugebeschleunigen? Nach SCHÖNBACH wird er-wartet, dass die Fahrgeschwindigkeit mit Ver-schlechterung der Sichtbedingung und zuneh-mender Beschleunigung des mitfahrendenFahrzeugs überproportional erhöht wird. Alter-nativhypothese ist, dass beide Bedingungs-merkmale keine oder unabhängige Effekte auf-weisen.

3. Welche Zeitlücke stellen Testfahrer als für sieoptimal ein, wenn sie in der Kolonne unter ver-schiedenen Sichtbedingungen die Möglichkeithaben, den Abstand zum mitfahrenden Fahr-zeug zu regulieren? Sind es nach SCHÖNBACHnicht bewusste Anpassungen der Fahrge-schwindigkeit bei Nebel und Kolonnenfahrt,dann sollten die gewählten Zeitlücken überpro-portional unangepasst unter dieser Bedin-gungskombination sein.

4.1.3 Untersuchungsmethode

Die Untersuchungen fanden an dem Fahrsimulatordes Würzburger Instituts für Verkehrswissenschaf-ten (WIVW) statt, der mit allen notwendigen Kom-ponenten für ein realitätsnahes Bild des Realfahr-zeugs und des Realverkehrs ausgestattet ist.

Die Bewegungssimulation der Firma Fokker Con-trol Systems bietet sechs Freiheitsgrade und istsomit in der Lage, alle notwendigen Quer- undLängsbeschleunigungen zu simulieren. Das Sicht-system bietet eine 180° x 40° Frontsicht auf einersphärischen Leinwand. Für die Rückansicht wer-den TFT-Displays an den Positionen der Rück- undAußenspiegel verwendet. Sämtliche Fahr- und Ver-kehrsgeräusche werden über ein hochwertiges Soundsystem wiedergegeben. Die computergene-rierte Darstellung der Verkehrsszene, des autono-men Verkehrs und, für unsere Untersuchung be-

25

Page 27: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

sonders wichtig, der Umweltbedingungen ist rea-litätsnah und flexibel veränderbar. So ermöglichtder Simulator dem Versuchsleiter, die auf das Ver-suchsdesign zugeschnittene Konstruktion der er-forderlichen Szenarien selbst vorzunehmen. Damitwar es für uns möglich, notwendige Spezifikatio-nen der Autobahnstrecke, wie zum Beispiel dasFehlen der Seitenpfosten und die Implementierungvon Baumgruppen, durchzuführen. Auch das Ver-halten nachfolgender und vorausfahrender Kolon-nenfahrzeuge konnte so präzise und den Ver-suchsplänen entsprechend vorprogrammiert wer-den. Bild 9 zeigt Bilder des Simulators.

Der Simulator basiert auf mehreren vernetzten PC-Workstations, die für einzelne Bereiche (Bewe-gung, Akustik, Sicht usw.) zuständig sind, undeiner Verwaltungsinstanz, die die unterschiedlichenSoftwarekomponenten auf verschiedene Computerverteilt und in Echtzeit koordiniert.

Der Simulator erlaubt die Erfassung aller Fahrpara-meter (Geschwindigkeit, Bremsen, Beschleunigenusw.) und einer Reihe von Beanspruchungspara-metern (Herzrate, Lidschluss u. a.).

Die Versuchspersonen stammen aus einem Ver-suchspersonenpool, die speziell für diesen Simula-tor ein umfangreiches Einführungsprogramm ab-solviert haben. Alle Teilnehmer sind somit an dasFahren in diesem Simulator gewöhnt und mit ver-schiedenen Untersuchungsmethoden vertraut.

4.2 Modelluntersuchung 1

Das Ziel der ersten Modelluntersuchung bestandzunächst darin, zu überprüfen, wie sich ein Test-fahrer bei Nebel als Einzelner und in der Gruppe

verhält, wenn der Abstand zum vorausfahrendenoder nachfolgenden Fahrzeug konstant bleibt.Ausgehend von den Hypothesen von SCHÖN-BACH wurde das Fahren in einer Kolonne reprä-sentiert durch zwei Fahrbedingungen mit einemvorausfahrenden oder einem nachfolgenden Fahr-zeug. Darüber hinaus wurde aber auch das Fahr-verhalten in einer Einzelfahrt, also ohne Führungs-oder Nachfolgefahrzeug, betrachtet. In dieser ers-ten Modelluntersuchung interessierten möglicheVerhaltensänderungen beim Beschleunigen desvorausfahrenden oder nachfolgenden Fahrzeugsnicht. Daher sollte der Abstand zwischen demFremdfahrzeug und dem Fahrzeug der Versuchs-person zunächst konstant gehalten werden.

4.2.1 Versuchsplan

Realisiert wurde eine sieben Kilometer langeStrecke auf einer Autobahn mit zwei Fahrspuren fürjede Richtung, mit Mittellinie und Seitenlinien, aller-dings ohne Mittelleitplanke und Seitenpfosten. Ins-gesamt gab es vier lang gezogene Kurven miteinem großen Kurvenradius. Das Durchfahren derKurven erforderte auch bei hohen Geschwindigkei-ten keine Geschwindigkeitsreduktion aufgrund derFliehkräfte. Auf der Gegenfahrbahn fuhren in unre-gelmäßigen Abständen Fahrzeuge (verschiedenePkw). Diese Fahrzeuge fuhren immer mit der glei-chen Geschwindigkeit wie das Testfahrzeug, so-dass ein Rückschluss über die eigene Geschwin-digkeit aufgrund der anderen Fahrzeuge nicht mög-lich war. Die Strecke war in unregelmäßigen Ab-ständen von Bäumen und Baumgruppen gesäumt.

Obwohl sich die Ergebnisse von SNOWDEN nichtreplizieren ließen, haben wir doch seine Methode

26

Bild 9: Bilder des Simulators in Würzburg. Links eine Außenansicht mit dem Bewegungssystem, rechts das Fahrzeug und diesphärische Leinwand

Page 28: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

des Fahrens ohne Geschwindigkeitsrückmeldungper Tacho weiterhin übernommen. Ebenfalls in An-lehnung an SNOWDEN et al. werden drei Witte-rungsbedingungen realisiert: eine Normalsichtbe-dingung ohne Sichteinschränkung, im Folgendenauch Klarsichtbedingung genannt, eine Nebelbe-dingung mit ca. 80 m Sichtweite und eine Nebel-bedingung mit ca. 50 m Sichtweite. Zusammen mitden drei Fahrbedingungen (Einzelfahrt, Fahrt mitvorausfahrendem Fahrzeug und Fahrt mit nachfol-gendem Fahrzeug) ergeben sich somit 3 x 3 = 9Versuchsbedingungen.

Zwar sollten, wie bereits erwähnt, die Abstände dervorausfahrenden bzw. nachfolgenden Fahrzeugezum Fahrzeug der Versuchsperson konstant gehal-ten werden, das war aber nur möglich, wenn in deneinzelnen Sichtbedingungen unterschiedliche Ab-stände festgelegt werden. In der Nebelbedingungmit 50 m Sichtweite ist ein maximaler Abstand von40-50 m möglich, da das andere Fahrzeug für denFahrer sonst nicht mehr sichtbar ist. Dieser Ab-stand wäre aber in der Klarsichtbedingung auf-grund der viel höheren Geschwindigkeiten viel zugering. Daher wurden Abstände von 40 m in derstarken Nebelbedingung, 70 m in der mittleren Ne-belbedingung und 125 m in der Klarsichtbedingungrealisiert. Für die Nebelbedingungen bleiben dieFremdfahrzeuge somit immer im sichtbaren Be-reich. Insgesamt liegen die Zeitlücken zum Fremd-fahrzeug, bei zu erwartenden Geschwindigkeitenvon ca. 50 km/h im starken Nebel, ca. 80 km/h immittleren Nebel und ca. 140 km/h bei klarer Sicht,in allen Sichtbedingungen konstant im Bereich vonca. 3 Sekunden. Tabelle 6 verdeutlicht noch einmalden Versuchsplan

4.2.2 Durchführung und Auswertung

An der Untersuchung nahmen 24 Probanden teil.Die Versuchspersonen waren zwischen 20 und 61Jahren alt, das Durchschnittsalter betrug 29 Jahre.Es nahmen zehn Frauen und 14 Männer an der Un-tersuchung teil.

Die Beschränkung auf die nach SCHÖNBACH be-sonders gefährdete Gruppe der männlichen Fahrerzwischen 18 und 29 Jahren wurde zunächst aufge-geben. Da die Voruntersuchungen gezeigt hatten,dass es sinnvoll ist, vor einer empirischen Überprü-fung der SCHÖNBACHschen Annahmen grundle-gende Verhaltensweisen beim Fahren im Nebel zuklären, wurde die Anzahl der Versuchspersonen er-höht und die Einschränkung auf die Gruppe derjungen Männer aufgehoben.

Die aus dem Versuchsplan (Tabelle 6) resultieren-den neun Versuchsfahrten wurden von allen Ver-suchspersonen in einer zufälligen Reihenfolge aufder 7 km langen Teststrecke absolviert. Dabeiwurde darauf geachtet, dass jede Versuchspersonmit einer Klarsichtbedingung starten konnte. Vorden Versuchsfahrten absolvierten die Versuchsper-sonen eine Eingewöhnungsfahrt. Nach den Ver-suchsfahrten wurde die erste Fahrt (Klarsichtfahrt)noch einmal wiederholt, um mögliche Übungsef-fekte zu überprüfen. Die Versuchspersonen wurdeninstruiert, mit gleichmäßigem Tempo sicht- und si-cherheitsangemessen zu fahren. Nach jeder Fahrtwurden die Teilnehmer nach ihren subjektiven Ein-drücken ihres Fahrverhaltens befragt. Jede Ver-suchsperson absolvierte die Teststrecke in allenBedingungen komplett. Je nach Geschwindigkeitdauerte eine Fahrt zwischen vier und zehn Minu-ten.

Ausgewertet wurden Fahrgeschwindigkeit, Spur-halteverhalten und weitere Parameter der Fahrdy-namik sowie die subjektiven Einschätzungen derFahrer.

4.2.3 Ergebnisse

Geschwindigkeitsverhalten

Zur Auswertung der Geschwindigkeit wurde eineVarianzanalyse mit dem dreistufigen Faktor Nebel(50 m, 80 m, klar) und dem dreistufigen FaktorFahrt (Einzelfahrt, mit nachfolgendem bzw. voraus-fahrenden Fahrzeug) gerechnet.

Die mittleren Geschwindigkeiten sinken mit zuneh-mendem Nebel (siehe Bild 11), der HaupteffektNebel der Varianzanalyse wird signifikant [F(2,69) =23, 48; p < 0,001]. Bei klarer Sicht fahren die Ver-suchspersonen im Mittel 144 km/h, bei Nebel miteiner Sichtweite von 80 m fahren sie im Mittel mit99 km/h und bei einer Sichtweite von 50 m fahrensie im Mittel 83 km/h schnell. Damit sind die Ge-schwindigkeiten im Nebel deutlich schneller, als es

27

Tab. 6: Fahrt- und Sichtbedingungen im Versuchsplan von Mo-delluntersuchung 1 mit Abstand des vorausfahrendenbzw. folgenden Fahrzeuges in Metern

Klare Sicht Nebel 80 m Nebel 50 m

Einzelfahrt - - -

Kolonnenfahrt mit vorausfahrendem Kfz 125 m 70 m 40 m

Kolonnenfahrt mit nachfolgendem Kfz 125 m 70 m 40 m

Page 29: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

die Sichtweite eigentlich erlaubt. Die Ursachen fürdiese überhöhte Geschwindigkeit im Nebel werdenspäter näher beleuchtet.

Die mittlere Geschwindigkeit bei einem vorausfah-renden Pkw ist unter allen Sichtbedingungen nied-riger als bei der Einzelfahrt und der Fahrt mit nach-

28

Bild 10: Geschwindigkeitsverläufe über die Fahrtstrecke am Beispiel von drei Versuchspersonen (Fahrten für jede Versuchspersonjeweils nebeneinander). Jedes Einzelbild enthält die Verläufe für eine Fahrt. Die linke Spalte zeigt Fahrten bei klarer Sicht,die rechte bei starkem Nebel (50 m)

Page 30: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

folgendem Kfz (Bild 11), der Haupteffekt Fahrt wirdallerdings knapp nicht signifikant [F(2,69) = 2,18; p = 0,077]. Bezieht man nur die Einzelfahrten unddie Kolonnenfahrten mit vorausfahrendem Fahr-zeug in die Berechnung ein, wird die entsprechen-de Varianzanalyse aber signifikant [F(1,46) = 4,32; p < 0,05]. Bei Fahrten mit nachfolgendem Fahrzeugzeigen sich hingegen keine Effekte, die gefahrenenGeschwindigkeiten mit nachfolgendem Fahrzeugunterscheiden sich jeweils nicht von denen der Ein-zelfahrten. Die Geschwindigkeitsabnahme bei Ne-bel ist unabhängig von der Fahrbedingung, die ent-sprechende Interaktion wird nicht signifikant.

Die Geschwindigkeitsanalyse der Fahrten der ein-zelnen Probanden im Verlaufsprofil zeigt, dass ihrFahrverhalten relativ variantenreich und interindivi-duell wenig homogen ist. Es lassen sich anhandder Geschwindigkeitsprofile verschiedene Fahrer-typen unterscheiden, allerdings ist eine Abgren-zung nicht immer klar zu treffen.

Etwa die Hälfte der Versuchspersonen wählt imNebel im Mittel eine im Rahmen der StVO ange-messene Geschwindigkeit, sodass sie innerhalbder Sichtweite hätten anhalten können. Diese Pro-banden werden streckenweise jedoch etwasschneller und auf anderen Streckenabschnittenwiederum langsamer. Bei anderen Fahrern wech-seln leichte Beschleunigungen und Verzögerungenschneller ab, der Wechsel ist dabei aber hochfre-quenter. Diese Fahrer, etwa ein Drittel der Ver-suchspersonen, haben im Nebel insgesamt einleicht zu hohes Geschwindigkeitsniveau gemessenan den Bestimmungen der StVO. Die übrigen Fah-rer (ca. 20 %) reduzieren ihre Geschwindigkeit imNebel nicht ausreichend und fahren nicht denSichtverhältnissen angemessen. Dafür sind beiihnen die Geschwindigkeitsschwankungen am ge-ringsten. Bild 10 zeigt beispielhaft die Geschwin-digkeitsverläufe von drei Versuchspersonen jeweilsbei klarer Sicht und im Nebel. Es fallen sofort dieglatten Geschwindigkeitsverläufe bei klarer Sichtund die stärker oszillierenden Profile im Nebel auf.Lediglich bei der in der Mitte dargestellten Personvariiert die Geschwindigkeit bei klarer Sicht auch inder Fahrt mit vorausfahrendem Fahrzeug stärker.Diese Fahrt ist auch deutlich langsamer als die an-deren Fahrten dieser Person bei klarer Sicht. Of-fenbar ist der feste Abstand für diesen Fahrer un-terhalb seines bevorzugten minimalen Folgeab-stands, was er durch eine geringere Geschwindig-keit zu kompensieren versucht.

Insgesamt ist das Fahrverhalten also interindividu-ell verschieden und sehr variabel. Die Geschwin-digkeit schwankt bei Nebel mit höherer Frequenzund höherer Amplitude um den Mittelwert. Die Fre-quenz dieser Oszillation scheint dabei mit zuneh-mendem Nebel anzusteigen. Bei Nebel ist der Ge-schwindigkeitsverlauf also weniger gleichmäßig alsbei klarer Sicht. Eine genauere Diskussion des Os-zillationsphänomens erfolgt im Abschnitt 4.4.4.

Subjektive Einschätzungen

Die Fahrer empfinden generell die Nebelbedingun-gen als realitätsgetreu und schätzen ihr eigenesFahrverhalten als sicht- und sicherheitsangemes-sen ein. Die meisten Befragten empfinden das vo-rausfahrende Fahrzeug als Orientierungshilfe undmerken nicht, dass dessen Geschwindigkeit anihre eigene gekoppelt ist. An das nachfolgendeFahrzeug erinnern sich nur wenige der Befragten.Diese gaben an, es nur wenig beachtet zu haben.

Die subjektiv berichteten Geschwindigkeiten lagendeutlich unter den tatsächlich gefahrenen Ge-schwindigkeiten. Die eigene Geschwindigkeit wurdealso deutlich unterschätzt. Bild 12 verdeutlicht, dassdas Ausmaß der Unterschätzung tendenziell mit zu-nehmendem Nebel steigt. Während die Geschwin-digkeit in der Klarsichtbedingung im Mittel um 20km/h unterschätzt wird, wird sie in den Nebelbedin-gungen um durchschnittlich 28 km/h unterschätzt.Allerdings werden weder Unterschiede zwischenden Nebelbedingungen noch zwischen den Kolon-nenbedingungen statistisch signifikant.

29

Bild 11: Mittlere Geschwindigkeit in Abhängigkeit von denSichtbedingungen (Nebel) und den Fahrtbedingungen(Kolonne) in Modelluntersuchung 1

Page 31: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Angesichts dieser Unterschätzung der eigenen Ge-schwindigkeit gerade im Nebel erscheinen dietatsächlich zu hohen Geschwindigkeiten im Nebelin einem anderen Licht. Die Versuchspersonen sindalso nicht bewusst schneller gefahren, als sie soll-ten, sondern sie sind nach ihrer Einschätzungsicht- und sicherheitsangemessen gefahren. Bild13 verdeutlicht diesen Zusammenhang.

Sind die tatsächlichen Geschwindigkeiten im Nebelhäufig zu hoch, so bleiben die subjektiv empfunde-nen Geschwindigkeiten zumeist doch in einem Be-reich, der für die jeweiligen Sichtbedingungen alsnoch angemessen erscheint.

4.2.4 Diskussion

Es zeigt sich in der ersten Modelluntersuchung,dass das Fahrverhalten bei Nebel im Simulatordurchaus vergleichbar mit den Beobachtungen imrealen Verkehr ist. Die Geschwindigkeit wird beiNebel zwar vermindert, jedoch nicht so weit, wie esdie Sichtverhältnisse eigentlich erfordern. Der vonSCHÖNBACH postulierte Druck- und Sogeffektkonnte und sollte in der ersten Modelluntersu-chung noch nicht evaluiert werden. Dennoch kön-nen die Ergebnisse bereits im Hinblick auf dieSCHÖNBACHschen Hypothesen betrachtet wer-den:

Auf den ersten Blick scheint der Befund einer ge-ringeren Geschwindigkeit bei einem vorausfahren-den Fahrzeug der Soghypothese von SCHÖN-BACH zu widersprechen, da nach SCHÖNBACHdie Geschwindigkeit steigen müsste. Allerdingssind in dieser Versuchsanordnung die Bedingun-gen hierzu auch gar nicht gegeben, da das Vorder-fahrzeug mit festem Abstand an das Versuchsfahr-zeug gekoppelt war, was die Probanden allerdingsnicht bemerkten.

Es kann festgehalten werden, dass das Geschwin-digkeitsverhalten überhaupt durch den vorausfah-renden Pkw beeinflusst worden ist. Da diesesimmer die gleiche Geschwindigkeit einhält wie dasFahrzeug der Versuchsperson, bleibt es für die Ver-suchsperson immer im Sichtbereich, egal wieschnell die beiden Fahrzeuge fahren. Eine Ge-schwindigkeitserhöhung ist daher nicht zu erwar-ten. Die Geschwindigkeitsreduktion ist aus folgen-dem Grund plausibel: Aufgrund der insgesamtüberhöhten Geschwindigkeit im Nebel und desgleichzeitig festen Abstandes zum Vorderfahrzeugentstehen im Nebel kürzere Zeitlücken zum Vorder-fahrzeug als eigentlich vorgesehen. Die Versuchs-personen können diese geringeren Zeitlücken nurdurch eine verminderte Geschwindigkeit ausglei-chen. Auch in den Felduntersuchungen auf der Au-tobahn zeigt sich immer wieder, dass die Ge-schwindigkeit bei Einzelfahrern höher liegt als dieGeschwindigkeit von Kolonnen (vgl. Kapitel 5), derEffekt kann daher nicht als Artefakt der Simulator-situation angesehen werden.

Neben den erhöhten mittleren Geschwindigkeitenist in der Modelluntersuchung 1 insbesondere dasvariable Fahrverhalten der Versuchspersonen auf-gefallen. Während bei klarer Sicht die Geschwin-digkeit, unabhängig von der Kolonnenbedingung,gleichmäßig und ohne Schwankungen über die ge-

30

Bild 12: Unterschätzung der tatsächlich gefahrenen Geschwin-digkeit in km/h in Modelluntersuchung 1

Bild 13: Tatsächliche und geschätzte Geschwindigkeiten imVergleich; Modelluntersuchung 1

Page 32: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

samte Fahrstrecke eingehalten wird, kommt es imNebel zu Schwankungen in zweifacher Weise. Zumeinen wählen einige Fahrer zunächst häufig eineGeschwindigkeit, die sie im Laufe der Fahrt zumTeil mehrmals korrigieren. Das heißt, sie probierenmehrere Geschwindigkeiten aus und überprüfendann, welche wohl für sie den Sichtverhältnissenam angemessensten ist. Auf Nachfragen bei die-sen Versuchpersonen bestätigten diese, dass sietatsächlich verschiedene Geschwindigkeiten aus-probiert haben, um sicher zu sein, nicht zu schnell,aber auch nicht zu langsam zu fahren. Die vermin-derten Möglichkeiten der Geschwindigkeitswahr-nehmung durch externe Faktoren im Nebel scheintdieses Suchverhalten mit zu verursachen. Darüberhinaus scheint dieser Effekt wohl auch durch diefehlende Geschwindigkeitskontrolle durch denTacho determiniert zu sein und ist somit auch eineFolge der Versuchsdurchführung.

Die zweite Art der Geschwindigkeitsschwankungenim Nebel ist von kleiner Amplitude, aber höhererFrequenz und den Versuchspersonen überhauptnicht bewusst. Sie schwanken mit einer Differenzvon ca. 10 km/h um ihre mittlere Geschwindigkeit,und zwar in gleichmäßigen Abständen (etwa zweiMal pro Kilometer). Fast alle Fahrer zeigen diese er-höhte Geschwindigkeitsvariabilität im Nebel. DieFahrer werden geringfügig schneller, reduzierendann ihre Geschwindigkeit wieder etwas und soweiter. Es hat den Anschein, als würden sie sichimmer wieder an ihren persönlichen Grenzwert her-antasten. Sie verhalten sich also so, wie in den Mo-dellen zum Fahrverhalten in Kolonnen (vgl. DIE-KAMP, 1995) für das Fahren hinter einem voraus-fahrenden Fahrzeug beschrieben. Das Erreicheneines minimalen Folgeabstands führt zu einer ge-ringfügigen Geschwindigkeitsrücknahme, das Er-reichen eines maximalen Folgeabstands führt zueiner kurzfristigen Geschwindigkeitserhöhung. Eini-ge Fahrer (siehe auch Bild 11) zeigen dieses Verhal-ten auch bei klarer Sicht und vorausfahrendem Ko-lonnenfahrzeug. Die Sichteinschränkung durchNebel hat also ähnliche Auswirkung wie ein voraus-fahrendes Fahrzeug und führt zu einer erhöhten Os-zillation der Geschwindigkeit. Grund hierfür istmöglicherweise das fahrerspezifische Abstandsver-halten. Die Fahrer variieren ihre Geschwindigkeit,genauso wie beim Folgen eines anderen Kraftfahr-zeugs, infolge eines Pendelns zwischen minimalemund maximalem (Folge-)Abstand zur Sichtgrenze.Dieser Hypothese wird in den nachfolgenden Un-tersuchungen weiter nachgegangen werden.

Das schwankende, oszillierende Fahrverhalten imNebel kann zu kritischen Differenzgeschwindigkei-ten führen, die sich in Kolonnen verstärken und imNebel zum Entstehen von Massenunfällen ent-scheidend beitragen können. Auch ohne denDruck-Sog-Effekt von SCHÖNBACH lassen sichalso aufgrund eines veränderten Fahrverhaltens,auch bei Einzelfahrern, bereits Hinweise für dasEntstehen von Nebelunfällen finden. Diese Effektesind auf die eingeschränkten Wahrnehmungsmög-lichkeiten der Geschwindigkeit zurückzuführen undden Fahren zumeist nicht bewusst.

Die Ergebnisse der Modelluntersuchung 1 gebenHinweise darauf, dass die Hypothese von SCHÖN-BACH zumindest nicht umfassend und vollständigdas Fehlverhalten im Nebel erklärt. Denn auchohne eine Kolonne und das Drängen und Ziehennachfolgender und vorausfahrender Fahrzeugekommt es zu Verhaltensmustern, die das Entstehenvon kritischen Situationen begünstigen können.

4.3 Modelluntersuchung 2

Die Ergebnisse der Modelluntersuchung 1 habengezeigt, dass der eingesetzte Simulator des Würz-burger Instituts für Verkehrswissenschaften (WIVW)das Fahrverhalten bei Nebel realitätsgetreu abbil-det und unterschiedliche Fahrsituationen des Ko-lonnenfahrens realisiert werden können. Es zeigtesich, dass sich beim Fahren hinter einem anderenPkw in konstantem Abstand die Fahrgeschwindig-keit reduziert. In der zweiten Modelluntersuchungsollten nun explizit die Thesen von SCHÖNBACHuntersucht werden. Es interessieren insbesonderedie Verhaltensänderungen bezüglich Geschwindig-keit und Abstand, wenn das nachfolgende oderdas vorausfahrende Fahrzeug in einer Kolonne be-schleunigt und so im Sinne von SCHÖNBACHDruck bzw. Sog auf den Fahrer ausübt.

4.3.1 Versuchsplan

Die im Simulator programmierte Strecke entsprachin ihrem Aufbau der Strecke aus Modelluntersu-chung 1. Wieder fehlten Mittel- und Seitenlinie, dieKurven waren lang gezogen, es gab Gegenverkehrund in unregelmäßigen Abständen Bäume undBaumgruppen. Um genügend Zeit für die notwen-digen Beschleunigungsvorgänge zu haben, wurdedie Strecke auf 9 km verlängert. Die Charakteristikder Strecke änderte sich dabei nicht.

31

Page 33: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Auch in der Modelluntersuchung 2 mussten dieTeilnehmer ohne Geschwindigkeitsrückmeldungper Tacho fahren. Die drei Sichtbedingungen, Nor-malsichtbedingung ohne Sichteinschränkung, Ne-belbedingung mit ca. 80 m Sichtweite und Nebel-bedingung mit ca. 50 m Sichtweite, blieben erhal-ten. Allerdings wurden von den drei Fahrbedingun-gen der Modelluntersuchung 1 nur noch die Kolon-nenfahrten, also die Fahrten mit vorausfahrendemoder mit nachfolgendem Fahrzeug, realisiert. DieEinzelfahrt ohne begleitende Fahrzeuge interes-sierte zur Überprüfung des Sog- bzw. Druckeffek-tes nicht.

Um das Fahrverhalten bei unterschiedlichem Be-schleunigungsverhalten der begleitenden Kolon-nenfahrzeuge detailliert beleuchten zu können,wurde eine dritte unabhängige Variable eingeführt,der Grad der Beschleunigung des vorausfahrendenbzw. nachfolgenden Fahrzeugs. Die vorausfahren-den oder nachfolgenden Kolonnenfahrzeuge be-schleunigen entweder mit 0,3 m/s2 auf eine 15 %höhere Differenzgeschwindigkeit oder mit 0,1 m/s2

auf eine 30 % höhere Differenzgeschwindigkeit.Die Basis für die Differenzgeschwindigkeit wurdenach zwei Kilometern Fahrt erhoben. Bis dahinwaren Abstand und Geschwindigkeit des voraus-fahrenden bzw. des nachfolgenden Fahrzeugs, wiein Modelluntersuchung 1, an das Fahrzeug der Ver-suchsperson gebunden. Das heißt, sie fuhrenimmer genauso schnell wie die Versuchsperson inkonstantem Abstand vorweg oder hinterher. Ab km2 beschleunigen die Kolonnenfahrzeuge unabhän-gig vom Fahrzeug der Versuchsperson auf die Dif-ferenzgeschwindigkeit. Wenn sie diese erreicht

haben, fahren sie konstant mit dieser höheren Ge-schwindigkeit weiter. Bild 14 verdeutlicht den Ab-lauf einer Versuchsfahrt.

Die Versuchsperson kann nun dem vorausfahren-den Fahrzeug folgen und ebenfalls ihre Geschwin-digkeit erhöhen. Tut sie es nicht, wird das voraus-fahrende Fahrzeug sich allmählich entfernen und inden Nebelbedingungen auch außer Sicht geraten.In den Fahrbedingungen mit nachfolgendem Fahr-zeug beschleunigt dieses bis zu einer Mindestzeit-lücke von einer Sekunde, lässt sich dann wiederetwas zurückfallen und läuft dann immer wiederauf das Testfahrzeug auf, überholt es aber nicht. Sowird sicher maximaler Druck im Sinne von SCHÖN-BACH ausgeübt.

Es ergab sich somit ein 3 x 2 x 2 Versuchsplan mitdrei Sicht-, zwei Fahrt- und zwei Beschleunigungs-bedingungen (vgl. Tabelle 7).

4.3.2 Durchführung und Auswertung

An der Untersuchung nahmen dieselben 24 Ver-suchspersonen teil wie in der Modelluntersuchung1. Die Fahrer kannten somit alle bereits die Ver-suchsstrecke und die verschiedenen Sicht- undFahrbedingungen und die Instruktion, immer sicht-und sicherheitsangemessen zu fahren.

Die aus dem Versuchsplan (Tabelle 7) resultieren-den zwölf Versuchsfahrten wurden von allen Ver-suchspersonen in einer zufälligen Reihenfolge aufder 9 km langen Teststrecke absolviert. Dabeiwurde wieder darauf geachtet, dass jede Ver-suchsperson mit einer Klarsichtbedingung starten

32

Tab. 7: Fahrt- und Sichtbedingungen im Versuchsplan von Modelluntersuchung 2. Angabe des Ausmaßes der Beschleunigung desvorausfahrenden bzw. folgenden Fahrzeuges in Prozent der jeweils aktuellen Geschwindigkeit

Klare Sicht Nebel 80 m Nebel 50 m

Mit vorausfahrendem Fahrzeug Beschl. 15 % Beschl. 30 % Beschl. 15 % Beschl. 30 % Beschl. 15 % Beschl. 30 %

Mit nachfolgendem Fahrzeug Beschl. 15 % Beschl. 30 % Beschl. 15 % Beschl. 30 % Beschl. 15 % Beschl. 30 %

Bild 14: Ablauf einer Versuchsfahrt in der Modelluntersuchung 2

Page 34: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

konnte. Vor den Versuchsfahrten absolvierten dieVersuchspersonen eine Eingewöhnungsfahrt, aufder sie mehrmals ihre Geschwindigkeit schätztenoder eine vorgegebene Geschwindigkeit einstellensollten. Nach jeder Fahrt wurden die Teilnehmerwieder nach den subjektiven Eindrücken ihresFahrverhaltens befragt.

Die Fahrer wurden instruiert, in allen Fahrten zügigauf eine für sie sicht- und sicherheitsangemesseneGeschwindigkeit zu beschleunigen und dann unterBerücksichtigung des Fahrverhaltens andererFahrzeuge weiterzufahren. Wieder mussten dieFahrer die Strecke jeweils komplett durchfahren.Die einzelnen Fahrten dauerten je nach gewählterGeschwindigkeit zwischen fünf und zwölf Minuten.

Ausgewertet wurden wieder Fahrgeschwindigkeitund weitere Parameter der Fahrdynamik sowie diesubjektiven Einschätzungen der Fahrer.

4.3.3 Ergebnisse

Geschwindigkeiten

Zunächst werden wieder die mittleren Geschwin-digkeiten betrachtet, anschließend die Geschwin-digkeitsverläufe und die Definition und Klassifikati-on eines Verhaltens im Sinne der Druck-Sog Hypo-these.

Nach den ersten zwei Kilometern Fahrt, die vomAblauf her den Fahrten in der Modelluntersuchung1 entsprechen, sind die Geschwindigkeiten auchweit gehend mit denen in der Modelluntersuchung1 identisch (siehe Bild 15). Die Geschwindigkeitwird den Sichtverhältnissen entsprechend imNebel reduziert, aber doch nicht so weit, wie es ausSicherheitsgründen eigentlich notwendig wäre. Ineiner Kolonne mit vorausfahrendem Fahrzeug wirdin allen Sichtbedingungen im Mittel um 5-10 km/hlangsamer gefahren als in einer Kolonne mit nach-folgendem Fahrzeug. Auch dieses Ergebnis ent-spricht den Befunden aus der Modelluntersuchung1 und aus den Analysen von Autobahndaten. In derentsprechenden Varianzanalyse mit Messwieder-holung werden, bezogen auf die Geschwindigkeitbei zwei Kilometern, der Faktor Nebel [F(2,69) =209,67; p < 0,001] und auch der Faktor Kolonnen-fahrt [F(1,46) = 12,75 ; p < 0,001] signifikant.

Zwei Kilometer später haben die begleitenden Ko-lonnenfahrzeuge ihre Beschleunigung auf eine um15 % bzw. 30 % höhere Differenzgeschwindigkeitnahezu abgeschlossen. Die Versuchspersonensind dem vorausfahrenden Fahrzeug zumindest

zum Teil gefolgt, denn im Sog des vorausfahrendenKolonnenfahrzeugs sind die Fahrer im Nebel imSchnitt um 12 bzw. 14 km/h schneller gewordenund fahren nun auch schneller als bei einem nach-folgenden Kolonnenfahrzeug, bei dem sie die Ge-schwindigkeit nicht erhöht haben. Aber auch in derKlarsichtbedingung haben sie ihre Geschwindigkeiterhöht. Bild 16 verdeutlicht die Entwicklung. In derVarianzanalyse bezogen auf die Geschwindigkeitbei 4 Kilometern ist nach wie vor der Faktor Nebelsignifikant [Varianzanalyse F(2,69) = 181,09; p < 0,001]. Allerdings ist der Unterschied zwischenden Kolonnenbedingungen nicht signifikant [Vari-anzanalyse F(1,46) = 0,27; p > 0,1]. In der Bedin-gung mit vorausfahrendem Fahrzeug wird also,wenn nicht substanziell schneller, auch nichtlangsamer gefahren als bei nachfolgendem Fahr-zeug. Der Geschwindigkeitsdifferenz wurde alsoausgeglichen.

Am Ende der Versuchsstrecke, nach sieben Kilo-metern, reduziert sich die Geschwindigkeit in Be-gleitung eines vorausfahrenden Fahrzeugs wiederleicht und ist dann bei allen Sichtbedingungenetwa gleich hoch wie in der Bedingung mit nach-folgendem Fahrzeug, in der sich die Geschwindig-keiten nach wie vor nicht geändert haben. Mögli-cherweise haben einige Fahrer den Anschluss andas schneller fahrende Fahrzeug vor ihnen nichthalten können oder wollen und sind dann, nach-dem sie es haben ziehen lassen, wieder auf ihre

33

Bild 15: Mittlere Geschwindigkeit nach 2 Kilometern (dem Zeit-punkt des Entkoppelns des Kolonnenfahrzeugs), ge-trennt nach Sichtbedingung und Kolonnenfahrt in Mo-delluntersuchung 2

Page 35: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Ausgangsgeschwindigkeit zurückgekehrt. Bild 17zeigt diesen Zusammenhang.

Auch bei km 7 ist in der entsprechenden Varianz-analyse nur der Haupteffekt Nebel signifikant[F(2,69) = 167,55; p < 0,001]. Es gibt keinen Ge-schwindigkeitsunterschied bezüglich der Kolon-nenfahrt [F(1,46) = 0,14 ; p > 0,1].

Da es mit nachfolgendem Kolonnenfahrzeug zukeinerlei Veränderungen der Geschwindigkeit kam,konnte der Druckeffekt nicht evaluiert werden. Diefolgenden Auswertungen und Betrachtungen be-ziehen sich daher ausschließlich auf die Kolonnen-bedingung mit vorausfahrendem Fahrzeug und dendamit verbundenen Sog-Effekt.

Fahrertypen

Ob und in welchem Ausmaß ein Fahrer auf einerVersuchsfahrt dem Sog-Effekt unterliegt, lässt sichanhand des Abstands, den er im Verlauf der Fahrtzum Vordermann einhält, feststellen. Folgt der Fah-rer dem Vordermann nicht, so erhöht sich der Ab-stand infolge der Beschleunigung des Vorder-manns in kurzer Zeit so stark, dass er in den Ne-belbedingungen schnell außer Sichtweite gerätund auch in der Klarsichtbedingung so weit ent-fernt ist, dass er keinen Einfluss mehr auf die Ver-suchsperson haben kann. Bild 18 zeigt hierfür vierBeispiele:

Der Fahrer im Beispiel 1 (Bild 18) folgt bei keinerSichtbedingung dem vorausfahrenden Fahrzeug.Der Abstand nimmt auf allen drei Fahrten nach derEntkopplung (bei 2.000 m) schnell und kontinuier-lich zu, er fährt immer geschwindigkeitsorientiert.Der Fahrer in Beispiel 2 folgt bei allen Sichtbedin-gungen konsequent dem vorausfahrenden Fahr-zeug. Der Abstand bleibt gering und in einem kons-tanten Bereich. Hierzu muss er seine Geschwindig-keit jeweils der Geschwindigkeit des vorausfahren-den Kolonnenfahrzeugs angepasst haben, er fährtabstandsorientiert. Die Fahrer in den Beispielen 3und 4 folgen in einer bzw. zwei Nebelbedingungendem vorausfahrenden Fahrzeug, nicht aber bei kla-rer Sicht. Ihr Fahrverhalten ist also abhängig vonden Sichtbedingungen. Je mehr Nebel, desto eherfolgen sie dem Führungsfahrzeug. Nur wenige Fah-rer zeigen, wie in den Beispielen 1 und 2, entwedernie oder immer ein Sogverhalten. Die meisten Fah-rer folgen in einigen Fahrten dem vorausfahrendenFahrzeug und in anderen nicht (wie die Fahrer inden Beispielen 3 und 4).

Die Geschwindigkeitsprofile lassen daraufschließen, dass einige Fahrer, insbesondere dieje-nigen, die eine relativ hohe Anfangsgeschwindig-keit gewählt haben, kurzfristig versucht haben,dem Führungsfahrzeug zu folgen, dieses aber imLaufe der Fahrt wieder aufgegeben haben.

Hat sich der Abstand also am Ende der Versuchs-fahrt maximal auf das Doppelte des Ausgangsab-

34

Bild 16: Mittlere Geschwindigkeit nach 4 Kilometern (zu diesemZeitpunkt haben die begleitenden Kolonnenfahrzeugeihre maximale Geschwindigkeit erreicht), getrennt nachSichtbedingung und Kolonnenfahrt in Modelluntersu-chung 2

Bild 17: Mittlere Geschwindigkeit nach 7 Kilometern (zu diesemZeitpunkt haben die Kolonnenfahrzeuge ihre maximaleGeschwindigkeit erreicht), getrennt nach Sichtbedin-gung und Kolonnenfahrt in Modelluntersuchung 2

Page 36: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

standes erhöht, so wird diese Fahrt im Folgendenals Sogfahrt definiert. Die Fahrt wurde entspre-chend als „Vollsog“ klassifiziert. Der Fahrer hatseine Geschwindigkeit in diesen Fällen dem vo-rausfahrenden Kolonnenfahrzeug angepasst undist nicht mehr geschwindigkeitsorientiert, sondernabstandsorientiert gefahren.

Da viele Fahrer ihre Geschwindigkeit zunächst demVorderfahrzeug angepasst haben, ihm dann abernicht bis zum Ende der Fahrt gefolgt sind, sondernes irgendwann wieder haben wegziehen lassen,wurde eine Zwischenkategorie eingeführt. Wenndie Geschwindigkeitserhöhung bezogen auf dieBasisgeschwindigkeit bei km 2 mindestens 8 %(bei 15 % Beschleunigung des Vordermanns) bzw.16 % (bei 30 % Beschleunigung des Vordermanns)betrug und diese erhöhte Geschwindigkeit min-destens über eine Strecke von 2.500 m aufrechter-halten wurde, wurde die Fahrt als „Halbsog“ be-

zeichnet und entsprechend klassifiziert. War dieGeschwindigkeitserhöhung geringer und/oder nurauf einer kürzeren Strecke vorhanden, wurde dieFahrt als „kein Sog“ bezeichnet.

Bild 19 zeigt verschiedene Geschwindigkeitsver-läufe im Nebel (rechts) und bei klarer Sicht (links).In den beiden oberen Beispielen hält der Fahrernach dem Entkoppeln des Vordermanns seine ei-gene Geschwindigkeit (durchgezogene Linie) je-weils weiter ein und erhöht sie nicht synchron zurGeschwindigkeit des Vorausfahrenden (gestri-chelt). Diese Fahrer fahren also geschwindigkeitso-rientiert. Die Nebelfahrt unterscheidet sich von derFahrt bei klarer Sicht aber, wie in Modelluntersu-chung 1, durch eine stärkere Oszillation der Ge-schwindigkeit. Der Effekt ist nur auf den Nebelzurückzuführen, da das vorausfahrende Fahrzeugbereits kurz nach dem Beschleunigen bei Kilome-ter zwei im Nebel verschwunden ist. In der Mitte

35

Bild 18: Beispiele für die Entwicklung des Abstands zum Vordermann. Dargestellt sind jeweils die Abstandsverläufe zum Vorder-mann auf drei Fahrten einer Versuchsperson. Eine Fahrt bei klarer Sicht (durchgezogene Linie), eine Fahrt bei geringemNebel (gestrichelt) und eine Fahrt bei starkem Nebel (gepunktet); Modelluntersuchung 2

Page 37: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

sind als Beispiel zwei Fahrten wiedergegeben, dieals Halbsogfahrten klassifiziert wurden. Die Fahrererhöhen kurzfristig synchron mit dem vorausfah-renden Kolonnenfahrzeug ihre Geschwindigkeit,lassen dann aber wieder den Sichtkontakt abreißenund fallen wieder auf ein niedrigeres Geschwindig-keitsniveau zurück. Wieder ist in der Nebelfahrteine stärkere Variabilität der Geschwindigkeit zu

vermerken, obwohl das vorausfahrende Fahrzeugbereits nicht mehr zu sehen ist. Bei vollem Sog (dieunteren Beispiele in Bild 19) wird die Geschwindig-keit synchron mit dem vorausfahrenden Fahrzeugerhöht. Anschließend korrigieren die Fahrer ihreGeschwindigkeit immer wieder in kurzen Interval-len, um Zeitlücke und Abstand zum Vordermann zukontrollieren. Dieser Geschwindigkeitsverlauf ist ty-

36

Bild 19: Beispiele für Geschwindigkeitsverläufe bei einzelnen Versuchspersonen aus Modelluntersuchung 2. Fahrten im Nebel sindrechts, Fahrten bei klarer Sicht links dargestellt. Die beiden oberen Fahrten wurden nicht als Sogfahrten klassifiziert, diemittleren als Halbsogfahrten und die unteren als Vollsog-Fahrten (durchgezogen: Geschwindigkeit der Versuchspersonüber die Strecke; gestrichelt: Geschwindigkeitsverlauf des vorausfahrenden Fahrzeugs). Alle Abbildungen stammen ausFahrten mit starker Beschleunigung des vorausfahrenden Fahrzeugs

Page 38: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

pisch für Sogfahrten. Das Oszillieren ist dabei imNebel wiederum stärker als bei klarer Sicht. DieAbbildungen sind getrennt für die beiden Be-schleunigungsbedingungen, da sich das Sogver-halten bei einer schnellen und deutlicheren Be-schleunigung des Vordermanns weniger stark zeigtals bei einer langsameren und geringeren Be-schleunigung.

Bei einer Geschwindigkeitserhöhung auf eine 15 %höhere Geschwindigkeit als die Ausgangsge-schwindigkeit fahren im Nebel mit 80 m Sichtweitedie Hälfte, in der Nebelbedingung mit nur 50 mSicht sogar 19 von 24 Versuchspersonen mit demvorausfahrenden Kolonnenfahrzeug mit. Der Anteilder Versuchspersonen, die das Sogverhalten nichtoder nur teilweise zeigen, nimmt mit zunehmen-dem Nebel entsprechend ab. Aber entgegen derHypothese von SCHÖNBACH zeigt sich auch beiklarer Sicht das Sogverhalten bei einem Drittel derVersuchspersonen. Darüber hinaus fallen die unter-schiedlichen Anfangsgeschwindigkeiten der Fah-rer, die ein Sogverhalten zeigen, und von denen,die es nicht oder nur teilweise zeigen, auf.

Beschleunigt das Führungsfahrzeug stärker undschneller, steigt der Anteil der Fahrer, die ihr Ver-halten nicht nach der Geschwindigkeit des Voraus-fahrenden richten, nimmt aber mit zunehmendemNebel wieder ab. Bei klarer Sicht folgt keiner derVersuchspersonen dem stark beschleunigendenFahrzeug, mit zunehmendem Nebel wird aber voneinigen Versuchspersonen auch diesem Fahrzeuggefolgt. Unter allen Sichtbedingungen ist der Anteil

der Fahrer, die zwar versuchen, dem sich schnellentfernenden Fahrzeug zu folgen, es dann aberwieder aufgeben, höher als bei dem weniger starkbeschleunigenden Fahrzeug (Tabellen 8 und 9).Aber auch hier sind die Anfangsgeschwindigkeitensehr unterschiedlich. Die Fahrer, die dem voraus-fahrenden Fahrzeug folgen, sind zu Beginn derStrecke deutlich langsamer als die Fahrer, die denvorausfahrenden Pkw ziehen lassen.

Die Verteilungen der Fahrer auf die Sogklassifizie-rungen wurden mit nonparametrischen Tests aufVerteilungsgleichheit überprüft. Die Tests wurdensignifikant [Kruskal-Wallis-Test: Chi-Quadrat (df =2) = 16,01], das heißt, die Verteilungen unterschei-den sich bei beiden Beschleunigungsbedingungenin Abhängigkeit von der Sichtweite voneinander.

Abschließend werden die Geschwindigkeitsverläu-fe getrennt nach dem Sogverhalten analysiert. Eszeigt sich, dass bei klarer Sicht (Bild 20) insgesamtim Verlauf der Strecke schneller gefahren wird. DieFahrer, die später dem Führungsfahrzeug folgen(gepunktete Linie), haben bei 2.000 m aber eine ge-ringere Ausgangsgeschwindigkeit als die Fahrer,die die Verfolgung wieder abbrechen (gestrichelteLinie), und diese sind ihrerseits zu Beginn langsa-mer als die Fahrer, die dem vorausfahrenden Pkwüberhaupt nicht folgen (durchgezogene Linie). DasSogverhalten bei klarer Sicht ist also abhängig vonder Ausgangsgeschwindigkeit. Nur wenn die Fah-rer noch genügend Spielraum in der Geschwindig-keitswahl haben, folgen sie dem vorausfahrendenFahrzeug.

37

Tab. 8: Einteilung der Versuchspersonen nach ihrem Fahrverhalten bei einer Beschleunigung des vorausfahrenden Fahrzeugs um15 %. Anzahl und durchschnittliche Anfangsgeschwindigkeit von Fahrern, die keinen, halben und vollen Sog zeigen; Mo-delluntersuchung 2

Sogverhalten

kein Sog halber Sog voller Sog

Nebel Anzahl Anfangsgeschw. Anzahl Anfangsgeschw. Anzahl Anfangsgeschw.

keiner 9 140 km/h 7 131 km/h 8 129 km/h

gering (80 m) 6 103 km/h 7 100 km/h 11 94 km/h

stark (50 m) 4 84 km/h 1 84 km/h 19 75 km/h

Tab. 9: Einteilung der Versuchspersonen nach ihrem Fahrverhalten bei einer Beschleunigung des vorausfahrenden Fahrzeugs um30 %. Anzahl und durchschnittliche Anfangsgeschwindigkeit von Fahrern, die keinen, halben und vollen Sog zeigen; Mo-delluntersuchung 2

Sogverhalten

kein Sog halber Sog voller Sog

Nebel Anzahl Anfangsgeschw. Anzahl Anfangsgeschw. Anzahl Anfangsgeschw.

keiner 15 138 km/h 9 130 km/h 0 127 km/h

gering (80 m) 11 104 km/h 10 99 km/h 3 96 km/h

stark (50 m) 5 86 km/h 9 89 km/h 10 73 km/h

Page 39: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Auch bei geringem Nebel (Bild 21) unterscheidensich die Fahrer in ihren Ausgangsgeschwindigkei-ten bei 2.000 m abhängig vom Sogverhalten. AmEnde der Strecke fahren die Fahrer, die demFührungsfahrzeug folgen, aber um mehr als 10km/h schneller als die Fahrer, die ihre Geschwin-digkeit beibehalten.

Im starken Nebel (Bild 22) zeigt sich ein ähnlichesBild. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dassder Anteil der Fahrer, die dem vorausfahrendenPkw folgen, wesentlich größer wird. Dies kann, imSinne von SCHÖNBACH, daran liegen, dass imNebel die Motivation, ein vorausfahrendes Fahr-zeug in Sichtweite zu halten, höher ist. Anderer-seits ist aber – aufgrund der geringeren Geschwin-digkeiten im Nebel – der Spielraum für Geschwin-digkeitserhöhungen wesentlich höher, insbesonde-

re, weil das vorausfahrende Fahrzeug ja auf eineprozentual höhere Endgeschwindigkeit beschleu-nigt und nicht auf eine absolut höhere Differenz.Dieser Frage wird in der dritten Modelluntersu-chung weiter nachgegangen.

Die Auswertung der subjektiven Einschätzungenund Bewertungen der Fahrer zeigt wieder, dass dieGeschwindigkeiten grundsätzlich unterschätztwerden. Die systematische Erfassung der Ein-schätzungen in der Einführungsfahrt zeigt, dass dieFahrer grundsätzlich niedrigere Geschwindigkeitenstärker unterschätzen als höhere (> 100 km/h). Dahier alle Geschwindigkeiten bei klarer Sicht einge-schätzt wurden, ist dieser Effekt unabhängig vonder Sichtbedingung. Möglicherweise ist die starkeMotorisierung des Simulatorfahrzeugs (BWM, 5er)im Vergleich zu den meisten Privatfahrzeugen derVersuchspersonen mitverantwortlich für diesen Ef-fekt.

Die Geschwindigkeitserhöhung im Nebel wird vonden meisten Fahrern durchaus wahrgenommen.Das Dranbleiben am schneller werdenden Kolon-nenführer ist also durchaus eine bewusste Ent-scheidung der Fahrer und geschieht weniger, wieSCHÖNBACH es postuliert, unbewusst. Die erhöh-te Variabilität der eigenen Geschwindigkeit beimDranbleiben am Vordermann im Nebel wird vonden Fahrern aber nicht wahrgenommen. Die Pro-banden berichten vielmehr, dass sie den Eindruckhatten, das vorausfahrende Fahrzeug würde immerwieder ein wenig schneller und langsamer werden,obwohl dieses objektiv nach der Beschleunigungmit konstanter Geschwindigkeit fährt. Diese Fehlin-terpretation kann auf die verminderten Hinweisrei-

38

Bild 20: Geschwindigkeitsverläufe über die Strecke, getrenntnach Sogverhalten, bei klarer Sicht; Modelluntersu-chung 2

Bild 21: Geschwindigkeitsverläufe über die Strecke, getrenntnach Sogverhalten, bei geringem Nebel (80 m Sicht);Modelluntersuchung 2

Bild 22: Geschwindigkeitsverläufe über die Strecke, getrenntnach Sogverhalten, bei starkem Nebel (50 m Sicht);Modelluntersuchung 2

Page 40: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

ze für die Distanzwahrnehmung im Nebel zurück-geführt werden.

4.3.4 Diskussion

In dieser zweiten Modelluntersuchung haben wirdie Sog- und die Druckhypothese von SCHÖN-BACH durch das Beschleunigen eines hinterher-fahrenden oder vorausfahrenden Fahrzeugs ge-trennt voneinander analysiert.

Der Sogeffekt konnte bei einem Teil der Fahrernachgewiesen werden. Diese Fahrer haben ihre Ge-schwindigkeit im Sinne der Sog-Theorie vonSCHÖNBACH erhöht, wenn auch zum Teil nur kurz-fristig. Allerdings lassen sich diese Verhaltenswei-sen auch bei klarer Sicht beobachten, was dafürspricht, dass der Sogeffekt nicht ausschließlich ne-belspezifisch ist. Es scheint vielmehr so, dass vieleFahrer grundsätzlich auf der Autobahn, wenn mög-lich, eher abstandsorientiert fahren und ihre Ge-schwindigkeit an die des vorausfahrenden Fahr-zeugs anpassen. Im Nebel wird diese Verhaltens-weise nicht aufgegeben, sondern eher noch ver-stärkt. Auch Fahrer, die bei klarer Sicht eher mitkonstanter Geschwindigkeit fahren und sich nichtam Vordermann orientieren, haben nun die Ten-denz, zumindest bis zu einer individuellen Grenze,Geschwindigkeitserhöhungen des vorausfahrendenFahrzeugs mitzumachen. Dass es darüber hinausauch im Nebel einen Anteil Fahrer gibt, die weiter-hin geschwindigkeitsorientiert und nicht mit kons-tantem Abstand fahren, schmälert nicht die Rele-vanz dieses SCHÖNBACHschen Sogverhaltens ei-niger Fahrer. Im Gegenteil, die unterschiedlichenVerhaltensweisen der Fahrer erhöhen die bereits inModelluntersuchung 1 festgestellten Differenzge-schwindigkeiten zwischen den Fahrzeugen weiter.Einige Fahrer hängen sich an schneller fahrendevorausfahrende Fahrzeuge an, wodurch sich auchdie in Modelluntersuchung 1 festgestellte, und hierwieder bestätigte, Oszillation der Geschwindigkeitverstärkt, während andere ihre geringere Geschwin-digkeit beibehalten. Die Auswirkungen dieser unter-schiedlichen Verhaltensweisen auf den Verkehrs-fluss wurden in einer Verkehrssimulation überprüft(siehe Kapitel 6). Möglicherweise ist gerade dieKombination von im Nebel verstärkt auftretenderintra- und interindividueller Geschwindigkeitsvaria-bilität und dem Sogverhalten einiger Verkehrsteil-nehmer ein entscheidende Faktor für Nebelunfälle.

Der entsprechende Druck-Effekt durch ein nachfol-gendes Kolonnenfahrzeug konnte dagegen nicht

nachgewiesen werden. In keiner der beiden Unter-suchungen hatte das nachfolgende Fahrzeug ir-gendeinen Einfluss auf das Fahrverhalten der Ver-suchspersonen. Sie fahren genauso schnell wie inder Einzelfahrt (Modelluntersuchung 1) und ändernihre Geschwindigkeit auch nicht, wenn das nach-folgende Kolonnenfahrzeug Druck ausübt, indemes beschleunigt und näher kommt. Möglicherweisewird der Druck des computergenerierten Fahr-zeugs im Simulator nicht als solcher erlebt. Daraufweisen die Aussagen der Fahrer hin, die sichschlichtweg nicht durch die Annäherungen desHinterherfahrenden gestört fühlten. SCHÖNBACHweist darauf hin, dass gerade die Scheinwerfer desHintermanns, die bei Nebel unangenehm von hin-ten ins Fahrzeug leuchten, zu dem Bedrängungs-gefühl beitragen. Dieser Effekt konnte aber an demSimulator so nicht nachgestellt werden.

Es bleibt zunächst dahingestellt, ob es den Druck-Effekt so nicht gibt oder ob es nur nicht gelungenist, die Bedingungen in der Simulation so herzu-stellen, dass sich der Effekt zeigen kann. Für dienachfolgenden Auswertungen kann die Kolonnen-bedingung mit nachfolgendem Fahrzeug also ge-nauso als Kontrollbedingung herangezogen wer-den wie die Einzelfahrt.

Durch die sehr unterschiedlichen Anfangsge-schwindigkeiten, die die Fahrer gewählt haben,waren die Ausgangsbedingungen für das Sogver-halten sehr unterschiedlich. Fahrer, die eine relativgeringe Ausgangsgeschwindigkeit gewählt hatten,hatten es natürlich leichter, dem vorausfahrendenFahrzeug zu folgen, da dieses auch auf eine relativniedrige Zielgeschwindigkeit beschleunigt hat.Diese Zielgeschwindigkeit lag zum Teil nicht deut-lich höher als manche Ausgangsgeschwindigkeitanderer Fahrer. Möglicherweise haben einige Fah-rer also das Sogverhalten nur gezeigt, weil sie essich leisten konnten, auch etwas schneller zu fah-ren. Andererseits wären andere Fahrer eventuelldem vorausfahrenden Fahrzeug gefolgt, wenn dieAusgangsgeschwindigkeit nicht bereits sehr hochgewesen wäre. Dafür spricht die hohe Zahl derjeni-gen Fahrten, die als Halbsog klassifiziert werdenmussten. Zur Klärung dieser Frage wird der Ver-such in der Modelluntersuchung 3 mit fest vorge-gebenen Anfangsgeschwindigkeiten wiederholt.

Abschließend sei noch einmal betont, dass die Ent-scheidung, dem Kolonnenfahrzeug zu folgen, inden meisten Fällen eine bewusste Entscheidungwar. Die Fahrer berichteten überwiegend, dass es

39

Page 41: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

aus ihrer Sicht besser sei, das nächste Hindernisnoch zu sehen, als vor eine „weiße Wand“ zu fah-ren. Dass sie aber ihre eigene Geschwindigkeitstark variierten, war den Fahren nicht bewusst.

4.4 Modelluntersuchung 3

Die Ergebnisse der Modelluntersuchung 2 habengezeigt, dass es einen Sogeffekt gibt, der zumin-dest bei einem Teil der Versuchspersonen empi-risch nachzuweisen ist. Allerdings findet er sichauch bei klarer Sicht und ist insgesamt nicht sodeutlich wie von SCHÖNBACH vorhergesagt. Esbleibt also noch offen, ob der Sogeffekt spezifischfür Nebelsituationen oder ein allgemeines Phäno-men des Fahrens auf Autobahnen ist und wie starker von der Ausgangsgeschwindigkeit und dem da-raus entstehenden Spielraum für Geschwindig-keitserhöhungen abhängt. Im ersten Teil der drittenModelluntersuchung wird daher das Experimentder zweiten Modelluntersuchung wiederholt, aller-dings mit festen Ausgangsgeschwindigkeiten proSichtbedingung. Auf die Kolonnenbedingungen mitnachfolgendem Fahrzeug wird dabei verzichtet, dader Druckeffekt nicht nachgewiesen werden konn-te.

In den bisherigen Untersuchungen haben die Fah-rer immer aus dem Stand bei bereits vorhandenenSichteinschränkungen auf ihre Wunschgeschwin-digkeit beschleunigt. In der Praxis fährt man jedochmit hoher Geschwindigkeit in zunehmenden Nebelhinein und reduziert dann seine Geschwindigkeitauf die subjektiv sicht- und sicherheitsangemesse-ne Geschwindigkeit. Im zweiten Teil der dritten Mo-delluntersuchung wurde eine Kontrollfahrt durch-geführt, bei der die Versuchspersonen zunächst beiklarer Sicht starten, die Sicht dann zunehmendnebliger wird und anschließend wieder klar ist. Zieldieses Kontrollexperimentes ist es, Unterschiede inden Wunschgeschwindigkeiten zu erfassen, jenachdem, ob in den Nebel beschleunigt oder ab-gebremst wird.

Im dritten Teil der Modelluntersuchung 3 wirdschließlich die von den Fahrern gewünschte Zeit-lücke zum Vordermann bei unterschiedlichenSichtbedingungen und Geschwindigkeiten analy-siert.

4.4.1 Versuchsplan

Im ersten Teil der Modelluntersuchung 3 entsprachdie im Simulator programmierte Strecke in ihrem

Aufbau genau der Strecke aus Modelluntersu-chung 2. Wieder fehlten Mittel- und Seitenlinie, dieKurven waren lang gezogen, es gab Gegenverkehr,in unregelmäßigen Abständen Bäume und Baum-gruppen. Die Strecke war 9 km lang und musstevon den Versuchspersonen in jeder Versuchsbe-dingung komplett durchfahren werden. Im Ver-gleich zur Modelluntersuchung 2 fiel allerdings dieKolonnenbedingung mit nachfolgendem Fahrzeugweg. Es bleibt ein Versuchsplan mit den drei Sicht-bedingungen und der zweifach gestuften Be-schleunigung des vorausfahrenden Fahrzeugs. Esergeben sich damit 3 x 2 = 6 Versuchsfahrten(siehe Tabelle 10). Eine Versuchsfahrt dauerte zwi-schen fünf und zehn Minuten.

Die Ausgangsgeschwindigkeiten beim Entkoppelndes vorausfahrenden Fahrzeugs nach zwei Kilome-tern wurden jetzt für jede Sichtbedingung festge-setzt und waren somit nicht mehr von den dochsehr unterschiedlichen Individualgeschwindigkei-ten abhängig.

Die Höhe der Ausgangsgeschwindigkeiten richtetesich nach den Durchschnittsgeschwindigkeiten beiden entsprechenden Sichtbedingungen mit vo-rausfahrendem Kolonnenfahrzeug aus Modellun-tersuchung 1. Somit beschleunigt das vorausfah-rende Fahrzeug jetzt nicht nur prozentual, sondernauch absolut auf eine fest definierte Differenzge-schwindigkeit. In Tabelle 10 sind diese Differenzge-schwindigkeiten aufgeführt. Die Versuchspersonenwurden zu Beginn der Fahrt per Tempomat auto-matisch auf die festgesetzte Ausgangsgeschwin-digkeit beschleunigt und sollten das Fahrzeugdann bei Kilometer zwei übernehmen. Anschlie-ßend konnten sie ihre Geschwindigkeit wieder freinach Sicht- und Sicherheitsaspekten wählen.

Bei der anschließenden Kontrollfahrt fuhren dieFahrer auf einer auf 12,5 km verlängerten Streckemit ansonsten gleichen Spezifikationen (vgl. Mo-delluntersuchung 1). Es begann mit klarer Sicht,nach 2,5 Kilometern verringerte sich die Sichtweitedurch Nebel auf 80 m und nach weiteren 2,5 Kilo-metern auf 50 m. Nach insgesamt 7,5 Kilometernstieg die Sichtweite wieder auf 80 m an, die letzten2,5 Kilometer wurden wieder bei klarer Sicht be-fahren. Bild 23 zeigt ein Schema des Streckenauf-baus. Die Fahrt erfolgte mit freier Geschwindig-keitswahl und natürlich wie immer ohne Geschwin-digkeitsrückmeldung per Tacho.

Im letzten Teil der Modelluntersuchung 3 hatten dieFahrer die Möglichkeit, die Zeitlücke zum Vorder-

40

Page 42: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

mann selbsttätig und direkt zu manipulieren undauf ein für sie selbst angemessenes und ge-wünschtes Maß einzustellen. Es wurden pro Ver-suchsperson drei Fahrten, unter jeder Sichtbedin-gung eine, auf der aus Modelluntersuchung 2 be-kannten Strecke absolviert. Tabelle 11 zeigt denAufbau des einfaktoriellen Versuchsplans.

Bei jeder Fahrt beschleunigten die Fahrer zunächstmit ihrer sichtspezifischen Wunschgeschwindigkeit(WG) und stellten den Tempomaten ein. Dann fuh-ren sie mit konstanter Geschwindigkeit allmählichauf ein vorausfahrendes Fahrzeug auf, da diesesmit einer Differenzgeschwindigkeit von WG – 5km/h fuhr. Die Versuchsperson wurde bei einerZeitlücke von einer Sekunde hinter dem Fahrzeugautomatisch eingebremst. Beide Fahrzeuge fuhrennun mit konstanter Geschwindigkeit und konstan-tem Abstand. Jetzt konnte der Fahrer mit Hilfezweier Tasten am Lenkrad die Zeitlücke zum vo-rausfahrenden Fahrzeug nach seinen eigenen Vor-stellungen korrigieren.

Wenn die Einstellung der Wunschzeitlücke abge-schlossen war, beschleunigte das vorausfahrendeFahrzeug auf eine um 15 % höhere Geschwindig-keit. Der Fahrer konnte nun dem vorausfahrendenFahrzeug folgen oder zurückbleiben. Folgte er, sohatte er anschließend die Möglichkeit, erneut dieZeitlücke zum dann wieder mit konstanter Ge-schwindigkeit fahrenden Führungsfahrzeug einzu-stellen.

4.4.2 Durchführung und Auswertung

An der Untersuchung nahmen wiederum dieselben24 Versuchspersonen teil wie an den vorangegan-genen Untersuchungen. Die Fahrer kannten somit

alle bereits die Versuchsstrecke und die verschie-denen Sicht- und Fahrbedingungen und die In-struktion, immer sicht- und sicherheitsangemessenzu fahren.

Im ersten Teil wurden die aus dem Versuchsplan(Tabelle 10) resultierenden sechs Versuchsfahrtenvon allen Versuchspersonen in einer zufälligen Rei-henfolge auf der 9 km langen Teststrecke absol-viert. Dabei wurde wieder darauf geachtet, dassjede Versuchsperson mit einer Klarsichtbedingungstarten konnte. Nach jeder Fahrt wurden die Teil-nehmer wieder nach den subjektiven Eindrückenihres Fahrverhaltens befragt. Die Fahrer wurden instruiert, nach Übernahme des Fahrzeugs eine fürsie sicht- und sicherheitsangemessene Geschwin-digkeit einzuhalten und unter Berücksichtigung desFahrverhaltens anderer Fahrzeuge weiterzufahren.

Anschließend absolvierten die Teilnehmer die Kon-trollfahrt und zum Abschluss die drei Fahrten zurErmittlung der Wunschzeitlücke in festgelegter Rei-henfolge: zunächst bei klarer Sicht, dann mit gerin-gem Nebel und schließlich mit starkem Nebel.

Ausgewertet wurden wieder Fahrgeschwindigkeitund weitere Parameter der Fahrdynamik sowie diesubjektiven Einschätzungen der Fahrer.

4.4.3 Ergebnisse

Replikation der Modelluntersuchung 2

Die einzelnen Fahrten der Versuchspersonen wur-den mit den in Modelluntersuchung 2 erarbeitetenDefinitionen für Sogverhalten analysiert und da-nach eingeteilt, ob sie Sogverhalten zeigen odernicht. Bild 24 zeigt den Anteil der Fahrten (von ins-

41

Tab. 10: Versuchsplan des ersten Teils von Modelluntersuchung 3

Mit vorausfahrendem Fahrzeug Klare Sicht Nebel 80 m Nebel 50 m

Beschleunigung um 15 % 130 km/h → 149,5 km/h 90 km/h → 103,5 km/h 70 km/h → 80,5 km/h

Beschleunigung um 30 % 130 km/h → 179 km/h 90 km/h → 117 km/h 70 km/h → 91 km/h

Tab. 11: Versuchsplan für das Experiment zur Bestimmung der Wunschzeitlücke innerhalb von Modelluntersuchung 3

Klare Sicht Nebel 80 m Nebel 50 m

Mit vorausfahrendem Einstellen der optimalen Einstellen der optimalen Einstellen der optimalenFahrzeug Zeitlücke Zeitlücke Zeitlücke

Bild 23: Streckenschema der Kontrollfahrt in Modelluntersuchung 3

Page 43: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

gesamt 24 Fahrern), die in den einzelnen Versuchs-bedingungen den Sogeffekt zeigen.

Unter allen Bedingungen gibt es Fahrer, die demvorausfahrenden Fahrzeug folgen, und solche, dieihre Geschwindigkeit beibehalten und dem Fahr-zeug nicht folgen. Wie in Modelluntersuchung 2 ist

die Anzahl der Fahrten mit Sog-Effekt bei der star-ken Beschleunigung des vorausfahrenden Fahr-zeugs geringer, als wenn das vorausfahrende Fahr-zeug weniger stark beschleunigt. Gleichzeitig steigtdie Anzahl der Fahrten, die den Sog-Effekt aufwei-sen, mit zunehmender Nebeldichte leicht an.

Anders als in Modelluntersuchung 2, bei der vieleFahrer den Sogeffekt nur teilweise zeigen, könnendie Fahrer hier mit den definierten Kriterien für Sogeindeutig den Gruppen „voller Sog“ und „kein Sog“zugeordnet werden. Bei der vorgegebenen und fürjeden Fahrer gleichen Ausgangsgeschwindigkeithatten alle Fahrer die Möglichkeit, entweder demFahrzeug zu folgen oder sich aber für Zurückblei-ben zu entscheiden.

Die mittlere Geschwindigkeit der Fahrer, die demvorausfahrenden Fahrzeug folgen, liegt definitions-gemäß höher als die Geschwindigkeit der Fahrer,die dem Kolonnenfahrzeug nicht folgen. Der Haupt-effekt Kolonne wird, ebenso wie der HaupteffektNebel, signifikant [Kolonne: F(1,46) = 53,47; p < 0,001] [Nebel: F(2,69) = 773,76; p < 0,001].Aber auch die Fahrer, die kein Sogverhalten zeigen,fahren im Mittel eine höhere Geschwindigkeit alsdie Ausgangsgeschwindigkeit bei 2.000 m (139km/h > 130 km/h, 96 km/h > 90 km/h, 75 km/h > 70 km/h). Es handelt sich also bei diesen Ver-suchspersonen nicht um solche, denen die aufge-

42

Bild 24: Anzahl der Fahrer pro Bedingung, die dem vorausfah-renden Fahrzeug folgen („Sogeffekt“); Modelluntersu-chung 3

Bild 25: Mittlere Geschwindigkeit auf der Versuchsstrecke, ein-geteilt nach Fahrern, die Sogverhalten zeigen (dunkel),und Fahrern, die kein Sogverhalten zeigen (hell); Mo-delluntersuchung 3

Bild 26: Maximale Geschwindigkeit auf der Versuchsstreckegemittelt über Versuchspersonen, eingeteilt nach Fah-rern, die Sogverhalten zeigen (dunkel), und Fahrern, diekein Sogverhalten zeigen (hell);. Modelluntersuchung 3

Page 44: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

zwungene Ausgangsgeschwindigkeit generell zuhoch war und die deshalb dem vorausfahrendenWagen nicht folgen. Sie behalten ihre Ausgangsge-schwindigkeit bei, werden sogar etwas schnellerund fallen nicht auf eine Geschwindigkeit unterhalbder Ausgangsgeschwindigkeit zurück.

Dies zeigt sich auch bei der Betrachtung der Maxi-malgeschwindigkeiten, die von allen Fahrern inallen Bedingungen jeweils erst im letzten Viertel derStrecke erreicht werden. Die maximalen Geschwin-digkeiten liegen bei den Sogfahrern in allen Sicht-bedingungen um mehr als 20 km/h höher als dieAusgangsgeschwindigkeiten bei 2.000 m. Aberauch die Fahrer, die kein Sogverhalten zeigen, fah-ren maximal um ca. 15 km/h schneller als die Aus-gangsgeschwindigkeit. Auch hier sind die beidenHaupteffekte signifikant [Nebel: F(2,69) = 489,44; p < 0,001] [Sog: F(1,46) = 66,02; p < 0,001].

Im Folgenden werden die Geschwindigkeitsverläu-fe für alle Nebel- und Beschleunigungsbedingun-gen noch einmal im Detail betrachtet. Bild 27 zeigtzunächst die Geschwindigkeitsverläufe für die bei-den Beschleunigungsbedingungen bei klarer Sicht.

Bei klarer Sicht erhöhen die wenigen Fahrer (sechsvon 24 Personen), die auch dem stark beschleuni-genden Fahrzeug folgen, ihre Geschwindigkeit imSog dieses Fahrers auf über 160 km/h. Aber auchalle anderen Fahrer erhöhen im Laufe der Streckeihre Geschwindigkeit. Bei 15 % Beschleunigungdes Vordermanns folgt die Hälfte der Versuchsper-sonen (zwölf Personen) dem Führungsfahrzeugund erreicht dabei eine Geschwindigkeit von ca.

150 km/h. Aber die andere Hälfte, die den Sog-effekt nicht zeigt, ist in dieser Bedingung kaumlangsamer.

Im geringen Nebel mit 80 m Sichtweite beschleuni-gen neun Fahrer, die dem stark beschleunigendenFahrzeug folgen, von einer Ausgangsgeschwindig-keit von 90 km/h auf ca. 120 km/h (siehe Bild 28).Aber auch die anderen Fahrer erhöhen ihre Ge-schwindigkeit. Beschleunigt das vorausfahrendeFahrzeug nur auf eine Differenzgeschwindigkeitvon 15 %, erhöhen nur die 13 Fahrer, die den Sog-effekt zeigen, ihre Geschwindigkeit, die übrigen elfFahrer behalten die Ausgangsgeschwindigkeit von90 km/h im Verlauf der Strecke im Mittel bei.

Auch im starken Nebel erhöhen nur bei starker Be-schleunigung des Kolonnenführers auch die Ver-suchspersonen, die dem vorausfahrenden Fahr-zeug nicht folgen (n = 13), ihre Geschwindigkeit.Beschleunigt das vorausfahrende Fahrzeug nur aufeine 15 % höhere Ausgangsgeschwindigkeit, bleibtdie Geschwindigkeit der Fahrer ohne Sogverhalten(n = 10) im Verlauf der Strecke konstant. Bild 29zeigt die Geschwindigkeitsverläufe bei starkemNebel.

Betrachtet man also, zusammengefasst, nur dieFahrten, bei denen das vorausfahrende Kolonnen-fahrzeug langsam auf eine nicht zu hohe Endge-schwindigkeit beschleunigt, so kann festgestelltwerden, dass etwa die Hälfte der Versuchsperso-nen den Sogeffekt zeigt, dem Führungsfahrzeugfolgt und ihre Geschwindigkeit entsprechend er-höht. Die andere Hälfte lässt das vorausfahrende

43

Bild 27: Geschwindigkeitsverlauf auf der Versuchsstrecke bei klarer Sicht. Links bei 15 % Beschleunigung des Vordermanns, rechtsbei 30 % Beschleunigung des Vordermanns. Geglättet, gemittelt über Versuchspersonen und eingeteilt nach dem Sogver-halten; Modelluntersuchung 3

Page 45: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Fahrzeug nicht nur davonfahren, sondern behält imNebel auch im Verlauf der Strecke die Ausgangs-geschwindigkeit bei.

Wenn das vorausfahrende Fahrzeug stärker be-schleunigt, folgen ihm weniger Fahrer. Unterdenen, die den Sogeffekt in dieser Bedingung nichtzeigen, sind aber einige, die dennoch schnellerwerden und ihre Geschwindigkeit, auch im Nebel,im Verlauf der Strecke erhöhen.

Auch in dieser Untersuchung findet sich wiedereine zunehmende Oszillation der Geschwindigkeitmit zunehmendem Nebel. Bei Fahrten, in denen dieFahrer dem vorausfahrenden Fahrzeug folgen (Sog-fahrten), ist diese Oszillation der Geschwindigkeitausgeprägter als bei Fahrten ohne Sogverhalten.Bild 30 gibt einen Überblick über die Geschwindig-

keitsverläufe aller Fahrten des Replikationsexperi-ments in Modelluntersuchung 3, bei denen das vo-rausfahrende Fahrzeug um 15 % beschleunigt hat.Die Anzahl der Fahrer, die gefolgt sind, und der Fah-rer, die ihre Geschwindigkeit beibehalten haben, isthier bei allen Fahrten etwa gleich (vgl. Bild 24). Esfällt auf, dass die Stärke der Geschwindigkeitsva-riabilitäten in den Abbildungen von links nachrechts und von oben nach unten zunimmt, also mitzunehmendem Nebel und bei Sogverhalten.

Dabei nehmen sowohl die Amplitude als auch dieFrequenz der Oszillation zu. Fahrer, die in keinerSichtbedingung ein Sogverhalten zeigen, schwan-ken in ihren Geschwindigkeiten insgesamt wenigerstark. Aber auch bei ihnen nehmen Amplitude undFrequenzen der Geschwindigkeitsänderungen im

44

Bild 28: Geschwindigkeitsverlauf auf der Versuchsstrecke bei geringem Nebel mit 80 m Sichtweite. Links bei 15 % Beschleunigungdes Vordermanns, rechts bei 30 % Beschleunigung des Vordermanns. Geglättet, über Versuchspersonen gemittelt undeingeteilt nach dem Sogverhalten; Modelluntersuchung 3

Bild 29: Geschwindigkeitsverlauf auf der Versuchsstrecke bei starkem Nebel mit 50 m Sichtweite. Links bei 15 % Beschleunigungdes Vordermanns, rechts bei 30 % Beschleunigung des Vordermanns. Geglättet, über Versuchspersonen gemittelt und ein-geteilt nach dem Sogverhalten; Modelluntersuchung 3

Page 46: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Nebel zu. Fahrer, die in allen Sichtbedingungendem vorausfahrenden Fahrzeug folgen, haben be-reits bei klarer Sicht ein leicht oszillierendes Fahr-verhalten, das durch das vorausfahrende Fahrzeughervorgerufen wird. Im Nebel verstärken sich die

Oszillationen stark (Bild 30, unten rechts und Ab-schnitt 4.4.4).

Im Folgenden werden die Zeitlücken, die die Fahrerzum Vordermann einhalten, genauer analysiert.

45

Bild 30: Geschwindigkeitsverläufe für alle Fahrten mit 15 % Beschleunigung des vorausfahrenden Fahrzeugs. Links jeweils dieFahrten von Fahrern, die kein Sogverhalten gezeigt haben, und rechts die Fahrten von Versuchspersonen, die dem vo-rausfahrenden Fahrzeug gefolgt sind. Die oberen beiden Abbildungen zeigen die Fahrten bei klarer Sicht, in der Mitte beigeringem Nebel und unten bei starkem Nebel; Modelluntersuchung 3

Page 47: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Sinnvollerweise werden dabei nur die Zeitlückenfür Fahrten betrachtet, in denen die Fahrer demvorausfahrenden Fahrzeug folgen, also den Sogef-fekt zeigen.

Bild 31 zeigt den Verlauf der Zeitlücken über dieVersuchsstrecke getrennt nach Sichtbedingungen.Dabei fällt zunächst auf, dass die Ausgangs-zeitlücke auf den ersten zwei Kilometern derStrecke bei den Sichtbedingungen sehr unter-schiedlich ist. Bei klarer Sicht ergibt sich bei einerGeschwindigkeit von 130 km/h und einem Abstandvon 125 m eine Zeitlücke von 3,4 Sekunden. Im geringen Nebel liegt die Ausgangszeitlücke, beieiner Geschwindigkeit von 90 km/h und einem Ab-stand von 70 m, mit 2,8 Sekunden deutlich niedri-

ger und bei starkem Nebel ist die Zeitlücke zu Be-ginn bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h undeinem Abstand von 40 m mit 2,1 Sekunden nochgeringer.

Nach dem Entkoppeln des vorausfahrenden Fahr-zeugs nach 2.000 Metern ändern sich die Zeit-lücken sehr schnell. Während die Fahrer bei klarerSicht und im geringen Nebel die Zeitlücken verrin-gern, also näher an das vorausfahrende Fahrzeugheranfahren, wird die Zeitlücke im starken Nebelleicht erhöht, der Abstand zum Vordermann alsovergrößert. Unter Berücksichtigung der unter-schiedlichen Ausgangswerte sind die Zeitlückennach ca. 3.000 Metern in allen Sichtbedingungenmit 2,5 Sekunden wieder etwa gleich groß. In die-sem Bereich scheint also die gewünschte Zeitlückezu liegen.

Die Zeitlücke fällt während der Sogfahrt im Mittelunter keiner Sichtbedingung unter einen Wert von2,4 Sekunden ab und bleibt somit auch bei star-kem Nebel in einem sicheren Bereich. Die Ver-größerung der Zeitlücke unter Klarsicht ist daraufzurückzuführen, dass der Fahrer dem Vorderfahr-zeug – das nicht überholt werden durfte – hier auf-grund der guten Sicht auch weiter entfernt folgenkonnte.

Die Größenordnungen, in denen sich die Zeitlückenbewegen, sind im Hinblick auf die Entstehung vonNebelunfällen nicht im kritischen Bereich gemäßStVO. Im realen Verkehr sind Zeitlücken unter 2 Se-kunden eher die Regel als die Ausnahme. Bild 32zeigt daher den zeitlichen Anteil der Zeitlücken, die

46

Bild 32: Zeitlicher Anteil von Zeitlücken unter 1,5 Sekunden (links) bzw. unter 2 Sekunden (rechts); Modelluntersuchung 3

Bild 31: Mittlere Zeitlückenverläufe über die Versuchsstreckefür die Sogfahrten, getrennt nach Nebelbedingungen;Modelluntersuchung 3

Page 48: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

unter 2 Sekunden bzw. unter 1,5 Sekunden liegen.Bei Fahrern, die kein Sogverhalten zeigen, ist derAnteil kleiner Zeitlücken natürlich zu vernachlässi-gen, denn sie können ja nur in dem kurzen Zeitab-schnitt entstehen, bis sich das vorausfahrendeFahrzeug entfernt. Bei Fahrern, die das Sogverhal-ten zeigen, liegt bei klarer Sicht der Anteil an Zeit-lücken unter 2 Sekunden bei 14,6 %. Im Nebelnimmt der Anteil zu und liegt bei Nebel mit 50 mSichtweite mit 27,1 % fast doppelt so hoch. DerAnteil an Zeitlücken unter 1,5 Sekunden unter-scheidet sich hingegen nicht bei unterschiedlichenSichtbedingungen. In allen Sichtbedingungen liegter bei 5 bis 7 %.

Ergebnisse der Kontrollfahrt

Die Geschwindigkeiten, die während der Kontroll-fahrt im Nebel und bei klarer Sicht gefahren wer-den, unterscheiden sich nicht signifikant von denGeschwindigkeiten, die bei gleichen Sichtbedin-gungen in den Modelluntersuchungen gefahrenwurden. Auch innerhalb der Kontrollfahrt unter-scheiden sich die Geschwindigkeiten vor und nachder Nebelbank bei gleichen Sichtverhältnissennicht voneinander (vgl. Bild 33).

Die in den Modelluntersuchungen angewandte Me-thode des Hineinbeschleunigens in den Nebel führtsomit nicht zu anderen Geschwindigkeiten als dasim Alltag häufiger auftretende Hineinbremsen ineine Nebelbank.

Ergebnisse des Experiments zur Einstellung derWunschzeitlücke

Die im Versuchsplan vorgesehene Einstellungs-möglichkeit der Zeitlücke zu zwei verschiedenenZeitpunkten, zum einen nach Annäherung an dasvorausfahrende Fahrzeug und zum Zweiten nachder Beschleunigung des Führungsfahrzeugs, hatnicht zu den gewünschten Daten geführt. VieleFahrer sind nach dem Beschleunigen des Vorder-manns diesem nicht so konsequent gefolgt wievorgesehen, andere hatten nach der Beschleuni-gung nur noch entfernten Kontakt zum Führungs-fahrzeug. Ein Vergleich der Einstellung der Zeit-lücke zum zweiten Zeitpunkt ist daher nicht mög-lich. Bild 34 bezieht sich somit nur auf den erstenZeitpunkt, nach Annäherung an das Fahrzeug.

Die eingestellten Zeitlücken sind abhängig von derSichtbedingung. Bei klarer Sicht wird eine signifi-kant niedrigere Zeitlücke von den Versuchsperso-nen hergestellt als in den Nebelfahrten [Varianzana-lyse F(2,69) = 6,73; p < 0,01]. Die Einteilung derFahrer nach ihrem Sogverhalten bei klarer Sicht indem Replikationsexperiment (Teil 1 von Modellun-tersuchung 3) hatte jedoch keinen signifikantenEinfluss auf die eingestellte Zeitlücke. Tendenziellstellen aber die Fahrer, die kein Sogverhalten zeig-ten, eine höhere Zeitlücke ein als Fahrer, die ihreGeschwindigkeit dem Kolonnenfahrzeug anpas-sen. Fahrer, die eher abstandsorientiert fahren,benötigen eine kleinere Zeitlücke zum Vordermannals Fahrer, die eher geschwindigkeitsorientiert fah-ren.

47

Bild 33: Mittelwerte und Standardabweichungen der Ge-schwindigkeiten auf den Abschnitten mit unterschied-lichen Sichtverhältnissen der Kontrollfahrt; Modellun-tersuchung 3

Bild 34: Mittelwert der eingestellten Zeitlücke nach derAnnäherung an das vorausfahrende Fahrzeug. Einge-teilt der Fahrer, nach Sogverhalten in der Replika-tionsstudie; Modelluntersuchung 3

Page 49: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Die eingestellten Zeitlücken im Nebel sind so ge-wählt, dass das Fahrzeug bei der jeweiligen Ge-schwindigkeit gerade noch gut gesehen werdenkann. Die Zeitlücken liegen damit bei Nebel in demBereich, in dem sie auch im Experiment des erstenTeils der Modelluntersuchung 3 lagen. Bei klarerSicht sind sie hingegen deutlich niedriger.

4.4.4 Oszillationen im Fahrverhalten

Um die beobachtete Zunahme von Oszillationen inder Geschwindigkeitsregulation unter Nebelbedin-gung auch mathematisch erfassbar zu machen,wurde ein Verfahren angewendet, das den Ge-schwindigkeitsverlauf über die ganze Fahrtstreckein seine einzelnen Schwingungen aufteilt. Hierzuwurde die Differenz der Folgewerte der Geschwin-digkeit herangezogen.1 Solange die Geschwindig-keit steigt, ist die Differenz der Folgewerte natur-gemäß negativ. Fällt die Geschwindigkeit ab, so istdie Differenz der Folgewerte positiv. An den Um-kehrpunkten – den oberen und unteren Kuppeneiner Schwingung im Geschwindigkeitsverlauf, dieim weiteren als „Berg“ bzw. „Tal“ bezeichnet wer-den – kehrt sich somit das Vorzeichen der Differenzder Geschwindigkeitswerte um: Bei einem „Berg“,der eine einsetzende Verlangsamung der Ge-schwindigkeit repräsentiert, ändert sich das Vorzei-chen der Differenz der Folgewerte vom Negativenzum Positiven (lokales Maximum). Bei einem „Tal“,das eine einsetzende Beschleunigung wiedergibt,wechselt das Vorzeichen vom Positiven zum Nega-tiven (lokales Minimum). Somit können die Kuppender Oszillation markiert werden, und es ist möglich,den Abstand zwischen „Berg“ und „Tal“ und damitdie zwischenzeitlich vergangene Zeit (= Periode derSchwingung) als auch die Größe der Geschwindig-keitsschwankung zu errechnen (= Amplitude).

Mittels dieses Verfahrens wurden die Geschwindig-keitsverläufe in Modelluntersuchung 3 reanalysiert.Da Modelluntersuchung 3 nicht zum Zwecke derAnalyse von Oszillationen im Fahrverhalten konzi-piert worden war, sondern dazu das Folgeverhaltenbei verschiedenen Sichtbedingungen zu untersu-chen war, ergaben sich methodische Probleme fürdie Auswertung der Oszillationen:

· Die für eine Auswertung zugrunde liegendenStreckenabschnitte sind nicht gleich lang überalle Versuchsbedingungen.

Ausgewertet wurde der Streckenabschnitt im An-schluss nach der Beschleunigung des Vorderfahr-zeuges, nachdem dieses seine neue Endgeschwin-digkeit erreicht hat. Die Beschleunigung des Vor-derfahrzeuges dauert aber in den unterschiedlichenVersuchsbedingungen unterschiedlich lang, sodassder verbleibende Rest der Strecke, der in die Ana-lyse mit einging, ebenfalls nicht gleich lang war.

· Der Faktor Sogfahrer/Nicht-Sogfahrer und derFaktor Vorderfahrzeug/Kein Vorderfahrzeugsind miteinander konfundiert.

Bei der Analyse von Oszillationen in der Geschwin-digkeitswahl ist es wichtig, zwischen den Bedin-gungen zu trennen. Bei vorhandenem Vorderfahr-zeug untersucht man die Regulation bei einer Fol-gefahrt, während man bei nicht vorhandenem Vor-derfahrzeug die Regulation bei freier Fahrt analy-siert. Beide Bedingungen unterscheiden sich vonden Anforderungen an den Fahrer grundlegendund so mit großer Wahrscheinlichkeit auch in derRegulationshandlung. In der hier vorgelegten Ana-lyse ist der Bedingungsfaktor Vorderfahrzeug/KeinVorderfahrzeug aber stets gekoppelt mit dem fah-rer- und situationsspezifischen Faktor Sogfahrt/Keine Sogfahrt. Denn Probanden, die Sogverhaltenzeigten, hatten in den untersuchten Streckenab-schnitten immer ein Vorderfahrzeug (sie waren die-sem ja gefolgt), und Probanden ohne Sogverhaltenhatten nie ein Vorderfahrzeug, da sie dieses bereitsin der davor liegenden Beschleunigungsphase ausden Augen verloren hatten. Wenn man davon aus-geht, dass das Regulationsverhalten nicht nur vonder Bedingung (Vorderfahrzeug ja/nein), sondernauch von dem situativen Sogverhalten des Fahrersabhängt, so sind diese beiden Faktoren hier immerkonfundiert. Dies ist bei der Interpretation der Er-gebnisse zu beachten.

· Eine inferenzstatistische Auswertung ist nichtmöglich, da die Zellbesetzung unterschiedlichist.

48

1 Die Geschwindigkeit wurde mit 20 HZ aufgezeichnet.

Tab. 12: Länge der in die Analyse der Oszillationen von Mo-delluntersuchung 3 eingegangenen Abschnitte undihre Position auf der Gesamtstrecke, in Klammernnach Versuchsbedingung

Versuchbedingung Streckenabschnitt

Klarsicht 15 % Beschleunigung 1.000 m (8.000-9.000)

Nebel 80 m 15 % Beschleunigung 3.500 m (5.500-9.000)

Nebel 50 m 15 % Beschleunigung 4.500 m (4.500-9.000)

Klarsicht 30 % Beschleunigung 2.000 m (7.000-9.000)

Nebel 80 m 30 % Beschleunigung 4.000 m (5.000-9.000)

Nebel 50 m 30 % Beschleunigung 5.000 m (4.000-9.000)

Page 50: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Da das Sogverhalten individuell nicht über alle Ver-suchsbedingungen stabil ist, ist auch die Zellbe-setzung für Sog- bzw. Nicht-Sogfahrer in den Ver-suchsbedingungen höchst unterschiedlich. Damanche Zellen sehr gering besetzt sind, ist von dersonst üblichen inferenzstatistischen Auswertungüber eine Varianzanalyse abzuraten. Die unter-schiedliche Länge der untersuchten Streckenab-schnitte führt weiterhin dazu, dass unter Klarsicht-bedingung nur um zwanzig Oszillationen über alleProbanden ausgewertet werden konnten, währendes im Nebel um 200 Oszillationen sind.

Trotz dieser Probleme können die folgenden Er-gebnisse einen ersten Einblick in das Oszillations-verhalten unter verschiedenen Sichtbedingungengeben und auch als Grundlage zur Eingabe in eineVerkehrssimulation genutzt werden (siehe Kapitel6). Für eine genauere Analyse des Oszillationsver-haltens in der Geschwindigkeitsregulation sindweitere Untersuchungen, die die oben erwähntenProbleme lösen, derzeit am Institut für Psychologieder RWTH Aachen in Planung.

Bei der Ergebnisbetrachtung sollte beachtet wer-den, auf welche Basis sich die Kennwerte bezie-hen. So ist es bei der Amplitude (dem Ausmaß derGeschwindigkeitsvariation) sinnvoll, diese nicht nurals Absolutwerte in km/h aufzuzeigen, sondern sieauch auf die mittlere gefahrene Geschwindigkeit zubeziehen und in Prozent von dieser wiederzuge-ben. Denn eine Schwankung von 4 km/h ist beieiner Durchschnittsgeschwindigkeit von 140 km/handers zu bewerten als bei einer mittleren Ge-schwindigkeit von 80 km/h. Bei der Periode (dieDauer einer Geschwindigkeitsschwankung) sollteman sich auf die Zeitachse und nicht auf die ver-gangenen Streckenmeter beziehen, denn die Zeit-achse gibt die Handlungsebene des Fahrers wie-der. Dieser hat unter allen Sichtbedingungen undüber alle Geschwindigkeiten immer dieselbe Zeit,um regulierend auf die Geschwindigkeit einzuwir-ken. Die zurückgelegten Streckenmeter hingegensind geschwindigkeitsabhängig und entsprechender Perspektive eines externen Beobachters.

Betrachten wir zunächst die Sogfahrer, die ein Vor-derfahrzeug vor sich hatten: Wie Bild 35 zeigt,nimmt die Periode der Schwingung im Nebel ab –es wird schneller oszilliert. Dies ist sowohl in denVersuchsbedingungen der Fall, in denen das Vor-derfahrzeug vorher mit 15 % beschleunigt hatte,als auch, wenn es mit 30 % beschleunigt hatte. Dasich der ausgewertete Streckenabschnitt nach der

Beschleunigung befand, sind die beiden Bedingun-gen 15 % Beschleunigung und 30 % Beschleuni-gung als Replikationen anzusehen.

Das Ausmaß der Geschwindigkeitsschwankungwird in Bild 36 zunächst in Absolutwerten (km/h)und in Bild 37 in Prozent der mittleren gefahrenenGeschwindigkeit wiedergegeben. Während sich dieAbsolutwerte in den Sichtbedingungen kaum un-terscheiden und das Ausmaß einer Schwankungstets um die 5 km/h liegt, so ist der Unterschiedder Schwankungsamplitude in Prozent der durch-schnittlich gefahrenen Geschwindigkeit deutlichunterschiedlich in den einzelnen Sichtbedingun-gen. Bei Nebel wird relativ zur Ausgangsgeschwin-

49

Bild 35: Dauer einer Halbschwingung im Geschwindigkeitsver-lauf (Berg → Tal oder Tal → Berg) unter verschiedenenSichtbedingungen in Modelluntersuchung 3 für Sog-fahrer (= mit Vorderfahrzeug)

Bild 36: Ausmaß einer Halbschwingung (Berg → Tal oder Tal →Berg) in Absolutwerten (km/h) unter verschiedenenSichtbedingungen in Modelluntersuchung 3 für Sog-fahrer (= mit Vorderfahrzeug)

Page 51: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

digkeit stärker geschwankt als unter Klarsicht. Dieserklärt sich durch ähnliche Absolutwerte der Ampli-tude bei niedrigerer Geschwindigkeit unter Nebel.

In Fahrsituationen mit Vorderfahrzeug kommt esalso im Nebel zu einer schnelleren Oszillation – eswird in derselben Zeit mehr nachgeregelt – undeiner stärkeren Oszillation im Ausmaß bezogen aufdie mittlere gefahrene Geschwindigkeit.

In Fahrsituationen ohne Vorderfahrzeug sieht esnicht ganz so deutlich aus: Wie Bild 38 zeigt, lässtsich bei der mittleren Dauer der Geschwindigkeits-schwankung kein eindeutiger Trend ausmachen.Auffällig sind die mittleren Perioden bei Klarsicht,

die mal ganz kurz (unter Klarsicht 15 % Beschleu-nigung), mal sehr lang sind (unter Klarsicht 30 %Beschleunigung). Da sich beide Bedingungen aberfür die hier durchgeführte Auswertung nicht we-sentlich unterscheiden und als Replikationen anzu-sehen sind, zeigen sich an dieser Stelle die obenbeschriebenen Probleme in der Auswertung. UnterKlarsicht 15 % wurden insgesamt nur 14 Oszillatio-nen erhoben und unter Klarsicht 30 % nur 61 Os-zillationen über alle Versuchspersonen. Bei Nebelist die Anzahl der den Kennwerten zugrunde lie-genden Oszillationen weit über 100. Somit sind dieErgebnisse hier nur schwer interpretierbar.

Das Problem der ungleichen Zellbesetzung giltnatürlich auch für das Ausmaß der Geschwindig-keitsschwankung. Hier zeigt sich in den Absolut-werten ein ähnlicher Effekt wie bei den Probandenmit Vorderfahrzeug. Die Absolutwerte des Aus-maßes der Oszillation verändern sich nicht über dieSichtbedingungen (Bild 39). Da die Geschwindig-keiten im Nebel aber abnehmen, nimmt der pro-zentuale Anteil der Amplitude an der mittleren ge-fahrenen Geschwindigkeit im Nebel zu (Bild 40).

Fahrsituationen ohne Vorderfahrzeug können hiernur unzureichend ausgewertet werden, da die An-zahl der in die Analyse eingehenden Oszillationenunter Klarsicht zu gering ist. Bei einem Vergleichder Nebelbedingungen, die von der zugrunde lie-genden Anzahl der Kennwerte her gleich sind, zeigtsich auch keine eindeutige Tendenz. Vergleichtman aber die Amplitude der Geschwindigkeits-schwankung in den Nebelbedingungen mit und

50

Bild 37: Ausmaß einer Halbschwingung (Berg → Tal oder Tal →Berg) in Prozent der mittleren gefahrenen Geschwin-digkeit unter verschiedenen Sichtbedingungen in Mo-delluntersuchung 3 für Sogfahrer (= mit Vorderfahr-zeug)

Bild 38: Dauer einer Halbschwingung im Geschwindigkeitsver-lauf (Berg → Tal oder Tal → Berg) unter verschiedenenSichtbedingungen in Modelluntersuchung 3 für Nicht-Sogfahrer (= ohne Vorderfahrzeug)

Bild 39: Ausmaß einer Halbschwingung (Berg → Tal oder Tal →Berg) in Absolutwerten (km/h) unter verschiedenenSichtbedingungen in Modelluntersuchung 3 für Nicht-Sogfahrer (= ohne Vorderfahrzeug)

Page 52: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

ohne Vorderfahrzeug (Bild 36 und Bild 39), so fälltauf, dass ohne Vorderfahrzeug im Schnitt wenigerstark geschwankt wird (Amplitude ca. 3,5 km/h) alsbei vorhandenem Vorderfahrzeug (Amplitude ca. 5km/h). Da die Anzahl der Werte unter den Nebelbe-dingungen recht hoch und die Streckenlänge ver-gleichbar ist, ist diese Aussage als reliabel anzuse-hen.

Um eine genauere Analyse der Geschwindigkeits-schwankungen beim Autofahren zu geben, ist aberweitere Forschungsarbeit nötig.

4.4.5 Diskussion

Die Replikation des Experiments aus Modellunter-suchung 2 mit festen Ausgangsgeschwindigkeitenhat gezeigt, dass bei moderater Beschleunigungdes Vordermanns etwa die Hälfte der Versuchsper-sonen ihre Geschwindigkeit ebenfalls erhöht unddem Kolonnenfahrzeug folgt. Die andere Hälftebehält die Geschwindigkeit bei, wird aber auchnicht langsamer, was der Fall wäre, wenn diesenFahrern die Ausgangsgeschwindigkeit bereits zuhoch gewesen wäre. Das Sogverhalten zeigt sichunabhängig von den Sichtbedingungen. Die Anzahlder Fahrer, die dieses Verhalten zeigen, steigt beizunehmendem Nebel nur geringfügig.

Bei stärkerer Beschleunigung des Vordermannsmachen weniger Fahrer diese Geschwindigkeitser-höhung mit. Im Nebel steigt die Zahl aber etwasdeutlicher an. Die Mehrheit der Fahrer folgt demsich schnell entfernenden Fahrzeug nicht, erhöht

aber in allen Bedingungen dennoch im Laufe derFahrt die Geschwindigkeit. Einige der Fahrerwählen also, nachdem das vorausfahrende Fahr-zeug sich entfernt hat, eine höhere Geschwindig-keit als die Ausgangsgeschwindigkeit.

Bei den Fahrten mit festen Ausgangsgeschwindig-keiten werden von den Fahrern, die dem Kolon-nenfahrzeug folgen, Geschwindigkeiten erreicht,die deutlich über den unter Sicherheitsaspektenempfehlenswerten Geschwindigkeiten liegen, dennbereits die Ausgangsgeschwindigkeiten waren fürdie Sichtbedingungen bereits an der oberen Gren-ze. Wieder sind die Fahrer dem vorausfahrendenFahrzeug bewusst gefolgt, weil sie glaubten, es seisicherer, das nächste Hindernis zu sehen, unddafür etwas zu schnell zu fahren, als langsamer al-lein vor eine weiße Wand zu fahren. Diejenigen, dieden Sogeffekt gezeigt haben, haben also nichtfahrlässig gegen die Empfehlung verstoßen, imNebel nicht schneller zu fahren, sondern sie habensich vielmehr aus Sicherheitsüberlegungen für einsolches Verhalten entschieden. Es erschien ihnensicherer, auch an einem etwas zu schnellen Fahr-zeug dranzubleiben, als alleine durch den Nebel zufahren. Dieses Ergebnis ist für die Entwicklung vonMaßnahmeempfehlungen von Bedeutung und wirdin der Gesamtdiskussion noch einmal aufgegriffen.

In dem Replikationsexperiment fuhren im Nebeldiejenigen, die das Sogverhalten gezeigt haben,mit Zeitlücken im nicht sicherheitskritischen Be-reich von 2,5 s. Wenn sie die Möglichkeit hatten,die Zeitlücke frei einzustellen, wählten sie im Nebeleine deutlich höhere Zeitlücke als bei klarer Sicht.Fahrer, die kein Sogverhalten gezeigt haben, stell-ten im Nebel eine höhere Zeitlücke ein. Hier zeigtsich möglicherweise, dass Fahrer, die eher ab-standsorientiert fahren und eher bereit sind, sichder Geschwindigkeit eines vorausfahrenden Fahr-zeugs anzupassen, einen niedrigeren minimalenFolgeabstand haben als Fahrer, die eher geschwin-digkeitsorientiert fahren.

5 Analyse von Autobahndaten

5.1 Reanalyse der Daten von RICHTERund SCHLAG

In der Studie „Psychologische Untersuchungen zuNebelunfällen“ von Susan RICHTER und BernhardSCHLAG (2000) wurden Verkehrsdaten ausgewer-tet, die an der BAB A 13 zwischen Berlin und Dres-

51

Bild 40: Ausmaß einer Halbschwingung (Berg → Tal oder Tal →Berg) in Prozent der mittleren gefahrenen Geschwin-digkeit unter verschiedenen Sichtbedingungen in Mo-delluntersuchung 3 für Nicht-Sogfahrer (= ohne Vor-derfahrzeug)

Page 53: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

den an einer Induktionsschleife bei der Anschluss-stelle Schönborn erhoben wurden. In die Auswer-tung gingen fünf Tage ein, an denen die Sichtweitemindestens einmal unter 400 m sank. Die in derStudie dargestellten Analysen lassen jedoch eineReihe von Fragen offen und sind unter methodi-schen Gesichtspunkten nicht eindeutig zu interpre-tieren. Deshalb wurden die Daten von uns erneutanalysiert. Die Rohdaten stellten die Autoren derOriginalstudie zur Verfügung.

5.1.1 Der Datensatz

Bei den vorliegenden Daten handelt es sich um dieMessdaten von fünf Tagen (30.11.1995-01.12.1995-29.02.1996-06.04.1996-10.04.1996) à 24Stunden. Es wurden jeweils beide Fahrtrichtungenund beide Fahrspuren aufgenommen. Darüber hin-aus wurde in 5-Minuten-Intervallen die Sichtweitemit einem transportablen Sichtweiten-Messgerätgemessen.

Die Datensätze geben Auskunft über die Ge-schwindigkeit des jeweiligen Fahrzeugs, den Zeit-punkt, zu dem es die Messschleife passierte, dieZeitlücke zum vorausfahrenden Fahrzeug, dieFahrspur, die Fahrtrichtung, den Tag sowie dieSichtweite. Es ist nicht bekannt, nach welchemSchema die Umrechnung der aufgezeichnetenAchsdaten in Autos erfolgte. Ferner gab es keineUnterscheidung von Pkw, Pkw mit Anhänger oderLkw etc.

Eine nähere Betrachtung der Rohdaten zeigte Pro-bleme bezüglich der Verwertbarkeit der erhobenenDaten. Lediglich an zwei der fünf Tage sank dieSichteinschränkung in den Bereich unter 250 m.Auch die Wetterdaten zeigen nur für diese Tage einNebelaufkommen. Daher wurden in der erneutenAnalyse lediglich der 29.02.96 und der 06.04.96 alsNebeltage berücksichtigt. Die beiden Tage sind je-doch aus anderen Gründen ebenfalls kritisch: Zumeinen herrschte laut Wetterbericht am 29. Februarnicht nur Nebel, sondern auch Glatteis. Zum ande-ren handelte es sich bei dem 6. April um einenSamstag. Diese Umstände konnten bei der Analy-se nicht berücksichtigt werden, da sonst keine Ne-beltage für eine Auswertung zur Verfügung gestan-den hätten.

In der ursprünglichen Studie wurden in der Aus-wertung jeweils alle Fahrzeuge im Nebel mit allenanderen Fahrzeugen (d. h. alle Fahrzeuge bei Klar-sicht) verglichen. Dies führt zu erheblichen Diffe-renzen in der Stichprobengröße. Außerdem lagen

für beide Gruppen unterschiedliche Uhrzeiten, Hel-ligkeiten und Verkehrsstärken vor. Um diese me-thodische Problematik bei der Reanalyse zu umge-hen, wurden Kontrollgruppen aus nebelfreien Mes-sungen gebildet, die in Uhrzeit, Helligkeit, Anzahlder Fahrzeuge und anderen Variablen mit den je-weiligen Nebelfahrtgruppen übereinstimmen.

In der folgenden Analyse werden lediglich die Ne-belgruppen und ihre entsprechenden Vergleichs-gruppen analysiert. Für eine detaillierte Auswer-tung der gesamten Autobahndaten sei auf die Ori-ginalstudie verwiesen. Dort finden sich auch Infor-mationen zur Verkehrsstärke und anderen Faktorenbezüglich der gemessenen Tage.

5.1.2 Ergebnisse

Nebeltage

Die beiden verwendeten Nebeltage (29. Februar &6. April) lassen sich hinsichtlich der Verkehrsstärkeund der gefahrenen Geschwindigkeiten folgender-maßen beschreiben: Es zeigt sich für den 29. Fe-bruar eine zweigipflige Verteilung, die aufgrund derStoßzeiten des Berufs- und Feierabendverkehrs zuerklären ist. Für den 6. April ergibt sich keine solchecharakteristische Verteilung, da es sich hier umeinen Samstag handelte. An beiden Tagen zusam-men wurden insgesamt 33.766 Fahrzeuge regis-triert (29. Februar: 15.399 und 6. April: 18.367). Be-zogen auf die Einzeltage kann man von einem ähn-lich hohen Verkehrsaufkommen sprechen.

Tabelle 13 gibt die mittlere Geschwindigkeit unddie mittlere Verkehrsstärke für die beiden Tage beivorherrschendem Nebel und die beiden Vergleichs-tage bei klarer Sicht an. Die etwas höheren Ver-kehrsstärken bei Nebel lassen sich zum einen mitden leicht niedrigeren Geschwindigkeiten, zumgrößeren Teil aber mit dem Auftreten des Nebels inden frühen Morgenstunden zur Zeit des Berufsver-kehrs (Einkaufsverkehrs) erklären. Auffällig ist dienur wenig geringere mittlere Geschwindigkeit imNebel bezogen auf Zeiten ohne Nebel. Hierbei istzu bedenken, dass bei dieser Auswertung überverschiedene Nebelkategorien gemittelt worden ist(Sichtweiten unter 50 m bis 400 m). Insgesamt kön-nen beide Tage als vergleichbar betrachtet werden.

Wie zu erwarten, lag die mittlere Geschwindigkeitauf der linken Spur, sowohl im Nebel als auch ohneNebel, deutlich höher als auf der rechten. Damiteinhergehend war die Verkehrsstärke niedriger.

52

Page 54: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Deshalb müssen die beiden Fahrspuren einer se-paraten Analyse unterzogen werden.

Bezüglich des Verkehrsaufkommens sind beideFahrtrichtungen vergleichbar. Unterschiede erge-ben sich allerdings hinsichtlich der mittleren Ge-schwindigkeiten. So sind die Geschwindigkeiten inRichtung Berlin allgemein niedriger, zeigen jedochgleichermaßen eine verringerte Geschwindigkeitbei Nebel, deren Ursache sich aus den Daten he-raus nicht klären lässt. Möglicherweise liegt im Be-reich der Messschleife eine Steigung in RichtungBerlin. Daher ist es notwendig, auch hinsichtlichder Fahrtrichtung separate Analysen vorzunehmen.

Klartage

Als Klartage für die Auswahl der entsprechendenVergleichsgruppen wurden der 30. November, der1. Dezember und der 10. April ausgewählt. Insge-samt wurden 65.323 Fahrzeuge ausgewertet (30.November: 18.805, 1. Dezember: 24.825, 10. April:21.693). Die zeitliche Verteilung der Verkehrsstär-ken ergab für den 30. November (Donnerstag) zweigetrennte Maxima zur Zeit des Berufs- und desFeierabendverkehrs. Die Verkehrsdichte am 1. De-zember (Freitag) ist charakterisiert durch eine sehrhohe Verkehrsstärke am späten Nachmittag. DerVerlauf der Verkehrsstärken am 10. April (Mittwoch)zeigt wieder den typischen zweigipfligen Verlauf,obwohl das Verkehrsaufkommen durchweg hochwar und es nur zu einer geringen Ausprägung vonMaxima kam.

Ähnlich wie an den beiden Nebeltagen unterschei-den sich die beiden Fahrspuren (gemittelt über diedrei Klartage) hinsichtlich der mittleren Geschwin-digkeit. Die Betrachtung der mittleren Geschwin-digkeit und Verkehrsstärke pro Fahrtrichtung zeigterneut unterschiedlich hohe Geschwindigkeitenbezogen auf die beiden Fahrtrichtungen.

Analyse des Fahrverhaltens im Nebel

Aufgrund der Erkenntnisse, die aus der allgemei-nen Analyse der Messdaten gewonnen worden

sind, müsste die Analyse nach einer mehrfaktoriel-len Varianzanalyse erfolgen. So müssten aufgrunddes Einflusses des Tageslichts Helligkeitskategori-en als Faktor eingehen. Ferner wäre die Uhrzeit (z.B. in Abschnitten von einer Stunde) zu berücksich-tigen, ebenso die Fahrspur und besonders dieFahrtrichtung und nicht zuletzt das Datum. Dieswürde zu einer nicht mehr zu überblickenden An-zahl von Wechselwirkungen führen. Zudem würdenbei dieser Aufsplittung viele der Untergruppen ausweniger als fünfzig Fahrzeugen bestehen. Aus die-sen Gründen sind zunächst einfache T-Tests be-rechnet worden. Diese wurden sowohl über alleDaten ausgeführt als auch nach bestimmten Fakto-ren (z. B. Fahrtrichtung, Fahrspur oder Tag) ge-trennt. Ferner wurde eine Auswahl von ein- undmehrfaktoriellen Varianzanalysen berechnet. Dieersten T-Tests berücksichtigten die abhängigen Va-riablen „Geschwindigkeit“, „Zeitlücke zum Vorder-mann“, „Abstand zum Vordermann“ und „Verkehrs-stärke“.

Überraschend ist das Ergebnis für die Zeitlückenund den Abstand zum Vordermann. Beide sind beiNebel signifikant größer. Man hätte eher geringereAbstände erwartet. Eine Erklärung für diesen über-raschenden Befund liefert die Auswertung der Ver-kehrsstärke. Diese ist während der ausgewertetenFahrten ohne Nebel signifikant größer. Zudem istsie generell niedrig. Bei ca. 600 Fahrzeugen proStunde ergeben sich lediglich zehn Fahrzeuge proMinute. Daraus lässt sich folgern, dass, generellbetrachtet, die Verkehrsstärke in Nebelabschnittennicht so hoch war, dass eine gegenseitige Beein-flussung der einzelnen Verkehrsteilnehmer imNebel für alle Fahrer vorlag. Die Tatsache, dass dieVerkehrsstärke ohne Nebel höher war, erklärt sichaus den allgemein höheren Verkehrsstärkenwährend der Klartage (1. Dezember und 10. April),die bei der Bildung der Vergleichsgruppen heran-gezogen wurden. Diese Probleme bei der Ver-gleichbarkeit der einzelnen Tage lässt sich inner-halb des Datensatzes nicht beheben. Wünschens-wert wären jedoch Vergleichstage mit ähnlichenVerkehrsstärken.

53

Tab. 13: Vergleich von Zeiten mit und ohne Sichtbehinderung durch Nebel. Mittlere Geschwindigkeit und Verkehrsstärke für beideTage; Reanalyse

Datum Eckdaten Nebel kein Nebel

29.02.96mittlere Geschwindigkeit [km/h] 94,8 97,7

mittlere Verkehrsstärke [N/h] 547,7 426,9

06.04.96mittlere Geschwindigkeit [km/h] 93,1 99,6

mittlere Verkehrsstärke [N/h] 636,6 539,4

Page 55: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Nebeleffekt und Fahrtrichtung

Da sich die beiden Fahrtrichtungen in dem zu be-obachtenden Fahrverhalten deutlich unterschei-den, wurde das Fahrverhalten im Nebel getrennt fürdie jeweilige Fahrtrichtung ausgewertet. Es fälltauf, dass die Geschwindigkeiten in Richtung Berlindeutlich geringer sind. Dennoch wird die Ge-schwindigkeit im Nebel sowohl in Richtung Berlin(um 3,9 km/h) als auch in Richtung Dresden (um 5km/h) gesenkt.

Nebeleffekt und Fahrspur

Leider lassen es die Daten nicht zu, eine eindeuti-ge Analyse bezüglich des Fahrzeugtyps auszu-führen. Die Analyse bezogen auf die Fahrspurberücksichtigt dies aber ansatzweise mit, da sichder Lkw-Verkehr auf die rechte Fahrspur konzen-triert und diese dominiert.

Natürlich ist die mittlere Geschwindigkeit auf derlinken Spur höher. Jedoch kommt es während desNebels auch zu einer stärkeren absoluten Verringe-rung der Geschwindigkeit (rechte Spur: 3,6 km/h –linke Spur: 7,1 km/h). Bezüglich der rechten Fahr-spur lässt sich sagen, dass der Nebel hier nur ge-ringe Effekte verursacht. Dies kann an dem höhe-ren Anteil des Lkw-Verkehrs liegen, der sich auf-grund der langsameren Normalgeschwindigkeitund der gleichmäßigeren Fahrweise weniger aufdie unterschiedlicheren Sichtbedingungen einstel-len muss.

Nebeleffekt in Abhängigkeit von der Nebelstärke

Im Folgenden werden nur noch die Messdaten be-trachtet, die zu Zeiten mit Nebel aufgenommenworden sind.

Die Nebeldaten wurden in vier Kategorien unter-schiedlicher Nebelstärke eingeteilt: Kategorie 1 bis50 m Sichtweite, Kategorie 2 von 51 bis 100 m

Sichtweite, Kategorie 3 von 101 bis 260 m Sicht-weite und Kategorie 4 von 251 bis 400 m Sichtwei-te.

Unter Verwendung der Kategorien wurde mit vier-stufigem Faktor Nebelstärke eine Varianzanalysefür die verschiedenen erhobenen Daten als abhän-gige Variablen gerechnet (vgl. Tabelle 14).

Es zeigt sich, dass die Geschwindigkeit mit zuneh-mender Sichtweite zunimmt. Dieser Effekt ist hoch-signifikant (p < .001). Die Zeitlücke (p > .2) und derAbstand zum Vordermann unterscheiden sich inAbhängigkeit von der Nebelstärke jedoch nicht sig-nifikant. Die Nebelstärke hat also lediglich einenEinfluss auf die Geschwindigkeit.

Jedoch ist die Verringerung der Geschwindigkeit inBezug auf die Sichtweite nicht ausreichend. DieAnpassung des Fahrverhaltens erfolgt somit nichtin ausreichendem Maße, wie auch die folgendeAnalyse zeigt.

Es wurde eine Unterteilung in angepasstes und un-angepasstes Verhalten vorgenommen. Ein ange-passtes Fahrverhalten lag vor, wenn die Geschwin-digkeit kleiner als die aktuell vorherrschende Sicht-weite plus maximal 10 km/h war. Ein unangepass-tes Fahrverhalten lag vor, wenn die Geschwindig-keit größer als die Sichtweite plus 10 km/h war. Fürdiese Einteilung werden nur die Daten für die bei-den Sichtweitenkategorien „bis 50 m“ und „51 bis100 m“ berücksichtigt.

Ausgewertet über beide Fahrspuren zeigt sich,dass in der starken Nebelkategorie durchweg einunangepasstes Fahrverhalten zu beobachten ist.Bei Sichtweiten bis 100 m fährt ungefähr die Hälftealler Verkehrsteilnehmer unangepasst.

Wertet man beide Fahrspuren getrennt aus, sozeigt sich, dass bei Sichtweiten unter 50 m auf bei-den Spuren durchweg unangepasst gefahren wird.Auf der linken Spur findet sich gar kein Verkehrs-

54

Tab. 14: Effekt des Nebels auf die Fahrweise unter verschieden starker Einschränkung der Sichtweite. Mittelwerte (MW) sowieStandardabweichungen (St.-A.) für Geschwindigkeit, Zeitlücke, Abstand und Verkehrsstärke. Angegeben ist ferner die An-zahl der ausgewerteten Fahrzeuge. Ausgewertet wurde nur über Fahrten im Nebel; Reanalyse

Sichtweite

bis 50 m 51 – 100 m 101 – 250 m 251 – 400 m

MW St.-A. MW St.-A. MW St.-A. MW St.-A.

Geschwindigkeit [km/h] 89,7 20,8 87,8 18,5 94,0 19,1 98,1 20,2

Zeitlücke zum VM [sec.] 11,9 19,0 13,4 27,7 14,6 44,2 14,2 32,8

Abstand zum VM [m] 318,2 542,6 355,4 780,6 394,5 1260 398,7 964,4

Verkehrsstärke [N/h] 608,9 153,7 596,2 169,2 617,3 222,7 600,4 219,6

Ausgewertete Fahrzeuge 1.106 506 2.012 1.482

Page 56: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

teilnehmer mit angepasstem Verhalten. Bei Sicht-weiten bis 100 m ändert sich das Bild. Während aufder linken Spur fast nur unangepasst gefahrenwird, zeigt sich für die rechte Spur, dass die Hälfteder Verkehrsteilnehmer angepasst fährt.

Eine Diskussion von Abstand und Zeitlücken ist an-gesichts der geringen Verkehrsstärke und der da-durch entstehenden riesigen Zeitlücken nicht inte-ressant.

Nebeleffekt und Zeitlücke zum Vordermann

In der Originalstudie wurde bezüglich der Kolon-nen-Fahrweise eine Einteilung in drei Kategoriengetroffen:

Kolonne: Zeitlücke kleiner 2 sec.

Lockerer Verbund: Zeitlücke von 2 sec. bis 20 sec.

Einzelfahrer: Zeitlücke größer 20 sec.

Diese Einteilung ist jedoch weder üblich nochzweckmäßig. In anderen Arbeiten zur Auswertungvon Autobahnmessdaten (z. B. Elbtunnelprojektder fka Aachen) wird die Zeitlücke in drei andereKategorien gegliedert, die sich auf die gesetzlichvorgeschriebene Zeitlücke (1,8 sec. = halber Ta-choabstand) und den Grenzwert, ab dem man vom„freien Fahren“ spricht (3 sec.), beziehen. Eine Un-terteilung bei einem Wert von 20 sec. erscheint zuhoch. Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/hwäre ein vorausfahrendes Auto, welches 15 sec.Vorsprung hat, knapp 420 m entfernt. Hier kannnicht von einem Einfluss auf die eigene Fahrweiseausgegangen werden.

Ein zusätzlicher Grenzwert bei 5 sec. kann einge-führt werden, um extrem große Lücken abzutren-nen. Dadurch gibt es zwei Gruppen der Einzelfah-rer, von denen die eine Gruppe noch direkte Sichtzum Vordermann hat, während die andere völligselbstständig fährt. Somit ergeben sich für unsereAnalyse der Daten folgende Kategorien:

Drängler: Zeitlücke ≥ 1,8 sec.

Kolonne: Zeitlücke > 1,8 sec. und ≤ 3 sec.

Einzelfahrer mit Sicht zum Vordermann: Zeitlücke > 3 sec. und ≤ 5 sec.

Einzelfahrer ohne Sicht zum Vordermann: Zeitlücke > 5 sec.

Da davon ausgegangen wird, dass bereits zwi-schen zwei Fahrern eine Interaktion zustande kom-

men kann, wurde bei der Kategorisierung nichtberücksichtigt, ob lediglich zwei Fahrzeuge enghintereinander herfahren oder ob es sich um einengrößeren Pulk handelte.

Erneut wurde eine einfaktorielle Varianzanalyse miteinem vierstufigen Faktor gerechnet. Ausgewertetwurde wieder nur über die Fahrzeuge, die im Nebelfuhren.

Die Geschwindigkeit ist hochsignifikant (p < 0.001)abhängig von der Kategorisierung der Zeitlücke.Dabei zeigt sich die höchste Geschwindigkeit,wenn man quasi „ganz alleine“ auf der Autobahnist (Zeitlücke > 5 sec.). Alle anderen Geschwindig-keiten sind nahezu identisch. Alle Einzelvergleichemit Kategorie 4 werden signifikant (p < 0.001), al-lerdings keiner zwischen den restlichen Kategorien.Die Zeitlücke und der Abstand hängen natürlich di-rekt von der hier vorgenommenen Kategorisierungab.

Es zeigt sich über alle Sichtweiten, dass Fahrzeugemit Zeitlücken über 5 sec. (Kat. 4) durchwegschneller fahren als die übrigen, zwischen denen eskeine Unterschiede gibt. Dieses Ergebnis stimmtmit unseren Beobachtungen am Simulator in derModelluntersuchung 1 überein, nicht jedoch mitden Ergebnissen aus den eigenen Autobahndaten,wie im Kapitel 5 ausgeführt wird.

Auch unter Berücksichtigung der Klarsichtfahrten(Bild 41) ändert sich nichts an den beiden Hauptef-fekten. Es kommt zu einer Abnahme der Ge-schwindigkeit mit zunehmender Nebelstärke (87,5– 85,5 – 92,9 – 96,0 – 97,1 km/h – p < 0.001). Ver-glichen mit der Originalstudie zeigt sich weder die

55

Bild 41: Darstellung der mittleren Geschwindigkeit in Abhän-gigkeit von der Sichtweite. Getrennt nach den einzel-nen Fahrzeugverbänden; Reanalyse

Page 57: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

wesentlich geringere Geschwindigkeit des Einzel-fahrers noch die generelle Erhöhung der Ge-schwindigkeit bei Sichtweiten zwischen 250 und400 m verglichen mit Sichtweiten über 400 m.

Zum Abschluss soll noch ein Blick auf die Abstän-de (in m) zum Vordermann geworfen werden, diesallerdings separat für die einzelnen Fahrzeugver-bände.

Der Einfluss der Nebelstärke auf die gefahrenenAbstände ist bei nahezu allen Fahrzeugverbändennur äußerst gering, obwohl er für jeden Fahrzeug-verband separat signifikant wird (p < .02). Bei derInterpretation sollte man nur diejenigen Abständeberücksichtigen, die auch innerhalb der Sichtweiteliegen (weiß hinterlegte Zahlen). Unter diesemAspekt ergibt sich lediglich ein geringer Anstieg fürdie Gruppe „Kolonne“, der sich aber bei der ge-ringsten Sichtweite nicht fortsetzt (siehe Tabelle16).Hier könnte man erwarten, dass der Abstand nochum einige Meter verkürzt wird, um den Vordermannnicht im Nebel zu verlieren. Dies wäre auch unterBerücksichtigung der sich ergebenden Geschwin-digkeit möglich: Es wären Geschwindigkeiten von60 bis 100 km/h nötig, um den Vordermann beiSichtweiten unter 50 m noch zu sehen, ohne in eine

andere Zeitlücken-Kategorie zu rutschen. In derGruppe der „Einzelfahrer mit Sicht“ fällt der Wertbei einer Sichtweite zwischen 51 und 101 m be-sonders heraus. Hier könnte es sich um den Effekthandeln, dass ein kürzerer Abstand gehalten wird,um den Vordermann besser im Blick zu behalten.Allgemein zeigt diese Gruppe auch die stärksteTendenz eines verringerten Abstandes mit zuneh-mender Nebelstärke. Es ist allerdings zu beachten,dass alle Fahrzeuge innerhalb dieser Gruppe mehrals 3 sec. Abstand zu ihrem Vordermann hattenund damit bereits im Bereich des „freien Fahrens“sind. Diese Gruppe ist nicht mit der Gruppe des„lockeren Verbundes“ aus der Originalstudie zuvergleichen Dort fanden die Autoren eine starkeVerringerung des Abstandes mit zunehmendemNebel. Allerdings waren von den fünf Mittelwerten(es wurden die gleichen Nebelkategorien verwen-det) die ersten beiden außerhalb der Sichtweiteund für die letzten drei ergab sich keine klare Ten-denz. Angesichts dieser Daten lässt sich sagen,dass im Nebel im Wesentlichen die gleichen Ab-stände gefahren werden wie unter klarer Sicht. Al-lenfalls gibt es eine leichte Tendenz zu kürzerenAbständen bei dichtem Nebel, die möglicherweisedurch Fälle hervorgerufen werden, in denen der

56

Tab. 15: Fahrverhalten der einzelnen Fahrzeugverbände. Mittelwerte (MW) sowie Standardabweichungen (St. -A.). Angegeben sindferner die Anzahl der ausgewerteten Fahrzeuge und die prozentualen Anteile der Kategorien. Ausgewertet wurde nur überFahrten im Nebel; Reanalyse

Kategorien

< 1,8 sec. 1,8 sec.-3,0 sec. 3,0 sec.-5,0 sec. > 5,0 sec.Drängler Kolonne Einzelfahrer 1 Einzelfahrer 2

MW St.-A. MW St.-A. MW St.-A. MW St.-A.

Geschwindigkeit [km/h] 90,8 19,9 89,1 19,0 90,7 19,0 97,2 20,2

Zeitlücke zum VM [sec.] 1,1 0,2 2,4 0,5 4,3 0,6 24,5 47,0

Abstand zum VM [m] 27,9 8,1 61,0 18,3 109,6 27,9 673,5 135,4

Verkehrsstärke [N/h] 645,1 174,7 648,0 196,4 620,5 191,2 579,0 211,8

Ausgewertete Fahrzeuge 523 1.194 804 2.585

prozentuale Anteile 10,2 % 23,4 % 15,7 % 50,6 %

Tab. 16: Abstand zum Vordermann (Meter) in Abhängigkeit von der Sichtweite für die einzelnen Kategorien an Fahrzeugverbändenunter den verschiedenen Sichtbedingungen. Die grau unterlegten Werte bezeichnen Abstände, die außerhalb der Sicht-weite liegen; Reanalyse

Katgorien

Sichtbedingungen

bis 50 m 51-100 m 101-250 m 251-400 m über 400 m

Drängler

(< 1,8 sec.)

Mittelwert 30,3 26,1 26,3 28,6 27,3

St. -Abw. 10,9 7,7 5,9 7,2 6,1

Kolonne

(1,8 bis 3 sec.)

Mittelwert 55,5 56,5 60,7 65,8 65,4

St. -Abw. 15,9 15,3 17,7 19,8 19,9

Einzelfahrer mit Sicht

(3 bis 5 sec.)

Mittelwert 98,5 100,5 114,3 115,9 120,5

St. -Abw. 23,2 25,5 27,8 28,9 29,2

Einzelfahrer ohne Sicht

(> 5 sec.)

Mittelwert 555,0 619,0 726,6 712,4 607,0

St. -Abw. 673,5 1.006 1.731 1.274 1.116

Page 58: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Vordermann im Nebel zu verschwinden droht. Eslässt sich somit nur ein schwacher Hinweis für dieSog-Hypothese nach SCHÖNBACH finden. Die imGesamtmittel größeren Abstände werden im We-sentlichen durch die Gruppe der „Einzelfahrer ohneSicht“, also die Fahrzeuge mit Abständen über 5sec., hervorgerufen. Da dies auch die Gruppe mitden absolut meisten Fahrzeugen ist (s. Tabelle 16),kommt es bei der Gesamtbetrachtung zu diesemverfälschten Bild. Denn die in dieser Gruppe ge-messenen Abstände beruhen nahezu alle auf demZufallsprinzip, da sie fast alle größer als die Sicht-weite sind.

Kolonnenbildung

Bisher wurden lediglich zwei Fahrzeuge und dieZeitlücke zwischen beiden betrachtet, um eine Ka-tegorisierung nach Fahrzeugverbänden vorzuneh-men. Es soll nun untersucht werden, ob unter ge-wissen Umständen eine größere Pulkbildung (mehrals zwei Fahrzeuge) verstärkt auftritt und/oder in-nerhalb solcher Kolonnen ein spezifisches Fahrver-halten zu beobachten ist. Dabei wird als Kolonneeine Anzahl von mindestens vier Fahrzeugen defi-niert, wobei die Zeitabstände zum Vordermann (mitAusnahme des ersten Fahrzeuges) nicht größer als3 sec. sein dürfen. Da allerdings das erste Fahr-zeug in dieser Reihe zwar eine Anzahl andererFahrzeuge hinter sich hat, aber keines vor sich,wird das erste Fahrzeug in der Kolonne nicht aus-gewertet. Das bedeutet, dass die kleinste Kolonneaus fünf Fahrzeugen bestehen kann, wobei alleZeitlücken kleiner als 3 sec. sind und das Füh-rungsfahrzeug nicht ausgewertet wird.

Es zeigt sich, dass generell in Richtung Berlin mehrKolonnen zu beobachten sind als in der Gegen-richtung. Dies deutet erneut darauf hin, dass inRichtung Berlin eine Steigung vorliegen muss. Ins-besondere, wenn man die hohe Anzahl an Kolon-nen auf der rechten Spur betrachtet (wahrschein-lich Lkw-Kolonnen, die den Berg eng aneinanderhinauffahren). Während in Richtung Berlin die meis-ten Kolonnen rechts fahren (Berg – Lkw-Verkehr) istdies in Richtung Dresden anders. Die größere An-zahl an Kolonnen auf der Überholspur kann auchhier mit der Steigung zusammenhängen. Es könn-te sein, dass aufgrund des Gefälles viele zu über-holen versuchen. Dies führt dann zu einem Rück-stau der schnelleren Fahrzeuge.

Vergleicht man Kolonnen im Nebel (alle Sichtwei-ten-Kategorien) und solche bei freier Sicht, so fällt

auf, dass zwar die Gesamtanzahl relativ konstantbleibt (81 im Nebel vs. 88 ohne Nebel), dass esaber unter Nebelbedingungen eine Tendenz zugrößeren Kolonnen gibt. Berechnet man die Ge-samtzahl der Fahrzeuge in allen Kolonnen so erge-ben sich 466 Fahrzeuge in Kolonnen, die ohneNebel gefahren sind, dem gegenüber stehen 447Fahrzeuge in Kolonnen unter Nebelbedingungen.Obwohl die Gesamtanzahl der Fahrzeuge in Kolon-nen im Nebel sinkt, zeigt sich, dass der Anteil be-sonders großer Kolonnen im Nebel steigt. Da diesspeziell für die rechte Spur gilt, ist dieser Effekt da-rauf zurückzuführen, dass im Nebel mehr Verkehrs-teilnehmer auf die rechte Spur ausweichen (z. B.weil sie langsamer fahren).

Die mittlere Kolonnengröße ist jedoch unabhängigvom Nebel, ebenso die mittlere Zeitlücke innerhalbder Kolonnen. Interessant ist, dass die mittlere Ge-schwindigkeit, die man auch als Kolonnenge-schwindigkeit bezeichnen könnte, im Nebel signifi-kant geringer (p < .02) ist als unter klarer Sicht (Ta-belle 13). Die Ergebnisse zeigen erneut, dass dasFahrverhalten im Nebel durchaus angepasst wird,nur nicht hinreichend.

5.1.3 Zusammenfassung

Allgemein ist der vorliegende Datensatz grundsätz-lich für die Ziele der Untersuchung nicht geeignet.Es sei hier nur an die Probleme bezüglich der Wo-chentage oder die fehlende Fahrzeugklassifizie-rung erinnert. Auch die Einwirkung weiterer Wetter-bedingungen erschwert die Interpretation. Ein wei-teres Problem ergab sich aus der Wahl der Strecke,die zum einen ein unterschiedliches Fahrverhaltenin beiden Fahrtrichtungen aufwies, und zum ande-ren keine sehr hohe Verkehrsstärke zeigt. Geradeein hohes Verkehrsaufkommen wäre aber im Sinneder Untersuchungsziele von Nutzen. Dann würdesich das Problem der großen Abstände relativieren,welche die Mittelwerte verzerren. Auch wären dannmehr und größere Fahrzeugverbände zu erwarten,und Effekte der gegenseitigen Interaktion könntenbesser beobachtet werden. So ließe sich die Ten-denz der Bildung längerer Kolonnen im Nebelnäher untersuchen.

Über die Ergebnisse lässt sich zusammenfassendsagen, dass die Geschwindigkeit im Nebel zwar re-duziert wird, aber dies nicht in der entsprechendenRelation zur Sichtweite passiert. Die im Nebel ge-messenen Abstände zeigen insgesamt keinen Un-terschied zu den Abständen bei Klarsicht.

57

Page 59: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

In Bezug auf die beobachteten Geschwindigkeiteninnerhalb der verschiedenen Nebelkategorien gabes keine besonderen Unterschiede zwischen denverschiedenen Fahrzeugverbänden, die mit Zeit-lücken bis 5 sec. fuhren. Diejenigen Fahrer mit Zeit-lücken über 5 sec. zum Vordermann fuhren jedochschneller als die Fahrer im Verbund. Dies wider-spricht den Ergebnissen der Originalstudie und be-stätigt die Befunde aus den Modelluntersuchungen.

5.2 Eigene Erhebung

Ziel der Erhebung ist es, neue Daten über den Ver-kehrsfluss bei Nebel zu sammeln. Diese Daten sol-len nicht die eben diskutierten Schwächen der Er-hebung von RICHTER und SCHLAG aufweisen.

5.2.1 Umsetzung der Datenerhebung

Die Datenerhebung fand an der BundesautobahnBAB 61 statt. Es erfolgt eine Langzeitmessungüber mehrere Monate, um möglichst viele Nebeler-eignisse und einen großen Datensatz für die Kon-trollbedingung (freie Sicht) zu erhalten.

Die Auswahl der Messstrecke bzw. Messstelle ge-schah nach folgenden Kriterien:

- keine verkehrsbeeinflussende Wirkung unter to-pografischen/bautechnischen Gesichtspunkten(z. B. Gefälle, Einfahrten etc.),

- zuverlässige Messung der Sichtweite in unmit-telbarer Nähe zur Messstelle

- Messung liefert fahrspurspezifische Daten überEinzelfahrzeuge mit einer zeitlichen Auflösungvon ≤ 0.1 sec. sowie die Trennung verschiede-ner Fahrzeugtypen (Pkw vs. Lkw),

- Informationen zu verkehrsbeeinflussendenMaßnahmen stehen zur Verfügung (z. B. Ge-schwindigkeitsbegrenzung, Überholverbot,Baustellenbetrieb etc.).

Die ausgewählte Messstelle AQ103 befindet sichkurz hinter der Anschlussstelle Miel in Fahrtrich-tung Süden (Richtung Koblenz) bei Kilometer 164.Der Vorteil dieser Messstelle besteht auch darin,dass parallel zu der Verkehrsmessung eine Erhe-bung der Sichtweiten erfolgt. Diese Sichtweiten-messanlage ist jedoch an ein Wechselverkehrszei-chen zur Verkehrssteuerung gebunden, welchessich 200 m vor der Messstelle befindet. Eine ge-nauere Diskussion des Einflusses des Wechselver-

kehrszeichens auf die erhobenen Daten erfolgt imAbschnitt 5.2.3.

Messzeitraum

Die Erhebung erstreckte sich bisher über dreiSpannen, jeweils in Monaten des Winterhalbjahresder Jahre 2001 und 2002. Auf Messungen in denSommermonaten wurde verzichtet, da in dieserJahreszeit kein Nebel zu erwarten ist. Die Messun-gen wurden erstmals am 20.02.2001 aufgenom-men und bis zum 06.06.2001 – mit zweimaligenUnterbrechungen von mehreren Tagen aus techni-schen Gründen – fortgeführt. Die Erhebung wurdeAnfang Oktober 2001 wieder aufgenommen undbis Mai 2002 weitergeführt. Da der Laptop an derAutobahn Anfang November durch Diebstahl ab-handen gekommen ist, liegen allerdings erst abdem 15.11.2001 Daten vor. (Eine Datenerhebungan der Messstelle wird derzeit weiterhin durchge-führt.) In dieser Zeitspanne traten jedoch erhebli-che technische Probleme auf, sodass aus diesemWinter nur von wenigen Wochen Daten vorliegen.Die Messung über den Februar 2002 hinaus erfolg-te in der Hoffnung, dass weitere Nebelereignissedokumentiert werden können. Da dies jedoch nichtgelang, sind im Folgenden nur die Daten bis Fe-bruar 2002 näher ausgewertet.

Datensätze

Neben den Daten der Induktionsschleife zur Auf-zeichnung des Verkehrs wurden die jeweilige An-zeige der Verkehrsbeeinflussungsanlage, die Er-gebnisse der Sichtweitenmessung sowie die Wet-terdaten der nächstliegenden Wetterstation Nörve-nich erhoben. Bei der Messung durch die Indukti-onsschleifen werden je Fahrzeug, das die Schleifenüberquert, folgende Daten erhoben:

- Datum (des Laptops),

- Uhrzeit (des Laptops),

- Fahrspur (Hauptfahr- bzw. Überholspur),

- Fahrzeugtyp (Lkw vs. Pkw),

- Geschwindigkeit in km/h,

- Fahrzeuglänge in cm,

- Zeitmarke (für Berechnung der Zeitlücke).

Die Sichtweitenmessung erfolgt über eine Anlageaus vier Sensoren. Der Hauptsensor befindet sich

58

Page 60: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

direkt an der Messstelle. Die Nebensensoren liegen400 Meter vor bzw. hinter der Messstelle, ein drit-ter Nebensensor 800 Meter weiter in Fahrtrichtung.Die Sichtweite wird längs zur Fahrbahn gemessen.Der Wert 630 m ist die maximale Sichtweite imSinne der Messelektronik und damit gleichbedeu-tend mit dem Zustand der freien Sicht. Die Erhe-bung der Sichtweitendaten umfasst den gesamtenZeitraum der Datenerhebung.

Zusätzlich wurden die Daten einer elektronischenVerkehrsbeeinflussungsanlage erhoben, die sichunmittelbar vor der Messschleife (ca. 200 m) befin-det. Die Anzeigendaten liegen für den gesamtenZeitraum vor.

Die Datensätze für die Wetterdaten erstellte dasLehr- und Forschungsgebiet Physische Geografieder RWTH Aachen. Als relevante Wetterstationwurde die Messstelle Nörvenich ausgewählt. DieErhebung der Wetterdaten dient zum einen derKontrolle der Sichtweitendaten und zum anderender Möglichkeit, auch andere verkehrsbeeinflus-sende Witterungsverhältnisse zu berücksichtigen(z. B. Regen, Schnee oder Eisglätte etc.).

Es werden den Datensätzen weiterhin die Zeitendes Sonnenauf- bzw. -untergangs des jeweiligenTages hinzugefügt.

Beschreibung der erhobenen Daten

Bisher wurden an 290 Tagen Messdaten aufge-nommen. Die folgenden Auswertungen beziehensich jedoch nur auf die Erhebungen bis einschließ-lich Februar 2002, d. h. die ersten 148 Tage derMessung. In dieser Zeit wurden 4.004.693 Ereig-nisse aufgezeichnet. Täglich zählte die Induktions-schleife somit im Mittel 27.900 Fahrzeuge.

Die Daten der manuellen Verkehrszählung (SVZ)2000 geben mit einer durchschnittlichen täglichenVerkehrsstärke (DTV) von 48.600 (Güterverkehr27,1 %, Schwerverkehr: 24,6 %) für beide Fahrt-richtung einen etwas niedrigeren Wert an (LEN-SING, 2003). Da der Zählung von LENSING (2003)jedoch ein kürzerer Zeitraum zu Grunde liegt alsunserer Messreihe, dienen unsere Daten im Fol-genden als Bezugspunkt.

Von der Gesamtzahl der Fahrzeuge entfielen insge-samt 28.476 (0,7 %) auf so genannte Pseudofahr-zeuge, also Messereignisse, die von der Elektroniknicht zu einer bestimmten Fahrzeugklasse zuge-ordnet werden konnten. Eine weitere Reduzierung

der Datensätze ergab sich durch die Beschränkungder gemessenen Fahrzeuglängen für die jeweiligeFahrzeugklasse2. Aufgrund dieser Kontrolle wur-den von den restlichen 3.957.034 Fahrzeugen48.399 (1,2 %) ermittelt, die der jeweils anderenFahrzeugklasse zugeordnet worden sind. Auch dieden beiden Gruppen problematischer Fahrzeugejeweils folgenden Fahrzeuge sind kritisch. Das liegtdaran, dass die Abstände bzw. die Zeitlücke zwi-schen den Fahrzeugen nicht direkt gemessen, son-dern berechnet werden. Von allen registriertenFahrzeugen können 97,6 % bezüglich der Fahr-zeugklasse eindeutig eingestuft und auch sonstproblemfrei verarbeitet werden (siehe Bild 42).

In Bezug auf die Klassifizierung der Fahrzeugenach Pkw und Lkw muss berücksichtigt werden,dass die Kategorie Lkw eine Mischkategorie dar-stellt, die nicht nur Lkw, sondern beispielsweiseauch Busse oder große Lieferwagen enthält.Zweiräder oder Pkw mit Hänger konnten nicht au-tomatisch identifiziert werden und fielen aufgrundihrer Länge entweder in eine der beiden vorhande-nen Kategorien oder sind Bestandteil der unbe-kannten Fahrzeugklasse.

5.2.2 Nebelereignisse

Von einem Nebelereignis wird ausgegangen, wenninnerhalb eines Zeitraumes alle vier Sensoren voneingeschränkter Sichtweite ausgehen und die

59

Bild 42: Übersicht der aufgenommenen Ereignisse bzw. Fahr-zeuge. Die unterlegten Felder beinhalten die Fahrzeu-ge, die aus den Datensätzen gelöscht wurden; eigeneErhebung

2 Als Pkw werden Fahrzeuge mit einer Länge von 2,5 bis 6,5 m akzeptiert. Als Lkw werden Fahrzeuge mit einer Längevon 6,5 bis 22 m akzeptiert. Voraussetzung für eine Klassifi-zierung war allerdings, dass die Messelektronik bereits dasFahrzeug in dieselbe Kategorie eingeordnet hatte.

Page 61: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Sichtweiten unter 300 m fallen, da erst dann eineverkehrsbeeinflussende Wirkung zu erwarten ist.

Die Sichtweiten, die die einzelnen Sensoren anzei-gen, weichen häufig um mehrere zehn Meter von-einander ab, was messtechnische Gründe hat,aber auch an den unterschiedlichen Standortenliegt.

Im Messzeitraum vom 20. Februar bis zum 6. Juni2001 sank die Sichtweite zu keinem Zeitpunktunter 300 m. Der niedrigste Wert lag bei 320 m am4. April, und auch dieser Wert wurde nur für eineZeit von drei Minuten gemessen. Nach der Wieder-aufnahme der Messungen im November 2001 kames zu verschiedenen Zeitpunkten zu Sichtein-schränkungen, die auf Nebel zurückzuführen sind.Eine Übersicht gibt Tabelle 17.

Bei der Wiederaufnahme der Messungen im Winter2002/03 lag die niedrigste Sichtweite bei 227 m aufeinem der Sensoren. Die Daten dieser Erhebungergaben somit keine Nebelereignisse, die von derDichte des Nebels über die früher aufgezeichnetenhinausgehen oder ihnen entsprechen.

Am interessantesten sind die am längsten andau-ernden Ereignisse und diejenigen mit der am meis-ten eingeschränkten Sichtweite. Folglich werdenim folgenden Abschnitt die Nebelereignisse vom17.-18. Dezember 2001 und vom 6.-7. Januar 2002näher diskutiert. In den beiden folgenden Abschnit-ten werden nun zuerst die beiden Nebelzeiträumegenauer dargestellt, danach erfolgt die Analyse desFahrverhaltens im Verbund für beide Erhebungenim Vergleich.

Rahmenbedingungen der Datenanalyse

Die Datenanalyse soll zeigen, ob und inwieweit sichbei eingeschränkter Sicht der Verkehrsfluss verän-dert. Eine solche Analyse ist nur möglich, wenn zuden Zeiträumen mit eingeschränkter SichtweiteKontrollzeiträume gefunden werden, die sich inihren Rahmenbedingungen nur bezüglich derSichtverhältnisse unterscheiden.

Als passender Kontrollzeitraum werden solcheZeiträume festgehalten, bei denen die Ausprägun-gen folgender Variablen mit der Phase des Nebel-ereignisses so weit als möglich übereinstimmen:

- Zeitpunkt von Sonnenaufgang und -untergangbzw. Dauer der Helligkeit,

- gesamtes Verkehrsaufkommen am Tag und imkritischen Zeitraum,3

- Zusammensetzung des Verkehrs (VerhältnisPkw – Lkw),

- kein Stau/Unfall,

- keine Beeinträchtigungen durch andere Wetter-verhältnisse (z. B. Eisglätte).

Das Nebelereignis vom 17.-18. Dezember 2001

Das erste Nebelereignis, das im Folgenden näheruntersucht wird, geschah in der Nacht vom Mon-tag, 17., auf Dienstag, 18. Dezember 2001. DieSichtweite fiel erstmals um 20.12 Uhr des 17. De-zembers unter 300 m und blieb dort bis 0.58 Uhrdes folgenden Tages. Die Gesamtdauer betrugsomit 4 Stunden 46 Minuten.

Während des gesamten Zeitraumes des Nebeler-eignisses war es dunkel. Das Verkehrsaufkommenlag an beiden Tagen bei rund 24.000 Fahrzeugen jeTag, etwa bei 40 Prozent handelte es sich um Lkw,rund 1 Prozent konnte nicht eindeutig zugeordnetwerden. Diese Zahlen bilden damit die Eckdaten fürdie Suche nach Vergleichstagen. Zu keinem Zeit-punkt an den beiden Tagen kam es zu einem Stau.

Das Verkehrsaufkommen an den Tagen des Nebel-ereignisses liegt um über 3.000 Fahrzeuge unter

60

Tab. 17: Übersicht über registrierte Sichteinschränkungen. Markierung der ausgewerteten Nebelereignisse; eigene Erhebung

Datum Uhrzeit Dauer minimale Sichtweite

17. November 2001 4.12 bis 5.12 Uhr 60 min 186 m

7. Dezember 2001 9.21 bis 9.38 Uhr 17 min 105 m

12. Dezember 2001 8.36 bis 9.17 Uhr 41 min 150 m

17.-18. Dezember 2001 20.12 bis 0.58 Uhr 4 h 46 min 120 m

30. Dezember 2001 19.10 bis 19.27 Uhr 17 min 220 m

6.-7. Januar 2002 21.09 bis 20.50 Uhr 23 h 41 min 100 m

3 Die Punkte Verkehrsaufkommen und -zusammensetzungzeigen sich deutlich in Unterschieden zwischen den Wo-chentagen: Während Montag bis Donnerstag vergleichbarsind, bilden Freitage, Samstage und Sonntage eigene Ein-heiten. Ein verändertes Verkehrsaufkommen und eine spezi-fische Zusammensetzung sind ebenso an Feiertagen zu be-obachten.

Page 62: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

dem mittleren Tageswert unserer Messreihe(27.900). Es handelt sich somit um Tage mit ehergeringem Verkehrsaufkommen. Während des Ne-belereignisses selbst überquerten insgesamt 2.868Fahrzeuge die Induktionsschleife, was einer Ver-kehrsdichte von zehn Fahrzeugen pro Minute ent-spricht. Davon waren 1.720 (60 %) Lkw, bei 1.101(38,4 %) handelte es sich um Pkw (s. Tabelle 18).

Anhand der oben angegebenen Punkte konnten fürdieses Nebelereignis mehrere passende Vergleichs-tage gefunden werden. Mit einem davon (27. auf28. November 2001) soll nun im Folgenden nachUnterschieden im Verkehrsfluss gesucht werden.

Den Daten der Wetterstation Nörvenich ist zu ent-nehmen, dass zur kritischen Zeit in NörvenichNebel bzw. feuchter Dunst in der Luft lag, zeitwei-se starker Sprühregen und Schnee fielen. Die Wet-terdaten bestätigen somit die Angaben der Senso-ren für die Sichtweitenmessung, jedoch herrschtedurch den Regen evtl. eine weitere Einschränkungdurch das Wetter über den Nebel hinaus.

Am Nebeltag liegen die gefahrenen Geschwindig-keiten im Mittel (98,4 km/h vs. 103,4 km/h) etwasniedriger und streuen weniger stark als am Kontroll-

tag. Insbesondere fahren mehr Fahrzeuge am Kon-trolltag besonders schnell. Abstände und Zeitlückensind angesichts der geringen Verkehrsdichten sehrhoch (s. Tabellen 19 und 20). Insofern ist es nichtsinnvoll, Unterschiede zwischen Nebel und Klarsichtanhand der Mittelwerte zu interpretieren. Eine Ana-lyse der Auswirkung des Nebels auf die erhobenenVariablen für Fahrzeuge, die im Verbund mit anderenfahren, erfolgt im weiter unten diesem Kapitel.

Da die Wechselverkehrszeichenanlage währendder Hälfte der Dauer des Nebelereignisses die Ge-schwindigkeit begrenzte, kann die etwas niedrige-re mittlere Geschwindigkeit während des Nebeler-eignisses nicht eindeutig auf den Nebel zurückge-führt werden.

61

Tab. 20: Aufsplittung der Fahrzeuggruppen (Pkw, Lkw) in Geschwindigkeit (km/h), Abstand zum Vordermann (m), Zeitlücke (sec.)im Nebel und am Kontrolltag. Angabe von Mittelwert, Standardabweichung, Minimum, Maximum. n gibt die Größe derSubstichprobe an. Daten vom 17.-18.12.2001 und 27.-28.11.2001; eigene Erhebung

Geschwindigkeit Abstand zum Vordermann Zeitlücke

Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag

Pkw, n = 1.101 bei Nebel, n = 1.056 bei Kontrolle

Mittelwert 117,2 127,5 506,8 601,0 15,0 15,9

Standardabweichung 19,1 23,4 827,2 1.078,2 24,5 27,3

Minimum 68,0 56,0 7,4 2,1 0,29 0,10

Maximum 180,0 218,0 13.407,6 11.515,8 459,7 307,0

Geschwindigkeit Abstand zum Vordermann Zeitlücke

Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag

Lkw, n = 1.720 bei Nebel, n = 1.535 bei Kontrolle

Mittelwert 86,1 86,4 212,9 235,5 8,6 9,7

Standardabweichung 6,1 6,0 466,7 312,3 13,5 12,6

Minimum 66,0 66,0 4,4 4,2 0,19 0,18

Maximum 158,0 139,0 16.313,7 3.085,8 371,7 129,2

Tab. 18: Verkehrsaufkommen sowie Zusammensetzung desVerkehrs während des Nebelereignisses (17.-18.12.01) und im gleichen Zeitraum am Kontrolltag(27.-28.11.01); eigene Erhebung

Nebeltag Kontrolltag

Häufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent

Unbekannt 47 1,6 48 1,8

Lkw 1.720 60,0 1.535 58,2

Pkw 1.101 38,4 1.056 41,8

Gesamt 2.868 100,0 2.639 100,0

Tab. 19: Geschwindigkeit (km/h), Abstand zum Vordermann (m), Zeitlücke (sec.) im Nebel und am Kontrolltag. Angabe von Mittel-wert, Standardabweichung, Minimum, Maximum. Stichprobe am Nebeltag N = 2.868, Kontrolltag N = 2.639. Daten vom17.-18.12.2001 und 27.-28.11.2001; eigene Erhebung

Geschwindigkeit Abstand zum Vordermann Zeitlücke

Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag

Mittelwert 98,4 103,4 329,6 384,7 11,2 12,2

Standardabweichung 20,0 25,8 648,7 748,5 18,9 20,2

Minimum 66,0 56,0 4,4 2,1 0,19 0,10

Maximum 180,0 218,0 16.313,7 11.515,8 459,7 307,0

Page 63: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Tabelle 20 zeigt die Unterschiede in Geschwin-digkeit, Abstand und Zeitlücke getrennt nach Lkwund Pkw: Die Lkw fahren insgesamt langsamer undhaben geringere Zeitlücken zum Vordermann. Hierzeigt sich auch in der Geschwindigkeit kein be-deutsamer Unterschied zwischen den beidenNächten. Jedoch resultieren die kürzeren Abständewährend des Nebels in entsprechend kürzeren Zeit-lücken. Bei den Pkw ist eine um 10 km/h niedrigereGeschwindigkeit zu beobachten, die vor allem aufdas Fehlen der sehr hohen Geschwindigkeitenzurückgeführt werden kann. Jedoch kann hier – wiebereits angemerkt – der Einfluss von Verkehrs-zeichen und Sichtverhältnissen nicht getrennt wer-den.

Als Fazit kann aus der ersten Beschreibung diesesNebelereignisses gezogen werden, dass der Nebelkeinen Einfluss auf das Fahrverhalten der Lkw-Fah-rer hat. Dies ist angesichts von minimalen Sicht-weiten von 120 m und einer mittleren Geschwin-digkeit der Lkw von 86 km/h nicht verwunderlich.Die Pkw fahren während des Nebels deutlichlangsamer (um 10 km/h), allerdings besteht hierdas Problem des ungeklärten Einflusses der Ver-kehrszeichen. Es ist jedoch davon auszugehen,dass auch die verringerte Sichtweite sich auswirkt;eine genauere Analyse dieses Problems erfolgt imRahmen der Diskussion im Abschnitt 5.2.3.

Das Nebelereignis vom 6.-7. Januar 2002

Das längste bisher erhobene Nebelereignis zogsich vom Abend des Sonntags, 6. Januar, bis zumMontag, 7. Januar 2002. Bei der Suche nach Ver-gleichstagen muss berücksichtigt werden, dassder 6. Januar nicht nur ein Sonntag, sondern auchdas Ende der Weihnachtsferien und der Dreikö-nigstag war. Innerhalb der 23 Stunden 41 Minutendes Nebelereignisses fiel die Sichtweite laut Haupt-sensor auf minimal 120 m.

Obwohl die Sicht viele Stunden immer wieder ein-geschränkt war, war es längere Zeit auch klar. DieSichtverhältnisse während dieses Nebelereignissessind somit heterogen.

Die Sonne ging am Sonntag um 16.43 Uhr unter,die Nacht brach um 17.25 Uhr an. Tagesanbrucham Montag war um 7.50 Uhr, der Sonnenaufgangab 8.32. Am Montag ging die Sonne eine Minutespäter unter als am Vortag, die Nacht brach eben-falls eine Minute später an. Während des Nebeler-eignisses fuhren 21.552 Fahrzeuge über die Mess-

schleife, was einer Dichte von 15 Fahrzeugen proMinute entspricht. Aufgrund des geringen Ver-kehrsaufkommens an beiden Tagen (über 12.000bzw. 7.000 Ereignisse weniger als der Mittelwertdes Messzeitraums, 27.900) ist ein gut überein-stimmender Vergleichstag schwer zu finden. Ampassendsten sind die Verkehrsverhältnisse vom 1.auf den 2. Januar (Dienstag und Neujahr bzw. Mitt-woch), wobei hier jedoch der Anteil der Lkw deut-lich niedriger liegt (13,3 Prozent).

Die Messungen der Wetterstation Nörvenich gebenfür die fragliche Zeit Lufttemperaturen für den 6.Januar um 6 ° Celsius, für den 7. Januar um denGefrierpunkt an. Tagsüber schien am Sonntag dieSonne, an beiden Tag wehte kaum Wind. Es fiel sogut wie kein Niederschlag. Zusätzlich ist den Datender Wetterstation zu entnehmen, dass ab demAbend des 6. Januar Regen und Sprühregen sowieNebel und feuchter Dunst auftraten. Dies bestätigtdie Angaben der Sichtweitenmessanlage.

Die mittlere Geschwindigkeit liegt im Zeitraum desNebels um 13 km/h niedriger. Gleichzeitig sind Abstände und Zeitlücken geringer als am Kontroll-tag (im Mittel um 36 m). In diesem Zusammenhangmuss jedoch berücksichtigt werden, dass währenddes Nebelereignisses eine Beeinflussung des Verkehrs durch die Anzeige der Wechselverkehrs-zeichenanlage bzw. andere entsprechende Tafelnauf dem Streckenabschnitt vorliegt. Außerdemmüssen die Fahrzeugtypen aufgrund ihrer unter-schiedlichen Anteile in den beiden Zeiträumen ge-trennt betrachtet werden. Aufgrund des sehr häufi-gen Wechsels der Geschwindigkeitsbegrenzung –häufig im Minutentakt – ist es wiederum nicht mög-lich, den spezifischen Einfluss der Anzeige heraus-zurechnen.

Während sich auch bei diesem Nebelereignis keineAuswirkung auf das Geschwindigkeitsverhalten derLkw-Fahrer zeigt, ist zu beobachten, dass die Pkw-Fahrer ihre Geschwindigkeit im Mittel um 12 km/hverringern (Tabelle 22). Aufgrund der zeitweiseniedrigen Verkehrsdichte sind die mittleren Abstän-de und Zeitlücken jedoch sehr hoch und damitkaum interpretierbar.

Eine Trennung nach den Fahrspuren zeigt den Ein-fluss eines hohen Lkw-Anteils auf der Hauptver-kehrsspur und die dadurch dort niedrigere mittlereGeschwindigkeit. Bei Nebel wird im Vergleich zumKontrolltag die Geschwindigkeit auf beiden Spurenverringert, jeweils um rund 12 km/h. Der Effekt,dass auf der Überholspur die Geschwindigkeit beibeeinträchtigter Sicht absolut sogar stärker verrin-

62

Page 64: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

gert wird als in der Reanalyse von RICHTER undSCHLAG, trat somit hier nicht auf.

Im Hellen sind für Pkw und Lkw deutlich kürzereZeitlücken als im Dunkeln zu beobachten. DieserEffekt kann nicht auf eine generell geringereAuslastung während der Nacht zurückgeführt wer-den, wie die Angabe der Stichprobengröße in Ta-belle 23 zeigt. Jedoch liegen in der Nacht (zwi-

63

Tab. 22: Aufsplittung der Fahrzeuggruppen (Pkw, Lkw) in Geschwindigkeit (km/h), Abstand zum Vordermann (m), Zeitlücke (sec.)im Nebel und am Kontrolltag. Angabe von Mittelwert, Standardabweichung, Minimum, Maximum. n gibt die Größe derSubstichprobe an. Daten vom 6.-7.1.2002 und 1.-2.1.2002; eigene Erhebung

Geschwindigkeit Abstand zum Vordermann Zeitlücke

Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag

Pkw, n = 12.338 bei Nebel, n = 14.761 bei Kontrolle

Mittelwert 114,5 126,4 265,0 280,7 8,1 7,7

Standardabweichung 18,9 18,2 571,9 706,0 17,1 18,7

Minimum 48,0 31,0 1,9 3,4 0,12 0,11

Maximum 205,0 225,0 13.984,3 23.381,6 474,9 634,5

Geschwindigkeit Abstand zum Vordermann Zeitlücke

Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag

Lkw, n = 8.976 bei Nebel, n = 5.913 bei Kontrolle

Mittelwert 83,9 85,2 153,6 188,6 6,5 7,9

Standardabweichung 6,1 6,4 311,9 364,7 13,0 14,7

Minimum 51,0 56,0 2,8 3,8 0,12 0,13

Maximum 160,0 154,0 15.784,3 10.587,7 660,7 448,4

Tab. 21: Geschwindigkeit (km/h), Abstand zum Vordermann (m), Zeitlücke (sec.) im Nebel und am Kontrolltag. Angabe von Mittel-wert, Standardabweichung, Minimum, Maximum. Stichprobe am Nebeltag N = 21.552, Kontrolltag N = 20.886. Daten vom6.-7.1.2002 und 1.-2.1.2002; eigene Erhebung

Geschwindigkeit Abstand zum Vordermann Zeitlücke

Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag

Mittelwert 101,7 114,6 218,9 254,5 7,4 7,8

Standardabweichung 21,2 24,4 484,6 627,2 15,6 17,6

Minimum 48,0 31,0 1,9 3,0 0,12 0,11

Maximum 214,0 228,0 15.784,3 23.381,6 660,7 634,5

Tab. 23: Aufsplittung der Daten nach Tageszeit (hell, dunkel) in Geschwindigkeit (km/h), Abstand zum Vordermann (m), Zeitlücke(sec.) im Nebel und am Kontrolltag. Angabe von Mittelwert, Standardabweichung, Minimum, Maximum. n gibt die Größeder Substichprobe an. Daten vom 6.-7.1.2002 und 1.-2.1.2002; eigene Erhebung

Geschwindigkeit Abstand zum Vordermann Zeitlücke

Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag

Dunkel/Nacht, n = 11.656 bei Nebel, n = 9.843 bei Kontrolle

Mittelwert 95,5 110,2 253,2 370,4 9,1 11,5

Standardabweichung 16,8 24,5 614,2 895,2 20,0 25,1

Minimum 48,0 31,0 1,9 3,5 0,12 0,13

Maximum 192,0 225,0 15.784,3 23.881,6 660,7 634,5

Geschwindigkeit Abstand zum Vordermann Zeitlücke

Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag Nebeltag Kontrolltag

Hell/Tag, n = 9.896 bei Nebel, n = 11.543 bei Kontrolle

Mittelwert 108,9 118,2 178,6 160,6 5,6 4,8

Standardabweichung 23,5 24,5 253,1 208,6 7,1 5,5

Minimum 51,0 56,0 2,9 2,9 0,12 0,11

Maximum 214,0 228,0 3.229,6 3.003,6 84,6 75,1

Tab. 24: Verkehrsaufkommen sowie Zusammensetzung desVerkehrs (Pkw, Lkw, unbekannt) während des Nebel-ereignisses (6.-7.1.2002) und im gleichen Zeitraum amKontrolltag (1.-2.1.2002); eigene Erhebung

Nebeltag KontrolltagHäufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent

Unbekannt 238 1,1 212 1,0Lkw 8.976 41,6 5.913 28,3Pkw 12.338 57,2 14.761 70,7Gesamt 21.552 100,0 20.886 100,0

Page 65: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

schen 0-5 Uhr) Zeiten mit extrem niedrigem Ver-kehrsaufkommen vor, was trotz der höheren Aus-lastung am Morgen und am Abend zu den sehrhohen Zeitlücken während der Dunkelheit führt.

Eine genauere Analyse von Fahrzeugen im Verbundmit anderen Fahrzeugen erfolgt im nächsten Ab-satz.

Kolonnenfahrten in den Nebelereignissen vom17./18.12.2001 und vom 6./7.1.2002

In der bisherigen Ergebnisdarstellung wurdegrundsätzlich über alle Messereignisse hinweg ge-mittelt, dabei gingen auch die Zeiträume ein, indenen nur eine geringe Verkehrsdichte vorlag. InBezug auf die Sog-Hypothese bzw. die Entstehungvon Massenunfällen interessieren jedoch die Fahr-zeuge besonders, die in einem engen Verbund mitanderen Fahrzeugen fahren. Hierzu wurden zuerstalle so genannten Einzelfahrer ausgefiltert, die eineZeitlücke über drei Sekunden auf das ihnen vo-rausfahrende Fahrzeug haben.

Die Tabelle 25 zeigt, dass die Geschwindigkeit alsAnpassung an die eingeschränkte Sicht von denPkw-Fahrern mit Zeitlücken unter 3 Sekunden beibeiden Nebelereignissen verringert wird, währendbei den Lkw-Fahrern keine Veränderung eintritt.Zeitlücken und Abstände zeigen keine Anpassun-gen an die Wetterverhältnisse und liegen für diePkw im Mittel klar unter der gesetzlich vorgeschrie-benen Marke von 1,8 sec.

Im Folgenden werden nun vier Kategorien aufGrundlage der Zeitlücke unterschieden. Die Eintei-lung orientierte sich an der Reanalyse der Datenvon RICHTER und SCHLAG. Eine weitere Katego-rie wurde bei der Grenze von 1 sec. gesetzt, um sodiejenigen Fahrer in einer Gruppe zu haben, die ge-fährlich nahe aufgefahren sind. Dafür wurde aufeine weitere Unterscheidung der Einzelfahrer ver-zichtet (Tabelle 26).

Die Anteile der jeweiligen Kategorien sind an demjeweiligen Nebeltag und zugehörigen Kontrolltagsehr ähnlich. Im Nebel erfolgt bei beiden Nebel-zeiträumen eine Verkleinerung der beiden Randka-tegorien zugunsten der beiden mittleren Kategori-en. Jedoch ist diese Verschiebung nur gering. Zubeachten ist, dass bei beiden Ereignissen eine sehrgroße Gruppe von Fahrern – 19,5 % bzw. 27,3 % –die vorgeschriebene Zeitlücke von 1,8 sec. unter-schreitet. D. h., dass trotz verringerter Geschwin-digkeit bei Nebel nicht sicherer gefahren wird, wasdie Einhaltung des Mindestabstandes betrifft.

Eine Anpassung der Geschwindigkeit an die einge-schränkten Sichtverhältnisse zeigt sich in allen vierZeitlückenkategorien im gleichen Ausmaß (für dasNebelereignis vom 6.-7.1.2002 siehe Tabelle 27).Der Effekt geht in erster Linie auf die Pkw-Fahrerzurück, während die Lkw unberührt von den Wet-terverhältnissen bei Nebel und Kontrolle gleichschnell fahren. Deshalb zeigt Bild 43 nur die mittle-re Geschwindigkeit für die Pkw.

64

Tab. 25: Fahrzeuge mit Zeitlücken unter 3 sec., getrennt für Pkw und Lkw. Mittelwerte und Standardabweichung von Geschwin-digkeit (km/h), Abstand (m) und Zeitlücke (sec.) für beide Nebelereignisse mit Kontrollzeiträumen; eigene Erhebung

Geschw. (km/h) Abstand (m) Zeitlücke (sec.)

Bedingung Datum Pkw Lkw Pkw Lkw Pkw Lkw

Nebel 17.-18.12.01Mittelwert 112,3 85,4 45,3 39,6 1,42 1,67

St.-Abw. 19,8 5,1 25,3 17,1 0,72 0,71

Kontrolle 27.-28.11.02Mittelwert 119,8 86,2 45,5 39,8 1,33 1,66

St.-Abw. 22,8 5,8 28,9 17,8 0,76 0,73

Nebel 6.-7.1.02Mittelwert 111,4 83,1 46,7 40,8 1,50 1,77

St.-Abw. 17,9 5,8 23,6 1,8 0,70 0,67

Kontrolle 1.-2.1.02Mittelwert 124,1 84,2 50,3 42,0 1,46 1,79

St.-Abw. 17,4 6,4 26,4 16,3 0,72 0,67

Tab. 26: Einteilung der Fahrzeuge in Kategorien anhand der Zeitlücken. Prozentuale Anteile der Kategorien; eigene Erhebung

Kategorien

Bedingung Datum < 1 sec. 1,0-1,8 sec. 1,8-3,0 sec. > 3 se.c gesamt

Nebel 17.-18.12.01 8,3 % 11,2 % 12,3 % 68,8 % 100 %

Kontrolle 27.-28.11.02 9,4 % 9,4 % 11,1 % 70,0 % 100 %

Nebel 6.-7.1.02 10,3 % 17,0 % 17,8 % 54,9 % 100 %

Kontrolle 1.-2.1.02 12,4 % 15,4 % 15,5 % 56,7 % 100 %

Page 66: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Eine Analyse der Kolonnen (Fahrzeugverbünde vonmindestens fünf Fahrzeugen) erbrachte anhand dervorliegenden Daten keine Unterschiede zwischenNebel und Klarsicht. Zu beiden Nebelereignissenfahren gleich viele Fahrer (prozentual und absolut)in Kolonnen wie in den jeweiligen Kontrollbedin-gungen. Auch haben die Kolonnen jeweils die glei-che Länge (im Mittel und als Verteilung). Auch eine

Aufteilung nach Pkw und Lkw erbringt keine Unter-schiede zwischen Nebel und Klarsicht.

Zu allen Beobachtungszeiträumen zeigt sich, dassbei eingeschränkter Sicht die Geschwindigkeit re-duziert wird. Während des kürzeren Nebelereignis-ses aus 2001 liegen die Geschwindigkeiten niedri-ger als in dem Nebelereignis aus 2002, dieser Ef-fekt gilt auch für die jeweils zugehörigen Kontroll-zeiträume. Die Ursache ist darin zu suchen, dassdas Nebelereignis von 2001 sich während desAbends in vollständiger Dunkelheit abspielte,während der die Geschwindigkeiten generell nied-riger sind. So fahren auch die Fahrzeuge währenddes langen Nebelereignisses in der Dunkelheitlangsamer als tagsüber.

Unter allen Bedingungen fahren die so genanntenEinzelfahrer (Zeitlücke > 3 sec.) am schnellsten,was sich mit dem Ergebnis der Reanalyse deckt.Bei dem Nebelereignis aus 2002 fällt das Ausmaßder Geschwindigkeitsreduktion über alle Kategori-en gleich stark aus. Bei dem Nebelereignis vom17.-18.12.2001 wird die Geschwindigkeit umsowe-niger stark reduziert, je näher das vorausfahrendeFahrzeug ist.

Trotz reduzierter Geschwindigkeit auch in derGruppe, die im Nebel mit einer Zeitlücke von < 1 sec. fährt, kann hier nicht von angepasstemFahrverhalten gesprochen werden, da eine mittlereGeschwindigkeit von 110 km/h und mittlere Ab-stände von 22 m vorliegen.

5.2.3 Diskussion

Es ist mit dieser Studie gelungen, einen sehr um-fangreichen und auch hochwertigen Datensatz zu

65

Tab. 27: Fahrzeuge gruppiert getrennt nach Größe der Zeitlücke. Lkw. Mittelwerte und Standardabweichung von Geschwindigkeit(km/h), Abstand (m) und Zeitlücke (sec.) Nebelereignis vom 6.-7.1.2002; eigene Erhebung

Nebel Kontrolle

Pkw Mittelwert Standardabweichung Mittelwert Standardabweichung

> 3 sec. Geschwindigkeit 117,1 19,4 128,3 18,7

Abstand 445,6 724,6 474,7 913,9

Zeitlücke 13,6 21,7 13,0 24,2

zw 3 und 1,8 sec. Geschwindigkeit 112,6 18,1 125,1 17,6

Abstand 73,1 16,2 82,2 16,7

Zeitlücke 2,3 0,3 2,4 0,3

zw 1,8 und 1 sec. Geschwindigkeit 110,8 17,8 124,0 17,2

Abstand 42,2 9,9 46,9 10,1

Zeitlücke 1,4 0,2 1,4 0,2

< 1 sec. Geschwindigkeit 110,6 17,6 123,1 17,4

Abstand 22,1 6,7 23,9 7,2

Zeitlücke 0,7 0,2 0,7 0,2

Bild 43: Mittelwert und Standardabweichung der Geschwindig-keit in den Kategorien nach Zeitlücken während desNebelereignisses und am Kontrolltag für Pkw; eigeneErhebung

Page 67: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

sammeln, der den Ansprüchen an eine solche Er-hebung gerecht wird, soweit dies die Aufzeichnungder Verkehrsdaten selbst angeht. Leider sind dieAuswertungen dennoch weniger aufschlussreich,als es zu erwarten war.

Dies liegt in erster Linie daran, dass nur sehr weni-ge Nebelereignisse aufgezeichnet werden konnten.Zudem sind die Sichtweiten dabei nicht so niedrig,wie dies wünschenswert gewesen wäre. Auch tra-ten die einzigen länger dauernden Nebelereignissein Zeiträumen mit nur geringer Verkehrsbelastungauf bzw. in der besonderen Verkehrssituation nachden Weihnachtsferien.

Ein weiteres Problem stellt die zeitweise Konfun-dierung des Auftretens von Nebel gleichzeitig mitder Geschwindigkeitsbegrenzung durch das Ver-kehrswechselzeichen dar. Die Ursache für die Re-duktion der Geschwindigkeit kann somit nicht ein-deutig geklärt werden bzw. umgekehrt nicht ein-deutig auf das Verhalten von Fahrern im Nebel ge-schlossen werden, die keiner Geschwindigkeitsbe-grenzung unterliegen.

Als Argument für eine Generalisierbarkeit spricht dieÜbereinstimmung der Richtung der Ergebnisse mitder Reanalyse. Andererseits haben sich Strecken-beeinflussungsanlagen erfahrungsgemäß bewährt,um die Zahl von Unfällen insbesondere bei widrigenWitterungsverhältnissen zu reduzieren. In einer Be-fragung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates(DVR) aus dem Jahr 2000 geben drei Viertel der be-fragten Autofahrer an, sich immer oder meistens andie Geschwindigkeitshinweise solcher Anlagen zuhalten. Um den Einfluss in der vorliegenden Stich-probe genauer zu bestimmen, wurde eine Substich-probe aus den Pkw gebildet, bei denen die Stre-ckenbeeinflussungsanlage eine Geschwindigkeits-begrenzung von 80 km/h anzeigte. Anschließendwurde diese Gruppe in die Sichtweitenkategorienüber 600 m und unter 300 m geteilt (annähernd klareSicht und eingeschränkte Sicht). Eine Varianzanaly-se mit der Geschwindigkeit als abhängiger Variablezeigt, dass diejenigen Pkw-Fahrer mit einge-schränkter Sicht hochsignifikant langsamer fahrenals diejenigen mit freier Sicht (104,7 km/h vs. 108,6km/h). Diese Berechnung kann nicht als Beleg dafürverwandt werden, dass die Streckenbeeinflus-sungsanlage keinen Einfluss auf den Verkehr hat, je-doch als Hinweis darauf, dass auch dem Nebel ein-deutig eine Bedeutung im Rahmen der gezeigten Ef-fekte zukommt.

Zusammenfassend zeigt die Erhebung, dass eswährend der Nebelereignisse im Vergleich zu ent-

sprechenden Kontrollzeiträumen zu einer Verringe-rung der Geschwindigkeit kommt. Die veränderteGeschwindigkeit zeigt sich nur bei den Pkw, wasangesichts von minimalen Sichtweiten von 100 mund einer Durchschnittsgeschwindigkeit der Lkwvon etwa 85 km/h auch zu erwarten ist.

Die im Mittel über alle Fahrzeuge berechneten ge-ringeren Abstände sind im Rahmen der betrachte-ten Daten ein Resultat der verringerten Geschwin-digkeiten. Pkw-Fahrer, die im Verbund fahren, pas-sen jedoch bei eingeschränkter Sicht nicht in derForm Abstand und Geschwindigkeit an, wie es zurVermeidung von Unfällen wünschenswert wäre.Das zeigt die Auswertung in Kategorien der Zeit-lücke.

Die Ergebnisse unserer Erhebung decken sich ins-gesamt mit den Ergebnissen der Reanalyse. In bei-den Studien zeigte sich eine Verringerung der Ge-schwindigkeit bei Nebel, jedoch keine insgesamtsicherere Fahrweise, wenn Zeitlücken und Abstän-de ebenfalls einbezogen werden. Deckungsgleichmit der Reanalyse und den Modelluntersuchungensind die Ergebnisse in Bezug darauf, dass es dieEinzelfahrer sind, die schneller fahren, und nicht dieFahrer im Verbund.

6 Verkehrssimulation der gewon-nenen Daten in PELOPSVon: Henning Wallentowitz, Dirk Neunzig,Ahmed Benmimoun, Institut für Kraftfahrwesender RWTH Aachen

6.1 Einleitung und Aufgabenstellung

Mittels der Untersuchungen im Fahrsimulator lässtsich das Fahrerverhalten bei veränderter Sichtwei-te in seinen wesentlichen Aspekten, die sich vondenen bei klarer Sicht unterscheiden, beschreiben.Die Effekte dieses geänderten Fahrerverhaltens aufdie Gesamtverkehrssituation, insbesondere hin-sichtlich der Verkehrssicherheit, lassen sich jedochmit diesen Untersuchungen nur begrenzt feststel-len. Eine Möglichkeit, diese Aspekte zu berück-sichtigen, bietet die Verkehrsflusssimulation. ImRahmen dieses Projektes wurden daher Verände-rungen des Fahrerverhaltens im Verkehrsflusssimu-lationsprogramm PELOPS abgebildet und anhandvon Messdaten verifiziert. Mit diesem modifiziertenFahrerverhalten werden relevante Nebelszenariensimuliert und hinsichtlich der Kriterien Verkehrssi-cherheit und Effizienz ausgewertet.

66

Page 68: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Die Erweiterungen und Anpassungen des PE-LOPS-Fahrermodells basieren auf den Ergebnissender in Kapitel 4 beschriebenen Fahrsimulatorunter-suchungen. Hierbei werden das Annäherungsver-halten an vorausfahrende Fahrzeuge und die ge-fahrenen Wunschgeschwindigkeiten entsprechenddem gemessenen und beobachteten Verhalten beiNebel angepasst. Durch diese Modifizierung sollauch der so genannte Sogeffekt modelliert werden.Hierzu wird die Sichtweite entsprechend variiert.Auswertungskriterien für die Simulation sind Ver-kehrssicherheit und Verkehrseffizienz. Im Detail be-deutet dies beispielsweise die Auswertung derHäufigkeit von kleinen TTC (Time to Collision), derHäufigkeit von hohen Verzögerungen, von Unfällen,des Durchsatzes und der mittleren Durchschnitts-geschwindigkeiten.

6.2 Modell des Fahrerverhaltens imNebel

Zur Bewertung der verkehrlichen Wirkung des ana-lysierten Fahrerverhaltens im Nebel wird das Ver-kehrssimulationsprogramm PELOPS genutzt. Hier-für muss zunächst das Fahrermodell um die ge-wonnenen Erkenntnisse aus den Fahrsimulatorun-

tersuchungen erweitert werden. Im Folgenden wer-den PELOPS und seine Funktionen erläutert unddas an verkürzte Sichtweite angepasste Fahrermo-dell beschrieben. Die Vorgehensweise bei der Aus-wahl für die Untersuchung geeigneter Szenarien,deren Simulation und Auswertung wird anschlie-ßend detailliert vorgestellt.

6.2.1 Das Verkehrssimulationsprogramm PELOPS

Im Rahmen der Studie steht das mikroskopischeVerkehrsflusssimulationsprogramm PELOPS (Pro-gramm zur Entwicklung längsdynamischer, mikros-kopischer Prozesse in systemrelevanter Umge-bung) zur Verfügung, welches am Institut für Kraft-fahrwesen der RWTH Aachen (ika) in Zusammen-arbeit mit der BMW AG entwickelt worden ist (DIEKAMP, 1995; LUDMANN, 1998).

Das Konzept von PELOPS besteht in der Verknüp-fung detaillierter submikroskopischer Fahrzeug-mit mikroskopischen verkehrstechnischen Model-len, die sowohl eine Untersuchung des längsdyna-mischen Fahrzeugverhaltens wie auch eine Analy-se des Verkehrsablaufs ermöglichen (Bild 44). DerVorteil dieser Methode liegt darin, alle Wechselwir-

67

Bild 44: PELOPS-Struktur

Page 69: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

kungen zwischen Fahrer, Fahrzeug und Verkehrberücksichtigen zu können. Im Aufbau orientiertsich PELOPS an den wesentlichen Elementen desVerkehrssystems – Strecke/Umwelt, Fahrer undFahrzeug. In einer modularen Programmstrukturwerden die genannten Elemente modelliert unddurch Schnittstellen abgegrenzt.

Das Umweltmodell erlaubt bei Bedarf eine detail-lierte Beschreibung der Einflüsse einer stationärenVerkehrsumgebung. Sowohl der Verlauf der Straßein horizontaler und vertikaler Richtung über Radienund Übergänge wie auch die Anzahl und die Breiteder Spuren werden angegeben. Zusätzlich zu die-sen geometrischen Daten können Verkehrszeichensowie Umweltbedingungen über Parameter wieNässe, Glätte etc. vorgegeben werden. Die aktuel-len Verkehrsbedingungen für ein Fahrzeug ergebensich dann aus der Anzahl der umgebenden Fahr-zeuge sowie deren Abständen und Geschwindig-keiten. Um bestimmte Verhaltensweisen im Verkehrzu provozieren oder vorgegebene Fahrzyklen nach-zufahren, können einzelnen Fahrer-Fahrzeug-Ein-heiten wahlweise auch bestimmte Geschwindig-keitsprofile vorgeben werden.

Das Fahrzeugmodell basiert auf dem ‘Ursache-Wirkungs-Prinzip’, bei dem eine Berechnung derAntriebskraft ausgehend vom Motorbetriebspunktüber Kupplung, Getriebe und Differential zu denRädern erfolgt, wo die Antriebskraft dann mit denFahrwiderständen bilanziert wird. Der Betriebs-punkt wird über die Änderung des Motormomentes(Ursache) gewechselt. Aus der dadurch verursach-ten Beschleunigung und Geschwindigkeitsände-rung resultiert unter Berücksichtigung der Elemen-te des Antriebsstranges die Motordrehzahl (Wir-kung). Als Getriebearten sind das konventionelleHandschalt- sowie Automatikgetriebe implemen-tiert. Weiterhin lässt dieses detaillierte Bild desFahrzeugs die Simulation von Fahrerassistenzsys-temen wie etwa des ACC (Adaptive Cruise Control;intelligenter Tempomat) zu.

Die Verbindung zwischen der Fahrzeug- und derVerkehrssimulation stellt das Fahrermodell dar. Esist in ein Verhaltens- und ein Handlungsmodell ge-gliedert. Im Verhaltensmodell werden die Parame-ter der lokalen Fahrstrategie aus dem aktuellenFahrzustand und der Fahrzeugumgebung be-stimmt. Die Parameter der lokalen Fahrstrategiesind eine vom Fahrer gewünschte Beschleunigung,die Fahrspur und ggf. der einzulegende Fahrgang.Im Handlungsmodell schließlich werden diese Pa-

rameter in fahrzeugseitige Stellgrößen wie Gaspe-dal, Bremse etc. umgesetzt.

Zur Ermittlung des Fahrerverhaltens arbeitet PELOPS mit einem psycho-physischen Folgemo-dell, das auf den Arbeiten von WIEDEMANN (1974)beruht. Für die Anwendung in PELOPS wurde die-ses Modell angepasst und bedeutend weiterent-wickelt (EHMANNS, 2000; LUDMANN, 1998;NEUNZIG, 1996; WEILKES, 2000). Da das ur-sprüngliche Folgemodell nur die Reaktion auf Fahr-zeuge berücksichtigt, die auf derselben Spur fah-ren, wurde zusätzlich ein taktisches Verhaltensmo-dell entwickelt, das ein realistisches Fahrerverhal-ten in Bezug auf den Streckenverlauf und beimehrspurigen Strecken abbildet. Dieses taktischeVerhalten beinhaltet beispielsweise die Reaktionauf langsame Fahrzeuge auf den Nachbarspuren,auf die verschiedenen Schilder und Knotenpunkt-formen und ein situationsabhängiges Spurwech-selmodell, das auf der Betrachtung der Zufrieden-heit eines Fahrers auf den einzelnen Spuren beruht.Fahrerabhängige Einflussgrößen für das Verhal-tensmodell sind beispielsweise das Sicherheitsbe-dürfnis oder das Schätzvermögen von Abständenund Geschwindigkeiten (Bild 45). Durch diese Pa-rameter ist es bereits möglich, verschiedene Fah-rercharaktere (z. B. „sportlicher Fahrer“) abzubil-den. Das „Sicherheitsbedürfnis“ ist der wichtigsteParameter des Fahrermodells: Es beeinflusst alleabstandsabhängigen Verhaltensweisen. Ein hohes

68

Bild 45: Verhaltensmodell von PELOPS

Page 70: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Sicherheitsbedürfnis bedeutet einen größeren Fol-geabstand. Die Größe der Lücke auf der Nachbar-spur, welche für einen Überhol- oder Spurwechsel-vorgang erforderlich ist, steigt ebenfalls mit höhe-rem Sicherheitsbedürfnis. Zusätzlich wird die Ge-schwindigkeitswahl beeinflusst. Die ParameterSchätzungsvermögen, Gaspedalsensibilität undTagesschwankungen dienen als Modelleingangs-größen zur Beschreibung von Unzulänglichkeitendes Fahrers bei der Einschätzung von Abständenbzw. Differenzgeschwindigkeiten und bei der Be-dienung der Fahrzeugstellgrößen Gaspedal, Brem-se und Lenkung. Reaktionszeiten werden für dievier Kategorien Normalfahrt, Reaktion auf potenzi-ell gefährliche Bremsmanöver, Spurwechsel undAnfahren des Vorausfahrenden unterschieden. Zu-sätzlich verarbeitet das Fahrermodell individuelleBefolgungsgrade für Überholverbote (z. B. für dasRechtsüberholen) und Geschwindigkeitsbeschrän-kungen (um wie viel km/h wird diese maximal über-schritten?).

Ein sportlicher Fahrer kann in der Simulation mitPELOPS beispielsweise durch ein niedriges Si-cherheitsbedürfnis, gutes Schätzvermögen undhohe Gaspedalsensibilität bei niedrigen Tages-schwankungen beschrieben werden. Ein niedrigesSicherheitsbedürfnis bedeutet bei einem sportli-chen Fahrer, dass grundsätzlich niedrigere Abstän-de gefahren werden und Lücken, die der Fahrer fürseinen Spurwechsel nutzt, erheblich kleiner sindals bei einem durchschnittlichen Fahrer. Gleichzei-tig ist der so parametrisierte sportliche Fahrer be-reit, kleine Abstände und Lücken, die ihm durchden umgebenden Verkehr aufgeprägt werden, zuakzeptieren. Gutes Schätzvermögen und hoheGaspedalsensibilität bedeuten in diesem Zusam-menhang eine gute Kontrollierbarkeit der eigenenAktionen. Diese beiden Parameter haben aber nureinen geringen Einfluss auf das modellierte Fahr-verhalten und sind im Vergleich zum Sicherheitsbe-dürfnis nur wenig bedeutsam. Weiterhin wird dersportliche Fahrer durch eine entsprechende Para-metrisierung der Größen „Reaktionszeit“ und „Be-folgungsrate“ beschrieben. Seine Reaktionszeitensind möglicherweise niedrig, ebenso seine Befol-gungsrate für Geschwindigkeitsbeschränkungen(d. h., er fährt sehr viel schneller als erlaubt). Ana-log zu diesem Beispiel können andere „Fahrerty-pen“ (sicherheitsbetont, sparsam etc.) durch einegeeignete Wahl der Fahrerparameter „eingestellt“werden. Insgesamt steht für die Simulation ein va-lidierter Satz von mehreren hundert Standardfah-

rertypen in statistischer Verteilung zur Verfügung(WEILKES, 2000).

Insgesamt verfügt das PELOPS-Fahrermodell überdie folgenden Parameter zur Anpassung des Fahr-verhaltens:

· Wunschgeschwindigkeit,

· Sicherheitsbedürfnis,

· Schätzvermögen,

· Gaspedalsensibilität,

· Tagesschwankung,

· Überholverbotsbefolgung,

· Tempolimitbefolgung,

· geschätzte maximal realisierbare Verzögerung,

· maximale Ausnutzung der Fahrzeugbeschleuni-gung,

· Präferenzspur,

· normale Reaktionszeit,

· Bremsreaktionszeit,

· Spurwechselreaktionszeit,

· Anfahrreaktionszeit.

Für eine detaillierte Beschreibung dieser Parameterund deren Eingang in die Berechnungsvorschriftendes Fahrermodells sei hier auf die Quellen EH-MANNS (2000), LUDMANN (1998) und NEUNZIG(1996) verwiesen.

Das Fahrermodell verfügt über die folgenden we-sentlichen Ausgangsgrößen:

· die aktuelle Wunschbeschleunigung bzw. -ver-zögerung,

· die aktuelle Wunschgeschwindigkeit als ein andie aktuellen Umgebungsbedingungen ange-passter, gegenüber der maximalen Wunschge-schwindigkeit des betreffenden Fahrers redu-zierter Wert,

· die momentane, durch die Fahrerfähigkeitenbestimmte Sichtweite und die für die aktuelleSituation geltenden Parameter des Fahrermo-dells wie etwa Folgeabstände oder Wahrneh-mungsschwellen,

· gewünschte Blinker-, Licht- und Hupsignal-Betätigungen.

69

Page 71: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Die grundsätzliche Funktionsweise des PELOPS-Fahrermodells bei der Ermittlung dieser Ausgangs-größen wird im Folgenden am Beispiel des Spur-wechsels verdeutlicht. Dabei ist zunächst dergrundlegende Ablauf des Spurwechsels von derWunschbildung hin zur Durchführung näher zu be-trachten. Typische Verhaltensmuster sind, analogzum hier vorliegenden Projekt, anhand von Fahrer-untersuchungen identifiziert worden. Der Spur-wechselvorgang lässt sich in drei Phasen untertei-len. Zunächst wird ein Spurwechselwunsch abhän-gig von der Zufriedenheit auf der Fahrspur gebil-det. Anschließend wird die Durchführbarkeit über-prüft. Schließlich beginnt bei positivem Ergebnisder Spurwechsel. Bild 46 fasst diese Phasen zu-sammen.

Einem Spurwechsel kann eine Vielzahl von Beweg-gründen zugrunde liegen. Das Verfolgen einer be-stimmten Route und das Überholen sind zweiwichtige Motivationen. Aber auch taktische Erwä-gungen führen zu einem Spurwechsel. Nähert sichein schnelleres Fahrzeug von hinten, so kann diesunter Umständen einen Spurwechsel auf die rech-te Spur motivieren. Um die Art und Zahl der ab-bildbaren Spurwechselmotivationen flexibel zu hal-ten, wurde eine Struktur für das Spurwechsel-modell gewählt, bei der alle Beweggründe in einenFaktor münden. Ferner sollen verschiedene Fahrer-typen auch im Spurwechselverhalten abgebildetwerden können. Der Faktor, der die Spurwechsel-motivationen zusammenfasst, lässt sich als Zufrie-denheit interpretieren. In jedem Zeitschritt wirddiese Zufriedenheit für jeden Fahrer bestimmt. Ein-flussgrößen sind die fahrerindividuelle Wunschge-schwindigkeit im Vergleich zur aktuellen eigenenGeschwindigkeit und der Geschwindigkeit auf denNachbarspuren. Das zu Beginn beschriebeneschnellere Fahrzeug, das sich von hinten nähert,reduziert die Zufriedenheit auf der eigenen Spurund erhöht die Zufriedenheit auf der rechten Spur.Die Summierung der einzelnen Zufriedenheitenmündet in einen Wert, der die Gesamtsituation be-schreibt. Die Zufriedenheit ist fahrerabhängig, dadie Wunschgeschwindigkeit eine fahrerabhängigeGröße ist.

Die Zufriedenheitswerte werden über der Zeit auf-summiert und mit einem „Vergessensfaktor“ ge-wichtet, was einen hypothetischen Vergessenspro-zess simuliert, der in ähnlicher Weise beim Fahrerangenommen werden kann. Je länger die Fahrsi-tuation zurückliegt, desto kleiner ist der Einfluss aufdas aktuelle Verhalten. Die Zufriedenheitswerte für

die aktuelle Spur und die beiden Nachbarspurenwerden miteinander verglichen. Dabei werden va-riable Schaltstufen bei Zustandsänderungen zurVermeidung von ständigem Hin- und Herschaltenberücksichtigt, um instabiles Spurwechselverhal-ten zu verhindern. Instabiles Spurwechselverhaltenzeigt sich z. B., wenn die Verkehrssituation aufallen Spuren annähernd identisch ist. Eine margi-nale Änderung auf der Nachbarspur würde zueinem Spurwechsel führen. Wird eine Hystereseeingeführt, so muss die Situation auf der Nachbar-spur um den Wert der Hysterese besser sein, umbeim Fahrer einen Spurwechselwunsch auszulö-sen. Ist die Situation über einen längeren Zeitraumgeringfügig besser, so führt das Aufsummieren derZufriedenheiten dazu, dass die Hystereseschwellenach einer gewissen Zeit überschritten wird undder Fahrer die Spur wechseln will.

Zur Umsetzung des Spurwechselwunsches wurdeein mehrstufiges Beschleunigungsverhalten mitdem Zielen auf eine Lücke realisiert. Es wird alsozusätzlich zu der Querführung die Längsdynamikbetrachtet. Dabei ist bereits eine Beschleunigungs-phase vor dem Ausscheren dem Spurwechselvor-gang zuzuordnen, wenn sie zum Erreichen einergeeigneten Lücke bzw. zur Geschwindigkeitsan-passung an die relevanten Fahrzeuge auf der Ziel-spur dient. Insgesamt wird also die herkömmlicheBetrachtung des reinen Spurwechselvorgangs umdas taktische Fahrerverhalten, beschrieben durchden Beschleunigungsverlauf, ergänzt (EHMANNS,2000).

6.2.2 Nebelmodell

Das oben beschriebene Fahrermodell weist für alleSichtweiten das gleiche Fahrverhalten auf. Da inder Realität jedoch bei verkürzter Sichtweite ein

70

Bild 46: Struktur des Spurwechsels

Page 72: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

anderes Fahrerverhalten zu beobachten ist, wirddas Fahrermodell um dieses Verhalten erweitert.Grundlage für das angepasste Modell sind hierbeidie vorliegenden Untersuchungen aus dem Fahrsi-mulator. Im Folgenden werden die einzelnen Mo-dellerweiterungen und -anpassungen detailliert be-schrieben.

Sichtweite

Für die Anpassung der Sichtweite sind keine Ände-rungen in PELOPS nötig, da dies bereits imple-mentiert ist. Für jedes Szenario wird in PELOPSeine Sichtweite definiert, innerhalb derer die Fahrerihre Umwelt wahrnehmen können. Alle Einflussfak-toren außerhalb der Sichtweite, wie beispielsweiseFahrzeuge, Beschilderung, Streckenverlauf etc.,werden für die Berechnung des Fahrerverhaltensnicht berücksichtigt. Die maximale Sichtweite be-trägt in PELOPS 5.000 m für klare Sicht. Diesestellt jedoch nur eine theoretisch mögliche Sicht-weite dar. Für jeden Fahrer wird abhängig von sei-ner aktuellen Fahrsituation eine tatsächliche Sicht-weite berechnet, die in der Größenordnung von200 bis 400 m liegt. Auf Objekte, die außerhalb die-ses Bereiches liegen, wird in der Regel nicht rea-giert.

Wunschgeschwindigkeit

Die erste Modelluntersuchung im Fahrsimulator hatergeben, das die Wunschgeschwindigkeit, die beiNebel gefahren wird, sich von der bei klarer Sichtunterscheidet. Bei verkürzter Sichtweite wird in derRegel langsamer gefahren als bei klarer Sicht,wobei die Höhe der Geschwindigkeitsreduktionvon individuellen Fahrereigenschaften abhängig ist.Für die Umsetzung dieses Verhaltens in PELOPSwird ein Faktor definiert, der die im Nebel gefahre-ne Geschwindigkeit im Vergleich zur Geschwindig-keit bei klarer Sicht beschreibt. Bild 47 zeigt dieMittelwerte dieser Faktoren über alle Probandender Fahrsimulatoruntersuchung bei freier Fahrtohne jegliche umgebenden Fahrzeuge für dieSichtweiten von 50 m, 80 m und 5.000 m (klareSicht in PELOPS). In PELOPS wird eine Regressi-onskurve implementiert, die diese Werte enthält,damit auch mit anderen Sichtweiten als die unter-suchten Werte simuliert werden kann.

Um die individuellen Eigenschaften der einzelnenFahrer zu berücksichtigen, wird bei der Berech-nung der Wunschgeschwindigkeit im Nebel nicht

nur die Sichtweite, sondern auch der PELOPS-Pa-rameter Sicherheitsbedürfnis berücksichtigt, so-dass die in den Untersuchungen festgestellte Stan-dardabweichung auch in der Simulation realisiertwird. In Bild 48 sind die Wunschgeschwindigkeitenfür unterschiedliche Probanden angegeben (durch-gezogene Linien, exemplarisch für 13 Probanden,um die unterschiedlichen Charakteristiken abzubil-den). Diese Darstellung zeigt, dass die Art undWeise, wie die Geschwindigkeit im Nebel reduziertwird, sehr stark vom Fahrertyp abhängen. Währendeinige Fahrer ihre Geschwindigkeit beim Übergangvon klarer Sicht auf 80 m Sichtweite nur wenig,dafür aber beim Übergang von 80 m auf 50 mSichtweite stark reduzieren, verhält es sich bei an-deren genau umgekehrt. Ein Teil der Fahrer redu-ziert seine Geschwindigkeit mit abnehmenderSichtweite gleichmäßig. Mit Hilfe des ParametersSicherheitsbedürfnis wird auch in der Simulationdieses unterschiedliche Verhalten abgebildet, wiedie gestrichelten Linien für sechs exemplarischausgewählte Simulationen zeigen.

71

Bild 47: Verhältnis der Wunschgeschwindigkeiten bei Nebelund klarer Sicht

Bild 48: Vergleich der individuellen Wunschgeschwindigkeitenbei unterschiedlicher Sichtweite im Fahrsimulator undin der Verkehrssimulation

Page 73: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Sogeffekt

Die Modelluntersuchungen zwei und drei (sieheKapitel 4) haben gezeigt, dass einige Fahrer imFalle eines beschleunigenden Vorderfahrzeugesdiesem folgen, auch wenn es schneller fährt alsihre eigene Wunschgeschwindigkeit. Der Fahrer er-höht so lange seine Geschwindigkeit und folgt demVorderfahrzeug, bis ein bestimmter Schwellwert er-reicht ist. Dieser Schwellwert ist abhängig von denindividuellen Fahrereigenschaften, der Sichtweiteund der Beschleunigung des Vordermanns. Ist die-ser Schwellwert erreicht, bremst der Fahrer wiederauf seine sichtangepasste Wunschgeschwindig-keit.

Bild 49 zeigt den Mittelwert des prozentualen An-teils der Wunschgeschwindigkeit für die jeweiligeSichtweite, ab der der Sogeffekt abgebrochenwird. Es sind wiederum Regressionskurven darge-stellt, damit auch andere Sichtweiten abgedecktwerden können. Vergleicht man diese Mittelwertefür die beiden untersuchten Beschleunigungen desVorderfahrzeuges (0,1 m/s2 und 0,3 m/s2), zeigtsich, dass sich diese für alle Sichtweiten lediglichum einen konstanten Faktor unterscheiden, deretwa 0,982 beträgt. D. h., je höher die Beschleuni-gung des Vordermanns, desto niedriger ist die Sog-abbruchsgeschwindigkeit des folgenden Fahrers.

In den Untersuchungen wurden nur zwei verschie-dene Beschleunigungen des Vordermanns (0,1m/s2 und 0,3 m/s2) betrachtet. Da aber die Be-scheunigung des Vorderfahrzeuges in der Ver-kehrssimulation nahezu beliebige Werte annehmenkann, muss eine Funktion für den gesamten Be-schleunigungsbereich eines Fahrzeuges definiertwerden. Zu diesem Zweck wird ein Skalierungsfak-tor genutzt (siehe Tabelle 28), der sich auf die Ab-bruchsgeschwindigkeit bei 0,1 m/s2 bezieht (Ska-lierungsfaktor bei 0,1 m/s2 ist 1). Dieser Skalie-rungsfaktor wird mit dem Mittelwert der Abbruchs-geschwindigkeit multipliziert, um die der Beschleu-nigung des Vorderfahrzeuges entsprechende Sog-abbruchsgeschwindigkeit zu erhalten.

Die Abbruchsgeschwindigkeit beträgt beispiels-weise bei 0,1 m/s2 Beschleunigung des Vorder-fahrzeuges bei klarer Sicht im Mittel 108,74 % derWunschgeschwindigkeit. Um die Abbruchsge-schwindigkeit bei 0,3 m/s2 zu erhalten, multipliziertman den entsprechenden Skalierungsfaktor(0,9823) mit der Abbruchsgeschwindigkeit bei 0,1m/s2 und erhält 106,78 % der Wunschgeschwin-digkeit als Sogabbruchsgeschwindigkeit bei 0,3

m/s2 Beschleunigung des Vorderfahrzeuges. Dierestlichen Werte der Skalierungsfaktoren sind sinn-voll extrapoliert. Damit in der Simulation alle Be-schleunigungsbereiche sinnvoll abgedeckt sind,wird ein Punkt mit der Beschleunigung von 10 m/s2

im Kennfeld abgelegt, so dass zwischen 2,87 m/s2

und 10 m/s2 interpoliert werden kann.

Die Sogabbruchsgeschwindigkeit ist zusätzlichvom PELOPS-Parameter „Tagesform“ abhängig.Damit lassen sich die Standardabweichungen derAbbruchsgeschwindigkeiten abbilden.

Befindet sich ein Vorderfahrzeug im Sichtbereichdes Fahrers und fährt dieses schneller, versuchtnun der Fahrer in PELOPS, den Anschluss an die-ses Fahrzeug zu halten, und fährt eventuell schnel-ler, als seine Wunschgeschwindigkeit es erlaubt. Erfährt erst dann wieder seine niedrigere Wunschge-schwindigkeit, wenn das Vorderfahrzeug außerSicht ist bzw. er die Sogabbruchsgeschwindigkeitüberschreitet. Da aber nicht alle Fahrer dieses Sog-verhalten in jeder Situation aufweisen, wird zu Be-

72

Bild 49: Prozentualer Anteil der Wunschgeschwindigkeit, beider der Sogeffekt abgebrochen wird

Tab. 28: Abhängigkeit des Skalierungsfaktors von der Be-schleunigung des Vorderfahrzeuges; Simulationsstu-dien

Beschleunigung des SkalierungsfaktorVorderfahrzeugs

0 1,015

0,1 1,000

0,2 0,990

0,3 0,982

0,4 0,975

0,5 0,968

0,6 0,960

0,7 0,955

1,33 0,944

2,87 0,936

10 0,920

Page 74: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

ginn der Simulation jedem Fahrer eine Eigenschaftzugeordnet, die angibt, ob dieser hier Sogverhaltenzeigt oder nicht. Auf diese Weise wird ein statischerAnteil an Fahrern definiert, die das Sogverhaltenaufweisen. Diese Populationsanteile basieren aufder Modelluntersuchung 3 (Abschnitt 4.4) und sindin Tabelle 29 dargestellt.

Bei einer Folgefahrt weisen die gefahrenen Ge-schwindigkeitsverläufe der Probanden ein Schwin-gungsverhalten auf, dessen Frequenz und Amplitu-de sichtweitenabhängig sind. Ein solches Schwin-gungsverhalten ist bei Folgefahrten ebenfalls in PE-LOPS festzustellen, allerdings sind hierbei Fre-quenz und Amplitude nicht so ausprägt wie bei denUntersuchungen mit starker Sichtverkürzung. DasPELOPS-Fahrermodell liefert eine Sollbeschleuni-gung als Ergebnis an das Handlungsmodell. ZurAbbildung des Schwingungsverhaltens bei verkürz-ter Sichtweite wird diese Sollbeschleunigung alsAusgangsgröße eines PI-Reglers4 definiert, der ver-sucht, die Eigengeschwindigkeit an die des Vorder-fahrzeuges heranzuführen. Mittels der beiden Reg-lerkoeffizienten KR und KI und dem PELOPS-Para-meter Schätzvermögen (der Fahrer kann die Vor-derfahrzeuggeschwindigkeit nie exakt einschätzen)lässt sich das Schwingungsverhalten bis zu einemgewissen Grad bestimmen. Da PELOPS nach dem

Ursache-Wirkungs-Prinzip arbeitet und mehrereParameter eine Ausgangsgröße beeinflussen, kanndas Schwingungsverhalten nicht exakt dem imFahrsimulator nachgebildet werden. Da sich dasSchwingungsverhalten bei 50 m und 80 m Sicht-weite nicht signifikant voneinander unterscheidet,wird für beide Fälle in PELOPS ein Schwingungs-verhalten mit einer mittleren Frequenz von rund 9sec. und einer Geschwindigkeitsamplitude vonetwa 5 % implementiert (s. Bild 50).

Die Bilder 51 und 52 zeigen das implementierteSogverhalten in PELOPS. In Bild 51 beschleunigt

73

Tab. 29: Anteile an Sogfahrern nach Sichtweite laut Modellun-tersuchungen

Sichtweite (m) Sogfahrer (%)

50 52,08

80 45,84

5.000 37,50

Bild 50: Ergebnisse der Fahrsimulatoruntersuchung (unterteilt nach Sichtbedingung und Beschleunigungsgrad): Schwingungsver-halten (rechts: Amplitude in % der mittleren Geschwindigkeit, links: mittlere Frequenz in ms) (vgl. Modelluntersuchung 3;Kap 4.4)

Bild 51: Sogverhalten bei zweistufiger Beschleunigung desVorderfahrzeuges

4 Ein Regler mit einem Proportionalanteil und einem integrie-renden Anteil. Der Proportionalanteil sorgt dafür, dass dergewünschte Sollwert schnell erreicht wird. Der Integralanteilbewirkt eine exakte Einstellung des Sollwertes.

Page 75: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

das Vorderfahrzeug bei einer Sichtweite von 50 mauf seine Wunschgeschwindigkeit. Der Fahrer desFolgefahrzeuges, das zu Beginn der Simulation inkurzem Abstand hinter dem Vorderfahrzeug steht,hat eine geringere Wunschgeschwindigkeit als derFahrer des Vorderfahrzeuges, beschleunigt aberaufgrund des Sogeffektes auf die Wunschge-schwindigkeit des anderen Fahrers.

In Bild 52 fährt das Vorderfahrzeug einen festen,vorgegebenen Geschwindigkeitszyklus. Zunächstfahren beide Fahrzeuge mit einer ähnlichen Ge-schwindigkeit. Das Vorderfahrzeug erhöht dannseine Geschwindigkeit in zwei Phasen. In der ers-ten Phase fährt das Folgefahrzeug aufgrund desSogeffektes hinterher. Die zweite Phase erfolgt miteiner höheren Beschleunigung, so dass die Sogab-bruchsgeschwindigkeit des Fahrers im Folgefahr-zeug erreicht wird und dieser wieder zurück aufseine Wunschgeschwindigkeit fällt.

6.2.3 Verkehrliche Wirkung des Fahrerverhal-tens bei verkürzter Sichtweite

Um die wesentlichen verkehrlichen Effekte des beiverkürzter Sichtweite geänderten Fahrverhaltenszu bewerten, werden verschiedene Szenarien si-muliert, um alle relevanten Verkehrssituationen ab-zubilden. Hierfür werden zunächst die Wirkungender Nebelfahrt auf den Verkehr auf einem zweispu-rigen Autobahnabschnitt untersucht. Dabei werdendie im Fahrsimulator untersuchten Sichtweitenberücksichtigt (klare Sicht, 80 m und 50 m Sicht-weite). Die Verkehrsstärke wird in zwei Stufen vari-iert, sodass die Wirkung sowohl im dichten alsauch freien Verkehr analysiert wird. Aus dieserÜberlegung heraus resultieren sechs zu simulieren-de Szenarien. Im nächsten Schritt wird ein dreispu-

riger Autobahnabschnitt betrachtet, bei dem abernach 5.500 m eine Spur wegfällt. Der Spurwegfallbringt eine Störung in den Verkehr, welche sich inForm von Stauwellen, die sich nach hinten fort-pflanzen, äußert. Da die Geschwindigkeit innerhalbdieser Stauwellen teilweise bis auf null sinkt, ent-stehen hier besonders viele potenziell gefährlicheSituationen. Hierbei werden ebenfalls die drei un-tersuchten Sichtweiten und zwei verschiedene Ver-kehrsstärken berücksichtigt, sodass auch hiersechs Simulationsszenarien entstehen. Ein weitererinteressanter Aspekt bei verkürzter Sichtweite istdas Verhalten bei Kolonnenfahrten. Deshalb wirdfür die drei Sichtweiten jeweils ein Szenario miteiner Kolonne von zehn Fahrzeugen simuliert.

Szenario Autobahn

Das Szenario Autobahn stellt einen sechs Kilome-ter langen zweispurigen Autobahnabschnitt ohneGeschwindigkeitsbeschränkung dar. Die Simulati-onsdauer beträgt 1.200 sec. Dieses Szenario sollden Einfluss des sichtangepassten Fahrerverhal-tens auf den Verkehr ohne äußerliche Störfaktorenverdeutlichen. Bei den beiden simulierten Ver-kehrsstärken freier und dichter Verkehr wird zumeinen eine Eingangsverkehrsstärke auf etwa 10Fzge/min und Spur bzw. eine mit der Simulations-dauer immer weiter ansteigenden Verkehrsstärke(20-35 Fzge/min und Spur) realisiert. Auf derStrecke sind ab Kilometer zwei jeweils im Abstandvon 1.000 m vier Messschleifen angelegt, die fürdie Auswertung des Verkehrszustandes herange-zogen werden können.

Bild 53 zeigt, in welchen Bereichen des Fundamen-taldiagramms sich der Verkehrszustand beim freienVerkehr für die jeweiligen Sichtweiten befindet. ImFundamentaldiagramm ist die Geschwindigkeitüber der Verkehrsstärke aufgetragen. Jeder einzel-ne Punkt stellt einen über eine Minute gemitteltenWert dar. Die Rauten, Dreiecke, Quadrate und Krei-se stellen dabei die einzelnen Messschleifen dar. Eszeigt sich, dass es bei klarer Sicht (weiße Kreise) ineinigen Fällen zu einigen Störungen kommt und dieDurchschnittsgeschwindigkeit für wenige Minutensinkt, aber die Durchschnittsgeschwindigkeit im All-gemeinen zwischen etwa 90 bis 140 km/h pendelt.Bei 80 m und 50 m Sichtweite hingegen liegt dieseaufgrund sichtangepasster Wunschgeschwindig-keiten deutlich niedriger. Teilweise kommt es auchhier zu dichteren Verkehrsabschnitten, ohne dasshierbei allerdings die Durchschnittsgeschwindigkeitweiter sinkt. Die Durchschnittsgeschwindigkeiten

74

Bild 52: Sogverhalten bei zweistufiger Beschleunigung desVorderfahrzeuges

Page 76: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

fallen hierbei aber niedriger aus, als durch die sicht-angepassten Wunschgeschwindigkeiten zu erwar-ten wäre. Der Effekt unterschiedlich geringer Sicht-weiten (50 m und 80 m) auf die Verkehrseffizienzunterscheidet sich nicht wesentlich und entsprichtnicht dem Verhältnis der sichtangepasstenWunschgeschwindigkeiten bei diesen beiden Sicht-weiten. Dies lässt sich dadurch erklären, dass auf-grund der geringen Sichtweiten Fahrzeuge mitdeutlich geringerer Wunschgeschwindigkeit, wiebeispielweise Lkw, zu einer Behinderung derschnelleren Fahrzeuge führen. Die nachfolgendenFahrzeuge können wegen der verkürzten Sichtwei-te nicht frühzeitig genug reagieren, um beispiels-weise die Spur zu wechseln. So sind sie gezwun-gen zu bremsen, wenn der Abstand zum Vorder-fahrzeug nicht mehr ausreicht, um sich eine Lückeauf den Nachbarspuren zu suchen und den Spur-wechsel durchzuführen.

Da im Zusammenhang mit Nebel und verkürzterSichtweite besonders der Aspekt der Verkehrssi-cherheit eine wichtige Rolle spielt, wird zur Bewer-tung des Fahrverhaltens im Nebel die Häufigkeitvon niedrigen TTC und hohen Verzögerungen he-rangezogen. Die TTC (Time to Collision) beschreibtunter der Annahme, dass die momentane Bewe-gungssituation konstant bleibt, die Zeitdauer, bissich eine Kollision zwischen zwei betrachtetenFahrzeugen ereignen würde. Die TTC ist als Quoti-ent aus dem Nettoabstand zwischen zwei Fahrzeu-gen und deren Differenzgeschwindigkeit definiert.Je kleiner die TTC zwischen zwei Fahrzeugen ist,desto gefährlicher ist die Verkehrssituation, weilweniger Zeit verbleibt, eine Kollision zu vermeiden.Spätestens wenn die TTC kleiner als die Reakti-onszeit des Fahrers ist, wird die Situation kritischund endet häufig in einem Unfall.

Bild 54 zeigt die Verteilung der absoluten Häufig-keit von hohen Verzögerungen bei diesem Szenarioim Verkehr für die drei simulierten Sichtweiten. Inden PELOPS-Simulationen wird zu jedem Rechen-zeitschritt ein Wert für die TTC und für die Be-schleunigung je Fahrzeug ausgegeben. Bei derAnalyse der Verteilung wird jeder dieser Werteberücksichtigt. Auf diese Art werden alle Fahrsitua-tionen jedes Fahrzeugs für die gesamte simulierteStrecke und für die gesamte Simulationszeit er-fasst. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass dieHäufigkeit logarithmisch aufgetragen ist.

Es zeigt sich, dass insbesondere bei 50 m und 80m Sichtweite Verzögerungen höher als 7 m/s2 auf-treten. Prinzipiell nimmt die Häufigkeit höherer Ver-zögerungen mit abnehmender Sichtweite zu. Auchdie Verteilung der Häufigkeit von niedrigen TTC(Bild 55) weist ein ähnliches Ergebnis auf. Mit ab-nehmender Sichtweite steigen die Häufigkeit klei-ner TTC und somit auch die Anzahl kritischer Ver-kehrssituationen. Es treten bei einer Sichtweite von50 m auch TTC kleiner als eine Sekunde auf. Diesesind besonders kritisch. Dass es hierbei zu keinerKollision kommt, kann nur darauf zurückgeführt

75

Bild 53: Fundamentaldiagramm Szenario Autobahn, freier Ver-kehr (weiß: klare Sicht, schwarz: 80 m Sichtweite, grau:50 m Sichtweite)

Bild 54: Häufigkeit von hohen Verzögerungen im Szenario Au-tobahn, freier Verkehr, für alle Verzögerungen ab 1 m/s2

Bild 55: Häufigkeit von kleinen TTC im Szenario Autobahn, frei-er Verkehr, für alle Annäherungsvorgänge (positiveTTC)

Page 77: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

werden, dass der Fahrer bereits reagiert hat undversucht, die Kollision zu vermeiden. Würde derFahrer erst in dieser Situation reagieren, wäre einUnfall aufgrund der Reaktionszeit, die bei einemdurchschnittlichen Fahrer bei etwa einer Sekundeliegt, unvermeidbar.

Bild 56 zeigt das Fundamentaldiagramm für dasSzenario Autobahn bei dichtem Verkehr. Im Ver-gleich zum freien Verkehr ist die Durchschnitts-geschwindigkeit bei klarer Sicht deutlich niedriger.Bei 50 m und 80 m Sichtweite verschieben sich die Punkte zwar in Richtung höherer Verkehrs-stärken, aber die Durchschnittsgeschwindigkeit istvergleichbar mit der bei freiem Verkehr. Auch hierfällt der Unterschied in der Durchschnittsge-schwindigkeit bei 50 m Sicht und 80 m Sichtweitegering aus und ist deutlich niedriger, als anhandder angepassten Wunschgeschwindigkeiten zu er-warten wäre.

Die Häufigkeiten hoher Verzögerungen (Bild 57)und niedriger TTC (Bild 58) nehmen zwar auch hiermit abnehmender Sichtweite zu. Es zeigt sich aber,dass insbesondere die kritischen Fälle (TTC kleinerals eine Sekunde, Verzögerungen höher als 8 m/s2)hierbei niedriger ausfallen als beim freien Verkehr.Dies liegt daran, dass bei dichtem Verkehr auf-grund des fehlenden Freiraumes nicht mehr soschnell gefahren werden kann. Besonders bei ge-ringen Sichtweiten fahren die Fahrer mit höherenWunschgeschwindigkeiten langsamer als im freienVerkehr, was zu einem Rückgang von kritischen Si-tuationen führt.

Tabelle 30 zeigt abschließend für das Szenario Autobahn die Häufigkeit aller TTC niedriger als dreiSekunden und alle Verzögerungen höher als 5 m/s2

für die simulierten Verkehrsstärken und Sichtwei-ten. Zieht man alle TTC kleiner als drei Sekundenals Kriterium für potenziell gefährliche Verkehrsi-tuationen heran, lässt sich die Gefährdung imNebel quantifizieren. Daraus würde bei 80 m Sicht-weite eine 15 bis 20 Mal und bei 50 m Sichtweiteeine 70 bis 120 Mal höhere Gefährdung resultierenals bei vergleichbaren Randbedingungen bei klarerSicht.

76

Tab. 30: Zusammenfassung der TTC kleiner als 3 sec. und derVerzögerungen größer als 5 m/s2 für das Szenario Au-tobahn; Simulationsstudien

TTC-Häufigkeit

Sichtweite freier Verkehr dichter Verkehr

freie Sicht 61 69

80 m Sichtweite 980 1.339

50 m Sichtweite 7.710 5.131

Verzögerungshäufigkeit

Sichtweite freier Verkehr dichter Verkehr

freie Sicht 44 42

80 m Sichtweite 794 512

50 m Sichtweite 1.416 2.513

Bild 56: Fundamentaldiagramm Szenario Autobahn, dichterVerkehr (weiß: klare Sicht, schwarz: 80 m Sichtweite,grau: 50 m Sichtweite)

Bild 57: Häufigkeit von hohen Verzögerungen im Szenario Au-tobahn, dichter Verkehr, für alle Verzögerungen ab 1m/s2

Bild 58: Häufigkeit von kleinen TTC im Szenario Autobahn,dichter Verkehr, für alle Annäherungsvorgänge (positiveTTC)

Page 78: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

6.2.4 Szenario Spurwegfall auf der Autobahn

Die oben beschriebenen Simulationen beinhaltetenkeinerlei Einfluss von äußeren Störungen. Um denzusätzlichen Effekt von äußeren Störungen imNebel auf den Verkehr zu erfassen, wird ein drei-spuriger Autobahnabschnitt simuliert, bei demnach etwa 5.500 m eine Spur wegfällt. Die Variati-on der Verkehrsstärke und der Sichtweite erfolgtgenauso wie beim Szenario Autobahn. Auch hier-bei können Messschleifen im Abstand von einemKilometer voneinander zur Auswertung herangezo-gen werden. Die Simulationsdauer beträgt wieder1.200 Sekunden.

Bild 59 zeigt das Fundamentaldiagramm für denfreien Verkehr in diesem Szenario. Es fällt zunächstauf, dass keine Werte für die Simulation bei 50 mSichtweite angegeben sind. Dies liegt daran, dasses bei den Szenarien mit 50 m Sichtweite sowohlim freien Verkehr als auch im dichten Verkehr zuUnfällen kommt. Gl. 1 beschreibt die Beschleuni-gung, die benötigt wird, um von einer bestimmtenGeschwindigkeit innerhalb eines definierten Wegesin den Stillstand zu bremsen. Bei einer Sichtweitevon 50 m ergibt sich hieraus für eine Geschwindig-keit von 80 km/h und einer durchschnittlichen Re-aktionszeit von einer Sekunde eine Verzögerungvon 8,9 m/s2. D. h., der Fahrer müsste von Anfangan mit dieser Verzögerung bremsen, um noch eineKollision zu vermeiden. Da es Fahrer gibt, die auchbei 50 m Sichtweite schneller fahren als 80 km/h,außerdem die Fahrer zunächst die Situation ein-schätzen müssen und nur die Wenigsten in einemsolchen Fall direkt eine Vollbremsung ausführen,kommt es in diesem Spurwegfall-Szenario bei 50 m Sichtweite unvermeidbar zu Unfällen.

a: Beschleunigung [m/s2]

v: Anfangsgeschwindigkeit [m/s]

s: zur Verfügung stehender Weg [m]

tR: Reaktionszeit

Da bei Unfällen in PELOPS die Unfallfahrzeuge aufder Spur bleiben, wird somit die jeweilige Spurblockiert und eine Auswertung wird hiermit nichtmehr sinnvoll, da die Randbedingungen nicht mehrvergleichbar sind. Die Unfälle können damit erklärtwerden, dass aufgrund der Störung durch denSpurwegfall sich auf der gesamten Simulations-strecke Stauwellen bilden, die oftmals bis in denStillstand gehen.

Die Störungen werden durch Fahrzeuge verur-sacht, die versuchen, die wegfallende Spur zu ver-lassen, und beim Spurwechsel nachfolgende Fahr-zeuge zum Abbremsen zwingen. Das Spurende istzwar auch bei niedrigen Sichtweiten aufgrund vonHinweisschildern früh erkennbar, der Spurwechselstellt für den nachfolgenden Verkehr aber in denmeisten Fällen auch bei klarer Sicht eine Störungbzw. Behinderung dar. Die Fahrzeuge, die aufgrundder Störungen am Stauende zum Stehen kommen,stellen eine erhebliche Gefahr für nachfolgendeFahrzeuge dar.

Um festzustellen, ob es eine Korrelation zwischender Fahrercharakteristik und den Unfallverursa-chern gibt, wird der PELOPS-Parameter Sicher-heitsbedürfnis der Fahrer untersucht, die entwedereinen Unfall bzw. eine kritische Situation verursachthaben, und mit der gesamten Fahrerpopulationverglichen.

Als kritische Situationen gelten in diesem Falle sol-che, bei denen die TTC zum Vorderfahrzeug kleinerals eine Sekunde, die Verzögerung größer als 7 m/s2 und der Abstand zum Vordermann unter-halb von 4 m ist. In den beiden Szenarien frei unddicht bei einer Sichtweite von 50 m treten insge-samt dreißig solche Situationen mit unterschiedli-chen Fahrern auf. Bild 60 vergleicht den Mittelwertdes Sicherheitsbedürfnisses dieser Fahrer mit demMittelwert über alle in der Simulation eingesetzten500 Fahrer. Die Standardabweichungen sind zu-sätzlich angegeben. Der Unterschied zwischen denbeiden Werten ist minimal. Daraus folgt, dass eineKorrelation zwischen der Fahrercharakteristik und

77

Bild 59: Fundamentaldiagramm Szenario Spurwegfall auf derAutobahn, freier Verkehr (weiß: klare Sicht, schwarz: 80 m Sichtweite)

Page 79: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

den Unfallverursachern in der Simulation nicht ge-geben ist. Die kritischen Situationen werden so-wohl von Fahrern mit niedrigem als auch mit höhe-rem Sicherheitsbedürfnis verursacht.

Das Fundamentaldiagramm (Bild 59) zeigt, dassauch im freien Verkehr kurz vor dem Spurende derVerkehr zusammenbricht, unabhängig von derSichtweite. Aber auch bei den Messschleifen bei2.000 m, 3.000 m und 4.000 m sind kurzzeitige Ge-schwindigkeitseinbrüche zu erkennen, die auf diesich nach hinten fortpflanzenden Stauwellenzurückzuführen sind.

Bei Betrachtung der Häufigkeit von niedrigen TTCund hohen Verzögerungen (Bilder 61 und 62) zeigtsich ein ähnliches Ergebnis zu dem Szenario Auto-bahn. Die TTC niedriger als eine Sekunde fallenhierbei allerdings deutlich höher aus als im Szena-rio Autobahn.

Die Simulationsergebnisse des Szenarios Spur-wegfall bei dichtem Verkehr unterscheiden sich nurquantitativ von denen bei freiem Verkehr. Die dar-gestellten Effekte sind ebenso zu beobachten. DasFundamentaldiagramm und die Verteilung der Häu-figkeiten niedriger TTC und hoher Verzögerungensind im Anhang zu finden. Tabelle 31 zeigt ab-schließend für das Szenario Spurwegfall auf derAutobahn die Häufigkeit aller TTC niedriger als dreiSekunden und alle Verzögerungen höher als 5 m/s2

für die simulierten Verkehrsstärken und Sichtwei-ten. Zieht man auch hier wiederum alle TTC kleinerals drei Sekunden als Kriterium für potenziell ge-fährliche Verkehrsituationen heran, lässt sich dieGefährdung im Nebel bei 80 m Sichtweite mit einerdrei bis vier Mal höheren Gefährdung quantifizierenals bei vergleichbaren Randbedingungen bei klarerSicht. Allerdings ist die potenzielle Gefährdungunter solchen auch bereits bei klarer Sicht sehrhoch und wird durch die niedrigere Sichtweite nochweiter gesteigert. Bei einer Sichtweite von 50 mführt nicht genügend an die Sichtweite angepassteGeschwindigkeit in Kombination mit den Un-zulänglichkeiten des Fahrers bei diesem Szenarioin allen Fällen zu Unfällen.

78

Tab. 31: Zusammenfassung der TTC kleiner als 3 sec. und der Verzögerungen größer als 5 m/s2 für das Szenario nach Spurweg-fall auf der Autobahn; Simulationsstudien

TTC-Häufigkeit Verzögerungshäufigkeit

Sichtweite freier Verkehr dichter Verkehr Sichtweite freier Verkehr dichter Verkehr

freie Sicht 1.842 3.108 freie Sicht 247 941

80 m Sichtweite 7.714 9.021 80 m Sichtweite 1.299 1.281

50 m Sichtweite Unfall Unfall 50 m Sichtweite Unfall Unfall

Bild 60: Vergleich des Mittelwertes des Sicherheitsbedürfnis-ses von Fahrern, die kritische Situationen verursachen,mit dem Mittelwert des Sicherheitsbedürfnisses allerFahrer

Bild 61: Häufigkeit von hohen Verzögerungen im SzenarioSpurwegfall auf der Autobahn, freier Verkehr, für alleVerzögerungen ab 1 m/s2

Bild 62: Häufigkeit von kleinen TTC im Szenario Spurwegfallauf der Autobahn, freier Verkehr, für alle Verzögerungenab 1 m/s2

Page 80: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Kolonnenverhalten

Neben den nicht genügend an die Sichtweite an-gepassten Geschwindigkeiten der Fahrer kannauch schwingendes Fahrverhalten zu einer höhe-ren Gefährdung im Nebel führen. Zu diesem Zweckwird für die unterschiedlichen Sichtweiten das Ko-lonnenverhalten in der Simulation untersucht. Hier-bei wird eine Kolonne von zehn gleichen Fahrzeu-gen betrachtet, die allerdings von unterschiedlichparametrisierten Fahrern gelenkt werden. Das ersteFahrzeug fährt hierbei mit einer konstanten Ge-schwindigkeit von 70 km/h, d. h., es gibt keine zu-sätzliche Schwingungsanregung. Die Simulations-dauer beträgt 500 s.

Die Bilder 63-65 geben die Geschwindigkeitsver-läufe der einzelnen Fahrzeuge für die unterschied-lichen Sichtweiten wieder. Es zeigt sich, dass dieFahrzeuge zunächst verzögern, um ihre jeweiligenSicherheitsabstände einzustellen, da diese zu Be-ginn noch zu niedrig sind. Vergleicht man die Am-plituden der Schwingungen gegen Ende der Simu-lation, lässt sich bei klarer Sicht eine Amplitude vonmaximal 3 m/s, bei 80 m Sichtweite eine Amplitu-de von rund 7 m/s und bei 50 m Sichtweite eineAmplitude von etwa 9 m/s feststellen. Das Kolon-nenverhalten bei geringer Sichtweite ist anschei-nend nicht stabil, wenn man zusätzlich berücksich-tigt, dass die Kolonne nicht angeregt wird.

In PELOPS reagiert der Fahrer nicht nur auf sein di-rektes Vorderfahrzeug, sondern auch auf den Vor-Vorausfahrenden. In der Realität wird sogar teilwei-se auf die Fahrzeuge davor reagiert. So wird einFahrer in der Realität sich anders verhalten, wennin seiner Kolonne lediglich sein direktes Vorderfahr-zeug verzögert im Vergleich zu einer Verzögerungder gesamten Kolonne. In einigen Fällen reagierensowohl das Folgefahrzeug als auch das Vorder-fahrzeug gleichzeitig auf eine Situation, die sichweiter vorne ereignet. Damit entfällt in diesem Falldie Reaktionszeit. Bei geringer Sichtweite kann dieparallele Reaktion nicht immer erfolgen, da derFahrer das Vorvorderfahrzeug nicht sieht und nichtauf dieses reagieren kann. In diesem Fall kann derFahrer lediglich auf die Reaktion des Vordermannsreagieren. Damit wird die Totzeit in diesem Schwin-gungssystem aufgrund der sich addierenden Reak-tionszeiten aller Fahrer größer. Im Extremfall rea-giert der letzte Fahrer völlig unangemessen, weilsich die Situation vorne längst verändert hat. In denBildern 66-68 sind die relativen Abstände der ein-zelnen Fahrzeuge zum ersten Fahrzeug über die

Zeit aufgetragen. Es zeigt sich, dass das letzteFahrzeug sowohl bei 80 m Sichtweite als auch 50 m Sichtweite lediglich das Vorderfahrzeugsehen kann und nicht mehr auf den Vor-Vorausfah-renden reagieren kann, wie man anhand der Diffe-

79

Bild 63: Geschwindigkeitsverläufe der einzelnen Fahrzeuge ineiner Kolonne aus zehn Fahrzeugen bei klarer Sicht

Bild 64: Geschwindigkeitsverläufe der einzelnen Fahrzeuge ineiner Kolonne aus zehn Fahrzeugen bei einer Sichtwei-te von 50 m

Bild 65: Geschwindigkeitsverläufe der einzelnen Fahrzeuge ineiner Kolonne aus zehn Fahrzeugen bei einer Sichtwei-te von 80 m

Page 81: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

renz der Abstände zum ersten Fahrzeug erkennenkann. Beispielsweise hat das letzte Fahrzeug beieiner Sichtweite von 80 m bei der Simulationszeitvon etwa 375 sec. einen Abstand von rund 258 mSichtweite zum ersten Fahrzeug. Das achte Fahr-zeug dagegen weist einen Abstand von rund 170 mauf. Damit beträgt der Abstand zwischen beidenFahrzeugen 88 m, und für den Fahrer des letztenFahrzeuges ist somit das achte Fahrzeug nichtmehr sichtbar. Die Verstärkung der Totzeiten durchdie verzögerte Reaktion auf die Ereignisse vorausführt zu einer Phasenverschiebung in der Schwin-gung, wie das beispielsweise bei einer Sichtweite

von 80 m bei der Simulationszeit von 375 sec. auf-tritt. Während das siebte Fahrzeug zu diesem Zeit-punkt den kürzesten Abstand zum ersten Fahrzeugaufweist und anfängt, sich von diesem weiter zuentfernen, hat das letzte Fahrzeug gerade seinenmaximalen Abstand zum ersten Fahrzeug erreichtund kommt ihm jetzt näher.

Neben der nicht genügend an die Sichtweite ange-passten Geschwindigkeit führt sicherlich auch dasinstabile Kolonnenverhalten zu einer höheren Ge-fährdung und zu potenziell gefährlichen Situationenim Verkehr.

6.3 Zusammenfassung

Die Auswirkungen des Fahrerverhaltens bei Nebelwerden in PELOPS untersucht. Zu diesem Zweckwerden die Ergebnisse der Modelluntersuchungenin PELOPS implementiert. Diese Implementierungbeinhaltet unter Berücksichtigung der fahrerindivi-duellen Unterschiede die sichtweitenangepassteWunschgeschwindigkeit, das so genannte Sogver-halten und die Oszillationseffekte im Geschwindig-keitsverlauf.

Mit diesen Erweiterungen und Ergänzungen desFahrermodells werden zur Bewertung des geän-derten Fahrerverhaltens verschiedene Szenariensimuliert. Es werden ein zweispuriger Autobahnab-schnitt ohne externe Störungen und ein Spurweg-fall von zwei- auf einspurig simuliert, bei dem durchdie externe Störung Stauwellen initiiert werden, die

80

Bild 66: Relativer Abstand zum ersten Fahrzeug in einer Kolon-ne aus zehn Fahrzeugen bei klarer Sicht

Bild 67: Relativer Abstand zum ersten Fahrzeug in einer Kolon-ne aus zehn Fahrzeugen bei einer Sichtweite von 50 m

Bild 68: Relativer Abstand zum ersten Fahrzeug in einer Kolon-ne aus zehn Fahrzeugen bei einer Sichtweite von 80 m

Page 82: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

sich nach hinten fortpflanzen. Die Verkehrsstärkewird hierbei jeweils in zwei Stufen variiert, sodasssowohl dichter als auch freier Verkehr berücksich-tigt wird. Zur Bewertung des Kolonnenverhaltenswird ein Szenario mit einer Fahrzeugkolonne aus10 Fahrzeugen betrachtet. Die Sichtweite wird fürjede betrachtete Variante in drei Schritten unter-sucht (klare Sicht, 80 m und 50 m Sichtweite). Da-raus ergeben sich fünfzehn Simulationsszenarien.

Die Auswertung von niedrigen TTC und hohen Ver-zögerungen als Kriterien für die verkehrliche Si-cherheit zeigt in beiden Szenarien mit und ohne ex-terne Störung, dass mit abnehmender Sichtweitesowohl die Häufigkeit von niedrigen TTC als auchdie Häufigkeit von hohen Verzögerungen steigenund damit auch die Anzahl an potenziell gefährli-chen Situationen. Bei einer Sichtweite von 50 mkommt es beim Szenario mit dem Spurwegfall so-wohl im freien als auch im dichten Verkehr zu Un-fällen. Aufgrund der Störungen durch den Spur-wegfall bilden sich Stauwellen, die bis in den Still-stand reichen und sich nach hinten fortbewegen.Hierbei reicht die Sichtweite in einigen Fällen nichtmehr aus, um aus der vollen Wunschgeschwindig-keit einiger Fahrer auf ein stehendes Stauende zubremsen. Dies wird noch durch den Sogeffekt wei-ter verstärkt, weil auch Fahrer mit einer niedrigerenWunschgeschwindigkeit schneller fahren. Damitwird der Anteil der Fahrer erhöht, die ihre Ge-schwindigkeit nicht genügend an die verändertenSichtverhältnisse anpassen.

Ein weiterer Effekt, der zu einer höheren potenziel-len Gefährdung führt, ist das instabile Kolonnen-verhalten. Bei dem Szenario der Fahrzeugkolonnezeigt sich, dass mit abnehmender Sichtweite dasKolonnenverhalten instabiler wird und die Amplitu-den im Geschwindigkeitsverlauf größer werden.Dies liegt hauptsächlich daran, dass nur auf dasVorderfahrzeug reagiert wird. Das Vor-Vorderfahr-zeug befindet sich meistens außerhalb der Sicht-weite. Dies führt dazu, dass die Fahrzeuge sich teil-weise phasenverschoben verhalten, d. h., dass einFahrzeug beschleunigt, während das andere Fahr-zeug ihm voraus verzögert. Die Kolonneninstabilitätführt in Kombinationen mit dem Sogeffekt zu einerhöheren Dynamik, die besonders im Nebel gefähr-lich ist.

7 Schlussfolgerungen und Empfehlungen

7.1 Stellungnahme zur SCHÖNBACH-Hypothese

7.1.1 Die Befundlage

Nach den theoretischen Überlegungen vonSCHÖNBACH wurde erwartet, dass Fahrer imNebel zu schnell und mit zu geringem Abstand – und damit auch zu kleiner Zeitlücke – fahren, weilsie motiviert sind, einerseits Anschluss an das vo-rausfahrende Fahrzeug zu halten und andererseitsAbstand zum drängelnden nachfolgenden Fahr-zeug zu wahren. Die Hypothese wurde von uns,wie von SCHÖNBACH selbst angeregt, in mehre-ren experimentellen Untersuchungen am Fahrsi-mulator und anhand von Daten aus dem realenVerkehr geprüft.

Unsere Überprüfung der SCHÖNBACH-Hypothesean realen Verkehrsdaten muss als vorläufig be-trachtet werden. Nach unserer Reanalyse derDaten von RICHTER und SCHLAG (1998, 1999)konnten wir deren Schlussfolgerung, in den Datendas von SCHÖNBACH vorhergesagte Verhaltens-muster gefunden zu haben, nicht bestätigen. DerDatensatz ist unserer Auffassung nach nicht geeig-net, diese Hypothese zu überprüfen, denn für dieinteressierenden Daten unter Nebel lassen sichkeine adäquaten Kontrolldaten zusammenstellen.Die eigene Erhebung von Daten lässt methodischangemessene Auswertungen zu, wie die erstenAnalysen bestätigen. Bislang konnte jedoch keinhinreichend langer Zeitraum mit deutlicher Sicht-behinderung durch Nebel erfasst werden. Lediglicheine Phase mit mäßiger Sichtbehinderung konntemit einem geeigneten Kontrollzeitraum verglichenwerden. Deswegen sind die Befunde dieses Unter-suchungsansatzes als vorläufig zu betrachten. DieUntersuchungen werden über den jetzigen Ab-schluss des Berichts hinaus weitergeführt werden.Die vorläufigen Befunde zeigen allerdings, dasssich die mittlere gefahrene Zeitlücke zum Vorder-mann im Nebel eher erhöht im Vergleich zur Klar-sicht-Bedingung, was im klaren Gegensatz zurSCHÖNBACH-Hypothese steht. Bei Nebel ist auchder Prozentsatz von Zeitlücken unter 1 Sekunde – die im Rahmen der StVO als bedenklich geringeAbstände gelten – geringer als bei Klarsicht. Dasbedeutet im Gegensatz zur SCHÖNBACH-Hypo-these, dass unter Klarsicht und nicht unter Nebeldichter aufgefahren wird. Bei Nebel wählen aber

81

Page 83: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

mehr Fahrer eine Zeitlücke zwischen 1 und 3 Se-kunden als unter Klarsicht, was in Übereinstim-mung mit SCHÖNBACH für eine verstärkte Ketten-bildung spricht, die aber eben nicht einhergeht mitzu geringen Abständen.

Die Hypothesenprüfung am Fahrsimulator erfolgteletztlich nur für den Zusammenhang mit dem vo-rausfahrenden Fahrzeug, weil die Simulation für dasnachfahrende Fahrzeug nur ansatzweise realisiertwerden konnte. Für das nachfolgende Fahrzeugentsteht nach SCHÖNBACH die Beeinflussung desFahrers vor allem über dessen Fern- und Abblend-licht, das im Rückspiegel und Innenraum des Fahr-zeugs zu einer Beeinträchtigung der Sicht führt. DieSimulation dieser Sichtbehinderung konnte tech-nisch nicht realisiert werden. Implementiert wurdenur die Erkennung eines nachfolgenden „drängeln-den“ Fahrzeugs im Rückspiegel, was das Fahrver-halten jedoch nicht beeinflusste. Für die Überprü-fung der SCHÖNBACH-Hypothese konnte somitnur die Teilhypothese „Sog“, die sich auf das Fahr-verhalten in Abhängigkeit von dem vorausfahren-den Fahrzeug bezieht, geprüft werden. Ihre Über-prüfung alleine erscheint hinreichend, um zu zeigen,ob der vorgeschlagene Erklärungsansatz prinzipiellgeeignet ist, Fahrverhaltensdaten bei Nebel zu er-klären. Unserer Einschätzung nach entsprechen dievorliegenden Befunde der Fahrsimulationsuntersu-chungen teilweise den Erwartungen nach SCHÖN-BACH, bei genauerer Analyse stützen sie den Er-klärungsansatz – zumindest in seinem globalenGültigkeitsanspruch – jedoch nicht.

Im Sinne der SCHÖNBACH-Hypothese gibt esHinweise in den Modelluntersuchungen 2 und 3. Indiesen Untersuchungen war aus der Sicht der Sog-Hypothese überprüft worden, ob Fahrer einem vo-rausfahrenden beschleunigenden Fahrer folgen. ImMittel zeigte sich folgendes Ergebnis: Einzelfahrerund Kolonnenfahrer fahren mit zunehmender Sicht-behinderung langsamer. Die Einzelfahrer – wozuhier auch die Fahrer mit nachfolgendem Fahrzeuggezählt werden – fahren vor der Beschleunigungs-phase unter allen Witterungsbedingungen schnel-ler als die Kolonnenfahrer. Dieser Unterschied hebtsich in der Beschleunigungsphase unter Nebelbe-dingungen auf: Kolonnenfahrer fahren jetzt im Mit-tel vergleichbar schnell wie Einzelfahrer. Varianz-analytisch ist diese Wechselwirkung statistisch sig-nifikant. So erhöhen Kolonnenfahrer ihre Ge-schwindigkeit, wenn sie dem beschleunigendenFahrzeug folgen, unter starkem Nebel nach zweiKilometern von 81 auf 95 km/h, während die Ge-

schwindigkeit bei Einzelfahrern konstant bei 91km/h liegt (Modelluntersuchung 2). Nicht nach-weisbar ist, dass Kolonnenfahrer im Nebel schnel-ler fahren als Einzelfahrer, wie nach SCHÖNBACHerwartet.

In Übereinstimmung mit der SCHÖNBACH-Hypo-these ist der Befund, dass ein Teil der Fahrer einembeschleunigenden vorausfahrenden Fahrzeugfolgt: Einige Fahrer erhöhen ihre Geschwindigkeit,sobald das vorausfahrende Fahrzeug beschleunigt.Eine mäßige Beschleunigung (15 %) veranlasstmehr Fahrer zur Geschwindigkeitserhöhung alseine starke Beschleunigung (30 %). Jedoch istfestzustellen, dass dieses Phänomen unter allenSichtbedingungen auftritt, nicht nur bei Nebel, son-dern auch bei Klarsicht. Dies ist im Erklärungsan-satz von SCHÖNBACH nicht vorgesehen. Erwar-tungsgemäß zeigt sich aber in Modelluntersuchung2, dass in beiden Beschleunigungsbedingungen(15 und 30 %) zwar numerisch die Anzahl der Sog-fahrer mit zunehmender Sichtbehinderung durchNebel steigt, dieser Effekt aber weit ab von statisti-scher Signifikanz liegt. Kritisch ist hier jedoch derZusammenhang der Ausgangsgeschwindigkeit mitder Gruppenbildung (Bild 16). Die Gruppe der be-schleunigenden Probanden fuhr eine niedrigereAusgangsgeschwindigkeit als die Gruppe dernicht-beschleunigenden Probanden. Die Aus-gangsgeschwindigkeit konnte frei gewählt werden,weil die Probanden instruiert waren, „mit gleich-mäßigem Tempo sicht- und sicherheitsangemes-sen zu fahren“. Bei einer eher hohen Ausgangsge-schwindigkeit hätten einzelne Probanden auf einesehr hohe Geschwindigkeit beschleunigen müs-sen, um dem vorausfahrenden Fahrzeug zu folgen.Bei niedriger Ausgangsgeschwindigkeit besteht eingrößerer Spielraum für Beschleunigung und somitSogverhalten. Deshalb wurde in Modelluntersu-chung 3 eine konstante Ausgangsgeschwindigkeitherbeigeführt. Das Ergebnis zeigt einen leichtenTrend im Sinne der SCHÖNBACH-Hypothese: Mitzunehmender Sichtbehinderung reagieren mehrFahrer auf ein beschleunigendes Vorderfahrzeugmit Geschwindigkeitserhöhung, statistisch signifi-kant wird dieser Effekt jedoch nicht. Der Befundbesagt vielmehr, dass es unter den drei Witte-rungsbedingungen eine etwa gleich große Fahrer-gruppe gibt (bei 15 % Beschleunigung die Hälfte,bei 30 % Beschleunigung ein Drittel), die demFührungsfahrzeug folgt (Bild 25). Betrachtet mandie mittleren oder maximalen Geschwindigkeiten(Bild 23 und 26), dann zeigt sich in der Beschleuni-

82

Page 84: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

gungsphase, dass Fahrer mit Sogverhalten ver-gleichbar unter jeder der drei Sichtbedingungenschneller fahren als Fahrer ohne Sogverhalten. Esgibt nur wenige Fahrer, die in allen Situationen (Wit-terung und Beschleunigung) durchweg dem vo-rausfahrenden Fahrzeug folgen. Überwiegend vari-iert das Folgeverhalten ohne erkennbare Systema-tik. Deshalb sprechen die Befunde nicht für eineKategorisierung von Fahrertypen. Der Anteil vonZeitlücken unter zwei Sekunden an der Gesamtheitder Zeitlücken steigt im Nebel von 14 auf 28 Pro-zent, ein Ergebnis, das die SCHÖNBACH-Hypo-these zu bestätigen scheint. Allerdings liegt der An-teil von Zeitlücken unter 1,5 Sekunden – und erstunterhalb dieses Werts beginnt der für Auffahrun-fälle kritische Bereich – bei Fahrern mit Sogverhal-ten unter allen drei Sichtbedingungen vergleichbarniedrig um 6 % der Fahrzeit. So bleibt auch für dieBetrachtung von Teilgruppen nur die Schlussfolge-rung, dass es für die SCHÖNBACH-Hypothesezwar vereinzelte Hinweise in die erwartete Richtunggibt, aber keine generelle Bestätigung. Vielmehrregen die Befunde zur Feststellung an: Trotz Nebelszeigen Fahrer ein Folgeverhalten wie bei Klarsicht.

Das von SCHÖNBACH postulierte riskantere Fah-ren bei Nebel aufgrund des nicht bewussten Ak-zeptierens einer unangemessen geringen Zeitlückekonnte nicht bestätigt werden, denn mit zuneh-mender Sichtbehinderung wird, wie in der Modell-untersuchung 3 beobachtet, bewusst eine größereZeitlücke gewählt. Ursprünglich war geplant, abertechnisch nicht umsetzbar, dass die Zeitlücken-Schwelle bestimmt wird, bei der die Fahrer aktiv re-gulierend eingreifen. Die Schwelle hätte angezeigt,bis auf welche Zeitlücke (oder Abstand) nicht be-wusst einem beschleunigenden oder verlangsa-menden Fahrzeug gefolgt wird. Die hier bestimmteEinstellung der Wunsch-Zeitlücke kennzeichneteinen bewussten Einschätzungsvorgang bei vorge-gebener kurzer Zeitlücke (1 sec.). Wendet man dieGruppendifferenzierung aus den Fahrten mit Be-schleunigung des Führungsfahrzeugs auf die Be-funde an, so zeigt sich ein plausibler (statistischnicht signifikanter) Trend: Bei Fahrten ohne Sogver-halten erhöht sich die Wunsch-Zeitlücke unterNebel stärker als bei Fahrten mit Sogverhalten. Je-doch auch die Fahrer, die einem beschleunigendenvorausfahrenden Fahrzeug in einer bestimmten Si-tuation folgen, reagieren mit Erhöhung derWunsch-Zeitlücke unter Nebel, was nicht SCHÖN-BACHs Hypothesen entspricht. Vertreter von Fah-rertypologien (s. RICHTER, 2002) würden Fahrstile

verantwortlich machen. Nahe liegend ist jedoch,zunächst die Rolle perzeptiver Faktoren abzu-klären. Beispielsweise könnte ein Zusammenhangmit Fehleinschätzungen von Sichtweiten, Abstän-den, Zeitlücken und Geschwindigkeiten bestehen.

7.1.2 Der Untersuchungsplan

Die durchgeführten Simulationsexperimentewaren, von uns explizit begründet, nicht so durch-geführt worden, wie von SCHÖNBACH, dem ge-danklichen Initiator des Projektes, vorgeschlagen.Es soll deshalb an dieser Stelle die Diskussion desUntersuchungsplanes noch einmal aufgegriffenwerden, um festzustellen, ob die eigenen Befundedie Abweichungen in der Untersuchungsplanungtatsächlich rechtfertigen. In der von SCHÖNBACHvorgeschlagenen Untersuchung am Simulator fährtder Testfahrer zwischen einem vorausfahrendenund nachfolgenden Fahrzeug. Als Orientierungs-punkte werden die Rücklichter und Nebelleuchtendes vorausfahrenden Fahrzeugs und die Schein-werfer des nachfolgenden Fahrzeugs besondershervorgehoben. Im ursprünglichen Plan SCHÖN-BACHs wird der Einfluss von vier Faktoren auf dieFahrgeschwindigkeit des Testfahrers und damit aufden Fahrabstand zum vorausgehenden bzw. nach-folgenden Fahrzeug thematisiert: (1) ob das vo-rausfahrende oder nachfolgende Fahrzeug be-schleunigt, (2) ob das vorausfahrende Fahrzeug mitoder ohne Nebelschlussleuchte fährt, (3) ob derTestfahrer erstmalig fährt oder nach einer Schu-lungsphase unmittelbar anschließend oder im Ab-stand von zwei bis sechs Monaten und (4) ob derTestfahrer ein Training mit nebelspezifischem Trai-ning (Nebelunfallerfahrung und Aufklärung über so-zialpsychologische Prozesse bei Fahrten im Nebel)oder ein nebelunspezifisches Kurvenfahrtrainingerhält. Demnach bezieht sich nur ein Faktor aufden Erklärungsansatz für Nebelunfälle: Beschleuni-gung des vorausfahrenden oder nachfolgendenFahrzeugs. Demgegenüber stehen drei Faktorenzur Evaluation von Maßnahmen (Nebelschluss-leuchte am Führungsauto: ohne–mit; Training: ja–nein; Art des Trainings: Nebelerfahrung – Auf-klärung). In unseren Untersuchungen wird derSchwerpunkt auf die Prüfung der GrundannahmenSCHÖNBACHs zur Entstehung von Unfällen beiNebel gelegt, nämlich die Wirkung eines nachfol-genden und vorausfahrenden Fahrzeugs.

Unter letzterem Aspekt waren als Nachteile desUntersuchungsplanes von SCHÖNBACH folgendePunkte benannt worden:

83

Page 85: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

· Kontrollbedingung „Klarsicht“: Das Fahrverhal-ten wird nur bei Nebel – und dies nur für eineNebelbedingung – untersucht und nicht verglei-chend bei „klarer Sicht“ als Kontrollbedingung.Die Phase 1 im Schema „Einübung und Test-fahrt bei klarer Sicht“ ist nicht als Kontrollbedin-gung konzipiert. Ohne eine Kontrollbedingungklare Sicht – so unsere Argumentation – wird mitdem vorgeschlagenen Plan wider die Logik eineAbhängigkeit des Fahrverhaltens von den vari-ierten Faktoren nur bei Nebel unterstellt. Die Be-fundlage unserer Simulationsexperimente be-stätigt voll die methodischen Bedenken. DieFahrer folgten dem beschleunigenden voraus-fahrenden Fahrzeug bei Nebel und bei Klarsicht.Insofern haben wir es – zumindest auch – miteinem sichtunspezifischen Effekt zu tun.

· Kontrollbedingung „Einzelfahrt“: Im PlanSCHÖNBACHs wird das Fahrverhalten desTestfahrers nur in der Kolonne und nicht auchals Einzelfahrer untersucht. Wenn, so unsereBedenken, auch Einzelfahrer unangepassteFahrgeschwindigkeit bei Nebel entwickeln,dann geht der Plan fälschlicherweise von einemgruppenspezifischen Phänomen aus. Nach un-seren Befunden ist bemerkenswert, dass Ein-zelfahrer sowohl auf der Straße (BAB-Daten) alsauch am Simulator höhere Fahrgeschwindigkei-ten wählen als Kolonnenfahrer und dies unab-hängig von der Wetterlage (Klarsicht – Nebel).Damit unterstreichen die Ergebnisse die Not-wendigkeit, Einzelfahrten zur Kontrolle mit zuuntersuchen.

· Druck-Sog-Wirkung: Die eigentliche sozialpsy-chologische Hypothese der Verursachung vonNebelunfällen, die den Zusammenhang zwi-schen Kognition (Sicherheitsgefühl, Bedrän-gung) und Fahrverhalten betrifft, wird im PlanSCHÖNBACH nicht explizit geprüft. Es wird nurden Vorhersagen nach beobachtet, dass Test-fahrer auf die Beschleunigung des vorausfah-renden oder nachfolgenden Fahrers schnellerwerden. Der Plan erlaubt keine Schlussfolge-rung auf die Vermittlungsfunktion der Kognitio-nen (Druck-Sog-Wirkung). Das von uns ur-sprünglich konzipierte dritte Simulationsexperi-ment sollte diese Annahmen annäherungsweisedurch Schwellenbestimmung klären, was tech-nisch jedoch nicht umsetzbar war. Untersuchtwerden konnte, welche Wunsch-Zeitlücke dieFahrer einstellen, wenn sie sich unfreiwilligeinem Führungsfahrzeug annähern, dann bei

einer Zeitlücke von einer Sekunde automatischabgebremst werden und mit konstanter kurzerZeitlücke folgen. Die Befunde zeigen, dass –wie auch aus den Aussagen der Probanden zuentnehmen – unter Nebel aktiv eine größereZeitlücke zum vorausfahrenden Fahrzeug ein-gestellt wird als bei Klarsicht. Unser Experimentkann – aus technischen Gründen – jedoch nichtzeigen, ob und ab welcher Abstands/Zeit-lücken-Schwelle das nichtbewusste Folgever-halten von einem bewussten aktiven Eingreifenabgelöst wird.

· Individuelle Motivationsstruktur: Der PlanSCHÖNBACHs hätte mit acht Bedingungenmindestens – bei 10 Pbn pro Bedingung – 80Probanden für Fahrsimulatorversuche erfordert.Die nach SCHÖNBACH zusätzlich zu berück-sichtigenden Unterschiede bezüglich Alter, Ge-schlecht, Nebelunfallerfahrung etc. hätten eineVervielfachung der Probandenzahlen erfordert.

Zusammenfassend bestätigt die eigene Befundla-ge die Begründung für die gegenüber SCHÖN-BACH veränderte Untersuchungsplanung.

7.1.3 Simulator- und Realdaten

Die empirische Basis der SCHÖNBACH-Hypothe-se waren Interview-Daten. Probanden gaben an,bei Nebel Anschluss an das vorausfahrende imNebel verschwindende Fahrzeug zu halten und vondem dicht auffahrenden drängenden nachfolgen-den Fahrzeug Abstand zu gewinnen. SCHÖN-BACH selbst regte an, seine Hypothese anhandvon Real- und Simulatordaten zu prüfen. Ange-sichts der Befundlage ist zu diskutieren, ob die er-hobenen Real- und Simulatordaten zur Hypothe-senprüfung geeignet sind.

Ein empirischer Beleg für seine These sah SCHÖN-BACH in den Autobahn-Daten von RICHTER undSCHLAG: Kolonnenfahrer (definiert über kleineZeitlücken) fuhren bei Nebel schneller als bei Klar-sicht. Dieser Befund kann, wie ausführlich im Be-richt über die Reanalyse dargestellt, so nicht be-stätigt werden. Die Daten von RICHTER undSCHLAG – deren Eignung wir prinzipiell in Fragestellen – zeigen vielmehr bei Kontrolle konfundie-render Variablen, dass zwischen Nebel und Klar-sichtfahrten kein Unterschied besteht. Auch einejüngst veröffentlichte Neuanalyse der Daten (RICH-TER, 2002) – die nach wie vor die Konfundierungenthält – erbringt keinen Unterschied zwischenNebel und Klarsicht für Parameter des Fahrverhal-

84

Page 86: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

tens, Time to collision (TTC) und Bremszeit.Während in die TTC nur die Fahrgeschwindigkeitender beiden Fahrzeuge eingehen, gehen in dieBremszeit neben der Anfangsgeschwindigkeit dieVerzögerungszeit und die Reaktionszeit ein. Erstwenn man eine (in Termini der Autorin) „realisti-sche“ statt „optimistische“ niedrige Bremsverzöge-rung (4,7 m/sec2 statt 7 m/sec2) und lange Reakti-onszeit (113 % bei Nebel statt 100 % bei Klarsicht)in die Formel eingibt, erhält man eine höhere theo-retische Kollisionshäufigkeit unter Nebel (bis 100m) im Vergleich zu Klarsicht (über 100 m). Konkret(s. Tabelle 11.5 in RICHTER, 2002), für 77 von 743Fahrzeugen (11,4 %) werden Kollisionen bei Nebelberechnet, während es bei Klarsicht 5.600 von45.653 Fahrzeugen (9,7 %) sind. Das statistischsignifikante Mehr von 1,7 % wird als Beleg für dieThese gewertet: „Fahrer unterschätzen bei Nebelmehr als bei klarer Sicht den zum gefahrlosen Hal-ten notwendigen Abstand zum Vorausfahrenden“(S. 115). Eine Schlussfolgerung, die weit über dashinausgeht, was auf der Basis dieser Untersu-chung ausgesagt werden kann. Was man aus denDaten schließen kann, ist, dass Fahrer bei Nebelvergleichbar fahren wie bei Klarsicht; nach RICH-TER wird nur bei Berücksichtigung einer unterstell-ten verlängerten Bremszeit unter Nebel die Kollisi-onswahrscheinlichkeit erhöht. RICHTER müssteihre Hypothese „Nebel bewirkt spezifische sozialeInteraktionsprozesse zwischen Kraftfahrern“ (S.116) aufgrund ihrer eigenen Daten zurückweisen(was nicht explizit geschieht).

Die Fahrsimulation erwies sich insgesamt als ge-eignetes Medium für die Analyse des Fahrverhal-tens bei Nebel. Sie kann deshalb nicht als Grundfür die fehlende Bestätigung der SCHÖNBACH-Hypothese angeführt werden. Beim Vergleich mitDaten aus dem Realverkehr ergibt sich eine Reihevon Übereinstimmungen. Auch die Angaben derProbanden lassen darauf schließen, dass die Fahr-simulation als annähernd real erlebt wurde. Die Ne-beldarstellung wurde als wirklichkeitsnah empfun-den und die resultierenden Sichteinschränkungenwie bei echtem Nebel erlebt. Auch das vorausfah-rende Kolonnenfahrzeug wurde als relevant für daseigene Fahrverhalten angesehen. Die Versuchsper-sonen gaben häufig an, sich an dem vorausfahren-den Fahrzeug orientiert zu haben, allerdings beiklarer Sicht genauso wie im Nebel. Insoweit trifftdie Annahme SCHÖNBACHs zu, dass das Verhal-ten anderer Fahrer als relevant für die eigene Ori-entierung erlebt wird. Möglicherweise wird die ei-

gene Orientierung in Abhängigkeit von anderenFahrern unter Nebel nur bewusster als bei Klar-sicht. Lediglich das nachfolgende Kolonnenfahr-zeug erwies sich als nicht handlungsrelevant. DieTeilnehmer beachteten es kaum und gaben zu-meist an, dass es keinen Einfluss auf ihr Fahrver-halten hatte. Bezüglich des nachfolgenden Fahr-zeugs lässt sich also keine Aussage hinsichtlichder SCHÖNBACH-Hypothese machen. Die gefun-denen Sogeffekte bei einem vorausfahrendenFahrzeug stehen dagegen mit den Vorhersagen derSCHÖNBACH-Hypothese in Zusammenhang. DieTatsache, dass der Sogeffekt auch bei klarer Sichtund kaum mit zunehmendem Nebel verstärkt auf-tritt, stellt die von SCHÖNBACH gelieferte Begrün-dung in Frage.

Die parallele Erhebung von Simulator- und Realda-ten erwies sich als besonders aufschlussreich.Hervorgehoben sei der übereinstimmende Befundbeider Datenquellen, dass Einzelfahrer höhereFahrgeschwindigkeiten aufweisen als Fahrer mitvorausfahrendem Fahrzeug. Was am Simulatorzunächst als Artefakt erscheinen mag, stellt sichbei Kenntnis der Befunde für den Fahrer auf derAutobahn als real heraus. Dies spricht für die Vali-dität der Simulationsanordnung. Vergleichbar sindebenfalls die absoluten Fahrgeschwindigkeiten.Beobachtete Abweichungen sind erklärbar. Diedurchschnittlichen Fahrgeschwindigkeiten für Ein-zelfahrten unter Klarsichtbedingung liegen im Fahr-simulator etwas höher als bei vergleichbaren Real-bedingungen: um 145 km/h im Fahrsimulator und126 km/h auf der Autobahn (Pkw, Kontrolltag, sieheTabelle 24). Der Grund dafür mag in der reiz- undereignisärmeren Simulationsdarstellung und indem für viele Versuchspersonen ungewöhnlichstark motorisierten Versuchsfahrzeug gesehenwerden.

Im Fahrsimulator, wie im realen Verkehr, wird dieGeschwindigkeit unter Nebel deutlich gesenkt unddies (weit gehend) unabhängig von der Fahrtbedin-gung, ob Einzelfahrt oder Kolonnenfahrt. Die Ge-schwindigkeitsreduktion bei Nebel ist unter demAspekt der Sicherheit allerdings nicht ausreichend.Was die Daten aus dem realen Verkehr auf Auto-bahnen mit einer Messinduktionsschleife nichtoffen legen, sind die aus den Fahrsimulatordatenerkennbaren Oszillationen der Fahrgeschwindigkeitmit zunehmendem Nebel, die sich bei einem vo-rausfahrenden Fahrzeug noch verstärken. Anhandder eigenen Daten lässt sich eine Reihe von Alter-nativ-Hypothesen diskutieren.

85

Page 87: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

7.1.4 Verkehrssimulation

Die von SCHÖNBACH angeregten und von unsdurchgeführten Simulatoruntersuchungen sindzunächst darauf angelegt, das Verhalten einzelnerFahrer im verkehrlichen Kontext bei Nebel zu un-tersuchen. Die Auswirkungen dieses Verhaltens aufden gesamten Verkehrsfluss sind damit noch nichtbekannt. Darauf zielt jedoch letztlich die Fragenach der Ursache von Massenunfällen ab. Insofernwar es konsequent, in einem weiteren methodi-schen Schritt die Verkehrssimulation mit Eingabeder Simulatordaten vorzusehen.

In dem Fahrermodell PELOPS reagiert der Fahrerbei Klarsicht nicht nur auf das unmittelbar voraus-fahrende Fahrzeug, sondern auch auf den Vor-Vo-rausfahrenden. Die Reaktion auf das Vor-Vorder-fahrzeug ist bei geringer Sichtweite ausgeschlos-sen, sodass Reaktionen nur auf das Vorderfahr-zeug möglich sind und wegen der sich addieren-den Reaktionszeiten zeitlich verzögert auf voraus-gehende Ereignisse in der Kolonne erfolgen. Da-durch entsteht eine Phasenverschiebung derSchwingung der Geschwindigkeit in der Kolonneund damit kommt es zu einer Instabilität der Ko-lonne: Geringfügige Reaktionen auf das Vorder-fahrzeug am Anfang der Kolonne haben große Re-aktionen am Ende der Kolonne zur Folge.

Hinzu kommt, dass die Fahrer unter Nebel die Ge-schwindigkeit deutlich stärker variieren als unterKlarsicht. Die Häufigkeit der Geschwindigkeitsva-riation (Periode) bleibt hierbei gleich, das Ausmaßder Geschwindigkeitsvariation nimmt aber signifi-kant zu. Somit ist unter Nebel zum einen der Reak-tionshorizont durch mangelnde Voraussicht einge-schränkt und zum anderen nehmen die Störungenim Verkehrsfluss zu.

In das Verkehrsflussmodell wurden nun zentraleParameter des Fahrverhaltens im Simulator einge-geben und geprüft, inwieweit in ausgewählten Ver-kehrsszenarien mit abnehmender Sichtweite si-cherheitskritische Situationen – niedrige Time toCollision und hohe Verzögerung – oder sogar Un-fälle auftreten. Wie vorhergesagt, erhöht sich beiNebel die Unfallgefahr aufgrund der Merkmale desim Fahrsimulator beobachteten Fahrverhaltens. DieHäufigkeit sicherheitskritischer Situationen ist er-höht und Unfälle treten ein, wenn es zu einerStörung am Anfang der Kolonne kommt: Es bildensich Stauwellen, sodass es am Ende der Kolonnebei der beobachteten Wunschgeschwindigkeit

unter Nebel und dem generellen Nachfolgeverhal-ten der Fahrer unvermeidlich zu Unfällen kommt.Aufschlussreich ist, dass Unfälle nicht durch Fahrermit „geringem Sicherheitsbedürfnis“ verursachtwerden, sondern es sind die allgemeinen Parame-ter des Fahrverhaltens wie Wunschgeschwindig-keit und Anschlussverhalten, die zusammen mitZufallsfaktoren im System des Verkehrsflusses zurUnfallgefährdung beitragen.

7.2 Alternativ-Hypothesen

7.2.1 Fehleinschätzung der Fahrgeschwindig-keit bei Nebel

Die eigene Untersuchungsplanung war von einerdie SCHÖNBACH-Hypothese ergänzenden Annah-me ausgegangen, nämlich dass unter Nebel eineintern repräsentierte Zielgeschwindigkeit aufgrundperzeptiver Täuschung nicht eingehalten wird. DasFahren unter Nebel wird vielfach charakterisiertdurch reduzierte Wahrnehmung von Geschwindig-keitshinweisen (insbesondere im peripheren visuel-len Feld), erhöhte Aufmerksamkeitsfokussierungauf den zentralen Verkehrsraum und eine damiteinhergehende Unterdrückung von ablenkendenBlicken zum Tachometer. Die Untersuchung vonSNOWDEN et al. (1998) schien den Einfluss dieserFaktoren auf die Fahrgeschwindigkeit voll zu be-stätigen. Die Autoren untersuchten explizit dasFahren einer vorgegebenen Richtgeschwindigkeit(ohne Tachokontrolle) bei Klarsicht und zwei Nebel-bedingungen. Die von ihnen verwendete Fahrsimu-lation mit Lenkrad und Pedalerie vor einer Bild-schirmdarstellung entsprach zwar nicht den heuti-gen Möglichkeiten der Fahrsimulationstechnik. DerBefund allerdings, dass mit abnehmender Sicht-weite anstelle der eingeübten Richtgeschwindig-keit zunehmend schneller gefahren wird, konntedurch einen Parallelbefund zur Schätzung derFahrgeschwindigkeit eines Fremdfahrzeuges unterverschiedenen Sichtbedingungen erhärtet werden.Die Geschwindigkeit des Fremdfahrzeugs wurdemit abnehmender Sichtweite unterschätzt. Diesinnvoll aufeinander bezogenen Befunde warenauch deshalb überzeugende Belege für die Hypo-these der Fehleinschätzung der Zielgeschwindig-keit, weil sie in gleicher Weise für drei unterschied-liche Richtgeschwindigkeiten gefunden wurden. Sohätte man nach den Befunden von SNOWDEN etal. erwartet, dass auch in unseren Untersuchungen – relativ unabhängig von der konkreten Operatio-nalisierung – die nach Abstellen der Tachokontrolle

86

Page 88: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

zu fahrende Richtgeschwindigkeit unter Nebel ansteigt. Alle Bemühungen, den Befund zu repli-zieren, waren erfolglos. In den eigenen Replikati-onsuntersuchungen mit verschiedenen vergleich-bar einfachen Simulationsanordnungen wie beiSNOWDEN et al. als auch im Fahrsimulator vonWürzburg ließ sich der Effekt für keine der vorge-gebenen Richtgeschwindigkeiten (48 km/h, 80 km/h und 112 km/h) zeigen. Im Gegenteil, dieFahrer konnten ziemlich genau die vorgegebeneRichtgeschwindigkeit einstellen. Dies ist wahr-scheinlich auf die zusätzliche kinästhetische Rück-meldung von Beschleunigungen im WürzburgerFahrsimulator zurückzuführen, die bei der Ver-suchsanordnung von SNOWDEN nicht realisiertwurde.

Das bedeutet nun nicht, dass die genannten per-zeptiven Faktoren, wie Geschwindigkeitswahrneh-mung, Aufmerksamkeitsfokussierung und Tacho-kontrolle, keine Rolle beim Fahren mit frei gewähl-ter Geschwindigkeit spielen.

Die Tatsache, dass Fahrer im Fahrsimulator ihre freigewählte Fahrgeschwindigkeit der Sichtbedingunganpassen, unterstreicht zunächst einmal, dasswährend des Fahrens perzeptive Faktoren beimAbgleich von Regel- und Stellgrößen sehr wohlwirksam sind. Es ist dann nahe liegend, auch dieAbweichungen der frei gewählten von der sicher-heitsangemessenen Fahrgeschwindigkeit zunächsthinsichtlich perzeptiver Faktoren zu analysieren.Die Höhe der frei gewählten Fahrgeschwindigkeitwurde, ähnlich wie von SNOWDEN et al. postuliert,systematisch um 20-30 km/h unterschätzt. DasAusmaß dieser Unterschätzung war, ebenfalls inÜbereinstimmung mit SNOWDEN, im Nebel ten-denziell (statistisch nicht signifikant) höher als beiklarer Sicht.

7.2.2 Generelle sichtbezogene Fehlanpassungder Geschwindigkeit

Bewusst wurde in den eigenen Untersuchungendas Fahren in der Kolonne, wie von SCHÖNBACHthematisiert, kontrolliert durch die Einzelfahrt.Damit wird unterstellt, dass es zu generellenFehlanpassungen bei Nebel kommen kann, unab-hängig davon, ob man alleine oder zusammen mitvorausfahrenden und/oder nachfolgenden Fahr-zeugen fährt.

Die Befunde bestätigen die Richtigkeit dieses Ansatzes. Zunächst ist festzustellen, dass Einzel-und Kolonnenfahrer ihre Geschwindigkeit bei

Sichteinschränkung durch Nebel vergleichbar ver-mindern. Das Ausmaß dieser Verminderung scheintbei beiden Gruppen jedoch nicht hinreichend. Diemittleren Fahrgeschwindigkeiten liegen bei Nebelimmer höher als für die Sichtweiten angemessen.Die Beurteilung dieses Sachverhalts ist jedoch in der Fahrsimulation – wie auch in der Realsitua-tion – äußerst problematisch, weil die Grenze der Erkennbarkeit des vorausfahrenden Fahrzeugsschwer zu bestimmen ist. Zum einen kann die Er-kennungsschwelle für das vorausfahrende Fahr-zeug wesentlich niedriger liegen als mit den expe-rimentell definierten Sichtweiten unterstellt. Dasheißt, die Fahrer – oder einige der Fahrer – sehendas vorausfahrende Fahrzeug noch mit einemgrößeren Abstand als 80 oder 50 m. Zum anderenkönnte eine eindeutige Aussage über sicherheits-unangemessene Fahrgeschwindigkeit dann ge-macht werden, wenn in der Fahrsimulation der ge-naue Zeitpunkt des Verschwindens des voraus-fahrenden Fahrzeugs festgelegt würde. In nachfol-genden Untersuchungen sollte deshalb der Fahrt-verlauf so programmiert werden, dass das voraus-fahrende Fahrzeug – in der Nebelsimulation glaub-haft – faktisch verschwindet und bei Annäherungfaktisch wieder dargeboten wird. Damit wäre eineindeutiges On/off-Kriterium gegeben.

In den Modellexperimenten wurden die Fahrtenimmer bei vorgegebener Sichtweite begonnen undbeendet. Das heißt, die Testfahrt wurde entwederganz bei Klarsicht oder ganz bei Nebel durch-geführt. Es könnte unterstellt werden, dass dieunter diesen Bedingungen beobachteten Fahr-geschwindigkeiten nicht vergleichbar sind mitdenen, die man beim Hineinfahren in den Nebeloder Herauskommen aus dem Nebel beobachtet.Deshalb wurde in einem Kontrollexperiment geprüft, wie schnell Einzelfahrer aus der Klarsichtin den Nebel hineinfahren, wie sehr sie ihr Fahrzeugim Nebel verlangsamen und auf welche Geschwin-digkeit sie bei Austritt aus dem Nebel beschleu-nigen. Die Daten belegen, dass Ausgangs- undEndgeschwindigkeiten im Nebel vergleichbar mitdenen sind, die man in den vergleichenden Unter-suchungen mit konstanten Sichtbedingungen fin-det. Allerdings ist noch nicht untersucht, ob dies auch für Kolonnenfahrer gilt. Da die SCHÖN-BACH-Hypothese, deren Überprüfung das vor-rangige Ziel der Untersuchungen war, sich auf das Verhalten bei konstanter Sichtbedingung be-zieht, wurde dieser Aspekt zunächst ausgeklam-mert.

87

Page 89: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

7.2.3 Generelle kolonnenbezogene Fehlanpas-sung der Fahrgeschwindigkeit

Die vorliegenden Befunde können als Beleg dafürgewertet werden, dass – unabhängig von derSichtbedingung und damit im Gegensatz zurSCHÖNBACH-Hypothese – das eigene Fahrver-halten durch das anderer Fahrzeuge beeinflusstwird. Konkret belegt ist dies für das Nachfolgen beiBeschleunigung des vorausfahrenden Fahrzeugs.Bei Nebel oder Klarsicht gibt es Fahrer, die demdavonfahrenden Fahrzeug in einzelnen Situationenfolgen. Die Ursache dafür kann in der Unsicherheitüber die Konstanz der eigenen Fahrgeschwindig-keit vermutet werden. Wenn der Abstand sich ver-größert, scheint ungewiss zu sein, durch wen dieAbstandsvergrößerung herbeigeführt wurde. Zu-mindest bei der geringeren Beschleunigung um 15 % haben die Fahrer häufig – nach ihren eigenenAussagen – die Geschwindigkeitserhöhung desVordermanns nicht bemerkt.

7.2.4 Oszillation der Fahrgeschwindigkeit beiSichtbehinderung

Der markanteste Befund der Untersuchung betrifftdie zunehmende Oszillation der Fahrgeschwindig-keit bei stärker werdendem Nebel, dies sowohl beiEinzel- als auch bei Kolonnenfahrern, bei Kolon-nenfahrern aber stärker. Hierin kann eine wesentli-che Ursache für das Entstehen kritischer Auffahrsi-tuationen im Nebel gesehen werden.

Offensichtlich wirkt die Sichtbeschränkung durchden Nebel ähnlich wie ein vorausfahrendes Fahr-zeug. Die Fahrer regulieren ihren Abstand zurSichtgrenze so wie in den Modellen für das Kolon-nenfahren (vgl. DIEKAMP, 1995) beschrieben,wobei die Sichtgrenze unter Nebelbedingungenschwer zu bestimmen ist. Die Tatsache, dass dasOszillieren bei einem vorausfahrenden Fahrzeugzunimmt, spricht dafür, dass die Distanzwahrneh-mung unter Nebel labiler ist. Wenn das Pendeln derGeschwindigkeit schon bei konstanter einge-schränkter Sichtweite in Einzelfahrten auftritt, dannmuss es verstärkt unter realen Verkehrsbedingun-gen mit wechselnder Sichtweite bei Nebel (aufzie-hende Nebelschwaden) erwartet werden. Kommtdann noch das Fahren in einer Kolonne hinzu, addieren sich die Effekte und das Pendeln der Ge-schwindigkeiten schaukelt sich weiter auf.

Die Verkehrssimulation mit dem Fahrermodell PE-LOPS hat die Bedeutung des Oszillierens für dieKolonneninstabilität besonders klar herausgestellt.

An dieser Stelle muss hervorgehoben werden, dassunseres Wissens zum ersten Mal das unter Nebelverstärkt oszillierende Verhalten beobachtet undseine Auswirkung auf den Verkehrsfluss in einemModell simuliert wurde. Weitere Untersuchungenmit methodisch eigens auf die Beobachtung derOszillationen konzipierten Untersuchungsanord-nungen scheinen geboten.

7.2.5 Fahrertypbezogenes Fehlverhalten

Es gibt in der Literatur eine Reihe von Fahrertypen-klassifizierungen für unterschiedliches Fahrverhal-ten. RICHTER (2002) hat eine nebelspezifischeKlassifizierung vorgenommen, die hier aufgegriffenwerden soll. RICHTER unterscheidet aufgrund vonSelbsteinstufungen zum Fahrverhalten und statisti-schen Analysen (Faktoren- und Clusteranalysen)vier Fahrergruppen, den nebelunsicheren Fahrer,den offensiven Fahrer, den autonomen Fahrer undden vorausschauenden Fahrer. Die ersten beidenGruppen sind dabei größer als die letzteren beidenGruppen. In unserer Modelluntersuchung 1 und 2haben wir festgestellt, dass die gewählten An-fangsgeschwindigkeiten stark variieren. Darüberhinaus zeigte sich, dass nur wenige Fahrer sich inihrem Nachfolgeverhalten konsistent über die Fahr-ten verhalten. Das Nachfolgen variiert über Perso-nen und Situationen. Die eigenen Daten rechtferti-gen nicht eine Fahrerstiltypisierung. Generell sindsolche Typisierungen und Verallgemeinerungen aufPersönlichkeitskonstrukte nur bedingt geeignet,Verhalten in konkreten Situationen vorherzusagen.Die Ergebnisse der Verkehrssimulation haben ge-zeigt, dass die unter „Sicherheitsbedürfnis“ defi-nierte Variation des Fahrverhaltens keinen Er-klärungsbeitrag für das Auftreten sicherheitskriti-scher Ereignisse und Unfälle hat. Deshalb ist eszielführender, jeweils die das Verhalten bedingen-den situativen Faktoren – Sichtweite, Verkehrsstär-ke, Fahrverhalten anderer – zum Ausgangspunktder Vorhersage zu machen.

7.3 Bedingungsfaktoren von Massen-unfällen bei Nebel

7.3.1 Erklärungsmuster für das Fehlverhalten

Es findet sich keine empirische Bestätigung für dieAnnahme, dass Nebelunfälle vorrangig entspre-chend der Druck-Sog-Hypothese von SCHÖN-BACH zustande kommen, wonach Fahrer zuschnell fahren und zu dicht auffahren, weil sie dem

88

Page 90: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

vorausfahrenden Fahrzeug (Sog) als Orientierungs-hilfe im Nebel folgen und sich von dem nachfol-genden drängenden und mit dessen Scheinwerfer-licht lästigen Fahrzeug (Druck) entfernen wollen.

Die eigenen Befunde zum Fahrverhalten im Fahrsi-mulator, zum Fahrverhalten auf der Autobahn undzum Verkehrsfluss im Simulationsmodell machendeutlich, dass es sinnvoll ist, von einem insgesamtbreiteren als dem von SCHÖNBACH vorgeschla-genen Erklärungsansatz auszugehen. Unsere Un-tersuchungen schließen nicht aus, dass die vonSCHÖNBACH postulierten Wirkzusammenhängeunter bestimmten Bedingungen und bei bestimm-ten Personen zum Tragen kommen können. Im Ge-samtkomplex scheinen sie jedoch eine untergeord-nete Rolle zu spielen.

Die Befunde unserer Untersuchungen stellen viel-mehr den Sachverhalt heraus, dass das Muster derKombination von Verhaltensanpassungen im Nebelsicherheitsgefährdend ist. Was wir beobachten,sind weit gehend automatisierte Verhaltensanpas-sungen an Behinderungen vorausschauenden Fah-rens (Sichtweite) und an das Verhalten anderer (beiNebel und Klarsicht). Die Fahrer reagieren – ver-nünftigerweise – im Nebel mit Geschwindigkeitsre-duktion und Abstandsvergrößerung. Sie reagierenim Nebel wie bei Klarsicht auf das Fahrverhaltenanderer. Beschleunigt der vorausfahrende Fahrer,besteht – abhängig vom Geschwindigkeitsbereich– die Tendenz, ihm zu folgen. Die Verhaltensanpas-sungen sind unter dem Sicherheitsaspekt unzurei-chend. Dies bestätigt sich in der Verkehrssimulati-on, gibt man die Parameter des Fahrverhaltens –statistische Verteilung von Geschwindigkeit undAbstand – bei verschiedenen Sichtweiten für Ein-zel- oder Kolonnenfahrten und über die Fahrt-strecke/-zeit ein. Warum wird sicherheitsunange-messen gefahren? Auf diese Frage gibt es zweieinfache, durch die Verhaltenswissenschaft empi-risch belegte Antworten.

Erstens, die Verhaltensanpassungen sind in ihrerKombination wenig (miss-)erfolgskontrolliert. DerUnfall tritt zu selten ein und Beinahunfälle werdennicht erkannt. Unfälle sind als seltene Ereignissevon einer Vielzahl von Zufallsfaktoren abhängig.Das heißt, es fehlt die Erfahrung, welches Verhaltendas Unfallrisiko erhöht. Der Einzelfahrer, der beiNebel mit durchschnittlich höherer Geschwindig-keit als der Fahrer in der Kolonne fährt, hat in derperzeptiv sehr eingeschränkten Situation keine Er-fahrung über die Folgen. Die in der Verkehrssimu-

lation bei Nebel beobachtete Häufung von sicher-heitskritischen Situationen – zu kurze Zeitlücke undstarke Bremsung – ist dem Fahrer in der Kolonnenicht bewusst. Auch hier fehlt ihm vor allem auf-grund der eingeschränkten Wahrnehmung beiNebel die zutreffende Einschätzung der Situation.Er erfährt nicht die möglichen Konsequenzen sei-nes Fahrverhaltens als Fahrer in einer bei Nebelunüberschaubaren Kolonne. Die Miss-/Erfolgskon-trolle ist vergleichbar nicht vorhanden wie beiplötzlichen Behinderungen in uneinsichtigen Kur-ven, vor Bergrücken und beim Nachfolgen einessichteinschränkenden Lkw.

Zweitens, die Verhaltensanpassungen selbst sindnur unzureichend bewusst, weil – insbesondereunter Nebel – die perzeptive Rückmeldung einge-schränkt ist. Die Schätzung der absoluten Höheder Geschwindigkeit ist unzureichend: Bei fehlen-der Tachokontrolle wird die eigene Fahrgeschwin-digkeit unterschätzt. Der Grund dafür ist, dass diebei Klarsicht vorhandenen Fahrraum-Signale derGeschwindigkeitswahrnehmung bei Nebel fehlen.Hinzu kommt, dass die Autotechnik zur Erhöhungdes Fahrkomforts nicht visuelle Geschwindigkeits-signale (Geräusche, Rütteln) unterbindet. Dass dieeigene Fahrgeschwindigkeit bei Nebel oszilliert,wird nicht bemerkt. Das Oszillieren von Geschwin-digkeit und Abstand beim Folgen eines beschleuni-genden Vorderfahrzeugs ist als Verhaltensadaptati-on unter den gegebenen Wahrnehmungsein-schränkungen erklärbar: Die Erkennbarkeits-schwelle für das vorausfahrende Fahrzeug ist beiNebel erhöht, sodass ein gleicher Abstand nichtgehalten werden kann. Mal fährt man zu nah heran,mal entfernt man sich zu weit. Aus unseren Unter-suchungen gibt es Hinweise, dass Fahrer nicht ihreigenes Fahrverhalten, sondern das des voraus-fahrenden Fahrers verantwortlich machen, wennsie Schwankungen im Fahrverhalten bemerken.Selbst wenn das Vorderfahrzeug in der Fahrsimula-tion konstant fährt, wird ihm die Oszillation des ei-genen Fahrverhaltens zugeschrieben.

Ursächlich für Fehlverhalten im Nebel ist demnachweniger, dass sich die Fahrer im Nebel anders ver-halten als bei klarer Sicht, sondern vielmehr dassVerhaltensweisen, die bei guten Sichtverhältnissensinnvoll und ungefährlich sind, im Nebel unreflek-tiert beibehalten werden und hier zu einem Gefähr-dungspotenzial führen. Routinen, die bei klarerSicht automatisiert ablaufen, werden in den für diemeisten Autofahrer seltenen Nebelsituationen nicht

89

Page 91: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

aufgebrochen und durch eine bewusst gesteuerteVerhaltensänderung ersetzt.

7.3.2 Erklärungsansatz zur Entstehung vonMassenunfällen im Nebel

Auch wenn derzeit, wie oben erwähnt, in einigenPunkten noch Forschungsbedarf besteht, so lässtsich doch auf Basis der Befundlage eine schlüssi-ge Erklärung zur Entstehung von Massenunfällenbei Nebel geben, die eine deutliche Erweiterungder SCHÖNBACH-Hypothese darstellt:

1. Die Fahrgeschwindigkeit bei Nebel wird zwarsowohl bei Kolonnenfahrten als auch bei Einzel-fahrten reduziert, aber nicht in einem sichtange-messenen Umfang. Es wird schneller gefahren,als man im Sichtbereich noch anhalten könnte.

2. Es gibt eine Tendenz zur verstärkten Kolonnen-bildung unter Nebel. Dies kann im Sinne derSCHÖNBACHschen Theorie gewertet werdenund durch soziale Vergleichs- und Orientie-rungsprozesse verursacht sein. Die Zeitlückenliegen aber meist in einem Bereich von 1-3 Se-kunden und sind somit nicht per se als sicher-heitskritisch zu werten (die empfohlenen Zeit-lücken der StVO liegen bei 1,8 Sekunden, abererst Zeitlücken unter 0,9 Sekunden werden po-lizeilich als sicherheitsgefährdent geahndet).

3. Die Oszillation der Fahrgeschwindigkeit nimmtunter Nebel drastisch zu. Bei gleichzeitigerSichteinschränkung ist ein Aufschwingen derVariabilität der Kolonnengeschwindigkeit unver-meidlich. So kommt es zu extremen Verzöge-rungswerten, die noch dazu nicht voraussehbarsind.

Allein der 3. Punkt würde schon ausreichen, umMassenunfälle bei Nebel zu erklären. Bedenkt mandann noch die größeren Kolonnen im Nebel – teilserklärt durch die theoretischen Annahmen SCHÖN-BACHS –, erhöht sich die Unfallwahrscheinlichkeitstatistisch gesehen erneut. Denn so gibt es mehrSituationen (Kolonnenfahrten), in denen das Oszilla-tionsproblem zum Tragen kommen kann. Kommenletztlich noch schnelle Einzelfahrer hinzu, die nichtfähig sind, innerhalb ihrer Sichtweite anzuhalten,und zudem auch nicht mit fast stehenden (weil os-zillierenden) Kolonnen rechnen – da sie sich ja allei-ne auf der Autobahn fühlen und keinen Grund füreine Verkehrsbehinderung sehen –, so ist es fastschon verwunderlich, dass es nicht noch häufigerzu Unfällen im Nebel kommt. Dieses komplexe Wir-

kungsgefüge von drei verschiedenen Faktoren isteher dazu geeignet, das Zustandekommen vonMassenunfällen im Nebel zu erklären, als die alleinauf soziale Vergleichsprozesse reduzierte Theorievon SCHÖNBACH.

7.3.3 Offene Fragen

Die Befunde führen unserer Einschätzung nacheinen wesentlichen Schritt über unsere bisherigenErkenntnisse hinaus. Sie werfen jedoch zugleicheine Reihe von offenen Fragen auf, die mit der Wei-terentwicklung von Fahrerverhaltensmodellen undSimulationstechniken zusammenhängen.

Die Entwicklung adäquater Fahrerverhaltensmo-delle erfährt derzeit vor dem Hintergrund modernerFahr- und Verkehrsfluss-Simulationstechnikeneinen Aufschwung. Die eigenen Daten gehen in dieKonzeption eines Fahrerverhaltensmodells (PE-LOPS) ein. Daten aus anderen Verhaltensuntersu-chungen – auch mit angrenzender Thematik, wieSichtbehinderung durch Fahrzeuge, Baustellen u.a., oder Fahrverhalten in Interaktion mit anderenVerkehrsteilnehmern (z. B. aggressives Fahren) –werden ebenso aufgenommen. So werden Fahrer-verhaltensmodelle durch Einbau verhaltenswissen-schaftlich neu gewonnener Erkenntnisse modifi-ziert und erweitert, um die Vorhersagen zu verbes-sern. Die von uns erhobenen Daten sind deshalbbezüglich ihres Stellenwertes für die Vorhersage inaktualisierten Fahrerverhaltensmodellen jeweilsneu zu bestimmen.

Unsere Untersuchungen waren explizit nicht daraufangelegt, das zeitliche Fahrverhaltensmuster zuuntersuchen. Deshalb richten sich Fragen auf dieEntstehungs- und Begrenzungsbedingungen vonOszillationen. Fahrsimulationen – als die Methodeder Wahl – sollten verstärkt genutzt werden, umdas zeitliche Fahrverhaltensmuster genauer studie-ren zu können. Insbesondere sollte die Dynamik,mit der sich der Aufschaukelungsprozess ent-wickelt, analysiert und die resultierenden Differenz-geschwindigkeiten genauer quantifiziert werden.

7.4 Empfehlungen

7.4.1 Ausgangspunkt und Zielsetzung

Ausgangspunkt des Projektes war die Erwartung,dass bei einer empirischen Bestätigung sozialer Ri-sikofaktoren für Nebelfahrten hierfür geeignetepräventive Maßnahmen empfohlen werden könn-

90

Page 92: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

ten. Die Prüfung der sozialpsychologischen Hypo-thesen zusammen mit Alternativhypothesen er-brachte Ergebnisse, die diese Erwartung nicht stüt-zen. Die Befunde sind Basis für generelle Aussagenüber die Entstehung unangepassten Fahrverhal-tens bei Nebel und fokussieren damit andere Ziel-setzungen bei der Entwicklung von Maßnahmenzur Prävention von nebelbedingten Massenunfäl-len:

· Was wir beobachten, sind weit gehend automa-tisierte Verhaltensanpassungen, hier Anpassun-gen an Behinderungen vorausschauenden Fah-rens (Sichtweite) und an das Verhalten andererFahrer im Verkehr (Kolonnenfahren, Folgever-halten).

· Diese Verhaltensanpassungen sind in ihrerKombination wenig (miss-)erfolgskontrolliert.Der Unfall ist „nicht abzusehen“, er tritt zu sel-ten auf. Es fehlen Risikohinweise dafür, dass diegewohnten Verhaltensadaptationen in der ge-gebenen Situation unangemessen sind.

· Zumindest einige der Verhaltensanpassungenselbst sind nur unzureichend bewusst (aware-ness), weil – insbesondere unter Nebel – dieperzeptive Rückmeldung eingeschränkt ist (Ge-schwindigkeit, Abstand) oder überhaupt nichtbesteht (Oszillation).

Die Maßnahmen müssen darauf gerichtet sein,

· das „unbekümmerte“ Fahren im automatisiertenModus zu blockieren und regel- und wissenba-siertes Wissen anzustoßen,

· die Konsequenzen des eigenen Fahrverhaltens– im Vorfeld von Beinahunfällen und Unfällen –erfahrbar zu machen und

· das eigene Fahrverhalten – Geschwindigkeit,Abstand, Oszillation – über Rückmeldung er-fahrbar zu machen.

7.4.2 Optionen und Empfehlungen für Maß-nahmen

Diese Ziele können über die unterschiedlichenMaßnahmenbereiche verfolgt werden.

Rechtlicher Bereich

Einige Regelungen in der StVO und der StZVO sindzu bedenken. Die StVO regelt im § 3 die Geschwin-digkeit und im § 4 den Abstand. In Bezug auf Ge-schwindigkeit wird explizit eine Konkretisierung für

das Fahren bei eingeschränkter Sichtweite vorge-nommen: „Beträgt die Sichtweite [...] weniger als 50 m, so darf er [der Fahrzeugführer] nicht schnel-ler als 50 km/h fahren, wenn nicht eine geringereGeschwindigkeit geboten ist.“ Im abstandbezoge-nen § 4 fehlt eine vergleichbare Konkretisierung.Dabei ist die Zeitlücke die kritischere Variable. Fürsie wäre eine Präzisierung denkbar. Im § 17 derStVO wird die Beleuchtung geregelt, u. a. das Ein-schalten der Nebelschlussleuchte. Obwohl Nebel-schlussleuchten in der StVZO vorgeschrieben sind,fehlt eine positive Formulierung, wann sie einzu-schalten sind. Negativ formuliert heißt es: „Nebel-schlussleuchten dürfen nur dann benutzt werden,wenn durch Nebel die Sichtweite weniger als 50 mbeträgt“ (§ 17 Absatz 3).

In der StVZO (§ 53d) wird offen gelassen, ob eineoder zwei Nebelschlussleuchten eingebaut wer-den. Die hierzu geführte Diskussion, ob ein oderzwei Leuchten aus perzeptiver Sicht besser sind,scheint offenbar nicht abgeschlossen zu sein. Ausunserer Sicht ist anzumerken, dass erst durch dasSehen zweier Bezugspunkte (zwei Leuchten) undderen Position relativ zueinander während derAnnäherung der Abstand eingeschätzt werdenkann. Eine Leuchte markiert zwar ein Hindernis,dessen Abstand aber, gerade unter den einge-schränkten Sichtbedingungen bei Nebel, nicht gutgeschätzt werden kann.

Polizeiliche Überwachung

Das Problem mangelnder negativer Konsequenzenfür unangemessenes Fahren bei Nebel könnte an-satzweise durch verstärkte polizeiliche Geschwin-digkeitskontrollen angegangen werden. Kontrollenbei schlechter Witterung in gefährdeten Regionenkönnten einen allgemeinen Effekt haben. Sind Ge-schwindigkeitsüberschreitungen mit Sofort-Sank-tionen verbunden, dann ist lernpsychologisch einehöhere Wirksamkeit zu erwarten.

Zur weiteren Verbesserung der Unfallursachenfor-schung wäre eine Präzisierung der Unfalldokumen-tation wünschenswert.

Straßenraum

Um die Wahrnehmung bei Nebel zu verbessern,sind besondere straßenbezogene Maßnahmen innebelgefährdeten Regionen denkbar. Abstands-markierungen auf der Straße können die Einschät-zung des Sichtabstandes erleichtern. Sie können

91

Page 93: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

insbesondere dazu genutzt werden, die Zeitlückezum vorausfahrenden Fahrzeug besser abzuschät-zen. Leuchtende Leitpfosten wären eine andere Al-ternative. Die Implementierung einer Fahrbahnbe-leuchtung könnte wegen des zusätzlichen Streu-lichtes kontraproduktiv sein.

Verkehrserziehung und -aufklärung

In den Fahrschulen kann die Ausbildung bezüglichFahrens bei Nebel verbessert werden. Die Unter-richtsmaterialien zur Fahrweise bei Nebel und inder Kolonne können dem neuesten Stand entspre-chend aktualisiert werden. Ein spezielles Trainingist vorstellbar: Zum Beispiel kann über CBT (Com-puter Based Training) das Fahren im Nebel mit er-fahrbaren Konsequenzen und Rückmeldung der ei-genen Fahrweise simuliert werden. Über Medienkann der Stand der aktuellen Forschung vermitteltund so können eingängige, aber unzutreffende Er-klärungsmuster überwunden werden. Auch an dieKonzeption eines Flyers ist zu denken, der bei ge-eigneten Gelegenheiten (z. B. polizeilichen Kontrol-len) verteilt wird.

Fahrerinformationssysteme und Fahrerassistenz-systeme

Mit zunehmender Weiterentwicklung und Markt-durchsetzung können FIS (Fahrerinformations-systeme) und FAS (Fahrerassistenzsysteme) einezentrale Rolle in der Prävention von Nebelunfällenbekommen. Über RDS-TMC (Radio Data System –Traffic Message Channel) können Warnungen undHandlungsempfehlungen gegeben werden. Man-gelnde perzeptive Rückmeldung bei Nebel kanntechnisch kompensiert werden. Bei Verbesserungder Sicht mittels Radar- und Infrarottechnik mussaber bedacht werden, dass dies die gefahrene Ge-schwindigkeit so ausgestatteter Fahrzeuge er-höhen wird, und es so zu einer höheren Variabilitätder Geschwindigkeit der Verkehrsteilnehmer ge-samt kommen kann, was die Unfallgefahr wiedererhöht.

Verkehrslenkung

Wechselsignalanlagen bieten die Möglichkeit,rechtzeitig zu warnen. Inwieweit weitere Informa-tion im Sinne konkreter Handlungsempfehlungenbei Nebel gegeben werden kann, sollte überdachtwerden.

7.4.3 Maßnahmenbewertung

Am 25. Juni 2003 fand ein Expertengespräch aufEinladung der BASt statt. An dem Gespräch betei-ligten sich – neben den Mitarbeitern am For-schungsprojekt und Vertretern aus den Fachberei-chen Verkehrspsychologie, Unfallforschung undStraßenverkehrstechnik – Experten von der Deut-schen Verkehrswacht, dem Deutschen Verkehrssi-cherheitsrat, der Polizei und des Bundesverkehrs-ministeriums. Ein Protokoll und eine Teilnehmerlistewurden von der BASt erstellt (siehe Anhang). ImFolgenden werden die wichtigsten Punkte der Dis-kussion wiedergegeben.

Zunächst wurde die Befundlage dargestellt und er-kannt, dass nicht die Druck-Sog-Hypothese vonSCHÖNBACH, sondern eine allgemeinere Konzep-tion der Unfallverursachung bei Nebel, wie sie zu-sammenfassend beschrieben wurde, Ausgangs-punkt für die Empfehlung von Maßnahmen seinmuss.

Die Bewertung der möglichen Maßnahmen erfolgteunter den Gesichtspunkten,

· ob sie kurzfristig oder erst langfristig umsetzbarsind,

· wie schnell sie greifen,

· ob sie ökonomisch vertretbar und durchsetzbarund

· ob sie technisch und organisatorisch durchführ-bar sind.

Prinzipiell werden technischen Systemen (FIS undFAS) große Chancen zugerechnet, deren Weiter-entwicklung und Marktdurchsetzung jedoch nochnicht abzusehen sind. Der Einsatz wird erst dannErfolg zeigen, wenn viele Fahrzeuge mit solchen Systemen ausgerüstet sind und damit im Fahr-zeugverband vergleichbares Fahrer- und Fahrzeug-verhalten gewährleistet ist.

Die Verbesserung der Sicht anhand der Straßenbe-schaffenheit (z. B. beleuchtete Pfosten) und derEinsatz von Wechselzeichenanlagen sind sehr Er-folg versprechend und mittelfristig umsetzbar, ausökonomischen Gründen jedoch auf wenige geeig-nete Streckenabschnitte beschränkt.

Ebenso mittelfristig Erfolg versprechend – aber kostengünstiger und flächendeckender zu realisie-ren – ist die Verkehrserziehung in Fahrschulen undFahrkursen. Den Fahrern muss ihr Fehlverhalten im

92

Page 94: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

Nebel zunächst bewusst gemacht werden. Hierbeikönnen computergestützte Trainingsmaßnahmenvon großer Bedeutung sein, da über die Fahrsimu-lation sowohl die Konsequenzen des Fahrverhal-tens bei Nebel als auch die Fahrweise selbst er-fahrbar werden.

Maßnahmen, die zu einem relativ kurzfristigen Er-folg führen können, sind die polizeiliche Geschwin-digkeits- und Abstandsüberwachung bei Nebelverbunden mit Sanktionen und direkter Aufklärung.Dies scheitert allerdings zurzeit an technischen undorganisatorischen Problemen, da die zur Verfügungstehenden Sichtweitenmesser keine rechtlich ver-wertbare Messung vornehmen und die Polizei beiden selten auftretenden Nebelereignissen meistbereits ausgelastet ist und keine zusätzlichen Ka-pazitäten für eine solche verkehrserzieherischeMaßnahme hat.

Eine Verkehrserziehung und Aufklärung über dieMedien sind Maßnahmen, die eine beständige Auf-gabe darstellen, von denen man aber nicht sichersein kann, wie weit sie greifen. Ziel sollte es hiersein, den Autofahrer dazu anzuregen, im Nebelseine gewohnten Fahrroutinen zu unterbrechenund zu reflektieren, in welcher Situation er sich be-findet. Diese Form von Bewusstmachung könnteunbewusst angewandten falschen Routinen in Ne-belsituationen entgegenwirken.

8 Literatur

BREHM, J. W. (1966): „A theory of psychologicalreactance. ”, New York: Academic Press

BRISBANE, G. (1992): „Driver behaviour during periods of restricted visibility“, Proceedings 16th

ARRB Conference, Part 4, 313-329

BRISBANE, G. (1994): „Speed modification – intelligent signs for the future“, Proceedings17th ARRB Conference, Part 5, 149-163

BRISBANE, G. (1996): „Driving in Fog – putting research into practice“, Proceedings Roads 96Conference, Part 5, 283-299

CAVALLO, V., COLOMB, M., DORÉ, J. (2000): „Laconduite dans le brouillard“, Réchèrche Transports Sécurité, 66, 81-99

CAVALLO, V., LAYA, O., LAURENT, M. (1986): „Theestimation of time to collision as a function of visual stimulation“, Vision in Vehicles, 1986,179-185

Deutscher Verkehrssicherheitsrat (DVR) (2000):„Elektronische Temporegelungen an Autobah-nen – hohe Akzeptanz“, Bonn, Pressemeldungvom 18. August 2000, www. dvr. de

Deutscher Verkehrssicherheitsrat (DVR), BOLTE, F.(2000): „Telematik gegen Unfälle“, Bonn, Pres-semeldung, www.dvr.de

DIEKAMP, R. (1995): „Entwicklung eines fahrzeug-orientierten Verkehrssimulationsprogramms“,Schriftenreihe Automobiltechnik, ika, Aachen

DURTH, W., BARK, A., LIPPOLD, C. (1995): “Überdie Unfallrelevanz von Nebelarten und den Sinnvon mobilen versus stationären Nebelwarnanla-gen“, Untersuchung im Auftrag der Adam OpelAG Rüsselsheim im Rahmen des PROME-THEUS-Programms, Darmstadt

DVR-REPORT (1995): „Schneller als die Natur er-laubt“, Zur Sache, DVR-Report, 4/95, 10-13

EDWARDS, J. (1999): „Speed adjustment of motorway commuter traffic to inclement weather“, Transportation Research Part F 2, 1-14

EHMANNS, D. (2000): „Simulationsmodell desmenschlichen Spurwechselverhaltens“, VDI/SAE/JSAE Gemeinschaftstagung, Der Fahrer im21. Jahrhundert, Berlin

FESTINGER, L. (1957): „A theory of cognitive dissonance”, Stanford: Stanford UniversityPress

GODTHELP, H. (1986): „Vehicle control duringcurve driving“, Human Factors, 28 (2), 211-221

HAWKINS, R. (1988): „Verkehrsverhalten auf Auto-bahnen unter Bedingungen eingeschränkterSicht“, Zeitschrift für Verkehrssicherheit, 34 (2),74-79

HOGEMA, J., van der HORST, R. (1995): „Evaluation of A16 motorway fog-signaling system with respect to driving behavior“, Transportation research record, 1573, 63-67

HOGEMA, J., van der HORST, R., van NITFTERICK, W., STOOP, J. (1996): „Evaluationof an automatic fog warning system“, Traffic Engineering and Control, November 1996, 629-632

ISHIMOTO, K., FUKUZAWA, Y., KAJIYA, Y., HAGIWARA, T., TAKEUCHI, M. (1993): „Visibility

93

Page 95: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

reduction caused by snow and its counter measures“, Vortrag nach ISHIMOTO, K., FUKUZAWA, Y., KAJIYA, Y., TAKEUCHI, M., HAGIWARA, T., KAKU, T. (1993): „Visibility reduction caused by snow and driver´s eye movements“, The proceedings of the 9th annualmeeting of Japan snow engineering society, 9-14 (in Japanese)

KIEGELAND P. (1996): „Fahrzeugführung imNebel“, Zeitschrift für Verkehrssicherheit, 42,(278-81)

KÜHNEN, M., BRÜHNING, E., SCHEPERS, A.,SCHMID, M. (1995): „Unfallgeschehen auf Au-tobahnen“, Berichte der Bundesanstalt fürStraßenwesen, Heft M 51

LAMBLE, D., LAAKSO, M., SUMMALA, H. (1999):„Detection thresholds in car following situationsand peripheral vision: implications for positioning of visually demanding in-car displays“, Ergonomics, 42 (6), 807-815

LENSING, N. (2003): Straßenverkehrszählung2000. Ergebnisse. Berichte der Bundesanstaltfür Straßenwesen. Bremerhaven: Wirtschafts-verlag NW

LERNER, M. (2002): „Nebelunfälle in Deutschlandin den Jahren 1995-1999”, Zeitschrift für Ver-kehrssicherheit, 48 (1), 27-29

LUDMANN, J. (1998): „Beeinflussung des Ver-kehrsablaufs auf Straßen – Analyse mit demfahrzeugorientierten Verkehrssimulationspro-gramm PELOPS“, Dissertation am Institut fürKraftfahrwesen der RWTH Aachen

NEUNZIG, D. (1996): „Erweiterung des Simula-tionsprogramms PELOPS zur Abbildung vonVerkehrsabläufen in Verdichtungsräumen“, Di-plomarbeit am Institut für Kraftfahrwesen derRWTH Aachen

NILSSON, L., ALM, H. (1993): „Effects of a visionenhancement system on drivers’ ability to drivesafely in fog“, Vision in Vehicles, September 9-11, 263-271

PAULMIER, G., PAUMIER, J.-L., SERRES, A.(1992): „La circulation et la visibilité par tempsde brouillard“, Bulletin Liaison Labo. P. et Ch.,178, 7-18

PAUMIER, J.-L., PAULMIER, G., DUBUISSON, J. S., DORÉ, J., COLOMB, M. (1991): „Visibility

in fog: fog chamber experiment comparisonwith model prediction“, CIE 22nd Sessio, Division 4, 66-67

RICHTER, S. (2002): „Einstellungen und Verhaltenbeim Fahren im Nebel“, Aachen: Shaker

RICHTER, S., SCHLAG, B. (1998): „Psychologi-sche Untersuchungen zu Nebelunfällen“, Be-richt zum BASt-FP 2.9110, Dresden

RICHTER, S., SCHLAG, B. (1999): „Wahrnehmungund Interaktion von Kraftfahrern bei Nebel“, 9-28, in: RICHTER, S., SCHLAG, B (Hrsg): Em-pirische Verkehrspsychologie, Berlin

ROSS, H. E. (1967): „Water, fog and the size-distance hypothesis.“ British Journal of Psychology, 58, 301-313

SCHLAG, B. (1988): „Sicherheitsrisiken bei jungenFahrern“, Report Psychologie, Januar 1988, 27-55

SCHMEDDING, K., SAAT, D., SCHAL, S. (1994):„Zur Tragweite von Beleuchtungseinrichtungenim Nebel“, Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik,1994/12, 341-343

SCHÖNBACH, P. (1996a): „Massenunfälle beiNebel“, Zeitschrift für Sozialpsychologie, 109-125

SCHÖNBACH, P. (1996b): „Soziale Risikofaktorenbei Nebelfahrten“, Ruhr-Uni Bochum. Unveröf-fentlichtes Exposé

SCHREUDER, D. (1991): „Motorway lighting underfog conditions“, Institute for Road Safety Research, Netherlands

SCHUPP, A., SCHLAG, B. (1999): „Das Risiko,einen Unfall zu verursachen – Analysen für Män-ner und Frauen, Beifahrerkonstellationen undAltersgruppen“, 112-132, in: RICHTER, S.,SCHLAG, B. (Hrsg): Empirische Verkehrspsy-chologie, Berlin

SHEPARD, F. (1996): „Reduced visibility due to fogon the highway“, Synthesis of Highway Practice228, Washington

SNOWDEN, R., STIMPSON, N., RUDDLE, R.(1998): „Speed perception fogs up as visibilitydrops“, Nature, 392, 450

Statstisches Bundesamt Deutschland (2003): Ver-kehr – Deutschland – „Ursachen von Unfällenmit Personenschaden“, www.destatis.de

94

Page 96: Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel · Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Risikoanalyse von Massenunfällen bei Nebel Mensch und Sicherheit Heft M 169 von Günter

STERN, J., SCHLAG, B. (1999): „Akzeptanz ver-kehrssicherheitsfördernder Maßnahmen beijungen Fahrern“, 246-266, in: RICHTER, S.,SCHLAG, B. (Hrsg): Empirische Verkehrspsy-chologie, Berlin

SUMMALA, H. (1998): „Accident risk and driver behaviour”, Safety Science, 22, 103-117

van der HULST, M., MEIJMAN, T., ROTHENGAT-TER, T. (1999): „Anticipation and the adaptivecontrol of safety margins in driving“, Ergonomics, 42 (2), 336-345

WEILKES, M. (2000): „Auslegung und Analyse vonFahrerassistenzsystemen mittels Simulation“,Dissertation am Institut für Kraftfahrwesen derRWTH Aachen

WIEDEMANN, R. (1974): „Simulation des Straßen-verkehrsflusses”, Schriftenreihe des Instituts fürVerkehrswesen der Universität Karlsruhe, Heft 8

95