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Riskante Forschung Zum Umgang mit Ungewißheit am Beispiel der Genforschung in Deutschland Eine sozial- und rechtswissenschaftliche Untersuchung Von Bernhard Gill, Johann Bizer und Gerhard Roller Gefördert im Rahmen des Programms "Recht und Verhalten" der VW-Stiftung (AZ II/69 244) Das Werk einschließlich aller seiner Teile sind urheberrechtlich geschützt. Copyright siehe nächste Seite.

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Riskante Forschung

Zum Umgang mit Ungewißheit am Beispiel der Genforschung in Deutschland

Eine sozial- und rechtswissenschaftliche Untersuchung

Von Bernhard Gill, Johann Bizer und Gerhard Roller

Gefördert im Rahmen des Programms "Recht und Verhalten"

der VW-Stiftung (AZ II/69 244)

Das Werk einschließlich aller seiner Teile sind urheberrechtlich geschützt. Copyright siehe nächste Seite.

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Inhalt

Vorwort 13

Kapitel 1: Einleitung 15 1.1. Praktische Problemexposition 15 1.2. Fachliche Problemexposition 22 1.3. Fragestellung der vorliegenden Untersuchung 30 1.4. Überblick über den Aufbau der Untersuchung 32

Kapitel 2: Risikodimensionen der Gentechnologie im Vergleich 35

2.1. Risiko- und Verantwortungsdimensionen der Forschung 35 2.1.1. Neuartige und bekannte Risiken 36 2.1.2. Selbst- und Fremdgefährdung 37 2.1.3. Natürliche und anthropogen erzeugte Risiken: Verantwortung

aufgrund von Handlungsabsicht 37 2.1.4. Verantwortung aufgrund von Reflexions- und Handlungsfähigkeit 38 2.1.5. Gesellschaftliche Bewertung des Handlungsziels 39 2.1.6. Vermehrungs- und Ausbreitungsfähigkeit als spezifische

Dimension biologischer Risiken 39

2.2. Biologische Risiken 40 2.2.1. ... am Beispiel des Umgangs mit Krankheitserregern

(Mikrobiologie) 40 2.2.2. ... am Beispiel des herkömmlichen Pflanzenbaus 42

2.3. Die Debatte über 'besondere' Risiken der Bio- und Gen- technologie 44

2.3.1. Die ältere Diskussion um die Risiken beim Umgang im Geschlossenen System 45

2.3.2. Die jüngere Diskussion auf internationaler Ebene 46 2.3.3. Die Diskussion in der Bundesrepublik 50

2.4. Schlußfolgerungen für die weitere Untersuchung 53

Kapitel 3: Zur Geschichte der rechtlichen Vorsorge vor experi- mentellen Risiken 57

3.1. Zur Geschichte forschungsrelevanter Gesetze 58

3.2. Zur Geschichte der Gentechnikgesetzgebung 61

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3.2.1. Deutschland bis 1990 61 3.2.2. EG-Richtlinien 63 3.2.3. Novellierung des Gentechnikgesetzes und der EG-Richtlinien 64 3.2.4. Derzeitiger Stand der Regulierung außerhalb der EG 67

Kapitel 4: Risikosteuerung der gentechnischen Forschung 70

4.1. Problembeschreibung 70

4.2. Risikosteuerung unter Ungewißheitsbedingungen 71 4.2.1. Krise der Steuerungsfähigkeit des Rechts? 71 4.2.2. Selbststeuerung 74 4.2.3. Die rechtliche Bewältigung des gentechnischen Risikos 76

Gefahrenabwehr 76 Risikovorsorge 78 Restrisiko 80

4.3. Rechtliche Steuerung als Risikomanagement 81 4.3.1. Risikoermittlung 82

Deterministische Risikoermittlung 83 Probabilistische Sicherheitskon-zepte 84

4.3.2. Risikobewertung 86 Bewertung möglicher Schäden 87 Bewertung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts 87 Folgenreversibilität 87 Vergleichende Risikobewertung 88 Risikobewertung als offener Prozeß 88

4.3.3. Risikoentscheidung 88 Behördliche Entscheidung (Genehmigung) 88 Interne Entscheidung (Hierarchie) 89

4.3.4. Risikokommunikation 89 4.3.5. Risikoforschung 90 4.3.6. Risikokontrolle 91 4.3.7. Risikoverantwortung 92

4.4. Verfassungsrechtlicher Rahmen ungewißheitsbasierter Risikovorsorge 92

4.4.1. Reichweite der Forschungsfreiheit 93 Anwendungs- und Entwicklungsforschung 94 Veröffentlichungs-bereitschaft 95 Inanspruchnahme geschützter Rechtsgüter 96

4.4.2. Risikovorsorge als Ausdruck staatlicher Schutzpflicht 97 4.4.3. Risikosteuerung durch risikoadäquate Zuordnung 99

Kapitel 5: Wirksamkeitsüberlegungen zu ordnungsrechtlichen Steuerungsinstrumenten 101

5.1. Genehmigungs- und Anmeldevorbehalte 101 5.1.1. Repressives Verbot 102

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5.1.2. Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (Genehmigungsvorbehalt) 102

5.1.3. Verbot mit Anmeldevorbehalt und Anzeige 103 5.1.4. Erlaubnis mit präventivem Verbotsvorbehalt 104 5.1.5. Versagung der Erlaubnis und Nebenbestimmungen 105 5.1.6. Bewertung 105

5.2. Nachweispflichten in Genehmigungs- und Anzeigeverfahren 106 5.2.1. Angaben über Sicherheitsbewertung 106 5.2.2. Bewertung 108

5.3. Dynamisierung der Risikovorsorge 109 5.3.1. Laufende Risikobewertungspflicht 109 5.3.2. Step-by-step-Prinzip 110 5.3.3. Prozedurale Erleichterungen 111

5.4. Aufzeichnungspflichten 112 5.4.1. Bedeutung der Aufzeichnungspflicht 112 5.4.2. Inhalt der Aufzeichnungen 114 5.4.3. Bewertung 114

5.5. Anzeigepflichten 116 5.5.1. Verdachtsstörfälle 116 5.5.2. Neue Informationen 117 5.5.3. Ergebnisse von Freisetzungen 118 5.5.4. Bewertung 118

5.6. Nachträgliche Eingriffsbefugnisse 119 5.6.1. Nachträgliche Auflagen 119 5.6.2. Widerruf, Rücknahme und Einstellung 120 5.6.3. Untersagung 120 5.6.4. Bewertung 121

5.7. Zentrale Kommission für biologische Sicherheit 122 5.7.1. Aufgaben 122 5.7.2. Zusammensetzung 125 5.7.3. Bewertung 125

5.8. Behördlicher Informationsaustausch 128

5.9. Innerbetriebliche Verantwortlichkeit 129 5.9.1. Projektleiter 129 5.9.2. Betriebsbeauftragter für Biologische Sicherheit 130 5.9.3. Bewertung 131

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5.10. Öffentlichkeit 133 5.10.1. Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung 134 5.10.2. Beteiligung der Öffentlichkeit an Genehmigungsverfahren 135 5.10.3. Erfahrungen aus der Praxis 138 5.10.4. Öffentlichkeit als Beitrag zur Risikokommunikation 138

Kapitel 6: Risikosteuerung durch zivil- und strafrechtliche Haftung 141

6.1. Ziviles Haftungsrecht als "Selbststeuerungsinstrument" 141 6.1.1. Funktion und Wirkung des Haftungsrechts 141 6.1.2. Zur Steuerungsfähigkeit des Haftungsrecht 143 6.1.3. Zur praktischen Wirksamkeit des Umwelthaftungsrechts 145

Voraussetzungen 145 Erfahrungen mit dem Umwelthaftungs-gesetz 145

6.2. Bestandsaufnahme: Das geltende gentechnikrechtliche Haftungssystem 148

6.2.1. Gefährdungshaftung 148 6.2.2. Reichweite der Haftung: "Normalbetrieb" und Entwicklungsrisiken 149 6.2.3. Haftungsadressat 149 6.2.4. Kausalität 150 6.2.5. Ursachenvermutung 151

Gesetzliche Regelung 151 Fallbeispiel "Tryptophan" 152 6.2.6. Schadensbegriff 153 6.2.7. Deckungsvorsorge 154 6.2.8. Haftungshöchstbetrag 154 6.2.9. Haftungsausschlüsse 155

6.3. Steuerungsgrenzen des geltenden Gentechnikhaftungsrechts 155 6.3.1. Gentechnikhaftung bei gewerblicher Tätigkeit 155 6.3.2. Besonderheiten für den Bereich der Forschung 156

Industrieforschung 156 Universitätsforschung 156

6.4. Erhöhung der Steuerungsfähigkeit 159 6.4.1. Verbesserung beim Kausalitätsnachweis 159 6.4.2. Anreiz zur Wissensgenerierung 161 6.4.3. Reflexives Haftungsrecht? 161 6.4.4. Aufgabe des Selbstversicherungsprinzips bei der universitären Forschung163 6.4.5. Haftung von Fördergebern 163 6.4.6. Fazit 164

6.5. Strafrechtliche Haftung 164

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6.5.1. Funktion und Grenzen strafrechtlicher Normen 164 6.5.2. Bestehende Regelungen 165 6.5.3. Weitergehende Steuerung der Forschung durch Strafrecht? 168

Kapitel 7: Die Implementierung des Gentechnikgesetzes (Geschlossenes System) 170

7.1. Theoretische Überlegungen zur Interessenstruktur im Regulierungsfeld 170

7.2. Bundesebene: Sicherheitseinstufung durch die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) 177

7.3. Landesebene: Genehmigung und Überwachung 180 7.3.1. Organisations- und Personalstruktur 180 7.3.2. Regulierungsfeld: Zahl und Dynamik der Labormeldungen 183 7.3.3. Anmeldungs- und Genehmigungsverfahren 188 7.3.4. Überwachung 190 7.3.5. Behörden und Öffentlichkeit 193

7.4. Organisierung der Betreiberpflichten in der Universitäts- und in der Industrieforschung 195

7.5. Risikowahrnehmung und Risikokontrolle im Labor 199

7.6. Das Gentechnikgesetz: Akzeptanzprobleme auf seiten der Forscher 207

7.6.1. Probleme mit der bürokratischen Rationalität: das Verhältnis zwischen Forschern und Behörden 208

7.6.2. Ungewißheits- versus erfahrungsbasierte Vorsorge 211 7.6.3. Die Novellierung des Gentechnikgesetzes - Scheitern der

subpolitischen Kommunikation 222

Kapitel 8: Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen 228

8.1. Ungewißheitsbasierte Vorsorge als internationalisiertes Rechtsprogramm 228

8.2. Administrative Umsetzung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union 236

8.2.1. EG-Ebene 236 8.2.2. Administrative Umsetzung in den Mitgliedstaaten 239

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8.3. Betreiberinteressen und Öffentlichkeit 240

8.4. Zum Stand des Step-by-step-Verfahrens in der EG 245 8.4.1. Verlauf der internationalen Sicherheitsdiskussion 245 8.4.2. Wandel der Schadensdefinitionen 246 8.4.3. Der Streit um die Marktzulassungen 248

8.5. Rechtliche und administrative Umsetzung der Freisetzungs- Richtlinie in der Bundesrepublik 249

8.5.1. Zuständige Behörden 249 8.5.2. Umsetzung des Step-by-step-Verfahrens in der Bundesrepublik 251

8.6. Feldversuche in der Bundesrepublik 256

8.7. Fallbeispiel: Ein Freisetzungsversuch in Deutschland 259 8.7.1. Fixierung auf das Confinement 260 8.7.2. Akzeptanz- oder Sicherheitsforschung? 263

8.8. Ambivalenzen des Step-by-step-Prinzips im Überblick 266 8.8.1. Ambivalenzen der Risikoerkennung 267 8.8.2. Widersprüche des Verfahrens 270

Kapitel 9: Somatische Gentherapie 275

9.1. Regulierungssituation 276 9.1.1. USA 276 9.1.2. Europa 278 9.1.3. Deutschland 279

9.2. Entwicklung der somatischen Gentherapie in den USA und Europa 281

9.3. Fallbeispiel: Gentherapie 'von innen' 284 9.3.1. Perspektiven der Gentherapie 285 9.3.2. Risiken der Gentherapie 289 9.3.3. Zum Umgang mit todgeweihten Patienten 292 9.3.4. Wahrnehmung der Kontrolle durch die Ethik-Kommission 294 9.3.5. Einstellung zu anderen Regulierungsmechanismen 296 9.3.6. Zwischenergebnis: Soziale Prozesse der Selbstregulierung 297

9.4. Ungewißheitsbasierte Regulierung auf der Basis von Selbststeuerung oder Recht? 298

9.4.1. Zur normativen Einordnung der Gentherapie 299 9.4.2. Zur tatsächlichen Einordnung der Gentherapie in Deutschland 300

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9.4.3. Implizite Orientierung an einer ungewißheitsbasierten Regulierung 301

Kapitel 10: Politische und rechtspolitische Vorschläge 304

10.1. Zusammenfassung relevanter Ergebnisse und allgemeine Schluß-folgerungen 305

10.1.1. Regelakzeptanz und Regelbefolgung 305 10.1.2. Wissenschaft als Regulierungsfeld 307 10.1.3. Selbstregulierung und Regulierung 309 10.1.4. Grundlegende Anforderungen an ungewißheitsbasierte Regelungen 310 10.1.5. Implementierungsdefizite im Bereich erfahrungsbasierter

Regulierung 313 10.1.6. Wertentscheidung und Partizipation 314 10.1.7. Zur mangelnden Systematik des Gentechnikrechts 316 10.1.8. Ungewißheitsbasierte Regelungen als Standortfaktor 319

Prozeßinnovationen 321 Produktinnovationen 322 Prozeß- versus Produktregulierung 323

10.2. Konsequenzen für eine verbesserte Risikosteuerung im Forschungsbereich324 10.2.1. Ausklammerung der Sicherheitsstufe 1 aus dem Gentechnikgesetz? 324 10.2.2. Risikoermittlung, -bewertung und Risikoentscheidung 325 10.2.3. Interne Risikokommunikation 326

Bestehende Defizite 326 Verbesserte Aus- und Weiterbildung 327 Verbesserung der Informationsbeziehungen, Zugang zu Informa-tionen 328 Aufzeichnungspflichten 328

10.2.4. Sicherheitsforschung 329 10.2.5. Dynamisierung der Risikosteuerung 331

Dynamisierung der Gesetzgebung 331 Step-by-step-Prinzip 332 10.2.6. Externe Risikokommunikation und Wertentscheidung 333

Prüfaufträge im Step-by-step-Verfahren 334 Öffnung der ZKBS und des Behördenausschusses bei der EG-Kommission 335 Entschei-dungsentlastete Diskursverfahren 336 Öffentlichkeitsbeteiligung beim Inverkehrbringen 336

10.3. Ausblick: Von der Prozeßregulierung zur Produktregulierung 336 10.3.1. Gründe für die Änderung der Produktzulassung 337

Verbleibende Ungewißheit 337 Sozioökonomische Bedenken 338 Kulturelles Unbehagen 338

10.3.2. Demokratisierung der Produktzulassung 339 Informationsrechte und Öffentlichkeitsbeteiligung 339 Prüfung des Bedarfs und der Sozialverträglichkeit 341 Informativere Kenn-zeichnung der Produkte 344

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Kapitel 11: Gesellschaftstheoretische Verortung - Ungewißheitsbasier- te Regulierung im Prozeß 'reflexiver Modernisierung' 346

11.1. Zur allgemeineren Einbeziehung von Ungewißheit im Umweltrecht 347

11.2. Grundlegende Anknüpfungspunkte in der Theorie reflexiver Modernisierung 349

11.3. Allgemeines Entwicklungsmodell für den Prozeß der reflexiven Modernisierung bei Umweltrisiken 351

11.3.1. Stufe 1: Reflexion von Nahfolgen 352 11.3.2. Stufe 2: Reflexion bekannter Fernfolgen 354 11.3.3. Stufe 3: Reflexion von Ungewißheit 357

11.4. Reflexive Modernisierung bei der Genforschung - die empirische Ebene 360

11.4.1. Gesetzgebungsdebatte 361 11.4.2. Exkurs zur Gentherapie 363 11.4.3. Das Gentechnikrecht 365 11.4.4. Verwaltungsverfahren in Deutschland 367 11.4.5. Europäischer Vergleich (am Beispiel Dänemarks) 369 11.4.6. Forschungsorganisation 371

11.5. Perspektiven reflexiver Modernisierung 378 11.5.1. Reflexive Akteure oder reflexive Institutionen? 378 11.5.2. Probleme organisationaler und funktionaler Differenzierung 383 11.5.3. Probleme und Perspektiven reflexiver Politik 386 11.5.4. Interferenz verschiedener Risikosphären 388 11.5.5. Unterwegs in eine 'andere Moderne'? 390

Anhang 1: Methodische Überlegungen zu Auswahl, Verlauf und Auswertung der Interviews 393

A 1. Erkenntnisziele beim Einsatz der Interviewmethode 393 A 2. Überlegungen zur Auswahl der befragten Arbeitsgruppen 394 A 3. Überlegungen zur Auswahl der übrigen Gesprächspartner 395 A 4. Zugangsbedingungen 395 A 5. Interviewmethode und Gesprächsverlauf 397 A 6. Auswertung und Validierung 399 A 7. Belastbarkeit und Generalisierbarkeit der Interviewdaten 400 A 8. Redaktionelle Bearbeitung der zitierten Interviewpassagen 400 A 9. Liste der Interviews und Hintergrundgespräche 401

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Literatur 402

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen 425

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Vorwort

Die vorliegende Untersuchung ist am Interdisziplinären Institut für Wissen-schaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte an der Universität Erlangen/Nürnberg entstanden - im Rahmen eines von der VW-Stiftung von 1994 bis 1996 geför-derten Drittmittelprojekts. Geleitet wurde das Projekt von dem Soziologen Chris-toph Lau, dessen anregender Hilfestellung und Beratung die vorliegende Untersu-chung vieles verdankt. Mitgearbeitet haben an dem interdisziplinären Projekt die beiden Juristen Johann Bizer (Universität Frankfurt) und Gerhard Roller (Fach-hochschule Bingen), die die Kapitel zum Normenprogramm (Kap. 4 - 6 sowie Teile von Kap. 10) verfaßt und darüber hinaus als rechtswissenschaftliche Berater und Diskussionspartner mitgewirkt haben. Die übrigen Kapitel wurden weitge-hend von dem Sozialwissenschaftler Bernhard Gill erarbeitet und formuliert.

Dank sagen möchten wir an dieser Stelle Karl-Heinz Ladeur, Rainer Wahl und Rainer Wolf aus dem Bereich der Rechtswissenschaft, Günther Gassen, Regine Kollek und Lothar Willmitzer von der Biologie sowie Ulrich Beck, Wolfgang Bonß und Peter Weingart von seiten der Soziologie für Anregungen und Hilfestel-lungen sowie allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an dem im November 1995 abgehaltenen Workshop, auf dem die Zwischenergebnisse der Untersuchung vorgestellt und diskutiert wurden. Zu danken ist ebenso den Interviewpartne-rinnen und -partnern, die viel Zeit und Geduld aufgebracht haben, um uns Ein-blick in ihre Arbeit zu geben. Gleiches gilt auch für die Mitarbeiter von Behörden und Industrieunternehmen, die uns mit schriftlichen Auskünften weitergeholfen haben. Wichtige Anregungen gingen von dem europäischen Forschungsprojekt "GMO Releases: Managing Uncertainty about Biosafety" aus, das von Les Levi-dow, Susan Carr und David Wield an der Open University in Milton Keynes (UK) koordiniert wurde, und an dem Bernhard Gill als deutscher Partner beteiligt war. Thomas Saretzki hat uns als Politologe und Biologe bei einigen Fachfragen beraten. Unser Dank gilt auch den Kollegen in Erlangen, die uns des öfteren bei Diskussionen mit Anregungen und Kritik weitergeholfen haben. Last but not least möchten wir Michael Skalitzky und Stefan Böschen danken, die uns als studenti-sche Hilfskräfte bei der Literaturbeschaffung behilflich waren, sowie Gerda Kugler, die als Institutssekretärin die mühevolle Transkription der Interviews auf sich genommen und bei der Projektorganisation mitgewirkt hat. Barbara Kuchler hat bei der Schlußredaktion die Mühe des Korrekturlesens übernommen.

Zum Schluß noch drei Lesehinweise: Die empirische Arbeit an dem Projekt wurde Mitte 1996 abgeschlossen; spätere Entwicklungen konnten vereinzelt in den Fußnoten berücksichtigt werden. Da sich dieses Buch an eine interdiszipli-näre Leserschaft wendet, wurde versucht, einen Kompromiß zwischen den sozial-

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und rechtswissenschaftlichen Zitiergewohnheiten zu finden, der für beide Fächer etwas ungewöhnlich anmuten mag. Wir sind außerdem, um Sperrigkeiten in der Schreibweise zu vermeiden, konventionellen Sprachgepflogenheiten gefolgt und haben auf die ausdrückliche Benennung des weiblichen Teils der jeweils erwähn-ten Gruppen verzichtet. Wenn also z.B. von Genforschern die Rede ist, sind Gen-forscherinnen selbstverständlich immer mitgemeint.

Bernhard Gill, Johann Bizer, Gerhard Roller München, Frankfurt am Main, im November 1997

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Kapitel 1: Einleitung

1.1. Praktische Problemexposition

Von 'Staatsversagen' ist häufig die Rede, wenn in jüngeren sozialwissenschaft-lichen Untersuchungen die Steuerungsfähigkeit des modernen Staates und rechtli-cher Steuerungsmittel erörtert wird. Erklärt wird dies mit Kapazitätsgrenzen und Koordinationsproblemen angesichts wachsender Staatsaufgaben oder mit der Ohnmacht des Nationalstaates gegenüber den wachsenden transnationalen Inter-dependenzen der Gesellschaft. In der Theorie funktionaler Differenzierung, die 'Politik', 'Recht', 'Wirtschaft' und 'Wissenschaft' (etc.) als kommunikativ geschlos-sene Subsysteme konzipiert, ist ein Steuerungszentrum schließlich gar nicht mehr vorgesehen. Nach der Enttäuschung der staatsfixierten Planungseuphorien der 70er Jahre ist mittlerweile Fatalismus oder zumindest Ernüchterung eingekehrt. Erwartungen konzentrieren sich heute - in analytischer wie in präskriptiver Hin-sicht - vor allem auf dezentrale Vorgänge oder Modelle der horizontalen Koordi-nierung zwischen den Akteuren (respektive Subsystemen) und der Selbstregulie-rung, wobei dem Staat allenfalls noch die Rolle eines Moderators zugewiesen wird.

Diese zumeist auf hohem Abstraktionsniveau geführte Diskussion läßt aber häufig die Tuchfühlung mit dem empirischen Wandel der Regulierungsformen und Regulierungsaufgaben vermissen. So ist insbesondere zu konstatieren, daß heute in den Industrieländern die klassischen Verteilungskonflikte verstärkt von Risikokonflikten, vor allem bei der Einführung neuer wissenschaftlicher Me-thoden und ihrer technologischen Anwendungen, abgelöst oder zumindest überla-gert werden.1 Risikokonflikte sind zwar ebenfalls interessengeleitet, zugleich aber auch von der immer schon vorhandenen, allerdings erst in jüngerer Zeit verstärkt wahrgenommenen Ungewißheit und Vorläufigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis

1 Risikokonflikte ergeben sich aus den intendierten oder nicht-intendierten Wirkungen von

Entscheidungen, z.B. eine bestimmte Technologie einzuführen, auf zunächst Unbeteiligte, die diese Wirkungen als unerwünscht wahrnehmen. Weil solche Entscheidungen ubiquitär und die Folgen schwer berechenbar und a priori kaum begrenzbar sind, ist - im Unterschied zu Verteilungskonflikten - eine Herausbildung stabiler Interessengemeinschaften (Lager, Klassen etc.) relativ unwahrscheinlich. Die durch die Thematisierung von Risiken erzeug-ten Risse gehen vielmehr kreuz und quer durch die Gesellschaft und verschieben sich stän-dig (z.B. Beck, Risikogesellschaft, 1986; Lau, Soziale Welt 1989; Luhmann, Soziologie, 1991).

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beeinflußt. Insofern könnte man erwarten, daß Versuche der Risikosteuerung mit komplexeren Wechselwirkungen zwischen sozialen und kognitiven Faktoren und noch schwerer überwindbaren Problemen konfrontiert sind, als sie von der Steue-rungstheorie bisher thematisiert wurden.

In der Tat stellen sich nach der vorläufigen historischen Konsolidierung des Rechtsstaates, des Wohlfahrts- und Sozialstaates mit der Globalisierung der Öko-nomie und der Einsicht in die absehbar katastrophalen Effekte der Umwelt-zerstörung neue Probleme: Die Wirtschaft in den etablierten Industrieländern ist wachsender Standortkonkurrenz - im Hinblick auf Löhne, Lohnnebenkosten und Umweltstandards - durch die osteuropäischen Länder und die Schwellenländer ausgesetzt. Zugleich wächst in den Industrieländern das Bewußtsein, daß die ökologischen Effekte der hohen wirtschaftlichen Produktivität, zumal im Zuge ihrer Globalisierung, die Tragekapazitäten2 der Erde überbeanspruchen. Verstärk-te wissenschaftlich-technische Innovation erscheint daher als Zaubermittel einer zukunftsfähigen Entwicklung.3 Einerseits soll sie nach dem Abbau von Handels-barrieren und dem Schwinden von Transportkosten den Vorsprung der etablierten Industrieländer bzw. der vorwiegend mit ihrem Finanzkapital gebildeten Konzer-ne sichern. Zum anderen soll sie durch eine effizientere oder umweltgerechtere Nutzung natürlicher Ressourcen die Erschöpfung der Tragekapazitäten verhin-dern oder mindestens hinauszögern. Wenn man davon ausgeht, daß weltweit weder eine Reduzierung der Bevölkerungsdichte noch des Wirtschaftswachstums derzeit mit friedlichen Mitteln durchsetzbar ist, dann ist Innovation das einzige in der Diskussion um eine zukunftsfähige Entwicklung bisher konkreter sichtbar gewordene Mittel, den drohenden Kollaps zu verhindern.4

Andererseits ist mit der Einführung neuer Technologien stets auch das Risiko neuer, nicht-intendierter Nebenfolgen verbunden. Dieses Problem ist zwar nicht neu, doch wird es sich unter gesteigertem Innovationsdruck zuspitzen:

2 'Ökologische Tragekapazität' ist ein zentraler Topos in der Diskussion um 'Sustainable

Development'. Gemeint ist damit die Fähigkeit des Ökosystems, anthropogen verursachte Veränderungen des Stoffwechsels abzupuffern, ohne daß es zu katastrophalen Änderungen der Lebensbedingungen von Menschen kommt.

3 Vgl. z.B. Huber, Nachhaltige, 1995. 4 Wenn z.B. die Menschen in China jetzt vom Fahrrad auf die Massenmotorisierung um-

steigen, wird man dies von westlicher Seite kaum verhindern können. Man kann allenfalls die Technologien für den Bau ressourcenschonender und schadstoffarmer Autos anbieten. Das ist auch mit den derzeitigen wirtschafts- und arbeitspolitischen Interessen in den Indu-strieländern kompatibel. Ob technologische Maßnahmen ausreichen werden, um einen ökologischen Kollaps zu verhindern, bleibt zwar fraglich. Aber der Export kultureller und sozialer Innovationen, wie z.B. umweltverträglicherer Lebensstile, ist bisher noch kaum absehbar, zumal diese auch in den Industrieländern selbst noch wenig erprobt und schon gar nicht allgemein durchgesetzt sind.

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- Mit 'leistungsfähigeren' Technologien ist nicht nur ein gesteigertes Gestaltungs-potential verbunden; zugleich wachsen auch häufig - aber nicht zwangsläufig - die Mißbrauchsmöglichkeiten, Unfallrisiken und die nicht-intendierten Effekte des Normalgebrauchs.

- Um betriebswirtschaftlich rentabel zu sein, müssen neue Technologien und Produkte bei steigenden Entwicklungskosten immer schneller in immer größere Märkte eingeführt werden. Damit wächst aber auch die Wahrscheinlichkeit, daß zunächst nicht erkennbare Schadenswirkungen sich erst nach der Markt-einführung entfalten und dann schon ein größeres Ausmaß angenommen haben, als dies früher bei längeren Vorlaufzeiten und stärker abgeschotteten und daher kleineren Einzelmärkten der Fall war.

- Mit der Zunahme des Innovationstempos erhöht sich nicht nur die Zahl der einzelnen Innovationen, sondern auch der möglichen Wechselwirkungen in insgesamt zunehmend dynamisierten Kontexten.

- Mit steigendem Wohlstand wächst tendenziell auch die Risikosensibilität in den betroffenen Gesellschaften.

Es ist deshalb notwendig, auch die Folgenerkenntnis im Prozeß technologischer Entwicklung vorzuverlagern, um die potentiell negativen Effekte des erhöhten Innovationstempos abzufangen.5 Denn schon in der Vergangenheit hat sich ge-zeigt, daß gerade auch Innovationen, die zur Vermeidung bestehender Gesund-heits- und Umweltgefahren eingesetzt wurden, ihrerseits wieder mit neuen, bis dahin unbekannten Schadwirkungen einhergehen können. So wurden etwa die FCKW, die heute als 'Ozonkiller' gelten, ursprünglich in Kühlgeräten als Ersatz-stoff für das bis dahin gebräuchliche, jedoch atemgiftige Ammoniak eingesetzt.

Mit der Vorverlagerung der Folgenerkenntnis gerät auch die Forschung selbst in den Blick. Denn das frühestmögliche Stadium der Risikoentstehung - und folg-lich der Risikoaufklärung - ist der Zeitpunkt, wenn Erfindungen erstmals im La-bor oder in abgeschirmten Pilotanlagen erprobt werden. Forschung wird dann in doppelter Weise zum Gegenstand der Risikosteuerung: - Einmal, indem die im Forschungsprozeß unmittelbar auftretenden trivialen

Risiken - wie Explosion, Infektion, Verbrennung und Vergiftung - im Sinne klassischen Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzes eingedämmt werden sollen. Soweit diese Risiken bekannt sind, kann man erwarten, daß sie im Rahmen der Sorgfaltspflicht bei der weiteren Entwicklung von der For-schungsidee zum Produkt auszuschließen sind.

- Zum zweiten erhält Risikosteuerung eine neue Dimension, wenn im Labor frühzeitig nach Schadwirkungen gefahndet wird, die sich erst in einem späteren Stadium, bei der Umsetzung der Erfindung als Innovation bzw. Produkt, ent-

5 Vgl. Gill, Soziale Welt 1994.

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falten würden, oder wenn untersucht wird, inwieweit ggf. vorhandene, unmit-telbare Risiken als Vorboten allgemeinerer, mit der beabsichtigten Innovation potentiell verbundener Schadwirkungen anzusehen sind. Insbesondere bei bis-her noch nicht genau erkannten Risiken ist damit zu rechnen, daß sie sich so-wohl in den unmittelbaren Wirkungen des Laborbetriebs als auch in den späte-ren Wirkungen des Produkts manifestieren können.

Im Fall der Gentechnologie wurden rechtliche Zulassungsverfahren etabliert, bevor die Technologie in größerem Maßstab eingeführt wurde und bevor empiri-sche Erfahrungen mit diesbezüglichen Schäden gemacht werden konnten. In-sofern wird hier gegenwärtig der bisher ambitionierteste Versuch der Vorverla-gerung der Folgenerkenntnis realisiert. Zum ersten Mal wurde eine wissen-schaftliche Methode und die daraus resultierende Technologie schon auf bloßen Risikoverdacht hin unter Beobachtung gestellt. Weil es hier keine einschlägigen Erfahrungen mit spezifischen Schadwirkungen gibt, beruhen entsprechende Vor-sorgemaßnahmen zwangsläufig auf mehr oder weniger umstrittenen wissen-schaftlichen Hypothesen, deren Gültigkeit sich nur mit dem Eintritt der be-fürchteten Schäden bestätigen könnte, und die deshalb - jedenfalls im großen Maßstab - nach Meinung vieler Bürger gerade nicht überprüft werden sollten. Dieser Übergang von erfahrungsgestützten zu hypothesenbasierten Beobach-tungs- und Prüfverfahren wird in der (englischsprachigen) Diskussion auf EG-Ebene häufig mit der Unterscheidung von 'Prevention' und 'Precaution' markiert,6 während er in der nivellierenden deutschen Rede vom 'Vorsorgeprinzip' nicht deutlich zum Ausdruck gebracht werden kann.7 Wir wollen daher im folgenden zwischen erfahrungsbasierter und hypothesenbasierter bzw. ungewiß-heitsbasierter Regulierung ('Prevention' versus 'Precaution') unterscheiden.8

6 Tait/Levidow, Futures 1992. 7 In der internationalen Rezeption der deutschen Umweltdiskussion wird 'Vorsorge' häufig

einfach mit 'Precaution' übersetzt. Das deutsche Umweltrecht muß dann dem ausländischen Beobachter als überaus scharf erscheinen, weil durch diesen Übersetzungsfehler der falsche Eindruck erweckt wird, daß in Deutschland immer das - gegenüber 'Prevention' - weiter-reichende 'Precautionary principle' angewandt wird (vgl. Boehmer-Christiansen, Precauti-onary, 1994).

8 Dabei handelt es sich um eine analytische Unterscheidung, die in der Praxis niemals voll-ständig trennscharf sein kann. Denn auch zur Begründung von 'hypothesenbasierten' Re-gulierungen wird mittels Analogieschluß auf Erfahrungen in anderen Bereichen, z.B. mit der Einführung exotischer Arten, rekurriert (vgl. unten, Kap. 2.2.). Aber die Plausibilität der Analogiebildung und die Übertragbarkeit der Erfahrungen bleibt umstritten. Damit un-terscheidet sich die Argumentation von der Begründung 'erfahrungsbasierter' Regulie-rungen, bei der mit engeren Analogiebildungen operiert wird. Strenggenommen liegen aber auch 'erfahrungsbasierten' Regulierungen Analogiebildungen zugrunde, weil kein 'Fall' wie

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Dabei ist man sich in der naturwissenschaftlichen Diskussion durchaus darüber einig, daß bei der Neukombination von Genen Risiken vorzubeugen ist, die sich aus den Eigenschaften, z.B. der Pathogenität der Herkunftsorganismen, herleiten lassen. Man spricht hier auch von einer 'additiven' Risikoabschätzung.9 Mittler-weile wird in der Fachdiskussion eingeräumt, daß bei der Neukombination von Genen neue, unerwartete Effekte entstehen können,10 die in der deutschen Dis-kussion häufig insgesamt als 'Synergismen' bezeichnet werden. Allerdings ist man vielfach der Ansicht, daß emergente Effekte mit gleicher Regelmäßigkeit auch in der Natur und bei herkömmlichen Züchtungsverfahren auftreten können und da-her eine Sonderbehandlung der Gentechnologie als Forschungs- und Herstel-lungsmethode nicht vertretbar sei. Da technologiespezifische Risiken also nicht erkennbar seien, sollte man - nach Meinung vieler Befürworter - gentechnisch veränderte Organismen und mit Hilfe der Gentechnik hergestellte Präparate nur (noch) im Rahmen der herkömmlichen produktbezogenen Prüfverfahren (Arznei-mittelzulassung, Saatgutzulassung etc.) auf ihre Eigenschaften testen. Ökologen und Umweltschützer halten dem entgegen, daß mit der Gentechnologie ein weit breiteres Spektrum von neuen Organismen mit bisher unbekannten Eigenschaften hergestellt würde, als sie - im gleichen evolutionären Zeitraum - in der Natur entstünden oder durch klassische Züchtung zu erzielen seien. Darüber hinaus sei damit zu rechnen, daß durch die Gentechnologie neue, bisher noch völlig unbe-kannte biologische Veränderungen angestoßen werden könnten (vgl. Kap. 2).

An dieser Diskussion wird sichtbar, daß es im Prinzip einen Konsens über die Einleitung von Vorsorgemaßnahmen auf hypothetischer Basis gibt. Diese Hypo-thesen basieren regelmäßig auf Analogien zu bisherigen Ereignissen, wie man sie z.B. im Umgang mit natürlichen Krankheitserregern oder bei der Einführung nicht-einheimischer Organismen erfahren hat. Streit entzündet sich allerdings daran, ob nur leicht überprüfbare Hypothesen mit präzisem und eng gefaßtem Prognosegehalt oder auch allgemeinere und weiter gefaßte theoretische Überle-

der andere ist. Auch scheinbar unproblematische Klassifizierungen von konkreten Ereignis-sen, z.B. als 'Unfall im Straßenverkehr', implizieren Analogieschlüsse.

9 Vgl. unten, Kap. 2.3.3. Das Risiko ergibt sich demnach aus den Eigenschaften des Emp-fängerorganismus und den Eigenschaften, die von dem übertragenen Gen im Spenderorga-nismus kontrolliert wurden. Zur Diskussion 'additiver' versus 'synergistischer', d.h. auch emergente Effekte berücksichtigender Risikoabschätzung vgl. Gloede et al., Biologische Sicherheit, 1993; Bonß et al., Kontext, 1992; aus rechtlicher Sicht Breuer, NuR 1994, S. 158ff.

10 Winnacker, Faden, 1993, S. 264ff., 297; Daele et al., Bewertung, 1994, S. 131ff. Dagegen wird in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft autorisierten Memorandum zur 'Forschungsfreiheit' auch weiterhin behauptet: "Hinweise auf die Existenz eines solchen Ri-sikos gibt es bis heute nicht" (DFG, Forschungsfreiheit, 1996, S. 26). Vgl. dazu näher Kap. 11.4.6.

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gungen zum Ungewißheits- und Überraschungspotential des gentechnischen Ein-griffs (vgl. Schaubild 1, S. 21) zu Vorsorgemaßnahmen verpflichten sollen, und welche der mehr oder weniger absehbaren ökologischen Veränderungen als 'Schaden' anzusehen sind. Die Diskussion kreist daher um die Frage, wie 'hypo-thetische', d.h. vorsorgepflichtige Risiken von 'spekulativen Risiken' abzugrenzen sind.11

An dieser neuen Differenzierung ('hypothetisch' versus 'spekulativ') wird ein normativer Lernprozeß deutlich, indem sich offenbar ein Bewertungswandel im Vergleich zur zeitgeschichtlich früheren Atomdebatte (vor Tschernobyl) voll-zogen hat: Dort war es noch - zumindest rhetorisch - um die Abgrenzung zwi-schen 'realen' und 'hypothetischen' - d.h. in diesem Kontext: nicht vorsorge-pflichtigen - Risiken gegangen.12 So ist auch zu konstatieren, daß in der Gentech-nikdiskussion selbst sehr vage und vielfältige, gelegentlich sogar weitgehend unbestimmte Schädigungsmechanismen in Betracht gezogen werden, während in der Atomdebatte die Schadwirkungen von Kettenreaktionen und der Freisetzung von radioaktiven Stoffen weitgehend außer Frage stehen und lediglich die Zuver-lässigkeit des Containments umstritten ist (vgl. Schaubild 2, S. 22).

Die Ablösung der Risikosteuerung von Erfahrung ex post und ihre Umstellung auf wissenschaftliche Überlegungen ex ante ist freilich nicht ausschließlich auf die Gentechnologie oder andere neue Technologien beschränkt. Selbst in derart erfahrungsgesättigten Bereichen wie dem Autoverkehr ist zu beobachten, daß politischer Streit etwa über die Angemessenheit eines Tempolimits, der zunächst als eine Entscheidung zwischen Wertpräferenzen - 'Sicherheit' versus 'Freiheit' - erscheinen könnte, zunehmend mit kontroversen wissenschaftlichen Argumenten zu den Unfallursachen und über die Verknüpfung zu neuen Risiko- themen (z.B. 'saurer Regen') ausgetragen wird.13 Die jahrhundertealte Ver-brennung fossiler Energieträger, die durch ihre lokale Massierung schon im 19. Jahrhundert zu örtlichen Umweltkonflikten führte, wird nun seit einiger Zeit für den Treibhauseffekt und globale Klimaveränderungen verantwortlich ge-

11 Wahl/Melchinger, JZ 1994, S. 979; Daele et al., Bewertung, 1994, S. 134. 12 Zur Kritik an der Ausgrenzung derartiger Ereignisse aus dem atomrechtlichen Schadens-

vorsorgebegriff Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 27ff. Im übrigen ist zu kon-statieren, daß auch von Befürwortern der Atomtechnik die Notwendigkeit einer hypothe-senbasierten Vorsorge zumindest in der Fachöffentlichkeit gelegentlich eingeräumt wurde (Häfele, Minerva 1974).

13 Lau, Risikokonflikt, 1997.

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Schaubild 1: Heuristische Typologie potentieller Risiko- oder Überraschungsquellen der Gentechnologie Bezugnahme der Analogien Analoge Ereignisse Mögliche Vorsorge- Bewertung der Vor- (Risikogenese) in der Vergangenheit maßnahmen sorgemaßnahmen

Eigenschaften der Aus- z.B. Pathogenitätssteige- erfahrungsbasiert: be- Konsens gangsorganismen ('addi- rung bei Mikroorganismen grenzbare und erprobte tive' Risikoabschätzung) Maßnahmen Wechselwirkung in neuen z.B. Einführung exotischer ungewißheitsbasiert: tendenzieller Kontexten ('synergistische' Organismen (vgl. Kap. 2) Step-by-step-Prinzip Dissens Risikoabschätzung) (vgl. Kap. 8) Entdeckung neuer z.B. 'transkingdom gene ungewißheitsbasiert: tendenzieller Wirkmechanismen transfer', 'springende Gene' Sicherheitsforschung, Dissens generelle Vorsicht Neue Theorien ⇒ Grund- z.B. Pasteur, Koch im 19. Jh.; Förderung paradigmati- Dissens, Nichtbe- sätzliche Neukonzeption heute: z.B. Theorie morphoge- scher Vielfalt, generelle achtung des der Wirkmechanismen netischer Felder (vgl. S. 52f.) Vorsicht Problems

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macht.1 Durch die Wissenschaft werden so auch bei schon länger eingeführten Technologien alte Gewißheiten über Verursachung und Nicht-Verursachung von Gefahren angezweifelt und immer wieder neue Zusammenhänge zu bereits einge-tretenen oder prognostizierten Gesundheits- und Umweltschäden hergestellt.

Schaubild 2: Unterschiede zwischen atomaren und gentechnischen Risiken

Kernkraft Gentechnik Schadenseignung: gewiß nur teilweise gewiß Wirkungsablauf: weitgehend bekannt weitgehend unbekannt Schadensausmaß: abschätzbar ungewiß Wahrscheinlichkeit: abschätzbar ungewiß

Insgesamt gilt, daß 'schleichende Katastrophen', also Umweltwirkungen mit Ak-kumulationseffekten, langen Latenzzeiten und zunächst unklarem Feedback als Steuerungsproblem immer mehr an Bedeutung gewinnen, zugleich aber hier noch am wenigsten (wirksame) Steuerungsinstrumente zur Verfügung stehen.2 Insofern ist der Übergang von erfahrungsbasierten zu ungewißheitsbasierten Regulie-rungsformen nicht singulär für neue Technologien, sondern ein sich verallgemei-nerndes Phänomen der Umweltpolitik und von kontroversen verwis-senschaftlichten Entscheidungen insgesamt.

1.2. Fachliche Problemexposition

Bei dem hier in Rede stehenden Regulierungsproblem ist man - neben den im Verlauf der Untersuchung näher darzustellenden Spezifika des Forschungspro-zesses im allgemeinen und der Gentechnologie im besonderen - auf den allge-

1 Der Zusammenhang zwischen CO2-Gehalt der Atmosphäre und Klimaveränderungen

wurde zwar schon im 19. Jahrhundert postuliert, aber damals bezeichnenderweise noch nicht im Hinblick auf seine Risikopotentiale diskutiert (Tyndall, Philosophical Magazine 1863; Arrhenius, Philosophical Magazine 1896).

2 Wolf, Soziale Welt 1992.

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meineren theoretischen Rahmen der 'Entscheidungen unter Ungewißheit' ver-wiesen. Die Unterscheidung zwischen Gewißheit und Ungewißheit wird dabei - trotz der alltagssprachlichen Nähe von 'Gewißheit' und 'Sicherheit' - unabhängig von der Unterscheidung zwischen 'sicher' oder 'gefährlich' getroffen. Sie stellt diesbezüglich, also bei Entscheidungen mit potentiell schädlichen Folgen, eine andere, zusätzliche Dimension dar: Ob eine Handlung oder ein technisches Arte-fakt 'sicher' oder 'gefährlich' ist, ist je nach Stand des Wissens mehr oder weniger 'gewiß' oder 'ungewiß'. 'Gewißheit' oder 'Ungewißheit' gibt also den Grad der Pro-gnose(un)sicherheit an, berührt aber zunächst gerade nicht den Inhalt der Progno-se, z.B. als 'sicher' oder 'gefährlich' (vgl. Schaubild 3).3

Schaubild 3: Verhältnis von Prognoseinhalt (sicher versus gefährlich) und Prog-

nosesicherheit (gewiß versus unbekannt)

gewiß sehr wahrscheinlich wahrscheinlich ↑ gefährlich ← → sicher ↓ möglich ungewiß unbekannt

Probleme insbesondere der staatlichen Regulierung wurden in der sozialwissen-schaftlichen Literatur bisher vor allem als Macht-, Koordinations- und Informa-tionsdefizite seitens der Steuerungsakteure gedeutet oder umgekehrt mit dem zunehmenden Werte- und Interessenpluralismus in der Gesellschaft, den Blok-kade- und Verweigerungsmöglichkeiten seitens der Steuerungsadressaten und der

3 Wenn man Gefahr als das Produkt von Schadensausmaß mal Eintrittswahrscheinlichkeit

definiert, lassen sich über Gefahren mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit (z.B. Verkehrs-unfälle) relativ gewisse Aussagen treffen, weil hier relativ umfassende Erfahrungen vor-liegen. Entsprechend niedriger liegt die Prognosesicherheit bei Gefahren mit niedriger Ein-trittswahrscheinlichkeit (z.B. schwere AKW-Unfälle). Sicherheitsaussagen lassen sich da-gegen aufgrund der prinzipiellen Unabgeschlossenheit der Erfahrung niemals mit voll-ständiger Gewißheit treffen (deshalb ist die entsprechende Linie in Schaubild 3 nur gestri-chelt gezeichnet). Prognoseunsicherheit läßt sich per definitionem nicht genau bestimmen (man weiß nicht genau, was man nicht weiß, sonst wüßte man es ja). Insofern sind Kombi-nationen zwischen den beiden Dimensionen - der Prognosesicherheit und des Prognose-inhalts (gefährlich/sicher) - nur bedingt möglich.

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Komplexität des Regulierungsfeldes begründet.4 Mit dem Topos der 'Un-gewißheit' ist nun aber ein zusätzlicher Aspekt des Problems berührt, der über die Aspekte der Informationsasymmetrie und der Komplexität des Gegenstands hi-nausweist. Denn in herkömmlichen Steuerungstheorien wird noch vorausgesetzt, daß das erforderliche Wissen grundsätzlich durchaus vorhanden ist, aber den Steuerungsakteuren aufgrund von (rechtsstaatlichen) Informationsbarrieren nicht zur Verfügung steht oder aufgrund von Koordinations- oder Kapazitätsproblemen nicht rechtzeitig oder nicht sinnvoll verarbeitet werden kann. Man kann daher sagen, daß herkömmliche Steuerungstheorien lediglich die Wirkungen 'subjekti-ver Ungewißheit' bei den Steuerungsakteuren und -adressaten berücksichtigen.

Mit 'Ungewißheit' soll hier aber die Revidierbarkeit, also die Unabgeschlos-senheit der Erfahrung und die Nicht-Extrapolierbarkeit des gegenwärtigen Wis-sens und Wertens bezeichnet werden.5 Ungewißheit in diesem Sinne kann also aus dem Mangel an konkreten Daten und Erfahrungen, aus dem Streit zwischen Theorien, Paradigmen und Disziplinen, sowie aus Prozessen des Wertewandels resultieren. Diese Form der Ungewißheit gilt für alle Akteure prinzipiell in glei-cher Weise, gleichgültig von welchen subjektiven Sicherheits- oder Schäd-lichkeitsüberzeugungen sie sich in ihrem Handeln und in ihren Argumentationen jeweils leiten lassen. Die Existenz dieses Phänomens ist jedenfalls abstrakt, d.h. in Ablösung vom jeweiligen Konfliktfall, unbestritten. Es kann deshalb als 'objek-tive Ungewißheit' bezeichnet werden, auch wenn konkret das 'Maß' und die Rele-vanz 'objektiver Ungewißheit' gerade zur Debatte stehen mögen.

Mit anderen Worten: 'Subjektive Ungewißheit' resultiert aus dem Mangel an aktuell für den jeweiligen Entscheidungsträger verfügbarem Wissen (über Hand-lungszusammenhänge und -intentionen), 'objektive Ungewißheit' resultiert aus dem Mangel an allgemein vorhandenem Wissen (über Wirkungszusammenhänge oder zukünftige Wertpräferenzen).6

4 Einen neueren Überblick über die Debatte geben Mayntz/Scharpf, Steuerung, 1995. 5 Einen umfassenden Überblick über die Verwendung und Differenzierung des Begriffs der

Unwissenheit und Ungewißheit (ignorance or uncertainty) in verschiedenen theoretischen Kontexten gibt Smithson, Ignorance, 1989; vgl. auch Wynne/Mayer, New Scientist 1993.

6 Insofern unterscheidet sich 'objektive Ungewißheit' im hier angesprochenen Sinne auch von der Ungewißheit, wie sie die Spieltheorie normalerweise zugrundelegt. Spieltheoretisch kann man zwar auch zwischen 'subjektiver' und 'objektiver' Ungewißheit unterscheiden, etwa indem im ersten Fall die Spieler nicht wissen, welche 'Karten' ihre Mitspieler 'auf der Hand haben' und welche Spielzüge sie planen, während im zweiten Fall z.B. keiner der Spieler wissen kann, welche Zahl beim nächsten Spielzug gewürfelt wird. Aber allen Spie-lern ist aufgrund ihrer Kenntnis der Spielregeln der prinzipielle Möglichkeitsraum bekannt: Sie wissen, welche Karten im Spiel sind oder welche Zahlen gewürfelt werden können. In unserem Fall können die Spieler aber niemals endgültig sicher sein, welches Spiel über-haupt gespielt wird, weil beim 'Spiel mit der Natur' - als welches man die experimentelle

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Im Unterschied zur 'subjektiven Ungewißheit', die sich vor dem Hintergrund des zum jeweiligen Zeitpunkt prinzipiell vorhandenen, 'objektiven' Standes des Wissens relativ klar bestimmen läßt, kann 'objektive Ungewißheit' allerdings aus logischen Gründen nicht positiv definiert und erst recht nicht gemessen werden.7 Insofern sperrt sich dieses Phänomen, obwohl es nur allzu offensichtlich ubiquitär und relevant ist, einer wissenschaftlichen Bearbeitung, soweit diese streng auf die herkömmlichen Kriterien der Klarheit, Exaktheit und Berechenbarkeit fixiert bleibt.8 Daher soll die Rede vom 'Maß der Ungewißheit' zwar auf ein Kontinuum mehr oder weniger großer Ungewißheit hindeuten. Letztlich kann sie aber nur alltagssprachlich verstanden werden: Es lassen sich zwar aus Erfahrung ex post Quellen der Ungewißheit angeben (Paradigmenwechsel, Unabgeschlossenheit der Erfahrung, Wertewandel), ihre Relevanz und Wechselwirkung lassen sich aber a priori allenfalls grob abschätzen. Schließlich ist auch klar, daß vollständige Un-wissenheit wiederum aus logischen Gründen zu keiner Prognose - nicht einmal zu einer 'Ahnung' - und daher auch nicht zur Vorsorge Anlaß geben kann.

Ungewißheit in diesem Sinne ist nicht neu, aber es ist eine 'soziale Tatsache', daß es zunehmend schwerer fällt, ihre kontroverse Thematisierung zu vermeiden, sei es, weil die Revidierbarkeit des Wissens gerade aufgrund der Beschleunigung der Wissensproduktion ins Auge sticht, oder sei es, weil die Konsequenzen ver-gangenen Nicht-Wissens über Nebenwirkungen - z.B. des CO2-Ausstoßes, der FCKW-Produktion oder jüngst der Verfütterung von Tierkadavern an Rinder (BSE) - immer deutlicher werden.

Forschung konzipieren kann - die Spielregeln nicht von den Forschern allein gemacht wer-den. Sie wissen immer nur vorläufig und (hoffentlich) annäherungsweise, welche Spielre-geln der Natur selbst zugrundeliegen, und sie können auch nicht wissen, welche Wertpräfe-renzen sich zukünftig in der Gesellschaft entwickeln.

7 Lediglich der Begriff der Gewißheit läßt sich terminologisch definieren: "In Form objekti-ver Gewißheit tritt Gewißheit ... als Korrelat zu begründetem Wissen auf, in Form von subjektiver Gewißheit je nach dem Grad beanspruchter Klarheit als Korrelat entweder zu Überzeugung oder (bloßer) Meinung. ... Die Bedeutung des Terminus 'Gewißheit' ist da-mit ähnlich wie im Falle der Bedeutung von 'Evidenz' festgelegt, nämlich einerseits als ob-jektive Form der Wahrheitsfindung ('Gewißheit' als 'Verfügbarkeit' eines Sachverhalts), an-dererseits als subjektive Form der Wahrheitsanerkennung ('Gewißheit' als 'Verfügen' über einen Sachverhalt)." (Mittelstraß, Gewißheit, 1980, S. 770; Herv. i. Orig.).

8 Es ist daher auch verständlich, daß alle Wissenschaften, die vorwiegend deduktiv operieren - die Philosophie und die Rechtswissenschaft genauso wie diejenigen Strömungen in den Naturwissenschaften, die sich einer gesetzeswissenschaftlichen Methodologie verpflichtet fühlen - mit der hier vorgenommenen, bloß heuristischen Definition Schwierigkeiten haben werden. Andererseits sind (bewußt) unscharfe Ausgangsdefinitionen bei vorwiegend in-duktiven Verfahren der Hypothesengenerierung - z.B. in der qualitativen Sozialforschung oder der phänomenologischen Naturforschung - oft gerade hilfreich, bisher noch weitge-hend unbegriffene Phänomene überhaupt zu erfassen und zur Diskussion zu stellen.

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Zugleich besteht Ungewißheit über die Entwicklung von Werten in der Ge-sellschaft. Konventionell war z.B. die Bewertung eines Vorgangs als 'Schaden' unmittelbar auf die Gesundheit und das Eigentum lebender Generationen der Bürger eines Staates beschränkt. Welche ökologischen Veränderungen zukünftig als 'Schaden' bewertet werden, ist seinerseits zwar wieder eng verschränkt mit wissenschaftlichen Entwicklungen, wie etwa der ökologischen Modellbildung, hängt aber zugleich auch ab von der gesellschaftlichen Entwicklung der zeitli-chen, räumlichen und sozialen Wahrnehmungshorizonte und der ethischen und äs-thetischen Orientierungen.

Zwischen dem sicheren Wissen von der Gefahr und der vollständigen Unwis-senheit scheint es eine Art von 'politischem Kulminationspunkt' zu geben: Wäh-rend man klar erkannte und einhellig als schädlich bewertete Nebenfolgen menschlichen Tuns im allgemeinen entweder technologisch treffsicher eindäm-men oder eben durch in diesem Falle einvernehmliches Nicht-Handeln vermeiden kann, gibt es bei bloß vermuteten Gefahren im allgemeinen keine klaren, treff-sicheren und daher in ihrer Kosten-Nutzen-Bilanz eindeutigen Vorbeugemaß-nahmen und keinen gesellschaftlichen Konsens, ob man die Vermutungen als plausibel und die Schäden als bedrohlich ansehen soll. Die politische Brisanz entsprechender Entscheidungen - gleichgültig ob sie für oder gegen die zur Ver-fügung stehenden Vorsorgemaßnahmen getroffen werden - wächst also zunächst mit zunehmender Ungewißheit, sinkt aber jenseits eines vorstellbaren und histo-risch 'wandernden' Kulminationspunktes auch wieder ab, weil sich die Ver-mutungen schließlich ins vollkommen Diffuse und Ungewisse verlieren.

Ungewißheit in diesem Sinne wurde zwar schon von der Risikosoziologie als gesellschaftliches Konfliktpotential und Integrationsproblem - häufig auf gesell-schaftstheoretischer und sehr abstrakter Ebene - aufgegriffen. Es wurden aber bisher noch keine genaueren Überlegungen angestellt, ob, und wenn ja welche neuen Steuerungsprobleme daraus folgen und wie sie zu überwinden wären.9

Prima facie könnte man annehmen, daß die Thematisierung von Ungewißheit im hier definierten Sinn zu extremen Diskrepanzen der Bewertung und damit zu noch größeren Problemen führen müßte, als sie in herkömmlichen Steuerungs-situationen gegeben sind. Denn gerade bei einem hohen Maß an Ungewißheit sind zwei völlig konträre Reaktionsformen gleichermaßen plausibel: Die Ver-drängung der Ungewißheit, die Erfahrungen ermöglicht,10 oder die Vermeidung

9 Das einzige Steuerungsinstrument, das von der Risikosoziologie bisher eingehender the-

matisiert wurde, ist das Versicherungswesen. Weil Ungewißheit im hier definierten Sinne aber mangels anwendbarer Erfahrungswerte über Schadensausmaß und Eintrittswahr-scheinlichkeit nicht auf ein versicherbares Risiko zu reduzieren ist, versagt dieses Steue-rungsinstrument (Beck, Erfindung, 1993, S. 40ff.).

10 So das zentrale Argument von Wildavsky, Searching, 1991.

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des Erfahrungsbereichs, die vor unliebsamen und potentiell katastrophalen Über-raschungen schützt.

Eine nähere Gegenüberstellung von herkömmlichen und mit 'objektiver' Unge-wißheit belasteten Steuerungssituationen erlaubt aber auch den gegenteiligen Schluß: Bloße Informationsdefizite auf seiten des Steuerungsakteurs, z.B. der Umweltverwaltung, können zur Folge haben, daß ineffiziente Steue-rungsprogramme formuliert oder Steuerungsprogramme nicht sinnvoll imple-mentiert und nicht wirksam vollzogen werden können. Die Wasserbehörde z.B. weiß vielleicht nicht, welche Schadstoffe eingeleitet werden und wer als Einleiter in Frage kommt.11 Die Steuerungsadressaten wissen dagegen recht genau - oder können es zumindest wissen -, welche Schadstoffe sie einleiten. Wenn sie dem Steuerungsprogramm nicht Folge leisten, so oft deshalb, weil klar definierte Inte-ressen entgegenstehen und weil sie mit einer geringen Entdeckungswahr-scheinlichkeit und milden Sanktionen rechnen können.

Ungewißheit, so wie sie hier definiert wurde, z.B. über bisher unerkannte An-wendungsbereiche und Folgen der Gentechnologie, besteht aber prinzipiell und könnte auch die Betreiber verunsichern, sei es, weil sie ihre Interessen noch nicht klar definieren können, oder sei es, weil sie die Wahrscheinlichkeit von Schäden und das Ausmaß administrativer und gesellschaftlicher Sanktionen nicht abschät-zen können.

Ungewißheit muß also das Steuerungsproblem nicht zwangsläufig verschärfen. Denkbar ist im Gegenteil sogar, daß die Betreiber sowohl in hierarchischen wie in horizontalen Koordinations- und (Selbst-)Regulierungsbeziehungen kooperativer werden, etwa mit dem Ziel, die Folgen der Ungewißheit durch soziale Vertrau-ensbeziehungen zu kompensieren und durch Beteiligung an Entscheidungen die Verantwortung breiter - eventuell sogar auf potentielle Opponenten - zu ver-teilen.12 Die Bereitschaft zur Modifikation oder gar zum Abbruch von Technolo-giepfaden oder einzelnen Projekten könnte insbesondere bei Betreibern von neu-en wissenschaftlichen Methoden und von neuen Technologien bestehen, soweit sie ihr Engagement - in Form von Reputation oder Arbeit oder Kapital - noch nicht in größerem Maße in deren Entwicklung investiert haben, ihnen alternative Investitionsmöglichkeiten offenstehen und sie aufgrund von Konkurrenzmecha-nismen auf das Wohlwollen ihrer sozialen Umwelt angewiesen sind.13 Das setzt aber voraus, daß Ungewißheit auch als solche wahrgenommen und normativ von allen Beteiligten tendenziell ähnlich behandelt wird: Weder als quantité negli-geable ('Restrisiko') noch als unmittelbare Gefahr, die den sofortigen Abbruch der

11 Vgl. z.B. Kriminologisches Seminar, Umweltstrafsachen, 1991. 12 Vgl. z.B. die Einrichtung von 'Runden Tischen' durch das Chemieunternehmen Hoechst im

Anschluß an die Störfallserie an hessischen Standorten im Jahr 1993. 13 Vgl. Wiesenthal, Leviathan 1994, S. 144ff.

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in Rede stehenden Projekte erforderlich macht. Ein solcher Konvergenzprozeß ist aber höchst voraussetzungsvoll und daher zunächst nicht sehr wahrscheinlich.

Nach den Regeln der Kombinatorik ist hier eine Vielzahl von Divergenzen und Mißverständnissen denkbar, die sich dann auch wechselseitig aufschaukeln kön-nen. Hier sollen nur die empirisch naheliegendsten erwähnt werden: Wenn die Betreiber das Problem der Ungewißheit ignorieren und sich sicher fühlen, daß in dem von ihnen wahrgenommenen Zeithorizont keine (identifizierbaren) Schäden auftreten werden, werden sie gegenteilige Befürchtungen bestenfalls als Informa-tionsdefizite oder als 'ideologische Verbohrtheit' der Öffentlichkeit oder der Ver-waltung abtun. Oder sie kalkulieren mit einer doppelten Ungewißheit: Schäden könnten zwar eintreten, aber es ist zugleich auch ungewiß, ob sie in einem rele-vanten Zeitraum auf die Verursacher zugerechnet werden können. Umgekehrt ist auch denkbar, daß die Betreiber bereit sind, über das Problem der Ungewißheit kooperativ zu kommunizieren, aber mit einer Verwaltung oder Öffentlichkeit konfrontiert sind, die ihrerseits Ungewißheit als unmittelbare Gefahr wahrnimmt und daher jedes Eingeständnis von Ungewißheit sofort in ein Argument zur Blo-ckade des in Rede stehenden Projekts ummünzt.

Aber nicht nur im Untersuchungsfeld, auch in und zwischen den an der Unter-suchung beteiligten Disziplinen divergieren die Konzeptionen und Wahr-nehmungen von Ungewißheit und die daraus abgeleiteten Modelle und Empfeh-lungen. In den Rechtswissenschaften neigt man vielfach dazu, 'Ungewißheit' je nach normativer Einstellung zur Ökologie entweder als vorsorgepflichtigen Tat-bestand aufzufassen oder in den rechtsfolgenfreien Bereich des 'sozialadäquaten Restrisikos'14 zu verbannen. Die Rezeption und Assimilation des Risikobegriffs erfolgt vielfach in der Form, daß das 'Risiko' als ein Ereignis mit geringerer Ein-trittswahrscheinlichkeit oder vermindertem Schadensausmaß, also als eine Art 'kleinerer Gefahr' - mit entsprechend verminderter Vorsorgepflicht - angesehen wird.15 Andererseits sind in der Rechtswissenschaft auch verstärkte Anstrengun-gen zu beobachten, Ungewißheit insbesondere im Hinblick auf die Revidierbar-keit des Wissens ('Stand der Wissenschaft') als eigenständige Kategorie zu be-handeln und in verschiedenen Dynamisierungskonzepten zur Gesetzgebung oder Rechtsauslegung zu berücksichtigen - in Form von Temporalisierung, Prozedura-lisierung, Lernfähigkeit und Partizipation. Allerdings ist mit diesen Dynamisie-rungskonzepten vielfach das Problem verbunden, daß die rechtsstaatlich-

14 Der Begriff des 'Restrisikos' ist, wie in der 'Kalkar-Entscheidung' des Bundesverfassungs-

gerichts angedeutet, als Konzession an die erkenntnistheoretische Überlegung zu verste-hen, daß 'Sicherheit' a priori nicht zu beweisen ist, weil sich das gegenwärtige Wissen "im-mer nur auf dem Stand unwiderlegten möglichen Irrtums befindet" (BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (143)).

15 Vgl. Scherzberg, VerwArch 1993.

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demokratische Funktion des Rechts, nämlich qua Setzung vorweg die Unabhän-gigkeit des Entscheidungsprogramms vom ereignisspezifischen Entschei-dungsprozeß zu gewährleisten,16 tendenziell aufgelöst wird, ohne daß dafür in vollem Umfang funktionale Äquivalente, etwa im Sinne demokratisch-partizipativer Entscheidungsprozeduren, vorgeschlagen würden.

Auch die Sozialwissenschaften haben sich bisher nicht auf breiter Front der Beschäftigung mit der Kategorie der Ungewißheit geöffnet. Hier besteht die Ten-denz, einschlägige Regulierungsprobleme entweder, wie oben schon angedeutet, auf Implementations- und Vollzugsdefizite zu reduzieren, oder sie umgekehrt als Ergebnis einer - gemessen an statistischen Erfahrungswerten oder Expertenein-schätzungen - verzerrten Risikowahrnehmung in der Öffentlichkeit zu interpretie-ren.17 In der neueren Risikosoziologie hat sich dagegen eine von Niklas Luhmann vorgeschlagene Unterscheidung von 'Gefahr' und 'Risiko' durchgesetzt, die von der rechtswissenschaftlichen Verwendung dieser Begriffe deutlich abweicht: Was für den Entscheider ein kalkulierbares oder von Ungewißheit belastetes, aber auf jeden Fall bewußt in Kauf genommenes 'Risiko' ist, stellt für die (von der Ent-scheidung) Betroffenen eine für sie unkalkulierbare 'Gefahr' dar.18 In dem Maße, wie die Betroffenen die Gefahr nicht mehr als Schicksal akzeptieren, sondern auf Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen zurechnen, entstehen Risikokonflikte. Mit dieser Fragmentierung der Perspektiven wird Ungewißheit allerdings derart zum potentiellen Mißtrauen aller gegen alle verallgemeinert, daß zwar die oben geschilderten Mißverständnisse recht gut zu erklären sind. Am Ende bleibt dann aber nur noch der vage Appell, die Gesellschaft solle sich daran gewöhnen, mit Unsicherheit zu leben.19

In dem von Ulrich Beck formulierten Konzept 'reflexiver Modernisierung' wer-den Risikokonflikte zwar auch als zunächst reflexartiger Selbstblockie-rungsprozeß moderner Institutionen beschrieben.20 Es wird jedoch angedeutet, daß hierdurch ein Zwang zur 'Reflexion', d.h. zur bewußten Modifikation kon-ventioneller Modernisierungsziele (Erkenntnisfortschritt, Wirtschaftswachstum, Verrechtlichung etc.) und zur kooperativen Abstimmung zwischen den Teil-systemen entstehen könnte. Es bleibt aber offen, inwieweit 'Reflexion' bei Beck als empirisch-analytische Kategorie oder als präskriptive Idee zu verstehen ist.

16 Vgl. Maus, KJ 1986. 17 Z.B. Kepplinger et al., Gentechnik, 1991. 18 Luhmann, Soziologie, 1991. 19 Luhmann, Soziologie, 1991, S. 232f. 20 Beck, Erfindung, 1993.

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1.3. Fragestellung der vorliegenden Untersuchung

Während die Soziologie, soweit sie die Kategorie der Ungewißheit aufgreift, vor allem fragt, wie sich Entscheidungsprozesse unter der Bedingung von (wahrge-nommener) Ungewißheit verändern, stellt sich für die Rechtswissenschaft vor allem die Frage, wie dennoch - innerhalb des verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmens - entschieden werden kann und soll.21 Diese Unterschiede in der dis-ziplinären Herangehensweise haben auch in der hier vorliegenden Untersuchung den Arbeitsprozeß und die Entwicklung der Fragestellung geprägt.

Schon durch die Einordnung des Forschungsprojekts in das von der VW-Stiftung aufgelegte Förderungprogramm 'Recht und Verhalten' ist eine Aus-gangsdifferenz markiert: 'Fiat justitia pereat mundi' - Gerechtigkeit soll sein, auch wenn die Welt untergeht - so lautete der Wahlspruch jener Dame Justitia, die, um Gerechtigkeit zu üben, die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen hält. Juristi-sche Untersuchungen beziehen sich - zumindest traditionell - auf die immanente Konsistenz von Rechtssetzung und Gesetzesauslegung, ohne der sozialen Be-dingtheit des Rechts und den Rückwirkungen des Rechts auf die soziale Wirk-lichkeit verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen. Das Ziel der juristischen Arbeit sind normative Sätze: Was sein soll, weil es rechtmäßig ist. Soweit in neueren Untersuchungen verstärkt auch 'Rechtstatsachen' berücksichtigt werden, wird der empirische Ausschnitt doch kaum in seinen sozialen Kontextbezügen wahrge-nommen, sondern vorwiegend durch die positiv-rechtliche Norm definiert.

Die Verhaltenswissenschaften - hier die Soziologie - fragen dagegen, wie sich Menschen in gesellschaftlichen Formationen tatsächlich verhalten, welche Moti-vationen sie dazu antreiben und welche Regelmäßigkeiten dabei zu beobachten sind. Während die Rechtswissenschaft - aus der Verfassung hergeleitete - norma-tive Aussagen zum Ziel hat, versuchen Soziologen sich eigener Bewertungen möglichst weitgehend zu enthalten und fragen daher zunächst gerade nicht, was sein sollte, sondern was der Fall ist.22 Auch das Recht begegnet den Verhaltens-wissenschaften als empirisches Phänomen, sei es, daß sie fragen, warum und wie es zustande kommt, oder warum und wie es in der Praxis wirkt. Seine immanente Logik ist für sie daher - zumindest traditionell - kein genuines Anliegen. Wider-

21 Z.B. Ladeur, Umweltrecht, 1995. 22 Ein in dieser Hinsicht typisches Mißverständnis ereignete sich auf dem Workshop zu die-

sem Projekt, als ein Rechtswissenschaftler uns aufforderte, zur gegenwärtigen Risikoein-schätzung des Gentechnikgesetzes (S 1-Standard) Stellung zu beziehen, und ich (B.G.) als Soziologe darauf hinwies, daß dies ein normatives Problem sei (ich meinte damit: das ist eine Frage, zu der ich wohl eine persönliche Meinung habe, die ich aber als Wissenschaftler gar nicht beantworten darf). Er antwortete daraufhin (sinngemäß): Genau, das ist eine normative Frage (womit er wohl meinte: deshalb muß sie beantwortet werden).

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sprüche im Recht, wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen, müssen sie nicht beseitigen. Sie versuchen vielmehr, aus ihnen die Dynamik der sozialen Entwick-lung herauszulesen.23 Ein gemeinsames Erkenntnisinteresse entwickelt sich aber schon seit einiger Zeit bezüglich der Problemstellung, welche Steuerungsleistun-gen vom Recht ausgehen und wie sie gegebenenfalls verbessert werden können. Das impliziert eine gegenseitige Öffnung für empirisch-analytische, respektive für rechtsimmanente Denkweisen. So untersucht die Implementationsforschung die Wechselwirkungen zwischen politischen Zielsetzungen, die Formulierung ent-sprechender Rechtsprogramme, die Organisationsstruktur der mit der Umsetzung betrauten Behörden und das Verhalten der Normadressaten.24

In der vorliegenden Untersuchung geht es um die Implementation von Sicher-heitsbestimmungen in der wissenschaftlichen Forschung, einem gesellschaftlichen Bereich, der von der allgemeinen Tendenz zur Verrechtlichung bisher weitgehend ausgenommen war. Im Bereich der Forschung und wissenschaftlich-technologischen Innovation stellt sich, mehr als in allen anderen gesellschaftli-chen Bereichen, jedoch das empirische wie normative Abgrenzungsproblem, inwieweit mit klassischen, erfahrungsbasierten Rechtsbefehlen operiert wird, oder inwieweit der bereichsspezifischen Entdeckung und Evozierung des Neuen, also auch potentiell riskanter neuer Wirkmechanismen, Rechnung getragen wird bzw. Rechnung getragen werden kann und soll.

Am Beispiel der Genforschung gehen wir der Frage nach, wie sich der 'Um-gang mit Ungewißheit' im oben definierten Sinn im Recht, im Verwaltungsvollzug und in der Forschungspraxis vollzieht und wie er besser gestaltet werden kann. Dabei soll herausgearbeitet werden, wie der staatliche Rechtsrahmen mit der Risikowahrnehmung und Selbststeuerung auf den jeweiligen Ebenen - im Verwal-tungsvollzug, in den Betreiberorganisationen, und vor allem in den einzelnen Laboratorien - interagiert oder interagieren könnte. Ein die disziplinären Perspek-tiven überspannendes Motiv ist dabei die Frage, wie sich angesichts von for-schungstypischer Ungewißheit ein vorausschauender Gesundheits- und Umwelt-

23 Entsprechend sind auch viele Bezeichnungen mit verschiedenen Bedeutungen belegt. Auf

das unterschiedliche Verständnis von 'Gefahr' und 'Risiko' in den beiden Disziplinen wurde schon oben verwiesen. Der Begriff der 'Norm' ist in der Soziologie sehr viel weiter gefaßt als in der Rechtswissenschaft. Er umfaßt alle verbindlichen sozialen Konventionen, gleich-gültig ob sie rechtlich kodifiziert sind oder nicht. Zugleich werden viele Bezeichnungen in der Soziologie eher alltagssprachlich verwendet, zumindest dann, wenn es zunächst um ei-ne qualitative Erfassung und eine allgemeinverständliche Beschreibung von empirischen Phänomenen geht. Die Funktion der Soziologie liegt vor allem in der Aufklärung - sie will Sachverhalte zur Diskussion stellen. Die Rechtswissenschaft analysiert dagegen Entschei-dungen, deren Rechtsförmigkeit gerade aus ihrer terminologisch präzisen Herleitung resul-tiert.

24 Vgl. Mayntz, Implementation I, 1980; Mayntz, Implementation II, 1983.

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schutz verbessern läßt, ohne dabei wissenschaftlich-technische Innovationen von vornherein zu unterbinden, und wie die in dieser Hinsicht divergierenden Interes-sen zu einem produktiveren Ausgleich gebracht werden können.

1.4. Überblick über den Aufbau der Untersuchung

Im folgenden Kapitel wird zunächst detailliert herausgearbeitet, welche Risiken im Zusammenhang mit der Gentechnik diskutiert werden und aufgrund welcher naturwissenschaftlicher und sozialphilosophischer Überlegungen eine rechtliche Regulierung speziell der gentechnischen Forschung angezeigt erscheint. In Kapi-tel 3 wird die rechtspolitische Entwicklung, die zum Erlaß rechtlicher Regulie-rung gegenüber der Gentechnik - und damit besonders gegenüber der gentechni-schen Forschung - geführt haben, im allgemeineren rechtshistorischen Kontext der Regulierung von riskanter experimenteller Forschung insgesamt betrachtet.

Diesen, die Entstehung des Regulierungsfeldes skizzierenden Kapiteln folgt in einem zweiten Teil die Analyse des rechtlichen Normenprogramms. In Kapitel 4 wird die Fortentwicklung rechtlicher Steuerungskonzepte gegenüber riskanten Technologien speziell unter dem Aspekt der Ungewißheit diskutiert und dabei werden insbesondere die Risikokonzepte im Atomrecht und im Gentechnikrecht miteinander verglichen. In Kapitel 5 werden die einzelnen verwaltungsrechtlichen Instrumente betrachtet und Überlegungen zu ihrer Wirksamkeit gegenüber den Steuerungsadressaten angestellt. In Kapitel 6 werden flankierende Rechtsinstru-mente aus dem Bereich des Privatrechts und des Strafrechts untersucht. Insbe-sondere dem Haftungsrecht werden in der umweltrechtlichen Diskussion in jünge-rer Zeit besondere Vorteile zugeschrieben, denn es scheint die Verlagerung von Vorsorgeaufgaben von der staatlichen Verwaltung auf private Institutionen zu ermöglichen ('schlanker Staat').

Der Analyse des Normenprogramms folgt dann in einem weiteren Teil die em-pirische Untersuchung der Implementierung der Normen und ihrer Wirkung bei den Steuerungsadressaten, also den Genforschern. Dabei werden die Etablierung der entsprechenden administrativen Strukturen auf Seiten der staatlichen Verwal-tungen und bei den Betreiberorganisationen nachgezeichnet sowie die öffentli-chen Stellungnahmen seitens der betroffenen Forscher analysiert. Außerdem ha-ben wir versucht, im Rahmen ausführlicher Interviewserien bei drei For-schungsgruppen auch interne, möglichst alltagsnahe Sichtweisen zu erheben.25 Besondere Aufmerksamkeit galt in diesem empirischen Teil der Untersuchung

25 Die Überlegungen zur methodischen Vorgehensweise sind in Anhang 1 dargestellt.

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wiederum der Wahrnehmung und Berücksichtigung von Ungewißheit, sowie dem Umgang mit den ungewißheitsbasierten Regelungen des Gentechnikrechts.

In Kapitel 7 werden diese Fragen für den Umgang mit der Genforschung im 'Geschlossenen System', d.h. im Labor, behandelt. Implementierung und Aus-wirkung des Gentechnikrechts im Hinblick auf die experimentelle Freisetzung und Vermarktung sind Gegenstand von Kapitel 8. Bei der hier eingeführten Step-by-step-Regelung, dem schrittweisen Übergang vom Labor über kleinere und zunehmend größere Feldversuche bis zur vollständigen Freigabe, kommen in besonders deutlichem Umfang die ungewißheitsbasierten Elemente des Gentech-nikrechts zum Tragen. Wichtig ist dabei auch die internationale Dimension: Zum einen ist die Freisetzung transgener Organismen auch in vielen anderen Ländern umstritten. Zum zweiten gelten Vermarktungsentscheidungen - als Endpunkt und Ziel der experimentellen Freisetzungen - für die gesamte EU, so daß die Regulie-rung der vorausgehenden experimentellen Freisetzungen nur im Rahmen der EG-weiten Abstimmungsprozesse sinnvoll zu betrachten ist. Kapitel 9 ist der so-matischen Gentherapie und damit einem Bereich gewidmet, der vom Gentechnik-recht bisher noch kaum erfaßt wird. Denn das deutsche Gentechnikgesetz gilt hier nur für die Zubereitung entsprechender Präparate im Labor, nicht aber für deren Anwendung am Menschen. Es handelt sich also um die empirische Untersuchung eines Kontrastfalls, insofern als hier der Umgang mit Ungewißheit im Modus der Selbstregulierung in einem bisher noch mehr oder weniger 'rechtsfreien', d.h. noch nicht spezialgesetzlich regulierten Raum zu beobachten ist.

Im abschließenden Teil wird dann in zweierlei Hinsicht Resümee gezogen: In Kapitel 10 werden die in den vorausliegenden Kapiteln aufgezeigten Defizite und Schwierigkeiten noch einmal zusammengefaßt und rechtspolitische und politische Konsequenzen vorgeschlagen, mit denen unserer Ansicht nach der Umgang mit Ungewißheit zu verbessern ist. Zum einen geht es darum, wie die Kluft zwischen dem je aktuellen Noch-Nicht-Wissen und dem je aktuellen Noch-Nicht-Wissen-Können zu schließen ist, und wie zum zweiten dieses stets verbleibende Noch-Nicht-Wissen-Können durch eine Demokratisierung der Entscheidungen gesell-schaftlich für alle erträglich gestaltet werden kann. In Kapitel 11 wird eine Ein-ordnung der hier vorgestellten Befunde in die soziologische Theoriedebatte vor-genommen. Anknüpfend an die Theorie reflexiver Modernisierung wird abzu-schätzen versucht, welche Veränderungen sich mit der Thematisierung von Un-gewißheit in der Gesellschaft und in der Gesellschaftstheorie ergeben und inwie-weit die Rede vom 'Weg in eine andere Moderne' vor dem Hintergrund der hier vorgelegten empirischen Ergebnisse gerechtfertigt scheint.

Mit der Wahl dieses Untersuchungsfokus ergibt sich zugleich eine Ein-schränkung im Hinblick auf die Gesamtproblematik der Genforschung. Wir be-trachten vor allem die Probleme, die sich aus nicht-intendierten und uner-

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wünschten Nebenfolgen ergeben können. Die Diskussion über die moralische Rechtfertigung der intendierten Handlungsziele - der beabsichtigten Verän-derungen im Bereich des Lebendigen und des Menschen selbst - bleibt dagegen weitgehend ausgeklammert. Ob es also gesellschaftlich überhaupt wünschenswert ist, Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere und Menschen 'nach Maß' zu schaffen, oder wie diesen Entwicklungen andernfalls Einhalt geboten werden könnte, ist nicht Gegenstand der Untersuchung. Überlegungen in diese Richtung spielen nur insoweit eine Rolle, wie es um die Frage geht, ob Ungewißheiten oder gar er-kennbare Risiken in Kauf genommen werden sollen bei Handlungszielen, die in der Gesellschaft sehr umstritten sind. Entsprechende Überlegungen werden in Kapitel 10 eingeführt.

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Kapitel 2: Risikodimensionen der Gentechnologie im Vergleich

Wissenschaftliche Forschung ist als gesellschaftliches Subsystem auf die Suche nach dem Neuen spezialisiert. Deshalb ist sie auch in besonderem Maße mit neu-artigen, unerwarteten Gefahren konfrontiert. Kognitiv unproblematisch sind dabei Gefahren mit sofortiger und deutlicher Wirkung, weil sie kausal meist leicht zu erklären und entsprechend zielgerichtet zu vermeiden sind.1 Lernen aus Erfahrung wird hingegen häufig verzögert oder blockiert, wenn Wirkungen nur mittelbar, undeutlich und räumlich oder zeitlich versetzt eintreten.

So wurde die Gefährdung durch verschiedene giftige Chemikalien, Röntgen-strahlen und Radium lange Zeit von den betroffenen Wissenschaftlern bezweifelt oder gar nicht erkannt. Einige starben bei Selbstversuchen oder an den Langzeit-wirkungen der von ihnen erforschten Instrumente oder Stoffe.2 Gelegentlich kommt auch psychische Abwehr hinzu, wenn es sich um von den Forschern selbst erzeugte Nebenfolgen handelt. Befangenheit in eigener Sache ist nichts Unge-wöhnliches, wird aber besonders problematisch, wenn sie kollektiv wirksam und mit dem Monopol der entsprechenden Sachkompetenz verbunden ist.3

Trotzdem ist die Befassung mit Risikosteuerung gerade im Bereich der Wis-senschaft nicht selbstverständlich. Lange blieb dieser Bereich aus der gesetz-lichen Regulierung ausgeklammert, wie im nächsten Kapitel noch näher zu zeigen sein wird. Wenn nun im Verlauf des 20. Jahrhunderts auch die Wissenschaft hier verstärkt ins Blickfeld gerät, so ist es zunächst erforderlich, die verschiedenen Risiko- und Verantwortungsdimensionen der Wissenschaft allgemein und speziell der Gentechnologie systematisch aufzuzeigen.

2.1. Risiko- und Verantwortungsdimensionen der Forschung

Wenn hier von Risikodimensionen die Rede ist, so ist damit nicht vorrangig die in den Rechtswissenschaften und der Versicherungswirtschaft gebräuchliche Formel

1 Zur Bedeutung des Feedback beim Management von Risiken vgl. Morone/Woodhouse,

Averting, 1986, S. 121ff. 2 Hunter, The Lancet 1936. 3 Berühmtes Beispiel aus dem 19. Jahrhundert ist hier die Reaktion auf die Beobachtung des

Wiener Gynäkologen Ignaz Semmelweis, daß das zur damaligen Zeit gehäufte Auftreten des Kindbettfiebers von den Ärzten selbst bei ihren Untersuchungen übertragen wurde und sich durch einfache Hygienemaßnahmen vermeiden läßt. Semmelweis wurde geschmäht und verlor seine Anstellung. Erst einige Jahre später wurde seine Theorie allgemein akzep-tiert und praktisch umgesetzt (Semmelweis, Lectures, 1850).

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- Schadensausmaß mal Eintrittswahrscheinlichkeit - gemeint. Wenn es, wie in der Einleitung angesprochen, auch um die Berücksichtigung von vorerst hypotheti-schen Risiken gehen soll, würde eine solche Betrachtungsweise zwangsläufig zu kurz greifen: Hypothetische Risiken zeichnen sich gerade dadurch aus, daß über Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit noch keine, oder zumindest noch keine empirischen Kenntnisse bestehen können. Normative Begründungen für Vorsorgemaßnahmen sind daher bei hypothetischen Risiken noch mehr als bei bekannten Risiken auf ethisch a priori bestimmbare und in unserer Gesellschaft allgemein geltende Verantwortlichkeitsgrundsätze angewiesen.4

2.1.1. Neuartige und bekannte Risiken

Die Forschung kommt in zweierlei Weise mit neuartigen Gefährdungen in Berüh-rung. Einesteils indem sie solche Gefährdungen selbst erzeugt (z.B. Radio-aktivität, synthetische Chemie), anderenteils indem sie andernorts entstandene Gefährdungen aufklären soll. Denn auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen können neue risikobehaftete Stoffe, Wechselwirkungen, Handlungsabfolgen etc. auftreten, ebenso wie sich aufgrund natürlicher Prozesse neue Gefährdungslagen ergeben können. Allerdings können auch bei der Aufklärung andernorts auftre-tender Risiken diese wiederum durch die Forschungstätigkeit weiterpropagiert werden, die zunächst oft in Unkenntnis der erst später bekannt werdenden Wirk-mechanismen vonstatten gehen muß.

Das heißt aber nicht, daß alle Gefahren, die im Handlungsbereich der For-schung auftreten, nun ihrerseits neuartig sein müßten. Viele Gefahren der experi-mentellen Forschung - z.B. im Umgang mit explosivem, giftigem, infektiösem oder radioaktivem Material - sind schon länger bekannt und gut beschrieben. Soweit mit diesen Materialien oder Methoden auch in anderen Handlungsberei-chen umgegangen wird, handelt es sich um Gefahren, die die Forschung nicht ein-mal in besonderem Maße betreffen, denn häufig werden die Stoffe in geringeren Mengen verwendet und die Prozesse laufen in kleinerem Maßstab ab als etwa im industriellen Betrieb.

Allerdings lassen sich gegen bekannte Gefahren sehr viel leichter Vorkeh-rungen treffen als gegen bloß vermutete und in ihren Wirkdimensionen weit-gehend unbekannte oder eben umstrittene Gefahren. Deswegen beziehen sich die

4 Wie die Risikosoziologie gezeigt hat, ist die soziale Risikowahrnehmung - gleichgültig wie

weit sie von 'objektiven' Risikokalkulationen abweicht - immer, also auch bei grundsätzlich bekannten Risiken, von Bedeutung (z.B. Bechmann, Risiko, 1993). Z.B. werden selbstver-antwortlich eingegangene Risiken (z.B. Selbstschädigung durch Rauchen, Skifahren etc.) immer anders bewertet als fremd auferlegte Risiken.

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meisten bestehenden Regulierungen selbst dort, wo sie die Forschung betreffen, überwiegend auf bekannte Risiken. Die Regulierung neuartiger Risiken ist daher auch nicht einfach mit der Regulierung der Forschung gleichzusetzen. Vielmehr kommt es im folgenden (Kap. 2.3.) darauf an, diese beiden Risikodimensionen, die oft gleichzeitig und in nur analytisch unterscheidbaren Kombinationen vorlie-gen, näher zu betrachten.

2.1.2. Selbst- und Fremdgefährdung

Solange Wissenschaftler mit ihrer Forschungstätigkeit nur sich selbst gefährden, handeln sie in eigener Verantwortung. Tatsächlich ist dies, außer bei gezielten Selbstversuchen, aber selten der Fall. Mitarbeiter werden oft ebenfalls oder in erster Linie gefährdet, weil sie nicht informiert sind, die Situation schlecht ein-schätzen können oder weisungsgebunden handeln. Emissionen aus dem Labor können schließlich die Nachbarschaft und die Umwelt gefährden. Aber selbst wenn das nicht der Fall ist, kann zumindest die Aufklärung von Forschungsunfäl-len für die Öffentlichkeit von Interesse sein, wenn nicht auszuschließen ist, daß die im Labor aufgetretenen Schäden im Zuge wissenschaftlich-technischer Inno-vationen sich später auch außerhalb manifestieren können. Die Wissenschaftler sind hier in gewisser Weise die sich selbst erwählenden 'Versuchskaninchen' der Gesellschaft.5 Um zukünftig ähnliche Forschungsunfälle zu vermeiden, sind sie auch in aller Regel an einer (fach-)öffentlichen Aufklärung interessiert.6

2.1.3. Natürliche und anthropogen erzeugte Risiken: Verantwortung aufgrund von Handlungsabsicht

Negative Folgen menschlicher Handlungen werden normalerweise ihren Ver-ursachern schuldhaft zugerechnet, natürlich bedingte Schäden gelten dagegen als schicksalhaft. Das zeigt sich auch in der Rechtsordnung, die hier zwischen Ab-sicht, Vorsatz, grober und einfacher Fahrlässigkeit unterscheidet und mit ent-

5 Vgl. Gill, Soziale Welt 1994, S. 438f. 6 Entsprechende Unfälle werden in der Fachliteratur auch häufig publiziert (vgl. z.B. Pike,

Annual Review of Microbiology 1979). Gelegentlich kann die Publikation allerdings auch aufgrund verschiedener Interessenkonstellationen unterdrückt werden. Ein Chemiker, der infolge eines schweren Chemieunglücks in den 50er Jahren das später anläßlich eines neuen Unfalls so genannte 'Seveso'-Dioxin (2,3,7,8-TCDD) isolierte und von dieser Arbeit schwere Gesundheitsschäden davontrug, berichtete z.B. 1984, daß ihm die vorgesetzte Dienstbehörde die Publikation seiner Feststellungen damals untersagte, und zwar mit der Begründung, daß das billig herzustellende TCDD von militärischer Seite als Kampfstoff verwendet werden könnte (Sandermann, Naturwissenschaftliche Rundschau 1984).

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sprechend von Stufe zu Stufe jeweils abgeschwächten Sanktionen reagiert. Auch wenn nur in Ausnahmefällen7 von Schädigungsabsicht auszugehen ist, werden gefährliche Experimente in der Wissenschaft moralisch anders wahrgenommen als durch natürliche Prozesse induzierte Risiken, selbst wenn sie in ihren Konse-quenzen nach der Maßgabe von Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit vergleichbar wären.8

2.1.4. Verantwortung aufgrund von Reflexions- und Handlungsfähigkeit

Die soeben angeführte Abschichtung der moralischen Bewertung orientiert sich aber nicht nur an der Handlungsabsicht, sondern auch an der Reflexions- und Handlungsfähigkeit der verschiedenen Akteure.9 Der Wissenschaft wird man aufgrund der von ihr beanspruchten Kompetenz - gerade auch bei neuartigen Risiken - regelmäßig die relativ weitestgehende Erkenntnisfähigkeit zuschreiben müssen. Auch präventive Handlungsfähigkeit wird man der Wissenschaft in ho-hem Maße zuschreiben, zumindest soweit sie von der öffentlichen Hand oder großen Industrieunternehmen getragen wird. Die empirisch begrenzte Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit der einzelnen Wissenschaftler aufgrund des frag-mentierten Charakters der Einzelwissenschaften und der Organisationsdefizite z.B. an Universitäten wird man dagegen kaum als dauerhaft zureichenden Ent-schuldigungsgrund für ein entsprechendes Versagen der Wissenschaft in der Risi-koforschung und -vorbeugung anführen können.

7 Die Forschung an international geächteten Angriffswaffen fällt mit Sicherheit in diesen

Bereich. 8 Der Streit darüber, ob AIDS infolge zellbiologischer oder gentechnischer Experimente,

wie manche behauptet haben, oder durch eine spontane Mutation eines bis dato nur für Af-fen infektiösen Virus (SIV -> HIV) entstanden ist, wie die meisten Wissenschaftler an-nehmen, ist daher moralisch gesehen durchaus von Belang, auch wenn die medizinischen Konsequenzen dieselben sind.

9 Wenn z.B. ein Kind an einem auf öffentlichem Gelände angebrachten und leicht zugäng-lichen Ventilhebel einer Rohrleitung spielt und damit einen Schaden auslöst, wird man kaum dessen Eltern (rechtlich) zur Verantwortung ziehen, sondern diejenigen, die den He-bel dort angebracht haben, obwohl sie wissen konnten, daß er auch für Kinder zugänglich ist. Ebenso wird man entschuldigen, wenn das Kind dann vor Schreck wegläuft, anstatt die Feuerwehr zu verständigen. Anders verhält es sich, wenn ein Facharbeiter auf einem Firmengelände den gleichen Fehler begeht.

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2.1.5. Gesellschaftliche Bewertung des Handlungsziels

Verständlicherweise gründet sich die gesellschaftliche Akzeptanz von nicht-intendierten Gefährdungen auch auf die moralische Bewertung des Handlungs-ziels. Die Bewertung wird sich aber nicht nur danach richten, ob das Ziel als 'gut' oder 'schlecht' angesehen wird, sondern auch danach, ob alternative Mittel zur Verfügung stehen, die mit weniger gefährlichen oder ungewissen Nebenfolgen behaftet sind. Eine Begründungspflicht für die Wahl der Methoden wird also bereits in der Grundlagenforschung nicht immer von der Hand zu weisen sein. Im Bereich der anwendungsorientierten Forschung wird man sich gegen eine öffent-liche Begründungspflicht auch für die Forschungsziele selbst kaum längerfristig sperren können. Empirisch ist in jedem Fall zu beobachten, daß Gefährdungen im Zusammhang mit allgemein akzeptierten Forschungszielen eher hingenommen werden als bei Forschungszielen, deren Bezug zum Allgemeininteresse schwer nachvollziehbar ist.10

2.1.6. Vermehrungs- und Ausbreitungsfähigkeit als spezifische Dimension bio-logischer Risiken

Während im vorstehenden erkenntnistheoretische und soziale Kriterien der Ver-antwortlichkeit angesprochen wurden, soll hier das einzige auch bei neuartigen Risiken eventuell a priori gültige 'objektive' Abschätzungskriterium erläutert wer-den. Ein Spezifikum des Umgangs mit lebenden Organismen besteht darin, daß diese sich selbsttätig vermehren und ausbreiten können. Das bedeutet zweierlei: - Biologische Risiken sind häufig 'nicht rückholbar'. Anders als chemische Stoffe

werden sie in der Umwelt auch nicht 'abgebaut', nachdem ihre Emission ge-stoppt wurde. Im Gegenteil: Sie können - zumindest theoretisch - immer mehr zunehmen.

- Es gibt kaum ein im voraus abschätzbares Verhältnis der Menge der emit-tierten Organismen und den möglichen Schäden. In seltenen, aber kaum vor-hersehbaren Situationen können wenige Exemplare maximalen Schaden anrich-ten.

Entsprechend sind die Risiken der experimentellen biologischen Forschung nicht zwangsläufig geringer als die Risiken der Herstellung im großen Maßstab (vgl. oben, Kap. 2.1.1.). Aus diesen Gründen wurden in der biologischen Forschung,

10 Daß Laien ihre Abschätzung kaum von reinen Risikokalkulationen, sondern von der kom-

plexeren Abwägung der Ziel-Mittel-Relation unter Einbeziehung von Alternativen abhän-gig machen, zeigt u.a. ein Bürgergutachten, das von der Akademie für Technikfolgenab-schätzung Baden-Württemberg initiiert wurde (Rauland, GAIA 1996).

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wie im nächsten Kapitel noch näher erläutert wird, bereits frühzeitig, nämlich zu Beginn dieses Jahrhunderts, entsprechende rechtliche Bestimmungen zur Vorbeu-gung gegen bekannte Risiken erlassen.

2.2. Biologische Risiken

Die Diskussion biologischer Risikodimensionen beschränkt sich im folgenden auf die Bereiche, die bei der Abschätzung der Risiken der Bio- und Gentechnologie bisher eine wichtige Rolle gespielt haben. Anhand der bisherigen Erfahrungen mit Risiken beim Umgang mit Krankheitserregern und im Pflanzenbau wurden näm-lich Analogiemodelle generiert, aus denen entsprechende Risikoszenarien und Vorsorgemaßnahmen hergeleitet wurden (vgl. im folgenden auch Schaubild 1 in Kap. 1, S. 21).

2.2.1. ... am Beispiel des Umgangs mit Krankheitserregern (Mikrobiologie)

Die Zahl der weltweit bis in die 70er Jahre entdeckten und publizierten Labor-infektionen mit natürlich vorkommenden Krankheitserregern beträgt 4079; 173 Todesfälle sind dokumentiert.11 Insofern verfügt die Mikrobiologie auch über einige Erfahrungen im Umgang mit Laborrisiken. Entsprechend hat sie alle bis dato bekannten Erreger in Risikogruppen eingeteilt, die in Labors mit ent-sprechenden Sicherheitsstufen (von S 1 für normale Labors bis S 4 für Hoch-sicherheitslabors) bearbeitet werden.

Viele Infektionen ereigneten sich dabei in Kenntnis der vorhandenen Gefahren. Nicht selten sind Unfälle, z.B. die Verletzung mit Injektionsnadeln, als Ursache identifiziert worden. Die Gründe für die Infektionen liegen oft in der mangelnden Ausbildung des Personals, fehlenden technischen oder organisatorischen Vorkeh-rungen oder der Verletzung von Sicherheitsbestimmungen aufgrund von Arbeits-überlastung, heroischen Gruppenritualen, Selbstüberschätzung und nachlassender Aufmerksamkeit, wie sie häufig mit einem lange Zeit störungsfreien Betrieb ein-hergeht.12

Dennoch sind nicht alle Vorkommnisse als triviale Unfälle einzuordnen. Zum einen ist bei einem Teil der oben angeführten Infektionen die Ursache nicht ge-klärt. Man nimmt lediglich an, daß es sich um Laborinfektionen und nicht um

11 Pike, Annual Review of Microbiology 1979. 12 Pike, Annual Review of Microbiology 1979; Collins, Laboratory, 1993; Phillips, Ameri-

can Industrial Hygiene Association Journal 1969. Vgl. allgemein zur Organisationspsy-chologie der Arbeitssicherheit Nold, Psychologie, 1993.

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andere Ansteckungsursachen handelt, weil mit einem relativ exotischen Orga-nismus gearbeitet wurde, mit dem die Betroffenen sonst kaum in Kontakt kom-men konnten, oder weil eine ungewöhnliche Häufung der Erkrankung unter dem Personal aufgetreten ist.13

Zweitens ist beim Umgang mit Isolaten aus natürlichen Umgebungen (z.B. Blutproben) nie endgültig bekannt, welche Krankheitserreger sie enthalten - theo-retisch müßte man sie immer in die höchste Sicherheitsstufe einordnen, um zu-nächst ihr Gefahrenpotential zu bestimmen. Erst nach dieser Einordnung dürften sie in einer entsprechend niedrigeren Sicherheitsstufe weiterbearbeitet werden. Diese Vorgehensweise wird aber aus pragmatischen Gründen nur in besonderen Verdachtsfällen gewählt.14

Drittens wird man, wie etwa beim überraschenden Ausbruch des Marburg-Virus,15 immer wieder mit neuen, bis dato vollkommen unbekannten Erkrankun-gen konfrontiert, die durch die Einführung von Organismen in neue Kontexte ausgelöst werden können. Eine Einführung in neue Kontexte kann sich z.B. er-eignen: - unbeabsichtigt bei Fernreisen und Fernhandel (Krankheitskeime, Parasiten), - durch die Zerstörung natürlicher Habitate (z.B. Abholzen der Regenwälder),

die die dort lebenden Tiere und ihre Krankheitskeime in andere Lebensräume drängt,

- bei biologisch ungewöhnlichen Ernährungsweisen (z.B. der Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer als wahrscheinliche Ursache für BSE),

- bei der Übertragung von tierischem Gewebe auf Menschen (Xenotransplanta-tion),

- bei wissenschaftlichen Experimenten mit Zellkulturen.16

13 Umgekehrt gilt, daß gerade beim Umgang mit Erregern, die ohnehin in der Bevölkerung

verbreitet sind, z.B. bei AIDS- oder Hepatitis-Viren, eine eindeutige Zurechnung als La-borunfall oft sehr schwer fällt. Mit verfeinerten (gentechnischen) Diagnostikmethoden läßt sich allerdings in jüngerer Zeit oft genauer eingrenzen, ob die Infektion von den im Labor bearbeiteten Proben herrührt oder nicht (vgl. Weiss et al., Science 1988; Barnes, Science 1988).

14 Ein spezifischer Verdacht besteht z.B. dann, wenn die Person, von der die Blutprobe stammt, schon die klinischen Symptome einer entsprechend ansteckenden und gefährlichen Krankheit entwickelt hat.

15 Martini et al., German Medical Monthly 1968. 16 Nicht nur die Berichte über 'Rinderwahnsinn' (BSE), sondern auch über andere aktuellere

Entwicklungen sorgten vielfach in der Tagespresse für Aufregung, vgl. nur Flöhl, FAZ vom 14.2.1995, S. 33. Zu den wissenschaftlichen Hintergründen vgl. Culliton, Science 1990; Kiper, Seuchengefahr, 1992; Crosby, Ecological, 1986; Chapman, New England Journal of Medicine 1995. Außerdem wird diskutiert, ob z.B. bei der Transplantation von Immunzellen des Pavians auf AIDS-Kranke die bisher weitgehend unbekannten Erreger

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Wie sich an diesen Beispielen für neuartige Risiken wiederum zeigt, sind nur die beiden letzteren durch wissenschaftliche Tätigkeiten direkt hervorgerufen. Für den oben erwähnten Ausbruch des Marburg-Virus war zwar der Import von grü-nen Meerkatzen als Versuchstieren für die biomedizinische Forschung verant-wortlich. Ein vergleichbarer Unfall hätte sich aber auch bei der - u.U. auch illega-len - Einführung von exotischen Tieren aus anderen Motiven ereignen können. Aber früher oder später wird die Wissenschaft dann eingeschaltet und in den Um-gang und die anfangs manchmal nicht ganz vermeidbare Weiterpropagierung des Risikos involviert. Vielfach befindet sich die Mikrobiologie dabei in einer morali-schen Ausnahmesituation, weil auf ihren diagnostischen Einsatz beim Ausbruch einer neuartigen Infektionskrankheit - anders als in der Grundlagenforschung oder bei biotechnologischen Innovationen - nicht verzichtet werden kann.

Und viertens ist es schließlich denkbar, daß Erkrankungen aufgetreten sind, die nicht in die oben genannte Zahl der Laborunfälle eingehen, weil ein unbekannter Wirkmechanismus zugrundeliegt und deswegen entsprechende Symptome auch nicht einem u.U. sogar unbekannten Agens zugerechnet werden können, mit dem die betroffene Person im Labor Kontakt hatte. Daß auch eine schon länger etab-lierte Disziplin hier nicht vor Überraschungen gefeit ist, scheint sich gegenwärtig in der wissenschaftlichen Diskussion um die Ursachen des 'Rinderwahnsinns' (BSE) zu zeigen. Wenn die derzeit vorherrschende These zutreffen sollte, propa-giert sich der Erreger ('Prion') nicht durch die Multiplikation von Erbmaterial (DNA, RNA), wie dies bei allen bisher bekannt geworden Infektionskrankheiten der Fall ist, sondern durch die Umformung von Eiweißmolekülen. Weil dieser Ansteckungsmodus noch weitgehend rätselhaft ist, lassen sich bisher weder die Ausbreitungswege noch entsprechende Eindämmungsmaßnahmen zielgenau und zuverlässig bestimmen.17

2.2.2. ... am Beispiel des herkömmlichen Pflanzenbaus

Weniger dramatisch, wenngleich durchaus beachtlich, sind die Risiken beim her-kömmlichen Anbau von Pflanzen. Entsprechende Schäden betreffen den Men-schen nicht direkt, machen sich aber in Form der Verunkrautung von Kulturflä-chen und der Verdrängung anderer (erwünschter) Arten und deren Vielfalt in naturnahen Standorten ökonomisch und ökologisch bemerkbar.

von Paviankrankheiten durch Evolution in ihrer neuen Umwelt - dem betreffenden Patien-ten - für Menschen wirtsspezifisch und damit ansteckend werden könnten (Süddeutsche Zeitung vom 16./17. Dezember 1995, S. 12).

17 Vgl. nur das Interview mit einem der führenden BSE-Forscher Charles Weissman (Weiss-man, Der Spiegel 1996).

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Einheimische Kulturpflanzen können aufgrund spontaner Kreuzungen mit ver-wandten Wildkräutern oder durch Rückmutation verwildern, soweit sie nicht hochgradig domestiziert und daher ganz von spezifischen Anbaubedingungen abhängig sind. Genauere Zahlen für ökologisch schädliche Wirkungen liegen im Hinblick auf die Einbürgerung von ursprünglich ortsfremden Arten vor:

"Nach Angaben aus Großbritannien liegt die Wahrscheinlichkeit der Einbürgerung einer fremden Pflanzenart etwa bei 1:100 und die Wahrscheinlichkeit unerwünsch-ter Veränderungen in den bestehenden Ökosystemen etwa bei 1:1000. Dies sind sta-tistische Aussagen, denen die Gesamtzahl [32.000] aller absichtlich oder unab-sichtlich auf die Britischen Inseln eingeführten Pflanzenarten zugrunde liegt."18

Die Wahrscheinlichkeit liegt also relativ niedrig, doch einzelne Arten können sich massiv ausbreiten. So werden z.B. die von eingeführten Pflanzen und Tieren im Verlauf des 20. Jahrhunderts in den USA angerichteten wirtschaftlichen Schäden auf mindestens 97 Milliarden US-Dollar geschätzt.19 Vielfach liegt zwischen der Einführung und dem Beginn der spontanen Ausbreitung eine lange Zeitspanne. Bei Gehölzen wurde ein Durchschnitt von 147 Jahren, bei Stauden ein Durch-schnitt von 32 Jahren ermittelt.20

Weitere ökologische Probleme werden durch Anbaupraktiken hervorgerufen, die sich - unter bestimmten ökonomischen Rahmenbedingungen - aus den Sorten-eigenschaften von Nutzpflanzen ergeben können.21 Zum Beispiel sind bei beson-ders ertragreichen Getreidesorten die Ähren so schwer, daß die Halme leicht vom Wind geknickt werden. Deshalb müssen chemische Wachstumshemmer oder Neuzüchtungen mit kürzeren Halmen eingesetzt werden. Wenn die Ähren aber näher zum Boden stehen, werden sie leichter von Pilzen befallen. Dies erfordert wiederum den Einsatz von human- und ökotoxikologisch nicht unbedenklichen Fungiziden.

Selbstverständlich sind die genannten Risiken allenfalls in selteneren Fällen durch wissenschaftliche Experimente im engeren Sinne verursacht, sondern wer-den zumeist durch weniger bewußte und kontrollierte Wechselwirkungen zwi-schen natürlichen Prozessen - z.B. Auskreuzen und Rückmutation - und mensch-lichen Tätigkeiten wie unabsichtliche Verbringung bei Reisen und Transporten, gezielte Einführung, Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung hervorgerufen. Aufgrund

18 Sukopp/Sukopp, Lang-Zeiteffekte, 1994, S. 58; die Gesamtzahl in eckigen Klammern ist

auf S. 51 angegeben. Eine Studie des US-amerikanischen Office for Technology Assess-ment kommt zu ähnlichen Zahlenverhältnissen. Danach haben sich in den USA 4500 exoti-sche Arten etablieren können, von denen ca. 15 Prozent ökonomische oder ökologische Schäden angerichtet haben (Kiernan, New Scientist 1993).

19 Kiernan, New Scientist 1993. 20 Sukopp/Sukopp, Lang-Zeiteffekte, 1994, S. 109f. 21 Torgersen, Ecological, 1996.

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der Erfahrungen in diesen Handlungsbereichen ist aber annähernd abzuschätzen, mit welchen (zeitverzögerten) Wirkungen und Schäden bei der Freisetzung von biotechnologisch oder gentechnisch, also durch wissenschaftsinduzierten Eingriff veränderten Pflanzen zu rechnen ist.22

Es wird bei solchen Abschätzungsversuchen also auf Erfahrungen mit biolo-gisch einigermaßen vergleichbaren23 Risiken zurückgegriffen. Allerdings ist zu bedenken, daß es sich lediglich um Beobachtungen ex post und statistische Mit-telwerte handelt und die Risiken im einzelnen nur schwer abschätzbar sind, weil eine Vielzahl von ökologischen Faktoren über die Verwilderung und Entfaltung unerwünschter Eigenschaften entscheidet.24 Lange Zeit wurden auch keine Ver-suche unternommen, diesen Risiken mit gesetzlichen Präventionsmaßnahmen zu begegnen. Allerdings ist zu beobachten, daß im Zuge der Diskussion um die Frei-setzung gentechnisch veränderter Pflanzen in einigen Ländern, etwa in Kanada, alle neuartigen Pflanzen einer verschärften Zulassungspraxis unterzogen wer-den.25

2.3. Die Debatte über 'besondere' Risiken der Bio- und Gentechnologie

Wie in den letzten Abschnitten gezeigt, können auch bei schon länger einge-führten Praktiken und Disziplinen entweder bis dato völlig unbekannte Schädi-gungswirkungen oder zumindest im Einzelfall überraschende Schäden auftauchen. Wenn aber, wie gerade auch von den beteiligten Wissenschaftlern und Industrien vielfach behauptet, mit der Molekularbiologie und der Gentechnik weitgehend neue Wirklichkeitsbereiche erschlossen werden, so ist hier - prima facie - auch verstärkt mit der Entdeckung neuer, möglicherweise gefährlicher Wirk-mechanismen zu rechnen.26

22 Vgl. Tiedje et al., Ecology 1989. 23 Die Vergleichbarkeit ist allerdings auch umstritten. Auf der Grundlage von Plausibili-

tätsüberlegungen wird angeführt, daß die Risiken anhand dieser Analogiebildung sowohl unter- als auch überschätzt werden könnten (vgl. Daele et al., Risiken, 1994, S. 121ff.).

24 Vgl. Sukopp/Sukopp, Lang-Zeiteffekte, 1994. 25 McHughen et al., Flax, 1994. 26 In Organisationen, die eher auf hohe Zuverlässigkeit als auf Effizienz ausgerichtet sind

(sogenannte 'High Reliability Organizations': Elektrizitätswerke, Flugzeugträger etc.), wird daher häufig ältere, bereits erprobte Technik eingesetzt: "The reliabilities of older hard-ware are more certain than are the reliabilities of newer hardware." (Roberts, California Management Review 1990, S. 106).

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2.3.1. Die ältere Diskussion um die Risiken beim Umgang im Geschlossenen System

Diese Sorge hatten zunächst auch die Genforscher selbst, als sie im Anschluß an die ersten gentechnischen Experimente 1973 zu einem Moratorium aufriefen und auf der Konferenz von Asilomar Vorsichtsmaßregeln verabredeten, die im we-sentlichen den Erfahrungen der Mikrobiologie im Umgang mit Krankheitserregern folgten.27 Für den Umgang im Geschlossenen System wurden physikalische Bar-rieren etabliert, die den vier aus der Mikrobiologie bekannten Sicherheitsstufen entsprechen. Allerdings ist es - im Unterschied zur Mikrobiologie, wo es entspre-chende Listen für alle bekannten Mikroorganismen gibt - bei gentechnischen Experimenten nicht immer ganz einfach, die aus dem Erbgut verschiedener Orga-nismen neu rekombinierten Organismen vorab in diese Sicherheitsstufen einzu-ordnen. Diese Aufgabe wurde in den meisten Industrieländern an zentrale Ex-pertengruppen übertragen. Außerdem wurde vorgeschlagen, die Experimente möglichst mit Organismen durchzuführen, die nur in geeigneten Labormedien überlebensfähig sind und sich daher in der Umwelt nicht ausbreiten können (so-genannte biologische Sicherheitsmaßnahmen). Von Freisetzungsexperimenten mit gentechnischen Konstrukten sollte anfangs vollständig abgesehen werden.

Über Schäden im Zusammenhang mit der Verwendung von gentechnischen Methoden im Labor und in der industriellen Produktion ist bisher, nach nunmehr zwanzig Jahren, selten berichtet worden. Lediglich zwei Ereignisse sorgten für beträchtlichen Aufruhr in der öffentlichen Diskussion, eine Häufung von Krebs-fällen am Institut Pasteur in Paris, die 1986 bekannt wurde, und eine Serie von Todesfällen und Erkrankungen weltweit im Jahr 1990, die auf Verunreinigungen in einem mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellten Präparat beruhte. Eine gentechnikspezifische Verursachung konnte aber in beiden Fällen weder bestätigt noch widerlegt werden.28

27 Vgl. Krimsky, Genetic, 1982; vgl. Kap. 11.3.1. 28 Die Untersuchungen zum EMS-Syndrom, von 27 Todesfällen und vielen hundert schweren

Erkrankungen, infolge der Einnahme des von der japanischen Firma Showa Denko mit ei-nem gentechnisch optimierten Bakterienstamm erzeugten L-Tryptophans sind noch nicht abgeschlossen (Mayeno/Gleich, Trends in Biotechnology 1994). Eventuell sind sie auch inzwischen 'im Sande verlaufen'. Auf einer wissenschaftlichen Tagung führte ein Beamter der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde im Mai 1993 aus: "Genetic engineering can-not be ruled in or ruled out as the cause of EMS". Er berichtete dort auch, daß Showa Denko bisher keine Proben des verwendeten transgenen Bakterienstamms an seine Behör-de gesendet habe (The Gene Exchange, vol.4, no.2, 1993, p.1; ed. by the National Wildlife Federation). Vgl. dazu auch unten, Kap. 6.1.5.2. Bei den 1986 im Institut Pasteur in Paris aufgetretenen Krebsfällen ist zwar, unseren Re-cherchen zufolge, eine Untersuchung des Tumorgewebes der betroffenen Forscher vorge-

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Doch neben der schnellen Etablierung der Gentechnik in der Grundlagenfor-schung und ihrer industriellen Anwendung in Laborfermentern zur Herstellung von Proteinen29 entwickelten sich auch schon bald Ideen für praktische Anwen-dungen von gentechnisch veränderten Organismen im Freiland.30 Mit Verweis auf die partiell negativen Erfahrungen bei der Einführung exotischer Arten (s.o.) op-ponierten Umweltschützer und Ökologen aber gegen diese Versuche. Nach länge-ren Auseinandersetzungen einigte man sich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zunächst darauf, die Organismen vor der endgültigen Marktzulassung in Einzel-fallprüfungen ('case by case') in zunächst kleineren und dann sukzessive erweiter-ten Versuchsfeldern ('step by step') zu testen.

2.3.2. Die jüngere Diskussion auf internationaler Ebene

Diese Sicherheitsmaßnahmen für den Umgang im Geschlossenen System sowie für die Freisetzung wurden in der EG und z.T. auch in anderen OECD-Ländern

nommen worden. Ihre Ergebnisse wurden aber offenbar nie veröffentlicht. Auch unsere diesbezügliche briefliche Anfrage vom 23.11.1994 an den mit der Untersuchung betrauten Wissenschaftler, Dr. Gilbert M. Lenoir am Internationalen Krebsforschungszentrum in Ly-on, blieb unbeantwortet. Der Zwischenbericht der Untersuchungskommision konstatiert, daß es sich 1986 um eine überzufällige Häufung von Krebsfällen am Institut Pasteur ge-handelt hat (Cordier, Lancet 1990). Daraufhin wurde eine multizentrische Studie be-gonnen, in der die Erkrankungshäufigkeit in molekularbiologischen Forschungslabors all-gemein erhoben werden sollten. Mittlerweile liegen Ergebnisse aus Großbritannien und ei-ne genauere Untersuchung über die Beschäftigten am Institut Pasteur in Paris vor (Brown et al., British Journal of Cancer 1996; Cordier et al., Scandinavian Journal of Work, Envi-ronment and Health 1995). Grundsätzlich zeigen beide Studien, in Konkordanz mit vielen anderen arbeitsmedizinischen Untersuchungen über Wissenschaftsorganisationen, daß das Sterblichkeitsrisiko der Beschäftigten der untersuchten Institute deutlich niedriger ist als das der Gesamtbevölkerung. Während die britische Studie (Brown et al.) darüber hinaus keine signifikanten Ergebnisse zeigt, deutet die Pariser Studie (Cordier et al.) auf Zusam-menhänge zwischen molekular- und mikrobiologischen Arbeitsmethoden, den dabei ver-wendeten Agentien (bestimmte Chemikalien, Mikroorganismen und radioaktive Substan-zen) und der erhöhten Inzidenz von bestimmten, relativ seltenen Krebsarten hin. Wie bei epidemiologischen Studien auch kaum anders zu erwarten, war es nicht möglich, aus dem Set der verdächtigen Agentien ein bestimmtes Agens statistisch zu isolieren: "They all inte-ract with DNA and as such are plausible candidates for initiating or promoting a carcino-genic process." (Cordier et al., S. 458).

29 Auch bei der industriellen Herstellung von Eiweißstoffen handelt es sich um die Handha-bung von transgenen Organismen im Geschlossenen System, insofern als die Produkte selbst kein Erbmaterial enthalten (sollten) und nicht mehr vermehrungsfähig sind. Die Or-ganismen, mit denen die Stoffe hergestellt werden, verbleiben in der Anlage oder können vor ihrer Deponierung abgetötet werden.

30 Vgl. Krimsky, Biotechnics, 1991.

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gesetzlich kodifiziert. Umstritten blieb aber bis heute, ob mit der Gentechnik überhaupt ein spezifisches Risiko verbunden sei, das eine spezialgesetzliche Re-gulierung rechtfertige, oder ob umgekehrt sogar aufgrund des spezifischen Risi-kos noch weitergehende Restriktionen erfolgen sollten.

Auf der EG- und OECD-Ebene entfaltete sich dieser Disput um die Frage, ob eine Prozeß- oder eine Produktregulierung angemessener sei. Die Prozeßregu-lierung, so wie sie in der EG tatsächlich auch gehandhabt wird, impliziert, daß alle Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsprozesse, bei denen mit gen-technischen Methoden gearbeitet wird, in dieser Hinsicht der spezialgesetzlichen Regulierung unterfallen, gleichgültig zu welchen Produkten sie im Endeffekt bei-tragen mögen.31

Nachdem sich in der EG - hauptsächlich aus anderen Gründen32 - eine allein für die Gentechnik geltende Prozeßregulierung durchgesetzt hatte, mußten spezi-fische Risiken auch nachdrücklich geltend gemacht werden, etwa in den Ausfüh-rungen von Jan Brinkhorst, dem Generaldirektor des Umweltressorts (DG XI) der EG-Kommission, aus dem Jahr 1991:

"While the risks from biotechnology may be bigger or smaller, they are still diffe-rent from the risks of other techniques. For example, I am also in charge of nuclear safety. The fact that nuclear energy produces electricity does not mean that it doesn't have different characteristics from the other means of doing this, like gas or oil or coal. I think people would be very surprised if we didn't take a specific look at nuclear power plants. Likewise with biotechnology."33

Mit der Etablierung einer umfassenden, sektorübergreifenden Prozeßregulierung war von Anfang an in den Vorstellungen der EG-Kommission - zumindest in Bezug auf Freisetzungen - auch der Übergang von einer erfahrungsbasierten zu einer ungewißheitsbasierten Regulierung, also von 'Prevention' zu 'Precaution' impliziert. Ein Report aus dem Industrieressort (DG III) stellt 1986 fest:

"Existing regulation of products and processes has one essential common characteri-stic: it is designed to protect against risks and hazards which are, of their nature, i-dentifiable and predictable. In seeking to protect the environment from gaseous e-missions from motor-cars, the regulator knows in advance what the nature of the ef-fects of such emissions is ... On the other hand, the distinguished feature of the po-tential hazards which could arise from deliberate release ... is that the hazards can-

31 Da es sich bei der Gentechnik um eine Querschnittstechnologie handelt, die in unter-

schiedlichen Branchen und bei der Herstellung diverser Produkte (Arznei-, Nahrungs-, Futtermittel etc.) zum Einsatz kommt, spricht man auf EG-Ebene auch von einer hori-zontalen Regulierung, die quer zu den bestehenden produktbereichsspezifischen Regulie-rungs- und Kompetenzbereichen liegt.

32 Siehe unten, Kap. 3.2.2. 33 Zit. n. Balter, Science 1991.

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not (at this stage of development of science) be accurateley identified, or their scale predicted."34

Es wird hier also eine Unterscheidung zwischen zwei Bereichen vorgenommen, nämlich den schon länger eingeführten Technologien, deren Effekte bekannt, und der Gentechnologie, deren Effekte ungewiß seien. Die Gentechnologie erfordere daher eine andere als die herkömmliche Regulierung.

Der Denkfehler dieser Bereichsunterscheidung besteht darin, daß von der Art der Regulierung auf die 'Natur' des regulierten Risikos rückgeschlossen wird: Tatsächlich reagieren die angesprochenen, damals bereits bestehenden Regulie-rungen nur auf bekannte Gefahren. Das heißt aber nicht, daß wir sicher sein könnten, daß z.B. von den genannten Abgasen des Straßenverkehrs nur die be-reits schon bekannten Gefährdungen ausgehen würden. Auch ein Sprecher des Wissenschaftsressorts (DG XII) kritisierte von Anfang an diese Unterscheidung, allerdings in der politisch entgegengesetzten Stoßrichtung:

"[I] was not satisfied that the fact of DNA recombination was an accurate criterion for distinguishing between predictable, assessable risks, and unpredictable risks re-quiring a different legislative approach; criteria such as pathogenicity, toxicity, eco-toxicity seemed more relevant to determination of regulatory requirements."35

Hier ist mit dem Plädoyer für die Einbeziehung der Gentechnologie in die existie-rende, vorwiegend produktorientierte Regulierungsstruktur zugleich auch ge-meint, daß nur bekannte Risiken berücksichtigt werden sollten. Denn in der her-kömmlichen Produktregulierung werden neuartige Risiken in den meisten Län-dern gar nicht (Saatgutzulassung) oder nur in geringerem Maße (Arzneimittelzu-lassung) berücksichtigt, als dies bei der Freisetzungsregulierung in der EG der Fall ist. Entsprechend wird die Produktregulierung auch von den transatlantisch operierenden multinationalen Konzernen der Chemischen Industrie deutlich präfe-riert, die umgekehrt gegen die Prozeßregulierung in der EG einwenden, daß diese die Gentechnik als Herstellungsmethode stigmatisiere.

In den USA wurden für die Gentechnik, zumindest auf nationaler Ebene, tat-sächlich keine speziellen Gesetze erlassen und auch keine neuen Behörden ge-schaffen. Die Risikoabschätzung wird vielmehr im Rahmen der dort ohnehin sehr strengen Produktregulierung vorgenommen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß man Unterschiede in der Herstellungstechnik vollständig außer acht ließe. Denn auch in den USA waren alle in Europa heute diskutierten Risikofragen zunächst heftig umstritten.36 Zwar hatten sich auch Mitglieder der Ecological Society of America

34 Zit. n. Gottweis, Governing, 1995, S. 439f. 35 Zit. n. Gottweis, Governing, 1995, S. 440. 36 Vgl. z.B. Krimsky, Genetic, 1982; Krimsky, Biotechnics, 1991.

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1989 der produktorientierten Sichtweise prinzipiell angeschlossen und ein metho-denspezifisches Risiko der Gentechnik negiert:

"Genetic engineered organisms should be evaluated and regulated according to their biological properties (phenotypes), rather than according to the genetic techniques used to produce them."

Aber im nächsten Satz postulieren sie dann doch ein spezifisches Risiko, das sich aus der - gerade auch von den Befürwortern in ökonomischen Kontexten behaup-teten - technischen Potenz der neuen Biotechnologien ergeben soll:

"Nonetheless, because many novel combinations of properties can be achieved only by molecular and cellular techniques, products of these techniques may often be subjected to greater scrutiny than the products of traditional techniques."37

Unterhalb des eher symbolischen Grundsatzstreits über Produkt- versus Prozeß-regulierung werden dann in der US-amerikanischen Verwaltungspraxis auch ähn-liche, auf OECD-Ebene ohnehin permanent abgestimmte Prüfverfahren und -maßstäbe angelegt wie in der EG.38 Unterschiede in der Restriktivität der Regu-lierungspraxis scheinen sich dann - zumindest im Bereich der Freisetzung - auf die in den USA schon weiter fortgeschrittene Standardisierung der Ver-waltungspraxis zu beschränken, die sich aus dem größeren Erfahrungsvorlauf ergibt.39

Die oben zitierte Warnung der Ökologischen Gesellschaft von Amerika wurde unlängst eindrucksvoll bestätigt. Pioneer Hi-Bred International hatte transgene Sojabohnen mit einem höheren Gehalt an zwei für ein optimales Wachstum von Mastvieh wichtigen Aminosäuren (Methionin und Cystein) entwickelt. Die ent-sprechenden Gene stammen aus der Paranuß, die diese Aminosäuren in besonders reichlichem Maße enthält. In Untersuchungen, die von der US-amerikanischen Nahrungsmittelbehörde (FDA) verlangt wurden, zeigte sich, daß die transgenen Sojabohnen beim Verzehr durch Menschen, die gegen Nüsse allergisch sind, potentiell tödliche Wirkungen ausgelöst hätten.40

37 Tiedje et al., Ecology 1989, S. 298; im gleichen Sinne äußern sich auch Vertreter der US-

amerikanischen Union of Concerned Scientists: "There are no properties or risks attached to an organism just because it has been engineered." (Rissler/Mellon, Ecological, 1996, S. 4).

38 Vgl. Levidow/Carr, S&PP 1996. 39 Vgl. unten, Kap. 8; vgl. Hohmeyer et al., Internationale, 1994. 40 Nordlee et al., New England Journal of Medicine 1996. Soja für Tierfutter und mensch-

liche Ernährung wird normalerweise nicht getrennt angebaut und verarbeitet. Insofern hät-te das für Mastvieh bestimmte Soja auch leicht in Nahrungsmittel gelangen können, die für den menschlichen Verzehr bestimmt sind. Pioneer Hi-Bred zog aufgrund dieser Ergebnisse seine Vermarktungspläne zurück.

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Das Risiko wurde also nicht durch die gentechnische Methode selbst ausge-löst, sondern ist auf die Inhaltstoffe des Spenderorganismus, also der Paranuß, zurückzuführen. Mit herkömmlichen Züchtungstechniken hätte man die ent-sprechenden Gene aber nicht zwischen zwei biologisch so entfernt stehenden Organismen wie der Sojabohne und der Paranuß übertragen können. Das Risiko konnte in diesem Fall auch nur entdeckt werden, weil das Allergierisiko der Para-nuß bekannt ist.41 Wenn Gene aus Spenderorganismen übertragen werden, die vorher in der menschlichen Ernährung keine Rolle gespielt haben, gibt es auch keine Möglichkeit, Allergierisiken vor der Vermarktung gezielt zu testen. So wird im renommierten New England Journal of Medicine in einem Begleitkommentar zur Veröffentlichung des oben angeführten Untersuchungsberichts gewarnt:

"[M]ost biotechnology companies use microorganisms rather than food plants as gene donors, even though the allergenic potential of these newly introduced micro-bial proteins is uncertain, unpredictable and untestable."42

Das Risiko, vor dem hier gewarnt wird, rührt also nicht von der Übertragungs-methode als solcher her, sondern von der Tatsache, daß viele der verwendeten Spenderorganismen nicht hinreichend bekannt sind, und zwar deshalb, weil sie ohne die neuen Übertragungsmethoden in der menschlichen Ernährung bisher keine Rolle spielen konnten. Insofern liegen in den neuartigen Möglichkeiten der Methode auch neue Risiken.

2.3.3. Die Diskussion in der Bundesrepublik

In der Bundesrepublik wurde ein inhaltlich ähnlicher Streit mit einer anderen Terminologie geführt. Von Kritikern wurde gegen die herrschenden Sicher-heitsvorkehrungen eingewandt, daß die dort zugrundegelegte 'additive Risiko-abschätzung' unzureichend sei. Damit ist gemeint, daß das Risiko der transgenen Organismen aufgrund des (bekannten) Gefahrenpotentials der Ausgangsorga-nismen, aus denen die genetischen Teilkomponenten stammen, eingestuft wer-de.43 Dagegen wird eingewandt, daß die Einzelkomponenten aufgrund unvor-sehbarer Wechselwirkungen bzw. Emergenzen andere Wirkungen als in den Aus-gangsorganismen entfalten könnten.44 Wie schon in der Einleitung (s. S. 19) an-

41 Die Paranuß gehört zur Gruppe der acht bis zehn am häufigsten Allergien auslösenden

Nahrungsmitteln. Wenn Gene aus dieser Gruppe auf andere Nahrungsmittel übertragen werden, verlangt die FDA Allergietests.

42 Nestle, New England Journal of Medicine 1996, S. 726. 43 Diese Kritik zielt auch auf das Gentechnikgesetz. Dabei wird übersehen, daß das Gen-

technikgesetz sehr wohl einige ungewißheitsbasierte Regelungsaspekte enthält, wie in die-ser Arbeit noch ausführlich zu zeigen sein wird.

44 Bonß et al., Kontext, 1992; vgl. Gloede et al., Biologische, 1993.

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gedeutet, wird dieser Einwand der 'synergetischen Risikophilosophie' mittlerweile weitgehend akzeptiert. Allerdings wird entgegengehalten, daß synergetische Pro-zesse - bzw. unerwartete Risiken im allgemeinen - nicht nur durch gentechnische, sondern auch durch andere biotechnische Eingriffe sowie natürliche Ereignisse ausgelöst werden könnten. Ein besonderes Risiko der Gentechnik sei daher auch weiterhin nicht auszumachen.45

Viele deutsche Umweltschützer halten dagegen an der Behauptung eines be-sonderen Risikos der Gentechnik als Übertragungsmethode fest.46 Insofern als entsprechende Schäden empirisch bisher nicht nachgewiesen werden konnten (s.o.), müßte diese Behauptung aber zumindest theoretisch untermauert werden.

Theoretisch - und damit vor dem empirischen Auftreten entsprechender Schä-den - ließe sich ein besonderes Risiko der Gentechnologie als Übertragungs-methode aber nur begründen, wenn man über ein konkurrierendes Paradigma und damit über einen unabhängigen Standpunkt verfügte, von dem aus man sowohl die Gentechnologie als auch die Züchtung analysieren könnte und dann eventuell andere als die bekannten und in der Diskussion schon allseits berücksichtigten Differenzen feststellen könnte.47 Die Behauptung, daß 'die Gentechnik nichts

45 Daele et al., Bewertung, 1994. 46 Z.B. Raubuch/Baufeld, GID 1996; vgl. Gill, Wechselwirkung 1996. 47 Das von Arnim von Gleich (TA-Datenbank-Nachrichten 1996) in diesem Zusammenhang

vorgeschlagene Kriterium der besonderen 'Eingriffstiefe' stellt auch keine schlüssige Be-gründung eines 'besonderen Risikos' dar. Dieses Kriterium, das Gleich bisher in der Che-miediskussion verfochten hat, ist u.E. auf biologische Prozesse nicht sinnvoll anzuwenden: Schon logisch ist es widersprüchlich, einerseits - zu Recht - von unbekannten Prozessen und Folgen zu sprechen, aber andererseits eine besondere 'Wirkmächtigkeit' oder gar 'gra-duell meßbare' Eingriffstiefe 'der' Gentechnologie zu behaupten. Zum zweiten läßt die Vor-stellung, daß die Gentechnologie, anders als 'sanfte Biotechnologien', nicht nur an den 'Phänomenen', sondern an den 'Strukturen' des Lebendigen, d.h. dem Genom ansetze, die u.E. wohlbegründete Kritik am genetischen Reduktionismus außer Acht. Diese weist da-rauf hin, daß die im molekularbiologischen Dogma begründete Vorstellung einer 'Steue-rung' biologischer Phänomene durch 'Gene' zumindest sehr verkürzt ist. Dieser Einwand könnte praktisch auch bedeuten, daß die Gentechnologie weder im Hinblick auf intendierte noch auf nicht-intendierte Wirkungen so 'mächtig' ist, wie Befürworter und viele Kritiker annehmen. Außerdem wird von Ökologen argumentiert, daß es bei der Beurteilung von Folgen nicht auf den Prozeß oder die Methode der genetischen Veränderung, sondern ge-rade auf den biologischen Phänotyp und seine Anpassung an das jeweilige Habitat ankom-me. Ein schwerer Schaden kann z.B. auch dadurch herbeigeführt werden, daß ein Orga-nismus, etwa ein natürlich vorkommender Krankheitserreger, unabsichtlich in ein Habitat eingeführt wird, in dem er zufällig besonders günstige Ausbreitungschancen vorfindet (sie-he oben, Kap. 2.2.1.). Von einem besonders tiefen, wissensbasierten und absichtlich an den 'Strukturen' ansetzenden Eingriff kann man aber gerade im letzteren Fall nicht sprechen.

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anderes mache als die Natur',48 erscheint aus der Binnensicht der Molekularbio-logie schlüssig, weil sie die Natur eben nur im Rahmen ihres eigenen experimen-tellen Paradigmas begreifen kann, in dem wissenschaftliche Erklärung und die kontrollierte Veränderung natürlicher Phänomene in eins gesetzt sind. Den Mole-kularbiologen erscheint die Gentechnik deshalb sogar als berechenbarer und si-cherer als die herkömmliche Züchtung, weil bei der Gentechnik die übertragenen Sequenzen weitgehend oder vollständig bekannt sind, während bei der Züchtung die Genome verschiedener Organismen blind durcheinandergewürfelt werden.49

Gegen diesen Berechenbarkeitsmythos der Molekularbiologen hat die Ökolo-gie erfolgreich eingewandt, daß es bei den Wirkungen eines Organismus auf den Phänotyp und nicht auf den Genotyp ankomme. Insoweit als ein bestimmter Phä-notyp aber durch verschiedene gentechnisch oder nicht-gentechnisch erzeugte Mutationsereignisse hervorgerufen werden kann, macht die Ökologie hier gar keine Aussagen über besondere Risiken der Gentechnik als Übertragungs-methode.50

Andere konkurrierende Paradigmen, die aus dem Blickwinkel der Theorie morphogenetischer Felder oder der Beobachtung epigenetischer Prozesse auch die molekulare Ebene miteinbeziehen, machen vor allem auf Erklärungsprobleme des vorherrschenden genetischen Determinismus aufmerksam.51 Soweit sie gene-rell auf die Instabilität genetischer Prozesse hinweisen, verdeutlichen sie zunächst nur das allgemeine Ungewißheitspotential in der Biologie, das mitterweile ohne-hin vom Mainstream der Molekularbiologen anerkannt wird.52 Soweit aber aus konkurrierender theoretischer Perspektive auch ein besonderes Risiko der Gen-technik als Übertragungsmethode behauptet wird, bleibt dieses bisher nur meta-phorisch:

"Biotechnology has been likened to nuclear technology in that natural processes are accelerated so that runaway reactions become potentially unstable and need strin-gent controls to avoid melt-down. We face the equivalent of nuclear meltdown in ecosystems by destabilisation of genetic processes that are fluid but have many checks and balances in the natural world due to the isolating mechanisms that pre-vent most species from interbreeding. Those checks and balances remain in place with traditional breeding methods, but they have now been removed by the techni-

48 Z.B. Reich, Die Zeit 1994. Dagegen stellt Ernst-Ludwig Winnacker, ein renommierter

Genforscher, neuerdings fest: "Die Legende von der Natürlichkeit der Gentechnik ist eine Legende. ... Eine solche Komponente der totalen Verfügbarkeit hat es bislang nicht gege-ben; sie könnte unnatürlicher nicht sein." (zit. n. Die Zeit vom 13.9.1996, S. 34).

49 Z.B. Daele et al., Bewertung, 1994, S. 131. 50 Tiedje et al., Ecology 1989; Sukopp/Sukopp, Lang-Zeiteffekte, 1994. 51 Goodwin et al., Journal of Theoretical Biology 1993; Strohman, Bio/Technology 1994. 52 Vgl. unten, Kap. 8.4., Kap. 9.3.2.

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ques of direct gene transfer between any species. Some gene transfer will be benign and possibly beneficial while others will have severe ecological consequences."53

Allerdings ist es möglich, daß mit dem theoretischen und experimentellen Fort-schritt konkurrierender Paradigmen ein besonderes Risiko der Gentechnik auch schlüssig zu zeigen sein wird.

Ohnehin wird in Deutschland auch von denjenigen, die ein besonderes Risiko der Gentechnik negieren, die Prozeßregulierung auf spezialgesetzlicher Grund-lage zumeist nicht infrage gestellt. So stellen die Veranstalter des Verfahrens zur Technikfolgenabschätzung der gentechnisch erzeugten Herbizidresistenz am Wis-senschaftszentrum Berlin fest:

"Regulierungen, die nicht an den erkennbaren Risiken, sondern an der Neuheit der Gentechnik ansetzen, sind international zunehmend als innovationsfeindlich in Ver-ruf geraten. Trotzdem waren sie im TA-Verfahren auch bei den Befürwortern der Technik nicht grundsätzlich umstritten. Sie tragen der problematischen Akzeptanz der Gentechnik Rechnung (wenn auch aus der Sicht der Kritiker nicht weit ge-nug)."54

Die Ungleichbehandlung der Gentechnik gegenüber herkömmlichen Techniken wird also hier aus politisch-pragmatischen Gründen akzeptiert.

2.4. Schlußfolgerungen für die weitere Untersuchung

Wenn man nun schlußfolgert, daß die Gentechnik 'kein besonderes Risiko' auf-weist,55 kann damit zweierlei gemeint sein. Isoliert und umgangssprachlich ver-standen signalisiert dieser Satz, daß das Risiko 'nicht besonders hoch' sei. Ob-wohl diese Bedeutung gelegentlich wohl auch suggeriert werden soll, ist sie durch die Fachdiskussion in keiner Weise gedeckt. In der Fachdiskussion wird dagegen mehrheitlich nur behauptet, daß die Ungewißheiten und absehbaren Risiken nicht höher seien als bei anderen biologischen Techniken sowie bei mehr oder weniger natürlichen ökologischen Prozessen. Wenn man behauptet, daß die Gentechnik 'nichts anderes mache als die Natur', dann müßte man in der Logik dieser Behaup-tung auch einräumen, daß sie partiell auch so gefährlich sein kann wie das AIDS-Virus, dessen Mutation und Übergreifen auf den Menschen gerade von den Be-fürwortern der Gentechnik als natürliches Ereignis angesehen wird.

Auch die wissenschaftliche Aussage, daß die Gentechnik kein spezifisches Ri-siko darstelle, ist interpretationsbedürftig. Für die Gegenbehauptung, daß die

53 Goodwin, Species, 1996, S.76f. 54 Daele et al., Bewertung, 1994, S. 142. 55 So Daele, Soziale Technik 1995.

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Übertragungsmethode als solche besonders riskant sei, scheint es derzeit keine schlüssigen Begründungen zu geben. Die Potenzen neuer biotechnischer Metho-den, Gene auf nicht-artverwandte Organismen zu übertragen, scheinen dagegen zumindest in einigen Bereichen - etwa bei der Nahrungsmittelproduktion (s.o.) - im Vergleich zu herkömmlichen Techniken besondere Risiken zu beinhalten. Schwierig dürfte es allerdings sein, ein generelles Urteil über die Risikopotentiale der Gentechnik im Vergleich zu allen anderen Eingriffen und natürlichen Prozes-sen zu fällen, das dann auf eine sehr allgemeine theoretische Betrachtung hu-maninduzierter versus spontaner Evolutionsprozesse abheben müßte. Wir lassen das hier, auch mangels eingehender eigener biowissenschaftlicher Fachkompe-tenz, dahingestellt.

Wir halten lediglich fest, was durch den Mainstream der Fachdiskussion ge-deckt ist: daß bei der Gentechnik sowohl mit prinzipiell bekannten als auch mit unerwarteten Risiken zu rechnen ist. Es bleibt dann zu fragen, ob - gleichartige Überraschungspotentiale vorausgesetzt - die Gentechnik oder auch andere neue Biotechnologien einer ungewißheitsbasierten Regulierung unterzogen werden können, die weitergehend ist als die Regulierung von älteren, teils mehr und teils weniger absichtlichen Eingriffen im Bereich des Lebendigen. Dafür sprechen drei heuristische Gründe: 1. Bei der modernen Gen- und Biotechnologie handelt es sich um einen absichts-

vollen und bewußten Eingriff im Bereich des Lebendigen.56 Die anwendungs-orientierten Handlungsziele sind teilweise gesellschaftlich sehr umstritten.57 Oft stehen überdies besser erprobte und brauchbare Handlungsalternativen zur Verfügung.58 Daher kann zumindest die anwendungsorientierte Forschung - im Lichte der in Punkt 2.1.2. bis 2.1.6. angeführten Erwägungsgründe - weiterge-henden Verantwortungs- und Begründungspflichten unterzogen werden als an-dere Eingriffe im Bereich des Lebendigen.

2. Die Gentechnik ist eine relativ neue Technik. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, daß sich die meisten mit neuen Eingriffen verbundenen Überra-

56 Wenn dagegen z.B. ein Reisender eine Tropenkrankheit einschleppt, handelt er in aller

Regel nicht absichtsvoll. Wenn exotische Tiere oder Pflanzen eingeführt werden, handeln die Protagonisten zwar meistens absichtsvoll, aber oft nicht sehr bewußt, d.h. sie sind zur wissenschaftlichen Reflexion ihres Tuns oft kaum befähigt.

57 So ist das Handlungsziel bei dem oben angeführten Beispiel der Einführung von Paranuß-Genen in Soja zur rationelleren Mästung von Schlachtvieh zumindest fragwürdig.

58 Die Mikrobiologie, die sich in neuerer Zeit ebenfalls gentechnischer Methoden bedient, handelt bei der Erforschung zwar absichtsvoll und auch ebenso bewußt, d.h. wissen-schaftlich reflexionsfähig, wie die Biotechnologie, aber sie hat selten eine moralisch ak-zeptable Alternative: Sie hat die Krankheitskeime, die sie erforscht und u.U. auch unab-sichtlich weiterpropagiert, nicht selbst erzeugt.

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schungen in überschaubaren Zeiträumen zeigen. Das rechtfertigt Sicherheits-zuschläge zumindest für die Anfangszeit. Selbstverständlich ist damit nicht zu gewährleisten, daß 'danach' - was auch immer das heißen mag - keine Überra-schungen mehr auftreten können. Diese können besonders heimtückisch sein, weil es aufgrund des lange verzögerten Feedbacks zu besonders umfangreichen Ausbreitungen kommen kann, wie sich u.a. bei der Einführung exotischer Ar-ten gezeigt hat.59

3. Bei steigendem Wohlstand und zunehmenden Handlungskapazitäten ist gene-rell in modernen Gesellschaften eine wachsende Risikoaversion zu beobachten. Dabei wurden dann auch im Chemikalien- und Arzneimittelrecht zunächst die neueren Produkte und Techniken einer verschärften Regulierungspraxis unter-zogen; ältere Produkte und Prozesse werden dann gegebenenfalls sukzessive ebenfalls einbezogen, wie das in Deutschland z.B. mit schon länger gebräuch-lichen Arzneimitteln der Fall ist. Man muß mit der Einführung neuer Standards "irgendwo anfangen dürfen, ohne immer gleich alles zu regeln".60

Die analytische Unterscheidung der Risikodimensionen bedeutet allerdings noch nicht, daß die angeführten Kriterien - z.B. Neuartigkeit, Fremdgefährdung, Vor-handensein von erprobten Alternativen - immer, in hohem Maße und unter allen Umständen auf die Genforschung zutreffen müßten oder in anderen Bereichen nicht zutreffen könnten.

Auch innerhalb der Genforschung lassen sich anhand dieser Dimensionen kei-ne einfachen Bereichsabgrenzungen treffen. So wäre es z.B. irrig anzunehmen, daß die Ungewißheit der Sicherheitsstufe S 1 vorbehalten wäre, in allen anderen Sicherheitsstufen aber nur mit bekannten Risiken zu rechnen sei. Die Ungewiß-heit besteht eben unabhängig von der Einstufung in Sicherheitsstufen, die immer nur anhand von a priori vermuteten Risiken im Hinblick auf Human-, Tier-, oder Pflanzenpathogenität erfolgt.

So kann auch ein bekanntermaßen gefährlicher transgener Mikroorganismus, der z.B. nach S 4 eingestuft ist, unvorhergesehen noch andere gefährliche Wir-kungen entfalten als die, die zu dieser Einstufung geführt haben. Umgekehrt wäre es auch denkbar, daß ein ursprünglich nach S 1 eingestufter transgener Mikro-organismus einen anderen Stoffwechselweg im Stickstoffkreislauf der Erde eröff-net und folglich eine andere Zusammensetzung der Erdatmosphäre zur Folge hätte. Die Folgen könnten weit dramatischer sein als die Ausbreitung eines ge-genwärtig nach S 4 eingestuften Organismus (z.B. Ebola-Virus), ohne daß der neu entstandene Organismus in irgendeiner Form human-, tier-, oder pflan-

59 Vgl. Daele et al., Bewertung, 1994, S. 138ff. 60 Vgl. Daele et al., Bewertung, 1994, S. 139.

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zenpathogen sein müßte. Ein neuer Wirkmechanismus ist mit der Einstufung nach bekannten Kriterien eben nicht zu erfassen.

Insofern müssen aus der Berücksichtigung der Ungewißheit andere Rechts-folgen erwachsen als bei der nach herrschender juristischer Lehre erfolgenden Abschichtung zwischen Gefahr und Restrisiko, die tatsächlich der Abstufung von S 4 zu S 1 folgt.

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Kapitel 3: Zur Geschichte der rechtlichen Vorsorge vor experi-mentellen Risiken

Obwohl die wissenschaftliche Forschung, wie wir im vorigen Kapitel gezeigt haben, sowohl mit neuartigen als auch mit bekannten Risiken konfrontiert ist, war sie bisher nur peripher Gegenstand der gesetzlichen Regulierung. Dafür lassen sich, neben der verfassungsrechtlichen Privilegierung der Forschungsfreiheit, drei weitere Gründe nennen: - Ihre unmittelbaren Wirkungen sind in der Regel aufgrund der geringen Menge

an Stoffen, die experimentell genutzt werden, tendenziell zu vernachlässigen. - Aufgrund der Vielfalt an Stoffen und Umgangsformen, die experimentell er-

probt werden, ist eine Regulierung schwieriger als bei technisch bereits stan-dardisierten Prozessen industrieller Produktion.

- Wissenschaftler publizieren und rezipieren Warnungen vor bisher wenig be-kannten Laborunfällen in den normalen Fachzeitschriften. Anders als Arbeiter in der industriellen Produktion sind sie für ihre Arbeitssituation in relativ ho-hem Maße selbst verantwortlich. Zumindest existiert diese Vorstellung als Selbst- wie als Fremdbild. Daher kommt es weder zu einer nachhaltigen ge-werkschaftlichen noch staatlichen Thematisierung von Arbeits-schutzproblemen.

Trotzdem finden sich einige auch für die Forschung geltende Gesetze (vgl. Tabel-le 1, S. 58), die aber im wesentlichen auf andere Tätigkeitsbereiche, wie etwa die industrielle Produktion, zugeschnitten sind. Entsprechend ihrer Genese und ihrem primären Geltungsbereich beziehen sie sich daher überwiegend auf erkannte Gefahren. Erst mit dem Gentechnikgesetz bzw. den entsprechenden EG-Richtlinien wurden Vorschriften erlassen, die von vornherein auch für die For-schung konzipiert waren und auch der Vorsorge vor neuartigen Risiken dienen sollen.

Im folgenden wird anhand eines zumindest kursorischen Vergleichs der Ge-schichte und der Regelungsstruktur der verschiedenen Gesetze untersucht, wie der spezifische Umgang mit der Forschung normativ gestaltet ist und inwieweit insbesondere das bereits im ersten Kapitel theoretisch skizzierte Problem des forschungstypischen Umgangs mit Ungewißheit dabei berücksichtigt wird.

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Tabelle 1: Gesetzliche Regulierung des Arbeits-, Gesundheits- und Umwelt-schutzes in der Forschung

Bereich Gesetze (G) bzw. Verordnungen (V) Naturwissenschaft- GefahrstoffV (TRG 451), StrahlenschutzV liche Laboratorien RöntgenV, AbfallG, AbwasserherkunftsV Biowissenschaftliche BundesseuchenG, TierseuchenerregerV, Labors (zusätzlich) PflanzenschutzG, GentechnikG Tierversuche (zusätzlich) TierschutzG Medizinische Men- ArzneimittelG, StrahlenschutzV schenversuche StGB §§ 223ff. (Körperverletzung) Empirische Sozialfor- Datenschutzrecht schung/Epidemiologie Arztgeheimnis

3.1. Zur Geschichte forschungsrelevanter Gesetze

Die ersten nachweisbaren Vorschriften, die die von manchen Forschungsarbeiten potentiell ausgehenden Gesundheitsgefahren zum Gegenstand haben, finden sich bereits im Reichsseuchengesetz, das im Jahre 1900 verabschiedet wurde und die bis dahin auf Landesebene erlassenen Bestimmungen zur Seuchenhygiene im Deutschen Reichsgebiet vereinheitlichen sollte. Darin war auch eine Verord-nungsermächtigung zur Regulierung von Laborarbeiten enthalten. Deutschland - wie schon im Jahr zuvor Belgien - reagierte damit auf einige Pestfälle, die 1898 in einem Laboratorium in Wien aufgetreten waren.1 Es wurden zunächst Straf-vorschriften für den Umgang mit Pesterregern und in der Folge auch allgemeine Bestimmungen für den Umgang mit Krankheitserregern erlassen,2 die später in

1 Gesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30.6.1900,

Reichs-Gesetzblatt Jg. 1900, S. 306ff. § 27 lautet: "Der Bundesrath ist ermächtigt, über die bei der Ausführung wissenschaftlicher Arbeiten mit Krankheitserregern zu beobach-tenden Vorsichtsmaßregeln sowie über den Verkehr mit Krankheitserregern und deren Aufbewahrung Vorschriften zu erlassen." Die Strafvorschrift betreffend Verstöße gegen die zu erlassende Verordnung ist in § 46 Nr. 3 des Gesetzes zu finden.

2 Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, 1899, S. 1149 (Vorschriften in Belgien); Reichsgesetzblatt 1900, S. 860ff. (Vorschriften über das Arbeiten und den Ver-kehr mit Pesterregern); Reichsgesetzblatt 1904, S. 159ff. (Vorschriften über das Arbeiten

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veränderter Fassung ins Bundesseuchengesetz Eingang fanden und noch heute Gültigkeit besitzen.

Die Verabschiedung des Gesetzes war von heftigen Debatten im Reichstag be-gleitet, in denen um die Grenzen der staatlichen Reglementierung der Kran-kenbehandlung gestritten wurde. Währenddessen passierte die erwähnte Ver-ordnungsermächtigung das Parlament ohne größere Aufmerksamkeit. Allerdings monierte ein Abgeordneter (mit Beifall von links) in seiner Rede,

"... daß derjenige, der seine ganze Persönlichkeit im Kampfe für das Wohl der Menschheit im Dienste der Wissenschaft einsetzt, nicht unter kleinliche Gesetzes-bestimmungen gestellt werden soll. Die Gesammtheit ist ihm schon deshalb, weil sein eigenes Ich im unmittelbaren Verkehr mit den Krankheitserregern doch den größten Gefahren ausgesetzt ist, sich selbst in die Bresche stellt, zu viel zu großem Danke verpflichtet, als daß sie ihn mit polizeilichen Bestimmungen chikaniren und drangsaliren lassen dürfte."3

Der für den Gesetzentwurf verantwortliche Staatsminister antwortete (mit Zu-stimmung von rechts):

"... der Paragraph [richtet sich nicht] gegen ordnungsmäßige Untersuchungen, amt-liche Laboratorien, wo wirklich zuverlässige Sachverständige diese Versuche anstel-len. Es hat sich aber jetzt mit solchen Krankheitserregern geradezu eine Art Handel gebildet. Solche Versuche werden unter Umständen in sehr ungenügender Form, in sehr ungenügenden Lokalen und vielleicht auch von Unberufenen angestellt. Da ist es im Interesse der Sicherheit der Volksgesundheit absolut nothwendig, daß man mit energischer Hand gegen Vorgänge auf diesem Gebiete, die äußerst gemeingefährlich sind, gesetzlich vorgeht!"4

Mit der frühen gesetzlichen Regelung reagierte man also auf die - damals noch nicht ganz unumstrittene5 - Erkenntnis, daß Krankheitserreger sich selbst ver-mehren und daher unabhängig von der ursprünglich verwendeten Menge eine Gefahr darstellen können. In den übrigen gesetzlichen Bestimmungen - etwa zum Umgang mit Gift- und Arzneistoffen - sind in dieser Zeit noch keine for-schungsspezifischen Regelungen zu finden, was ihre allgemeine Geltung auch für die Forschung zwar nicht ausschließt. Vorherrschend schien jedoch ein heroi-

und den Verkehr mit Krankheitserregern, ausgenommen Pesterregern); Reichsgesetzblatt 1917, S. 1069ff. (Vorschriften über Krankheitserreger).

3 Reichstag, 10. Legislaturperiode, 179. Sitzung am 24.4.1900, Stenographische Berichte, S. 5067.

4 Reichstag, 10. Legislaturperiode, 179. Sitzung am 24.4.1900, Stenographische Berichte, S. 5069.

5 Von einigen Abgeordneten wurde dieser Zusammenhang in den Reichstagsdebatten be-stritten. Sie traten deshalb besonders vehement gegen die freiheitsberaubenden Wirkungen von Quarantänemaßnahmen auf.

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sches Selbst- und Fremdbild gewesen zu sein, das auch in Selbstversuchen - mit gelegentlich tödlichem Ausgang - zum Ausdruck kam.6

Ein allgemein gestiegenes Problembewußtsein - zunächst allerdings gegenüber den mittelbaren Folgen der Innovationsdynamik - ist vorübergehend nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Verhandlungen zum Grundgesetz und zu den Verfas-sungen der Länder zu verzeichnen. Die ursprüngliche, auf der Konferenz von Herrenchiemsee 1948 formulierte Fassung der Wissenschaftsfreiheit lautete:

"(1) Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. (2) Zum Schutz des menschlichen Zusammenlebens kann durch Gesetz die Benut-zung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen unter staatliche Aufsicht gestellt, beschränkt und untersagt werden."7

Einen derartigen Gesetzesvorbehalt enthält Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht mehr. Aber Anklänge an den dort formulierten Grundgedanken finden sich später noch in der Vorschrift des Hessischen Universitätsgesetzes von 1974, das die Forscher verpflichtet, "die gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkennt-nis mitzubedenken"8, oder im Niedersächsischen Hochschulgesetz, das neben einer Berücksichtigung der gesellschaftlichen und ökologischen Folgen der For-schung auch die Ausrichtung auf friedliche Zwecke vorschreibt und eine Ge-heimhaltung von Forschungsergebnissen zu unterbinden versucht.9

Eine stärkere Sensibilisierung der Gesetzgebung für den Arbeits- und Umwelt-schutz in der Forschung ist im übrigen allerdings erst in jüngerer Zeit zu beobach-ten. Während noch im "Gesetz über gesundheitsschädliche oder feuergefährliche Arbeitsstoffe" von 1939 die Aufsicht über die Einhaltung der entsprechenden Vorschriften im staatlich organisierten Bereich - also auch in den Hochschulen - den vorgesetzten Dienstbehörden übertragen war, wurde dieses Privileg der res-sortinternen 'Selbstregulierung' erst mit der Neufassung der Gefahrstoffver-ordnung von 1987 vollständig aufgehoben. Seitdem sind alle Hoch-schulangehörigen den Arbeitnehmern gleichgestellt und unterliegen auch der

6 Vgl. den programmatischen Titel 'Saints and Martyrs' (Hunter, The Lancet 1936). 7 Deutscher Bundestag (Hrsg.): Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Proto-

kolle, Bd. 2, Boppard 1981, S. 581. In der Verfassung von Bremen heißt es noch heute in Art. 12: "Der Mensch steht höher als Technik und Maschine. Zum Schutz der menschli-chen Persönlichkeit und des menschlichen Zusammenlebens kann durch Gesetz die Be-nutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen unter staatliche Aufsicht und Lenkung gestellt sowie beschränkt und untersagt werden."

8 1978 hat das Bundesverfassungsgericht die Grundrechtskonformität von § 6 des Hess. UnivG festgestellt; vgl. Freundlich, Interpretation, 1984.

9 Niedersächsisches Hochschulgesetz in der Fassung vom 21.1.1994, insbesondere § 4 Abs. 6, §§ 27f.; vgl. Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 270ff.

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Aufsicht durch die allgemein zuständigen Behörden (Gewerbeaufsicht etc.).10 Die Initiative zur Neuregelung ging von den wissenschaftlichen Fachverbänden, den Gewerkschaften und der chemischen Industrie aus.11 Sie kam - im Unterschied zur Regulierung der Gentechnik - ohne größeres Medienecho zustande.

3.2. Zur Geschichte der Gentechnikgesetzgebung

3.2.1. Deutschland bis 1990

Im Unterschied zu den USA wurden Sicherheitsfragen der Gentechnologie in Deutschland, und allgemein in Europa, erst spät zum Thema öffentlicher Debat-ten. Zwar hatte in Deutschland das Bundesministerium für Forschung und Tech-nologie schon relativ früh, nämlich gegen Ende der 70er Jahre, einen Gesetzent-wurf vorgelegt, mit dem die zuvor aus den USA übernommenen Sicherheitsricht-linien auf eine allgemeinverbindliche Grundlage gestellt werden sollten.12 Der Entwurf war jedoch am Widerstand von Forschung und Industrie gescheitert.13

Öffentliche Aufmerksamkeit, sowohl im konservativen wie im linksliberalen Spektrum, setzte erst ein, als ab 1982 auch in der Bundesrepublik die ersten 'Re-tortenbabys' zur Welt kamen. Mit dem Einzug der 'Grünen' in den Bundestag und auf Initiative der SPD-Fraktion wurde dann das Thema auf breiterer Basis disku-tiert. Die vom Bundestag eingesetzte Enquête-Kommission schlug unter anderem vor, die Sicherheitsfragen der Gentechnologie im Rahmen einer Neufassung des Bundesseuchengesetzes zu regulieren und ein fünfjähriges Moratorium für die Freisetzung von transgenen Mikroorganismen zu statuieren.14 Diese Vorschläge stießen erneut auf den Widerstand der Wissenschafts- und Industrieverbände sowie des Forschungsministeriums, das mittlerweile von der CDU geführt wurde und das nun an der auf freiwilliger Selbstbindung beruhenden Regelung durch die ZKBS-Richtlinien festhalten wollte.

10 Sozialversicherungsrechtlich sind allerdings weiterhin die landeseigenen Unfallversiche-

rungen und nicht die im Hinblick auf Überwachungsaufgaben weitaus fachkompetentere Berufsgenossenschaft Chemie zuständig.

11 Universitätsabsolventen gelten im ersten Berufsjahr in der chemischen Industrie vielfach als 'Sicherheitsrisiko' (Franfurter Allgemeine Zeitung vom 25.7.1990). Vgl. im übrigen Rinze, Gefahrstoffe, 1992; Köhler, Universität, 1987; Hamburger Behörde für Wissenschaft und Forschung, Bericht, 1990; Köhler/Schlichthörl, Arbeitssicherheit, 1986.

12 Deutsch, Medizin, Mensch, Gesellschaft 1982. 13 Vgl. im folgenden Gill, Gentechnik, 1991, S. 103ff. 14 Catenhusen/Neumeister, Chancen, 1987, S. XLVff.

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Unterdessen sollten die ersten gentechnischen Produktionsanlagen den Betrieb aufnehmen. Sie waren aber teilweise, insbesondere in Hessen, mit lokalem und überregionalem Widerstand aus der Öffentlichkeit konfrontiert. Entsprechend suchten die Länder nach einer spezifischen gesetzlichen Handhabe, um die Ge-nehmigung der Anlagen juristisch abzusichern. Über den Bundesrat wurden zu-nächst Artikeländerungen in der Gefahrstoffverordnung, der Abwasserherkunfts-verordnung und im Arzneimittelgesetz eingebracht. Durch die Erweiterung des Bundesimmissionsschutzgesetzes wurde für die Genehmigung von gentech-nischen Produktionsanlagen eine öffentliche Anhörung erforderlich. Durch die Vielzahl der Einwendungen und anfängliche Überforderung der Zulassungsbe-hörden kamen die meisten Genehmigungsverfahren daraufhin praktisch zum Er-liegen.

Der Bau einer Produktionsanlage für Insulin der Firma Hoechst wurde schließ-lich vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof vorübergehend gestoppt. Das Ge-richt argumentierte, daß Genehmigungen für eine so grundsätzliche und in die Rechte von Bürgern eingreifende Technologie nur auf spezialgesetzlicher Grund-lage erfolgen könnte.15 Unter dem Eindruck dieser Entscheidung wurde der Bera-tungsprozeß erheblich beschleunigt und das Gentechnikgesetz im Mai 1990 vom Bundesrat endgültig verabschiedet.16

Unterdessen war die Bundesregierung allerdings von der Empfehlung der En-quête-Kommission abgewichen, die Gentechnikregulierung in das Bundes-seuchengesetz zu integrieren und dieses dann umzubenennen in "Gesetz zur Re-gelung der biologischen Sicherheit".17 Damit hätte die später von Industrie und Wissenschaft vielfach beklagte 'Sonderbehandlung' der Gentechnik18 vermieden werden können, zumal das Bundesseuchengesetz schon seit längerer Zeit, auch vor dem Hintergrund der Diskussion um die EG-Richtlinie zum "Schutz der Ar-beitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe" (90/679), überar-beitet werden sollte. Man hätte also die Gentechnik zusammen mit anderen po-tentiell gefährlichen biologischen Substanzen und Methoden regulieren können. Schon 1988 hatte sich das Bundeskabinett geeinigt, den Vorschlag der Enquête-Kommission zu verwerfen, weil ein Gesetz, das ausschließlich auf die Vermei-dung ansteckender Krankheiten wie z.B. AIDS ausgerichtet sei, negative Effekte auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Gentechnik hervorrufen würde.19

15 VGH Kassel, NJW 1990, S. 336. 16 Zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. auch Opfermann, ZG 1990, S. 31ff. 17 Catenhusen/Neumeister, Chancen, 1987, S. LIV. 18 Vgl. oben, Kap. 2.3.2. 19 Gottweis, Governing, 1995, S. 357 (G. zitiert die Bundestagsdrucksache 11/3908, S. 2).

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3.2.2. EG-Richtlinien20

Gegen Ende der 70er Jahre initiierte die Generaldirektion für Forschung und Technologie der EG-Kommission (DG XII) eine Rahmengesetzgebung für die Forschung mit gentechnischen Methoden.21 Der gesetzgeberische Vorstoß wurde nach längerer Diskussion abgelehnt und endete zunächst in einer bloßen Empfeh-lung an die Mitgliedstaaten, Gentechniklabors auf freiwilliger Basis registrieren zu lassen.22 Bemerkenswerterweise verlief die Entwicklung also zu diesem Zeit-punkt, sowohl im Hinblick auf die Ressortzuständigkeit als auch im Hinblick auf das Ergebnis der Initiative, ähnlich wie in der Bundesrepublik.

Mitte der 80er Jahre, reagierend auf einen Bericht der OECD,23 der vor allem die frühe US-amerikanische Diskussion um die Freisetzung von transgenen Orga-nismen reflektierte, wurde von der EG-Kommission ein erneuter gesetz-geberischer Vorstoß unternommen, diesmal unter Federführung des Umweltres-sorts (DG XI). Allerdings negierte der OECD-Bericht, ausgehend von der 'wis-senschaftlichen Basis' erkannter Risiken, den Bedarf für eine Gesetzgebung spe-ziell zur Gentechnik. Dagegen wollte DG XI das für die Umweltpolitik auf EG-Ebene neu formulierte 'Precautionary principle'24, das eine gesetzliche Regulie-rung auch auf der Basis von Ungewißheit erlaubt, auf die Biotechnologie anwen-den.

Interessanterweise war dabei der Regulierungsfokus zunächst nicht auf die Gentechnik beschränkt, sondern sollte generell ökologisch potentiell problema-tische Organismen umfassen, gleichgültig ob sie exotischer Herkunft, konven-tionell gezüchtet oder mit biotechnologisch avancierteren Methoden hergestellt wären.25 Dieser weite Regulierungsfokus hätte aber einen Eingriff in Zustän-digkeitsbereiche des Landwirtschaftsressorts (DG VI) nach sich gezogen. Erst auf dessen Widerstand beschränkte DG XI den Regulierungsfokus auf transgene Organismen und zog sich nun auf die von Anbeginn an umstrittene Argumentation

20 Die Entstehung der EG-Richtlinien 219/90 und 220/90 ist bisher noch nicht sehr breit

aufgearbeitet worden. Vgl. im folgenden Gottweis, Governing, 1995, S. 420ff. sowie Shackley et al., Contending, 1993. Diese beiden unabhängig voneinander entstandenen Manuskripte sind im Tenor weitgehend gleichlautend. Wir danken den Autoren, daß sie uns die Manuskripte zur Verfügung gestellt haben.

21 Shackley et al., Contending, 1993, S. 4. 22 ABl. L 213, 21.7.1982, S. 15f. 23 OECD, Recombinant, 1986. 24 Die deutsche Übersetzung 'Vorsorgeprinzip' wäre hier mißverständlich, weil im Englischen

(und auf EG-Ebene) zwischen 'Prevention' (Gefahrenabwehr und Vorsorge auf der Basis erkannter Risiken) und 'Precaution' (Vorsorge auf der Basis von Ungewißheit) un-terschieden wird; vgl. oben, Kap. 1.1.

25 Shackley et al., Contending, 1993, S. 13.

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zurück, daß mit der Gentechnik größere Ungewißheiten verbunden seien als mit traditionellen Züchtungsmethoden oder der Einführung nicht-einheimischer Orga-nismen.26

Das 'Precautionary principle' wurde aber - zu diesem Zeitpunkt - sowohl vom Landwirtschaftsressort als auch vom Industrieressort (DG III) mitgetragen, das vor allem an einer europaweiten Regulierung zur Entwicklung des gemeinsamen Marktes interessiert war. Aufgrund der öffentlichen Proteste in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden war ohnehin mit nationalen Gesetzgebungen zu rechnen, die zu einer uneinheitlichen Regulierungssituation in der EG geführt hätten. Innerhalb der Kommission opponierte lediglich DG XII gegen diesen Ansatz und versuchte, an der von der OECD vorgegebenen Linie festzuhalten.

Das Europaparlament versuchte auf Initiative von sozialdemokratischen und grünen Abgeordneten, die von der Kommission vorgelegten Entwürfe zu ver-schärfen.27 Ein von den tatsächlichen Konsequenzen her wenig bedeutsamer, aber symbolisch wichtiger Moratoriumsantrag war 1989 im Europaparlament nur knapp - mit 67 zu 68 Stimmen - gescheitert.28 Die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten (im Ministerrat), der Kommission und dem Parlament gestalteten sich kompliziert.29 Während Dänemark, Deutschland und die Niederlande für relativ strikte Richtlinien votierten, tendierten vor allem Frankreich und Großbri-tannien dazu, ihre Verabschiedung zu blockieren. Letztlich setzten sich aber die von DG XI Mitte der 80er Jahre entworfenen Gesetzgebungsvorschläge in einer im 'Hin und Her' der Verhandlungen sogar noch verschärften Fassung durch.30

3.2.3. Novellierung des Gentechnikgesetzes und der EG-Richtlinien

Das deutsche Gentechnikgesetz und die EG-Richtlinien waren kaum in Kraft getreten, als bereits die ersten Initiativen einsetzten, die eine Lockerung oder Abschaffung der Vorschriften zum Ziel hatten.

Infolge des Beitritts der ostdeutschen Länder, des allgemein wachsenden Inte-resses an der 'Standortfrage' und dem Scheitern der Grünen bei den Bun-destagswahlen 1990 hatten sich die Kräfteverhältnisse innerhalb kürzester Zeit geändert. Außerdem stieß das Gesetz nun auf breiten Widerstand, weil es auf-grund eines relativ raschen und strikten Vollzugs zumindest anfangs im For-

26 Vgl. oben, Kap. 2.3. 27 Lake, Project Appraisal 1991. 28 Es wurde ein fünfjähriges Moratorium für die Vermarktung einiger - damals ohnehin noch

nicht marktreifer - transgener Produkte gefordert (vgl. Dickman/Coles, Nature 1989, S. 413).

29 Eine sehr genaue Darstellung findet sich bei Gottweis, Governing, 1995, S. 420ff. 30 Gottweis, Governing, 1995, S. 484.

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schungsalltag deutlich spürbar wurde.31 In Deutschland formierten sich schon 1991 die Wissenschafts- und Industrieverbände zu einer breiten öffentlichen Kampagne und beklagten eine mit der Implementation des Gentechnikgesetzes verbundene 'Überbürokratisierung'. Obwohl die empirische Evidenz zweifelhaft war, weil die angeführten Phänomene ebensogut als typische Anlaufschwierig-keiten bei der Umsetzung eines neuen und präzedenzlosen Gesetzes interpretiert werden konnten, gelang es diesen Verbänden, 1993 die Novellierung des Geset-zes und 1994 die Revision der wichtigsten Verordnung (GenTSV) durchzusetzen.

Weitergehende Lockerungen, wie sie insbesondere mit der Abschaffung der Anmeldepflicht für Arbeiten der untersten Sicherheitsstufe (S 1) von den Regie-rungsfraktionen angestrebt wurden, schienen allerdings im Rahmen der EG-Richtlinien nicht möglich. Daher konzentrierten sich entsprechende Vorstöße der Bundesregierung auch auf die EG-Ebene. Dort haben sich die Kräfteverhältnisse mittlerweile ebenfalls stark verschoben:32 Das Landwirtschafts- und das Indust-rieressort haben ihre Positionen geändert und versuchen nun, zu einer stärker am herkömmlichen Regulierungsschema ('vertikal' bzw. 'produktorientiert') orientier-ten und ausschließlich auf erkannte Risiken abzielenden Vorgehensweise zurück-zukehren.33 Beeinflußt wird diese Haltung durch die Gründung der Senior Advi-sory Group on Biotechnology (SAGB), einer von den bisher bekannten Industrie-verbänden unabhängigen Lobbyorganisation, in der ausschließlich Repräsentanten der großen transatlantisch operierenden Chemieunternehmen vertreten sind,34 und durch eine ebenfalls zu Beginn der 90er Jahre in den USA auf den Weg gebrachte Deregulierungsinitiative. DG XI befindet sich seitdem in der Defensive. Entspre-chend beklagte sich Jan Brinkhorst, der damalige Generaldirektor der DG XI schon 1991, als die Richtlinien gerade verbindlich wurden:

"When industry was afraid it was going to be banned, it came to us and said 'Please pass a law to stop them from banning things'. Now that there's no danger of that, they are saying we don't really need the law at all."35

Nun versucht DG XI, durch eine Reihe von Anpassungen und Differenzierungen der Richtlinien, die mit den mittlerweile gewonnen Erfahrungen begründet wer-den, einer Beschneidung des Anwendungsbereichs - und ihrer Kompetenzen - zuvorzukommen.

31 Vgl. unten, Kap. 7, insb. Kap. 7.6.3. 32 Vgl. im folgenden Levidow et al., S&PP 1996; Levidow, Technology Analysis & Strategic

Management 1994; Shackley et al., Contending, 1993. 33 Vgl. oben, Kap. 2.3.2. 34 Zur Vertretungsstruktur der biotechnologischen Industrie auf europäischer Ebene vgl. Ro-

nit, Wirtschaftsverbände, 1997. 35 zit. n. Balter, Science 1991, S. 1367.

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Es kann nicht verwundern, daß mit dem plötzlichen Wechsel der Regulie-rungsrichtung sowohl in der Bundesrepublik als auch auf EG-Ebene eine Reihe von Argumentationswidersprüchen auftreten. Während früher die Bundesregie-rung die Gesetzgebung einführte, um den gesellschaftlichen Konflikt um die Gen-technik zu überwinden, und offensichtlich ein Interesse daran hatte, die eigene Gesetzgebung auch auf EG-Ebene durchzusetzen, um Standortnachteile zu ver-meiden, behauptet sie jetzt, die Gesetzgebung stigmatisiere die Gentechnik als 'gefährlich' und führe deshalb zu Akzeptanz- und folglich Standortproblemen in der Bundesrepublik.36 Während man also in Brüssel auf eine Lockerung der Richtlinien drängt,37 erstaunt man die übrigen Europäer jedoch zugleich damit, daß man die bereits vorhandenen Spielräume in der eigenen Verwaltungspraxis allenfalls zögerlich ausschöpft.38

Offenbar ist also die ohnehin unorthodox anmutende Einschätzung, daß eine schärfere Regulierung zu Akzeptanzproblemen auf seiten der Öffentlichkeit füh-re, zumindest ambivalent. Die besondere Widersprüchlichkeit der deutschen Poli-tik39 kontrastiert mit Erfahrungen in den meisten anderen EU-Ländern, in denen

36 "In der Bundesrepublik ist man vertraut mit Problemen, die sich aus der mangelnden öf-

fentlichen Akzeptanz dieser neuen Technik ergeben. Gerade daher sollte aber vermieden werden, unbegründete Ängste durch überzogene bürokratische Vorschriften scheinbar zu rechtfertigen." (Brief von G. Schubert, Bundesministerium für Gesundheit, an G. del Bino, seinerzeit zuständiger Abteilungsleiter der Biotechnologieabteilung der DG XI, vom 2.5.1994 (GZ 375-407101/5).

37 Schubert, EG-Recht, 1993; BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 264ff. 38 Vgl. Kap. 8.5.2., S. 256f. Im übrigen steht dieser Forderung auch die 'Staatsraison' der EG

entgegen, wie ein Beamter aus dem deutschen Gesundheitsministerium 1992 konstatiert: "Als Ergebnis dieser Diskussion ist wohl herausgekommen, daß die deutschen Bemühun-gen von Seiten der Industrie und der Forschung, die EG-Richtlinien zu ändern, mehrheit-lich international nicht unterstützt werden. Acht Mitgliedstaaten haben bisher überhaupt keine Gesetze, mit denen sie die EG-Richtlinien umsetzen und die Mehrheit der Mitglied-staaten war wohl der Meinung, daß man zuerst eine Mehrheit der Mitgliedstaaten dazu bringen sollte überhaupt umzusetzen, bevor man an eine Novellierung denken könne. Denn wenn man jetzt gleich novellieren würde, ohne daß national umgesetzt worden ist, würden sich die Mitgliedstaaten, die bisher noch keine nationale Regelungen gemacht haben, natür-lich zurücklehnen und sagen: Was sollen wir jetzt ein Gesetz machen, wenn schon gleich-zeitig novelliert wird?" (BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 267).

39 Diese Widersprüchlichkeit wird auch deutlich an der Haltung Deutschlands zur Novel Food-Richtlinie. Der deutsche Gesundheitsminister setzte sich im Europäische Rat zuletzt für eine sehr weitgehende Kennzeichnungspflicht ein, nachdem diese von den deutschen Repräsentanten in den Verhandlungen zuvor vehement abgelehnt worden war.

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mittlerweile praktikable Kompromisse bei der Umsetzung der EG-Richtlinien gefunden wurden.40

3.2.4. Derzeitiger Stand der Regulierung außerhalb der EG

Auch in anderen Industrieländern gibt es Gesetze, die die Forschung und Ent-wicklung mit gentechnischen Methoden betreffen. In den USA, dem 'Mutterland der Gentechnologie', ist die Forschung im Labor lediglich einer Selbstregulierung auf relativ formalisiertem Niveau unterworfen. Anders als die bundesdeutschen Verfahren der Selbstregulierung, die vor dem Inkrafttreten des Gen-technikgesetzes biologische Sicherheit im gentechnischen Forschungsbetrieb garantieren sollten,41 sind die US-amerikanischen Verfahren der Selbstregulie-rung in der Forschung stärker rechtsförmig organisiert.42 Es existiert ein relativ umfassender und detaillierter Korpus von Normen, dessen Fortschreibung zum Teil unter der Ägide von staatlichen Behörden vollzogen wird. Das Verfahren der Normensetzung und Normenauslegung ist transparenter und stärker an der Ver-tretung und Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Belange orientiert. Die Verfahren zur Kontrolle der externen Normen sind verbindlicher und nicht wie in Deutschland als kollegiale Beratung für den Versuchsleiter ausgelegt. Versuchs-protokolle müssen den zuständigen Kontrollgremien an den Universitäten und eventuell auch nationalen Ausschüssen vorgelegt werden; das Votum dieser In-stanzen ist zu befolgen, andernfalls kann ein Sanktionsmechanismus43 in Gang gesetzt werden.

Man muß sich also darüber im klaren sein, daß mit 'Selbstregulierung' in den USA nicht die Effekte verbunden sind, die man sich hierzulande häufig pauschal von einer 'Deregulierung' verspricht: Der US-amerikanische Modus der 'Selbst're-

40 Vgl. zur Umsetzung der in den Mitgliedsländern wenig umstrittenen System-Richtlinie

(90/219), die den Umgang im Labor und in der Produktion regelt, DG XI, Summary, 1994. Zur Umsetzung der Freisetzungs-Richtlinie (90/220) vgl. Levidow/Carr, S&PP 1996.

41 Vgl. Gill, Gentechnik, 1991, S. 142ff., 247ff. 42 Selbstregulative Verfahren der hier geschilderten Art werden in den USA außerdem zur

Überwachung gentherapeutischer Versuche (vgl. unten, Kap. 9.1.1) und allgemein zur Kontrolle der Einhaltung von Ethik-Richtlinien bei medizinischen Menschenversuchen so-wie zur Aufklärung von Betrug in der Forschung eingesetzt (vgl. United States General Accounting Office, Biotechnology, 1987; Bereano, STHV 1984; Levine, Ethics, 1988; Swazey/Scher, Whistleblowing, 1982; Stegemann-Boehl, Fehlverhalten, 1994).

43 Bekanntwerdende Verstöße müssen dem Leiter der Wissenschaftsorganisation gemeldet werden, der arbeitsrechtliche Sanktionen erlassen kann. Der Leiter ist seinerseits ver-pflichtet, die Befolgung der nationalen Regularien zu garantieren. Andernfalls kann die zu-ständige staatliche Behörde (z.B. NIH) gegen die jeweilige Forschungsorganisation Sank-tionen verhängen.

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gulierung ist ausgesprochen bürokratisch, konfliktträchtig und aufwendig,44 auch wenn oder gerade weil er z.T. in Eigenregie und nicht von einer zentralisierten und professionellen Verwaltung durchgeführt wird. Da er mit Sanktionen für die Forscher bewehrt ist und im US-amerikanischen Recht auch ohne spezialgesetzli-che Grundlage für interessierte Bürger und Verbände weitaus umfangreichere Klagemöglichkeiten gegeben sind,45 muß er im Zweifelsfall auch einer gerichtli-chen Nachprüfung standhalten.

Allerdings ist zu konstatieren, daß das US-amerikanische Verfahren insofern flexibler ist, als es je nach öffentlichem Legitimationsbedarf kontinuierlich ver-schärft und auch relativ leicht wieder gelockert werden kann. Das mag auch der Grund sein, weshalb Gesetzesinitiativen zur Gentechnik in den USA noch stets abgewehrt werden konnten.46 Dagegen stellte der Erlaß des Gentechnikgesetzes in Deutschland einen viel abrupteren Sprung im Regulierungsniveau gegenüber den vormals vollständig wissenschaftsinternen, aber öffentlich wenig legitimati-onsträchtigen Verfahren 'echter' Selbstregulierung dar.

Für experimentelle Freisetzungen und die Marktzulassung gelten keine spe-ziellen gentechnikspezifischen Vorschriften,47 aber allgemein wird die Produkt-zulassung in den USA sehr restriktiv gehandhabt.48 Auch ohne spezialgesetzliche Grundlage waren daher die ersten experimentellen Freisetzungen mit erheblichem bürokratischem Begründungsaufwand verbunden.49 Gleiches gilt auch heute noch für das Inverkehrbringen transgener Produkte. Insbesondere die weitaus umfang-reichere Produkthaftung in den USA - auch für sogenannte Entwicklungsrisiken50 - wird von den Herstellern als große Belastung aufgefaßt.51

In Japan wird der Umgang im Geschlossenen System relativ sorglos gehand-habt, während Freisetzungen dort mit erheblichen kulturellen Vorbehalten ver-bunden sind und bisher nur sehr zögerlich vorgenommen wurden.52

44 Hierzu auch Böhm, Prozeduralisierung, 1996, S. 201ff. 45 Vgl. etwa Robbins, Public, 1995, S. 5ff. Vgl. demgegenüber zur Situation in Europa: Or-

mond, Access, 1995, S. 71ff.; sowie den Tagungsband von Führ/Roller, Participation, 1991.

46 Vgl. Krimsky, Genetic, 1982. 47 Vgl. oben, Kap. 2.3.2. 48 Das gilt insbesondere für die Zulassung von Arzneimitteln durch die Food and Drug Ad-

ministration (FDA); die Zulassung für mit gentechnischen Methoden hergestellte Arznei-mittel dauert in den USA bedeutend länger als in den Länder der EG (Bienz-Tadmor, Bio/Technology 1993).

49 Krimsky, Biotechnics, S. 95ff.; vgl. außerdem unten, Kap. 8.3. 50 Vgl. unten, Kap. 6.2.2. 51 Zur Regulierungssituation in den USA insgesamt Hohmeyer et al., Internationale, 1994, S.

49ff.; Mahro, RIW 1987. 52 Hohmeyer et al., Internationale, 1994, S. 82ff.

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Die Verhandlungen um ein weltweit verbindliches Protokoll zur Biologischen Sicherheit, wie sie in der Nachfolge der Konferenz von Rio (1992) im Rahmen des Biodiversity-Abkommens geführt werden, sind noch nicht abgeschlossen. Die Entwicklungsländer, die kaum über eigene Kontrollkapazitäten verfügen und deren Territorien von Forschungsorganisationen aus den Industrieländern als Testgelände genutzt werden,53 dringen auf ein solches Protokoll, die USA und andere Industrieländer leisten bisher zumindest hinhaltenden Widerstand. Parallel dazu werden von anderen internationalen Organisationen Anstrengungen unter-nommen, Sicherheitsfragen im Technologietransfer auf freiwilliger Basis oder durch bilaterale Abkommen zu regeln.54

53 Als Grund wird von den Firmen angegeben, daß sie mithilfe von Teststationen auf der

Südhalbkugel das ganze Jahr über Freilandversuche durchführen können. In einem Fall kam es allerdings zu erheblichen Konflikten, als US-amerikanische Wissenschaftler in Ar-gentinien einen Tollwutimpfstoff testeten, ohne die Behörden davon zu informieren (Palca, Nature 1988, S. 470).

54 Plän, Süddeutsche Zeitung 1994; Leskien, Wechselwirkung 1996.

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Kapitel 4: Risikosteuerung der gentechnischen Forschung

4.1. Problembeschreibung

Fehlendes Erfahrungswissen über ihre Folgen ist der Forschung wesensgemäß. Forschung, die "als planmäßig-methodische, erfolgreiche oder nicht erfolgreiche Suche nach Erkenntnissen"1 betrieben wird, verfügt nicht über den Erfah-rungshorizont einer bestimmte Abläufe ständig wiederholenden Anwendung. Als Suche nach Erkenntnis kann Forschung begrifflich nicht schon die Erkenntnis voraussetzen, die sie zu gewinnen erwartet. Fehlendes Erfahrungswissen ist der Forschung also insofern inhärent, als sie Wissen gerade zu gewinnen sucht.2

So können etwa die Eigenschaften und das Verhalten der gentechnisch kon-struierten Organismen erst nach ihrer Herstellung untersucht werden.3 Allerdings sind die Grenzen zwischen Nichtwissen und entstehendem Erfahrungswissen im Bereich gentechnischer Forschung fließend. Mit einer wachsenden Zahl durchge-führter gentechnischer Experimente, etwa im Rahmen von Freisetzungsvorhaben, wird auch das (zumindest theoretisch) zur Verfügung stehende Erfahrungswissen über das Gefährdungspotential der eingesetzten Spender- und Emp-fängerorganismen und der erzeugten gentechnisch veränderten Organismen4 stei-gen und somit auch in die Konstruktions- und Versuchsplanungen folgender gen-technischer Forschungsprojekte Eingang finden können.5 Zudem ermöglichen interdisziplinär und weltweit vernetzte Wissenssysteme der gentechnischen For-schung, das Erfahrungswissen Dritter zu berücksichtigen.6 Schließlich könnte auch der Übergang von der Grundlagenforschung zur Entwicklungs- bzw. An-wendungsforschung in einigen Bereichen der Gentechnik als Indiz für eine sich entwickelnde Wissensbasis verstanden werden.

1 Denninger, Alternativkommentar zum Grundgesetz, 1989, Art. 5 Rn. 47; BVerfG, Bd. 35

(1974), S. 79ff. (113): "alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Ver-such zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist".

2 Wahl, Anwendungskontrolle, 1991, S. 8f. 3 Vgl. amtliche Begründung zu § 5 GenTSV, zit. nach Eberbach et al., Gentechnikrecht, § 5

GenTSV Rn. 2. 4 Vgl. § 4 ff GenTSV. 5 Nichts anderes wird im übrigen auch für andere Bereiche der Genforschung, wie z.B. für

die Gentherapie gelten. 6 Auf diese Erfahrungsbasis verweisen z.B. Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher, Standortge-

fährdung, 1992, S. 86ff.

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Gentechnische Forschung muß demnach nicht nur das für das Sicherheits-niveau erforderliche Erfahrungswissen selbst generieren, sondern auch die Erfah-rungswerte und Hypothesen Dritter heranziehen, bewerten und berücksichtigen. Jedoch wäre selbst eine statische Betrachtung derartiger Wissensgene-rierungsprozesse unzureichend, da bei einem dynamisch verlaufenden Erkennt-nisprozeß permanent neu entstandenes Wissen7 ebenso wie seine Neubewertung zu berücksichtigen ist. Damit besteht jedoch für jedes gentechnische Forschungs-projekt ein mehr oder weniger starkes Maß an Ungewißheit über seine Schadens-eignung und die jeweiligen Wirkungsketten.8

Das Gentechnikrecht muß somit eine Antwort auf zwei Fragen geben: Zum ei-nen sind im Bereich 'erkannter' Risiken9 Vorsorgemaßnahmen geboten. Insoweit bewegt man sich (rechtlich) auf durchaus bekanntem Terrain, was vor allem für die Arbeiten in geschlossenen Systemen gilt.10 Das technische Sicherheitsrecht bietet seit langem ein Instrumentarium zum Umgang mit insbesondere anlagenbe-dingten Gefahren und Risiken, welches bereits für das Gentechnikrecht fruchtbar gemacht wurde.11 Zum anderen, und dies ist die eigentlich neue Fragestellung, muß das Gentechnikrecht auf die Situation fehlenden Erfahrungswissens eine Antwort geben.

4.2. Risikosteuerung unter Ungewißheitsbedingungen

4.2.1. Krise der Steuerungsfähigkeit des Rechts?

Nach verbreiteter Auffassung durchlebt das Recht insbesondere im Umwelt- und Technikbereich eine Krise der 'Steuerungsfähigkeit'.12 Als empirischer Ausgangs-punkt gilt das vielfach zitierte Implementations- und Wirkungsdefizit rechtlicher Regelungen.13 Das klassische Instrumentarium des 'interventionistischen' oder auch 'regulativen' Rechts wird häufig als auslaufendes Modell thematisiert, das

7 Ladeur, Prozeduralisierung, 1994, S. 329. 8 Scherzberg, VerwArch 1993, S. 495, insbesondere bei Freisetzungen und hinsichtlich des

Entstehens pathogener Ausgangssubstanzen im Labor. 9 Zur Differenzierung zwischen 'Risiken mit erkannter Gefahrenqualität' und 'Risiken ohne

erkannte Gefahrenqualität' vgl. Bender, NJW 1979, S. 1426ff. und ders., DÖV 1980, S. 634ff.; Murswiek, Bewältigung., 1990, S. 212f.

10 Wahl/Appel, Prävention, 1995, S. 8f. 11 Dazu unten, Kap. 5. 12 Vgl. z.B. die Beiträge in Grimm, Staatsaufgaben, 1990; Schuppert, Steuerung, 1993, S.

75; zuletzt Deckert, ZRP 1995, S. 63ff. 13 Mayntz, Vollzugsprobleme, 1978; dies., Regulative, 1979, S. 55ff.

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wiederum als Ausgangspunkt diverser analytischer und normativer rechtstheoreti-scher Bemühungen dient.14 Mittlerweile hat die Debatte über die Steue-rungsfähigkeit des Rechts, nach einigen theoretischen Vorarbeiten im Zuge der Diskussion über eine Reform des Umweltverwaltungsrechts15 wie auch des all-gemeinen Verwaltungsrechts16, allerdings eine konkretere, instrumentenbezogene Ebene erreicht.17

Ob tatsächlich der generelle Befund zutrifft, daß die Entwicklung der moder-nen Technik durch das Recht nicht gesteuert werden kann,18 erscheint in dieser Allgemeinheit zweifelhaft. Eine Verallgemeinerung der Analyse singulärer Steue-rungsdefizite erscheint ebenso unzulässig wie ein ungebrochener Steue-rungsoptimismus, der auf die Wirksamkeit der traditionellen Mittel des Um-weltverwaltungsrechts vertraut. Sinnvoller erscheint es demgegenüber, die Mög-lichkeiten und Grenzen einer rechtlichen Steuerung nach den spezifischen Eigen-heiten der jeweiligen Technik und ihrer sozialen Anwendungsumgebung zu unter-suchen.19 Ob und mit welchen rechtlichen Mitteln eine effektive Risikominimie-rung erreicht werden kann, ist deshalb bereichsspezifisch für das Untersu-chungsfeld gentechnischer Forschung zu ermitteln.

Bei der (gentechnischen) Forschung stößt jedoch das klassische Instrumenta-rium des Verwaltungsrechts an seine Leistungsgrenzen. Die traditionelle kondi-tionale Normstruktur - wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, dann ist eine bestimmte Entscheidung zu treffen20 - erweist sich insbesondere bei der Lösung komplexer, dynamischer und in ihren Folgenwirkungen noch nicht überschaubarer Sachverhalte als unzureichend. Die Bedingung ('conditio'), mit der der Normgeber eine Entscheidung der Verwaltung 'programmiert', setzt klare und einfach struktu-rierte Sachverhalte voraus, deren Problematik im voraus auch programmierbar ist. Hypothesenbasierte Forschungsprozesse, die sich durch die Generierung des Wissens auszeichnen, mit dem ihre Konstrukte erst bewertet werden können, sind durch den Normgeber mangels verfügbaren Erfahrungswissens kaum program-

14 Vgl. hier vor allem die Beiträge in der Jahresschrift für Rechtspolitologie unter dem Titel

"Regulative Umweltpolitik" (1991) und "Postinterventionistisches Recht" (1990), mit Dar-stellungen über die Ansätze reflexiven, medialen und prozeduralen Rechts. Im übrigen Teubner, ARSP 1982, S.109ff.; zum prozeduralen Recht: ders., Entwicklung, 1982, S. 38ff.; Sudhoff, Jahresschrift für Rechtspolitologie 1990, S. 53ff.

15 Vgl. Koch, Umweltgesetzbuch, 1992. 16 Hoffmann-Riem et al., Reform, 1993; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation,

1994. 17 Vgl. auch die verwaltungswissenschaftliche Untersuchung von König/Dose, Klassifika-

tionsansätze, 1993, S. 3ff. 18 Vgl. dazu Wolf, Leviathan 1987, S. 357ff. 19 Vgl. auch Mayntz, Steuerungsprobleme, 1987, S. 107. 20 Luhmann, Rechtssoziologie, 1987, S. 227.

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mierbar. Schließlich zeichnet sich die gentechnische Forschung sowohl durch den Umgang mit erkannten als auch mit unbekannten Risiken aus.

Bei hochkomplexen Entscheidungsprozessen ist es deshalb sinnvoller, starre konditionale Normen durch flexiblere, im Sinne einer Risikoaufklärung und -mini-mierung zielführende Bestimmungen zu ersetzen. 'Finales' Recht beschränkt sich gegenüber dem Rechtsanwender auf die Vorgabe eines bestimmten Ziels, über-läßt diesem aber einen größeren Entscheidungsspielraum bei dessen Verwirkli-chung.

Typisches Beispiel für eine solche finale Normstruktur sind die planungs-rechtlichen Vorschriften des Öffentlichen Rechts. Sie sind vor allem durch Ab-wägungsspielräume der Verwaltung gekennzeichnet. Die planungsrechtliche Ab-wägungsentscheidung verarbeitet eine Vielzahl verschiedener, teils gegenläufiger Interessen und Belange und faßt sie schließlich zu einer Verwaltungsentscheidung zusammen.21 Das Gentechnikrecht ist durch solche planerischen Entschei-dungsstrukturen bislang zwar nicht gekennzeichnet. Allerdings hat die Rechtspre-chung durch die Einräumung von Beurteilungsspielräumen der Genehmi-gungsbehörden bei der Risikoentscheidung bereits einen Schritt von der konditio-nalen Programmierung zu einer stärker final angelegten Entscheidung eröffnet. Darüber hinaus hat bereits de lege lata die Vorschrift des § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG einen stark planungsrechtlichen Einschlag durch Einräumung einer Risi-ko-Nutzen-Abwägung. Danach ist die Genehmigung einer Freisetzung daran gekoppelt, daß nach dem Stand der Wissenschaft "im Verhältnis zum Zweck der Freisetzung" keine unvertretbaren schädlichen Einwirkungen zu erwarten sind.22

Das geltende, auf die Gentechnik bezogene Instrumentarium ist, wie wir später näher darstellen werden,23 bereits vielschichtig ausgerichtet. Das Gentechnikrecht enthält eine Mischung teils konditional, teils final programmierter Normen. Der Genehmigungstatbestand des § 13 GenTG beispielsweise ist formal konditional programmiert, aber in einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen 'offen' für den Ein-bau des jeweils verfügbaren Sicherheitswissens formuliert. So muß nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 gewährleistet sein,

"daß für die erforderliche Sicherheitsstufe die nach dem Stand der Wissenschaft und Technik notwendigen Vorkehrungen getroffen sind und deshalb schädliche Einwir-kungen auf die in § 1 Nr. 1 bezeichneten Rechtsgüter nicht zu erwarten sind".

Flexibel sind auch die in § 6 Abs. 1 GenTG geregelten Grundpflichten, wonach der Betreiber die Risiken nicht nur vorher umfassend zu bewerten, sondern, nach

21 Vgl. Ladeur, Abwägung, 1984. 22 Zweifelhaft ist allerdings, ob die Vorschrift EG-rechtskonform ist. Die Hinnahme von

Gefahren ist jedenfalls unter keinen Umständen mit Nutzenerwägungen zu rechtfertigen; vgl. zu diesem Themenkomplex Führ, DVBl. 1991, S. 559ff.

23 Vgl. unten, Kap. 5.

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der nunmehr erfolgten Änderung des Gentechnikgesetzes, diese Bewertung dem Stand der Wissenschaft auch fortlaufend anzupassen hat.24

Wie auch immer die rechtliche Programmierung gestaltet wird, bleibt jedoch das Verhältnis von Forschung und staatlicher Aufsicht ungleichzeitig und disso-nant. Nicht nur die Eigengesetzlichkeiten einer auf ihre Autonomie - zumal im universitären Bereich - bedachten Forschung, sondern vor allem die unter-schiedlichen Interessen, Wissensstrukturen und Handlungsrhythmen der univer-sitären Forschung einerseits und der staatlichen Aufsicht andererseits lassen sich nur mit Mühe aufeinander abstimmen. Während industrielle Forschung zur Absi-cherung getätigter und geplanter Investitionen frühzeitige Abstimmungen mit den Behörden initiieren muß, sieht die universitäre Forschung durch staatliche Kon-trollmaßnahmen ihre verfassungsrechtlich verbürgte Autonomie gefährdet.25

Konflikte zwischen Forschung und Aufsichtsbehörde sind jedoch nur ein Teil der Problematik. Letztlich ist die Verbesserung der behördlichen Aufsicht nur ein Steuerungsmittel. Das Ziel hingegen ist die effektive Risikoaufklärung und -mini-mierung gentechnischer Forschung. Das eigentliche Steuerungsproblem besteht demnach in der Generierung des hierfür erforderlichen Wissens sowie den daraus in den jeweiligen Entscheidungsstrukturen zu ziehenden Konsequenzen.26 Ob dieses Ziel jedoch gerade im Bereich der Forschung durch eine primär behördlich veranlaßte Außensteuerung erreicht werden kann, ist fraglich.

4.2.2. Selbststeuerung

Vor dem Hintergrund der komplexen Strukturen gentechnischer Forschung und ihrer Wissensbestände erscheint als weitere Option für die Risikosteuerung der Forschung eine Stärkung der Selbststeuerung diskussionswürdig.27 Für eine der-artige Orientierung könnte die größere Problem- und Sachnähe der Forscher zu den von ihnen ausgelösten Risiken, die Möglichkeit einer flexiblen und risikoadä-quaten Problembearbeitung und schließlich eine Entbürokratisierung der Kontrol-le sprechen.28 Zudem könnte eine Selbststeuerung an die zumindest im Bereich der Hochschulforschung bestehende Tradition der universitären Selbstverwaltung

24 Vgl. unten, Kap. 6.3.1. 25 Vgl. die Ergebnisse der empirischen Untersuchung, unten, Kap. 7.4. 26 Zu diesem Problem vor allem Ladeur, Umweltrecht, 1995, S. 65ff., 77ff. 27 Zur Option der Selbststeuerung als Ausweg aus der regulativen Krise des Rechts vgl. z.B.

Teubner, Verrechtlichung, 1984, S. 333ff.; Fuchs/Rucht, Jahresschrift für Rechtspolito-logie 1988, S. 183ff.; Schuppert, AöR 1989, S. 141ff.

28 Vgl. die hier und im folgenden modellhaft skizzierten Vor- und Nachteile einer Selbst-steuerung bei Fuchs/Rucht, Jahresschrift für Rechtspolitologie 1988, S. 173; Schuppert, Steuerung, 1993, S. 87f.

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anknüpfen. Andererseits steht diesen denkbaren Vorteilen die wahrscheinliche Dominanz der forschungsinternen Rationalitätskriterien, die fehlende externe Kontrolle und die fehlende Verbindlichkeit von Sicherheitsstandards gegenüber Dritten entgegen.

Schließlich ist festzustellen, daß die in der Literatur angeführten Beispiele ei-ner Selbststeuerung zumeist gerade nicht die Fälle konfligierender Entfaltungs- und Schutzinteressen im Bereich des Risiko-Umweltrechts erfassen,29 die mögli-cherweise aus gesellschaftspolitischen, aber vor allem auch verfas-sungsrechtlichen Gründen eines stärkeren staatlichen Ausgleichs bedürfen.30 Gleichwohl ist die Stärkung der Selbstverantwortung sinnvoll, wo immer dies möglich und erfolgversprechend ist. Dabei sollte die Intention im Vordergrund stehen, Selbststeuerungspotentiale des jeweiligen Anwendungsbereichs für die Verwirklichung der Steuerungsziele nutzbar zu machen.31

Vor diesem Hintergrund ist eine schematische Alternative von staatlicher Steu-erung versus Selbststeuerung unzureichend. Ohnehin ist gegenüber der einseitigen Betonung von Selbststeuerungsmechanismen den jeweiligen tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen stärkere Beachtung zu schenken, die die Integra-tion von Selbststeuerungspotentialen in ein umfassendes Risikoaufklärungs- und -minimierungskonzept ermöglichen.32

Erforderlich ist es also, Steuerungsinstrumente im Hinblick auf ihre diesbe-zügliche Leistungsfähigkeit zu untersuchen.33 Dabei ist denjenigen Instrumenta-rien und Regelungsmechanismen, die die Verantwortung der Forschung für die

29 Schimank/Glagow, Formen, 1984, S. 14ff., differenzieren drei Arten von nicht-etatistischer

Selbststeuerung: Subsidiarität als staatlich gewährte Selbststeuerung der Sozialpolitik, wahrgenommen durch die freien Träger der Wohlfahrtverbände, Delegation als staatlich verordnete gesellschaftliche Selbststeuerung im Bereich der wirtschaftlichen oder berufs-ständischen Selbstverwaltung, und schließlich Korporatismus als ausgehandelte gesell-schaftliche Selbststeuerung für die wirtschaftliche oder gesundheitspolitische Globalsteue-rung in Form Konzertierter Aktionen. Demgegenüber beziehen sich lediglich Fuchs/Rucht, Jahresschrift für Rechtspolitologie 1988, als Beispiel auf Sicherheitsrichtlinien, die von der Wissenschaft selbst verfaßt sind.

30 Siehe unten, Kap. 5. 31 Vgl. Schuppert, Steuerung, 1993, S. 88. 32 In der Sprache der Systemtheorie wird eine solche Regelungsstrategie, die Rahmenrecht

und Selbststeuerung zu verbinden sucht, als "Konditionierung von Selbststeuerung" be-zeichnet (Willke, Kontextsteuerung, 1987, S. 12). Vgl. auch Deckert, ZRP 1995, S. 68.

33 Unten, Kap. 5 und 6.

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Aufklärung und Minimierung von Risiken stärken, besondere Beachtung zu schenken.34

4.2.3. Die rechtliche Bewältigung des gentechnischen Risikos

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Recht der Gentechnik in besonde-rem Maße durch den Umgang mit 'Risiken' und 'Ungewißheiten' geprägt ist.35 Soweit bekannte Risikosituationen zu bewältigen sind ('erfahrungsbasierte Vor-sorge'36), bietet das Gentechnikgesetz durchaus ein ansehnliches Arsenal an In-strumenten der Risikovorsorge, deren weitere Verbesserung zwar sinnvoll er-scheint, die aber keiner grundsätzlichen Neuausrichtung bedürfen. Das eigentliche Problem liegt in der rechtlichen Steuerung solcher Situationen, die einer Risiko-prognose kaum zugänglich sind, weil das hierfür erforderliche Erfahrungswissen (noch) nicht besteht. Die Frage, ob und in welchem Umfang das Recht in diesen Fällen zur Generierung neuen Wissens und damit letztlich zur weiteren Risi-kominimierung beitragen kann, ist jedoch ohne Berücksichtigung der bestehenden Risikovorsorgekonzepte im Bereich der 'erkannten' Risiken nicht zu beantworten.

4.2.3.1. Gefahrenabwehr Die rechtliche Verankerung einer 'Risikovorsorge' ist - rechtshistorisch betrachtet - eine neue Erscheinung. Traditionell ist das Recht auf den Umgang mit 'Gefah-ren', nicht aber mit Risiken eingestellt. Die rechtliche Bedeutung der Begriffe 'Gefahr' und 'Risiko' unterscheidet sich von sozialwissenschaftlichen37 und natur-wissenschaftlichen38 Begriffsbestimmungen.

Während die klassische Definition des polizeirechtlichen Gefahrenbegriffs auf eine lange Tradition zurückblicken kann und in ihren wesentlichen Grund-elementen bereits durch die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwal-tungsgerichts determiniert wurde,39 herrscht über die rechtliche Verortung des Risikobegriffs nach wie vor Unklarheit.

34 Ladeur, Umweltrecht, 1995, S. 77, spricht z.B. davon, daß Ungewißheit ein äußerst viel-

gestaltiges Phänomen sei, "das eine proaktive strategische Gestaltung verlangt, für die neue Formen der Prozeduralisierung gefunden werden müssen".

35 Vgl. auch: Nicklisch, NJW 1986, S. 2287ff.; Ladeur, NuR 1987, S. 60ff.; Richter, Gen-technologie, 1989.

36 Vgl. oben, Kap. 1. 37 Vgl. oben, Kap. 1.3. 38 Speziell für die Gentechnik: Sinemus, Risikoanalyse, 1995, S. 92. 39 Erstmals in der 'Kreuzbergentscheidung' PrOVG, Bd. 9 (1882), S. 353ff. und seitdem

ständige Rechtsprechung: PrOVG, Bd. 77 (1922), S. 333ff. (338); PrOVG, Bd. 87 (1932), S. 301ff. (310).

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Die beiden konstitutiven Merkmale des rechtlichen Gefahrenbegriffs sind der Schaden einerseits und die Wahrscheinlichkeit seines Eintritts andererseits. Be-reits das Preußische Oberverwaltungsgericht hat den Begriff der Gefahr im poli-zeirechtlichen Sinne beschrieben als eine die erkennbare objektive Möglichkeit eines Schadens enthaltende Sachlage, der nach verständigem Ermessen vorzu-beugen sei.40 Im wesentlichen wird das allgemeine Polizei- und Gefahrenab-wehrrecht noch heute von dieser Begriffsbestimmung geprägt.41 Diese Grund-struktur des Gefahrenbegriffs hat schließlich auch in das technische Si-cherheitsrecht, zunächst in das Atomrecht42 und später auch in das Gentechnik-recht, Eingang gefunden.43 Dabei wurden freilich gewisse Modifikationen not-wendig: Die erforderliche Prognosebasis für die Entscheidung über das Vorliegen einer Gefahr konnte nicht mehr die Erfahrung des 'Durchschnittspolizeibeamten' abgeben. An deren Stelle trat der Steuerungsmaßstab des 'Standes von Wissen-schaft und Technik'.44 Auf diese Weise wurde die wissenschaftliche Erkenntnis zum 'Einfallstor' für behördliche Prognoseentscheidungen.45

Als zentrale Frage des technischen Sicherheitsrechts wurde und wird dabei stets die Bestimmung der Grenze der noch abzuwehrenden Gefahr bzw. der vor-sorgebedürftigen von den hinzunehmenden Risiken46 diskutiert: Wie sicher ist sicher genug?47

Zur Lösung werden verschiedene 'Formeln' angeboten. Die 'Je-desto-Formel' verknüpft die beiden Elemente des Gefahrenbegriffs: Je geringer der zu er-wartende Schaden ist, um so höher muß der Wahrscheinlichkeitsgrad für dessen Eintritt sein; umgekehrt reicht bei befürchteten erheblichen Schäden eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Gefahr aus. Demgegenüber versucht der 'Standard der praktischen Vernunft' eine von Wahrscheinlichkeitsbe-trachtungen weitgehend unabhängige, auf den Erkenntnisstand "der führenden

40 PrOVG, Bd. 77 (1922), S. 333ff. (338). 41 Drews et al., Gefahrenabwehr, 1986, S. 223, ausführlich zum Schadensbegriff: Hansen-

Dix, Gefahr, 1982, S. 23ff.; Denninger, Polizeiaufgaben, 1992, Kap. E, Rn. 29ff. 42 Ausführlich zur Rezeption des polizeirechtlichen Gefahrenbegriffs im Atomrecht: Stein-

berg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 14ff. 43 Breuer, NuR 1994, S. 159, verweist ausdrücklich auf das Vorbild der Kerntechnik. 44 Vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 4 GenTG, 16 Abs. 1 Nr. 2 GenTG, aber auch schon § 7 Abs. 2 Nr. 3

AtG. 45 Eberbach, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, § 7 GenTSV, Rn. 52. 46 Je nach dem, ob man die risikosteuernden Tatbestände (etwa § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) als

'eingliedrige' oder 'zweigliedrige' Vorsorgetatbestände ansieht, geht es auch um die Grenz-bestimmung von Gefahrenabwehr - Vorsorge - Restrisiko. Zu diesen Differenzierungen vgl. ausführlich: Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 19ff.

47 Roßnagel, UPR 1986, S. 46.

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Naturwissenschaftler und Techniker" gegründetes Schadensausschlußpostulat zu treffen, jenseits dessen eine rechtlich beachtliche Gefahr nicht mehr besteht.48

4.2.3.2. Risikovorsorge Neben diesem auch im Gentechnikrecht rezipierten Gefahrenbegriff tritt im tech-nischen Sicherheitsrecht die Risikovorsorge als eigenständige Kategorie in Er-scheinung. Im Gentechnikgesetz ist erstmals der Begriff des Risikos gesetzlich verankert worden, ohne daß allerdings eine Begriffsbestimmung erfolgt.49 Nach § 6 Abs. 1 S. 2 hat der Betreiber einer Anlage, einer Freisetzung oder derjenige, der transgene Organismen in Verkehr bringt, "die damit verbundenen Risiken vorher umfassend zu bewerten." Auch die Sicherheitseinstufung nach § 7 GenTG erfolgt nach Risikoklassen.

Nachdem anfangs über die rechtliche Bedeutung des Begriffs Unsicherheit be-stand, hat sich heute wohl die Auffassung durchgesetzt, daß ein Risiko weniger ein qualitatives als vielmehr ein quantitatives aliud zur Gefahr darstellt: Ein Risi-ko besteht unterhalb der 'Schwelle' der Gefahr und beschreibt die bloße Möglich-keit des Schadenseintritts. Ein Risiko ist also zum einen dann anzunehmen, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden so gering ist, daß dieses Risiko als unterhalb der Gefahrenschwelle liegend bewertet wird.50 Es handelt sich somit um erkannte Risiken und korrespondiert mit dem Bereich, den wir aus so-ziologischer Perspektive als 'erfahrungsbasierte Vorsorge' bezeichnet haben.

Mit dieser Begriffsbestimmung wird die Problematik jedoch nicht vollständig erfaßt. Ein Risiko besteht auch dann, wenn aufgrund fehlenden Erfahrungswis-sens eine Wahrscheinlichkeitsprognose nicht getroffen werden kann, gleichwohl aber ein "Besorgnispotential"51 besteht. Der rechtliche Umgang mit diesen Be-sorgnispotentialen und die Rationalisierung der ohne ausreichende Progno-segrundlage zu treffenden Entscheidung ist das heute vor allem zu bewältigende Problem. Risikovorsorge erfordert somit vor allem die Bewältigung der Unge-wißheit bei der Risikoprognose. Damit ist typischerweise das Risiko der Fehl-einschätzung des Risikos verbunden.52

48 Breuer, DVBl. 1978, S. 836f. Ähnlich, wenngleich zur Bestimmung der 'Restrisikogrenze',

das Bundesverfassungsgericht in der Kalkar-Entscheidung, BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (137, 143), hierzu auch Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 20f.

49 Kritisch: Scherzberg, VerwArch 1993, S. 498. 50 Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 2 Rn. 17; Kritisch aber Bechmann, KritV 1991, S. 214f.

Vgl. zur Überschneidung mit dem Begriff des Gefahrenverdachts auch Di Fabio: Risiko-entscheidungen, 1994, S. 106.

51 BVerwG, Bd. 72 (1986), S. 300ff. (315); vgl. hierzu: Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 27ff.

52 Scherzberg, VerwArch 1993, S. 498 m.w.N.

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Das Recht knüpft nach verbreiteter Auffassung an das Vorliegen einer Gefahr oder eines Risikos unterschiedliche Rechtsfolgen. Während Gefahren, jedenfalls im technischen Sicherheitsrecht, bei drohenden erheblichen Schäden (Leben und Gesundheit) 'kategorisch' ausgeschlossen werden müssen, soll die Risikovorsorge nur nach Maßgabe von Verhältnismäßigkeitserwägungen erfolgen.53 Jenseits der Grenze 'praktischer Vernunft' und der "Grenzen des menschlichen Erkenntnisver-mögens"54 beginnt der Bereich des sogenannten 'Restrisikos', welches hinzuneh-men ist und gegen das keine Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden müssen.55

Ob das Gentechnikgesetz die Abschichtung zwischen Gefahrenabwehr und Ri-sikovorsorge mit jeweils unterschiedlichen Rechtsfolgen ebenfalls aufgegriffen hat, erscheint aber durchaus zweifelhaft. Zu Recht weisen Wahl/Appel darauf hin, daß die in § 6 Abs. 2 GenTG enthaltene und an das herkömmliche Modell an-knüpfende terminologische Unterscheidung von Gefahrenabwehr und Risikovor-sorge vom Gesetz in den übrigen Vorschriften nicht mehr aufgegriffen wird.56 Insbesondere die Einstufung der verschiedenen Risikoklassen in § 7 Abs. 1 GenTG läßt eine derartige Differenzierung nicht erkennen, die auch praktisch auf erhebliche Probleme stoßen würde angesichts des fließend ineinander übergehen-den Risikopotentials. Wo Gefahren enden und Risiken bzw. Restrisiken begin-nen, dürfte nämlich in der Gentechnik noch erheblich schwerer auszumachen sein als in anderen technischen Bereichen. Dies spricht dafür, die gentechnische Risi-kovorsorge als einheitliche Vorsorge zu begreifen, die insbesondere auch umfas-senden Drittschutz vermittelt.

Die gentechnische Risikovorsorge nimmt somit nicht nur bereits erkannte Risi-ken in Bezug, sondern verlagert den Vorsorgebereich ein erhebliches Stück ins Ungewisse hinein. Damit ist der Bereich, den wir als 'ungewißheitsbasierte Vor-sorge' bezeichnet haben,57 auch aus der rechtlichen Perspektive beachtlich. Dies gilt im übrigen auch dann, wenn man eine einheitliche Betrachtungsweise des Vorsorgetatbestandes ablehnt und zwischen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge differenzieren wollte.

Die rechtlichen Folgen des Vorsorgegebots wurden aus der atomrechtlichen Judikatur entwickelt und auf das Gentechnikrecht übertragen:

"Vorsorgemaßnahmen müssen auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht zie-hen, die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wis-

53 Breuer, DVBl. 1978, S. 836f.; Marburger, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, 1983, S. 63.

Kritisch zu dieser Konzeption für die atomrechtliche Risikovorsorge: Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 57ff.

54 Zur Widersprüchlichkeit der Abgrenzungsformel vgl. Roßnagel, NVwZ 1984, S. 141. 55 Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 25ff. 56 Wahl/Appel, Prävention, 1995, S. 104ff. 57 Vgl. zur Erläuterung dieser Terminologie oben, Kap. 1.

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sensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können und daher ein 'Besorgnispotential' oder ein Gefahrenverdacht besteht ... ."58

Die Übertragung der atomrechtlichen Judikatur mit ihrer Emanzipation der atom-rechtlichen Schadensvorsorge vom polizeirechtlichen Gefahrenbegriff und der damit verbundenen Sensibilisierung für bloß 'hypothetische' Risiken bedeutet, daß auch der Betreiber gentechnischer Anlagen gegen unterhalb der Gefahrenschwelle angesiedelte Risiken Vorsorge zu treffen hat.59 Die Vorsorgepflicht ist somit auch ein spezifisches Instrument des Rechts, um dem Ungewissen in Wissenschaft und Technik Rechnung zu tragen.60

Damit ist die Risikovorsorgepflicht eine rechtliche Reaktion auf die Tatsache, daß Kenntnisse über schädliche Wirkungen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit nicht ausreichend vorhanden sind.61 Die Risikoprognose muß freilich wissen-schaftlich substantiiert sein, bloße Spekulationen genügen nicht. Dies bedeutet im Ergebnis, daß Vorsorgemaßnahmen auch dann schon geboten sein können, wenn eine quantifizierbare Wahrscheinlichkeitsaussage über den Schadenseintritt nicht möglich ist oder wenn Kausalverläufe nicht ausreichend bestimmbar sind. Das Gentechnikgesetz verlangt somit von seiner Zielrichtung her auch Vorsorge gegen 'hypothetische' Risiken.62

Einzuräumen ist allerdings, daß die praktische Umsetzung dieses im Gen-technikgesetz verankerten Prinzips ungewißheitsbasierter Vorsorge erhebliche Schwierigkeiten bereitet.63

4.2.3.3. Restrisiko Auch bei einer weitgefaßten Risikovorsorgepflicht, die sich der Begrenztheit ihres jeweiligen Erkenntnisstandes bewußt ist, ist es letztlich notwendig, über das Tun oder Unterlassen einer risikobehafteten Tätigkeit eine Entscheidung zu tref-fen. Der nach Vornahme aller Vorsorgemaßnahmen verbleibende Risikobereich

58 VG Hamburg, Beschl. vom 30.7.1994 - 10 VG 1152/94 - ZUR 1994, S. 322ff. Diese Vor-

sorge vermittelt, wie im Atomrecht, auch Drittschutz, so bereits VG Neustadt, Beschl. vom 16.12.1991 - 7 L 1319/91 - NVwZ 1992, S. 1008 (insb. 1011); VG Gießen, Beschl. vom 2.9.1992 - I/1 H 193/91 - NVwZ-RR 1993, S. 534 (537 l. Sp.); Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 13 Rn. 76.

59 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rn. 16. 60 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rn. 16 unter Hinweis auf Nicklisch, NJW 1986,

S. 2290; Graf Vitzthum/Steinacher-Geddert, Standortgefährdung, 1992, S. 81. 61 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rn. 17. 62 Hypothetische Risiken umfassen hypothetische Kausalverläufe, für deren Möglichkeit es

(noch) keinen empirischen Beweis gibt; Murswiek, Bewältigung, 1990, S. 213; Wahl/Masing, JZ 1990, S. 560.

63 Vgl. unten, Kap. 7.6.2.

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wird gemeinhin als 'Restrisiko' bezeichnet.64 Dieser Bereich ist, wie gezeigt, nicht mit den 'hypothetischen' Risiken identisch.65 Die Aufgabe des Rechts ist es folg-lich, Entscheidungsstrukturen zur Verfügung zu stellen, um angesichts defizitärer Kenntnisse das hinnehmbare vom nicht hinnehmbaren Risiko abzugrenzen.

Auf diese Problemlage gibt das geltende Recht jedoch nur eine ungenügende Antwort. Das grundlegende Sicherheitsproblem der Gentechnik besteht weniger in der zuverlässigen Eindämmung und Kontrolle bekannter Gefahren, als in der Bewertung der Erfahrungsbasis66 und der sich daran anschließenden Entschei-dung über die Zulassung oder Nicht-Zulassung eines bestimmten Vorhabens vor dem Hintergrund vorhandenen, aber eben beschränkten Wissens. Daher bedarf es solcher Vorsorgeinstrumente, die weniger entscheidungsfixiert sind als vielmehr dem prozeßhaften Charakter der Wissensentwicklung Rechnung tragen. Deshalb rückt die Frage nach solchen Instrumenten in den Vordergrund, die Anreize zur Wissenserzeugung schaffen. Die Steuerungsziele der Risikoerforschung und Risi-kokommunikation gewinnen damit gegenüber den Zielen der Risikoermittlung und Risikobewertung eine eigenständige Bedeutung.67 Es stellt sich darüber hin-aus die Frage, ob die 'Sozialädaquanz' des Restrisikos einfach vorausgesetzt wer-den kann, oder ob sie durch möglichst breite demokratische Zustimmung der potentiell Betroffenen erst herzustellen ist.

4.3. Rechtliche Steuerung als Risikomanagement

Soweit es im Bereich gentechnischer Forschung an dem erforderlichen (Erfah-rungs-)Wissen fehlt, um Wahrscheinlichkeit und Schadenseintritt bestimmen und dementsprechende Vorsorgemaßnahmen anordnen zu können, steht zunächst einmal die Frage nach der Generierung des erforderlichen Wissens im Vor-dergrund. Bei erkannten Risiken liegt das Steuerungsziel in der Minimierung des

64 BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (137, 141, 143); BVerfG, Bd. 53 (1980), S. 30ff. (59). 65 Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 84, differenzieren da-

nach, ob die Ungewißheit auf fehlende Erkenntnismöglichkeiten oder auf mangelnde Er-fahrung zurückzuführen ist. Im letzteren Fall soll sie dem Vorsorgebereich zuzuordnen sein. Diese Differenzierung dürfte allerdings mehr Fragen aufwerfen, als sie zu beant-worten im Stande ist.

66 Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 86. 67 Dazu unten, Kap. 4.3.4.

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Risikos. Beide Aspekte lassen sich am besten mit dem allgemeinen Steue-rungsziel eines effizienten Risikomanagements umschreiben:68

"Verfahren des Risikomanagements haben den experimentellen Charakter des Um-gangs mit gefahrengeneigten Technologien zu verarbeiten und die Lernfähigkeit des im Einzelfall zur Entscheidung berufenen Organs sicherzustellen".69

Dieses Ziel läßt sich nach einzelnen Funktionen, die erfüllt werden müssen, näher differenzieren. Diese Unterziele lassen sich allerdings nicht trennscharf voneinan-der unterscheiden, vielmehr sind die Übergänge fließend. Gleichwohl ist eine Differenzierung sinnvoll, um die vielschichtigen Facetten der Risikosteuerung zu erfassen und auf ihre Tauglichkeit überprüfen zu können.

Die Steuerungsziele präjudizieren noch nicht die Mittel, mit denen sie zu errei-chen sind. Ob das staatliche Ordnungsrecht, ökonomische oder selbstregulative Instrumente zur Zielerfüllung besser geeignet sind und welche Instrumente das geltende Recht insoweit bereits vorsieht, ist Gegenstand des 5. und 6. Kapitels.

4.3.1. Risikoermittlung

Risikosteuerung setzt zunächst voraus, daß das Risiko bekannt ist, dessen Be-herrschung erreicht werden soll. Die Risikoermittlung im hier verstandenen Sinn ist ein Steuerungsziel im Bereich erkannter oder treffender: erkennbarer Risiken. Um ein Risiko ermitteln zu können, bedarf es ausreichenden Wissens und geeig-neter Methoden. Inhalt der Risikoermittlung ist die Erhebung aller relevanten be-kannten Informationen und Sachverhalte, die den Anwender (Forscher) oder Ent-scheidungsträger (beispielsweise die Behörde) in die Lage versetzen, eine rational begründbare Entscheidung zu treffen.70

Im Bereich der Kernenergie haben sich - unterhalb des gesetzlichen Normenge-flechts - bestimmte Risikoermittlungs- und -bewertungsmethoden herausgebildet, die dort als 'Sicherheitsphilosophien' bezeichnet werden. Im folgenden wird diese überhöhende Begrifflichkeit jedoch nicht übernommen, sondern, sachlich zutref-fender, von Risikoermittlungsmethoden gesprochen, wobei die Grenze zur Be-wertung fließend ist, da wertende Elemente in jeden Versuch der Risikoermitt-lung eingehen.

68 Vgl. zum Risikomanagement auch Scherzberg, VerwArch 1993, S. 499; Ladeur, NuR

1987, S. 61f.; Di Fabio, Risikoentscheidungen, 1994, S. 115ff.; Trute, Vorsorgestruktu-ren, 1989, S. 52ff.

69 Scherzberg, VerwArch 1993, S. 503. 70 Begrifflich wird auch von Risikoerhebung gesprochen; vgl. Scherzberg, VerwArch 1993,

S. 499.

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Während im Bereich der Kernenergie die 'Sicherheitsphilosophien' in einer rechtlichen Grauzone angesiedelt sind und erst durch die konkrete Genehmi-gungsentscheidung im Einzelfall verbindlich gemacht werden, ist im Gentech-nikrecht durch eine Vielzahl von Rechtsverordnungen, insbesondere die Gen-technik-Sicherheitsverordnung, aber auch durch die teilweise vorhandene Risiko-klassifizierung im Gesetz selbst, eine erheblich stärkere rechtliche Fundierung der Risikoermittlung und -bewertung erreicht. Die verbindliche rechtliche Veranke-rung der Sicherheitskonzepte erscheint geeignet, die Steuerungswirkung des Rechts zu erhöhen.

Vom Grundansatz her lassen sich zwei Risikoermittlungsmodelle unterschei-den.

4.3.1.1. Deterministische Risikoermittlung Die traditionelle Technikentwicklung folgt dem Prinzip von 'Trial-and-error', wonach sich das Wissen zur Verhütung zukünftiger Unfälle aus den vorange-gangenen Erfahrungen speist.71 Aus diesem Erfahrungswissen der mit der Ent-wicklung befaßten Ingenieure und Techniker ergibt sich wiederum die Kenntnis darüber, wie eine Anlage auszulegen sei, damit sie sicher funktioniert. Gegen die bekannten und im Laufe der Zeit neu erkannten Gefahren werden Vor-sorgemaßnahmen definiert, die in umfangreichen Regelwerken niedergelegt und für die Genehmigung neuer Anlagen verbindlich gemacht werden. Dieses Prinzip versagt jedoch dort, wo es kaum Erfahrungswissen gibt, andererseits aber erheb-liche Risiken drohen. Das Lernen nach dem Trial-and-error-Prinzip ist dann ein riskantes Unterfangen, da Irrtümer irreversible Folgen nach sich ziehen können.

Im deterministischen Sicherheitskonzept der Techniksteuerung ist die Beherr-schung bestimmter Sicherheitspostulate das entscheidende Element.72 So müssen bestimmte 'Auslegungsstörfälle', deren Eintritt unterstellt wird, sicher beherrscht werden. Explizite Wahrscheinlichkeitsüberlegungen liegen dem deterministischen Modell der Techniksteuerung nicht zugrunde. Vielmehr führen die mit dem Sys-tem gewonnenen Erfahrungen sowie die intuitive Erfassung und der Umgang mit vermuteten Gefährdungen letztendlich zu einer für den Techniker 'plausiblen' oder 'unplausiblen' Gefährdungsmöglichkeit.73

71 Deterministische Risikosteuerung beruht typischerweise auf dem Lernen aus Erfahrung;

Birkhofer, Risikokonzept, 1983, S. 33; Roßnagel UPR 1986, S. 51f.; Ladeur, UPR 1986, S. 364ff.

72 So definiert etwa § 45 der Strahlenschutzverordnung für den 'bestimmungsgemäßen Be-trieb' einer Atomanlage ein 'Dosis-Grenzwert-Konzept', wonach die von der Anlage ausge-henden Immissionen die Dosis von 0,3 mSv nicht überschreiten dürfen. Für Störfälle wer-den bestimmte 'Auslegungsstörfälle' determiniert, die von der Anlage zu beherrschen sind.

73 Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 37 m.w.N.

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Die deterministische Betrachtungsweise läßt sich mit dem 'additiven Modell' der Risikobewertung in der Gentechnik vergleichen, dessen Grundannahme dar-auf beruht, daß das Risikopotential eines gentechnisch veränderten Organismus aus der Addition der Eigenschaften der jeweils verwendeten Komponenten be-steht.74 Die Annahmen diese Modells beruhen auf den bisher gewonnenen Erfah-rungen mit gentechnologischen Experimenten und dem Hinweis auf die bisherige 'Unfallfreiheit' beim Arbeiten mit rekombinanter DNA.

Die deterministische Risikovorsorge ist erstmals bei der Kerntechnik als nicht ausreichend erachtet worden. Es liegt auf der Hand, daß das Vertrauen auf bis-lang gemachte Erfahrungen nicht ausreicht, wenn maximale Schäden drohen. Gleichwohl ist auch die Entwicklung der Kerntechnik, und dies gilt auch für die Reaktorsicherheitsforschung im engeren Sinne, ganz wesentlich von einem Ler-nen aus Erfahrung geprägt.75 Aus diesen Erfahrungen gehen die Sicherheits-postulate hervor, die deterministisch festgelegt werden. Die Festlegung deter-ministischer Sicherheitsanforderungen, die immerhin auch vorausschauend An-forderungen an die Sicherheit technischer Systeme definiert, ist zwar gegenüber einem reinen Trial-and-error-Verfahren ein Fortschritt. Aber auch die Unter-stellung bestimmter Ereignisse verkürzt mögliche Risiken auf bestimmte Aus-legungsstörfälle und blendet andere Risikopfade aus. Deterministische Risi-kokonzepte bedürfen deshalb einer Ergänzung durch probabilistische Modelle. Diese Überlegungen gelten auch für das Gentechnikrecht.76

4.3.1.2. Probabilistische Sicherheitskonzepte Kennzeichnend für probabilistische Risikobetrachtungen sind sogenannte 'Risiko-studien', in denen Aussagen über das mögliche Schadensausmaß und die Eintritts-wahrscheinlichkeit getroffen werden.77 Im Gegensatz zu einem deterministischen Konzept, in dem Wahrscheinlichkeitsaussagen nur implizit enthalten sind, werden nach dieser Methode durch 'Fehlerbaumanalysen' Wahrscheinlichkeiten explizit und quantitativ bestimmt.78

Auch für die Beurteilung gentechnischer Risiken scheinen probabilistische Ri-sikoabschätzungen grundsätzlich möglich zu sein und sollten deshalb so weit wie möglich angewandt werden.79 Dies gilt jedenfalls für den Betrieb gentechnischer

74 Vgl. Breuer, NuR 1994, S. 158. Zur Kritik an dem Modell vgl. Riedel et al., KJ 1989, S.

349ff. 75 Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 36. 76 Breuer, NuR 1994, S. 157ff. 77 Vgl. Rengeling, Probabilistische, 1986, S. 130ff. 78 Rengeling, Probabilistische, 1986, S. 97f. 79 So auch Breuer, NuR 1994, S. 165. Zur Entwicklung eines Modells einer biologischen

Risikoanalyse bei Freisetzungen herbizidresistenter Nutzpflanzen vgl. Sinemus, Risiko-

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Anlagen. Darüber hinaus wird derzeit im Umweltbundesamt an vergleichbaren Konzepten für die Bewertung von Freisetzungsvorhaben gearbeitet.80

Die Notwendigkeit einer (ergänzenden) probabilistischen Risikoermittlung ist auch rechtlich begründbar:

"Vorsorge bedeutet des weiteren, daß bei der Beurteilung von Schadenswahrschein-lichkeiten nicht allein auf das vorhandene ingenieurmäßige Erfahrungswissen zu-rückgegriffen werden darf, sondern Schutzmaßnahmen auch anhand 'bloß theore-tischer' Überlegungen und Berechnungen in Betracht gezogen werden müssen, um Risiken aufgrund noch bestehender Unsicherheiten oder Wissenslücken hinreichend zuverlässig auszuschließen."81

Dieses Zitat aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Kern-kraftwerk Wyhl belegt, daß es auch rechtlich nicht mit der deterministischen Risikosteuerung sein Bewenden haben kann. Vielmehr sind auch "bloß theoreti-sche Überlegungen und Berechnungen" in Betracht zu ziehen. Das Bundesver-waltungsgericht hat damit zwar nicht die Ersetzung der deterministischen Risiko-steuerung durch eine probabilistische Betrachtungsweise verlangt. Welche Be-trachtungen im einzelnen anzustellen sind, ist im Rahmen von Genehmigungsent-scheidungen zunächst einmal von der Behörde festzulegen.82 Gleichwohl dürfte damit in der Regel eine ergänzende probabilistische Betrachtungsweise des Risi-kos gefordert sein.83 Dies gilt um so mehr, wenn aufgrund unzureichenden Erfah-rungswissens eine deterministische Risikobewertung praktisch ausscheidet.

Probabilistische Risikostudien sind primär Teil der Risikoermittlung. Sie liefern selbst keine Entscheidungsmaßstäbe über die Hinnahme von Risiken84, sondern dienen der Rationalisierung des Entscheidungsprozesses, indem sie das Risiko konkretisieren und quantifizieren und damit Erkenntnisse über Tatsachen vermit-teln. Als Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses ist die Probabilistik damit eine Domäne der Naturwissenschaftler. Demgegenüber ist die sich an-schließende Risikobewertung primär Aufgabe der staatlich gebundenen Stellen,

analysen, 1995, insb. S. 98ff. Dort findet zwar keine Quantifizierung des Risikos statt, aber es werden nachvollziehbare Parameter für eine qualitative Risikoabschätzung entwickelt.

80 Umweltbundesamt (1995): Konzept zur Risikoabschätzung von Freisetzungen gentech-nisch veränderter Organismen, Berlin 1995, unveröffentlichtes Manuskript.

81 BVerwG, Bd. 72 (1986), S. 300ff. (315). 82 BVerwG, NVwZ 1989, S. 1169. 83 Ausführlich: Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 40ff. 84 Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 45f. So auch nachdrücklich Breuer, NuR

1994, S. 160. Die Ergebnisse probabilistischer Untersuchungen, etwa daß ein bestimmtes Schadensereignis mit der Eintrittswahrscheinlichkeit von 10-6 eintritt, sagt auch nichts dar-über aus, ob damit die Genehmigungsvoraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind. Insoweit bleibt es bei einer Entscheidung anhand normativer Maßstäbe, die "juristische Verle-genheit" auslöst; Breuer, ebd. S. 165.

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wenngleich der wissenschaftliche Sachverstand hierbei eine wichtige Rolle spielt und kooperativ eingebunden werden kann.

Schwierigkeiten der Übertragung einer 'probabilistischen Risikoermittlung' auf die Gentechnik ergeben sich aber insofern, als nur beim Umgang im Geschlosse-nen System der Ausfall von Sicherungskomponenten relevant ist. Bei der Freiset-zung und insbesondere beim Inverkehrbringen kommt es auf das Verhalten und die Interaktion lebender Organismen in vielen verschiedenen 'Umwelten' an. An-ders als bei technischen Systemen ist hier die Vielzahl der intervenierenden Vari-ablen kaum zu übersehen. Dies gilt erst recht im Hinblick auf längerfristige Wechselwirkungen. Daher zeichnen sich in der Praxis auch deutliche Grenzen einer wissenschaftlichen Risikoermittlung ab.85

4.3.2. Risikobewertung

Die Bewertung eines Risikos ist ein komplexer Vorgang, der sich durch einfache Formeln kaum zureichend erfassen läßt. Der rechtlichen Steuerung dieses Prozes-ses sind Grenzen gesetzt, die das OVG Münster in einer vom Bundes-verwaltungsgericht gebilligten atomrechtlichen Entscheidung einmal mit den Worten beschrieben hat, es handele sich dabei "letztlich (um) eine Wertungsfrage in politischer Verantwortung", die "sich nicht allein in Anwendung rechtlicher Maßstäbe beantworten" lasse.86 Die 'Je-desto-Formel' oder der 'Maßstab der praktischen Vernunft' können dabei als entscheidungsbegründende Hilfen dienen; sie können aber kaum über den begrenzten Maßstab hinwegtäuschen, den das Recht insoweit nur zu bieten vermag. Bei der Risikobewertung gibt es nur selten eine eindeutig 'richtige' oder 'falsche' Entscheidung. Es kommt deshalb darauf an, die Risikobewertung - ebenso wie die Risikoermittlung - als offenen Prozeß zu gestalten, dessen Bewertungsfaktoren transparent gemacht und nachvollziehbar dargelegt werden.

Soweit es um erkennbare Risiken geht, sind als Bewertungsfaktoren zunächst die möglichen Schäden sowie die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts zu nennen. Dabei sind jedoch nicht nur naturwissenschaftlich-technische Bewertungen anzu-stellen, wie etwa die Ausfallwahrscheinlichkeit von Sicherheitskomponenten, sondern auch 'soziale Versagenswahrscheinlichkeiten' wie menschliches Fehlver-halten zu berücksichtigen.87 Darüber hinaus sind im Hinblick auf fehlendes Er-fahrungswissen und die damit verbundenen Prognoseunsicherheiten oder -

85 Vgl. unten, Kap. 8.4. und 8.8. 86 BVerwG, Beschl. vom 5.4.1989 - KKW Würgassen, NVwZ 1989, S. 1170 (1171). 87 Scherzberg, VerwArch 1993, S. 501; Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 39,

94f.

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unmöglichkeiten weitere Bewertungskriterien notwendig. Hierzu zählt das Krite-rium der Reversibilität der aufgrund der Bewertung getroffenen Entscheidung sowie eine vergleichende Risikobewertung, die den Folgen des Tuns die Folgen des Unterlassens der jeweiligen risikobehafteten Maßnahme gegenüberstellt.

4.3.2.1. Bewertung möglicher Schäden Welche Auswirkungen einer Technik und welche Folgen von Forschung über-haupt als Schaden zu bewerten sind, ist zunächst eine Frage der gesellschaftlichen Vereinbarung und Akzeptanz. Entsprechend werden geschützte Rechtsgüter defi-niert, die nicht ein für allemal festliegen. Während Personen und Eigentum seit jeher zu den von der Rechtsordnung geschützten Gütern zählen, ist die Umwelt und ihre Bestandteile erst in jüngerer Zeit als schutzfähig anerkannt worden. Da-bei ist das Recht keineswegs konsistent: Während die präventiven Bestimmungen des Umweltverwaltungsrechts den Schutz der Naturgüter seit längerem ausdrück-lich in ihre Zielkataloge aufgenommen haben, ist im Haftungsrecht der reine 'Ö-ko-Schaden' nach wie vor nicht ersatzfähig.88

Die Risikobewertung setzt voraus, daß Gewicht, Anzahl und Ausmaß der je-weils betroffenen Rechtsgüter in den Bewertungsprozeß Eingang finden. Soweit Leben und Gesundheit von Personen betroffen sind, kommt dem Scha-densausmaß deshalb eine besondere Bedeutung bei der Risikobewertung zu. Aber auch der Verlust ganzer Arten ist anders zu gewichten als die Gefährdung eines einzelnen Biotops.

4.3.2.2. Bewertung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts In den Fällen, in denen eine ausreichende Prognosebasis vorhanden ist, kann für die Risikobewertung auf eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit, mit der der Eintritt des Schadens zu erwarten ist, nicht verzichtet werden. Nur wenn man diese Wahrscheinlichkeit kennt, kann man eine Aussage über die Größe des Risi-kos treffen.

4.3.2.3. Folgenreversibilität Die Reversibilität einer technischen Entwicklung wird häufig als wichtiges Krite-rium für die Risikobewertung genannt.89 Sie kann durch die Initiierung einzelner 'prototypischer Vorhaben' nach Maßgabe des jeweiligen Erkenntniswissens gesi-chert werden.90

88 Vgl. unten, Kap. 6.2.6. 89 Vgl. auch Breuer, NuR 1994, S. 161 m.w.N. 90 Wolf, Soziale Welt 1988, S. 186; Preuß, Risikovorsorge, S. 543.

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4.3.2.4. Vergleichende Risikobewertung Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind schließlich daraufhin zu überprüfen, ob sie offen für eine vergleichende Risikobewertung sind. Bei der Risikodiskussion ist auch darauf der Blick zu richten, daß die jeweilige Tätigkeit einen Nutzen haben kann, der im Verhältnis zu dem Risiko zu bewerten ist. Dies ist bei der Arzneimittelherstellung augenfällig. Kaum ein Arzneimittel ist ohne Risiken, seine Zulassung und Anwendung wird gleichwohl vorgenommen, soweit der Nutzen überwiegt. Gerade bei der anwendungsorientierten Forschung könnte der vergleichenden Risikobewertung besondere Bedeutung zukommen.91

Für die vergleichende Risikobewertung können probabilistische Analysen eine entscheidende Hilfe sein.92 Das gegenwärtige Gentechnikrecht mit seiner "impe-rativen Struktur"93 - insbesondere mit seinem Genehmigungsanspruch und der Form der gebundenen Entscheidung94 - ist hierfür jedoch nur unzureichend gerüs-tet.

4.3.2.5. Risikobewertung als offener Prozeß Begreift man die Risikobewertung als offenen Prozeß der Entscheidungsfindung, so eröffnet dies zugleich die Möglichkeit, den Akteuren an diesem Prozeß die Hauptverantwortung zuzuweisen. Die Aufgabe des Staates besteht dabei vor allem darin, geeignete Verfahren und Regeln zur Verfügung zu stellen, in denen dieser Prozeß stattfinden kann. Die Risikobewertung selbst fände in einem derart 'prozeduralisierten' Verfahren demgegenüber zwischen Nutzern und Betroffenen des Techniksystems statt.95 Die Übertragbarkeit dieses Ansatzes auf die spezifi-schen Besonderheiten gentechnischer Forschung bedarf dabei weiterer Untersu-chung.96

4.3.3. Risikoentscheidung

4.3.3.1. Behördliche Entscheidung (Genehmigung) Die (behördliche) Entscheidung über die Zulassung einer bestimmten Anlage, einer gentechnischen Arbeit, einer Freisetzung oder eines Inverkehrbringens er-

91 Zum gentechnischen Forschungsstand in der Medizin vgl. Winnacker, Politische Studien

1993, S. 7ff. Für eine derartige Abwägung unter Hinweis auf die Risiken der gentechni-schen Arzneimittelherstellung vgl. auch Kollek, Politische Studien 1993, S. 62.

92 Breuer, NuR 1994, S. 164. 93 Breuer, NuR 1994, S. 164f. 94 Vgl. aber auch § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG. 95 Vgl. auch Roßnagel, Ansätze, 1994, S. 440. 96 Unten, Kap. 5, Kap. 10.3.

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fordert notwendigerweise eine Entscheidung über das hinzunehmende Risiko unter den jeweils aktuellen Erkenntnisbedingungen. Die der gentechnischen For-schung eigenen Ungewißheitsbedingungen erfordern angepaßte Entschei-dungstrukturen. Es geht deshalb weniger um "Schluß- und Gesamtfeststellungen der technologischen oder ökologischen Unbedenklichkeit" als vielmehr um "Zwi-schen- und Teilfeststellungen".97

Das Gentechnikrecht hat derart angepaßte Entscheidungsstrukturen jedoch nur in rudimentärer Form aufgegriffen. Insbesondere das Step-by-step-Prinzip, wo-nach ein Schritt der nächsten Risikostufe erst nach Auswertung der in der niedri-geren Stufe gemachten Erfahrungen vorgenommen werden darf, ist weitgehend ohne rechtliche Kontur.98

4.3.3.2. Interne Entscheidung (Hierarchie) Risikoentscheidungen werden jedoch nicht nur auf der Seite der staatlichen Ver-waltung getroffen. Wichtige Entscheidungen fallen auf der Ebene der internen Willensbildung in der Forschungseinrichtung. Der Stellung eines For-schungsantrags, der Aufnahme einer forschenden Tätigkeit und der jeweils vorge-sehenen Sicherheitsmaßnahmen gehen - jedenfalls implizit - Risikoent-scheidungen voraus, die das mit der jeweiligen Tätigkeit verbundene Risiko als beherrschbar bewerten. Diesen internen Entscheidungen geht jedoch selten eine explizite Risikoermittlung und -bewertung voraus.99

4.3.4. Risikokommunikation

Ein wesentliches Element des Risikomanagements ist die Kommunikation unter und zwischen den beteiligten Akteuren. Der "Diskussion als wesentlichster Vor-aussetzung für das Erkennen von Gefahren"100 kommt besondere Bedeutung für den Prozeß der Risikosteuerung zu. Die Risikokommunikation101 setzt voraus, daß Wissen gesichert, bewahrt und ausgetauscht wird. Die Risikokommunikation ist zugleich unverzichtbare Voraussetzung für die Risikoforschung.102 Das gel-tende Recht kennt bereits weitgehende Aufzeichnungs- und Aufbewahrungs-pflichten, die den ersten beiden Zielen dienen. Der Wissensaustausch kann über

97 Breuer, NuR 1994, S. 161. 98 Dazu unten, Kap. 5.3.2. 99 Vgl. unten, Kap. 7.5. 100 Irrgang, Politische Studien, 1993, S. 81 unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Ausbil-

dung eines Standesethos und standesethischer Organisationsformen. 101 Vgl. auch Eberbach, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, vor § 14 GenTSV Rn. 10. 102 Siehe unten, Kap. 4.3.5.

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Fachtagungen, Publikationen, Kommissionen und öffentliche Erörterungen erfol-gen.

Unterscheiden lassen sich interne und externe Risikokommunikation. Institu-tionell liegt die Wissensgenerierung zunächst im Einzelfall in der Hand der jewei-ligen gentechnischen Forschungsträger. Hier ist vornehmlich der Informa-tionsaustausch zwischen dem Projektleiter, seinen Mitarbeitern, dem Beauf-tragten für Biologische Sicherheit und den jeweils im Unternehmen oder der Kör-perschaft nach außen hin verantwortlichen Personen (Vorstand des Unterneh-mens, Präsident der Universität) zu nennen.

Der Austausch zur Verbreiterung und Überprüfung der Wissensbasis muß je-doch institutionen- und disziplinenübergreifend organisiert werden. Soweit der Kommunikationsprozeß im Rahmen der Forschungsgemeinde im weiteren Sinne bleibt, soll im folgenden von interner Risikokommunikation gesprochen werden. Hierzu gehört auch noch der interdisziplinäre Diskurs.

Demgegenüber erfaßt die externe Risikokommunikation sowohl die durch Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten geprägte Kommunikation mit der Genehmigungs- oder Überwachungsbehörde als auch die Diskussion mit der Öffentlichkeit.103 Wissen über Risiken darf nämlich weder von der Forschung monopolisiert werden noch bürokratisches Herrschaftswissen bleiben. Aus die-sem Grund darf sich die Risikokommunikation nicht auf die Vertreter der For-schung und der staatlichen Aufsicht beschränken, sondern muß andere Forscher-gruppen ebenso einbeziehen wie die Träger drittbetroffener Rechtsgüter und die Öffentlichkeit.104 Auf diese Weise sind die Wertungsentscheidungen, welches Restrisiko letztlich hinzunehmen ist und welche Vorsorgemaßnahmen als unver-hältnismäßig anzusehen sind, transparent zu gestalten.

Die Risikobewertung und die getroffene Entscheidung ist deshalb auch gegen-über betroffenen Dritten und einer interessierten Öffentlichkeit begründungs- und erörterungspflichtig. Folgt dies gegenüber jenen auch aus der ver-fahrensrechtlichen Dimension der staatlichen Schutzpflicht, so ergibt sich die Notwendigkeit gegenüber dieser als politische Bringschuld einer auf Akzeptanz angewiesenen risikobehafteten Forschung.

4.3.5. Risikoforschung

Das Wissen über gentechnische Risiken ist begrenzt, entwickelt sich aber auch dynamisch. Seine Generierung kann daher nicht dem Zufall überlassen bleiben,

103 Vgl. hierzu auch unten, Kap. 5.10. 104 Begriffsgeschichtlich beschränkte sich "Risikokommunikation" auf die gesellschaftliche

Rezeption technischer Risiken; vgl. Krüger/Ruß-Mohl, Risikokommunikation, 1991.

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sondern sollte systematisch betrieben werden.105 Das Gebot einer den jeweiligen Erkenntnisstand befördernden Risikoforschung findet seine rechtliche Entspre-chung in dem vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Gebot dynamischen Grundrechtsschutzes.106

Dem Problem fehlenden Wissens kann nur durch 'planmäßig-methodische Su-che nach Erkenntnissen', eben durch Forschung abgeholfen werden. Die Erzeu-gung neuen Wissens, sei es durch Begleitforschung oder durch eine eigenständige Risikoforschung, ist somit zentraler Bestandteil des Risikomanagements. Anders als bei der oben beschriebenen Risikoermittlung ist das Ziel der Risikoforschung nicht die Bestandsaufnahme vorhandener Erkenntnisse, sondern die Suche nach neuen Erkenntnissen über Risiken.

Das geltende Gentechnikrecht enthält - anders als das Arzneimittelrecht107 - keine Verpflichtung der Betreiber für eine kontinuierliche Sicherheitsfor-schung.108

4.3.6. Risikokontrolle

Da das Erfahrungswissen über Risiken nicht statisch ist, kann sich auch die Risi-kobeurteilung ständig ändern. Das Recht muß auf diesen dynamischen Ent-wicklungsprozeß eine angemessene Antwort geben. Mit einer einmal vorge-nommenen Risikobewertung kann es deshalb nicht sein Bewenden haben. Viel-mehr ist die einmal getroffene Entscheidung ständig auf ihre weiterhin bestehende Gültigkeit angesichts voranschreitender Erkenntnisse zu überprüfen und gegebe-nenfalls anzupassen. Auch insofern erweist sich die Reversibilität der Entschei-dung109 als unverzichtbarer Bestandteil eines sachgerechten Risikomanagements.

Das Recht muß deshalb flexibel und innovationsoffen sein.110 Auch wenn das Gentechnikgesetz bereits Ansätze eines Konzepts erkennen läßt, welches recht-liche Regelung und Kontrolle als "prozeßhaften Vorgang in der Zeit"111 begreift, so liegt doch gerade in diesem Bereich eine noch stärker zu entwickelnde Aufga-be des Rechts.

105 Murswiek, Bewältigung, 1990, S. 215; Wahl/Appel, Prävention, 1995, S. 41ff. 106 BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (137) Kalkar; Roßnagel, NVwZ 1984, S. 137ff. 107 Murswiek, Bewältigung, 1990, S. 217f. 108 Kritisch Murswiek, VVDStRL 1990, S. 218; Groth, KJ 1988, S. 261; Richter, Gentech-

nologie, 1989, S. 257f., 286f. Zu den rechtspolitischen Konsequenzen vgl. unten, Kap. 10.

109 Siehe oben, Kap. 4.3.2.5. 110 Vgl. hierzu auch Wahl/Appel, Prävention, 1995, S. 31f. 111 Wahl, GenTG, § 6 Rn. 75.

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4.3.7. Risikoverantwortung

Der Umgang mit Risiken wirft die Frage auf, wer bei einer Verwirklichung des Risikos die Verantwortung für die Folgen zu tragen hat. Diese Verantwortung muß durch eine sachgerechte Risikoverteilung zwischen Forschern, Staat und Dritten zugewiesen werden. Diese Zuweisung ist in erster Linie Aufgabe des Haftungsrechts, daß durch eine entsprechende Ausgestaltung - insbesondere im Bereich der Beweislastregeln - eine angemessene Zuweisung von Verantwortung gewährleisten muß und darüber hinaus durch eine präventive Ausrichtung zur Verwirklichung der übrigen Steuerungsziele, insbesondere der Risikoerforschung und Risikokommunikation, beitragen kann.112 In diesem Zusammenhang spielen ebenso Fragen der Versicherung der Risiken eine Rolle. Schließlich ist im Be-reich gesellschaftlich nicht erwünschter und deshalb von der Rechtsordnung un-tersagter Risikotätigkeiten die Sicherstellung der Verantwortung mit den Mitteln des Strafrechts zu gewährleisten.

4.4. Verfassungsrechtlicher Rahmen ungewißheitsbasierter Risikovorsorge

Die Forschungsfreiheit und der staatliche Schutz vor Risiken stehen in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis. Diese im Technik- und Umweltrecht auch als "Dreiecksverhältnis" bezeichnete Situation beinhaltet das grundrechtlich geprägte Verhältnis zwischen dem Betreiber bzw. Verursacher einer gefährlichen Tätigkeit, dem zum Schutz von Rechtsgütern verpflichteten Staat und den verfas-sungsrechtlich geschützten Rechtsgütern, inbesondere den von Auswirkungen be-troffenen Dritten.113 Im folgenden wird der Begriff des Risikodreiecks verwendet, um den Gesichtspunkt einer nicht schon gefährlichen, sondern lediglich riskanten oder in ihren Folgen ungewissen Tätigkeit herauszuheben.114

Ob und inwieweit die möglichen und hypothetischen Risiken gentechnischer Forschung auch im Bereich ungewißheitsbasierter Vorsorge eine auf Generierung von Erfahrungswissen und auf Risikominimierung gerichtete Steuerung zulassen, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

112 Hierzu unten, Kap. 6. 113 Aus der Literatur zum Dreiecksverhältnis bzw. den Schutzpflichten im Umwelt- und

Technikrecht vgl. beispielsweise Wahl, Anwendungskontrolle, 1991, S. 25ff.; Wahl/Ma-sing, JZ 1990, S. 553ff.; Hermes, Grundrecht, 1987; Trute, Vorsorgestrukturen, 1989, S. 217ff. Allgemein zur Schutzpflichtenproblematik: Böckenförde, Der Staat 1990, S. 1ff.; Dreier, Dimensionen, 1993; Isensee, Grundrecht, 1992, § 111 Rn. 25ff.; Klein, DVBl. 1994, S. 489ff.

114 Siehe zum Risikobegriff oben, Kap. 4.2.3.2.

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4.4.1. Reichweite der Forschungsfreiheit

In welchem Umfang gentechnische Forschung auch verfassungsrechtlich als For-schung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG und damit vorbehaltlos geschützt ist, wird unterschiedlich bewertet. Art. 5 Abs. 3 GG ist ein vorbehaltlos gewährtes Grund-recht. Dies bedeutet, daß der Verfassungstext selbst keine Einschränkungen des Grundrechts vorsieht. Gleichwohl kann auch die Forschungsfreiheit beschränkt werden. Für die Rechtfertigung von Eingriffen in vorbehaltlose Grundrechte gel-ten aber nach der Lehre von den verfassungsimmanenten Schranken höhere An-forderungen als für die mit einem einfachen Gesetzesvorbehalt versehenen Grundrechte, wie etwa die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 GG.115

Der Schutzbereich der Forschungsfreiheit wird weit gefaßt. In der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts ist wissenschaftliche Forschung "die geistige Tätigkeit mit dem Ziel, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen".116 Zum Gegenstandsbereich der For-schungsfreiheit gehören die Themen- und Fragestellung, die forschungsnotwen-digen Vorarbeiten, die praktische Durchführung beispielsweise eines Experi-ments, die Bewertung der Ergebnisse, ihre schriftliche oder sonstige Niederle-gung und ihre Veröffentlichung und Diskussion.117 Demnach ist es jedenfalls für den Grundrechtsschutz einer Forschungstätigkeit unerheblich, ob sie in einem großen oder kleinen Maßstab durchgeführt wird.118 Jedoch kann die Beschrän-kung eines gentechnischen Forschungsvorhabens auch durch die Dimensionierung gentechnischer Arbeiten gerechtfertigt sein, wenn damit eine Risikosteigerung für die Rechtsgüter Dritter verbunden ist.

Umstritten ist nun, ob Forschung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG 1. Zweckforschung im Sinne einer Entwicklung von Anwendungen umfaßt, 2. die nicht auf Veröffentlichung angelegte Forschung beinhaltet und 3. die grundgesetzlich garantierte Forschungsfreiheit die Inanspruchnahme von

Rechtsgütern Dritter schützt.

115 Zur Einschränkung von Art. 5 Abs. 3 GG BVerfG, Bd. 30 (1971), S. 173ff. (193); Pie-roth/Schlink, Grundrechte, 1994, Rn. 690; Lorenz, Wissenschaft, 1993, S. 268.

116 BVerfG, Bd. 35 (1974), S. 79ff. (113). Vgl. auch BVerwG, NVwZ 1987, S. 681 (682): "selbständige Erarbeitung objektiv neuer Erkenntnisse".

117 Nach Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 257. BVerfG, Bd. 35 (1974), S. 79ff. (113): Methodik, Bewertung und Verbreitung.

118 Diese Kontroverse spielte bei der Auslegung der EG-Richtlinien sowie des deutschen Gentechnikgesetzes eine Rolle. Der Begriff der "gentechnischen Arbeit zu Forschungs-zwecken" umfaßt nach der Legaldefinition in § 3 Nr. 5 auch Arbeiten für Lehr- und Ent-wicklungszwecke oder Arbeiten für nichtindustrielle bzw. gewerbliche Arbeiten im klei-nen Maßstab.

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4.4.1.1. Anwendungs- und Entwicklungsforschung Die Bedenken gegen einen verfassungsrechtlichen Schutz einer Anwendungs- und Entwicklungsforschung speisen sich aus der Vermutung, daß einer solchen For-schung die erforderliche Unabhängigkeit gegenüber Fremdinteressen fehlt. Unab-hängigkeit der Forschung ist jedoch Voraussetzung, damit Wissenschaft ihre (selbst-)kritische Funktion wahrnehmen kann.119 Jedoch würde eine vornehmlich an einem derartigen Wissenschaftsideal einer zweckfreien Grundlagenforschung orientierte Vorstellung120 den grundrechtlichen Schutzzweck wissenschaftlicher Forschung nur unzureichend erfassen. Suche nach Erkenntnis schließt die Verfol-gung von Anwendungs- und Entwicklungszwecken nicht aus, vielmehr kann sich eine solche Orientierung gerade aus der "Schlüsselfunktion" rechtfertigen, "die einer freien Wissenschaft sowohl für die Selbstverwirklichung des Einzelnen als auch für die gesellschaftliche Entwicklung zukommt".121 Von gesellschaftlichem Nutzen ist aber nicht nur eine anwendungsfreie Grundlagenforschung, sondern auch eine die technische Entwicklung und damit möglicherweise den gesellschaft-lichen Nutzen vorantreibende und sich an Anwendungszwecken orientierende wissenschaftliche Forschung. Schließlich ist fraglich, ob angesichts der erhebli-chen finanziellen Mittel, gerade in den Naturwissenschaften, eine lediglich zweckfreie Grundlagenforschung überhaupt denkbar ist. Auch wenn Grundlagen-forschung nicht auf konkrete Anwendungen hin orientiert ist, ist sie auf jeden Fall zielorientiert.

Von wissenschaftlicher Forschung kann allerdings keine Rede mehr sein, wenn die Suche nach Erkenntnis abgeschlossen ist, weil das (gentechnische) Herstel-lungsverfahren oder das Produkt bereits entwickelt ist. Suche nach Erkenntnis ist nicht identisch mit Sammeln von Erfahrungen. Dabei kann die Frage, ob ein ent-wickeltes Verfahren oder Produkt die in es gesetzten Erwartungen erfüllt, selbst wiederum Gegenstand einer Begleituntersuchung nach den Maßstäben wissen-schaftlicher Forschung sein. Jedoch ist die Anwendung eines bereits entwickelten Herstellungsverfahrens oder eine Produktion vorrangig zu gewerblichen Zwecken nicht mehr wissenschaftliche Forschung.

Demnach ist Zweckforschung aus dem Schutzbereich der Forschung prinzipiell nicht ausgeklammert.122 Wohl aber kann die Zweckabhängigkeit von Forschung

119 Blankenagel, Wissenschaft, 1986, S. 145f.; ebenso bereits Köttgen, Freiheit, 1954, S. 291

(301, 304, 306); zurückhaltend Winter, Grundprobleme, 1993, S. 71f. 120 Dazu Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 259ff. m.w.N. 121 Vgl. BVerfG, Bd. 35 (1974), S. 79ff. (114); BVerfG, Bd. 47 (1978), S. 327ff. (368). 122 Mit unterschiedlichen Begründungen im Ergebnis ebenso Graf Vitzthum/Geddert-

Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 69f.: "Gentechnische Grundlagenforschung und anwendungsbezogene Produktentwicklung erscheinen gelegentlich kaum weiter als einen Wimpernschlag voneinander entfernt"; Wahl, Anwendungskontrolle, 1991, S. 29: Defini-

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auf der Ebene der Rechtfertigung von Eingriffen eine Rolle spielen.123 Beeinflus-sen die Anwendungszwecke ein Forschungsvorhaben, so daß die Suche nach Erkenntnis fremdbestimmt ist, dann ist sie nicht in dem Maße schutzbedürftig wie ein eigenbestimmtes Vorhaben.

4.4.1.2. Veröffentlichungsbereitschaft Der zweite Kontroverspunkt betrifft die Frage, ob Forschung ohne Veröffentli-chungsabsicht, die sich und ihre Ergebnisse dem kritischen Diskurs der (Fach-) Öffentlichkeit entzieht, Forschung im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG sein kann. Für eine tatbestandliche Einschränkung der Forschungsfreiheit plädiert vor allem Dickert, der aus dem konditionalen Zusammenhang zwischen Forschung und Lehre ableitet, daß sich auf die Forschungsfreiheit im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG nur ein Forscher berufen kann,

"wenn er prinzipiell bereit und in der Lage ist, die Ergebnisse seiner Forschungs-arbeit der fachlichen und allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich zu machen." 124

Nach dieser Auffassung verliert ein Forscher, der sich "rechtlichen, vor allem vertraglichen Veröffentlichungsverboten, -beschränkungen oder -vorbehalten," unterwirft, seinen grundrechtlichen Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG.125 Der Zusam-menhang zwischen Forschungsfreiheit und Veröffentlichungsbereitschaft führt des weiteren zu einer kritischen Einschätzung gesetzlicher Regelungen, die die Veröf-fentlichungsbereitschaft oder -fähigkeit des Forschers hemmen.126

Dieser Auslegung wird im wesentlichen entgegengehalten, daß eine volle Pub-lizität mit Industrieforschung nicht vereinbar sei.127 Zwar stünde nach einer Pa-tentierung einer Veröffentlichung von Forschungsergebnissen nichts im Wege, aber Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung würden aus Gründen des wissen-schaftlichen und wirtschaftlichen Vorsprungs geheimgehalten.128

Zuzugestehen ist, daß die Veröffentlichungsbereitschaft einer gewissen Pro-gnoseunsicherheit unterliegt und schließlich auch ein zeitlicher Rahmen abge-

tion des Schutzbereichs soll sich auf formale Umschreibungen beziehen; Denninger, Al-ternativkommentar zum Grundgesetz, 1989, Art. 5 Abs. 3 Rn. 16: "Wissenschaftliche Er-gebnisse als solche sind zweckfrei"; Wendt, in: Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 5 Rn. 101. Umfassend Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 259ff., S. 269f. m.w.N.

123 Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 271, S. 491. 124 Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 277ff., 287f.; zustimmend Winter, Grundpro-

bleme, 1993, S. 71. 125 Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 294. 126 Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 295ff. zum Urheberrecht, Arbeitserfinderrecht,

Erfinderschutzrecht und Beamtenrecht. 127 Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 73f. 128 Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 74 Fn. 163.

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steckt werden muß, innerhalb dessen ein Forschungsergebnis veröffentlicht sein muß, damit es Forschung im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG ist. Andererseits aber ist die Veröffentlichungsbereitschaft ein sicheres Indiz einer unabhängigen und inso-fern allein wahrheitsgeleiteten Suche nach Erkenntnissen.

Das Junktim zwischen Forschung und Veröffentlichungsbereitschaft ist ge-rechtfertigt, weil die prinzipielle Kommunikationsbereitschaft von Wissenschaft ein maßgebliches Charakteristikum wissenschaftlicher Tätigkeit ist.129 Die Suche nach Erkenntnis, oder emphathisch ausgedrückt nach Wahrheit wird durch eine prinzipiell auf einen kritischen (Fach-)Diskurs ausgerichtete Forschung abge-stützt. Solange Forschungsergebnisse dem Diskurs der (Fach-)Öffentlichkeit aus Wettbewerbsgründen entzogen sind, werden somit keine Forschungszwecke, sondern gewerbliche Zwecke verfolgt, und zwar nicht nur als Nebenzweck. Mit bemerkenswerter Klarheit hat auch der Niedersächsische Landesgesetzgeber in § 27 Abs. 3 seines Hochschulgesetzes formuliert:130

"Vereinbarungen oder Zusagen, durch welche die Veröffentlichung von For-schungsvorhaben ausgeschlossen oder über einen die wissenschaftliche Entwicklung beeinträchtigenden Zeitraum hinausgeschoben wird, sind unzulässig."

Eine derartige "Forschung" bliebe dann allerdings immer noch der grundrecht-liche Schutz durch Art. 12 GG.

4.4.1.3. Inanspruchnahme geschützter Rechtsgüter Die dritte These, wonach die Inanspruchnahme von geschützten Rechtsgütern nicht von der grundrechtlichen Forschungsfreiheit geschützt werde,131 ist allen-falls im Rahmen der erfahrungsbasierten Vorsorge relevant. Nach dieser Auffas-sung werden bestimmte Forschungstätigkeiten, die mit der Inanspruchnahme von Rechtsgütern Dritter verbunden sind, von vornherein aus dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit ausgeklammert.132 Der Gesetzgeber könnte dann nach Belie-ben derartige Forschungstätigkeiten regulieren.

129 Denninger, Alternativkommentar zum Grundgesetz, 1989, Art. 5 Rn. 16; Blankenagel,

AÖR 105 (1980), S. 61ff. "Kommunalismus". 130 Bekannmachung der Neufassung des Nieders. Hochschulgesetzes vom 21. Januar 1994,

GVBl. S. 13. 131 Wahl, Anwendungskontrolle, 1991, S. 31ff.; Mit anderer Begründung Lerche, Verfas-

sungsrechtliche, 1986, S. 91f.; Lorenz, Wissenschaft, 1993, S. 270; Herdegen in: Eber-bach et al., GenTG, Einleitung, Rn. 47; Scherzberg, VerwArch 1993, S. 510f.; Pie-roth/Schlink, Grundrechte, 1994, Rn. 684.

132 Vgl. zu dieser Diskussion: Wahl, Anwendungskontrolle, 1991, S. 33; Graf Vitzthum/ Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 70f.; Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 255; zurückhaltend auch Winter, Grundprobleme, 1993, S. 72. Zum vergleichba-ren rechtsdogmatischen Problem bei der Kunstfreiheit vgl. die Kammerentscheidung zum

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Für den Bereich der ungewißheitsbasierten Risikosteuerung ist diese Diskus-sion jedoch nicht relevant, da sie auf die 'Inanspruchnahme' geschützter Rechts-güter beschränkt ist. Inanspruchnahme bedeutet aber eine Schädigung der Rechtsgüter Dritter. Die bloße Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts dies-seits oder jenseits der Gefahrenschwelle genügt nicht, um von einer Inan-spruchnahme fremder Rechtsgüter sprechen zu können. Deshalb wird der Bereich der ungewißheitsbasierten Vorsorge von diesem Auslegungsmodell erst recht nicht erfaßt. Inanspruchnahme von Rechtsgütern einerseits und Ungewißheit oder die bloße Möglichkeit (Risiko) einer zukünftigen Schädigung andererseits sind zwei unterschiedliche Qualitäten.133 Maßnahmen im Bereich der ungewißheitsba-sierten Vorsorge müssen deshalb mit der Forschungsfreiheit abgewogen werden.

4.4.2. Risikovorsorge als Ausdruck staatlicher Schutzpflicht

Es ist heute allgemein anerkannt, daß staatliche Schutzpflichten bereits im Vor-feld konkreter Gefahren bestehen. Das Bundesverfassungsgericht bestimmt die Schutzpflicht zunächst allgemein als

"Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von Sei-ten anderer zu bewahren".134

Aus der Formulierung "sich schützend vor die Rechtsgüter zu stellen" und "be-wahren" ist zu entnehmen, daß die Funktion der Schutzpflicht auch und gerade den vorbeugenden Grundrechtsschutz und damit die "Risikovorsorge" umfaßt.135 Entsprechendes ist bereits der Kalkar-Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichts zu entnehmen, denn danach können verfassungsrechtliche Schutzpflichten auch gebieten,

"rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß auch die Gefahr von Grundrechts-verletzungen eingedämmt bleibt. Ob, wann und mit welchem Inhalt sich eine solche Ausgestaltung von Verfassungs wegen gebietet, hängt von der Art, der Nähe und

Fall des Sprayers von Zürich "Nägeli" BVerfG, NJW 1984, S. 1293f.; vgl. auch Pie-roth/Schlink, Grundrechte, 1994 Rn. 677.

133 Allenfalls im Bereich der Humangenetik wären also mit Hilfe dieser tatbestandskonkre-tisierenden Auslegungen Gewinne in dem Sinne zu verzeichnen, daß Kollisionslösungen überhaupt vermieden werden könnten.

134 BVerfG, Bd. 53 (1980), S. 30ff. (57) - Mülheim-Kärlich. 135 Ausdrücklich BVerfG, Bd. 56 (1981), S. 54ff. (78): "Daß auch eine auf Grundrechtsge-

fährdungen bezogene Risikovorsorge von der Schutzpflicht der staatlichen Organe um-faßt werden kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits mehr-fach zum Ausdruck gekommen". Vgl. nur Trute, Vorsorgestrukturen, 1989, S. 226f. m.w.N.

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dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie von den schon vorhandenen Regelungen ab".136

Insbesondere die Formulierung, wonach sich die Eingriffsschwelle der grund-rechtlichen Schutzpflicht nach der Art der Gefahren richtet, weist darauf hin, daß sie technikspezifisch zu bestimmen ist. Diese Interpretation wird bestätigt durch die auf die Gefahren der Kernernergie abgestimmten Äußerungen des Bundesver-fassungsgerichts, denn weiter heißt es, daß

"angesichts der Art und Schwere möglicher Gefahren bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts genügen müsse, um die Schutzpflicht des Gesetzgebers konkret auszulösen".137

Eine technikspezifische Konkretisierung der Eingriffsschwelle einer grund-rechtlichen Schutzpflicht muß demnach die besonderen Gefahren und Risiken der gentechnischen Forschung berücksichtigen.138 Die Schutzpflicht ermächtigt den Gesetzgeber demnach zu risikoadäquaten Maßnahmen, um den technikspe-zifischen Gefahren und Risiken begegnen zu können.

Bei der Frage, welche Maßnahmen risikoadäquat sind, genießt der Gesetzge-ber allerdings einen weiten Gestaltungsspielraum. Dabei ist auch bei der verfas-sungsrechtlichen Güterabwägung zwischen erfahrungsbasierter und ungewiß-heitsbasierter Vorsorge zu unterscheiden. Während bei jener auch einschneidende Maßnahmen bis hin zu Forschungsverboten risikoadäquat sein können, wird man bei dieser in erster Linie weitere Aufklärungsmaßnahmen im Sinne der Wissens-erweiterung als risikoadäquat anzusehen haben. Gesetzliche Beobachtungs- und Monitoringpflichten sind demnach auch vor dem Hintergrund der verfassungs-rechtlichen Forschungsfreiheit zulässig. Insoweit besteht ein gesetzlicher Gestal-tungsspielraum, der nicht eindeutig von der Verfassung vorgegeben ist. Es ist deshalb auch nicht möglich, konkrete risikoadäquate Maßnahmen oder Hand-lungspflichten aus der Verfassung selbst abzuleiten.139 Die jetzigen Regelungen des Gentechnikgesetzes im Bereich der ungewißheitsbasierten Vorsorge schöpfen aber den zulässigen verfassungsrechtlichen Rahmen im Hinblick auf eine Risiko-steuerung nicht vollständig aus.

136 BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (142). 137 BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (142); BVerfG, Bd. 53 (1980), S. 30ff. (57). 138 Vgl. oben, Kap. 2. 139 Zur Frage, ob sich aus dem 'Untermaßverbot' konkrete Handlungspflichen ableiten lassen:

Isensee, HdbStR § 111. Zur Diskussion um § 218 StGB vgl. BVerfG, Bd. 88 (1993), S. 203ff. Ablehnend Denninger, Elend, 1994, S. 561ff.; Hesse, Verfassungsrechtliche, 1994, S. 553ff. Für den Bereich des Umweltrechts hat dies das BVerfG im übrigen bislang nicht angenommen. Anders für den Schwangerschaftsabbruch: BVerfG, Bd. 88 (1993), S. 203ff.

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4.4.3. Risikosteuerung durch risikoadäquate Zuordnung

Welche konkreten Maßnahmen der Risikosteuerung verfassungsrechtlich zulässig sind, richtet sich nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, das die Funktion einer Feinsteuerung zwischen Forschungsfreiheit und Schutzpflicht übernimmt. Er-mächtigt die Schutzpflicht nur zu risikoadäquaten Vorsorgemaßnahmen, so gilt umgekehrt, daß die Forschungsfreiheit auch nur Eingriffe dulden muß, die zur Vorsorge geeignet, erforderlich und aus diesem Grund auch zumutbar sind. Maß-nahmen der Risikovorsorge können ungeeignet sein, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes ausgeschlossen werden kann. Einzelne Maßnahmen sind nicht mehr erforderlich, wenn die Schadensprognose geringere Maßnahmen aus-reichen läßt. Und unzumutbar sind Maßnahmen, die vom Risikoträger einen Aufwand erfordern, der in Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit eines Scha-denseintritts in keinem Verhältnis zu einem möglichen Vorsorgegewinn stehen.

Die Abwägung zwischen Forschungsfreiheit und Schutzpflicht mündet im Er-gebnis in der Rechtsfolge eines risikoadäquaten Risikomanagements140, dessen charakteristisches Merkmal es ist, daß es dynamisch und flexibel auf den jeweili-gen Erkenntnisstand über Risiken angepaßt werden kann. Diese Flexibilität findet ihre grundrechtliche Entsprechung in dem sich aus den Schutzpflichten ergeben-den Gebot der dynamischen Grundrechtsvorsorge, das gegebenenfalls nicht nur in der Rechtsanwendung, sondern auch durch Nachbessern der gesetzlichen Grund-lagen zu befolgen ist.141 Umgekehrt muß - im Bereich erfahrungsbasierter Ri-sikovorsorge - der einzelne Forscher nur solche Einschränkungen seiner Tätigkeit hinnehmen, die aufgrund des Erkenntnisstands über die mit seiner Tätigkeiten verbundenen Risiken erforderlich sind.

Für das Risikomanagement im Bereich der ungewißheitsbasierten Vorsorge sind die jeweiligen Instrumente zu definieren, die eine Wissensgenerierung und ihre Implementierung in die Entscheidungsstrukturen ermöglichen. Dies bedeutet insbesondere eine Pflicht zur Risikobeobachtung und -aufklärung, die mit fort-schreitender Klärung des Sachverhaltes bei Bestätigung der vermuteten Ursache- oder Wirkungszusammenhänge in konkrete Minimierungs- und Ver-meidungspflichten umschlagen können. Möglicherweise können Risikoaufklä-rungspflichten zu einer bloßen Beobachtungspflicht abgeschwächt werden oder auch ganz entfallen, wenn die bis dahin gewonnene Erfahrung die Annahme eines hypothetischen Risikos nicht mehr rechtfertigt. Andererseits können neue Er-kenntnisse aber auch dazu führen, daß eine "schlummernde" Pflicht zu begleiten-der Risikoforschung wieder auflebt.

140 Vgl. allgemein z.B. Scherzberg, VerwArch 1993, S. 509; Von einer "Staatspflicht zur

Risikominderung" spricht Di Fabio, Risikoentscheidungen, 1995, S. 41ff. 141 Vgl. BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (130, 137) - Kalkar.

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Kapitel 5: Wirksamkeitsüberlegungen zu ordnungsrechtlichen Steuerungsinstrumenten

In diesem Kapitel wird eine Auswahl bestehender ordnungsrechtlicher Steue-rungsinstrumente für den Umgang mit gentechnischen Risiken dargestellt und auf ihre Tauglichkeit für ein effektives Risikomanagement unter Ungewißheits-bedingungen untersucht. Die Bewertung der Instrumente orientiert sich an den Steuerungszielen, die in Kapitel 4 näher beschrieben sind, sowie an den Ergeb-nissen der empirischen Untersuchung (Kap. 7ff.).

Im folgenden werden auch Regelungen berücksichtigt, die sich an gewerbliche Betreiber und Hersteller richten. Gerade in diesem Bereich nimmt die Erkenntnis zu, daß die Stärkung der Selbstverantwortlichkeit und die Verankerung proaktiver unternehmerischer Strategien die entscheidenden umweltpolitischen Akzente der nächsten Jahre sein werden.1 Diese Ansätze könnten für die Stärkung der Selbst-verantwortung in der Forschung jedenfalls zum Teil fruchtbar gemacht werden.

Das GenTG ist in weiten Teilen ordnungsrechtlich geprägt. Aber auch das Ordnungsrecht weist in zunehmendem Maße flexible und dynamische Elemente mit einem Selbststeuerungspotential auf.2 Dies kommt etwa in solchen Rege-lungen zum Ausdruck, die bestehende Anmelde- und Genehmigungspflichten dynamisieren und die Eigenverantwortung des Normadressaten stärken.

5.1. Genehmigungs- und Anmeldevorbehalte

Das traditionelle ordnungsrechtliche Instrumentarium der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge, auf das sich das Gentechnikgesetz primär stützt, versucht, Risi-ken durch Erlaubnis- und Anmeldevorbehalte zu steuern. Im einzelnen lassen sich verschiedene Regelungstypen unterscheiden, die jeweils in unterschiedlichem Maße die Risikoverantwortung dem Anwender/Forscher oder der Behörde zu-weisen.

Erlaubnis- und Anmeldevorbehalte sind primär Instrumente, die der Risiko-steuerung im Bereich 'erkannter' bzw. 'erkennbarer' Risiken zuzuordnen sind. In der hier verwandten Terminologie gehören sie zum Bereich der erfahrungs-basierten Regulierung ('Prevention'). Sie eröffnen die Möglichkeit einer prä-ventiven Risikoermittlung und -bewertung vor Beginn der Tätigkeiten und sichern

1 Vgl. zu ausländischen Ansätzen: Führ et al., Proaktive, 1995. Vgl. auch Führ, ZfU 1994,

S. 445ff. 2 Vgl. generell im Umweltrecht: Lübbe-Wolff, Modernisierung, 1996, S. 97ff.

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durch weitere Verfahrensvorgaben den Prozeß der behördlichen Entscheidungs-findung.

Im Hinblick auf die Eingriffsintensität lassen sich folgende Typen unter-scheiden.

5.1.1. Repressives Verbot

Als schärfstes Regelungsinstrument steht dem Gesetzgeber das sogenannte re-pressive Verbot zur Verfügung. Er kann damit ein bestimmtes Verhalten wegen seiner Gefährlichkeit oder sozialen Unerwünschtheit grundsätzlich verbieten.3 In der Regel werden solche Verbote mit der Möglichkeit gekoppelt, in besonderen Fällen Ausnahmen zuzulassen. Im Unterschied zum präventiven Erlaubnisvor-behalt hat der Antragsteller bei diesem repressiven Verbot keinen Anspruch auf eine Erlaubnis, sondern allenfalls auf fehlerfreie Ermessensausübung.4 Rechts-technisch hat die Behörde ein Versagungsermessen.5 Entsprechende Verbote kennt das Gentechnikgesetz nicht.

5.1.2. Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (Genehmigungsvorbehalt)

Der Genehmigungsvorbehalt6 ist das klassische ordnungsrechtliche Instrument der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge. Das präventive Verbot7 ermächtigt die Behörde, vor Inbetriebnahme einer Anlage oder Aufnahme einer Tätigkeit die Risiken zu ermitteln und zu bewerten. Das Verbot gilt solange, bis das Prüfungs-verfahren abgeschlossen ist und die Unbedenklichkeit der Tätigkeit feststeht. Dem Genehmigungsvorbehalt korrespondiert ein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung der Genehmigung, soweit die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind (sogenannte gebundene Entscheidung). Dieser Regelungsstruktur folgen die

3 Vgl. etwa die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes, dazu auch unten, Kap. 6.5.2. 4 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1994, § 9 Rn. 55; Kloepfer, Umweltrecht,

1989, § 4 Rn. 46. 5 Beispiele für eine solche Regelungsform sind die wasserrechtliche Erlaubnis nach § 7

WHG, die Bewilligung nach § 8 WHG oder das Waldrodungsverbot nach § 9 BWaldG. Eine Mischform stellt die atomrechtliche Anlagengenehmigung nach § 7 AtomG dar, in der ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt mit einem Versagungsermessen gekoppelt ist.

6 Die Terminologie ist in einzelnen Sachgebieten unterschiedlich, so ist auch von Geneh-migungen, Bewilligungen oder Zulassungen die Rede, jedoch ohne Differenz in der Sache.

7 Vgl. zum präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt: Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4 Rn. 37, 45; Breuer, Umweltrecht, 1992, Rn. 72f.

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Anlagengenehmigung nach § 13 GenTG und die Genehmigungen für Freisetzun-gen und Inverkehrbringen nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 GenTG.

Ein präventiver Erlaubnisvorbehalt kann auch mit Anzeigepflichten verknüpft sein. Auf diese Weise erhält die Behörde Kenntnis von der Tätigkeit und kann entscheiden, ob sie einschreiten muß. Derartige Anzeige- und Mittei-lungspflichten bestehen, um eine fortlaufende Überwachung einer gefährlichen Tätigkeit zu ermöglichen.8 Sie sind damit zugleich wichtige Instrumente der Risi-kokommunikation und notwendige Voraussetzung der Risikokontrolle. Beispiel-haft sei hier auf § 21 Abs. 4 GenTG verwiesen, wonach der Betreiber nach Abschluß einer Freisetzung dem Robert-Koch-Institut (als Nachfolgeeinrichtung des Bundesgesundheitsamtes9) die Ergebnisse der Freisetzung im Zusammenhang mit der Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt anzuzeigen hat.

5.1.3. Verbot mit Anmeldevorbehalt und Anzeige

Von diesen Fällen ist das Verbot mit Anmeldevorbehalt zu unterscheiden. Es setzt voraus, daß die Tätigkeit solange verboten ist, wie sie nicht angemeldet ist.10 Häufig ist dieser Anmeldevorbehalt mit einer Frist gekoppelt, nach deren Ablauf die Tätigkeit als erlaubt gilt, wenn sie von der Zulassungsbehörde nicht ausdrücklich untersagt oder eingeschränkt wird.11

Dieser Regelungsstruktur entspricht das Anmeldeverfahren nach § 12 Abs. 7 GenTG. Auch hier kann der Anmelder nach Fristablauf mit seiner Tätigkeit be-ginnen, unabhängig davon, ob die zuständige Behörde dem Vorhaben aus-drücklich zugestimmt hat.12 Nach der amtlichen Begründung steht dieses Anzei-geverfahren nicht unter einem (präventiven Verbot mit) Erlaubnisvorbehalt.13 Allerdings kann der Nachweis umfangreicher Unterlagen, die von dem Anzeige-pflichtigen vorgelegt werden müssen, die Eingriffsintensität des Anzei-gevorbehalts dem eines Erlaubnisvorbehalts stark annähern.14

Die Steuerungswirkung dieses Instruments hängt, stärker als beim präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, von der Kapazität und Intensität der behördlichen

8 Sogenannte Befolgungskontrolle, Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4 Rn. 36. 9 Art. 5 § 1 des Gesundheitseinrichtungen-Neuordnungs-Gesetz (GNG), BGBl.I 1994, S.

1416. 10 Dazu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1994, § 9 Rn. 54. 11 Diese Verfahrensstruktur geht auf entsprechende EG-Richtlinien zurück. 12 § 12 Abs. 7 Satz 3 GenTG. Vgl. die amtliche Begründung zu § 12, in: Eberbach et al.,

Gentechnikrecht, 1996, GenTR, § 12, Rdn. 5. 13 Auch Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 12 Rn. 2. 14 Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4 Rn. 35.

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Prüfung ab. Da bei behördlicher Untätigkeit nach Fristablauf mit der jeweiligen Forschungstätigkeit begonnen werden kann, ist es im Extremfall denkbar, daß eine präventive behördliche Kontrolle überhaupt nicht stattfindet. Die Mehrzahl der gentechnischen Arbeiten zu Forschungszwecken (in Anlagen) unterfällt dieser Regelungsstruktur.

Vereinzelt kennt das Gentechnikgesetz auch eine bloße Anzeige ohne Frist (§ 9 Abs. 3 GenTG). In diesen Fällen kann unmittelbar nach der Anzeige mit der Tä-tigkeit begonnen werden. Eine entsprechende Regelung enthält nunmehr auch der Vorschlag für eine Änderung der EG-Containment-Richtline.15 Nach den vorge-schlagenen Änderungen in Art. 8 und 9 der Richtlinie sollen Tätigkeiten der Ge-fahrenklasse 1 nur einer Anmeldung ohne Wartefrist unterliegen. Der Betreiber kann danach unmittelbar nach der Anmeldung mit der Tätigkeit beginnen, ohne daß er eine Entscheidung der Behörde abzuwarten braucht.16 Die Behörde ist dann auf eine nachträgliche Kontrolle im Rahmen der Überwachung verwiesen.

5.1.4. Erlaubnis mit präventivem Verbotsvorbehalt

Ein schwächeres Steuerungsinstrument ist schließlich die Erlaubnis mit (präventi-vem) Verbotsvorbehalt. Danach ist die Tätigkeit grundsätzlich erlaubt, kann im Rahmen einer nachträglichen Verwaltungskontrolle aber aus präventiven Gründen beschränkt oder verboten werden.17 Grundsätzlich sind somit Risikoermittlung, -bewertung und -entscheidung in die Hände des jeweiligen Anwenders gelegt. Die Behörde zieht die Entscheidungsmacht nur im Bedarfsfall an sich.

Als Beispiel für eine derartige Regelungsstruktur kann die Forschungsprivi-legierung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 des Bundesseuchengesetzes (BSeuchG) ange-sehen werden, die öffentliche Forschungseinrichtungen von dem Erlaub-nisvorbehalt bestimmter Arbeiten mit Krankheitserregern ausdrücklich ausnimmt. Gleichwohl kann die zuständige Behörde erlaubnisfreie Arbeiten unter bestimm-ten Voraussetzungen untersagen, wenn sich die ausführende Person als unzuver-lässig erwiesen hat oder wenn geeignete Räume oder Einrichtungen nicht vor-handen sind, § 20 Abs. 3 BSeuchG.

15 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/219/EWG über die

Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, KOM(95) 640 endg. vom 6.12.1995.

16 Die Kommission erachtet diese Regelung als sachgerecht, da Tätigkeiten der Klasse 1 keine oder nur sehr geringe Gefahren aufwiesen (Begründung zu Art. 8, KOM(95) 640 endg. vom 6.12.1995, S. 5).

17 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1994, § 9 Rn. 54.

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5.1.5. Versagung der Erlaubnis und Nebenbestimmungen

Die dargestellten Erlaubnisverfahren implizieren die Möglichkeit, daß die zustän-dige Behörde die beantragte Erlaubnis versagt, weil die gesetzlich vorge-schriebenen Voraussetzungen nicht erfüllt werden. Für das Gentechnikgesetz ergibt sich dies implizit aus § 13 GenTG, für das Anmeldeverfahren aus § 12 Abs. 10 GenTG. Die Behörde kann ihre Entscheidung aber auch mit Nebenbe-stimmungen versehen, soweit dies erforderlich ist, um die Genehmigungsvor-aussetzungen sicherzustellen, § 19 Satz 1 GenTG. Insbesondere kann die Behör-de eine Genehmigung auch befristen.18 Daneben hat die Behörde auch die Mög-lichkeit, durch Auflagen bestimmte Verfahrensabläufe oder Sicherheits-vorkehrungen anzuordnen, § 19 Satz 2 GenTG.

5.1.6. Bewertung

Die verschiedenen Regelungsstrukturen weisen ein unterschiedliches Steue-rungspotential auf. Ein der Tätigkeit vorgeschaltetes Genehmigungsverfahren hält den Antragsteller/Forscher im wohlverstandenen Eigeninteresse dazu an, die gesetzlichen Voraussetzungen schon zum Zeitpunkt der Antragstellung zu erfül-len, um möglichst schnell eine Erlaubnis zu erhalten. Zudem wird der Antragstel-ler/Forscher versuchen, im Wege des 'vorauseilenden Gehorsams' Nebenbestim-mungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Die entscheidende Wirkung dürfte hier vom Zeitmoment ausgehen. Da der Antragsteller seine Tätigkeit nicht beginnen darf, bevor die Genehmigung erteilt ist, gehen Zeitverzögerungen bei der Geneh-migungserteilung zu seinen Lasten. Das Interesse des Antragstellers an einer zügigen behördlichen Entscheidung wird im GenTG durch gesonderte Fristenre-gelungen geschützt.19

Demgegenüber ist die Steuerungswirkung des Anmeldevorbehalts stark von der zu erwartenden Überwachungstätigkeit der Behörde bestimmt. Das Zeit-moment wirkt sich hier zugunsten des Anmelders aus. Handelt die Behörde nicht, so kann er nach Fristablauf mit der Tätigkeit beginnen. Das Interesse an einem möglichst schnellen Anmeldeverfahren bietet somit nicht unbedingt einen Anreiz zum normkonformen Verhalten. Bei den bloßen Anzeigeverfahren ohne Warte-frist sowie bei der Erlaubnis mit präventivem Verbotsvorbehalt besteht die Steue-rungswirkung allenfalls in dem Drohpotential der Behörde, gegebenenfalls einzu-

18 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 19 Rn. 10. 19 Vgl. § 11 Abs. 5, wonach der Eingang der Unterlagen unverzüglich schriftlich zu bestäti-

gen und die Vollständigkeit der Unterlagen zu prüfen ist. § 11 Abs. 6 GenTG regelt Fri-sten, in denen die Behörde zu entscheiden hat.

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schreiten. Die Wirksamkeit dieser Instrumente hängt somit entscheidend von der tatsächlichen bzw. vom Betreiber erwarteten Vollzugspraxis der Behörde ab.20

5.2. Nachweispflichten in Genehmigungs- und Anzeigeverfahren

Im Genehmigungs- und Anzeigeverfahren können die Risiken einer beabsich-tigten gentechnischen Arbeit, einer Freisetzung oder des Inverkehrbringens zu-nächst nur berücksichtigt werden, wenn sie zum Zeitpunkt der Erlaubnis - im Fall einer Anmeldung: der gesetzlichen Erlaubnisfiktion - bekannt oder wenigstens erkennbar waren. Für diese Risikobewertung spielen die Angaben der Antragstel-ler und Anmelder über das beabsichtigte Vorhaben und ihre sicherheitsrechtliche Einordnung eine besondere Rolle, denn sie bilden den Ausgangspunkt der be-hördlichen Überprüfung.

Prinzipiell liegt die Nachweispflicht für das Vorliegen der gesetzlichen Vor-aussetzungen beim Antragsteller.21 Dieser hat dem Genehmigungsantrag "die Unterlagen beizufügen, die zur Prüfung der Voraussetzungen der Genehmi-gung"22 erforderlich sind.23

5.2.1. Angaben über Sicherheitsbewertung

Diese Angaben setzen daher nicht nur erste Überlegungen des Antragstellers voraus, sondern implizieren eine Festlegung des Antragstellers gegenüber der Behörde auf bestimmte beabsichtigte Vorhaben. Dabei hat der Antragsteller seine geplanten gentechnischen Arbeiten auch in Hinblick auf die erforderliche Sicher-heitsstufe hin zu beschreiben, vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5, sowie auf die "ver-fügbaren Techniken zur Erfassung, Identifizierung und Überwachung des gen-technisch veränderten Organismus", § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 GenTG, auf deren Grundlage dann die Genehmigungsbehörde prüft, ob

20 Im Bereich gentechnischer Anlagen ist die Überwachungstätigkeit der Behörden - im

Verhältnis zu anderen umweltrelevanten Vollzugsbereichen - insgesamt als eher hoch ein-zustufen, vgl. unten, Kap. 7.3.

21 Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 13 Rn. 14. 22 § 11 Abs. 2 Satz 1 GenTG. Entsprechende Regelungen enthält für das Anmeldeverfahren

§ 12 Abs. 3 Satz 1 GenTG, für Freisetzungen und Inverkehrbringen ebenso § 15 Abs. 1 Satz 1 GenTG.

23 Die einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen werden durch die Gentechnik-Sicherheits-verordnung (GenTSV) i.d.F. der Bekanntmachung vom 14.3.1995, BGBl. I S. 297, sowie der Gentechnik-Verfahrensordnung (GenTVfV) vom 4.11.1996, BGBl. I 1996, S. 1657ff. weiter konkretisiert.

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"für die erforderliche Sicherheitsstufe die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik notwendigen Vorkehrungen getroffen sind und deshalb schädliche Einwir-kungen auf die in § 1 Nr. 1 GenTG geschützten Rechtsgüter nicht zu erwarten sind" (§ 13 Abs. 1 Nr. 4 GenTG).

Bei gentechnischen Arbeiten zu Forschungszwecken erfolgt die Sicherheitsein-stufung gegebenenfalls nach einer 'vorläufigen' Bewertung des Gefährdungspoten-tials des gentechnisch veränderten Organismus, § 5 Abs. 2, § 7 Abs. 3 Nr. 1 b, Nr. 2 b, Abs. 4. GenTSV. Sowohl die Beschreibung des Vorhabens als auch der verfügbaren Sicherheitsvorkehrungen setzt voraus, daß der Antragsteller zunächst von sich aus eine Zuordnung seiner beabsichtigten Arbeiten zu einer Sicher-heitsstufe vornimmt.24

Entsprechende Angaben über das geplante Vorhaben und seine sicherheits-rechtliche Bewertung sind vom Antragsteller auch bei Freisetzungen und dem Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen vorzulegen. So ist bei Freisetzungen zu gewährleisten, "daß alle nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden" (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 GenTG). Der Antragsteller hat daher bei Freisetzungsvorhaben in den Antragsunterlagen darzulegen: - eine dem Stand der Wissenschaft entsprechende Beschreibung der sicher-

heitsrelevanten Eigenschaften des freizusetzenden Organismus und der Um-stände, die für das Überleben, die Fortpflanzung und die Verbreitung von Be-deutung sind, § 15 Abs. 1 Nr. 3 GenTG,

- eine Darlegung der durch die Freisetzung möglichen sicherheitsrelevanten Auswirkungen auf die geschützten Rechtsgüter, § 15 Abs. 1 Nr. 4 GenTG,

- und eine Beschreibung der geplanten Überwachungsmaßnahmen, § 15 Abs. 1 Nr. 5 GenTG.

Im einzelnen sind die zu machenden Angaben in der Gentechnikverfahrens-Verordnung (GentVfV) weiter konkretisiert.25

Der Beschreibung des Antragsgegenstandes und der Sicherheitsvorkehrungen korrespondiert die Verpflichtung des Antragstellers, die mit dem Vorhaben ver-bundenen Risiken "vorher umfassend zu bewerten", § 6 Abs. 1 Satz 2. Diese Bewertung ist Genehmigungsvoraussetzung nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 GenTG und ist mit den Antragsunterlagen nachzuweisen, § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 GenTG.26

24 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 11 Rn. 13; vgl. auch § 4 Abs. 1

Satz 2, Anlage I Teil II, 4. Spiegelstrich GenTVfV. 25 Vgl. Anlage 2 zu § 5 GenTVfV. 26 Vgl. amtl. Begründung zu § 2 GenTAufzV, abgedruckt bei Fluck, Gentechnik-Aufzeich-

nungsverordnung, 1996, § 2 Rn. 13.

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Entsprechendes gilt für das Anzeigeverfahren sowie der Sache nach für Freiset-zungen und das erstmalige Inverkehrbringen.27

Bei Freisetzungen hat der Antragsteller darüber hinaus auch Unterlagen über vorangegangene Arbeiten in einer geschlossenen Anlage und über Freisetzungen beizufügen, § 15 Abs. 1 Nr. 3, 2. Halbsatz GenTG (Step-by-step-Prinzip). Diese Angaben bilden als Erfahrungswerte die Grundlage für die Bewertung der sicher-heitsrelevanten Auswirkungen des Vorhabens auf geschützte Rechtsgüter, vgl. § 5 Abs. 2 GenTVfV.

Im übrigen soll die zuständige Behörde den Betreiber, sobald sie über das ge-plante gentechnische Vorhaben unterrichtet worden ist, diesen im Hinblick auf die Antragstellung oder auf eine notwendige Anmeldung beraten, § 2 GenTVfV.

5.2.2. Bewertung

Die Beschreibung der beabsichtigten Tätigkeit sowie deren sicherheitsrechtliche Einstufung verlangt vom Betreiber eine kritische Reflexion der gesetzlichen und behördlichen Erwartungshaltung. Auch organisationsintern kann die Erfüllung der Voraussetzungen den Antragsteller unter erheblichen Begründungszwang setzen, weil derartige Verfahren personelle und finanzielle Kapazitäten binden. Insofern beinhalten die den Genehmigungsverfahren vorgelagerten Nachweis- und Be-wertungspflichten ein gewisses Selbststeuerungspotential. Andererseits ist die Wirkung auf die Betroffenen, die von diesen Anforderungen ausgeht, ambivalent. Insbesondere bei niedrigeren Risikostufen, bei denen nach Auffassung der For-scher kein Risiko besteht, können derartige Nachweispflichten auch zu einer geringeren Aufmerksamkeit gegenüber (unbekannten) Risiken führen.

Der Risikoermittlung dienen die mit der Beschreibung des Vorhabens vom An-tragsteller nachzuweisenden Sicherheitsüberlegungen. Die Angaben des Antrag-stellers über sein Vorhaben in Verbindung mit seiner Verpflichtung zur vorheri-gen und umfassenden Risikoabschätzung sind Merkpunkte eines gleichsam prä-ventiven Reflexionsprogramms des eigenen Vorhabens, seiner Auswirkungen und der eigenen Leistungsfähigkeit zur Risikovorsorge. Gleichzeitig bilden diese Un-terlagen neben den behördlichen Informationen eine Grundlage der Risikobewer-tung und -entscheidung der Behörde. Die Vorschriften über die Antragsunterlagen sollen sicherstellen, daß die Behörde auch über die Informationen des Antragstel-lers verfügt.28 Die Vorlage der Antragsunterlagen kann im Zusammenhang mit

27 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 6 Rn. 4 unter Hinweis auf § 15

Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 (für Freisetzungen) und Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 4 (für das In-verkehrbringen) GenTG.

28 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 6, Rn. 2.

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der Beratungspflicht der Behörde nach § 2 GenTVfV als Teil einer Risikokom-munikation zwischen Antragsteller und Behörde angesehen werden.

Offenbar gibt es jedoch gerade in diesem Bereich erhebliche Kommunika-tionsprobleme zwischen den Behörden und den Adressaten dieser Regelungen. Forscher beklagen sich teilweise über mangelnde Kommunikationsbereitschaft der Behörden und einen formalistischen und bürokratischen Umgang im Kom-munikationsprozeß. Andererseits werden Beratungsangebote teilweise nicht wahrgenommen.29

5.3. Dynamisierung der Risikovorsorge

5.3.1. Laufende Risikobewertungspflicht

Die Beurteilung des Risikos und der erforderlichen Vorsorgemaßnahmen liegt zunächst beim verantwortlichen Betreiber als dem potentiellen Risikoverursacher. Nach § 6 Abs. 1 GenTG haben der Betreiber gentechnischer Anlagen und dieje-nigen, die gentechnische Arbeiten durchführen, gentechnisch veränderte Orga-nismen freisetzen oder in den Verkehr bringen, die damit verbundenen Risiken vorher umfassend zu bewerten und diese Bewertung dem Stand der Wissenschaft anzupassen. Dieser Bewertungs- und Anpassungspflicht korrespondiert die Vor-sorgepflicht nach § 6 Abs. 2 Satz 1 GenTG.

Im Ergebnis verpflichten § 6 Abs. 1 und 2 den Betreiber zu einer dynamischen Vorsorge. So ist die Risikobewertung dem jeweils neuesten Erkenntnisstand der Wissenschaft anzupassen ("Stand von Wissenschaft") und die notwendigen Vor-kehrungen müssen sich am Erkenntnisstand von "Wissenschaft und Technik" orientieren.30 Ein Beispiel sind die geplanten Überwachungsmaßnahmen und Notfallpläne bei Freisetzungen nach § 15 Nr. 5 GenTG, § 5 Abs. 1 Nr. 5 GenTVfV i.V.m. Anlage 2 Teil III, deren Beschreibung Bestandteil der Geneh-migungsunterlagen ist und die gegebenenfalls anzupassen sind.

Das Vorsorgegebot erstreckt sich auf die nach dem GenTG geschützten Rechtsgüter, nämlich Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen sowie der sonstigen Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge, § 6 Abs. 2 i.V.m. § 1 Nr. 1 GenTG. Näher konkretisiert wird es durch die allgemeinen Schutzpflichten

29 Dazu unten, Kap. 7.6.1. 30 Vgl. BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (135f.): "Entwicklungsstand fortschrittlichster Ver-

fahren, Einrichtungen und Betriebsweisen ..., die nach Auffassung führender Fachleute aus Wissenschaft und Technik auf der Grundlage neuester wissenschaftlich vertretbarer Er-kenntnisse im Hinblick auf das gesetzlich vorgegebene Ziel für erforderlich gehalten wer-den und die Erreichung des Ziels als gesichert erscheinen lassen".

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nach § 8 Abs. 1 GenTSV31, der neben einer Bezugnahme auf die geschützten Rechtsgüter den Betreiber auch konkret auf die Einhaltung der geltenden Arbeits-schutz- und Unfallverhütungsvorschriften verpflichtet.32 Insbesondere sind die allgemeinen sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen und hygienischen Re-geln, die sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse sowie die allgemeinen Empfehlungen der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit zu beachten, § 8 Abs.1 Satz 2 GenTSV. Hinzu tritt die Ermittlungs- und Bewer-tungspflicht von Gefahren im Hinblick auf die Beschäftigten nach § 8 Abs. 4 GenTSV. Arbeitssicherheitsmaßnahmen sind in § 12 GenTSV konkretisiert.

Die Verpflichtung des Betreibers zur dynamischen Vorsorge beschränkt sich nicht auf den Zeitpunkt bis zur Genehmigung oder Anmeldung eines Vorhabens, sondern sie geht zeitlich darüber hinaus und gilt während des gesamten Vorha-bens. Andererseits beschränkt sich die Anpassungspflicht der Risikobewertung auf den jeweils bestehenden Erkenntnisstand der Wissenschaft, eine eigenständi-ge Pflicht zur begleitenden Risikoforschung kennt das Gentechnikgesetz nicht. Entsprechende Nebenstimmungen oder nachträgliche Auflagen nach § 19 GenTG sind nur zulässig, um die Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen durchzu-setzen.33 Der gentechnische Vorsorgetatbestand verpflichtet demnach die Betrei-ber nicht zu einer vorsorgenden Risikoforschung, um insbesondere hypothetische Risiken aufzuklären.34 Er ist insoweit lediglich verpflichtet, seine eigenen Er-kenntnisse der zuständigen Behörde anzuzeigen.

5.3.2. Step-by-step-Prinzip

Als besonderer Ausdruck der gentechnikrechtlichen Dynamisierung der Vor-sorgepflicht kann das sogenannte Step-by-step-Prinzip angesehen werden. Da-nach ist in einem gestuften Verfahren vom Labor über die Freisetzung bis zum Inverkehrbringen der Eintritt in die jeweils nächste Stufe immer erst dann zuläs-sig, wenn auf der vorherigen Stufe genügend Erfahrungen für eine Beurteilung der

31 Eberbach, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, § 8 Rn. 8. 32 Unterschiede zwischen Forschungs- und gewerblichen Zwecken bei gentechnischen Arbei-

ten liegen hier nicht in der Vorsorgepflicht, wohl aber in der Vorlage von Unterlagen z.B. über Zahl und Ausbildung des Personals sowie Unfallverhütungsmaßnahmen, § 11 Abs. 2 Nr. 7 GenTG.

33 Winter, Grundprobleme, 1993, S. 51. Weitergehend ist hier das Arzneimittelrecht, vgl. § 28 Abs. 3 a und 3b AMG.

34 Zur Möglichkeit, Risikoforschung als Begleitforschung im Rahmen der Genehmigung sowie durch Überwachungsmaßnahmen festzusetzen, vgl. Roller/Jülich, ZUR 1996, S. 77f.

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Risiken gesammelt wurden.35 Diese Stufung wird ausdrücklich in der Freiset-zungs-Richtlinie der EG im 11. Erwägungsgrund eingeführt.36 Im deutschen Recht ist dieses Stufenverhältnis allerdings nicht ausdrücklich verankert.37 Gleichwohl enthält das Gentechnikgesetz und das untergesetzliche Regelwerk Vorschriften, die als Ausdruck dieses Prinzips verstanden werden können.38

Die nur rudimentäre Verankerung des Step-by-step-Prinzips im geltenden Recht ist insofern zu bedauern, als es sich hierbei um ein im Umwelt- und Tech-nikrecht grundsätzlich neues Instrument handelt, welches in besonderer Weise geeignet erscheint, bei der Risikobewertung auf vorhandene Wissensbestände zuzugreifen und Erfahrungen aus früheren Versuchen einzubeziehen.39

5.3.3. Prozedurale Erleichterungen

§ 14 Abs. 4 GenTG enthält eine Verordnungsermächtigung zur Einführung eines vereinfachten Genehmigungsverfahrens, "soweit mit der Freisetzung von Orga-nismen im Hinblick auf die in § 1 Nr. 1 genannten Schutzzwecke genügend Er-fahrungen gesammelt sind". Damit hat der Gesetzgeber gewissermaßen eine um-gekehrte Dynamisierung dahingehend geschaffen, daß unter den dort genannten Voraussetzungen eine verfahrensmäßige Vergünstigung für den Antragsteller eintritt.

Mit dieser - allerdings ungewöhnlich schwammigen - Formulierung wird Art. 6 Abs. 5 der Freisetzungs-Richtlinie umgesetzt. EG-rechtlich sind vereinfachte

35 Zu weiteren Bedeutungsgehalten des Prinzips vgl. auch unten, Kap. 8.1. 36 RL 90/220/EWG vom 23.4.1990, ABl. L 117 vom 8.5.1990, S. 15. Der 11. Erwägungs-

grund lautet: "Die Einbringung von GVO in die Umwelt sollte nach dem 'Stufenprinzip' er-folgen, d.h., die Einschließung der GVO wird nach und nach stufenweise gelockert und ih-re Freisetzung in der gleichen Weise ausgeweitet, jedoch nur dann, wenn die Bewertung der vorherigen Stufen in bezug auf den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Um-welt ergibt, daß die nächste Stufe eingeleitet werden kann."

37 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 16 Rn. 3. Dies wurde ebenfalls von der Europäischen Kommission gerügt, vgl. Aufforderungsschreiben vom 6.8.1992, Ziffer 14; vgl. bereits Führ, DVBl. 1991, S. 566; kritisch auch: Winter, Grundprobleme, 1993, S. 50.

38 Etwa § 15 Abs. 1 Nr. 3, § 15 Abs. 3 Nr. 2 GenTG, § 5 Abs. 2 GenTVfV. Auch die GenTVfV hat das Prinzip insofern berücksichtigt, als bei den vorzulegenden Informationen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens auch eine Beschreibung der Zielsetzung und der geplanten Produkte der Freisetzung erfolgen muß, Anlage 2 zu § 5 GenTVfV, Abschnitt A, Teil II, A. 1.

39 Zu den sich im Vollzug ergebenden Widersprüchen des Step-by-step-Prinzips vgl. unten, Kap. 8.8.

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Genehmigungsverfahren derzeit bereits bei bestimmten Pflanzen zugelassen.40 Über die genaueren Beurteilungskriterien herrscht allerdings weitgehend Unklar-heit.

5.4. Aufzeichnungspflichten

Eine Aufzeichnungspflicht über die Durchführung von gentechnischen Arbeiten und Freisetzungen besteht nach § 6 Abs. 3 Satz 1 GenTG. Näheres über Form, Inhalt und Aufbewahrungsdauer der Aufzeichnungen ergibt sich aus der Gen-technik-Aufzeichnungsverordnung (GenTAufzV)41 und zum Teil auch aus der Gentechnik-Sicherheitsverordnung (GenTSV).42 Bis zur Neufassung der Gen-TAufzV war der Anwendungsbereich dieser Verordnung nur auf gentechnische Arbeiten beschränkt. Im Rahmen von Freisetzungsvorhaben ergab sich die Auf-zeichnungspflicht aber auch schon zuvor unmittelbar aus § 6 Abs. 3 Satz 1 GenTG, es fehlte jedoch an einer Festlegung der aufzuzeichnenden Details.43 Nunmehr gilt die GenTAufzV entsprechend ihres in § 1 erweiterten Anwen-dungsbereichs auch für Freisetzungen.44

5.4.1. Bedeutung der Aufzeichnungspflicht

Die Aufzeichnungen sind zunächst Grundlage einer nachlaufenden behördlichen Kontrolle, beispielsweise durch einen Vergleich der vom Betreiber eingereichten Antragsunterlagen und der späteren Aufzeichnungen.45 Zu diesem Zweck sind die Aufzeichnungen vom Betreiber aufzubewahren, bei gentechnischen Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 zehn Jahre, bei den anderen Sicherheitsstufen und bei Freiset-zungen dreißig Jahre nach Abschluß der Arbeiten bzw. der Freisetzung. Die Auf-zeichnungen sind der zuständigen Behörde auf ihr Ersuchen vorzulegen.46 Au-

40 Entscheidung der Kommission 93/584/EWG vom 22.10.1993 sowie Entscheidung

94/730/EG vom 4.11.1994. 41 Vom 24.10.1990, BGBl. I S. 2338. In der Neubekanntmachung vom 8.11.1996, BGBl. I

1996, S. 1645. 42 Kritisch zur nicht ausreichenden Abstimmung von GenTG, GenTAufzV und GenTSV,

Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, GentAufzV, § 2 Rn. 74ff. 43 Die Behörde kann Aufzeichnungspflichten gegenüber dem Betreiber auch im Wege einer

Auflage nach § 19 GenTG im Genehmigungsbescheid anordnen oder gegebenenfalls im Wege einer Überwachungsanordnung erteilen, Roller/Jülich, ZUR 1996, S. 77.

44 Die aufzuzeichnenden Angaben ergeben sich aus § 2 Abs. 5 GenTAufzV. 45 Vgl. aber unten, Kap. 5.4.3. 46 Vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 GenTG, § 4 Abs. 1 GenTAufzV.

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ßerdem können die mit der Überwachung beauftragten Personen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Unterlagen, wozu auch die Aufzeichnungen zäh-len,47 einsehen und hieraus Ablichtungen oder Abschriften anfertigen.48

Die Aufzeichnungspflicht dient auch der Selbstkontrolle des Betreibers49 über den Verlauf seiner gentechnischen Arbeiten und damit zumindest indirekt der Risikovorsorge. Die Aufzeichnungen sollen zur laufenden Reflexion der eigenen Tätigkeit anregen, zumindest aber eine Rekonstruktion des jeweiligen Projektver-laufes, der beteiligten und verantwortlichen Mitarbeiter und der jeweils vorge-nommenen Sicherheitsvorkehrungen ermöglichen. Schließlich können die Auf-zeichnungen im Schadensfall den Ursachennachweis erleichtern.50

Aufzeichnungspflichtig ist zunächst der Betreiber, § 6 Abs. 3 GenTG, der al-lerdings den Projektleiter mit der Führung der Aufzeichnungen beauftragen kann, § 4 Abs. 2 GenTAufzV. Die Aufzeichnungen sind von dem jeweils Ver-antwortlichen zu unterschreiben, der damit die Richtigkeit der Aufzeichnungen bestätigen soll.51 Das kann nach § 3 Abs. 3 Satz 1 GenTAufzV der Betreiber, der Projektleiter oder eine von diesem bestimmte Person sein. Eine Wahrnehmung der Aufzeichnungspflicht durch sich abwechselnde Personen wird für zulässig ge-halten.52

Die Verletzung einer Aufzeichnungspflicht ist ordnungsrechtlich sanktioniert, § 5 GenTAufzV. Im Rahmen eines Haftungsanspruches kann die Verletzung der Aufzeichnungspflicht auch zu einer Beweiserleichterung des Geschädigten bis zur Umkehr der Beweislast führen.53

Gesonderte Bedeutung hat die Aufzeichnungspflicht bei weiteren gentechni-schen Arbeiten zu Forschungszwecken der Sicherheitsstufe 1, da hier keine An-trags- oder Anmeldeunterlagen zu erstellen sind, sondern im Wege der Aufzeich-nung nur eine Selbsteinschätzung durch den Betreiber erfolgt.54

47 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 25 Rn. 14. 48 § 25 Abs. 3 Nr. 3 GenTG. 49 Vgl. auch Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, GentAufzV, Einl., Rn. 5. 50 Amtl. Begründung, abgedruckt bei Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996,

GenTAufzV, vor § 1 Rn. 3. 51 Vgl. Begründung zu § 2 GenTAufzV, bei Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung,

1996, GentAufzV, § 2 Rn. 24. 52 Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, GentAufzV, § 2 Rn. 94, § 4 Rn. 14. 53 Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, GentAufzV, Einl. Rn. 7; Lands-

berg/Lülling in: ebenda, GenTG, § 35 Rn. 33, 34, Rn. 12, 14, 20; Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 35 Rn. 14 a.E. Vgl. auch unten, Kap. 6.

54 Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, § 2 Rn. 87.

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5.4.2. Inhalt der Aufzeichnungen

Nach der GenTAufzV müssen die Aufzeichnungen gentechnischer Arbeiten ins-besondere die Angaben über die Risikobewertung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 GenTG enthalten.55 Da diese Risikobewertung bereits vor Beginn der Arbeiten vorzu-nehmen ist, wird sie häufig bereits in den Antrags- bzw. Genehmigungsunterlagen enthalten sein, vgl. § 2 Abs. 6 GenTAufzV. Eine eigenständige Bedeutung hat die Aufzeichnungspflicht der Risikobewertung also nur in den Fällen, in denen weder eine Genehmigung noch eine Anmeldung erforderlich ist.56

Nach § 2 Abs. 7 Satz 1 GenTAufZV sind die Aufzeichnungen, soweit erfor-derlich, fortlaufend zu führen. Andererseits läßt es die GenTAufzV auch aus-drücklich zu, daß aufzuzeichnende Angaben durch Angaben in den Genehmi-gungs- und Anmeldeunterlagen ersetzt werden können, § 2 Abs. 6 GenTAufzV. Wann fortlaufende Aufzeichnungen im Sinne einer ständigen Protokollierung der einzelnen Arbeitsschritte erforderlich sind, richtet sich nach dem Inhalt der Auf-zeichnungen. So sind die Angaben über die einzelnen Arbeitsschritte bei Arbeiten der Sicherheitsstufe 3 und 4 ständig (§ 2 Abs. 4 Nr. 1 GenTAufzV), die Ri-sikobewertung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 GenTG bereits vor Beginn der Arbeiten (Abs. 7 Satz 2) und besondere Ereignisse jeweils bei ihrem Auftreten (Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 und Abs. 5 Nr. 13) aufzuzeichnen. Weitere Aufzeichnungspflichten bestehen nach der Gentechniksicherheits-Verordnung (GenTSV).

5.4.3. Bewertung

Grundsätzlich sollen die Aufzeichnungspflichten dazu beitragen, in einem Bereich von Unsicherheit Wissen zu erzeugen und Vorgänge nachvollziehbar zu ma-chen.57 Gerade für die ungewißheitsbasierte Risikovorsorge kommt diesem In-strument deshalb besondere Bedeutung zu.

Ob die so gewonnenen Daten zur Risikoermittlung und -kontrolle und darüber hinaus als Grundlage für eine begleitende oder spätere Risikoforschung - insbe-sondere im Hinblick auf die Erforschung hypothetischer Risiken - geeignet sind, ist angesichts der aufzuzeichnenden Tatbestände jedoch fraglich. Lediglich bei Arbeiten der Sicherheitsstufe 3 und 4 ist eine Aufzeichnung der einzelnen Ar-beitsschritte erforderlich. Offen ist jedoch, ob diese Angaben mit denen über die "voraussichtliche" Anzahl der gentechnisch veränderten Organismen bzw. bei Mikroorganismen oder Zellkulturen dem "voraussichtlichen" Volumen der einzel-

55 § 2 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 7 Satz 2 GenTAufzV. 56 Das ist der Fall bei weiteren Arbeiten der Stufe 1 zu Forschungszwecken. 57 Wahl, Gentechnikgesetz, § 6 Rn. 78.

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nen Ansätze korrelieren müssen, vgl. § 2 Abs. 4 GenTAufzV. Aus der amtlichen Begründung ergibt sich immerhin, daß die fortlaufende Aufzeichnung dem "Nachvollzug der Risikoabschätzung durch die zuständige Behörde" dienen soll.58 Zu diesem Zweck sollten diese Angaben zumindest eine fortlaufende Risi-koabschätzung ermöglichen.

Die Aufzeichnungspflicht unerwarteter Vorkommnisse nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 GenTAufzV enthält keine Verpflichtung, die vorgenommenen Sicher-heitsmaßnahmen mit Ausnahme einer Änderung der Sicherheitsstufe, § 2 Abs. 2 Nr. 2 GenTAufzV, aufzuzeichnen. Ergriffene Notfallmaßnahmen unterliegen demnach nicht einer Aufzeichnungspflicht, sind allerdings der zuständigen Be-hörde anzuzeigen, § 12 Abs. 3 GenTG.

Von ihrer Zweckbestimmung beschränken sich die aufzuzeichnenden Angaben auf die Selbstkontrolle des Betreibers sowie das Überwachungsverhältnis zwi-schen diesem und der zuständigen Behörde. Im Einklang mit der Zweckbe-stimmung der Aufzeichnungen fehlen Vorschriften, die einen horizontalen Wis-senstransfer zwischen Forschungseinrichtungen aus den Aufzeichnungen ermögli-chen. Die Möglichkeit einer begleitenden oder vergleichenden Risikoforschung durch Dritte ist bei den Aufzeichnungspflichten nicht vorgesehen. Die einzige Rechtsvorschrift, die ausdrücklich eine Verwendung von Unterlagen Dritter vor-sieht, gilt nur für Antrags- bzw. Anmeldeunterlagen und nur zur Vermeidung von Tierversuchen, § 17 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 GenTG. Im übrigen bedarf es zur Verwendung der Unterlagen Dritter grundsätzlich dessen schriftlicher Zustim-mung, § 17 Abs. 1 Satz 4 GenTG.

Darüber hinaus sind die aufgezeichneten Informationen nur im Vergleich mit den Angaben in den Antrags- oder Anmeldeunterlagen sinnvoll für Zwecke einer Risikoforschung zu verwenden. Insoweit bedürfte es deshalb einer Ver-einheitlichung der aufzuzeichnenden Daten mit den im Genehmigungs- und An-meldeverfahren vorzulegenden Unterlagen. Als Grundlage für eine sinnvolle Risi-koforschung müßte deshalb der Katalog des § 2 Nr. 1 und 5 GenTAufzV erheb-lich um sicherheitsrelevante Tatbestände erweitert werden. Derzeit ist zweifel-haft, ob die rechtlich verlangten Aufzeichnungen für eine laufende oder nachträg-liche Selbstkontrolle der gentechnischen Forschung überhaupt eine ausreichende Aussagekraft haben. Im übrigen hängen die Rekonstruktionsmöglichkeiten gen-technischer Forschungsverläufe von der Qualität der aus anderen Gründen geführ-ten Dokumentationen ab (Laborbücher, Benutzerbücher).59

58 Abgedruckt bei Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, § 2 Rn. 19. 59 Die Begründung zur GenTAufzV verweist z.B. zu den Angaben nach § 2 Abs. 4 Nr. 1

GenTAufzV (Dokumentation der einzelnen Arbeitsschritte der Sicherheitstufe 3 und 4) auf die in diesen Anlagen geführten 'Benutzerbücher', ohne daß deutlich ist, worauf Bezug ge-

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Die Aufzeichnungspflichten sind schließlich vor allem auf anlagenbezogene Arbeiten zugeschnitten. Zwar enthält nunmehr die GenTGAufzV in § 2 Abs. 5 auch die bei einer Freisetzung aufzuzeichnenden Angaben. Diese sind allerdings überwiegend formaler Natur. Insoweit besteht ein auffälliges Mißverhältnis zwi-schen den detaillierten Angaben, die bei der Genehmigung gemäß Anlage 2 zu § 5 der GenTVfV vorzulegen sind, und den im Rahmen der laufenden Ver-suchsüberwachung vorzunehmenden Aufzeichnungen, die hierauf, insbesondere im Hinblick auf umweltrelevante Daten,60 praktisch keinen Bezug nehmen. Hier zeigt sich einmal mehr die 'Genehmigungsfixiertheit' des geltenden Gen-technikrechts und die unzureichend ausgeprägte Sensibilität für die Notwen-digkeit der Generierung neuen Risikowissens.

5.5. Anzeigepflichten

Der Betreiber ist in bestimmten Fällen verpflichtet, der zuständigen Überwa-chungsbehörde gegenüber Änderungen, Vorkommnisse und Informationen mit-zuteilen, die die Durchführung und Bewertung seiner Vorhaben betreffen. Im folgenden stehen die Anzeigepflichten im Vordergrund, die für die Ermittlung von Risiken gentechnischer Vorhaben von besonderer Bedeutung sein könnten.61

5.5.1. Verdachtsstörfälle

Der Betreiber ist verpflichtet, der Überwachungsbehörde Verdachtsstörfälle an-zuzeigen. Nach § 21 Abs. 3 Satz 1 GenTG hat er der zuständigen Behörde

"unverzüglich jedes Vorkommnis anzuzeigen, das nicht dem erwarteten Verlauf der gentechnischen Arbeit oder der Freisetzung oder des Inverkehrbringens entspricht und bei dem der Verdacht einer Gefährdung der in § 1 Nr. 1 GenTG bezeichneten Rechtsgüter besteht".

Demnach muß auch bei Arbeiten zu Forschungszwecken jede Abweichung vom geplanten Verlauf, die einen konkreten Gefahrenverdacht begründet, angezeigt

nommen wird; vgl. bei Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, § 2 Rn. 19, 69.

60 Vgl. Anlage 2 zu § 5 GenTVfV, insbesondere Abschnitt A, Teil II B, C und D sowie Abschnitt B, Teil IV und VII.

61 Weitere Anzeigepflichten gelten etwa bei einer Änderung der Beauftragung des Projekt-leiters, des Beauftragten für die Biologische Sicherheit etc.

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werden.62 Zusätzlich sind alle für die Sicherheitsbewertung notwendigen Infor-mationen sowie geplante oder getroffene Notfallmaßnahmen mitzuteilen, § 21 Abs. 3 Satz 2 GenTG.

Die Anzeigepflicht endet nicht mit dem formellen Ende der Arbeiten bzw. mit dem Abschluß einer Freisetzung, sondern besteht solange fort, wie Folge-wirkungen möglich sind.63 Darüber hinaus hat der Betreiber jedoch weder eine eigene Risikoermittlungs- noch eine (ausdrückliche64) Marktbeobachtungspflicht hinsichtlich besonderer Vorkommnisse.65

Die besonderen Vorkommnisse sind der für die Anmeldung bzw. der Genehmi-gung zuständigen Behörde sowie der Überwachungsbehörde anzuzeigen, § 21 Abs. 3 Satz 1 GenTG. Soweit das Robert-Koch-Institut nicht zu diesen Behörden zählt (bei gentechnischen Arbeiten), ist es nach § 28 Abs. 1 GenTG von der zu-ständigen Landesbehörde zu unterrichten.

5.5.2. Neue Informationen

Weiterhin hat der Betreiber neue Informationen über Risiken für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt unverzüglich der zuständigen Behörde anzuzeigen, § 21 Abs.5 GenTG. Diese Anzeigepflicht korrespondiert mit der Verpflichtung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 GenTG, seine vor Beginn seines Vorhabens vorzuneh-mende Risikobewertung dem Stand der Wissenschaft anzupassen. Anzuzeigen sind demnach nicht nur eigene Erkenntnisse, sondern vor allem auch Informatio-nen Dritter. Hierzu zählen auch Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Literatur oder aus Vorträgen.66 Diese neuen Informationen müssen allerdings im Zusam-menhang mit den gentechnischen Vorhaben des Betreibers stehen.67

Neu sind die Informationen, wenn sie zum Zeitpunkt der Anmeldung bzw. der Genehmigung in breiteren Fachkreisen noch nicht bekannt waren.68 Darüber hin-aus sind Informationen aber auch bereits dann neu, wenn sie nicht in den An-

62 So allgemein für alle Zwecke Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 21 Rn.

6,; Fluck, Gentechnikgesetz, 1996, § 21 Rn. 84-87. 63 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 21 Rn. 6. Anderer Auffassung:

Fluck, Gentechnikgesetz, 1996, § 21 GenTG, Rn. 92. 64 Eine haftungsrechtliche Marktbeobachtungspflicht kann jedoch im Einzelfall bestehen. 65 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 21 Rn. 6; Fluck, Gentechnikgesetz,

1996, § 21 GenTG Rn. 92. 66 Fluck, Gentechnikgesetz, 1996, § 21 Rn. 102. 67 So Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 21 Rn. 11; Fluck, Gentechnik-

gesetz, 1996, § 21 Rn. 102. 68 Fluck, Gentechnikgesetz, 1996 § 21 Rn. 103.

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tragsunterlagen enthalten waren.69 Denn nach Sinn und Zweck soll die Anzeige-pflicht gewährleisten, daß die Behörde nicht nur aus eigener Kraft über den Stand der Wissenschaft informiert ist, sondern durch den Betreiber über relevante Er-kenntnisänderungen unterrichtet wird.70 Im übrigen hat der Betreiber diese neuen Informationen ohnehin im Rahmen seiner Verpflichtung, die Risikobewertung an den Stand der Wissenschaft anzupassen, zu berücksichtigen. So gesehen markiert die Anzeigepflicht den Einstieg in eine an dem einzelnen Vorhaben orientierte Risikokommunikation zwischen Betreiber und Behörde, an deren Ende allerdings auch Maßnahmen einer behördlichen Risikokontrolle stehen können.

5.5.3. Ergebnisse von Freisetzungen

Schließlich hat der Betreiber nach Abschluß einer Freisetzung dem Robert-Koch-Institut als zuständiger Genehmigungsbehörde die Ergebnisse der Freisetzung im Zusammenhang mit der Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Umwelt anzuzeigen.71 Dabei ist ein geplantes Inverkehrbringen besonders zu berücksich-tigen, § 21 Abs. 4 GenTG. Mitzuteilen sind sowohl bestätigende als auch poten-tielle Gefährdungen ausschließende Informationen.72 Diese Anzeigepflicht kann eine Rückkoppelung der Freisetzungsergebnisse in die laufende Geneh-migungspraxis ermöglichen und kann insofern als potentielles Instrument einer dynamischen Risikokontrolle angesehen werden.

Die Verletzung der drei hier aufgeführten Anzeigepflichten ist nach § 38 Abs. 1 Nr. 9 GenTG bußgeldbewehrt.

5.5.4. Bewertung

Die dargestellten Anzeigepflichten über - Verdachtsstörfälle - neue vorhabensrelevante Informationen und - Freisetzungsergebnisse

69 Anderer Auffassung: Fluck, Gentechnikgesetz, 1996, § 21 Rn. 103. 70 Entsprechendes ergibt sich aus den umzusetzenden EG-Richtlinien: Art. 12 Abs. 1 EG-

System-Richtlinie (90/219/EWG) und Art. 5 Nr. 6 b) und Art. 11 Abs. 6, Spiegelstrich 2 EG-Freisetzungs-Richtlinie (90/220/EWG). Zur unzureichenden Umsetzung von Art. 5 Nr. 6 vgl. Mahnschreiben der Kommission vom 6.8.1992 - SG (92) D/10908 - Ziff. 10 sowie die Stellungnahme der Bundesregierung vom 7.10.1992; zum Ganzen vgl. auch Führ, DVBl. 1991, S. 566.

71 Umgesetzt wird damit Art. 8 der EG-Freisetzungs-Richtlinie. 72 Fluck, Gentechnikgesetz, 1996, § 21 Rn. 96.

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haben die Funktion, wenngleich in unterschiedlicher Weise, eine ausreichende Information der Behörde durch den Betreiber über vorhabensrelevante Risiken zu gewährleisten. In erster Linie dürfte die Meldepflicht daher als ein Instrument der Risikokontrolle einzustufen sein. Ebenfalls der Risikokontrolle dient die Anzei-gepflicht neuer Informationen, da die Behörde auf diese Weise die Wahrnehmung der Anpassungspflicht der Risikobewertung an den Stand der Wissenschaft prü-fen kann. Andererseits erweitert diese Informationspflicht aber auch die allgemei-ne Wissensbasis der Behörde und könnte gleichzeitig zum Einstieg in eine kriti-sche Kommunikation zwischen Betreiber und Behörde über eine vorhabensrele-vante Bewertung dieser neuen Informationen führen.

Informationen über die Ergebnisse von Freisetzungen erweitern die Wissens-basis der Genehmigungsbehörde für zukünftige Genehmigungsverfahren gerade im Bereich ungewißheitsbasierter Vorsorge, in dem das Generieren von Wissen besondere Bedeutung hat. Die übrigen Meldepflichten scheinen aber in der Praxis - jedenfalls bei Arbeiten im Geschlossenen System - kaum eine Relevanz zu ha-ben. Nachträgliche Informationen werden nämlich so gut wie nicht angezeigt.73 Dies könnte unter anderem in der der Meldepflicht inhärenten Ambivalenz zwi-schen Risikokontroll- und Risikokommunikationsinstrument liegen, die den Betreiber möglicherweise ordnungsbehördliche Nachteile befürchten läßt.

5.6. Nachträgliche Eingriffsbefugnisse

Die zuständigen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden haben zur Durchführung des Gentechnikgesetzes und seiner Verordnungen nachträgliche Eingriffs- und Überwachungsbefugnisse.

5.6.1. Nachträgliche Auflagen

Die Genehmigungsbehörde hat die Möglichkeit, bestehende Erlaubnisse auch durch nachträgliche Auflagen zu ändern, § 19 Satz 3 GenTG. Entsprechendes gilt für das Anmeldeverfahren, § 12 Abs. 10 i.V.m. § 19 Satz 3 GenTG. Der Gesetz-geber hat diese den Bestandsschutz einer Genehmigung beschränkende Regelung ausdrücklich damit begründet, daß

"für gentechnische Arbeiten und Freisetzungen sowie das Inverkehrbringen gen-technisch veränderter Organismen noch keine abschließenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen vorliegen".74

73 Vgl. unten, Kap. 7.6.2. 74 Abgedruckt bei Eberbach et al., Gentechnikrecht, 1996, § 19 Rn. 4.

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Die Genehmigungsbehörde müsse die Möglichkeit haben, auch nachträglich die durch die fortschreitende Entwicklung der Wissenschaft und Technik oder durch neuere Erfahrungen gebotenen Auflagen festzusetzen. Im Wege der Anordnung nachträglicher Auflagen kann die Genehmigungsbehörde demnach auf neue wis-senschaftliche Erkenntnisse reagieren, die Entwicklung neuer, verbesserter Ver-fahren und Sicherheitsvorkehrungen anordnen und Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse berücksichtigen.75

5.6.2. Widerruf, Rücknahme und Einstellung

Als ultima ratio kann die Genehmigungsbehörde die Genehmigung nach den Re-geln des Verwaltungsverfahrensrechts widerrufen oder zurücknehmen, wenn sich herausstellt, daß die Genehmigungsvoraussetzungen von Anfang an nicht bestan-den haben oder nachträglich weggefallen sind. Demgegenüber ist die Anordnung einer einstweiligen Einstellung der Tätigkeit ein milderes Mittel, denn sie gibt dem Betreiber die Möglichkeit, die Voraussetzungen für eine Fortführung seines Vorhabens zu schaffen, § 20 Abs. 1 GenTG.76 Für das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) kann, wenn der begründete Ver-dacht besteht, daß die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen nicht vorliegen, das Robert-Koch-Institut das Ruhen der Genehmigung bis zur Entscheidung der EG-Kommission bzw. des Rates anordnen, § 20 Abs. 2 GenTG.

5.6.3. Untersagung

Die nach Landesrecht zuständigen Überwachungsbehörden können den Betrieb einer gentechnischen Anlage, gentechnische Arbeiten, eine Freisetzung oder ein Inverkehrbringen ganz oder teilweise untersagen, § 26 Abs. 1 Satz 2 GenTG.77 Eine solche Untersagungsverfügung kann beispielsweise ergehen, wenn - gegen Nebenbestimmungen oder nachträgliche Auflagen nach § 19 verstoßen

wird (Satz 2 Nr. 3) oder - die vorhandenen sicherheitsrelevanten Einrichtungen und Vorkehrungen nicht

oder nicht mehr ausreichen (Satz 2 Nr. 4).

75 So Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 19 Rn. 18. 76 Vgl. die amtliche Begründung, abgedruckt bei Eberbach et al., Gentechnikrecht, 1996,

§ 20 Rn. 2. 77 Zur Abgrenzung zwischen Überwachungskompetenzen und nachträglichen Eingriffsbe-

fugnissen der Genehmigungsbehörde bei Freisetzungen vgl. Roller/Jülich, ZUR 1996, S. 74ff.

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Die letzte Alternative flankiert die Verpflichtung des Betreibers zur dynamischen Anpassung seiner Vorkehrungen an den Stand der Wissenschaft nach § 6 Abs. 1 GenTG. Weitere Befugnisse ergeben sich aus § 26 Abs. 2 und 3 GenTG. Die zuständigen Behörden haben gegenüber den Betreibern die Befugnis, die Ein-haltung der Betreiberpflichten zu überwachen.

5.6.4. Bewertung

Optimistisch formuliert können nachträgliche Eingriffsbefugnisse der Überwa-chungsbehörde gegenüber dem Betreiber präventive Wirkungen entfalten, vor-ausgesetzt die Überwachungsbehörde ist prinzipiell bereit, ihre rechtlichen Be-fugnisse unter den gesetzlichen Voraussetzungen auch tatsächlich anzuwenden. Das Gentechnikgesetz hat mit den Instrumenten der nachträglichen Anordnungen und Auflagen die klassischen ordnungsrechtlichen Instrumente übernommen, die bereits aus dem Gewerberecht bekannt sind. Daher ist zu befürchten, daß auch die rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten, die bei der Umsetzung nach-träglicher Anforderungen an bestehende Anlagen, namentlich im Immissions-schutzrecht und im Atomrecht, bestehen, mitübertragen werden. Gegen die im Grundsatz statische Genehmigung vermögen sich die 'dynamischen' Eingriffsin-strumente nur schwer durchzusetzen. Dies gilt um so mehr, je 'unsicherer' die Erkenntnisfortschritte sind. Im Bereich der Risikovorsorge wirkt allgemein der Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit nachträglicher Auflagen als Korrektiv gegen übermäßige Dynamisierungsbemühungen. Zur sogenannten 'Restrisikominimie-rung' sollen nachträgliche Auflagen nach verbreiteter Ansicht ganz ausscheiden.78

Auch wenn bei der gentechnischen Forschung - zumindest im Laborbereich - die Vollzugsdichte (noch) relativ hoch ist, so können diese Instrumente allenfalls im Bereich der erkannten Risiken ('Prevention') wirken, bzw. dann, wenn ein neues Risiko (das vorher nicht bekannt war) erkannt wird. Zur Generierung neuen Wissens selbst ('Precaution') vermögen sie jedoch nichts beizutragen. Auch sto-ßen die Überwachungsmöglichkeiten der Behörden auf tatsächliche Grenzen.79

Die in anderen Bereichen des Umweltrechts diskutierte Frage der Dynamisie-rung der Genehmigungsentscheidung durch eine Befristung der Genehmigung80 stellt sich in dieser Form jedoch im Bereich gentechnischer Forschung nicht, da Freisetzungsvorhaben ohnehin auf eine bestimmte Dauer angelegt sind. Für La-borforschung gilt dies in ähnlichem Maße. Insoweit vermag eine dynamisierte

78 Für das Atomrecht vgl. Roller, Genehmigungsaufhebung, 1994, S. 79, 115ff. 79 Vgl. im einzelnen unten, Kap. 7.3.4. 80 Grundsätzlich: Wickel, Bestandsschutz, 1996, S. 278ff.

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Risikobewertungspflicht, wie sie in § 6 Abs. 1 S. 1 GenTG enthalten ist, mehr zu bringen als eine pauschale zeitliche Befristung.

5.7. Zentrale Kommission für biologische Sicherheit81

Mit der Einrichtung der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) wollte der Gesetzgeber den für die

"Bewertung von gentechnischen Arbeiten im geschlossenen System, Freisetzungen und des Inverkehrbringens gentechnisch hergestellter Organismen und Produkte spezifisch erforderlichen Sachverstand institutionalisieren".82

5.7.1. Aufgaben

Die ZKBS hat nach § 5 Satz 1 GenTG - sicherheitsrelevante Fragen nach den Vorschriften des GenTG zu prüfen und

zu bewerten, - hierzu Empfehlungen zu geben und - die Bundesregierung und die Länder in sicherheitsrelevanten Fragen der Gen-

technik zu beraten. Weiterhin ist Aufgabe der ZKBS, jährlich der Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit zu berichten, § 5 Satz 3 GenTG.

Die Aufgaben der ZKBS im Zusammenhang mit der Bearbeitung sicherheits-relevanter Fragen konzentrieren sich vor allem auf - Stellungnahmen im Rahmen der Anhörung zum Erlaß von Rechtsverordnun-

gen83 und Verwaltungsvorschriften84, - Stellungnahmen im Rahmen von Genehmigungs- und Anmeldeverfahren zur

sicherheitstechnischen Einstufung der vorgesehenen Arbeiten und zu den er-forderlichen Sicherheitsmaßnahmen85,

- Prüfung und Bewertung von Freisetzungsanträgen sowie Abgabe entspre-chender Empfehlungen zu möglichen Gefahren unter Berücksichtigung der ge-planten Sicherheitsmaßnahmen, § 16 Abs. 5 GenTG.

81 Vgl. unten, Kap. 7.3. 82 Amtliche Begründung, abgedruckt in Eberbach et al., Gentechnikrecht, 1996, GenTG, § 5

Rn. 1. 83 Nach § 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 14 Abs. 4, § 18 Abs. 2 Satz 2 und § 30 GenTG. 84 Nach § 30 Abs. 5 GenTG. 85 § 11 Abs. 8, § 12 Abs. 5 GenTG.

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Bei ihren Empfehlungen soll die ZKBS auch den Stand der internationalen Ent-wicklung auf dem Gebiet der gentechnischen Sicherheit angemessen berücksich-tigen, § 5 Satz 2 GenTG.

Wenn die ZKBS als Beratungsgremium bei der Verordnungsgebung tätig wird, sind ihre Stellungnahmen für die Behörden unverbindlich. Gleichwohl hat die Kommission in der Praxis einen großen, vor allem auch die Rechtsanwendung vereinheitlichenden Einfluß.86 Tatsächlich kann davon gesprochen werden, daß die Stellungnahmen und Empfehlungen der ZKBS eine faktische Bindungswir-kung haben87, auch wenn eine rechtliche Bindung an die Empfehlungen der ZKBS nicht besteht.

Insbesondere im Genehmigungs- und Anmeldeverfahren geht das GenTG von dem Regelfall aus, daß die zuständigen Genehmigungsbehörden der Stel-lungnahme der ZKBS folgen werden. Zwar ist ausdrücklich nur geregelt, daß die Behörde die Stellungnahme der ZKBS bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen hat, § 11 Abs. 8 Satz 2, § 12 Abs. 5, § 16 Abs. 5 GenTG, aber sie hat, wenn sie von dieser Empfehlung abweichen will, ihre Gründe schriftlich darzulegen, § 11 Abs. 8 Satz 3 GenTG. Auf diese Weise wird ein Begründungszwang erzeugt, mit dem die von dem Votum der ZKBS abweichende Behörde in einen wissenschaft-lichen Diskurs eingebunden wird.88 In der Praxis kommt es freilich selten vor, daß die Behörde von einem Votum der ZKBS abweicht oder überhaupt in einen entsprechenden Diskurs eintritt, da dies behördliche Ressourcen erfordern würde, die in der Regel nicht zur Verfügung stehen.89

Erheblichen Einfluß hat die ZKBS auch im Zusammenhang mit der Einstufung gentechnischer Arbeiten in die verschiedenen Sicherheitsstufen nach § 7 Abs. 1 GenTG. Diese Einstufung erfolgt anhand des Risikopotentials der gentechnischen Arbeiten, das wiederum durch die Eigenschaften der Empfänger- und Spenderor-ganismen, der Vektoren sowie des gentechnisch veränderten Organismus be-

86 Vgl. etwa Di Fabio, Gentechnikgesetz, 1993, § 5 Rn. 15; Hirsch/Schmidt-Didczuhn,

Gentechnikgesetz, 1991, § 5 Rn. 5; Eberbach/Ferdinand, Gentechniksicherheitsverord-nung, 1996, § 6 Rn. 66, 69f.

87 Di Fabio, Gentechnikgesetz, 1993, § 5 Rn. 16 für das Anmelde- und Genehmigungsver-fahren.

88 Vgl. Di Fabio, Gentechnikgesetz, 1993, § 5 Rn. 16ff. mit Hinweisen auf das Arzneimit-telrecht; Breuer, Ansätze, 1991, S. 58.

89 Bisher hat sich die ZKBS vor allem über eine Abweichung von ihren Empfehlungen (durch die zuständige Behörde des Landes Hamburg) beklagt (vgl. unten, Kap. 7, Fn. 30). Ein in Ansätzen erkennbarer Versuch in diese Richtung stellt auch die Stellungnahme des Landes Hessen in einem Freisetzungsgenehmigungsverfahren gentechnisch veränderter Pflanzen dar. Hierbei ging es jedoch um eine Landesstellungnahme im Rahmen des § 16 Abs. 4 S. 2 GenTG. Vgl. außerdem den Beschluß des VG Berlin vom 20.1.1995, abgedruckt in Eber-bach et al., Entscheidungssammlung, 1996, Nr.1 zu § 5 GenTG.

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stimmt ist, § 7 Abs. 1 Satz 2 GenTG i.V.m. §§ 4ff. GenTSV. Für diese Risikobe-wertung legt die GenTSV i.V.m. mit Anhang I nähere Kriterien fest.

So ergibt sich aus § 6 Abs. 2 Satz 1 GenTSV das bei gentechnischen Arbeiten zu Forschungszwecken für eine solche Risikobewertung zu beachtende Gefähr-dungspotential von Spender- und Empfängerorganismus aus der Zuordnung der Organismen zu den Risikogruppen 1 bis 4 anhand der in Anhang I Teil B Nr. 1 genannten Kriterien, soweit diese nach dem Stand der Wissenschaft im Einzelfall von Bedeutung sind. Allerdings können diese Bewertungen auch in Listen zu-sammengefaßt werden. Nach § 5 Abs. 6 GenTSV veröffentlicht das Bundes-ministerium für Gesundheit nach Anhörung der ZKBS regelmäßig Listen von Organismen, in denen diese den Risikogruppen nach den allgemeinen Kriterien zugeordnet sind.

Große Bedeutung für die Risikobewertung des gentechnisch veränderten Or-ganismus haben die anzuwendenden biologischen Sicherheitsmaßnahmen nach § 6 GenTSV. Bei Anwendung derartiger Sicherheitsmaßnahmen kann das an sich ermittelte Gefährdungspotential prinzipiell niedriger bewertet werden, § 5 Abs. 5 GenTSV. Biologische Sicherheitsmaßnahmen werden zunächst durch die GenTSV formuliert, § 6 GenTSV i.V.m. Anhang II. Im übrigen können neue biologische Sicherheitsmaßnahmen durch die ZKBS im Rahmen von Genehmi-gungs- und Anmeldeverfahren anerkannt werden, § 6 Abs. 3 GentSV. Soweit der Antragsteller nicht widerspricht, kann die ZKBS neu anerkannte biologische Si-cherheitsmaßnahmen auch regelmäßig öffentlich im Bundesgesundheitsblatt be-kanntgeben, § 6 Abs. 3 Satz 2 GenTSV. Ein Widerspruch des Betreibers hindert eine derartige Veröffentlichung nur für einen Zeitraum von drei Jahren, § 6 Abs. 3 Satz 3 GenTSV.

Ferner veröffentlicht die ZKBS nach der Novelle des Gentechnikgesetzes im Jahr 1993 "allgemeine Stellungnahmen" zu häufig durchgeführten gentechnischen Arbeiten, mit den jeweils zugrunde liegenden Kriterien der Vergleichbarkeit, § 11 Abs. 6a GenTG. Im Rahmen ihrer Aufgabe, Empfehlungen nach § 5 Satz 1 GenTG, § 1 Abs. 1 ZKBSV zu erlassen, kann die ZKBS allgemeine Sicherheits-standards für das Gentechnikrecht formulieren.90 Auf diese Weise gewinnen die Stellungnahmen in ihrer verallgemeinerten Form die Bedeutung faktischer Stan-dards, die bei der Genehmigungs- und Überwachungspraxis zu beachten sind.

90 Vgl. auch Eberbach/Ferdinand, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, § 6 Rn. 70, 80.

Die bisherigen Empfehlungen der ZKBS sind abgedruckt in Eberbach et al., Gentech-nikrecht, 1996, Teil G.

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5.7.2. Zusammensetzung

Entsprechend diesen Aufgaben soll die Kommission mit Sachverständigen be-setzt sein, die über besondere und möglichst auch internationale Erfahrungen in den Bereichen Mikrobiologie, Zellbiologie, Virologie, Genetik, Hygiene, Ökolo-gie und Sicherheitstechnik verfügen, § 4 Abs. 1 Nr. 1 GenTG. Weiterhin sollen fachkundige Personen aus den Bereichen der Gewerkschaften, des Arbeitsschut-zes, der Wirtschaft, des Umweltschutzes und der forschungsfördernden Organisa-tionen benannt werden.91

Berufen werden die sachverständigen Mitglieder auf Vorschlag des Wissen-schaftsrates durch das zuständige Ministerium im Einvernehmen mit anderen Fachministern sowie im Benehmen mit den Landesregierungen, vgl. § 4 Abs. 2 GenTG i.V.m. § 2 Abs. 1 ZBKSV.92 Die Kommission ist dem Robert-Koch-Institut zugeordnet, § 4 Abs. 1 Satz 1 GenTG. Ihre Mitglieder sind kraft Gesetz unabhängig und nicht an Weisungen gebunden, § 4 Abs. 3 Satz 1 GenTG. Für ihre praktische Arbeit kann die ZKBS im übrigen auch Sachverständige hören, Gutachten beiziehen, Untersuchungen durch Dritte vornehmen lassen oder ein-zelne Mitglieder mit besonderen Aufgaben betrauen, § 7 ZKBSV.

5.7.3. Bewertung

In Anbetracht des großen Einflusses der ZKBS auf Normsetzung und Rechts-anwendung im Einzelfall gewinnen die Zusammensetzung der Kommission sowie das Verfahren, in dem die Stellungnahmen und Empfehlungen zustande kommen, an Gewicht.

Kritisch ist die Zusammensetzung der ZKBS unter dem Gesichtspunkt einer ausreichende "Intention auf Gemeinwohlrichtigkeit" gewürdigt worden.93 Ist der Gesetzgeber wegen der Komplexität der Risikofaktoren nicht in der Lage, selbst die umweltrechtlichen Standards vorzugeben, unter denen Umwelt- und Gesund-heitsbelastungen hinzunehmen sind, dann muß der Gesetzgeber wenigstens "Or-ganisation und Ablauf des Normerzeugungsprozesses unter dem Gesichtspunkt optimaler Grundrechtsberücksichtigung entwerfen".94 Er muß insbesondere selbst Sorge dafür tragen, daß "die im Sinne der Gemeinwohlintention produktiven Prinzipien der Gegenmachtbildung, der Erkenntnisförderung durch Kontrastin-

91 Vgl. unten, Kap. 7.2, Fn. 25. 92 Verordnung über die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBSV) vom

30.10.1990, BGBl. I S. 2418. 93 Denninger, Verfassungsrechtliche, 1990, Rz. 115, 149, 171; Vgl. Bizer, Expertengremien,

1991, S. 46f.; Führ, IUR 1992, S. 203. 94 Denninger, Verfassungsrechtliche, Rz. 149.

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formation und des Minderheitenschutzes im Normsetzungsverfahren ausreichende Berücksichtigung finden".95 Unter diesem Gesichtspunkt ist insbesondere die schwache Beteiligung des Umweltschutzes kritisch zu würdigen (ein Vertreter), der noch nicht einmal zwingend von den Umwelt- und Naturschutzverbänden vorgeschlagen werden muß.96 Als eine weitere faktische Hürde hat sich erwiesen, daß die Tätigkeit in der ZKBS ehrenamtlich ist, § 3 Abs. 1 ZKBSV. Vorausge-setzt wird demnach, daß die Mitglieder der Kommission von ihrem jeweiligen Arbeitgeber für die Tätigkeit in der ZKBS freigestellt werden, was für Vertreter altruistischer Interessen wie dem Umweltschutz mit ganz anderen Schwierigkei-ten verbunden ist als für einen in der Industrie oder an einer Universität beschäf-tigten Wissenschaftler.97

Das Übergewicht von zehn Sachverständigen aus unterschiedlichen Fachdis-ziplinen kann sich prinzipiell vor seiner Funktion als Einrichtung zur fachwis-senschaftlichen Bewertung gentechnischer Sicherheitsfragen rechtfertigen. Soll der Stand der Wissenschaft Niederschlag in den Bewertungen der ZKBS finden, dann ist eine Implementation der 'vordersten Front' der wissenschaftlichen Er-kenntnis in die Arbeit der Kommission, sei es durch Ernennung von an der gen-technischen Forschung beteiligten Sachverständigen oder zusätzlichen Gutach-tern, unausweichlich. Gleichzeitig liegt gerade für den Forschungsbereich in einer derartigen Verzahnung von Kenntnis aus eigener Forschung und notwendiger Distanz und Unabhängigkeit das eigentliche Regelungsdilemma.

In der Wissenschaft wird dieses generelle Problem normalerweise dadurch ge-lindert, daß nur veröffentlichte und damit diskursfähige und nachprüfbare Er-kenntnisse anerkannt werden. Demgegenüber sind jedoch die Mitglieder der ZKBS zur Vertraulichkeit verpflichtet, § 4 Abs. 3 Satz 2 GenTG, insbesondere haben die Teilnehmer an Sitzungen der ZKBS über deren Inhalt Verschwiegen-heit zu wahren, § 10 Abs. 5 ZKBS. Auf diese Weise wird ein Wissens- und Er-fahrungsaustausch zwischen Kommissionsmitgliedern und anderen Wissen-schaftlern praktisch untersagt.98 Vor allem aber fehlt es an der für eine wissen-

95 Denninger, Verfassungsrechtliche, Rz. 179. Das BVerfG hat für die Zusammensetzung

eines anderen Bewertungsgremiums, nämlich der Prüfstelle für jugendgefährdende Schrif-ten gefordert, "daß die in den beteiligten Kreisen vertretenen Auffassungen zumindest ten-denziell vollständig erfaßt werden", EuGRZ 1991, S. 33ff. (38).

96 Derzeit (1997) ist in der Tat kein Vertreter der Umweltverbände in der ZKBS. 97 Zu den erfolglosen Versuchen, diese Situation für die Vertreter des Umweltschutzes zu

beheben, Führ, IUR 1992, S. 203. In diesem Zusammenhang sind auch die Fristen zur Ab-gabe einer Stellungnahme nach § 14 ZKBSV von in der Regel 6 Wochen als kaum reali-sierbar für Vertreter von vorwiegend auf ehrenamtlicher Basis arbeitenden Umwelt-verbänden einzuschätzen, sofern diesen nicht die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden.

98 Führ, IUR 1992, S. 203.

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schaftliche Bewertung erforderlichen Transparenz des Verfahrens und der Ar-gumente.

Gleichwohl enthält die ZKBSV durchaus auch Vorschriften, die zumindest be-grenzt eine Öffentlichkeit der Kommissionsergebnisse sicherstellen können. Ne-ben dem jährlichen Tätigkeitsbericht der ZKBS nach § 5 Satz 3 GenTG, § 15 Abs. 1 ZKBSV, kann die ZKBS der Öffentlichkeit auch sonst

"in geeigneter Weise über Stellungnahmen von allgemeiner Bedeutung berichten, jedoch nicht vor Abschluß des jeweiligen Verfahrens nach dem Gentechnikgesetz" (§ 15 Abs. 2 ZKBSV).

Ansonsten können nur die beteiligten Behörden, gegebenenfalls auch die Antrag-steller, an der Risikokommunikation innerhalb der ZKBS partizipieren. Der Bun-desgesundheitsminister sowie die zuständigen obersten Landesbehörden haben das Recht, zu den Sitzungen der Kommission, ihrer Ausschüsse und Arbeitskreise Vertreter zu entsenden, § 4 Abs. 1 ZKBSV. Auf Beschluß der ZKBS können weiterhin der Antragsteller und von ihm beauftragte Sachverständige zum münd-lichen Vortrag vor der Kommission zugelassen werden, § 4 Abs. 2 ZKBSV.

Ziel dieser Bestimmungen ist es offenbar, zwar einerseits ein gewisses Maß an öffentlicher Legitimation für die ZKBS-Entscheidungen sicherzustellen, anderer-seits aber die Beratungen selbst vor einer Einflußnahme durch die Öffentlichkeit abzuschirmen. Dabei geht es wohl kaum um die Geheimhaltung wissenschaftli-cher Detailinformationen aus Konkurrenzgründen - denn dies wäre auch anders sicherzustellen gewesen. Beim Recombinant DNA Advisory Committee (RAC) in den USA zum Beispiel, das dort eine der ZKBS vergleichbare Funktion erfüllt, hat die Öffentlichkeit ein Teilnahme-, Rede- und Initiativrecht. Wichtige Anträge, Beschlüsse und die Wortprotokolle der Sitzungen werden regelmäßig veröffent-licht. Nur wenn der Antragsteller dies ausdrücklich verlangt, werden speziellere Aspekte in geheimen Unterlagen vom öffentlichen Verfahren abgetrennt und hinter verschlossenen Türen verhandelt.

Die ZKBS entscheidet über ihre Ergebnisse durch Mehrheitsbeschluß. Über-stimmte Mitglieder der Kommission können verlangen, daß ein Minderheiten-votum bei der Veröffentlichung oder Weiterleitung von Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht wird, näher § 11 Abs. 3 ZKBSV. Ergebnisse der Sitzungen der ZKBS und ihre Begründungen sowie das Stimmenverhältnis sind im Sit-zungsprotokoll niederzulegen, § 12 Abs. 1 ZKBSV. Das Sitzungsprotokoll erhal-ten die Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder, die zuständigen Bundes- und Landesministerien auf Anforderung. Die zuständige Behörde erhält nur Auszüge aus dem Sitzungsprotokoll, soweit der Antragsteller oder der Anmelder sowie von diesem beauftragte Sachverständige angehört worden sind, § 12 Abs. 4 ZKBSV.

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Immerhin hat die ZKBS die Möglichkeit, eine eingeschränkte eigene Risiko-forschung zu initiieren, denn nach § 7 kann sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben auch Untersuchungen durch Dritte veranlassen.

5.8. Behördlicher Informationsaustausch

Neben dem Informationsaustausch zwischen den Genehmigungs- und Überwa-chungsbehörden und der ZKBS, der rechtlich wesentlich über die Stellungnahmen der ZKBS zu einzelnen Antragsverfahren sowie die allgemeinen Empfehlungen und Stellungnahmen läuft, hat das Gentechnikgesetz noch einen weiteren Infor-mationsstrang zwischen den Behörden organisiert, der über das Robert-Koch-Institut99 abgewickelt wird.

Das Robert-Koch-Institut ist zuständig und berechtigt, Daten über gentechni-sche Anlagen und Arbeiten, Freisetzungen und Inverkehrbringen zum Zweck der Beobachtung, Sammlung und Auswertung sicherheitsrelevanter Sachverhalte zu verarbeiten und zu nutzen, § 29 Abs. 1 Satz 1 GenTG. Diese Informationen erhält das Robert-Koch-Institut von den zuständigen Behörden, die verpflichtet sind, es unverzüglich über - die im Vollzug getroffenen Entscheidungen zu unterrichten, - sicherheitsrelevante Erkenntnisse, - die ihnen angezeigten oder im Rahmen der Überwachung bekanntgewordenen

sicherheitsrelevanten Vorkommnisse, - Zuwiderhandlungen oder einen Verdacht auf Zuwiderhandlungen gegen

Rechtsvorschriften des GenTG oder gentechnikrechtlicher Rechtsverordnungen sowie gegen Auflagen oder angeordnete Maßnahmen.

zu unterrichten, soweit gentechnische Arbeiten, Freisetzungen oder Inverkehr-bringen berührt sind, § 28 Abs. 1 GenTG. Umgekehrt gibt das Robert-Koch-Institut seine Erkenntnisse, soweit sie für den Gesetzesvollzug von Bedeutung sein können, den zuständigen Behörden bekannt, § 28 Abs. 2 GenTG.

Das Robert-Koch-Institut kann den zuständigen Behörden zur Verwendung im Rahmen von Anmelde- und Genehmigungsverfahren auch Daten über Stel-lungnahmen der ZKBS zur Sicherheitseinstufung und zu Sicherheitsmaßnahmen gentechnischer Arbeiten sowie über die von den Behörden getroffenen Maßnah-men übermitteln, § 29 Abs. 1 Satz 2 GenTG. Allerdings dürfen die Empfänger diese Daten nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie übermittelt wurden, § 29 Abs. 1 Satz 3 GenTG.

99 Heute das Robert-Koch-Institut als Nachfolgeeinrichtung des Bundesgesundheitsamtes.

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5.9. Innerbetriebliche Verantwortlichkeit

Ein bewußterer Umgang mit Risiken kann schließlich auch dadurch erreicht wer-den, daß einzelne Personen für die Risikobewertung und -minimierung innerbe-trieblich ausdrücklich verantwortlich gemacht werden. Die Beobachtung spezifi-scher Sicherheitsinteressen kann gesonderten Beauftragten mit eigenen Kontroll- und Überwachungskompetenzen übertragen werden. Das Gentechnikgesetz folgt einem solchen Konzept, indem es Sicherheit durch die Zuweisung von Verant-wortung an bestimmte Personen zu gewährleisten sucht.100 Der Betreiber ist ver-pflichtet, einen Projektleiter sowie einen Betriebsbeauftragten für Biologische Sicherheit (BBS) zu bestellen und diesen definierte Aufgaben und Kompetenzen zuzuweisen. Während also der Betreiber die Außenverantwortung gegenüber der Überwachungsbehörde wahrnimmt, sind Projektleiter und BBS innerhalb des Betriebes für die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen verantwortlich. Eine entsprechende innerbetriebliche Abschichtung der Verantwortlichkeiten besteht beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte nach dem GenTG jedoch nicht.

5.9.1. Projektleiter

Projektleiter ist "eine Person, die im Rahmen ihrer beruflichen Obliegenheiten die unmittelbare Pla-nung, Leitung und Beaufsichtigung der gentechnischen Arbeiten oder Freisetzungen durchführt", § 3 Nr. 10 GenTG.

Verantwortlich ist der Projektleiter für die Beachtung der gesamten Sicherheits- und Schutzvorschriften, die im einzelnen in den §§ 8 bis 14 GenTSV101 geregelt sind, sowie darüber hinaus für die Einhaltung der seuchen,- tierseuchen-, arten-schutz- und pflanzenschutzrechtlichen Vorschriften. Weiterhin ist der Projekt-leiter gegenüber der zuständigen Behörde verpflichtet, auf deren Verlangen die zur Überwachung erforderlichen Auskünfte unverzüglich zu erteilen, § 25 Abs. 2 GenTG.

100 Eberbach, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, vor § 14 Rn. 6f., spricht von "perso-

nellen Sicherheitsmaßnahmen", die die technischen, nämlich die biologischen und die phy-sikalischen bzw. chemischen Maßnahmen ergänzen.

101 Die genannten Schutzvorschriften der GenTSV umfassen die Allgemeine Schutzpflicht, Arbeitssicherheitsmaßnahmen, die technische und organisatorische Sicherheit im Labor- und Produktionsbereich sowie in Gewächshäusern und Tierhaltungsräumen, und die An-forderungen an die Abwasser- und Abfallbehandlung.

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Die besondere Stellung des Projektleiters als dem innerbetrieblich Verant-wortlichen ergibt sich auch daraus, daß der Projektleiter in den Antragsunterlagen gentechnischer Vorhaben namentlich mit Nachweis seiner Sachkunde zu benen-nen ist, § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, § 12 Abs. 2, § 15 Abs. 1 GenTG. Weiterhin hat der Betreiber jede Änderung in der Beauftragung des Projektleiters der zuständi-gen Behörde vorher anzuzeigen; bei einer unvorhergesehenen Änderung hat dies unverzüglich zu geschehen, § 21 Abs. 1 GenTG.

Der Projektleiter muß die erforderliche Sachkunde nachweisen, nämlich "Kenntnisse insbesondere in klassischer und molekularer Genetik und praktische Er-fahrungen im Umgang mit Mikroorganismen, Pflanzen oder Tieren und die erfor-derlichen Kenntnisse über Sicherheitsmaßnahmen und Arbeitsschutz bei gentechni-schen Arbeiten besitzen", § 15 Abs. 1 Satz 1 GenTSV.

Der Projektleiter muß darüber hinaus die notwendige Zuverlässigkeit aufwei-sen.102 Die Anforderung der Zuverlässigkeit ergibt sich unmittelbar aus dem Ge-setz sowie aus der Berechtigung des Robert-Koch-Instituts, personenbezogene Daten zu verarbeiten und zu nutzen, soweit dies für die Beurteilung des Projekt-leiters erforderlich ist, § 29 Abs. 3 GenTG. An der erforderlichen Zuverlässigkeit kann es vor allem mangeln, wenn der Projektleiter bereits in der Vergangenheit gentechnikrechtliche Vorschriften verletzt hat.103

5.9.2. Betriebsbeauftragter für Biologische Sicherheit

Während die Funktion des Projektleiters in der innerbetrieblichen Wahrnehmung der Betreiberpflichten besteht, soll der Betriebsbeauftragte für die Biologische Sicherheit (BBS) die Aufgabenerfüllung des Projektleiters überprüfen und den Betreiber beraten, § 3 Nr. 11 GenTG. Insofern ist der BBS ein internes Kontroll- und Überwachungsinstrument, der die Einhaltung der sicherheitsrechtlichen Be-stimmungen gewährleisten soll. Derartige Beauftragte für die Einhaltung be-stimmter Sicherheitsvorkehrungen sind im übrigen auch in zahlreichen anderen Umweltgesetzen vorgesehen.104

Im Unterschied zum Projektleiter ist der BBS wegen seiner Beratungspflichten auch in Fragen des Arbeitsschutzes nach Anhörung des Betriebs- oder Personal-rats vom Betreiber zu bestellen, § 16 Abs. 1 Satz 1 GenTSV. Jede Änderung der

102 Eberbach, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, § 15 Rn. 113ff.; Hirsch/Schmidt-

Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 13 Rn. 6f.; Ebenso für Freisetzungen § 16 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 GenTG.

103 Eberbach, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, § 15 Rn. 135ff. 104 Zu nennen sind der Gewässerschutzbeauftragte nach § 21 a-f WHG, der Betriebsbeauf-

tragte für Abfall, § 11a-f AbfG, der Immissionsschutzbeauftragte, § 53-58 BImSchG oder der Strahlenschutzbeauftragte nach § 29 StrlSchV.

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Beauftragung des BBS ist der zuständigen Behörde gegenüber vorher anzuzeigen, vgl. § 21 Abs. 1 GenTG. Auch der BBS muß die erforderliche Sachkunde besit-zen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 GenTSV) und zuverlässig sein.105

Aufgabe des BBS ist zunächst eine Kontrolle des Projektleiters. So ist der BBS nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 GenTSV verpflichtet, die Erfüllung der Sicher-heitsaufgaben durch den Projektleiter zu überwachen, insbesondere durch Kon-trolle der gentechnischen Anlagen oder Freisetzungsorte in regelmäßigen Abstän-den, durch Mitteilung festgestellter Mängel und durch Überprüfung der Beseiti-gung dieser Mängel, § 18 Abs. 1 Nr. 1 GenTSV.

Beratungsaufgaben hat der BBS gegenüber dem Betreiber, aber auch gegen-über dem Betriebs- oder Personalrat auf dessen Verlangen sowie gegenüber ver-antwortlichen Betriebsangehörigen, wozu auch der Projektleiter zu zählen ist, § 18 Abs. 1 Nr. 2 GenTSV. Diese hat der BBS umfassend bei sämtlichen Sicher-heitsfragen zu beraten.

Schließlich ist der BBS gegenüber den zuständigen Behörden zur Erteilung der für die Überwachung erforderlichen Auskünfte verpflichtet, § 25 Abs. 2 GenTG. Im Rahmen einer Einsichtnahme in Unterlagen des Betreibers wird die Überwa-chungsbehörde auch den jährlich vom BBS gegenüber dem Betreiber zu erstat-tenden Bericht über die getroffenen und beabsichtigten Maßnahmen einsehen können, § 18 Abs. 2 GenTSV.

Der Betreiber seinerseits ist verpflichtet, den BBS bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen, soweit erforderlich durch Hilfspersonal, Räume, Ein-richtungen, Geräte und Arbeitsmittel sowie eine erforderliche Fortbildung, § 19 Abs. 1 GenTSV. Arbeitsrechtlich ist der BBS lediglich durch ein Benach-teiligungsverbot geschützt, § 19 Abs. 2 GenTSV. Ein besonderer Kündigungs-schutz besteht jedoch nicht. Für den Konfliktfall zwischen BBS und Projektleiter hat der Betreiber dafür zu sorgen, daß der BBS seine Vorschläge und Bedenken unmittelbar der entscheidenden Stelle vortragen kann, wenn er wegen der Bedeu-tung der Sache eine Entscheidung dieser Stelle für erforderlich hält, § 19 Abs. 4 GenTSV.

5.9.3. Bewertung

Die Institutionalisierung des Projektleiters bewirkt die Festlegung einer inner-betrieblichen Verantwortlichkeit und kann dadurch zu einer stärkeren Konzen-tration auf die gesetzlich definierten Sicherheitspflichten führen. Durch die Zu-weisung eindeutiger personaler Verantwortung kann vermieden werden, daß Beobachtungen und anstehende Problemlösungen unberücksichtigt und ungelöst

105 Zur Zuverlässigkeit des BBS gilt dasselbe wie zur Zuverlässigkeit des Projektleiters.

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bleiben. Gleichzeitig wirkt die Festlegung von Verantwortung jedoch nicht nur nach innen, sondern ist rechtlich auch Voraussetzung für die Durchführung gen-technischer Vorhaben gegenüber der Behörde. Allerdings scheint gerade in uni-versitären Forschungseinrichtungen eine ausreichende Sachnähe des gleichwohl rechtlich verantwortlichen Projektleiters durch die vorherrschenden Dele-gationsmechanismen auf untere Hierarchieebenen verwischt zu werden.106

Die Verletzung von rechtlichen Pflichten durch den Projektleiter sind bis auf wenige Ausnahmefälle nicht bußgeld- oder strafbewehrt.107 Jedoch werden sie rechtlich die fehlende Zuverlässigkeit des Projektleiters begründen und können auch haftungs- und arbeitsrechtliche Folgen haben.

Grundsätzlich zu bemängeln ist im Hinblick auf den Fachkundenachweis, daß weder Projektleiter noch der Beauftragte für Biologische Sicherheit grundlegende Kenntnisse in Ökologie nachweisen müssen. Dies wäre für eine angemessene Sicherheitsbewertung aber erforderlich.108 Da in die Sicherheitsstufe 1 durch den Projektleiter und den BBS eine Selbsteinstufung erfolgt, die auch durch die ZKBS nicht mehr überprüft wird, werden bei einem Großteil der Versuche die Sicher-heitseinstufungen derzeit ohne ökologische Fachkenntnisse vorgenommen. In besonderem Maße wirkt sich dieses Defizit bei Freisetzungen aus. Notwendige Wissensbestände werden somit ausgeblendet. Dies wirkt sich notwendigerweise auch negativ auf die laufende Risikokontrolle bei Aufzeichnungen und Meldun-gen aus.

Gleichwohl könnte als Teil eines betriebsinternen Kontrollsystems dem BBS im Rahmen einer Stärkung der Eigenverantwortung des Betreibers eine besondere Bedeutung für ein effizientes Risikomanagement zukommen. In industriellen Einrichtungen hängt die Effektivität derartiger Betriebsbeauftragter zum einen von der persönlichen Durchsetzungsfähigkeit, aber vor allem von der hierar-chischen Verankerung innerhalb des Unternehmens ab. In einigen Unternehmen kommt dem BBS durchaus auch tatsächlich die Stellung zu, die das GenTG ihm einräumt.109 Die faktische Stellung des BBS in den universitären For-schungseinrichtungen ist demgegenüber schwach ausgeprägt und besteht prak-tisch nur auf dem Papier.110 Tatsächliche Verantwortung wird dort, aufgrund der spezifischen Struktur universitärer Forschungsgruppen, eher von Technischen

106 Vgl. unten, Kap. 7.4.f. 107 Z.B. nach § 38 Abs. 1 Nr. 10 i.V.m. § 38 Abs. 2 GenTG nicht, nicht rechtzeitige, nicht

vollständige oder nicht richtige Auskunft gegenüber der Überwachungsbehörde. Sowie auch § 38 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. § 25 Abs. 3 Satz 3 GenTG.

108 Vgl. im einzelnen auch Roller/Tappeser, Handlungsspielräume, 1994, S. 14, 22. 109 Vgl. unten, Kap. 7.4. 110 Vgl. unten, Kap. 7.4.

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Mitarbeitern ('Laborältesten') wahrgenommen. Diesem Umstand trägt das GenTG bislang jedoch nicht Rechnung.

Das Gentechnikgesetz sieht nicht vor, daß sich der BBS bei Rechtsverstößen unmittelbar an die Überwachungsbehörde wenden kann.111 Rechtlich nicht insti-tutionalisiert ist schließlich auch ein offener und beiderseitiger Informa-tionsaustausch zwischen BBS und Überwachungsbehörde. Der BBS ist lediglich zu Auskünften gegenüber der Überwachungsbehörde verpflichtet, wenn diese es verlangt, § 25 Abs. 2 GenTG. Ebensowenig rechtlich institutionalisiert ist ein Erfahrungstransfer zwischen den BBS und der ZKBS; immerhin sind die BBS auch für die Beratung bei der Risikobewertung zuständig. Der Beitrag des BBS ist demnach auf eine rein innerbetriebliche Risikoüberwachung und -kommunikation beschränkt. Es handelt sich somit um eine typische Einrichtung der Selbstkontrolle.

Der Erfolg der Tätigkeit des BBS hängt als Instrument der Selbstkontrolle we-sentlich von der innerbetrieblichen Unterstützung ab. Innerbetrieblich kann der BBS dabei Unterstützung vom Personal- und Betriebsrat erwarten, soweit es um Fragen des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit geht. Für die Wahrung anderer Rechtsgüter wie der Interessen Dritter oder von geschützten Naturgütern fehlen innerbetriebliche Bündnispartner. Hier hängt der innerbetriebliche Stel-lenwert des BBS wesentlich von der Intensität der behördlichen Kontrolle ab, möglicherweise auch vom Erwartungsdruck der Öffentlichkeit. Es zeigt sich,112 daß gerade Unternehmen aus Marketinggesichtspunkten und ökonomischem Ei-geninteresse größeres Gewicht auf ein funktionierendes internes Kontrollsystem legen, als dies bei relativ autonom agierenden universitären Forschungs-einrichtungen der Fall ist.

5.10. Öffentlichkeit

Der Diskurs mit der Öffentlichkeit wurde als ein wesentliches Steuerungsziel unter dem Stichwort der externen Risikokommunikation bereits thematisiert.113 Im folgenden geht es nicht um den Bereich der internen Risikokommunikation innerhalb des Wissenschaftsbetriebs, sondern um die Funktion von Öffentlichkeit im Rahmen der Risikosteuerung gentechnischer Forschung.

111 Anders z.B. der betriebliche Datenschutzbeauftragte, § 37 Abs. 1 Satz 2 BDSG. 112 Unten, Kap. 7.4 und 7.5. 113 Oben, Kap. 4.3.4.

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5.10.1. Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung

Partizipation und Erweiterung von Teilhaberechten wurde in der Vergangenheit als eine Variante der Prozeduralisierung des (Umwelt-)Rechts angesehen. Mit der zunehmenden Abnahme materieller Steuerung durch das Recht und der Zurück-nahme der gerichtlichen Kontrolldichte im Umwelt- und Technikrecht114 geriet das Verfahren zunehmend in den Blickpunkt des Interesses. Durch die Aner-kennung einer auch grundrechtsschützenden Funktion des Verfahrens im Vorfeld von Verwaltungsentscheidungen115 ("vorverlagerter Grundrechtsschutz") ist die klassische Sichtweise der Öffentlichkeitsbeteiligung über die bloße Informations-beschaffungsfunktion für die Verwaltung116 hinaus erweitert worden. Neben der Informationsbeschaffungs- und grundrechtssichernden Funktion werden Beteili-gungs- und Verfahrensrechte zunehmend auch unter einem demokratietheoreti-schen Aspekt als notwendiger Gegenpol zu der Kooperation und Kommunikation zwischen Antragsteller und Behörde gesehen.117 Teilhabe als Kern jeder demo-kratischen Forderung kann danach auch vor einer Einflußnahme auf Verwal-tungsentscheidungen nicht halt machen. Dies gilt um so mehr angesichts einer zunehmenden Verlagerung weitreichender, das Gemeinwesen betreffender Ent-scheidungen auf die Verwaltung, wie sie gerade im Umwelt- und Technikrecht verbreitet ist.118

Neben diesen stärker rechtlich fundierten Funktionen kommen weitere hinzu. Öffentlichkeit dient auch der Akzeptanzgewinnung. Dabei meint Akzeptanz-gewinnung nicht das 'Verkaufen' billiger Lösungen, sondern setzt echte Koope-rationsbereitschaft bei Behörden, Antragstellern und Einwendern voraus. In ei-nem zunehmend kooperativen Staat, der auf Kompromißlösungen und Interes-senausgleich angewiesen ist und Entscheidungen nicht mehr in erster Linie mit den überkommenen Mechanismen des Verwaltungsbefehls durchsetzen kann, ist es auch für die Forschung unerläßlich, sich gesellschaftlicher Akzeptanz zu ver-gewissern. Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit gibt dem Forscher somit jenseits der wissenschaftlichen Ebene ein Feedback über die gesellschaftliche Akzeptanz seiner Forschung. Dabei ist davon auszugehen, daß Forschung ge-nerell von allen gesellschaftlichen Gruppen erwünscht ist. Ein besonderer Recht-

114 Exemplarisch: BVerwG, Bd. 72 (1986), S. 300ff. (316) - Wyhl. Zur Einschränkung der

gerichtlichen Kontrolle im Gentechnikrecht vgl. auch die oben in Kap. 4.2.3.2., Fn. 60 zi-tierte Rechtsprechung sowie OVG Berlin, Beschl. vom 29.3.1994, abgedruckt bei Eber-bach et al., Gentechnikrecht, 1996, Band 3, Nr. 3 zu § 16.

115 BVerfG, Bd. 53 (1980), S. 30ff. (62ff.). 116 Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, § 10 Rn. 1, 42. 117 Vgl. Bora, KJ 1994, S. 310 m.w.N. 118 Zu den Problemen heutiger demokratischer Ordnung aufgrund der modernen technischen

Entwicklung vgl. auch Hesse, Grundzüge, 1995, S. 68-70 (Rn. 162-165).

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fertigungsbedarf besteht jedoch in den Bereichen, in denen weitreichende soziale, ethische oder ökologische Auswirkungen der Forschung eintreten können.

5.10.2. Beteiligung der Öffentlichkeit an Genehmigungsverfahren

Die Beteiligung der Öffentlichkeit an Genehmigungsverfahren setzt zunächst einmal voraus, daß die jeweilige Forschungstätigkeit überhaupt einem Geneh-migungsvorbehalt unterliegt und deshalb ein Genehmigungsverfahren stattfindet. Dies ist bei gentechnischen Anlagen nach der Änderung des GenTG 1993 nur noch für Anlagen der Sicherheitsstufen 2-4 erforderlich. Anlagen der Sicherheits-stufe S 1 sind demgegenüber nur noch anzumelden.119 Ein Anhörungsverfahren nach § 18 GenTG findet jedoch auch bei den genehmigungsbedürftigen Anlagen nur für gewerbliche Anlagen (der Stufe S 3 und 4, sowie eingeschränkt S 2) statt. Insofern sind Forschungsanlagen verfahrensmäßig privilegiert. Selbst For-schungsanlagen der Sicherheitsstufen 3 und 4 können somit ohne Beteiligung der Öffentlichkeit genehmigt werden. Nach der Änderung des GenTG 1993 wurde zudem der Erörterungstermin im Rahmen des Anhörungsverfahrens bei Freiset-zungen abgeschafft.120 Eine Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen gentechni-scher Forschung findet nach der derzeit geltenden Rechtslage somit - rudimentär - nur noch bei Freisetzungen statt.

Bewertet man das GenTG vor diesem Hintergrund, so ist festzustellen, daß die Partizipationsmöglichkeiten insgesamt gering sind. Bereits zur alten Rechtslage bemerkt Gerd Winter, daß das Gesetz einen Rückschritt gegenüber der vor dem Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes geltenden Rechtslage darstelle.121 Mit der Novellierung des Gentechnikgesetzes 1993 wurde diese Rechtslage noch einmal zu Lasten von Partizipationsmöglichkeiten verändert; im Forschungsbereich sind diese nur noch rudimentär vorhanden.

Öffentliche Genehmigungsverfahren bestehen in der Regel aus zwei Haupt-phasen, einem schriftlichen Einwendungsverfahren und einer mündlichen Erörte-rung. Die oben dargestellten Funktionen der Beteiligung Dritter am Genehmi-gungsverfahren werden zunächst wesentlich durch das schriftliche Einwendungs-

119 Vgl. oben, Kap. 5.1.3. 120 Da Freisetzungen als standortgebundene Entscheidungen für die Nachbarschaft relevant

sein können, erscheint dies auch vor dem Hintergrund der grundrechtssichernden Funk-tion des Verfahrens bedenklich. Der Gesetzgeber hat hier wohl die derzeit stattfindenden Freisetzungsverfahren mit höheren Pflanzen vor Augen gehabt. Angesichts der Reich-weite der Genehmigungsvorschrift des § 16 GenTG, der immerhin auch Freisetzungen potentiell gefährlicher Organismen nicht von vornherein ausschließt, kann dies aber nur als rechtspolitisch verfehlt bezeichnet werden.

121 Winter, Grundprobleme, S. 58.

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verfahren sichergestellt. Die Ziele der mündlichen Erörterung decken sich im wesentlichen mit den Zielen des Einwendungsverfahrens generell. Zu nennen sind: - Information der Einwender, - Sachaufklärung der Behörde, ob die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen, - Gewährung vorverlagerten Rechtsschutzes für in ihren Rechten betroffene

Einwender, - Akzeptanz durch umfassende und objektive Erörterung. Der Erörterungstermin wird häufig als 'Höhepunkt' des öffentlichen Beteili-gungsverfahrens angesehen.122 Formal gesehen ist er allerdings gerade nicht öf-fentlich; nur diejenigen, die Einwendungen erhoben haben, sind berechtigt, am Termin teilzunehmen. Dies wird als rechtspolitisch verfehlt kritisiert;123 in der Praxis wird häufig aber auch die Öffentlichkeit zugelassen.

Das Besondere des Erörterungstermins besteht in den Prinzipien der Münd-lichkeit und Unmittelbarkeit.124 Er ermöglicht den direkten Austausch von Argu-menten und Informationen und eröffnet damit eine unmittelbare (Risiko-) Kom-munikation der beteiligten Akteure, die in dieser Form sonst nicht möglich ist. Nicht zu Unrecht wird er auch als eine "Sonderform der mündlichen Verhand-lung"125 bezeichnet. Die Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit erwe-cken in der Tat Assoziationen mit der mündlichen Verhandlung im Gerichts-prozeß, die den Kern des Verfahrens ausmacht. Die besondere Bedeutung, die der Gesetzgeber diesen Prinzipien seit jeher beimißt, drückt sich in zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen aus.126

Man mag gegen diesen Vergleich einwenden, daß es im Rahmen der Erörte-rung von Genehmigungsentscheidungen nicht um eine 'Beweisaufnahme' geht, und daß auch der persönliche Eindruck der Beteiligten nicht im Vordergrund der Entscheidungsfindung steht; schließlich ist hier niemand 'angeklagt', wie etwa im Strafprozeß. So richtig diese Einwände auch sind, so vermag dieser Vergleich gleichwohl den Blick auf wichtige Parallelen zu eröffnen: Die Pflicht der Behörde zur umfassenden Sachverhaltsermittlung läßt sich mit der entsprechenden Ver-pflichtung des Gerichts durchaus vergleichen. Im direkten Austausch, nicht nur der Einwender und der Antragsteller, sondern auch der verschiedenen Gutachter und Sachbeistände, können auch wissenschaftlich-technische Sachverhalte aufge-

122 Bender et al., Umweltrecht, 1995, S. 83; Würtenberger, Akzeptanzmanagement, 1993, S.

80 ("zentrale Nahtstelle"). 123 Würtenberger, Akzeptanzmanagement, 1993, S. 81. 124 Bora, KJ 1994, S. 312. 125 Bender et al., Umweltrecht, 1995, S. 83. 126 Im Verwaltungsgerichtsverfahren: §§ 96, 101 VwGO, im Strafprozeß: §§ 250, 261 StPO.

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arbeitet werden; unmittelbare Rückfragen und Antworten können einen über schriftliche Gutachten hinausgehenden Erkenntnisgewinn vermitteln.127

Insofern kann auch für das hier im Vordergrund stehende Thema einer ver-besserten Erzeugung von Risikowissen die unmittelbare mündliche Kommuni-kation einen Beitrag liefern. Gerade in den frühen (anlagenbezogenen) gentech-nischen Genehmigungsverfahren lieferten die Erörterungstermine, die zum Teil auf hohem wissenschaftlichen Niveau geführt wurden, den Genehmigungsbe-hörden einen erheblichen Erkenntnisgewinn.128 Diese Funktion des Erörte-rungstermins - wie der Öffentlichkeitsbeteiligung generell - schwindet allerdings in dem Maße, wie vergleichbare Sachverhalte zur Diskussion stehen und die Verfahren in eine eingespielte Routine der beteiligten Akteure übergehen.129

Auch im Hinblick auf die Funktion der Akzeptanzgewinnung ist der Erörte-rungstermin unverzichtbar. Nur dieser und nicht das schriftliche Einwendungs-verfahren kann dem verbreiteten Gefühl entgegenwirken, zwischen Behörden und Antragstellern werde 'gemauschelt'.130 In der Praxis geht der Erörterungstermin denn auch teilweise über eine eigentliche 'Erörterung' hinaus, er hat auch Schlich-tungsfunktion.131 Unverzichtbar hierfür ist wiederum eine 'Waffengleichheit' im Verfahren, die sich auch umfassend auf die vorhandenen Informationen ein-schließlich eingeholter Gutachten bezieht.

127 Bora, KJ 1994, S. 312. 128 Zum Erörterungstermin in immissionsschutzrechtlichen Verfahren: Führ, Sanierung, S.

80. Zu den Voraussetzungen eines erfolgreichen Termins aus Sicht der Verwaltung: Wil-lenbücher, Behörde, 1994, S. 63ff.

129 Diesen Umstand hat offenbar Bora vor Augen, wenn er davon ausgeht, daß nur selten festzustellen sei, "daß die betreffenden Fachbehörden neue entscheidungsrelevante Sach-gesichtspunkte aus dem Erörterungstermin mitnehmen" (KJ 1994, S. 317). Dies mag für die von ihm beobachteten Freisetzungsverfahren, die praktisch weitgehend vergleichbare Sachverhalte (transgene, herbizidresistente Pflanzen) betreffen, und denen auch eine um-fangreiche fachwissenschaftliche und halböffentliche Diskussion voranging, zutreffen. In-sofern verwundert auch die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts nicht, welches unter dem Gesichtspunkt der Informationsbeschaffung den Erörterungstermin als überflüssig betrachtete.

130 Vgl. etwa die bemerkenswerte Kritik an einem solchen Verfahren (betreffend AKW Mülheim-Kärlich): BVerfG, Bd. 53 (1980), S. 30ff. (70), Minderheitsvotum Simon/ Heußner. Zur Bedeutung des Erörterungstermins für ein erfolgreiches 'Akzeptanzmana-gement': Würtenberger, Akzeptanzmanagement, 1993, S. 80ff.

131 Würtenberger, Akzeptanzmanagement, 1993, S. 80; ähnlich Bender et al., Umweltrecht, 1995, S. 84 ("Verhandlungsmodell").

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5.10.3. Erfahrungen aus der Praxis

Die bisherigen praktischen Erfahrungen mit Erörterungsterminen bei Freiset-zungen werden eher verhalten bewertet. Insbesondere im Hinblick auf die Infor-mationsfunktion für die Behörde und die Kontrollfunktion, aber auch hinsichtlich Legitimation und Akzeptanz erfülle die mündliche Erörterung nicht die Wirkun-gen, die ihr von Rechts wegen zugedacht seien.132 Diese Sichtweise ist auf die Beobachtung einiger Freisetzungsverfahren gestützt. Berichtet wird auf beiden Seiten von Frustrationen, die allerdings bei den Antragstellern wohl darauf beru-hen, daß die öffentliche Auseinandersetzung jenseits des Wissenschaftsbetriebs für Forscher eine ungewohnte Situation darstellt, während auf seiten der Einwen-der nicht selten zu hoch gesteckte Erwartungen herrschen über die Funktionen des Beteiligungsverfahrens und die Möglichkeiten, in dessen Rahmen grundsätz-liche Fragen der Gentechnik zu thematisieren.

Falls die These generell zuträfe, daß die öffentliche Erörterung keinen neuen Erkenntnisgewinn brächte, so wäre der Erörterungstermin unter dem Gesichts-punkt der Generierung neuen Risikowissens irrelevant. Dies mag für einen Teil der bisherigen Verfahren zwar zutreffen, im übrigen ist es aber, auch angesichts des potentiell breiten Anwendungsfeldes von Freisetzungen, keineswegs aus-gemacht, daß die Genehmigungsbehörde auch zukünftig in diesen Verfahren 'bereits alles weiß'. Erfahrungen mit gentechnischen Anlagengenehmigungsver-fahren bestätigen diese Vermutung. Auch aus dem Immissionsschutzrecht wird berichtet, daß eine Beteiligung der Öffentlichkeit dazu führen könne, daß die Schutzziele des Gesetzes besser verwirklicht werden.133

Die ersatzlose Streichung des Erörterungstermins bei Freisetzungen durch das 1. GenTG-ÄndG muß als rechtspolitisch verfehlt bezeichnet werden. Insbe-sondere ist es, in Anbetracht der dargelegten Funktionen des Erörterungstermins, verkürzt, lediglich auf die Frage der Informationsbeschaffung abzustellen.

5.10.4. Öffentlichkeit als Beitrag zur Risikokommunikation

Grundsätzlich kann Öffentlichkeit einen Beitrag zur Risikosteuerung insofern leisten, als sie einen Zwang zur Strukturierung der Verfahren, eine Offenlegung von Optionen und generell eine Verbesserung der Selbst- und Fremdkontrolle der Entscheidungsfindung herbeiführen kann.134

132 Bora, KJ 1994, S. 317f. 133 Führ, Sanierung, 1989, S. 98. 134 Ladeur, Öffentlichkeitsbeteiligung, 1996, S. 183.

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Die derzeitige Ausgestaltung der Verfahren vermag die intendierten Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung jedoch, wie dargelegt, nur teilweise zu erfüllen. Im Hinblick auf die Generierung neuen Risikowissens dürfte insbesondere die Ent-scheidungsfixierung des Verfahrens hinderlich sein. Da das Verfahren nicht un-mittelbar der Gewinnung neuen Risikowissens dient, sondern das vorhandene Wissen mit dem Ziel verarbeiten soll, eine konkrete Genehmigungsentscheidung herbeizuführen, ist eine vollständig offene Risikodiskussion kaum möglich, denn die verschiedenen Akteure verknüpfen auch strategische und taktische Interessen mit dem Verfahren. Aufgrund der gestiegenen Komplexität von Entscheidungs-prozessen und der Vielzahl der zu berücksichtigenden Faktoren gelangen die Verfahren im übrigen an Grenzen ihrer Funktionsfähigkeit.135

An Grenzen gelangt die derzeitige entscheidungsfixierte Struktur der Verfahren vor allem im Bereich der ungewißheitsbasierten Risikovorsorge. Da es hier ver-stärkt darum geht, notwendiges Entscheidungswissen über längere Zeiträume erst zu produzieren, kann die punktuelle Einbeziehung von Öffentlichkeit hierzu kaum einen Beitrag leisten. Erforderlich wäre deshalb, auch die Verfahren stärker auf ein 'dynamisches Modell des Lernens' umzustellen.136 Voraussetzung dafür, daß der Entscheidungsprozeß insoweit wieder stärker auf "private Organi-sationsentscheidung"137 zurückverlagert wird, ist allerdings eine Ergänzung der Selbstevaluation durch Fremdkontrolle,138 an der die Öffentlichkeit in geeigneter Form teilhaben kann.

Deshalb erscheinen entscheidungsunabhängige Kommunikationsverfahren notwendig, die auch die Einbindung der Öffentlichkeit dynamisieren. Daß hierfür auch in der Praxis ein Bedürfnis besteht, zeigen die zunehmend durchgeführten "Runden Tische" zwischen Chemieunternehmen und Anwohnern. Derartige An-sätze erscheinen tendenziell geeignet, Wissen auszutauschen, aber auch Konsens und Dissens herauszuarbeiten, gegenseitiges Mißtrauen abzubauen und zu einer beiderseitigen Akzeptanzverbesserung beizutragen.139

135 Ladeur, Öffentlichkeitsbeteiligung, 1996, S. 183ff. 136 Ladeur, Öffentlichkeitsbeteiligung, 1996, S. 187. 137 Ladeur, Öffentlichkeitsbeteiligung, 1996, S. 187. 138 'Kritische' Gutachter, vgl. zum Erfordernis der 'adversativen' Sicherheitsforschung auch

unten, Kap. 10.2.4. 139 Beispielhaft können hier die seit 1993 durchgeführten regelmäßigen Treffen der Hoechst

AG mit Anwohnern angeführt werden. Beide Seiten scheinen hierin zwar einen äußerst mühsamen, aber offenbar im Ergebnis doch lohnenden Schritt zu sehen.

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Kapitel 6: Risikosteuerung durch zivil- und strafrechtliche Haf-tung

Im Gegensatz zum staatlichen Ordnungsrecht setzen ökonomische Steuerungs-instrumente, zu denen auch das Haftungsrecht gezählt wird, auf wirtschaftliche Anreize und Sanktionen. In die Steuerungswirkung ökonomischer Instrumente werden zum Teil große Erwartungen gesetzt. Auch dem Umwelthaftungsrecht werden präventive Wirkungen zugeschrieben, die im Bereich risikobehafteter Tätigkeiten das Verhalten der Normadressaten beeinflussen sollen. Wenn es zu-trifft, daß das Haftungsrecht als ein "typisches Mittel der rechtlichen Steuerung einer Technologie mit immanenter Prognoseunsicherheit"1 anzusehen ist, so könnten sich die Haftungsvorschriften des Gentechnikgesetzes als ideale Ergän-zung oder auch als Ersatz ordnungsrechtlicher Steuerungsmechanismen anbieten. Diese Fragestellung hat grundsätzliche Bedeutung, weshalb ihr, über die spezifi-sche forschungsrechtliche Ebene hinaus, größere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Im folgenden geht es daher zunächst um die Steuerungswirkung des Um-welthaftungsrechts allgemein, wobei erste praktische Erfahrungen mit dem neuen Umwelthaftungsgesetz berücksichtigt werden. Sodann wird das geltende gentech-nikrechtliche Haftungsregime dargestellt. Die Besonderheiten, mit denen das Haftungsrecht im Bereich der gentechnischen Forschung konfrontiert ist, werden im dritten Abschnitt untersucht, bevor abschließend Optionen für eine Verbesse-rung der Steuerungsfähigkeit erörtert werden.

6.1. Ziviles Haftungsrecht als "Selbststeuerungsinstrument"

6.1.1. Funktion und Wirkung des Haftungsrechts

Neben dem Ausgleichsgedanken, der heute unbestrittener Hauptzweck des Haf-tungsrechts ist, ist in den letzten Jahren als Begründung und als Funktion des Haftungsrechts zunehmend der Gedanke der Prävention in den Vordergrund ge-rückt. Insbesondere das Umwelthaftungsrecht wird als präventives, verhal-tenssteuerndes Instrument des Umweltschutzes sowohl national2 und internatio-

1 So Hirsch/Schmidt-Didczuhn, VersR 1990, S. 1194. 2 Bereits 1987 wurden von den Ländern Nordrhein-Westfalen (BrDrs. 217/87) und Hessen

(BrDrs. 100/87) Gesetzentwürfe für ein Umwelthaftungsgesetz in den Bundesrat einge-bracht, 1989 ein Entwurf der Fraktion der "Grünen" in den Bundestag, BT-Dr. 11/4247 vom 21.3.1989.

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nal3 auf der politischen Ebene als auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum diskutiert.4 Vor allem im Bereich industrieller Risiken ist die Notwendigkeit einer Reform des Haftungsrechts seit langem erkannt worden, da die überkommenen Strukturen der deliktsrechtlichen Haftungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetz-buches als nicht mehr ausreichend angesehen wurden. Das Umwelthaftungsrecht wird dabei gezielt als Instrument der Umweltvorsorge und zur Verwirklichung des Verursacherprinzips eingesetzt.5 Auch die Diskussion um die europäische Umwelthaftung steht ganz unter diesem Vorzeichen.6

Diese Betrachtungsweise wird auch maßgeblich durch die ökonomische Analy-se des Rechts gestützt.7 Daß dem Haftungsrecht überhaupt eine präventive Wir-kung im Sinne einer Verhaltenssteuerung in Richtung eines schadenvermeidenden Verhaltens des Normadressaten zukommt, dürfte deshalb nicht ernsthaft in Streit stehen. Da Haftung ökonomisch nichts anderes als einen Verlust darstellt, wird der potentielle Schädiger versuchen, diesen zu vermeiden. Entsprechend soll nach allgemeiner Auffassung auch den Haftungsvorschriften des Gentechnikgesetzes eine - zumindest flankierende - präventive Wirkung zukommen.8

3 Zu nennen sind hier zum einen die Europarats-Konvention zur Umwelthaftung (Conventi-

on on Civil Liability for damage resulting from activities dangerous to the environment, Lugano 21.6.1993) - vgl. dazu: Sadeleer, Revue Générale des Assurances et des Respon-sabilités (1994), S. 12367 - sowie das "Grünbuch über die Sanierung von Umwelt-schäden", KOM(93) 47 endg. vom 14.5.1993.

4 Zum Diskussionsstand vgl. Salje, Umwelthaftungsgesetz, 1993, §§ 1 3 Rn. 6ff. 5 Bericht Umwelthaftungsrecht der interministeriellen Arbeitsgruppe Umwelthaftung- und

Umweltstrafrecht vom 19.4.1988. Vgl. zu den Gesetzgebungsarbeiten auch Diederichsen, PHI 1990, S. 78ff.; Roller, Haftung, 1989, S. 32ff.

6 So ausdrücklich das "Grünbuch über die Sanierung von Umweltschäden", KOM(93) 47 endg. vom 14.5.1993, S. 4: "Dank dieser Anlastung der Kosten von Umweltschäden erfüllt die zivilrechtliche Haftung außerdem die wichtige Aufgabe, Verhaltensnormen durchzu-setzen und von künftigen Schäden abzuschrecken." Vgl. auch die Stellungnahme des Wirt-schafts- und Sozialausschusses zum Grünbuch vom 23.2.1994, Dok. CES 226/94, Bemer-kung 1.4., sowie die Stellungnahmen der Umweltverbände im Rahmen der gemeinsamen Anhörung von Kommission und Parlament zum "Grünbuch", European Parliament, Wor-king Papers, Preventing and Remedying Environmental Damage, Summary of a Joint Pub-lic Hearing, Environment, Public Health and Consumer Protection Series W-8, S. 69ff.

7 Vgl. etwa Panther, Haftung, 1992, insb. S. 134ff.; zur Wirkung von Verschuldenshaftung und Gefährdungshaftung vgl. auch Endres, Haftpflichtrecht, S. 1ff.; aus rechtlicher Sicht: Rehbinder, NuR 1989, S. 151.

8 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, vor § 32 Rn. 5; Schubert, Regelungsfragen, 1990, S. 107.

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6.1.2. Zur Steuerungsfähigkeit des Haftungsrecht

Geht man von der Prämisse aus, daß "dem Recht" auch im Bereich der techni-schen Risiken eine, wenn auch eingeschränkte, Steuerungswirkung zukommt,9 und daß weiterhin am ehesten die Kombination verschiedener (rechtlicher) In-strumente geeignet erscheint, eine optimale Steuerung zu erreichen, so stellt sich die Frage des (generellen) Ersatzes ordnungsrechtlicher Regelungen durch das Haftungsrecht nicht. Die frühere Instrumentendiskussion krankte vor allen Dingen daran, daß regulative und wohlfahrtsökonomische Regelungskonzepte als sich ausschließende Ansätze gegenübergestellt wurden,10 während heute allgemein ein "Instrumentenmix" verschiedener rechtlicher und ökonomischer Instrumente als unter Steuerungsgesichtspunkten optimale Lösung angesehen wird.11

Die Frage der Steuerungsfähigkeit haftungsrechtlicher Vorschriften ist dem-nach vor dem Hintergrund eines bestehenden ordnungsrechtlichen Rahmens zu beantworten; die Funktion haftungsrechtlicher Normen wird dabei stets darin erblickt, eine den regulatorischen Rahmen ergänzende Rolle zu spielen.12 Haf-tungsrechtliche Regelungen können Defizite der ordnungsrechtlichen Risi-kosteuerung auffangen, sie vermögen jedoch nicht als gleichwertiger Ersatz an die Stelle eines ausgefeilten Systems ordnungsrechtlicher Genehmigungs- und Eingriffsvorbehalte zu treten. Inwieweit partielle Modifikationen ordnungsrechtli-cher Vorschriften und eine Verlagerung auf haftungsrechtliche Regelungen in Betracht kommen, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und ist danach zu beant-worten, mit welchem Instrument das jeweilige Steuerungsziel am besten zu errei-chen ist.

Im Gegensatz zum Ordnungsrecht legt das Haftungsrecht - wenn man einmal von einer obligatorischen Versicherung in bestimmten Fällen absieht - dem Haft-pflichtigen (Unternehmer, Forscher) keine unmittelbare Handlungspflicht auf. Im Prinzip bleibt es ihm überlassen, wie er mit der latent vorhandenen "Drohung" einer Inanspruchnahme umgeht: Er kann Vorkehrungen treffen, um das von seiner Anlage oder seinem Tun ausgehende Risiko zu mindern. Er kann aber auch als Hazardeur auf das Ausbleiben eines schadenstiftenden Ereignisses vertrauen und in diesem Vertrauen ein Maximum an kurzfristigem Profit aus seinem Tun ziehen, indem er sich Aufwendungen für Sicherheitsvorkehrungen erspart. Der rational Handelnde wird das Risiko soweit minimieren, daß die Kosten, die er zur Risi-kominimierung einsetzen muß, nicht höher sind als die Kosten, die er im Scha-

9 Vgl. oben, Kap. 1. 10 Symptomatisch die Kontroverse zwischen Frank, KJ 1989, S. 36ff. einerseits und Wolf, KJ

1989, S. 55ff. andererseits. 11 Vgl. in Bezug auf die Umweltpolitik der EG etwa Sprenger, Ökonomische, 1991, S. 223ff. 12 Rehbinder, Umweltgesetzbuch, 1990, S. 417 m.w.N.

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densfall für einen Ausgleich aufwenden müßte. An einen derart rational Handeln-den knüpft die ökonomische Analyse des Rechts an. Aus ihrer Perspektive wird die Gefährdungshaftung - bei der es auf den Nachweis eines schuldhaften Verhal-tens des Schädigers nicht ankommt13 - der Verschuldenshaftung im Hinblick auf die Präventionswirkung sogar als überlegen angesehen.14 Denn die Gefährdungs-haftung bietet einen Anreiz, über die Einhaltung bestehender Sorgfaltsmaßstäbe hinaus das Risiko zu minimieren.

In die Kalkulation des potentiellen Schädigers werden darüber hinaus jedoch noch weitere Faktoren Eingang finden. Hierzu gehört insbesondere die Überle-gung, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Schadenseintritt der maximalen Größe zu gewärtigen ist, darüber hinaus aber auch, mit welcher Gewißheit er hierfür zur Verantwortung gezogen werden kann: Anspruchsstellungs- und Anspruchsdurch-setzungswahrscheinlichkeit15 haben so entscheidende Rückwirkungen auf die "Risikobereitschaft" des potentiellen Schädigers.16

Ob in der Praxis derart rationales Handeln überwiegt,17 ist jedoch eine andere Frage. Auch wird man davon auszugehen haben, daß innerhalb größerer Orga-nisationen - seien es Wirtschafts- oder Forschungsorganisationen - Rechtsnormen nur selektiv wahrgenommen werden und infolge der Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Abteilungen die rechtliche Botschaft partiell verloren geht, zumin-dest aber gefiltert wird.18

Trotz dieser Wirkungen - die letztlich für jede Rechtsnorm zutreffen - kann man dem Haftungsrecht eine indirekte verhaltenssteuernde Wirkung kaum ab-sprechen.19 Da es dem Adressaten einen Handlungsspielraum im Hinblick auf den Umgang mit bestehenden Risiken läßt, erscheint es grundsätzlich als geeignet, - von der "Eingriffsintensität" her gedacht: unterhalb des Ordnungsrechts - einen Rahmen zu setzen, innerhalb dessen eine weitere "Feinsteuerung" mittels selbst-regulativer Instrumente möglich ist, und zugleich einen Anreiz für proaktives Ver-

13 Vgl. auch unten, Kap. 6.2.1. 14 Vgl. die Nachweise in diesem Kapitel in Fn. 7. 15 Vgl. unten, Kap. 6.1.3.1. 16 Vgl. auch Assmann, Rechtsfragen, S. 49ff. 17 Dies dürfte Wolf, KJ 1989, S. 59 zu Recht bezweifeln: "... als Mitglieder der realen Welt

wissen sie [die Emittenten] anders als die Theoretiker ökonomisch-rationalen Verhaltens, daß der Weg zum Gericht steinig ist, daß anspruchsmindernde Vergleiche die Regel, voll stattgebende Urteile dagegen die Ausnahme sind, und daß da, wo kein Kläger auch kein Richter ist."

18 Teubner, "Cupola", 1994, S. 121f. Auch im Rahmen der von uns durchgeführten empiri-schen Untersuchung haben sich diese Annahmen bestätigt.

19 Dies erkennt letztlich auch Teubner an, der insbesondere die Chancen des Haftungsrechts für ein kollektives Risikomanagement durch Risikopools hervorhebt ("Cupola", 1994, S. 131ff.).

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halten darzustellen. Denn gerade die latent vorhandene Drohung einer haf-tungsrechtlichen Inanspruchnahme wirkt auf den Adressaten präventiv: Er wird "freiwillig" diejenigen Anstrengungen unternehmen, die am effizientesten das von seiner Tätigkeit ausgehende Risiko mindern. Wie er das im einzelnen tut, bleibt zunächst ihm überlassen.

6.1.3. Zur praktischen Wirksamkeit des Umwelthaftungsrechts

6.1.3.1. Voraussetzungen Ob das Haftungsrecht die ihm zugedachte Präventivfunktion erfüllen kann, hängt wesentlich davon ab, wie das Schadens- und das Inanspruchnahmerisiko verteilt sind. Die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme im Schadensfall wird von zwei Determinanten bestimmt: Von der Anspruchsstellungs- und der Anspruchs-durchsetzungswahrscheinlichkeit.20 Beide sind eng miteinander verknüpft. Wäh-rend erstere von der sozialen Verankerung des Haftungsrechts in der Gesellschaft abhängt (wie groß ist traditionell die "Prozeßfreudigkeit", werden eher verwal-tungsrechtliche oder zivilrechtliche Rechtsmittel eingelegt etc.), hängt die Frage der Durchsetzbarkeit eines Anspruchs im wesentlichen von der rechtlichen Aus-gestaltung des Haftungssystems ab. Die rechtliche Ausgestaltung kann den Schä-diger oder den Geschädigten begünstigen: Je mehr Entlastungsmöglichkeiten dem Schädiger zur Verfügung stehen und je mehr Anspruchsvoraussetzungen der Geschädigte darlegen und beweisen muß, um so geringer ist die Chance, im Schadensfall einen Ersatzanspruch durchsetzen zu können. Dies wirkt auf die An-spruchsstellungswahrscheinlichkeit zurück: Wenn sich Ansprüche nicht erfolg-reich realisieren lassen oder wenn die rechtlichen oder tatsächlichen Hürden von Anfang an zu hoch sind, so wird der Geschädigte von der Anspruchsstellung von vornherein absehen.

6.1.3.2. Erfahrungen mit dem Umwelthaftungsgesetz Das Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) knüpft die Haftung an den Betrieb be-stimmter Anlagen. Wer durch den Betrieb einer Anlage Schäden an den Rechts-gütern Dritter verursacht, haftet verschuldensunabhängig21 für die eingetretenen Schäden.

20 Schmidt-Salzer, VersR 1991, S. 17. 21 Die Haftung ist auch unabhängig von der Rechtswidrigkeit der Handlung, denn auch der

sogenannte Normalbetrieb, der im Einklang mit der verwaltungsrechtlichen Genehmigung steht, wird erfaßt. Genauer ist deshalb von einer rechtswidrigkeitsunabhängigen Kausalhaf-tung zu reden; vgl. Schmidt-Salzer, NJW 1994, S. 1309.

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Betrachtet man zunächst die veröffentlichte Judikatur zum Umwelthaftungs-gesetz, so ist die Ausbeute gering. Lediglich ein Urteil des OLG Köln aus dem Jahr 199222 sowie jüngst ein nicht veröffentlichtes Urteil des OLG Düsseldorf23 haben sich überhaupt mit dem UmweltHG beschäftigt. Der Befund fehlender gerichtlicher Entscheidungen allein beweist freilich einen möglichen Mangel an präventiver Wirkung nicht. Man könnte ihn ebenso als Beleg für eine erfolgreiche Prävention ansehen, die das Eintreten von Schäden verhindert hat. Darüber liegen jedoch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Eine kleine Anfrage der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag24 vom April 1994 hat insoweit ebenfalls keine Erkennt-nisse zu Tage gefördert. Allerdings bestehen nach Auffassung der Bundesregie-rung Indizien dafür,

"daß von seiten der Betreiber verstärkt Maßnahmen zu einem verbesserten Risiko-Management ergriffen werden und damit das UmweltHG Schadensverhinderung und Umweltvorsorge fördert."25

Diese Auffassung dürfte in gewisser Weise zutreffen. Man wird sicher nicht bestreiten können, daß allein die jahrelange Diskussion um die Verschärfung des Umwelthaftungsrechts zu einer verstärkten Bewußtseinsbildung in den Unter-nehmen geführt hat, ganz unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Ge-setzes. Die zahlreichen Seminare und Fachtagungen zur betrieblichen Umwelthaf-tung sind dafür ein Beispiel.

Auch die Regelung des § 6 Abs. 2 UmweltHG hat zu einer Verbesserung der innerbetrieblichen Dokumentation in einigen Unternehmen geführt. Eine solche verbesserte Dokumentation hat nicht nur für den Unternehmer, sondern im Scha-densfall auch für den Geschädigten Vorteile, denn das Fehlen notwendiger Infor-mationen ist ein wesentliches Hemmnis für die Durchsetzung von Scha-densersatzansprüchen.

Einen Beitrag zur Präventionswirkung können schließlich auch die Haft-pflichtversicherer leisten. Zwar wird durch die Versicherung zunächst das Haf-tungsrisiko auf das Versichertenkollektiv verlagert.26 Auf der anderen Seite kann diese Einbuße der Steuerungswirkung insbesondere durch eine aktivere Rolle des Versicherers im Bereich des "risk-management" kompensiert werden. Große Versicherer haben längst damit begonnen, eigene Risk-management-Abteilungen aufzubauen und ein entsprechendes Know-how zu erwerben und es, gegebenen-

22 Urt. vom 3.12.1992, VersR 1993, S. 894. 23 Urt. vom 10.12.1993, OLG-Rp Düsseldorf 1994, S. 147. 24 BT-Dr. 12/7301 vom 14.4.1994. 25 BT-Dr. 12/7500 vom 9.5.1994, S. 2. 26 Gleiches gilt im übrigen für die Wirkung von Haftungsfonds. Sie sind deshalb nur dort

sinnvoll, wo ein Schädiger nicht ermittelt werden kann oder aus anderen Gründen der Ge-schädigte leer ausgehen würde. Zu skeptisch allerdings Ladeur, VersR 1993, S. 257 (263).

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falls auch unter Einschaltung von externen Consultant-Büros, den Betrieben zur Verfügung zu stellen. Diese Angebote dürften gerade für kleinere und mittlere Unternehmen von erheblicher Bedeutung sein, die bei der Risikoeinschätzung ihrer Anlagen häufig erhebliche Defizite aufweisen. Darüber hinaus kann durch eine abgestufte, risikoadäquate Prämiengestaltung und die entsprechende Ausges-taltung der Versicherungsbedingungen und ihre Kontrolle ein weiterer Beitrag zu einem risikomindernden Verhalten geleistet werden.27

Die dargestellten Wirkungen weisen letztlich in eine Richtung, die mit dem Stichwort 'Förderung proaktiver Unternehmensstrategien' beschrieben werden kann. Der Begriff der proaktiven Strategien wurde im Zusammenhang mit der Diskussion um eine umweltgerechte Stoffstrompolitik geprägt. Unter proaktivem Verhalten eines Unternehmens sind Maßnahmen und Programme zu verstehen, die zur Verwirklichung der stoffstrompolitischen Zielsetzung beitragen, ohne daß dieses Verhalten direkt gesetzlich vorgeschrieben ist.

Im Mittelpunkt steht dabei die Entscheidungsfindung in Unternehmen, mit der Zielsetzung, Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung durch den Umgang mit Stoffen auf ein Maß zu reduzieren, das als nachhaltig umweltverträgliche Wirt-schaftsweise bezeichnet werden kann. Wichtige proaktive Instrumente sind Um-weltmanagement und Umweltaudit, betriebliche Umweltrechnungslegung und vergleichbare Ansätze.28 Im Mittelpunkt steht bei proaktiven Ansätzen das Un-ternehmen und seine umweltbewußte Innovationsbereitschaft.

Proaktive Ansätze müssen eingebettet sein in entsprechende Rahmenbedin-gungen. Hierzu gehört auch, daß die Preise für die Inanspruchnahme von Um-weltgütern die tatsächlichen Kosten abbilden. Insofern vermag das Umwelthaf-tungsrecht auch einen Beitrag zur Förderung derartiger Ansätze zu leisten. Im Hinblick auf den durch das deutsche Umwelthaftungsgesetz verursachten Anreiz zur innerbetrieblichen Dokumentationsverbesserung wird bereits darauf hinge-wiesen, daß entsprechende Maßnahmen für das Unternehmen nur dann lohnend seien, wenn gleichzeitig ein umfassendes System der innerbetrieblichen Kontrolle und Dokumentation eingeführt und damit auch die Effizienz des Betriebs erhöht werde.29 Die Nähe zu dem Instrument des Umweltaudits wird hier besonders deutlich. Die Verzahnung mit derartigen Ansätzen dürfte für die Weiterentwick-lung des Umwelthaftungsrechts von zunehmender Bedeutung sein.

Faßt man die bisherigen Erfahrungen mit dem UmweltHG zusammen, so ist bei der Beurteilung der Präventionswirkung, trotz der dargestellten positiven Anreize, allerdings wohl eher Zurückhaltung geboten. Der Präventionswirkung stehen

27 Wagner, VersR 1991, S. 249ff. 28 Vgl. hierzu Führ et al., Proaktive, 1995. 29 Schmidt-Salzer, UHG, § 6 Rn. 227ff.

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nämlich tatsächliche und rechtliche Wirksamkeitshemmnisse entgegen, auf die hier im einzelnen nicht näher eingegangen werden kann. Hierzu gehört jedenfalls der weitgehende Ausfall des Haftungsrechts bei Umweltschäden30 sowie die Fehlallokation im Bereich der Gesundheitsschäden, da umweltbedingte Gesund-heitsschäden von den Krankenkassen ersetzt werden und diese praktisch keinen Regreß bei den Schädigern nehmen.

6.2. Bestandsaufnahme: Das geltende gentechnikrechtliche Haftungs-system

6.2.1. Gefährdungshaftung

§ 32 GenTG ordnet eine umfassende Gefährdungshaftung für solche Schäden an, die von Eigenschaften eines Organismus, die auf gentechnischen Arbeiten beru-hen, verursacht werden. Die Haftung ist verschuldensunabhängig und gilt für Schäden, die von Anlagen, Freisetzungen und dem erstmaligen Inverkehrbringen ausgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine Forschungs-, Ent-wicklungs- oder Produktionsarbeit handelt; auch greift die Haftungsnorm auf allen Sicherheitsstufen ein. Im Unterschied zur Haftung nach dem Umwelthaf-tungsgesetz ist die Haftung nach dem GenTG somit als Handlungshaftung und nicht als Anlagenhaftung ausgestaltet.31 Die dogmatische Begründung der Anord-nung der Gefährdungshaftung folgt dabei der Idee, daß derjenige, der eine zwar sozial erwünschte, aber doch als Quelle erhöhter Gefahr anzusehende Tätigkeit unternimmt, die damit verbundenen Folgen zu tragen hat.32

Für Arzneimittel und für gentechnisch veränderte Produkte, die bereits auf-grund einer Genehmigung in den Verkehr gebracht wurden, enthält § 37 GenTG einen Vorrang des Arzneimittel- bzw. Produkthaftungsgesetzes. Die Haftungs-regelung gilt für alle - und nur für die33 - vom gesetzlichen Anwendungsbereich des GenTG erfaßten gentechnischen Verfahren.

30 Vgl. zum Gentechnikrecht unten, Kap. 7.2.6. Zu den Schutzlücken des geltenden Um-

welthaftungsrechts auch Salje, UmweltHG, §§ 1, 3 Rn. 11ff. 31 Landsberg/Lülling, GenTG, vor § 32 Rn. 11. 32 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, VersR 1990, S. 1193; Deutsch, Haftung, 1991, S. 120. Zu

dogmatisch unterschiedlichen Begründungsansätzen in anderen Staaten vgl. Roller, PHI 1990, S. 154ff.

33 Der Haftungstatbestand deckt damit nicht alle spezifischen Risiken der Gentechnologie ab; Koch/Ibelgaufts, Gentechnikgesetz, 1992, § 32 Rn. 11.

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Die Einführung einer verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung wird all-gemein als sachgerecht angesehen und mit den noch weitgehend unbekannten Gefahren der Gentechnik begründet.34

6.2.2. Reichweite der Haftung: "Normalbetrieb" und Entwicklungsrisiken

Die Haftung nach dem GenTG erfaßt sowohl Schäden, die durch Unfälle ent-stehen, als auch solche Schäden, die während des genehmigten "Normalbetriebs" eintreten.35 Im Hinblick auf bestehende Prognoseunsicherheit stellt bereits der Normalbetrieb die besondere Gefahrenquelle dar, die eine Gefährdungshaftung rechtfertigt.36 Es kommt deshalb nicht darauf an, ob eine Tätigkeit genehmigt ist oder in Übereinstimmung mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften oder dem Genehmigungsbescheid durchgeführt wird.

Da das primäre Gefahrenpotential darin liegt, daß die Reaktionsweisen der in ihrer natürlichen Erbsubstanz veränderten Organismen nicht mit letzter Sicherheit prognostizierbar sind, aber gerade dieses Risiko haftungsrechtlich erfaßt werden soll,37 sind auch sogenannte Entwicklungsrisiken vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfaßt. Der Betreiber haftet also auch dann, wenn die mögliche Verur-sachung des Schadens nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zum Zeit-punkt der gentechnischen Arbeit trotz Anwendung größter Sorgfalt objektiv von niemandem erkannt werden konnte.38

6.2.3. Haftungsadressat

Haftpflichtig nach § 32 GenTG ist der Betreiber. Betreiber ist derjenige, der den bestimmenden Einfluß auf die Ausführung und den Betrieb des gentechnischen

34 Landsberg/Lülling, GenTG, vor § 32 Rn. 6-8; Damm, NuR 1992, S. 1ff.; zweifelnd:

Koch/Ibelgaufts, Gentechnikgesetz, 1992, § 32 Rn. 3; vgl. auch die Gesetzesbegründung: "Dennoch bleibt ein Restrisiko, das selbst dann zu Schäden führen kann, wenn beim Um-gang mit gentechnisch veränderten Organismen jede erdenkliche Sorgfalt beachtet wurde. Dies gilt um so mehr, als die Gentechnologie erst am Anfang ihrer Entwicklung steht und eine Prognose etwaiger Schadensverläufe kaum zu stellen ist. Nur um den Preis, daß der Betreiber, der die Gefahrenquelle in Gang setzt und unterhält, auch ohne schuldhaftes Ver-halten für etwaige Schäden einsteht, kann dem Bürger das gesteigerte Gefahrenrisiko zu-gemutet werden."

35 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 32 Rn. 14. 36 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 32 Rn. 14. 37 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, 2. Aufl., vor § 32 Rn. 4; Landsberg/Lülling,

GenTG, vor § 32 Rn. 9; Koch/Ibelgaufts, Gentechnikgesetz, 1992, § 32 Rn. 7. 38 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 32 Rn. 13; Landsberg/Lülling, GenTG, § 32

GenTG, Rn. 95f.

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Vorhabens ausübt und nach außen als der Verantwortliche auftritt. Betreiber kann nach § 3 Nr. 9 GenTG eine natürliche oder eine juristische Person sein. Bei einer Anlage ist dies typischerweise der Genehmigungsinhaber. Im Bereich der univer-sitären Forschung ist dies in der Regel die Universität als rechtsfähige Körper-schaft. Sie kann jedoch die Betreibereigenschaft auf Dritte, etwa einen Instituts-leiter übertragen.39

Daneben können aus anderen Rechtsvorschriften auch weitere Personen haften. Die deliktische Verschuldenshaftung des § 823 BGB kommt grundsätzlich neben der Gefährdungshaftung aus § 32 GenTG zur Anwendung. Angesichts zahlreicher gesetzlicher Sorgfaltspflichten, die insbesondere dem Projektleiter sowie dem Beauftragten für Biologische Sicherheit auferlegt sind, kommen insbesondere diese Personen als Haftungsadressaten des § 823 BGB in Betracht.

6.2.4. Kausalität

Die Haftung des Gentechnikgesetzes greift nur dann ein, wenn der Schaden durch den gentechnisch veränderten Organismus verursacht wurde. Dabei muß es sich gerade um die Verwirklichung der gentechnisch bedingten Gefährdung handeln: Wird also durch einen gentechnisch veränderten, pathogenen Organismus die Gesundheit eines Menschen verletzt, so greift die Gefährdungshaftung des § 32 GenTG nicht schon dann ein, wenn durch die pathogene Wirkung der Schaden entstand, sondern nur dann, wenn gerade die gentechnische Veränderung hierfür ursächlich ist. Die Haftungsnorm des § 32 GenTG erfordert also eine mehrstufige kausale Verknüpfung:

Gentechnische Arbeit

↓ Eigenschaftsveränderung des Organismus

↓ Schaden

Es liegt auf der Hand, daß diese Kausalkette im Einzelfall - gerade wegen der Erkenntnislücken im Bereich der Ursache-Wirkungs-Mechanismen, um derent-willen der Gesetzgeber eine strenge Gefährdungshaftung eingeführt hat - nur schwer zu beweisen sein wird. Ist schon der Kausalitätsnachweis, daß ein Scha-den überhaupt durch einen gentechnisch veränderten Organismus und nicht durch eine andere Ursache eingetreten ist, nicht leicht zu führen, so dürfte der Nach-

39 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 3 Rn. 56. Zu den haftungsrechtlichen Konse-

quenzen vgl. unten, Kap. 7.3.2.2.

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weis, daß der Schaden gerade auf der gentechnischen Veränderung beruht, für den Geschädigten praktisch unmöglich sein.40 Entscheidend kommt es deshalb darauf an, wer die Beweislast für die einzelnen Stufen trägt und welches Be-weismaß erforderlich ist.

6.2.5. Ursachenvermutung

6.2.5.1. Gesetzliche Regelung Der Gesetzgeber ist dabei zum Teil geforderten Beweiserleichterungen in Form einer Reduktion des Beweismaßes auf einen Maßstab überwiegender Wahr-scheinlichkeit nicht gefolgt,41 sondern hat in § 34 Abs. 1 GenTG eine Ursa-chenvermutung42 (in Form einer "kleinen" Lösung43) eingeführt. Danach ist für den Verursachungsnachweis im ersten Schritt - der Nachweis, daß der Schaden durch einen gentechnisch veränderten Organismus verursacht worden ist - der volle Kausalitätsbeweis zu erbringen. Hinsichtlich des zweiten Schrittes greift die Verursachungsvermutung des § 34 Abs. 1 GenTG ein: Hat der gentechnisch ver-änderte Organismus den Schaden verursacht, so gilt die Vermutung, daß dieser Schaden auf der gentechnischen Veränderung beruht. Um in den Genuß dieser Ursachenvermutung zu gelangen, braucht der Geschädigte keine weiteren, außer-halb des Tatbestands liegenden Indizien vorzutragen.44 Das Problem, daß auf-grund fehlender Erfahrungswerte der Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen gentechnischer Veränderung und Schaden nicht zu führen ist, wird damit an den Verursacher (Betreiber) zurückgegeben.

Der Betreiber wiederum kann diese Ursachenvermutung widerlegen. Nach § 34 Abs. 2 ist die Ursachenvermutung entkräftet, wenn es wahrscheinlich ist, daß der Schaden auf anderen Eigenschaften des Organismus beruht. Der Betrei-ber muß seinerseits also ebenfalls nicht den Vollbeweis eines anderen Verursa-chungsweges bringen. Es reicht aus darzutun, daß der von dem Geschädigten

40 Vgl. im einzelnen: Hirsch/Schmidt-Didczuhn, VersR 1990, S. 1196. 41 Vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten: Wilmowsky/Roller, Civil, 1992, S. 59f. sowie

den dortigen Vorschlag für ein "Sphärenmodell". Dazu auch Salje, UmweltHG, § 6 Rn. 20. Im Rahmen der Bemühungen um eine Regulierung der europäischen Abfallhaftung ver-folgte der Erste Richtlinienentwurf der Kommission in Art. 4 Abs. 6 den Ansatz einer Be-weismaßreduzierung, ABl. C 251/1989, S. 3. Der geänderter RL-Vorschlag von 1991 ent-hält diese Regelung nicht mehr, ABl. C 192/1991, S. 7. Zu den Hintergründen vgl. Wil-mowsky/Roller, ebd., S. 51-52.

42 Die dogmatische Einordnung dieser Vorschrift ist umstritten; vgl. Deutsch, Haftung, 1991, S. 125, sowie Stecher, Ursachenvermutungen, 1995, S. 103-105.

43 Damm, NuR 1992, S. 5f. 44 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, VersR 1990, S. 1197.

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nach § 34 Abs. 1 dargelegte Ursachenzusammenhang nicht wahrscheinlich, son-dern eine andere Ursache wahrscheinlicher ist. Nicht ausreichend für die Widerle-gung der Vermutung ist es somit, wenn der Betreiber bloße Zweifel an der gen-technisch bedingten Verursachung vorbringt oder die Möglichkeit einer anderen Verursachung darlegt. Entscheidend dürfte in diesem Zusammenhang sein, daß die praktisch häufig vorkommende non-liquet-Situation zu Lasten des Betreibers geht: Sind beide Verursachungsmöglichkeiten gleich (un-)wahrscheinlich, so bleibt es bei der Ursachenvermutung des § 34 Abs. 1 GenTG.45 Hat der Betreiber seinerseits die Ursachenvermutung widerlegt, so verbleibt dem Geschädigten die Möglichkeit, im Wege des Vollbeweises die Verursachung durch die gentechni-sche Eigenschaftsveränderung nachzuweisen; ein Fall, der in der Praxis freilich kaum vorkommen dürfte.

Gegenüber der Vermutungsregelung des UmweltHG bleibt die "kleine" gen-technische Lösung jedoch deutlich zurück: Dem Anspruchsteller obliegt nach dem GenTG der volle Nachweis für die Emissions- sowie die Immissionskau-salität. Den Nachweis, daß der Schaden nicht auf anderen Umwelteinflüssen, einem eigenen Verhalten oder einer Erbkrankheit beruht, sondern durch den gen-technisch veränderten Organismus verursacht wurde, hat der Geschädigte somit nach den Maßstäben des Vollbeweises zu erbringen.46

6.1.5.2. Fallbeispiel "Tryptophan" Die Praktikabilität dieser Regelung soll nachfolgend anhand eines Beispiels durchgespielt werden. Dabei bleiben hier die Abgrenzungen zur Arzneimittel-haftung zunächst außer Betracht und es wird unterstellt, der gentechnikrechtliche Haftungstatbestand sei auf diesen Fall anwendbar.

Eine neue Erkrankung, die zunächst in den USA, dann auch in der Bundesre-publik auftrat, das sogenannte EMS-Syndrom, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Einnahme des gentechnisch hergestellten Medikaments L-Tryptophan des japanischen Herstellers Showa Denko zurückgeführt werden. Einmal unterstellt, die Verursachung sei mit der für den Vollbeweis erforderlichen Sicherheit er-bracht - nach klinischen und epidemiologischen Untersuchungen ist davon auszu-gehen, daß die Erkrankungen auf eine Änderung des Herstellungsprozesses dieses Medikaments in den Jahren 1985-1988 zurückzuführen sind47 -, so wäre die erste Stufe des Kausalitätsnachweises überwunden.

45 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, VersR 1990, S. 1198. 46 Stecher, Ursachenvermutungen, 1995, S. 268. Bereits dieser Nachweis kann erhebliche

Schwierigkeiten bereiten, instruktiv das Beispiel des Leptospira-Falles; BGH, NJW 1989, S. 2947f.; dazu auch Stecher, Ursachenvermutungen, 1995, S. 198.

47 Mayeno/Gleich, Trends in Biotechnology 1994, S. 347.

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Die Verursachung müßte aber gerade auf der gentechnisch veränderten Eigen-schaft des Organismus beruhen. Diesen Nachweis zu führen, begegnet folgenden tatsächlichen Schwierigkeiten: Im Dezember 1988 wurde der Herstellungsprozeß des Medikaments bei Showa Denko auf gentechnische Produktion umgestellt, jedoch auch eine Änderung im - nicht-gentechnischen - Reinigungsvorgang vor-genommen. Deshalb läßt sich nicht sicher feststellen, daß gerade die gentechni-sche Veränderung des Produkts für die Erkrankung ursächlich war.48 In dieser Situation greift nun die Ursachenvermutung des § 34 Abs. 1 ein: Der Geschädigte braucht diesen Zusammenhang nicht darzulegen, er wird gesetzlich vermutet. Der Hersteller seinerseits kann die Vermutung widerlegen: Er muß dann nachweisen, daß es wahrscheinlicher ist, daß die Änderung im Reinigungsvorgang ursächlich für den Schaden gewesen ist. Gelingt ihm dies nicht, so haftet er nach dem GenTG.

Tatsächlich tritt in diesem Beispielfall die Haftung nach dem GenTG allerdings zurück: Da L-Tryptophan ein zulassungspflichtiges Arzneimittel war, welches an die Verbraucher im Geltungsbereich des AMG abgegeben wurde, ist ausschließ-lich § 84 AMG anwendbar. Im Ergebnis macht dies keinen Unterschied, da es bei der Haftung nach dem AMG nicht darauf ankommt, aufgrund welcher Inhaltsstof-fe oder Veränderungen das Arzneimittel schädigende Wirkung entfaltet hat.

6.2.6. Schadensbegriff

Der Schadensbegriff des Gentechnikgesetzes entspricht dem bisherigen Recht. Danach sind Personen- und Sachschäden ersatzfähig, nicht dagegen reine Vermö-gensschäden und Umweltschäden. Für die Schädigung von Naturgütern, die nach der Rechtsordnung in niemandes Eigentum stehen, ist nach dem Gen-technikgesetz somit kein Ersatz zu leisten. Im Hinblick auf den Umfang des Scha-densersatzes bei der Schädigung von eigentumsrechtlich zugeordneten Naturgü-tern (Biotop auf Grundstück) ordnet § 32 Abs. 7 GenTG jedoch abweichend vom Normalfall des § 251 Abs. 1 BGB an, daß die Wiederherstellung des Biotopes ("Naturalrestitution") nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil der Aufwand der Wiederherstellung den Wert der Sache erheblich übersteigt.

Da gerade ökologische Veränderungen durch den Einsatz bestimmter Anwen-dungsformen der Gentechnik nicht ausgeschlossen sind, erweist sich die fehlende Ersatzfähigkeit von Umweltschäden als wesentliche Lücke im Gesetz. Zudem geht die bislang ergangene Rechtsprechung zu Freisetzungsversuchen davon aus, daß eine Eigentumsbeeinträchtigung durch transgene Übertragung von Pflanzen nur dann gegeben sei, wenn sich dadurch ein besonderes ökologisches Risiko

48 Mayeno/Gleich, Trends in Biotechnology 1994, S. 349.

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verwirkliche. Allein die Tatsache einer Vermischung von transgenen mit "norma-len" Pflanzen sei selbst dann keine Eigentumsverletzung, wenn die Pflanzen bio-logisch angebaut werden und als solche dann nicht mehr vermarktet werden kön-nen.49

6.2.7. Deckungsvorsorge

Für Anlagen, in denen gentechnische Arbeiten der Sicherheitsstufe 2-4 durchge-führt werden, und für Freisetzungen kann die Bundesregierung durch Rechtsver-ordnung bestimmen, daß der Betreiber eine Deckungsvorsorge nachweisen muß, § 36 Abs. 1 GenTG. Eine entsprechende Verordnung wurde bislang jedoch nicht verabschiedet.50 Die Verpflichtung greift deshalb bislang nicht; auch wurde da-von abgesehen, den Nachweis der Deckungsvorsorge zur Genehmigungsvoraus-setzung zu machen.51

Unter Präventionsgesichtspunkten ist diese Vorschrift nur insoweit von Inter-esse, als die Deckungsvorsorge durch eine Haftpflichtversicherung erbracht wird. Dies ist jedoch nicht zwingend, vielmehr besteht die Möglichkeit, den Nachweis durch eine Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung des Bundes oder eines Landes zu erbringen, § 36 Abs. 2 Nr. 2 GenTG. Letzteres ist bei der univer-sitären Forschung regelmäßig der Fall.52

6.2.8. Haftungshöchstbetrag

§ 33 GenTG legt eine Haftungshöchstgrenze fest. Danach haftet der Betreiber bis zu einem Höchstbetrag von 160 Millionen Deutscher Mark pro Ereignis. Der Höchstbetrag gilt absolut; sind mehrere Geschädigte vorhanden, so ist der Betrag aufzuteilen.

49 VG Berlin, Beschl. vom 12.9.1995, ZUR 1996, S. 147ff. mit zu Recht ablehnender An-

merkung von Ginzky, ebd., S. 151ff. Zum Schadensbegriff aus praktischer Sicht vgl. auch unten, Kap. 8.8.1.

50 Der Entwurf einer entsprechenden Verordnung ist abgedruckt bei Landsberg/Lülling, in: Eberbach et al., GenTG, 1994, Anh. zu § 36 GenTG.

51 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 13 Rn. 38 sowie § 36 Rn. 2. 52 Landsberg/Lülling, in: Eberbach et al., GenTG, 1994, § 36 Rn. 25. Vgl. auch unten, Kap.

7.3.2.

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6.2.9. Haftungsausschlüsse

Abweichend von anderen Gefährdungshaftungstatbeständen kennt das GenTG keinen Haftungsausschluß bei höherer Gewalt.53 Der Betreiber haftet somit selbst dann, wenn außergewöhnliche Naturereignisse wie Erdbeben, Blitzschlag etc. den Schaden ausgelöst haben.

6.3. Steuerungsgrenzen des geltenden Gentechnikhaftungsrechts

6.3.1. Gentechnikhaftung bei gewerblicher Tätigkeit

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Bedeutung des Haftungsrechts in der Regel darin zu sehen ist, bestehende ordnungsrechtliche Instrumente zu er-gänzen. Darüber hinaus übernimmt das Haftungsrecht dort, wo es an entspre-chenden ordnungsrechtlichen Genehmigungsvorbehalten fehlt, Präventivfunk-tionen. So ist durch die Änderung des Gentechnikgesetzes 1993 der gesamte Bereich gentechnischer Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 aus der Genehmigungs-pflicht entlassen und lediglich unter Anmeldevorbehalt gestellt worden. Die Ge-fährdungshaftung des § 32 GenTG erfaßt diese Arbeiten jedoch ausnahmslos,54 so daß die rechtliche Verantwortung des Betreibers für seine Tätigkeit insoweit bestehen bleibt.

Für die Bewertung der Steuerungsfähigkeit der gentechnikrechtlichen Haf-tungsvorschriften im Bereich der gewerblichen Tätigkeit dürfte das für das Um-welthaftungsrecht gezogene Fazit in verschärfter Form zutreffen. Angesichts der noch ausgeprägteren Schwierigkeiten beim Kausalitätsnachweis wird auch in Zukunft kaum mit Haftungsfällen zu rechnen sein, so daß die Anspruchs-stellungswahrscheinlichkeit und damit das aus Sicht des Betreibers zu kalkulie-rende Haftungsrisiko tendenziell eher abnehmen wird.

Eine gewisse Wirkung dürfte das Haftungsrecht bei größeren Unternehmen entfalten, bei denen ein größeres Know-how und eine unmittelbare Vernetzung von Rechts-, Konzessions-, Entwicklungs- und Forschungsabteilungen besteht.55 Kleineren Betrieben fehlen demgegenüber häufig bereits die notwendigen Kennt-nisse, um das Risiko eines Haftungsfalles zu beurteilen.

53 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 32 Rn. 27. 54 Koch/Ibelgaufts, GenTG, 1992, § 32 Rn. 16. 55 Instruktiv zum Projektmanagement im Vorfeld der Genehmigungserteilung in einem che-

mischen Großbetrieb Henrich, Genehmigungsverfahren, 1994, S. 71ff.

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6.3.2. Besonderheiten für den Bereich der Forschung

Die bisherigen Erfahrungen mit dem Umwelthaftungsrecht beschränken sich auf den Bereich der industriellen technischen Risiken. Es ist jedoch nicht ohne weite-res sicher, daß die dort gemachten Erfahrungen auf den Bereich der Forschung übertragen werden können.

Zunächst ist zu differenzieren zwischen Industrieforschung und universitärer Forschung.

6.3.2.1. Industrieforschung Im Bereich der Industrieforschung dürften die Wirkungen des Haftungsrechts ebenfalls weitgehend mit den skizzierten Erfahrungen des Umwelthaftungsge-setzes vergleichbar sein. Industrielle Anwender sind mit Haftungsrisiken eher vertraut als universitäre Forscher. Einschränkend ist jedoch auch hier darauf hin-zuweisen, daß dies in erster Linie für größere Industrieunternehmen gilt, die nicht ausschließlich Forschung betreiben, sondern auch industrielle Produktionsanlagen unterhalten. Für diese Unternehmen ist der Umgang mit Haftungsrisiken nichts prinzipiell Neues. Der Betreiber wird auch die im Zusammenhang mit der For-schung möglicherweise vorhandenen Risiken abschätzen und sich gegebenenfalls versichern. Auch ist der Übergang von Forschung, Entwicklung und Anwendung häufig fließend. Die Kanalisierung der Haftung auf den Betreiber führt zudem dazu, daß letztlich eine rechtliche Identität von Forschungsverantwortlichen und Haftpflichtigen besteht.56 Dies alles spricht dafür, der Gentechnikhaftung im Be-reich der Industrieforschung eine prinzipielle Eignung zur Verhaltenssteuerung zuzuschreiben. Für kleinere und mittlere Unternehmen gelten auch hier die bereits angeführten Einschränkungen.

6.3.2.2. Universitätsforschung Gänzlich anders sieht es im Bereich der universitären Forschung aus. Die Frage des rechtlichen Haftungsrisikos ist eine untypische Materie, mit der sich der La-borforscher normalerweise nicht beschäftigt. Die bisher vorliegenden empirischen Befunde deuten ebenfalls in diese Richtung. Danach spielen eventuelle Haftungs-

56 Ob sich das 'Haftungsrisiko' allerdings bis in das Bewußtsein der Forscher im Labor fort-

setzt, erscheint eher zweifelhaft. Aussagen zu diesem Fragenkomplex ("Wüßte ich nicht. Es kann durchaus sein, daß dies dann durch unsere Sicherheitsabteilung aufgefangen wird. Für viele dieser Fragen, muß ich ehrlich sagen, wäre es günstiger gewesen, wenn Sie mit unserem Sicherheitsbeauftragten diskutiert hätten ...", Int. Nr. 17, S. 47) deuten eher das Gegenteil an. Man wird hier aber eine ähnliche 'Filterwirkung' wie bei der Umsetzung der Gentechnikpflichten aus dem GenTG durch innerbetriebliche Zuständigkeitsverteilungen annehmen können.

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risiken im Bewußtsein des Forschungspersonals bei der praktischen Arbeit im Labor so gut wie keine Rolle. Dies gilt auch für das Leitungspersonal.57

Durch die bestehende Rechtslage wird dieser Umstand begünstigt. Aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters der Universität ist Betreiber im Sinne des § 3 Abs. 9 GenTG die juristische Person Universität,58 vertreten durch ihren Präsi-denten. Selbst wenn sie die Betreibereigenschaft auf einen Institutsleiter delegiert, so ist dies für die haftungsrechtliche Zuordnung ohne Belang, denn die Haftung der juristischen Person bleibt bestehen. Dabei besteht die gesetzliche Gefähr-dungshaftung des § 32 GenTG grundsätzlich neben anderen Haftungsvorschriften, etwa einer Amtshaftung aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, fort.59

Die Universitäten sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und zugleich staatliche Einrichtungen (§ 2 HHG, § 58 Abs. 1 HRG) des Landes (vgl. etwa § 1 Abs. 2 HUG). Während die Rechtsnatur der Hochschulen als Körperschaften des öffentlichen Rechts der Freiheit von Wissenschaft und Lehre vor staatlichen Ein-griffen Rechnung trägt, verdeutlicht die Einordnung der Hochschulen als staatli-che Einrichtungen, daß Finanz- und Personalhoheit bei dem jeweiligen Land lie-gen. Danach deckt das Land den Finanzbedarf der Hochschulen im Rahmen der vom Landtag bewilligten Mittel (so § 22 Abs. 1 HHG). Letztlich tritt somit der Staat in die Haftung ein.60 Dies gilt auch für die Gefährdungshaftung des § 32 GenTG.

Die staatliche Haftung folgt dabei dem Selbstversicherungsprinzip. Erforder-liche Mittel zum Schadensausgleich sind danach im Haushaltsplan einzustellen. Eine Fremdversicherung erfolgt grundsätzlich nicht. Dies wird mit dem haus-haltsrechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit begründet, da die Selbstversicherung gegenüber der Fremdversicherung die wirtschaftlich güns-tigere Lösung sei.61 Dem korrespondiert die Regelung in § 36 Abs. 3 GenTG, wonach Bund, Länder und juristische Personen des öffentlichen Rechts (also auch Universitäten) von der Pflicht zur Deckungsvorsorge befreit sind. Der Gesetzge-ber ging insoweit davon aus, daß die Adressaten dieser Regelung regelmäßig in

57 Auf Haftungsfragen ging von sich aus nur einer der befragten Genforscher ein, weil dieses

Problem bei einer Freisetzung von der Universitätsverwaltung aufgeworfen worden war (Int. Nr.12, S. 36).

58 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 3 Rn. 56. 59 Zum grundsätzlichen Nebeneinander von Amtshaftung und staatlicher Gefährdungshaf-

tung: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 28 Rn. 16. 60 Diese Haftung ist nicht subsidiär, sondern trifft das Land unmittelbar, Hirsch/Schmidt-

Didczuhn, GenTG, 1991, § 32 Rn. 17. 61 Vgl. im einzelnen Frischmann, WissR 1989, S. 148.

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der Lage seien, auch Risiken mit besonders hohem Schadenspotential selbst ab-zudecken.62

Die damit verbundenen Probleme einer adäquaten Bewältigung von Groß-schadensereignissen können hier nicht weiter vertieft werden.63 Unter Präven-tionsgesichtspunkten ist jedoch festzuhalten, daß damit die von einer (Fremd-) Versicherung ausgehenden Präventionsanreize - etwa durch Prämiengestaltung oder "risk-management"-Maßnahmen - ebenfalls entfallen. Da das finanzielle Risiko von der eigentlichen Tätigkeit entkoppelt ist und sich im allgemeinen Staatshaushalt verflüchtigt, besteht ein Anreiz zur Risikominimierung durch das Haftungsrecht für die jeweiligen Vorhabenträger nicht.

Für die staatlich geförderte außeruniversitäre Forschung gilt dieser Befund e-benfalls. Privatrechtlich organisierte Forschungseinrichtungen sind zwar nicht nach § 36 Abs. 3 GenTG von der Deckungsvorsorgepflicht befreit. Sie können jedoch nach Abs. 2 die Deckungsvorsorge auch durch eine Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung des Bundes oder eines Landes erbringen. Dadurch sollte sichergestellt werden, daß staatlich geförderte Forschungseinrichtungen, wie etwa die Max-Planck-Institute, sich unmittelbar beim Staat absichern kön-nen.64 Da dies der praktische Regelfall sein dürfte,65 gilt im Hinblick auf die weg-fallende Präventionswirkung einer Fremdversicherung das zur universitären For-schung ausgeführte entsprechend.

Daneben bleibt die deliktsrechtliche Verschuldenshaftung des jeweiligen (an-gestellten) Bediensteten nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 823ff. BGB bestehen. Soweit der jeweilige Verantwortliche jedoch Beamter (z.B. Hochschul-professor) ist, geht die Haftung nach Art. 34 GG i.V.m § 839 BGB auf das Land über. Dies gilt unabhängig davon, ob man die Forschungstätigkeit als dem hoheit-lichen Bereich zuzuordnende66 oder als privatrechtliche Tätigkeit auffaßt. Im letzteren Fall haftet der Beamte zwar nach § 839 auch selbst, er kann jedoch bei

62 Vgl. die amtl. Begr. zu § 30 des Regierungsentwurfs, abgedr. bei Landsberg/Lülling, in:

Eberbach et al., GenTG, 1994, § 36 Rn. 6. 63 Kritisch: Frischmann, WissR 1989, S. 148ff. 64 So die amtl. Begründung, vgl. Landsberg/Lülling, in: Eberbach et al., GenTG, 1994, § 36

Rn. 5. 65 Im Rahmen der staatlichen Forschungsförderung wird offenbar regelmäßig durch Neben-

bestimmungen in den Zuwendungsbescheiden eine Fremdversicherung ausgeschlossen. Dies ist zwar dann nicht möglich, wenn eine Versicherung gesetzlich vorgeschrieben ist. Da § 36 Abs. 2 die Absicherung über eine Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflich-tung eröffnet und somit eine Fremdversicherung gerade nicht zwingend vorschreibt, wären entsprechende Auflagen in den Zuwendungsbescheiden nach wie vor möglich. Hierzu aus-führlich Frischmann, WissR 1989, S. 149ff.

66 Für die Lehrtätigkeit der Hochschullehrer wird dies angenommen, vgl. Stein-berg/Lubberger, Staatshaftung, 1991, S. 279.

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fahrlässigem Handeln den Geschädigten auf die Haftung des Staates verweisen, § 839 Abs. 1 S. 2 BGB.67

Die tatsächliche Risikoverantwortung des Forschers im Labor und die recht-liche Zuweisung des Haftungsrisikos fallen somit auseinander. Von daher besteht für die Leiter und Mitarbeiter der universitären Forschungslabors kein haftungs-rechtlicher Anreiz zur Minderung von Haftungsrisiken. Zudem entfallen die von einer Haftpflichtversicherung zu erwartenden Präventionsanreize aufgrund des Selbstversicherungsprinzips der staatlichen Forschung. Aufgrund der fehlenden Verzahnung zwischen den für etwaige Schadensfälle zuständigen staatlichen Organen einerseits und den für die universitäre Forschung verantwortlichen For-schern andererseits bestehen auch keine unmittelbaren Rückkoppelungen. Ein der Umwelthaftpflichtversicherung vergleichbares Risikomanagement zur Minimie-rung des Haftpflichtrisikos geht von der staatlichen Landeshaushaltsverwaltung nicht aus und ist von dieser auch nicht zu erwarten. Die eingangs angeführten empirischen Befunde verwundern deshalb nicht.

6.4. Erhöhung der Steuerungsfähigkeit

6.4.1. Verbesserung beim Kausalitätsnachweis

Von entscheidender Bedeutung für die Wirksamkeit eines Haftungsregimes ist die Regelung des Kausalitätsnachweises. Daß gerade bei Umwelthaftungsfällen hier die größten Schwierigkeiten liegen, ist vielfach hervorgehoben worden. Der Nachweis der kausalen Verknüpfung zwischen Gefahrenquelle und eingetretenem Schaden in der Gentechnik könnte so "zum Kardinalproblem" werden.68

Andererseits kann das Recht gerade durch Regelungen über Beweismaß und Beweislast einen Beitrag zum Umgang mit Ungewißheit leisten und eine ange-messene Risikoverteilung vornehmen. Für den Zivilprozeß ist das Phänomen der "Ungewißheit" durchaus ein typisches: Regelungen über Beweismaß und Beweis-last verteilen das prozessuale Risiko der Unaufklärbarkeit bestimmter Sachver-halte.

Eine Erleichterung beim Kausalitätsnachweis kann dabei auf zwei Wegen er-folgen, die im praktischen Ergebnis nicht weit auseinanderliegen dürften.69 Zum einen könnte das Beweismaß auf den Nachweis der überwiegenden Wahr-

67 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1990, § 25 Rn. 59. 68 Damm, NuR 1992, S. 2. 69 Ebenso Damm, JZ 1989, S. 566.

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scheinlichkeit gesenkt werden.70 Entsprechende rechtspolitische Vorschläge wur-den bislang freilich stets zurückgewiesen, wenngleich der erste Entwurf einer Richtlinie zur Abfallhaftung der EG eine vergleichbare Beweismaßsenkung ent-hielt.71 Im Schrifttum wird dies zum Teil befürwortet.72

In das bestehende deutsche System würde eine verbesserte Vermutungsrege-lung eher passen, die die Beweislast zugunsten des Geschädigten verschiebt. Über die bestehende Regelung in § 34 GenTG hinaus könnte die Vermutungs-regel auch die Emissions- und Immissionskausalität erfassen73 und nicht lediglich die Verursachung aufgrund der gentechnischen Veränderung des Organismus. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag wurde im Gesetzgebungsverfahren des Gentechnikgesetzes bereits vom Rechtsausschuß des Bundesrates sowie von der SPD-Fraktion unterstützt.74 Gegen eine derartig erweiterte Vermutungsregel läßt sich nicht einwenden, daß im Bereich der Gentechnik das Erfahrungswissen feh-le, um eine entsprechende Vermutungsregel aufzustellen. Zutreffend wird darauf hingewiesen, daß die Beweisnot, die aus der Lückenhaftigkeit des Wissens der Gentechnologie resultiert, gerade ein Argument für und nicht gegen die Aufnahme von Beweiserleichterungen ist.75 Die Gefahr einer Verdachtshaftung besteht da-bei nicht. Fehlen die notwendigen tatsächlichen Erfahrungswerte für die "Eig-nung" einer Schädigung im konkreten Fall, so würde die Vermutungsregel zu Lasten des Geschädigten leerlaufen. Dies schließt aber nicht aus, daß durch fort-schreitende Erkenntnisse ein entsprechendes Wissen erzeugt wird, welches in Zukunft die Inanspruchnahme der Vermutungsregel begründen könnte. Das Ge-setz wäre damit offen für die Aufnahme neuer Erkenntnisse, womit ein Stück "Lernfähigkeit" in das Gesetz eingebaut wäre.76

Neben der Verbesserung der Vermutungsregel ist jedoch auch daran zu den-ken, unter bestimmten Voraussetzungen weitere Beweiserleichterungen zuzu-lassen. In der Kommentarliteratur wird dies insbesondere bei einem Verstoß ge-gen Sicherheitspflichten erwogen.77 Der BGH hat eine Beweislastumkehr in der 'Kupolofenentscheidung' bei einer Überschreitung von Emissionsgrenzwerten für

70 Teilweise wird die Anwendung eines verringerten Beweismaßes bereits de lege lata in der

Literatur befürwortet; die Rechtsprechung neigt gelegentlich ebenfalls dazu, vgl. Stecher, Ursachenvermutungen, 1995, S. 203ff.

71 Dazu: Wilmowsky/Roller, Civil, 1992, S. 52-54. 72 Assmann, Rechtsfragen, 1990, S. 72. 73 Vgl. oben, Kap. 7.2.4. 74 Vgl. die Nachweise bei Damm, NuR 1992, S. 4. 75 Damm, NuR 1992, S. 4; im Ergebnis ebenfalls für eine Angleichung an das UmweltHG

Stecher, Ursachenvermutungen, 1995, S. 272. 76 Damm, NuR 1992, S. 4. 77 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 34 Rn. 16.

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denkbar erachtet.78 Der Gesetzgeber könnte eine Beweislastumkehr in Fällen anordnen, in denen gegen Sicherheits-, Aufzeichnungs- oder Informa-tionspflichten verstoßen wird, soweit ein Zusammenhang mit den eingetretenen Schäden vermutet werden kann. Ob demgegenüber auch an den Verstoß gegen die Risikokommunikationspflicht79 im Sinne des Erfordernisses eines Wissens-austauschs weitere Beweiserleichterungen geknüpft werden könnten, erscheint eher zweifelhaft. Es ist nämlich nicht gesichert, daß insoweit ein Bezug zu einem konkreten Schadensereignis herstellbar ist.

6.4.2. Anreiz zur Wissensgenerierung

Gesetzliche Vermutungsregelungen werden allgemein auch als Anreiz zur Wis-sensproduktion verstanden. Hierzu trägt auch die Einbeziehung des Ent-wicklungsrisikos in die gesetzliche Haftung bei. Beides kann einen Anreiz zu einer verstärkten Sicherheitsforschung geben.80 Damit kann zwar das Grund-problem fehlenden Wissens und bestehender Unsicherheit nicht gelöst werden; das Recht kann jedoch zu einer interessengerechten Verteilung der Lasten beitra-gen, die mit dem Mangel an Wissen verbunden sind.81 Die Ungewißheit trifft beide Seiten gleichermaßen, aber nur der Betreiber ist in der Lage, Wis-sensdefizite durch zielgerichtete Forschung zu beheben.

6.4.3. Reflexives Haftungsrecht?

Allerdings darf man auch von einer erweiterten Kausalitätsvermutung nicht zu viel erwarten. Angesichts der beschriebenen Besonderheiten im universitären Forschungsbereich, der einen Großteil der bundesdeutschen Genforschung aus-macht, und des damit verbundenen praktischen Ausfalls der Steuerungswirkung der gentechnischen Haftungsvorschriften kann auch die beste Beweislastregelung nicht weiterhelfen. Zu überlegen ist deshalb, ob das Haftungsrecht nicht als An-reiz für eine Selbstregulierung - in der Sprache der Systemtheorie: Kontext-steuerung - genutzt werden kann. Vergleichbares wird für das Strafrecht disku-tiert: Herzog hat darüber nachgedacht, eine "Art von strafrechtlicher Garantie prozedural geregelter Foren der Selbstkontrolle und Folgenreflexion" zu schaf-fen.82 Ausgangspunkt der Überlegung ist dabei, daß sich gerade For-

78 BGHZ 92, 143 (146f.). 79 Vgl. oben, Kap. 1, 3. 80 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 32 Rn. 13. 81 Assmann, Rechtsfragen, 1990, S. 51. 82 Herzog, ZStW 1993, S. 749.

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schungsprozesse weitgehend einer konditionalen Programmierung durch Recht entziehen.

Überträgt man diesen Gedanken in den Bereich des Haftungsrechts,83 so wäre zu erwägen, die Haftung daran zu koppeln, daß die Forschung verfahrensmäßigen Pflichten unterworfen wird, die sie "in die Lage versetzen, die externen Folgen ihres Wirkens mitzubedenken und als mögliche Rückwirkungen auf sie selbst in ihre Entscheidungsprozesse einzustellen".84 Zu denken ist insbesondere an die Konsultation von Ethik-Kommissionen, aber auch an die Pflicht, die gewonnenen Forschungsergebnisse in der eigenen Forschungsgemeinde sowie mit externen Kritikern eigener und anderer Disziplinen zu reflektieren.85 Hierzu müßten Ver-fahren der "Forschungsfolgenabschätzung" entwickelt werden. Entsprechende Gremien sind so zu besetzen, daß eine möglichst weitgehende plurale Vertretung wissenschaftlicher Disziplinen und Meinungen gewährleistet ist. Auch wäre denkbar, risikobehaftete Forschung unter den Vorbehalt einer entsprechenden Risikobegleitforschung zu stellen.

Bei Erfüllung dieser internen und externen Risikokommunikationspflicht86 wä-re es denkbar, die zuvor geschaffenen strengen Haftungsvoraussetzungen zu lo-ckern, etwa eine Verursachungsvermutung zu entkräften. Damit würde derjenige begünstigt, dessen Forschung transparent ist, sich einer kritischen Prüfung stellt und zur weiteren Risikoaufklärung beiträgt. Das Haftungsrecht könnte so zum Motor einer verstärkten Selbstkontrolle werden.

Da gerade im Bereich der universitären Forschung rechtliche Haftung und tat-sächliche Verantwortung auseinanderfallen, wäre darüber hinaus zu erwägen, die verantwortlichen Leitungspersonen in die Haftung einzubeziehen. Dies gilt insbe-sondere für den Projektleiter, der eine herausgehobene Position einnimmt und einen wesentlichen Teil der Verantwortlichkeit des Betreibers wahrnimmt.87 Da-bei dürfte allerdings die Haftung nur insoweit auf diese Personen ausgedehnt werden, als sie entsprechende Pflichten der Selbstkontrolle nicht wahrnehmen. Dies könnte etwa für die Informations-, Dokumentations- sowie für die näher zu bestimmende Risikokommunikationspflicht gelten. Insoweit würde es sich um eine modifizierte Verschuldenshaftung handeln: Erst der Verstoß gegen die ge-setzlich festgelegte Pflicht begründet dann die Haftung.

Da jedoch eine Haftung der verantwortlichen Personen nach § 823 BGB ohne-hin besteht, und diese Haftung gerade auch an Sorgfaltspflichtverletzungen an-

83 Demgegenüber erscheint die Anwendung des Strafrechts in diesem Bereich weniger ange-

messen, vgl. hierzu unten, Kap. 6.5.3. 84 Herzog, ZStW 1993, S. 749. 85 Interne "Risikokommunikation", vgl. Eberbach, GenTR, 1994, vor § 14 GenTSV Rn. 10. 86 Vgl. auch oben, Kap. 4.3.4. 87 Eberbach, vor § 14 GenTSV, Rn. 17; vgl. im einzelnen oben, Kap. 4.

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knüpft, besteht der Unterschied zur geltenden Rechtslage im wesentlichen darin, daß der Geschädigte in den Genuß der gentechnikrechtlichen Beweis-erleichterungen kommt.

6.4.4. Aufgabe des Selbstversicherungsprinzips bei der universitären For-schung

Mit den vorstehenden Überlegungen ist jedoch das Auseinanderfallen von tat-sächlicher Verantwortung und rechtlicher Haftung bei der universitären For-schung nicht gelöst. Da eine grundsätzliche Änderung des staatshaftungs-rechtlichen Prinzips der Übernahme der Haftung durch den Staat bereits aus Gründen des Geschädigtenschutzes nicht sinnvoll ist, erscheint als Haupthin-dernis einer Präventionswirkung das Prinzip der Selbstversicherung. Dieses Prin-zip sollte deshalb überdacht werden. Es ist nicht einzusehen, warum nicht auch staatliche Einrichtungen, sofern sie wie Private einer risikoträchtigen Forschungs-tätigkeit nachgehen, eine Fremdversicherung in Anspruch nehmen sollen. Zu einer unzumutbaren Belastung des Staatshaushaltes dürfte dies kaum führen, zumal die positiven Präventionsanreize, die damit verbunden sind, zu einer Risikoreduzie-rung führen können.

6.4.5. Haftung von Fördergebern

Forschung, insbesondere Grundlagenforschung, kommt ohne staatliche Förder-mittel nicht aus. Mit der Vergabe von Forschungsgeldern ist somit eine wesent-liche Voraussetzung für die Forschung überhaupt gegeben. Damit verbunden sind freilich auch entsprechende forschungspolitische Steuerungsmöglichkeiten und letztlich eine staatliche Mitverantwortung für mit der Forschung verbundene Risi-ken.

Denkbar wäre deshalb, über das Haftungsrecht einen Anreiz für den Förderge-ber zu schaffen, bei der Forschungsförderung verstärkt mögliche Risikofolgen der Forschung einzubeziehen. Vorbild könnte insoweit die US-amerikanische Kredit-geberhaftung ("lender liability") sein. Ob dies unter Steuerungsgesichtspunkten sinnvoll ist, wäre allerdings im einzelnen weiter zu überprüfen.88

88 Zur Wirkung der Kreditgeberhaftung als proaktives Instrument vgl. Führ et al., Proaktive,

1995, Kap. XIII.

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6.4.6. Fazit

Bei der gentechnischen Forschung, insbesondere im universitären Bereich, er-weist sich das geltende Haftungsrecht weitgehend als nicht geeignet, präventive Steuerungsimpulse zu geben. Ob dies durch eine umfangreiche Umgestaltung des geltenden Haftungsrechts, die weit in die bestehenden Strukturen des Staatshaf-tungsrechts hineinreichen würde, möglicherweise geändert werden könnte, ist nicht sicher. Denkbar wäre allerdings, das Prinzip der Selbstversicherung zu ü-berdenken und durch ein Fremdversicherungsprinzip zu ersetzen.

Sinnvolle Verbesserungen des Haftungsregimes könnten darüber hinaus im Be-reich der gewerblichen Produktion durch eine Verbesserung der Beweislastregeln sowie durch eine Einbeziehung von Umweltschäden in die Haftung erreicht wer-den; "Vergünstigungen" für den potentiellen Verursacher sollten an die Erfüllung von Risikovorsorge- und Risikokommunikationspflichten geknüpft werden.

6.5. Strafrechtliche Haftung

6.5.1. Funktion und Grenzen strafrechtlicher Normen

Als "schärfstes" Steuerungsinstrument kommen strafrechtliche Regelungen in Betracht. Im steuerungstheoretischen Zusammenhang stellt sich allerdings die Frage, in welchem Umfang strafrechtliche Normen überhaupt verhaltenssteuernde Wirkung entfalten. Die Wirkung von Strafrechtsnormen auf einzelne Personen bzw. die Eignung solcher Normen zur Steuerung von gesellschaftlichen bzw. gruppenspezifischen Verhaltensweisen wird mit dem Begriff der generalpräventi-ven Wirkung des Strafrechts umschrieben. Während die klassische, in der Auf-klärung begründete, generalpräventive Straftheorie als Theorie des psy-chologischen Zwanges auf die abschreckende Wirkung der Strafdrohung setzt, versuchen neuere Theorien das Strafrechtssystem als einen Teilbereich sozialer Kontrolle zu begreifen. Dementsprechend ist nicht Abschreckung, sondern Be-hauptung und Sicherung der grundlegenden Normen das generalpräventive Ziel des Strafrechts.89 Schon daraus erhellt, daß strafrechtliche Sanktionen nur als äußerstes Mittel zur Sicherung eines grundlegenden (sozialen) Normenbestandes sinnvoll sind und nicht dazu dienen, "avantgardistische Änderungen der Wertvor-stellungen der Bevölkerung" herbeizuführen.90 Dementsprechend ergibt sich auch für den Regelungsbereich Gentechnik im weitesten Sinne, daß nur dort strafrecht-

89 Hassemer, Einführung, 1981, S. 296. 90 Günther, Strafrechtlicher, 1991, S. 140.

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liche Normen zur Anwendung kommen sollten, wo es um elementare Normab-weichungen geht. Strafrecht ist somit gegenüber anderen Regelungsinstrumenten stets subsidiär; es stellt die "ultima ratio" gesetzgeberischer Steuerungsmöglich-keiten dar.

Auch in der neueren generalpräventiven Straftheorie kann im übrigen die Fra-ge, "inwiefern Strafdrohung und Strafvollzug als Vorbild und Muster sozialer Kontrolle wirken", nicht abschließend beantwortet werden.91 Diese Frage muß hier auf sich beruhen. Es ist jedoch davon auszugehen, daß gerade im Bereich des industriellen Umweltschutzes strafrechtliche Sanktionsdrohungen eine gewisse Wirkung entfalten, die eher größer sein dürfte als in "klassischen" Strafrechtsbe-reichen.

Da strafrechtliche Normen nur gesellschaftlich in erhöhtem Maße uner-wünschtes Verhalten sanktionieren sollen, ist der mögliche Anwendungsbereich hier von vornherein begrenzt. Strafrechtliche Normen kommen somit vor allem in zwei Bereichen der Gentechnik in Betracht: Zur Verhinderung ethisch uner-wünschter Experimente, insbesondere im Bereich der Anwendung gentechnischer Methoden am Menschen, sowie zur Vermeidung sozial unerwünschter Folgen für die Allgemeinheit und die Umwelt, die sich aus einer unkontrollierten Anwen-dung sonstiger gentechnischer Methoden ergeben können.

6.5.2. Bestehende Regelungen

Insbesondere im Bereich der experimentellen Forschung am Menschen gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens, bestimmte Verfahren nicht zuzulas-sen.92 Dementsprechend stellt das Embryonenschutzgesetz v. 13.12.199093 die künstliche Veränderung der menschlichen Keimbahnzellen - also die Verände-rung der menschlichen Erbinformation - durch § 5 Abs. 1 ESchG unter Strafe.94

91 Hassemer, Einführung, S. 298. 92 Vgl. etwa aus konservativer Sicht: Vorndran, ZRP 1987, S. 113; im übrigen auch Gün-

ther, Strafrechtlicher, 1991, S. 142 Fn. 18 m.w.N. und S. 143. 93 BGBl. I, 2746. 94 Das Verbot geht zurück auf die klare Empfehlung der Enquête-Kommission, BT-Dr.

10/6775, Abschnitt C 6, 6.3.3.5 (S. 190). Darüber hinaus sind in § 6 ESchG unter anderem die künstliche Herstellung eines Embryos, der in seinem Genom erbgleich ist mit einem an-deren menschlichen Lebewesen (sogenanntes "klonen") sowie in § 7 die Vereinigung von Embryonen zu einem Zellverband (d.h. die Herstellung eines mit dem Erbgut von minde-stens vier Elternteilen versehenen Embryos, sogenannte Chimärenbildung) und die Bildung von Lebewesen, die mit Keimzellen von Mensch und Tier erzeugt wurden (Hybridbildung), unter Strafe gestellt. Sämtliche dieser Tatbestände schützen die Menschenwürde. For-schungsspezifische Straftatbestände enthalten auch die §§ 1 und 2 ESchG im Hinblick auf

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Angesichts der gegenwärtigen Unmöglichkeit, derartige Eingriffe technisch zu beherrschen, hat sich der Gesetzgeber für ein umfassendes Verbot entschieden. Ratio legis der Vorschrift ist allerdings nicht die Verhinderung einer "positiven" Eugenik, also die Züchtung "besserer" Menschen,95 sondern der Schutz des Le-bens, der körperlichen Unversehrtheit und der Menschenwürde vor Experi-menten, die irreversible Folgen für die Probanden haben würden.96 Die eigentli-chen grundsätzlichen ethischen Fragen bleiben somit ausgeklammert; der Gesetz-geber hat sich vielmehr aus technisch-pragmatischen Gründen für ein Verbot entschieden.97 Die somatische Gentherapie ist von diesem Verbot allerdings nicht erfaßt.98 Insoweit gelten lediglich die allgemeinen Strafrechtsnormen, insbeson-dere der §§ 223ff. StGB. Danach ist grundsätzlich in jedem ärztlichen Eingriff eine tatbestandsmäßige Körperverletzung zu erblicken,99 die einer besonderen Rechtfertigung - Einwilligung des Patienten - bedarf. Insoweit wird die Notwen-digkeit einer gesetzlichen Regelung erwogen.100

Reproduktionstechniken und Embryonenforschung. Das Verbot der Embryonenforschung gilt als strafbewehrtes Forschungsmoratorium; Günther, Strafrechtlicher, 1991, S. 168f.

95 Daß derartige Vorstellungen nicht bloß in den apokalyptischen Vorstellungen von Gen-technikkritikern an die Wand gemalt werden, sondern gerade auch bei den Verfechtern der Gentechnik zu finden sind, belegt in aller Eindrücklichkeit Shapiro, Bauplan, 1995, S. 379: "Nach dieser Idee ... könnten werdende Eltern aus einer Liste genetischer Möglichkeiten auswählen, welche Eigenschaften ihr Kind erhalten und welche Defekte korrigiert werden sollten. Ein Ehepaar in der Zukunft könnte den Wunsch haben, daß ihr Kind zwei Kopien eines mit musikalischem Talent verknüpften Gens besitzen, aber eines verlieren sollte, das eine größere Anfälligkeit für umweltbedingten Krebs verleiht. Andere Paare hätten ihre ei-gene Wunschliste. Da keine zentrale Planung durch eine kontrollierende Behörde hinsicht-lich der Gesamtbevölkerung beteiligt sein würde, wäre es ebenso wahrscheinlich, daß sich die Vielfalt erhöht, wie daß sie abnimmt. Die Frage, welche Änderungen 'bessere' Men-schen bescheren, müßte jeder für sich selbst entscheiden. Die Antworten würden unter-schiedlich ausfallen, so wie heute die individuelle Lebensweise variiert.".

96 Keller et al., Kommentar zum Embryonenschutzgesetz, 1992, § 5 Rn. 3 sowie die Geset-zesbegründung der Bundesregierung, zit. ebd. Rn. 4.

97 Keller et al., Kommentar zum Embryonenschutzgesetz, 1992, § 5 Rn. 5. Ausdrücklich die Gesetzesbegründung: "Unter diesen Umständen kann ... offenbleiben, ob es überhaupt - etwa zur Verhinderung schwerster Erbleiden - verantwortet werden könnte, eine künstli-che Veränderung menschlicher Erbanlagen auf dem Wege eines Gentransfers in Keim-bahnzellen zuzulassen ...", zit. n. Keller et al., Kommentar zum Embryonenschutzgesetz, 1992, § 5 Rn. 4. Eine Lockerung des Verbots in eben diesem Sinne hält Bickel, VerwArch 1996, S. 175 offenbar für möglich, allerdings unter Hinweis auf die Mißbrauchsgefahren.

98 Schreiber, Rechtliche, 1995, S. 255. BR-Drs. 417/89, 25; BT-Drs. 11/5460. 99 So jedenfalls die Rechtsprechung des BGH; vgl. zum ganzen Schreiber, Rechtliche, 1995,

S. 253f. 100 Unter Hinweis auf die Rechtsprechung zur "Wesentlichkeit" des Bundesverfassungsge-

richts dafür: Bickel, VerwArch 1996, S. 175.

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Spezifisch gentechnische Straftatbestände enthält § 39 GenTG. Nach Abs. 2 wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer - ohne Genehmigung gentechnisch veränderte Organismen freisetzt (Nr. 1), - ohne Genehmigung eine gentechnische Anlage betreibt (Nr. 2). Mit dieser Strafvorschrift werden besondere Normabweichungen sanktioniert, die ein erhebliches Gefahrenpotential verursachen können. Die Strafbarkeit knüpft allerdings nicht an eine tatsächliche Gefährdung an, sanktioniert wird vielmehr bereits der "Verwaltungsungehorsam": Wer eine Genehmigung nicht einholt, macht sich unabhängig davon strafbar, wie gefährlich sein Tun tatsächlich ist. Es handelt sich insoweit um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Das Gefährdungs-ausmaß kann allenfalls bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden. Die Strafbarkeit rechtfertigt sich in diesem Fall aus der Tatsache, daß aufgrund der besonderen Risiken der jeweiligen Tätigkeit diese unter Genehmigungsvorbehalt gestellt sind.101

Eine Erhöhung der Strafdrohung bis zu fünf Jahren tritt ein, wenn durch eine der vorbezeichneten Handlungen Leib oder Leben anderer, fremde Sachen von bedeutendem Wert oder Bestandteile des Naturhaushaltes von erheblicher ökolo-gischer Bedeutung gefährdet werden (Abs. 3). Gleiches gilt, wenn bestimmte, sonst lediglich als Ordnungswidrigkeiten verfolgte Handlungen derartig qualifi-zierte Folgen haben, so etwa die vorsätzlich unterlassene, nicht rechtzeitige oder nicht richtige Anzeige des Projektleiterwechsels. Bei Abs. 3 handelt es sich um ein konkretes Gefährdungsdelikt.102 Strafbar ist darüber hinaus, wer der Dek-kungsvorsorgeverordnung zuwiderhandelt, soweit in dieser Rechtsverordung auf die Strafvorschrift des Gentechnikgesetzes verwiesen wird (Abs. 1). Der Versuch und die fahrlässige Handlung sind strafbar.

Diese Regelungen im Gentechnikgesetz erscheinen angemessen. Sie entspre-chen im wesentlichen dem geltenden § 327 Abs. 2 StGB für immissionsschutz-rechtliche Anlagen. Ein Wertungswiderspruch besteht allerdings insoweit, als eine ohne Genehmigung erfolgte Freisetzung strafbar ist, während das Inver-kehrbringen gentechnisch veränderter Produkte ohne Genehmigung eine bloße Ordnungswidrigkeit darstellt (§ 38 Abs. 1 Ziff. 7). Da von einem unkontrollierten Inverkehrbringen unter Umständen für die Verbraucher erheblich höhere Risiken ausgehen können, erscheint diese Differenzierung nicht plausibel.

101 Zur Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Gefährdungsbereich bei Umweltdelikten vgl.

auch Breuer, JZ 1994, S. 1088ff. 102 Eberbach, vor § 14 GenTSV Rn. 72.

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6.5.3. Weitergehende Steuerung der Forschung durch Strafrecht?

Unter bestimmten Voraussetzungen103 ist auch die Forschungsfreiheit gesetzlich begrenzbar; als ultima ratio kann Forschung auch strafrechtlich untersagt werden. Abgesehen davon, daß bereits die allgemeinen Strafgesetze for-schungsbeschränkend wirken können,104 wird dies durch die Tatbestände des ESchG verdeutlicht, die allgemein als verfassungsrechtlich zulässig angesehen werden.

Ob über die beschriebenen bestehenden Strafrechtsnormen hinaus eine Risi-kosteuerung der Forschung durch Strafrecht sinnvoll und überhaupt möglich ist, erscheint eher zweifelhaft. Zu denken wäre hier etwa daran, daß bereits die Er-zeugung bestimmten Wissens ethisch unerwünscht ist. Die fortschreitende Ent-schlüsselung des menschlichen Genoms eröffnet nicht nur neue Chancen der Prä-vention, sondern birgt die Gefahr eines "gläsernen Menschen"105 sowie mög-licherweise einer veränderten Sichtweise auf bestehende - dann vermeidbare - Krankheiten und Behinderungen. Trotz der berechtigten Vorbehalte gegen diese Forschungen ist es doch nicht angezeigt, insoweit mit dem Strafrecht zu rea-gieren. Die bloße Generierung neuen Wissens zu unterbinden, stellte einen kaum zu rechtfertigenden Eingriff in die Forschungsfreiheit dar. Die bloße Möglichkeit sozial-schädlicher Verwendung neuen Wissens vermag deshalb Einschränkungen der Forschungsfreiheit nicht zu rechtfertigen. Erst wenn die Verwendung dieses Wissens seinerseits geschützte (Verfassungs-)Rechtsgüter bedroht, kann auch der Strafgesetzgeber zum Handeln berufen sein.106 Dies gilt insbesondere für sämtli-che Anwendungsformen der Humangenetik, die die Rechtsgüter Leben, körperli-che Unversehrtheit, Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht verletzen können. Ein non-liquet geht hier zu Lasten der Humangenetik.107 Zum Schutz dieser fun-damentalen Rechtsgüter können strafrechtliche Normen erforderlich sein. Insbe-sondere reichen Maßnahmen der Selbstregulation aufgrund ihrer mangelnden Verbindlichkeit nicht aus.

Soweit Gefahren im Bereich der "grünen" Gentechnik betroffen sind, etwa schwerwiegende Auswirkungen auf die Evolution, so ist festzuhalten, daß Straf-rechtsnormen auf klar umrissene Tatbestände, auf konditionierbare Lebenssach-verhalte angewiesen sind. Selbst die hier allein in Frage kommenden Eignungs-

103 Dazu im einzelnen oben, Kap. 4.4. 104 Herzog, ZStW 1993, S. 731. 105 Günther, Strafrechtlicher, 1991, S. 273f. 106 In diesem Sinne auch die Enquête-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechno-

logie", BT-Dr. 10/6775, Abschnitt E, 1.2.2 (S. 284). Berücksichtigt werden kann aller-dings bereits das Ziel der Forschung, so auch Bickel, VerwArch 1996, S. 169 (176).

107 Günther, ZStW 1990, S. 276.

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und Gefährdungstatbestände setzen das Wissen um mögliche Gefährdungen vor-aus.108 Auf den Umgang mit (objektiver)109 Ungewißheit ist das Strafrecht noch viel weniger angelegt als die präventiv wirkenden Normen des Ordnungs- oder Haftungsrechts. "Unwissenheit schützt vor Strafe nicht"; diese Regel läßt sich eben nicht auf objektiv nicht bekannte Risiken anwenden, will man nicht ein völ-lig konturenloses Strafrecht hinnehmen.

Neuere Überlegungen, die dahingehen, im Wege "reflexiven Strafrechts" die Unterwerfung unter Verfahren der Selbstkontrolle den Forschern zur Pflicht zu machen, erkennen demgegenüber an, daß der "rechtliche Hase" dem "technolo-gischen Igel" ohnehin unterlegen ist110 und verzichten auf materielle Vorgaben zugunsten prozedural geregelter Muster der Konfliktbewältigung.111 Auch inso-weit erscheinen jedoch Strafrechtsnormen verfehlt. Reflexion, Selbststeuerung und Selbstverantwortung können nicht durch strafrechtliche Sanktionsdrohungen erzwungen werden. In diesem Bereich besteht darüber hinaus die Gefahr, daß das Strafrecht kontraproduktiv wirkt.112 Sinnvoller erscheint es insoweit, durch An-reize (Forschungsförderung), möglicherweise auch durch haftungsrechtliche Sanktionen,113 die Bereitschaft der Forscher zu erhöhen, sich auf entsprechende Verfahren einzulassen.

108 Instruktiv zu den zu erwartenden Problemen bei der Schaffung eines Straftatbestandes

"Menschheitsgefährdende Forschungsausrichtung" als Gefährdungs- oder Eignungsdelikt: Herzog, ZStW 1993, S. 746f.

109 Vgl. oben, Kap. 1, S. 24. 110 So das Bild von Herzog, ZStW 1993, S. 732. 111 So das angedachte Modell bei Herzog, ZStW 1993, S. 749f. 112 So im Ergebnis wohl auch Herzog, ZStW 1993, S. 750. 113 Oben, Kap. 6.4.3.

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Kapitel 7: Die Implementierung des Gentechnikgesetzes (Ge-schlossenes System)

Bezugnehmend auf die bisher herausgearbeitete analytische Unterscheidung zwi-schen 'erfahrungsbasierter' und 'ungewißheitsbasierter Regulierung' kann man die Umsetzung des Gentechnikgesetzes unter zwei Perspektiven betrachten: Zum einen als die Implementierung herkömmlichen Vorsorgerechts (erfahrungsbasierte Regulierung), das sich im gegenwärtigen, noch vorwiegend embryonalen Stadium der technisch-industriellen Umsetzung der Gentechnik überwiegend auf For-schungshandeln bezieht. Zum zweiten als die Implementierung eines Gesetzes, das erstmals in stärkerem Maße auch dem Phänomen der Ungewißheit, wie es insbesondere - aber nicht nur - Merkmal der Forschung ist, Rechnung trägt (un-gewißheitsbasierte Regulierung).

Beide Perspektiven sollen in den nächsten Kapiteln empirisch verfolgt werden: Welche Sichtweisen machen sich die Behörden, die Wissenschaftler und die Öf-fentlichkeit jeweils zu eigen und welche Interaktionsdynamik entwickelt sich hier?

In diesem Kapitel soll nach der Implementierung des Gentechnikgesetzes, so-weit es die Laborforschung betrifft, gefragt werden. Dabei sollen zunächst die theoretisch zu erwartenden Interessen erörtert werden und dann die tatsächlich zu beobachtenden Diskurse und Aktionen auf den einzelnen Ebenen vom Normsen-der zu den Normadressaten - und via Novellierungsdebatte zurück - herausgear-beitet werden.

7.1. Theoretische Überlegungen zur Interessenstruktur im Regulierungs-feld

Zunächst soll vorab gefragt werden, welche Steuerungsinteressen und -kapazi-täten im Regulierungsfeld der die Laborforschung betreffenden Abschnitte des Gentechnikgesetzes zu erwarten sind, und welche Präferenzen und Optionen für Folgebereitschaft, Abwanderung oder Widerspruch demnach bestehen.1

1 Vgl. im folgenden zu Eigeninteressen von Forschungsorganisationen gegenüber politischen

Steuerungsversuchen im allgemeinen Hohn/Schimank, Konflikte, 1990; Schimank/Stucke, Coping, 1994; Schimank, ZfS 1995; und Schimank, Steuerung, 1995. Zu Eigeninteressen von Forschungsorganisationen gegenüber der Risikosteuerung im besonderen vgl. Has-se/Gill, Biotechnological, 1994; sowie Gläser et al., People, 1994. Zu grundsätzlichen Handlungsoptionen vgl. Hirschman, Exit, 1970.

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Die Behörden sind zwar grundsätzlich an die Vorschriften des Gentechnik-gesetzes gebunden, aber bei seiner Anwendung ergeben sich Auslegungs- und Ermessensspielräume. Insbesondere Art und Inhalt der Überwachung ist im Ge-setz nicht näher festgelegt.2 Als genuines Eigeninteresse kann man den Behörden unterstellen, daß sie am Erhalt und Ausbau ihrer Kompetenzen und Ressourcen interessiert sind, dabei aber in der Selektion und Strukturierung ihrer Aufgaben den Weg des geringsten erwartbaren Widerstands - von seiten der politisch ge-wählten Amtsspitze, von anderen Dienststellen, von den Rechtsadressaten oder aus der Öffentlichkeit - wählen.3 Dabei sind selbstverständlich auch die amtli-cherseits besonders engen Bindungen an Haushalts-, Dienst- und Datenschutz-recht zu berücksichtigen. Hinzu kommen spezifische Motive und Interessen, die sich aus dem angestammten Aufgabenfeld der mit der Umsetzung betrauten Res-sorts, ihrer Vernetzung4 mit den Klienten und anderen gesellschaftlichen Interes-sen und aus persönlichen und professionellen Hintergründen der Behördenvertre-ter ergeben.

Auf seiten der Forschungsorganisationen kann man prima facie ein Interesse am Erhalt der Handlungsautonomie, d.h. Widerstand gegen Einschränkungen bei der Wahl der Forschungsmethoden und gegen kostenträchtige Sicherheits-maßnahmen erwarten. Allerdings ist hier zwischen der betrieblichen und der disziplinenbezogenen Organisierung der Forschung zu unterscheiden.5 Betrieb-liche Forschungsorganisationen (Universitäten, Großforschungseinrichtungen, Forschungsabteilungen in Industrieunternehmen etc.) verfügen meistens über alternative Methoden des Erkenntnisgewinns, repräsentiert vor allem durch die Konkurrenz verschiedener wissenschaftlicher Kompetenzen, sowie über die Mög-lichkeit der Umdefinierung der Erkenntnisziele. Sie können also bei Bedarf auf andere Forschungsmethoden und Forschungsfelder ausweichen, ohne daß da-durch per se ihre Organisationsziele gefährdet wären.

Das bedeutet, daß in den seltensten Fällen durch die gesetzliche Restriktion ei-ner einzelnen Forschungsmethode der Forschungsbetrieb als ganzer stark behin-dert wird. Auch sind nicht alle Mitglieder der Forschungsorganisation gleicher-maßen an der Abwehr der Restriktion interessiert. Wissenschaftler, die die Aufla-gen leicht erfüllen können oder alternative Methoden beherrschen, können sich vielmehr von der Restriktion einen Konkurrenzvorteil erwarten.6 Multinationale

2 Vgl. § 25 GenTG; Roller/Jülich, ZUR 1996, S. 74ff. 3 Vgl. z.B. Frank/Lombness, Administration & Society 1988. 4 Vgl. z.B. Schneider, Politiknetzwerke, 1988. 5 Vgl. Geser, Paradigmatischer, 1974. 6 Gerade in Unternehmen der chemischen und pharmazeutischen Industrie läßt sich bei den

nach wie vor dominanten Chemikern mit ihrer klassischen Orientierung an der Stoffsyn-these Skepsis und Widerstand gegenüber den neuen biotechnologischen Methoden beo-

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Unternehmen verfügen außerdem über die Option, ihre Forschung in andere Län-der zu verlagern, die oft auch noch eine ganze Reihe weiterer Standortvorteile bieten.

Schließlich sind öffentliche Forschungsorganisationen aufgrund ihres Finan-zierungsmodus auf das Wohlwollen der politisch organisierten Öffentlichkeit und gewerbliche Forschungsorganisationen auf die Unterstützung durch Kapitalzufluß und Produktnachfrage angewiesen. Deswegen können sie nicht allzu offensicht-lich gegen Gesetze verstoßen und dürfen bei ihren Revisionsbegehren nur Argu-mente einsetzen, die ans Allgemeinwohl appellieren.7

Eine etwas andere Interessenlage kann man den subdisziplinär organisierten wissenschaftlichen Berufsverbänden, also disziplinenbezogenen Forschungs-organisationen unterstellen: Sie sind meist stärker an einzelnen Methoden orien-tiert. Außerdem sind sie vor allem auf die freiwillige Unterstützung durch ihre Mitglieder angewiesen und müssen zunächst keine anderen Rücksichten nehmen. Man kann von ihnen daher erwarten, daß sie ungefilterter die Interessen direkt betroffener Wissenschaftler vertreten.

Es ist anzunehmen, daß die Selbststeuerungsfähigkeit von Forschungsorgani-sationen ganz erheblich vom jeweiligen Organisationsmodus abhängt.8 Generell wird man erwarten können, daß je nach Verfügbarkeit von Ressourcen (Geld, Personal) und je nach Koordinierungsgrad und Verbindlichkeit von bürokratisch oder kollektiv hergestellten Entscheidungen sowohl die Fähigkeit zur im Gen-technikgesetz vorgesehenen Selbststeuerung - z.B. im Sinne der Organisierung der Betreiberverantwortung - als auch zur politisch organisierten und empirisch fundierten Artikulation von Widerspruch gleichermaßen steigt oder fällt.

Organisationen der wissenschaftlichen Communities dürften aufgrund der Tat-sache, daß man hier für die Mitgliedschaft zahlt und nicht bezahlt wird, grund-sätzlich eher als Beratungsorgane im Prozeß der Normensetzung, weniger aber für die Normendurchsetzung im Bereich der Risikosteuerung geeignet sein. Zwar können sie aufgrund ihrer Autorität auch über den Kreis der formellen Mitglied-schaft über Sanktionswirkung verfügen. Ihre Schiedssprüche können daher von

bachten (vgl. Dolata, Internationales, 1994). Ähnliches gilt für die deutsche Pflanzen-zuchtbranche, wo ebenfalls Zurückhaltung bei der Einführung gentechnischer Methoden vorherrscht (Hasse et al., Technologisierung, 1994).

7 Vgl. den auffallend maßvollen Tenor in der Stellungnahme der Hochschulrektorenkonfe-renz in der Novellierungsdebatte zum Gentechnikgesetz: "Das Gentechnik-Gesetz hat also zu einer Versachlichung der Diskussion um die Anwendung gentechnischer Methoden in den Hochschulen geführt. Es wird daher in den Hochschulen nicht nur im Sinne einer ge-setzlichen Auflage, sondern auch im Interesse der ihm zugrundeliegenden Intentionen von allen Beteiligten akzeptiert." (HRK, Stellungnahme, 1992, S. 2).

8 Vgl. Mayntz/Scharpf, Ansatz, 1995, S. 19ff.

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Belang sein, wenn artikulationsfähige Interessen innerhalb der Community ge-geneinanderstehen, z.B. bei Konflikten über Plagiate oder wissenschaftlichen Betrug.9 Sie können ihre knappen Ressourcen aber kaum für eine prophylaktische - und das heißt notwendigerweise dem Anspruch nach lückenlose - Überwachung von Sicherheitsstandards einsetzen, wie sie etwa vom Gentechnikgesetz ange-strebt wird. Die vielfach beschworene 'wissenschaftliche Selbstregulierung' kann hier nur greifen, wenn das 'Standesethos' nicht nur als unverbindliche moralische Willenserklärung, sondern auch in Form klarer, subsumtionsfähiger Normen for-muliert ist und tatsächlich organisatorische Kapazitäten für die Selbstüberwa-chung und wirksame Sanktionen bei Normenverstößen zur Verfügung stehen.10 Dies ist aber allenfalls dann zu erwarten, wenn die jeweilige Fachorganisationen über eine Art von Monopolstellung verfügen.

Das führt nun zu der Frage, welche Interessen bei potentiellen Anwendern von gentechnischen Methoden, also den betroffenen Wissenschaftlern selbst, zu er-warten sind. Spätestens seit Mary Shelleys 'Frankenstein' von 1817 ist in der kollektiven Vorstellung das Bild vom verantwortungslosen, heimlich alle Tabus brechenden Wissenschaftler verankert. Durch besonders vehemente Stellung-nahmen gegen das Gentechnikgesetz und das Pochen auf unbedingte Wissen-schaftsfreiheit wird dieses Klischee wohl tendenziell verstärkt. Dagegen ist aber zunächst festzuhalten, daß viele wichtige Regeln der Laborhygiene, die auch dem Arbeits- und Umweltschutz dienen, schon aus funktionellem Eigeninteresse ein-gehalten werden müssen, wenn die Experimente zu wissenschaftlich sinnvollen Ergebnissen führen sollen.11 Man spricht hier in Anlehnung an die industrielle Praxis auch von 'Produktschutz'. Eine Regulierung kann hier schon deshalb von Vorteil sein, weil sie für relativ einheitliche Arbeits- und Ausbil-dungsbedingungen sorgt und daher den Transfer von Nachwuchsforschern und von Forschungsmethoden erleichtert.

Leider decken sich die Maßnahmen zum Produktschutz nicht vollständig mit den Anforderungen des Arbeits- und des Umweltschutzes, z.T. widersprechen sie

9 Vgl. z.B. Lamnek, Soziologie 1994. 10 Entsprechend ist etwa auch der Versuch weitgehend gescheitert, moralische Standards bei

Menschenversuchen im Rahmen der Auswahl der zur Publikation eingereichten Beiträge seitens renommierter medizinischer Fachzeitschriften durchzusetzen. Obwohl es eine ent-sprechende Willenserklärung des Council of Biology Editors gibt, ist schon ihre Anwend-barkeit auf konkrete Fälle umstritten. Erst recht scheint es an der Bereitschaft zu mangeln, die zur Veröffentlichung eingereichten Manuskripte genauer auf die Einhaltung ethischer Standards zu überprüfen (Brackbill/Hellegers, Hastings Center Report 1980).

11 Andernfalls sind die Reaktionsgefäße mit einer Vielzahl von Keimen kontaminiert, so daß man Ergebnisse erhält, die weder interpretierbar noch reproduzierbar sind. Das bedeutet allerdings nicht, daß die Regeln der Laborhygiene auch immer eingehalten würden.

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sich sogar und sind dann nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen.12 Insofern stellen sie tatsächlich eine zusätzliche Belastung dar, die sich nicht nur auf dieje-nigen Forscher auswirkt, die bereits mit gentechnischen Methoden arbeiten und dann vielleicht davon Abstand nehmen, sondern auch auf diejenigen, die dies gerne tun möchten, aber sich vielleicht aufgrund realistischer oder auch - infolge strategischer Übertreibungen im Regulierungsdiskurs13 - verzerrter Erwartungen über den damit verbundenen Aufwand abschrecken lassen.

Da der Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen im Geschlossenen System in verschiedene Risikostufen eingeteilt ist, die verschieden aufwendige Sicherheitmaßnahmen (S 1 - S 4) erfordern, können die Forscher allerdings auch auf die niedrigeren Sicherheitsstufen ausweichen. Umgekehrt besteht für diejeni-gen, die über Laboratorien der höheren Sicherheitsstufen verfügen, u.U. ein Inno-vationsvorteil gegenüber Konkurrenten, die ähnlichen Sicherheitsanforderungen unterworfen sind: Sie können dann andere als die zumeist in die niedrigen Sicher-heitsstufen eingruppierten Standardorganismen und -methoden benutzen.14

Dafür, daß Standardorganismen und -methoden in niedrigere Sicherheitsstufen eingruppiert werden, gibt es zwei sich wechselseitig verstärkende Gründe: Es

12 Z.B. wird bei manchen Werkbänken ein Luftstrom von hinten nach vorne über die Kultur-

gefäße geblasen, um eine Kontaminierung der Kulturen durch die Atemluft des Experimen-tators zu vermeiden (Produktschutz). Allerdings kann dadurch umgekehrt der Experimen-tator leicht mit den über den Kulturgefäßen aufsteigenden Aerosolen infiziert werden (Problem des Arbeitsschutzes).

13 Die Sorge um den 'Standort' und die vehemente Klage über die angeblich zu restrikive Regulierungssituation kann sich also auch als self-fulfilling prophecy auswirken und zu dem nicht-intendierten Effekt führen, den 'Standort kaputtzureden' (vgl. Kraus, Regula-tion, 1994, S. 10f.).

14 Hohe Sicherheitsstandards werden von denen, die sie vertreten, selbstverständlich immer inhaltlich gerechtfertigt. Aber diejenigen, die diese Sicherheitsstandards nicht ohne weite-res erfüllen können, unterstellen dann häufig ein Interesse an der Abwehr von unliebsamer Konkurrenz. So bemerkte ein Vertreter der Bundesregierung in einer deutschen Diskus-sionsrunde zu den auf EG-Ebene geführten Verhandlungen über die Richtlinie zum Um-gang mit biologischen Arbeitsstoffen: "Im Moment ist es ... aus politischen Gründen so, daß in ungefähr einem Dutzend Fälle die Einstufungen der EG-Arbeitsschutzlisten höher sind, als die der GenTSV. Sollte das so bleiben, steigt der Druck, die GenTSV zu novel-lieren." (Schmitz in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 275) Und in der Diskussion fügte er dann hinzu: "Manche wollen es zum Teil auch möglichst hochgesetzt haben, um nationale Konkurrenz zu unterdrücken, wenn sie selbst einmal die Ausstattung haben." (S. 313). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß die European Molecular Biology Organisation im Anschluß an Asilomar davon ausging, daß Laborsicherheitsmaßnahmen für die höher eingestuften Experimente so aufwendig wären, daß sie nur in europäischer Kooperation zu tragen seien, und daß daher mit einem Bedeutungszuwachs der eigenen Organisation zu rechnen sei (Gottweis, Governing, 1995, S. 114).

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werden nur solche Organismen zu Standardorganismen, die weniger aufwendige Sicherheitsmaßnahmen erforderlich machen und deshalb von vielen benutzt wer-den können. Indem mit bestimmten Organismen, Vektoren und Methoden viele Experimente unternommen werden (und sie auf diese Weise zum Standard wer-den), wächst der Grad der Vertrautheit ('familiarity'), der oft eine niedrigere Risi-koeinstufung erlaubt.15 Man kann also behaupten, daß von Restriktionen aus Arbeits- und Umweltschutzgründen ein Standardisierungsdruck für Forschung-methoden ausgeht. Diese Standardisierung kann sich, sobald sie etabliert ist, auch unter wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten als funktional erweisen, indem sie die Diffusionsbedingungen für Methoden und Technologien verbessert. 'Newcomern' und Wissenschaftlern, die sich nicht primär als 'Gen-techniker' verstehen, sondern diese Methoden nur nutzen wollen, um bestimmte Forschungsfragen zu beantworten, dürfte damit der Einstieg erleichtert werden.

Der im Endeffekt wahrscheinlich allseits wünschenswerte, aber zunächst nicht intendierte Nebeneffekt der Standardisierung, wie er von Arbeits- und Umwelt-schutzauflagen ausgeht, dürfte allerdings die Interessenwahrnehmung der betrof-fenen Wissenschaftler kaum beeinflussen, selbst wenn er 'objektiv' in ihrem Inte-resse liegt. Denn bis eine solche Standardisierung vollzogen ist, sind schmerzhaf-te Selektionen erforderlich, die, weil sie nicht freiwillig vorgenommen werden, als Angriff auf die wissenschaftliche Handlungsautonomie erlebt werden können. Und solange auch der Umgang mit Standardorganismen mit administrativen Auf-lagen versehen ist (z.B. S 1-Standard), sehen gerade die 'Newcomer' nur diese Auflagen und den Aufwand, den sie ihnen abverlangen, nicht aber die systemare Wirkung des gesamten Regulierungsprozesses, der die Methoden in technischer Hinsicht erst in ihre Reichweite gerückt hat.

Wenn die Auflagen als zu scharf wahrgenommen werden, besteht für die Wis-senschaftler auch die Möglichkeit, ins Ausland abzuwandern16 oder Kooperati-onsbeziehungen einzugehen, die eine Auslagerung der in Deutschland als beson-ders riskant geltenden Arbeitsschritte ermöglichen. Sie könnten aber auch die Restriktionen ignorieren in der Hoffnung, daß das nicht auffällt oder die mögli-chen Sanktionen im Vergleich zum andernfalls zu betreibenden Aufwand relativ

15 Organismen, Vektoren und Methoden, die sich u.U. als gefährlicher erweisen als anfangs

angenommen, scheiden dann als Standardorganismen aus, es sei denn, es gibt wissen-schaftlich oder wirtschaftlich zwingende Gründe, den erforderlichen Sicherheitsaufwand trotzdem zu tragen.

16 Dies ist eine Option (bzw. eine Drohgebärde), die sich nur dem einzelnen Wissenschaftler, nicht aber für öffentlich finanzierte Forschungsorganisationen anbietet. Aufgrund der im Ausland herrschenden Konkurrenz (z.B. USA) oder den schlechten Arbeits- und Lebens-bedingungen (z.B. Schwellenländer) ist dies für die meisten Wissenschaftler wahrscheinlich keine sehr attraktive Option.

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milde ausfallen. Schließlich besteht noch die Möglichkeit, auf den verschiedenen Ebenen - in Verhandlungen mit Vollzugsorganen, vor den Verwaltungsgerichten oder im Verfahren der Normenrevision - auf eine Abänderung der Restriktionen zu dringen.

Zu fragen ist schließlich noch, wie das ungewißheitsbasierte Vorsorgeprinzip ('Precautionary principle') von den Wissenschaftlern aufgenommen werden kann. Wenn es als einfacher 'Sicherheitszuschlag' zur Verschärfung von präventiven Maßnahmen führt (etwa indem man Containmentanforderungen erhöht), so ist davon auszugehen, daß keine anderen als die zuletzt angeführten Interessen be-rührt werden - eben in verschärfter Weise. Wenn das ungewißheitsbasierte Vor-sorgeprinzip dagegen als zusätzlicher Bedarf an Informationsgewinnung und Informationsaustausch interpretiert wird,17 müßte es, zumindest abstrakt, mit wissenschaftlichen Motiven hochgradig kompatibel sein: Es gälte dann Neues zu entdecken, auch wenn dieses Neue als unerwünschte Nebenfolge aufzufassen wäre. Wenn nur die Kriterien der Wahrheitsfähigkeit und der Originalität der Entdeckung für den innerwissenschaftlichen Reputationsgewinn in Anschlag gebracht würden, müßte Risikoforschung genauso attraktiv sein wie 'normale', d.h. an technologischen Anwendungszielen orientierte Forschung. Tatsächlich wurde 1995 der Nobelpreis, also die höchste Auszeichnung in den Naturwissen-schaften, erstmals für die Entdeckung eines Risikos verliehen. Der Preis für Che-mie ging an Paul Crutzen, Mario Molina und Sherwood Rowland, die sich um die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen FCKW-Emissionen und dem Abbau des Ozonschilds der Erde verdient gemacht hatten.18

Zu berücksichtigen ist allerdings, daß die Entdeckung von neuen Risiken bei gentechnischen Experimenten unmittelbar auf deren Verwendbarkeit als wis-senschaftliche Methoden rückwirken und insofern nicht nur außerwissenschaft-liche, sondern zunächst vor allem innerwissenschaftliche Interessen tangieren würde. Hinzu kommt, daß sich Vorbehalte, die aufgrund des ungewißheits-basierten Vorsorgeprinzips formuliert werden, oftmals empirisch sowieso nur schwer oder nicht mit den disziplinären Methoden klären lassen, die den betrof-fenen 'Gentechnikern' selbst zur Verfügung stehen. Insofern kann Widerstand gegen Risikohypothesen nicht nur aus außerwissenschaftlichen Interessen resul-tieren, etwa aus den wirtschaftlichen Vorteilen technologischer Innovation, son-dern auch aus innerwissenschaftlichen Interessengegensätzen, wie sie sich aus der Verfügbarkeit von Methoden, unterschiedlichen Denkstilen und Professionsinte-ressen ergeben.19

17 Vgl. dazu näher unten, Kap. 10.1.4. 18 Der Spiegel Nr.42/1995, S. 272. 19 Vgl. dazu auch unten, Kap. 8.7.2., Kap. 10.1.2. und Kap. 11.4.6.

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7.2. Bundesebene: Sicherheitseinstufung durch die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS)20

Wenn man nun empirisch nach dem tatsächlichen Implementationsprozeß und den dabei artikulierten Interessen21 fragt, ist zunächst festzustellen, daß seit 1990 der Einfluß zentraler Instanzen wie der ZKBS und der Zulassungsstelle für biolo-gische Sicherheit beim Robert-Koch-Institut (RKI) im Bereich des Umgangs im Geschlossenen System tendenziell reduziert wurde.

Denn mit der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes (1990) wurde den Län-dern, aufgrund von Interventionen des Bundesrates und der Industrie und gegen Stellungnahmen aus dem Bereich der öffentlich finanzierten Forschung, die Zu-ständigkeit für die Genehmigung und Überwachung gentechnischer Anlagen (La-bors, Produktionsstätten) übertragen.22 Allerdings verblieb der ZKBS die wichti-ge Aufgabe, den Landesbehörden die Sicherheitseinstufung der beantragten Expe-rimente vorzugeben und sie auf diese Weise bundesweit zu vereinheitlichen.23 Seit der Novellierung des Gentechnikgesetzes im Jahr 1993 nimmt die ZKBS die

20 Vgl. oben, Kap. 5.7. Die nachfolgenden Angaben - zu Kap. 7.2ff. - sind, sofern nicht näher

vermerkt, Tätigkeitsberichten der Behörden entnommen oder gehen aus der Beantwortung von parlamentarischen Angaben hervor, die in vielen Ländern insbesondere von den Land-tagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen oder der PDS gestellt wurden. Eine her-vorragende Informationsquelle stellt auch der von der Berufsgenossenschaft der Chemi-schen Industrie herausgegebene Tagungsband (BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992) dar, der sich gegenüber den umfangreichen, im Zuge der Novellierungsdiskussion erstellten Anhörungsunterlagen dadurch auszeichnet, daß dort in beschränkterem Maße 'Fensterre-den' dokumentiert, sondern die vorhandenen Probleme in ungewohnt offener Weise ange-sprochen werden. Außerdem wurden in drei Ländern Interviews mit Behördenvertretern geführt (Int. Nr. 18, Int. Nr. 19, Int. Nr. 20).

21 Man kann Interessen nur anhand theoretischer Überlegungen unterstellen (s.o.) oder auf artikulierte Interessen rekurrieren. Welchen Interessen (oder anderen Motivationen) die Akteure aber in ihren Handlungen 'tatsächlich' folgen, läßt sich nicht feststellen. Wenn man - mit der Psychoanalyse - davon ausgeht, daß es auch unbewußte Motive gibt, kennen nicht einmal die Akteure selbst ihre 'tatsächlichen' Motive.

22 Der Industrie war an einer Konzentration des Genehmigungsverfahrens gelegen, bei dem auch andere gesetzliche Auflagen, etwa nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz, zu be-rücksichtigen sind, deren Vollzug ohnehin in die Zuständigkeit der Länderbehörden fällt. Die Vertreter der öffentlich finanzierten Wissenschaft wollten dagegen vor allem an den angestammten Beziehungen zur ZKBS und zum RKI festhalten, die (unter dem Selbstreg-lement) in der Zeit vor der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes etabliert wurden. Vgl. Gill, Gentechnik, 1991, S. 142ff.

23 Formell besehen handelt es sich um eine Stellungnahme der ZKBS, die von den Landes-behörden bei der Entscheidung zu berücksichtigen ist und von der diese nur unter schrift-licher Darlegung der Gründe abweichen können (vgl. § 11 Abs. 8 , § 12 Abs. 5 GenTG).

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Einstufung nicht mehr in allen Einzelfällen vor, sondern erstellt nur noch Krite-rienlisten, anhand derer die Landesbehörden selbst die Einstufung vornehmen können, und wird von diesen nur noch in Präzedenzfällen eingeschaltet, d.h. wenn über neuartige Experimente - z.B. mit exotischen Organismen oder Vektoren - zu entscheiden ist.24

Ihrer Geschichte als Selbstregulierungsorgan der Wissenschaft folgend versteht sich die ZKBS, zumindest soweit man den Ausführungen ihres gegenwärtigen Vorsitzenden folgt, als Repräsentantin wissenschaftlicher Interessen. Daran hat sich durch die Verabschiedung des Gentechnikgesetzes offenbar wenig geändert, obwohl die ZKBS als ein Beratungsorgan zwischen wissenschaftlicher Expertise und gesellschaftspolitischem Proporz25 konzipiert ist und nun - im Unterschied zu ihrer früheren Rolle in einem auf freiwilliger Selbstbindung basierenden Re-glement - ihre Autorität einer bindenden demokratischen Entscheidung verdankt:

"Die in die staatlichen Regelungen - wenngleich eher als eine Art Widerlager - ein-gebaute Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit versucht durch ihre Tätig-keit deutlich zu machen, in welchem Maße die ihr vorgelegten Projekte entweder ri-sikolos sind (S 1) und damit eigentlich gar keiner Regelung bedürften oder doch mit geeigneten Vorsorgemaßnahmen in ihrem geringen Risiko sicher zu beherrschen sind (S 2). ... In ihrer Beratungspflicht gegenüber dem Bund und den Ländern weist sie auf die bestehenden Überregulierungen hin, versucht Änderungen an dem Gen-gesetz entsprechend vorzubereiten und ähnlich weit eingreifende Regelungen in den skizzierten Nachbarfeldern durch ihre Argumente zu verhindern. Sie hat weder die verzerrten Darstellungen in den Medien noch deren Wirkung auf die Gesetzgebung aufhalten können."26

An den Ausführungen des Vorsitzenden der ZKBS wird deutlich, daß er unge-wißheitsbasierte Vorsorge ('Precaution') nicht mehr für gerechtfertigt hält und nun zu einer rein auf dem Stand des gegenwärtigen Wissens ('Prevention') basieren-

24 Es handelt sich bei diesem Schritt um einen Standardisierungsprozeß, der vorgenommen

wurde, um die Anmelde- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und die ZKBS von Routineaufgaben zu entlasten. Denn es waren (vor der Novellierung) mehrere hundert Anträge pro Jahr zu bescheiden. Die langen Anmelde- und Genehmigungsfristen, die in der Novellierungsdebatte beklagt wurden, waren vielfach von der ZKBS mitverursacht wor-den.

25 Die ZKBS setzt sich aus zehn sachverständigen Wissenschaftlern, die vom Wissen-schaftsrat vorgeschlagen werden, und aus fünf sachkundigen Personen zusammen, die von Interessenverbänden (Industrie, Gewerkschaften, Berufsgenossenschaften, Wissenschaft, Umweltschutz) nominiert werden. Der Vorsitzende und seine zwei Stellvertreter sind aus dem Kreis der Wissenschaftler zu wählen. Für alle Mitglieder der ZKBS wird, um die Be-schlußfähigkeit zu gewährleisten, je ein Stellvertreter bestellt.

26 Hobom, Erfahrungen, 1994, S. 428.

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den Risikoeinschätzung übergehen möchte.27 Damit folgt er der überwiegenden Einschätzung in den betroffenen Wissenschaftlerkreisen, gerät aber in den Wider-spruch zwischen Schiedsrichterrolle und Partikularinteresse, der fast unausweich-lich ist, wenn Entscheidungen im Allgemeininteresse nur von dem Personenkreis getroffen werden können oder getroffen werden sollen, der selbst betroffen ist. Auch wenn der gegenwärtige Vorsitzende wahrscheinlich nicht die Meinung aller ZKBS-Mitglieder repräsentiert, so ist doch festzustellen, daß die Vertreterinnen des Umweltschutzes in der ZKBS ihre Arbeit dort als weitgehend fruchtlos ansa-hen und 1993 von ihrem Amt zurückgetreten sind.28

Entsprechend wird die ZKBS offenbar gelegentlich direkt von den Antrag-stellern angesprochen, um Auflagen der Genehmigungsbehörden zu umgehen.29 Zugespitzter Dissens mit den Landesbehörden ergab sich auch, als Hamburg, das zumindest vorübergehend eine eigene wissenschaftliche Beratungskommission eingerichtet hatte, von der ZKBS-Empfehlung abwich und ein Experiment in eine höhere Risikogruppe (S 2 statt S 1) einstufte.30 Soweit die ZKBS mit ihren Emp-fehlungen zur Risikoeinstufung auf Kritik seitens der betroffenen Wissenschaftler stößt, beruft sich der Vorsitzende auf das Gentechnikgesetz, dem er dann eine generelle Tendenz zur Auferlegung von Sicherheitszuschlägen (entsprechend dem Prinzip der ungewißheitsbasierten Vorsorge) unterschiebt:

"Das ist das Prinzip dieser Gesetzgebung. Daran kann kein ZKBS-Beschluß vorbei, daß der genetische Organismus von dem potentiellen Risiko her betrachtet als ge-fährlicher eingestuft werden muß als der jeweilige Ausgangsorganismus. Daß das in vielen Fällen tatsächlich nicht so ist, im Ergebnis auch anders festgestellt wird, ist eine andere Sache, die aber der grundsätzlichen Konzeption des GenTG nicht zuwi-derläuft. Bei einer Vorwegbegutachtung muß man von dem Gegenteil, also von ei-ner Risikosteigerung ausgehen. Dazu sind wir gehalten. Das ist Gesetz."31

27 Bezeichnend ist auch, daß der Vorsitzende der ZKBS in der angesprochenen Veröf-

fentlichung die Redewendung "hypothetische Gefahren" in dem in der frühen Atomdebatte (vor Tschernobyl) gebräuchlichen, verharmlosenden Sinn verwendet (vgl. oben, Kap. 1.1. und Kap. 4.2).

28 Zu den Gründen siehe Mertens, Stellungnahme, 1992. Mertens war bis 1993 als Vertrete-rin des Dt. Naturschutzrings Mitglied in der ZKBS.

29 Vgl. die Ausführungen von Eichler, eines Vertreters der Landesbehörden von Nordrhein-Westfalen, in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 173.

30 Dies ist einer der wenigen bekannt gewordenen Fälle einer Abweichung der Landesbehör-den vom Votum der ZKBS (vgl. dazu Hamburger Umweltbehörde, Stellungnahme, 1992 sowie ZKBS, Tätigkeitsbericht, 1994, S. 3). Vgl. außerdem Beschluß des VG Berlin vom 20.1.1995, abgedruckt in Eberbach et al., Entscheidungssammlung, 1996, Nr.1 zu § 5 GenTG.

31 Hobom in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 170f.; die Ausführungen beziehen sich offenbar auf § 7 Abs. 1 GenTG. Dort ist vorgeschrieben, daß nicht nur das Risikopotential

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Die Abteilung 'Biologische Sicherheit' beim RKI,32 bei der die ZKBS mit ihrer Geschäftsstelle angesiedelt ist, hat durch die Verabschiedung des Gentechnik-gesetzes einen erheblichen Stellenzuwachs erfahren.33 Primär ist dies sicher auf die Stellung des RKI als Genehmigungsbehörde für Freisetzungs- und Ver-marktungsanträge zurückzuführen.34 Zum Teil übernimmt die Abteilung aber auch Hilfestellungen bei Vollzugsaufgaben der Länderbehörden, die generell für Anmeldung, Genehmigung und Überwachung der Arbeiten im Geschlossenen System zuständig sind.35

Nach Ansicht vieler Beobachter ist insbesondere die Abteilungsspitze, ebenso wie die ZKBS, als wissenschafts- und industriefreundlich einzuschätzen.36 Aber im Unterschied zum derzeitigen Vorsitzenden der ZKBS verteidigt sie die Einbe-ziehung der Sicherheitsstufe S 1 durch das Gentechnikgesetz.37 Tatsächlich wür-de mit einer Herausnahme des S 1-Standards aus dem Geltungsbereich des Gen-technikgesetzes, wie vom Vorsitzenden der ZKBS vorgeschlagen, für gegenwär-tig 75 Prozent der gentechnischen Arbeiten im Geschlossenen System jegliche behördliche Zuständigkeit entfallen.

7.3. Landesebene: Genehmigung und Überwachung

7.3.1. Organisations- und Personalstruktur

In den Flächenstaaten sind die Vollzugsaufgaben zumeist auf drei Ebenen verteilt: Die Fach- und Dienstaufsicht sowie die Koordinierung zwischen den Ländern im

des Spender- und Empfängerorganismus, sondern auch das erwartete Risikopotential des gentechnisch veränderten Organismus zu berücksichtigen ist. Für Arbeiten zu For-schungszwecken ist nach §§ 4ff. GenTSV von der ZKBS eine vorläufige Risikobewertung vorzunehmen, die je nach Art des Experiments häufig niedriger (Subklonierung, § 5 Abs. 3 GenTSV) und selten höher ausfallen kann als die Risikoeinstufung von Spender- und Emp-fängerorganismus. Ein linearer Sicherheitszuschlag ist jedenfalls im Gesetz nicht vorgese-hen. Vgl. hierzu auch die differenzierte Darstellung des Problems bei Mertens, Arbeit, 1993, S. 83f.

32 Vor 1990 als "Zulassungsstelle für biologische Sicherheitsmaßnahmen" bezeichnet. 33 Vgl. das Organigramm der Abteilung im Tätigkeitsbericht des Bundesgesundheitsamts

(BGA, Tätigkeitsbericht, 1993, S. 85); gesprächsweise war zu erfahren, daß es sich um ca. 50 Stellen handeln soll.

34 Vgl. unten, Kap. 8.5.1. 35 Vgl. §§ 28, 29 GenTG. 36 Vgl. Gottweis, Governing, 1995, S. 353. 37 Vgl. Fn. 128 in diesem Kapitel.

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Rahmen des Länderausschusses für Gentechnik (LAG)38 wird federführend ent-weder von den für Arbeitsschutz oder für Umweltschutz zuständigen Ministerien (und nachgeordneten Landesämtern) wahrgenommen. Die Anmeldungen und Genehmigungen werden in den Flächenstaaten in der Regel von den Mittelbehör-den (Regierungspräsidien) bearbeitet. Für die Überwachung sind meistens die örtlichen Gewerbeaufsichtsämter zuständig.

Wichtige Modifikationen ergeben sich allerdings aus der Tatsache, daß für vie-le Vollzugsaufgaben besonderer Fachverstand erforderlich ist, der nicht gleich-mäßig über alle drei Ebenen und dezentral in der Fläche verteilt werden kann. In einigen Ländern werden daher zumindest Teile der Vollzugsaufgaben auf die Ministerialebene oder einzelne Regierungspräsidien konzentriert.39

Die Aufgabenverteilung zwischen Arbeitsschutz- und Umweltschutzbehörden auf den einzelnen Ebenen ist unterschiedlich geregelt und scheint vor allem mit den jeweiligen Besonderheiten des Verwaltungsaufbaus in den Ländern zusam-menzuhängen. Die politische Ausrichtung der Landesregierungen scheint bei der Entscheidung über die Ressortzuständigkeit keine besondere Rolle zu spielen. Entsprechend sind auch die häufig thematisierten Unterschiede im Vollzugsstil - einige SPD-geführte Länder stehen in dem Ruf, einer etwas strengeren Auslegung

38 Im LAG werden vor allem Fragen der Rechtsauslegung und praktische Vollzugsaufgaben

diskutiert (vgl. Neuner, Stellungnahme, 1992; Knoche, DVBl. 1993; Vitzthum/Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, S. 157ff.). Mit Empfehlungen an die Länder versucht der LAG auf einen bundeseinheitlichen Vollzug hinzuwirken. Die für die Genehmigung oder Anmeldung von gentechnischen Anlagen und Arbeiten in allen Bundesländern verwendeten Formulare wurden vom LAG erarbeitet. Es existieren nach unserem Kenntnisstand bisher keine Regelwerke unterhalb der vom Gesetzgeber verabschiedeten Verordnungen (Ver-waltungsrichtlinien, technische Normen). Zu erwähnen sind lediglich die Vorschriften und Merkblätter der Berufsgenossenschaften, die allerdings in ihrem Präzisierungsgrad nicht über die - im übrigen sehr detaillierten - Verordnungen hinausgehen.

39 In Hessen sind die Genehmigungsaufgaben bei einem Regierungspräsidium konzentriert (RP Gießen). In Baden-Württemberg gilt dies sowohl für die Genehmigungs- als auch die Überwachungsaufgaben (RP Tübingen). In Berlin sind die gesamten Vollzugsaufgaben für den Bereich öffentlich finanzierter Forschung in einer Abteilung der Senatsverwaltung für Soziales konzentriert; für private Anlagenbetreiber ist die Senatsverwaltung für Umwelt zuständig. In einem Regierungsbezirk in Nordrhein-Westfalen ist eine molekularbiologisch ausgebildete Fachkraft beim Gewerbeaufsichtsamt beschäftigt und leistet der zuständigen Abteilung im Präsidium inhaltliche Hilfestellung bei ihren Genehmigungsaufgaben. In Rheinland-Pfalz sind das Landesamt für Umweltschutz und die Gewerbeaufsicht für Ge-nehmigungen zuständig; die Überwachung liegt bei den Gewerbeaufsichtsämtern. In Bay-ern werden Genehmigung und Überwachung von den Regierungspräsidien übernommen. In Sachsen-Anhalt sind Genehmigungs- und Überwachungsaufgaben bei einem Regie-rungspräsidium konzentriert; allerdings obliegt die Überwachung speziell des Arbeitsschut-zes der örtlich zuständigen Gewerbeaufsicht.

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der Vorschriften zuzuneigen40 - nicht auf die Ressortzuständigkeit zu-rückzuführen.41 Insgesamt sind an der Genehmigung und Überwachung noch weitere Fachbehörden (Bauaufsicht, Feuerwehr etc.) beteiligt, die als tendenziell Außenstehende offenbar häufig die Gentechnik generell als relativ gefährlich einschätzen und daher zu schärferen Auflagen neigen.42

Soweit ersichtlich, wurden in allen Bundesländern in größerem Umfang neue Planstellen für die Vollzugsaufgaben geschaffen, so daß bundesweit hochge-rechnet ca. 70-100 Personalstellen hauptamtlich auf diesen Bereich entfallen.43 Besondere Probleme haben sich in der Anfangszeit daraus ergeben, daß Behör-denvertreter mit Verwaltungserfahrung in der Regel keine Fachkenntnisse im Bereich der Gentechnik und neu rekrutierte Mitarbeiter mit gentechnischen Kenntnissen in der Regel keine Verwaltungserfahrung hatten. Daher war für bei-

40 Dieser 'Ruf' läßt sich nur schwer anhand brauchbarer empirischer Vergleichsindikatoren

überprüfen. Die Dauer von Genehmigungsverfahren (s.u.) ist nicht nur auf die Genauigkeit der Überprüfung, sondern u.U. auch auf Organisationsmängel bei den Behörden, Engpässe bei der Sicherheitseinstufung durch die ZKBS (s.o.) und auf die Unvollständigkeit der von den Betreibern vorgelegten Unterlagen zurückzuführen.

41 Eine Ausnahme scheint Berlin darzustellen: Die Umweltverwaltung pflegt dort offenbar einen deutlich strengeren Vollzugsstil als die Sozialverwaltung. Gegen Auflagen der Um-weltverwaltung hat ein betroffenes Industrieunternehmen erfolgreich vor dem Verwal-tungsgericht geklagt - das ist bisher das einzige Gerichtsverfahren eines Betreibers gegen eine Behörde. Vgl. dazu Beschluß des VG Berlin vom 20.1.1995, abgedruckt in Eberbach et al., Entscheidungssammlung, 1996, Nr.1 zu § 5 GenTG. Einwender haben dagegen schon häufiger - erfolglos - gegen Genehmigungsbescheide für Anlagen und Freisetzungen prozessiert.

42 Aus Rheinland-Pfalz wird z.B. berichtet, daß die Wasserbehörden die vollständige Inakti-vierung der Abwässer aus allen Laboratorien verlangen (Meffert, VerwArch 1992, S. 474).

43 Eine genauere Abschätzung des Personalaufwands ist aufgrund der vielfältigen Zu-ständigkeiten nur schwer möglich. Es liegen uns nur für einige Länder mit zentralisiertem Vollzug entsprechende Angaben vor: In Berlin sind in der Senatsverwaltung für Soziales fünf Personen zu ca. 60-90% ihrer Arbeitszeit mit der Genehmigung und Überwachung von 180 Anlagen beschäftigt. Bei der Senatsverwaltung sind drei Personen für den Vollzug gegenüber 30 Anlagen von privaten Betreibern zuständig. Außerdem verwenden zwei Per-sonen im Landesamt für Arbeitssicherheit ca. 60-80% ihrer Arbeitszeit auf entsprechende Vollzugsaufgaben. In Hessen sind beim RP Gießen fünf Gentechniker und ein Jurist haupt-amtlich für Gentechnik zuständig. Bei den für die Überwachung zuständigen Ämtern für Immissions- und Strahlenschutz in Frankfurt und Marburg haben jeweils drei Bedienstete den Aufgabenbereich Gentechnik inne. In Hessen gibt es ca. 240 gentechnische Anlagen. In Baden-Württemberg (RP Tübingen) sind 13 Personen, davon vier Chemiker, vier Bio-logen, ein Biochemiker, ein Mediziner, zwei Juristen und eine Verwaltungskraft für die ge-samten Vollzugsaufgaben gegenüber den ca. 370 Anlagen im Land zuständig. In Sachsen (acht Anlagen) sind drei Personen hauptamtlich und zwei zur Unterstützung mit Voll-zugsaufgaben betraut.

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de Personengruppen eine besonders 'buchstabengetreue' Auslegung der Vorschrif-ten als Absicherungsmodus naheliegend, zumal die Verwaltung unter besonderer öffentlicher Beobachtung stand.

7.3.2. Regulierungsfeld: Zahl und Dynamik der Labormeldungen

Die überwiegende Zahl der gentechnischen Anlagen und Arbeiten wird von Or-ganisationen im Bereich öffentlich finanzierter Forschung, insbesondere den Uni-versitäten, betrieben; Privatunternehmen unterhalten dagegen vergleichsweise wenig Forschungslabors und halten sich mit dem Einsatz der Gentechnik zu un-mittelbar gewerblichen Zwecken zurück (vgl. Tabelle 1, S. 186).44

Seit der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes hat sich an diesen Relationen wenig geändert,45 allerdings ist sowohl im öffentlichen wie im privaten Bereich immer noch eine absolute Zunahme gentechnischer Anlage zu For-schungszwecken zu registrieren, obwohl, wie der Vorsitzende der ZKBS an-merkt,

"zu berücksichtigen ist, daß auch manche Unternehmen, und nicht nur Hoch-schullehrer, sich rechtzeitig vor dem Einstieg in das GenTG mit entsprechenden Genehmigungen noch nach den Richtlinien versorgt hatten ..."46

Bemerkenswert ist allerdings, daß der freiwilligen Registrierung überhaupt in umfangreicherem Maße Folge geleistet wurde, denn andernfalls hätten die ent-sprechenden Zahlen mit dem Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes noch viel stär-ker in die Höhe schnellen müssen, als das aus den unten aufgeführten Auf-stellungen ersichtlich ist.47

44 Bei den in Tabelle 1 genannten Zahlen ist allerdings zu berücksichtigen, daß die ehemalige

Registrierung von LP-Einrichtungen sich streng am 10-Liter-Maßstab orientierte, während das Gentechnikgesetz eine Einordnung nach dem 'wissenschaftlichen' oder 'gewerblichen' Zweck vorsieht. In der Praxis sind offenbar viele LP-Einrichtungen in Anlagen zu For-schungszwecken überführt worden (vgl. Meffert, VerwArch 1992, S. 469). Insofern ist auch kein Rückgang der industriellen Entwicklungs- und Produktionstätigkeit aus den Zahlen herauszulesen.

45 Da es im Bereich der öffentlichen Forschung eine höhere Fluktuation gibt, markieren Neumeldungen hier nicht zwangsläufig einen Zuwachs. Insofern könnten sich die relativen Gewichte etwas stärker zugunsten der Industrieforschung verschoben haben, als es in den Verhältniszahlen ausgedrückt ist (vgl. Hobom (Vorsitzender der ZKBS) in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 72).

46 Hobom in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 72. 47 Wie in dem Zitat schon angedeutet, erfolgten viele Registrierungen nach den alten Vor-

schriften im ersten Halbjahr 1990, als die Verabschiedung des Gentechnikgesetzes schon absehbar war: entweder haben die Betreiber damals schon länger bestehende Labors noch schnell nachgemeldet oder sich im Vertrauen auf die Bestandsgarantie in § 41 GenTG ge-

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Die Forschungsanlagen verteilen sich auf die einzelnen Bundesländer etwa in der Relation zum Anteil an den allgemeinen Wissenschaftsausgaben,48 was dar-auf hindeutet, daß gentechnische Instrumente sich eines zunehmend ubiquitären Gebrauchs in der Wissenschaft erfreuen (vgl. Tabelle 2, S. 187). Eine Sättigungs-grenze ist dabei offenbar noch nicht erreicht.49

Im Bereich der öffentlichen Forschung ist eine anhaltende Diffusion gen-technischer Methoden in den unterschiedlichsten naturwissenschaftlichen und medizinisch-klinischen Forschungsbereichen zu beobachten.50 Mit der zuneh-menden Standardisierung der Methoden werden diese auch für weitere Fach-kreise zugänglich, ohne daß eine vertiefte Einarbeitung in die molekularbiologi-schen Grundlagen oder die anfangs geführten Risikodiskussionen noch erfor-derlich sind (s.o., Kap. 7.1.). Das kommentiert eine Molekularbiologin der 'ersten Generation' im Interview mit den Worten:

"Diese zweite Generation, die jetzt kommt, die bekommt das alles sozusagen schon vorgesetzt, und das ist so, als wenn ich aus dem Kühlschrank einfach eine Cola nehme, so kaufe ich mir meinen Kitt zum Klonieren." (Int. Nr. 7, S. 22)

Für die Standardisierungsthese spricht auch die zunehmende Einordnung von Arbeiten und vor allem von Anlagen in die unterste Sicherheitsstufe (vgl. Tabelle 3, S. 188).51

wissermaßen auf Vorrat mit Registrierungen 'eingedeckt' (vgl. Gill, GID 1990). Nach der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes sind die Landesbehörden bei ihren Begehungen an den Universitäten allerdings in drei bekannt gewordenen Fällen auf Labors gestoßen, die nicht (Hamburg) oder nicht formgerecht (Göttingen, Marburg) gemeldet waren.

48 Vgl. Spalte 6 und 7 in Tabelle 2, S. 187. Erklärbare Abweichungen von dieser Relation finden sich in den Ländern Hessen und Baden-Württemberg, in denen die Industriefor-schung verstärkt zu Buche schlägt, sowie in den Neuen Ländern, in denen noch Nachhol-bedarf bei der Modernisierung der Forschungseinrichtungen besteht.

49 Über den gegenwärtigen Bestand in Niedersachsen (Stand 25.1.1995) sind genauere An-gaben veröffentlicht (Niedersächsischer Landtag, Drucksache 13/712). Danach läßt sich bei der Anlagenzulassung der folgende zeitliche Verlauf aggregieren: 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 36 20 33 30 28 34 36 16

50 Vgl. auch Hobom in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 72. In Zukunft könnte sich die DNA-Diagnostik als Forschungsmethode sogar in der Archäologie ausbreiten (vgl. Der Spiegel Nr. 13/1996, S. 162-175).

51 Die Pionierdisziplinen, d.h. die Kernbereiche der Molekularbiologie und Biochemie, in denen mit neuen und exotischen Organismen, Vektoren und Methoden experimentiert wird, die tendenziell eine höhere Sicherheitseinstufung erforderlich machen, sind weitge-hend mit gentechnischen Anlagen versorgt (sie melden aber immer noch neue Arbeiten an). Wer heute noch eine Anlage anmeldet, arbeitet in der Regel auf einem weiter entfernten Gebiet und benutzt daher standardisierte gentechnische Systeme, die fast alle nach S 1 ein-gestuft sind. Gleiches gilt auch für den zunehmenden Einsatz der Gentechnik in Praktika.

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Eine ähnliche Tendenz ist bei der Diffusion gentechnischer Methoden in der Industrieforschung zu beobachten: Sie dienen nicht in erster Linie der Ent-wicklung gentechnischer Herstellungsverfahren (z.B. für Enzyme) oder Produkte (transgene Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen), sondern als analytische Instrumen-te im Rahmen herkömmlicher FuE-Prozesse, sei es in Pflanzenzucht52 oder bei der chemischen Wirkstoffsynthese53.

Die starke Diffusion der Gentechnik ist auch insofern bemerkenswert, als ge-rade im Bereich der öffentlichen Forschung angesichts von Ressourcenknappheit und Organisationsmängeln über die Auflagen des Gentechnikgesetzes geklagt wird (s.u.). Die vielfach aufgestellte Behauptung, daß das Gentechnikgesetz die Forschung behindere, wird jedenfalls durch die Entwicklung der Anmelde- und Genehmigungszahlen nicht gestützt.54

Die starke Diffusion als analytisches Instrument und der relativ zurückhaltende Einsatz in der Produktion könnte einen spezifisch 'deutschen' Pfad der Techno-logieentwicklung darstellen. Dieser wird sicherlich am wenigsten von der gesetz-lichen Regulierung bestimmt, sondern eher noch von der Mobilisierung sozialer Bewegungen speziell gegen gentechnische Industrieanlagen, Frei-

Daneben mag es auch innerhalb der ZKBS das Bedürfnis geben, Arbeiten generell niedri-ger einzustufen, wobei ihr aber durch die GenTSV enge Grenzen gesetzt sind (s.o., Kap. 7.2.).

52 Hasse et al., Technologisierung, 1994. 53 Dolata, Politische, 1996, S. 29; Gill, Gentechnik, 1991, S. 60ff. 54 Sie wird aber auch nicht widerlegt, weil man nicht wissen kann, wie sich die Zahlen ohne

Erlaß des Gentechnikgesetzes entwickelt hätten. Die Tatsache, daß die Zahlen im Bereich der Industrie relativ niedrig liegen und weitgehend stagnieren, scheint vor allem dadurch bedingt, daß die großen deutschen Chemieunternehmen Teile der Forschung und Ent-wicklung schon vor dem Erlaß des Gentechnikgesetzes ins Ausland verlegt haben. Ab-schreckungseffekte für Neuansiedlungen aus dem Ausland scheinen nicht auf tatsächliche Wirkungen des Gesetzes, sondern - von anderen Faktoren wie Wechselkursen und hohen Lohnkosten abgesehen - eher auf die psychologischen Wirkungen zurückzuführen sein, die vor allem von der permanentem Klage über das Gentechnikgesetz und den angeblich so schlechten 'Standort' ausgehen (vgl. Kraus, Regulation, 1994).

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Tabelle 1: Neumeldung gentechnischer Arbeiten und Anlagen55 Arbeiten Anlagen Arbeiten Anlagen bis 1986 1986-1990 1990-1993 1990-1993 Wissenschaftlicher Zweck Öff. Betreiber 1136 1104 716 577 Uni 697 744 MPI 200 170 GFE 128 79 andere 111 74 Private Betreiber 135 242 123 98 Anteil in %* 11% 18% 15% 15% Größerer Maßstab/gewerblicher Zweck** über 10 Liter 100*** 53 gewerbl. Zweck 27 5

setzungsversuche und gentechnisch veränderte Nahrungsmittel beeinflußt. In erster Linie beruht dieser 'Pfad' aber wohl auf einem 'historischen Kompromiß' zwischen traditionellem Know-how und biotechnologischer Innovation, der einer relativ konservativen Industriekultur in den betreffenden Bereichen (Pflanzenzüchtung, Großchemie, Nahrungsmittelbranche) geschuldet ist.56 Die auf der Konservierung von traditionellem Know-how beruhenden Widerstände gegen die Einführung neuer Biotechnologien in der Bundesrepublik wurden be-merkenswerterweise schon 1979, also vor jeder öffentlichen Mobilisierung, in einer einschlägigen Studie festgestellt.57

55 Eigene Zusammenstellung aus Catenhusen/Neumeister, Chancen, 1987, S. 269; BGA,

Liste, 1990; Lange, Entsorgung, 1994, S. 3. *: Anteil in Prozent am Gesamtaufkommen von Anlagen und Arbeiten. **: Bis zum Erlaß des GenTG wurde nach Maßstab, erst da-nach nach dem Zweck der Anlage unterschieden. ***: Die angegebene Zahl bezieht sich auf den Zeitraum 1981-1988 (ZKBS, Bundesgesundheitsblatt, 1989). Zu den jeweils neu-esten Daten vgl. hier und im folgenden die neu eingerichtete Internetadresse http://www.rki.de.

56 Wie sich dieser 'Sonderweg' wirtschaftlich auswirkt, wird sich erst noch zeigen. Denn bisher werden mit der Entwicklung gentechnischer Produkte - auch im Ausland - noch ü-berwiegend Verluste gemacht (vgl. Dolata, Politische, 1996).

57 Buchholz, Gezielte, 1979. Der konservativen Haltung der Industrie voraus geht allerdings auch eine relativ späte Aufnahme molekularbiologischer Theorien und Methoden durch die deutsche Wissenschaft, wie die DFG 1958 in einer "Denkschrift zur Lage der Biologie" feststellte (Gottweis, Governing, 1995, S. 68f.).

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Tabelle 2: Bestand gentechnischer Anlagen in den Ländern und allgemeiner Anteil des jeweiligen Bundeslandes an den Wissenschaftsausgaben der Länder im Jahr 1992 58

1990 1991 1992 1993 1994 Labor- Wiss. 1995 anteil Ausg. BaWü 296 276 370 19,3% 14,3% Bay 215 159 250 13,1% 14,1% BlnW 94 104 135 9,6% 8,9% Brem 3 0,2% 0,8% Ham 52 80 4,2% 3,9% Hess 185 242 12,7% 7,7% NiSa 162 234 12,2% 8,4% NRW 234 293 382 20,0% 19,8% RhP 41 63 3,3% 3,6% Saar 7 0,4% 1,5% SWH 20 1,1% 3,5% BlnO 11 49 * Bran 4 2 FNL: 4,1% 13,5% MeVop 9 13 ** Sachs 5 8 ** SaAn 22 26 38 ** Thür 4 17 **

58 Eigene Zusammenstellung aus BGA, Liste, 1990; Hartmann/Voß, Biologische, 1991, S. 44

(zu Zahlen in den neuen Ländern); BMFT, Bundesbericht, 1993, S. 573ff. (zu Spalte 7) und einer Vielzahl von Dokumenten, die uns von den zuständigen Landesbehörden zur Verfügung gestellt wurden. Spalte 1 und 2: Die Zahlen für Westdeutschland bis zum 1.7.1990 beziehen sich auf den kumulierten Bestand der Neumeldungen. Stillegungen von Anlagen sind dabei nicht herausgerechnet; daraus (und aus Zusammenlegungen) erklären sich auch die in Bayern und Baden-Württemberg zunächst abfallenden Zahlen für 1991, denn nach dem Erlaß des Gentechnikgesetzes haben die Behörden bei der Überführung von Altanlagen nach § 41 GenTG erstmals eine realistische Bestandaufnahme gemacht. Zu berücksichtigen ist ohnehin, daß es eine Auslegungsfrage ist, was als 'Gentechnische Anla-ge' aufzufassen ist: Es kann sich dabei - je nach Bauart und Konzeption der For-schungsanlage - um einen Laborraum oder auch um einen Komplex von bis zu 30 Räumen handeln. "Im Durchschnitt kann man davon ausgehen, daß etwa 6 einzelne Räume eine gentechnische Anlage bilden" (Brief des RP Braunschweig vom 21.3.1995 an den Autor [B.G.]). Die Zahlen für Ostdeutschland von 1991 beziehen sich auf "Forschungseinheiten", weil nach dem Gentechnikgesetz der DDR keine Anlagen registriert wurden. Insgesamt dürfte es derzeit ca. 1900 - 2000 gentechnische Anlagen geben. Spalte 6: Bei der Berech-nung des prozentualen Laboranteils wurden die jeweils neuesten verfügbaren Zahlen zug-rundegelegt. *: Berlin (W+O) 8,9%. **: Neue Länder zusammen 4,1% Laboranteil und 13,5% Anteil an den Wissenschaftsausgaben der Länder.

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Tabelle 3: Sicherheitseinstufung gentechnischer Arbeiten und Anlagen zu For-schungszwecken59

Arbeiten Anlagen Arbeiten Anlagen 1981-1988 1986-1990 1990-1993 1990-1993 S 1 178 556 630 602 S 2 1030 667 184 67 S 3 24 31 25 6 S 4 0 0 0 0 S 1-Anteil in % 14% 44% 75% 89%

7.3.3. Anmeldungs- und Genehmigungsverfahren

Gentechnische Arbeiten und Anlagen müssen seit Inkrafttreten des Gentechnik-gesetzes bei den Landesbehörden entweder angemeldet oder von diesen geneh-migt werden (vgl. Kap. 5.1.). Im Unterschied zu der seit 1978 bzw. 1986 (nach ZKBS-Richtlinien) geltenden Registrierungsempfehlung für Arbeiten und Anla-gen sind diese Verfahren mit einem erheblichen formalen Aufwand verbunden, der allerdings im Zuge der Novellierung des Gentechnikgesetzes und der Sicher-heitsverordnung 1993 bzw. 1995 wieder deutlich reduziert wurde.

In der Anfangsphase kam es dann offensichtlich in allen Bundesländern zu ei-ner erheblichen Überschreitung der im Gesetz vorgesehenen Fristen bei den An-melde- und Genehmigungsprozeduren. Dafür gibt es drei Ursachen, die häufig gleichzeitig wirkten: - Die Behörden waren unzureichend organisiert und kaum mit eingearbeitetem

Personal besetzt (s.o.). - Die ZKBS war überlastet und konnte aufgrund ihres bloß monatlichen Ta-

gungsrhythmus der ehrenamtlichen Mitglieder die Sicherheitseinstufung nicht rechtzeitig abschließen (s.o.).

- Die Antragsteller, zum ersten Male als Forscher mit einem ernsthaft vollzo-genen Gesetz konfrontiert, legten unvollständige Unterlagen vor (s.u.).

Dabei ist aber zu konstatieren, daß es den Landesbehörden schon meist vor der Novellierung des Gentechnikgesetzes gelungen ist, die von ihnen verschuldeten Fristüberschreitungen abzubauen. Aus einer detaillierten Aufstellung des Landes Nordrhein-Westfalen geht hervor, daß bei den fünf Anmeldeverfahren für For-schungsanlagen in der Sicherheitsstufe 1 im Jahr 1990 die Antragslaufzeiten bei

59 Eigene Zusammenstellung aus ZKBS, Bundesgesundheitsblatt 1989; BGA, Liste, 1990;

Lange, Entsorgung, 1994, S. 3.

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den Behörden im Schnitt 58 Wochen60 und die Fristaussetzungen aufgrund un-vollständiger Unterlagen im Schnitt acht Wochen betrugen. Im darauffolgenden Jahr lagen diese Zahlen für die 29 aufgeführten Anmeldeverfahren der Stufe 1 bei 22 Wochen für die behördeninternen Antragslaufzeiten respektive bei 17 Wochen für Fristunterbrechungen. Die Behörden arbeiteten also - trotz des nun höheren Antragsaufkommens - schon bedeutend zügiger, während die Fristaussetzungen aufgrund unvollständiger Antragsunterlagen auf Darlegungsschwierigkeiten sei-tens der Antragsteller hindeuten.61 Für ebenfalls 29 Verfahren der Stufe 1 im Jahr 1992 lagen die Zahlen mit 17 respektive 5 Wochen schon fast in dem vom Gen-technikgesetz vorgesehenen Bearbeitungszeitraum. Es ist also sowohl bei den Behörden wie auch den Betreibern eine zunehmende Vertrautheit mit dem An-meldeverfahren zu beobachten.62

Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, daß sowohl die behördlichen Laufzeiten als auch die Fristaussetzungen innerhalb der einzelnen Regierungs-präsidien nicht so stark streuen wie zwischen den Regierungspräsidien. Dabei lassen sich tendenziell drei Verteilungsformen unterscheiden: ein RP mit sehr langen behördlichen Laufzeiten, drei RP's mit fristgerechten behördlichen Lauf-zeiten und z.T. überdurchschnittlichen Fristaussetzungen, und ein RP mit fristge-rechten internen Laufzeiten und deutlich unterdurchschnittlicher Fristaussetzung. Im letztgenannten Regierungsbezirk werden die gentechnischen Anlagen von einer Universität unterhalten, die wegen der besonders guten Erfüllung ihrer Betreiberpflichten und der Einhaltung besonders hoher, die gesetzlichen Vorga-ben überschreitenden Sicherheitsstandards in dem Behördenbericht, der ansons-ten gerade gegenüber den Universitäten sehr kritisch ausfällt, lobend erwähnt wird.63

60 Nach § 12 Abs. 6 war im GenTG alter Fassung eine Frist von drei Monaten vorgesehen.

Mit dem Ablauf der Frist war eine Zustimmungsfiktion verbunden. 61 Häufige und relativ lange Fristaussetzungen werden auch von der für Gentechnik zustän-

digen Senatsverwaltung in Berlin berichtet, die sich vielleicht deutlicher als die Behörden in NRW um einvernehmliche Beziehungen zu den Betreibern bemüht: "Die Verfahren dau-ern in der Regel zwischen 2 Wochen bis 6 Monate - hiervon sind die Zeiten, in denen das Verfahren ruht, abzuziehen. Zu einer vorübergehenden Unterbrechung der Fristen von ca. 1 Woche bis zu 5 Monaten kam es wegen fehlender Unterlagen gemäß § 11 bzw. § 12 GenTG in der Mehrzahl der Fälle." (Antwort des Senats vom 3.1.95 auf die Kleine Anfra-ge Nr. 6125 der MdA Judith Demba).

62 In Baden-Württemberg wurden mit der beim RP Tübingen zentralisierten Verwal-tungsstruktur bereits Mitte 1992 durchschnittliche Antragslaufzeiten von zwei Monaten er-reicht (Maier-Greiner in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 242).

63 Wahrscheinlich kann man generell die niedrige Streuung der Fristaussetzung innerhalb der einzelnen Regierungsbezirke (RB) damit erklären, daß die meisten Labors hier jeweils von einer im jeweiligen RB angesiedelten großen Forschungsorganisation betrieben werden.

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Andere Anlaufschwierigkeiten - anfangs gab es z.B. noch nicht genügend Fort-bildungsveranstaltungen für die erforderlichen Sachkundenachweise, oder die den Labors zugrundeliegenden Bauakten waren nicht aufzufinden - scheinen sich ca. zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes weitgehend erledigt zu haben.

Allerdings ist zu berücksichtigen, daß ein Rückgang der Fristaussetzungen zwar auf eine bessere Organisierung der Betreiberpflichten, aber nicht zwangs-läufig auf einen für die betroffenen Forscher reibungslosen Verlauf hindeutet. Denn gerade die bessere Organisierung der Betreiberpflichten kann dazu führen, daß die anfänglichen Friktionen zwischen Behörden und Betreibern nun in die internen Beziehungen der Forschungsorganisationen verlagert werden.64

7.3.4. Überwachung

Bemerkenswert ist die im Vergleich zum sonstigen Umweltrecht65 offenbar rela-tiv rege Überwachungstätigkeit der Behörden. Soweit genauere Angaben vorlie-gen, kann man davon ausgehen, daß alle Labors, abhängig auch von der Sicher-heitseinstufung, ca. alle ein bis zwei Jahre im Rahmen von Kontrollgängen inten-siv untersucht werden.66 Dabei berichten einige Behörden von relativ häufigen

Wenn diese ihre Betreiberaufgaben ziemlich gut im Griff hat, fallen die Fristaussetzungen kurz aus - andernfalls lang. Wären die Verzögerungen hingegen eher auf Versäumnisse von einzelnen Forschungsinstituten - innerhalb der Universitäten oder Indu-strieunternehmen - zurückzuführen, müßte dies zu einer höheren Streuung innerhalb der Regierungsbezirke führen. Dies gilt zumindest dann, wenn man davon ausgeht, daß die Betreiber selbst für die Fristaussetzungen verantwortlich sind, und nicht unterstellt, daß lange Fristaussetzungen durch besonders penible Nachforderungen einzelner RP verursacht sind.

64 An einer von uns befragten Universität wurde eine zentrale Verwaltungsstelle eingerichtet, die für die Betreiberpflichten nach dem GenTG zuständig ist und alle Antragsunterlagen vor der Abgabe an die Behörden nun selbst auf Vollständigkeit prüft und gegebenenfalls an die Institute zurückgibt. Die mit dieser Aufgabe betraute Person berichtete, daß die Insti-tute dann oft monatelang bräuchten, bis sie die Unterlagen vervollständigt hätten (Hin-tergrundgespräch Nr. 1). Die Institute haben dann wohl vor allem mit den Problemen zu ringen, die sich auch bei der Formulierung von Drittmittelanträgen ergeben: "Ich glaube, die größten Schwierigkeiten zahlreicher Antragsteller beruhen darauf, sich selbst und der Behörde Art und Umfang der beabsichtigten Arbeiten begreiflich zu machen", resümierte ein Behördenvertreter im Verlauf einer fachöffentlichen Diskussion seine Erfahrungen bei der Beratung von Antragstellern (Eichler in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 202).

65 Häufig werden die Behörden nur auf Anzeigen aus der Nachbarschaft hin tätig (vgl. z.B. Klitzsch, Behörden, 1986, S. 165).

66 In NRW entfielen im Berichtsjahr 1992 auf 293 Anlagen 201 Begehungen und im Berichts-jahr 1993 auf 382 Anlagen 187 Begehungen.

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Mängeln, die allerdings in den meisten Fällen von den Betreibern abgestellt wur-den, ohne daß die Einleitung von formellen Sanktionsmaßnahmen erforderlich wurde.67 Die Mängelrügen bezogen sich oft auf allgemeinere Aspekte des Ar-beitsschutzes, auf Bestimmungen der Gefahrstoffverordnung und des Seuchen-rechts, aber auch auf die für die Gentechnik spezifischen Si-cherheitsvorkehrungen.68 Die Ursachen liegen u.a. in der veralteten baulich-technischen Ausstattung, beengten Räumlichkeiten und unklaren Verantwort-lichkeiten, wie sie für öffentliche Forschungsorganisationen, insbesondere die Universitäten, typisch sind und in der (Groß-)Industrie dagegen offenbar höchst selten angetroffen werden. Ein besonderes Problem stellt die starke Fluktuation des Personals in öffentlichen Forschungsorganisationen dar. Diese führt u.a. zu erheblichen Engpässen bei der Bestellung der Funktion des Projektleiters und des Beauftragten für Biologische Sicherheit. Die Berliner Behörde gibt an, hier in

67 Es sind uns allerdings drei Fälle (Göttingen, Marburg, Hamburg) bekannt geworden, in

denen umfassendere rechtliche Ermittlungen eingeleitet wurden. Zu den beiden gut doku-mentierten Fällen in Marburg und Göttingen siehe unten, Kap. 7.6.1.

68 Aus zwei Bundesländern (NRW und Berlin) liegen dazu genauere Angaben vor. Es fällt auf, daß NRW mit seiner eher dezentralen, vor allem auf die staatliche Gewerbeaufsicht rekurrierenden Vollzugsstruktur den Aspekt klassischer Arbeitssicherheit stärker betont als die zentralisierte und auf den Gentechnikvollzug spezialisierte Behörde in Berlin. Zu den Verstößen gegen klassische Arbeitsschutzvorkehrungen zählen z.B. typischerweise stol-pergefährliche Stufen und Schwellen oder überlastete elektrische Leitungen (Feuergefahr). Spezifisch nach Gentechnikrecht wurden u.a. folgende Mängel gerügt: - Durchführung nicht angemeldeter Arbeiten der Sicherheitsstufe 1; - fehlende oder unvollständige Aufzeichnungen; - zu niedrige Sicherheitseinstufung bei der Durchführung weiterer Arbeiten (zum Teil wer-

den aber, u.a. aus Produktschutzgründen, von den Forschern höhere Sicherheitsstandards vorgeschlagen und freiwillig eingehalten);

- mangelhafte oder fehlende Sachkundenachweise bei Projektleitern und Beauftragten für Biologische Sicherheit (BBS) sowie Unkenntnis des Gentechnikrechts; Unterlassen der Sicherheitsanweisung für die Mitarbeiter; zu große Zahl der von einem BBS zu betreuen-den Projekte;

- keine oder falsche Kennzeichnung der Anlage; - fehlende oder mangelhafte Betriebsanweisungen, Hygienepläne und Notfallpläne; keine

oder falsche Kennzeichnung der Anlage; unbefriedigende Zutrittsregelung bei Anlagen mit Publikumsverkehr (Studenten, Patienten);

- Personen und Arbeiten können den Weisungsstrukturen und der Anlage nicht spezifisch zugeordnet werden; Durchführung gentechnischer Arbeiten außerhalb der 'Anlage' (z.B. GVO's in Kühlschränken auf dem Flur);

- Einsatz von Werkbänken, die aus Produktschutzgründen die Luft auf den Experimenator zublasen (Ansteckungsgefahr), anstatt sie abzusaugen;

- fugenreiche und schlecht desinfizierbare Oberflächen; mangelhafte Desinfektion, unge-nügende Wartung bei Sicherheitswerkbänken.

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zahlreichen Fällen sogar die vorübergehende Stillegung der betroffenen Anlagen verfügt zu haben.69

Mit der beschriebenen Überwachung in Form von Kontrollgängen sind aller-dings in der Regel nur offensichtliche Normverstöße im Bereich organisatorischer und technischer Voraussetzungen sicheren Arbeitens in gemeldeten Anlagen zu erfassen. Nicht zu erfassen sind damit hingegen in der Regel 1. gentechnische Arbeiten in nicht gemeldeten Anlagen, 2. Arbeiten mit anderen als den angebenen Organismen und Vektoren, 3. die Einhaltung der Vorschriften auf der Ebene individuellen Verhaltens seitens

der Labormitarbeiter. Eine möglichst lückenlose Kontrolle würde - ad 1 und 2 - umfangreiche Recher-chen in der Forschungs- und Patentliteratur sowie die Überwachung bei Firmen erfordern, die einschlägige Reagenzien vertreiben; ad 2 und 3 wären Probeent-nahmen und ihre Untersuchung durch gentechnisch arbeitende Kontrollabors erforderlich.

Als einziges Land hat Bayern relativ frühzeitig ein staatliches Kontrollabor aufgebaut und gibt an, gelegentlich auch Proben aus den Labors und ihrer Umge-bung zu untersuchen. Hessen kann in dieser Hinsicht mittlerweile auf ein Labor des TÜV zurückgreifen.70 Berlin verfügt seit 1995 über ein halbstaatlich organi-siertes Labor. Auch bei anderen Ländern war der Aufbau entsprechender Einrich-tungen im Gespräch, die auch bundesweit koordiniert werden sollten. Sachsen-Anhalt verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Möglichkeit, eine dies-bezügliche Eigenüberwachung der Betreiber anzuordnen. Berlin erwähnt Litera-turrecherchen zwar als Möglichkeit; es ist aber von keinem Land bekannt, ob sie tatsächlich durchgeführt werden. Mit dem Zweifel, ob die Kontrollen greifen, begründet auch ein Projektleiter im Interview seine Skepsis gegenüber dem Gen-technikgesetz:

69 Im Jahresbericht 1993 werden für den Berichtszeitraum 20 "Bescheide zum Ruhen der

Tätigkeit bzw. zur vorübergehenden Stillegung mit Untersagungsverfügung" sowie 79 "Beanstandungen zu Anlagen (graue und schwarze Reiter)" und 175 "Beanstandungen zu Aufzeichnungen" aufgeführt. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage (Berlin Nr. 12/6720) wird angegeben, daß bis Mitte 1995 insgesamt sieben Ordnungswidrigkeitsver-fahren wegen versäumter Anmelde- bzw. Anzeigepflichten eingeleitet wurden. In mehreren Fällen seien Genehmigungsanträge wegen fehlender Voraussetzungen abgewiesen worden.

70 Im 'Fall Marburg' (s.u., Kap 7.6.1.) hatte es sich als Problem erwiesen, daß die von der Staatsanwaltschaft sichergestellten Proben nicht untersucht werden konnten, u.a. auch deshalb, weil es dazu wiederum einer speziellen Genehmigung für gentechnische Anlagen und Arbeiten bedurft hätte, die damals noch für kein den hessischen Behörden verfügbares Labor vorlag.

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"Was hat denn dieser Filter nach dem sowieso [Regelwerk] letztlich für eine Aussa-gekraft, wenn es vielleicht genügt, nur eine Zelle irgendwo entweichen zu lassen? Doch gar keine! Dann wird doch nur geguckt, ist der Filter eingebaut und wird jähr-lich der Differenzdruck und alles mögliche gemessen. Es löst letztendlich das inhalt-liche Problem nicht. Aber das Schwerwiegende ist doch, sie können wirklich nicht kontrollieren, was dort in diesen Kühlschränken ist. Und Sie können doch auch nicht ... entscheiden ob es dieses Gefahrenpotential gibt, das ich erstmal verneine. ... Insofern denke ich, dieses ganze Gesetzeswerk geht an sich von dem aus, wo sie nur noch wissen, dort ist die Tür an der richtigen Stelle und wie ist denn dort die Luft-druckdifferenz oder sonst was, aber mehr auch nicht. Sie können nicht mal, wenn an diesen Dingern steht, das ist der Stamm sowieso, z.B. X 177671, oder sonst so ob-skure Konstrukte, die es früher einmal gab, nicht mal das können Sie kontrollieren, ob das dort drin ist. Wie viele seroverwandte Dinge gibt es denn? Sie müßten je-desmal das ganze Ding sequenzieren ..." (Int. Nr. 9, S. 59f.)

7.3.5. Behörden und Öffentlichkeit

Die Form der Beziehungen zwischen Behörden und Öffentlichkeit ist z.T. durch das Gentechnikgesetz vorgegeben: Genehmigungen für Forschungsanlagen (ab Sicherheitsstufe 2) müssen in der Zeitung veröffentlicht werden.72 Lokal betrof-fene Bürger haben dann das Recht, den Genehmigungsbescheid anzufordern und gegebenenfalls dagegen schriftlichen Widerspruch zu erheben.73 Dies ist auch in mindestens zwei uns bekanntgewordenen Fällen - es handelte sich um S 3-Labors - geschehen; die Widersprüche waren erfolglos.

Im Unterschied zu den Freisetzungsversuchen und der Errichtung gewerblicher Industrieanlagen hat es zu einzelnen Forschungslabors selten eine breitere Mobi-lisierung in der politischen Öffentlichkeit gegeben.74 Die Vielzahl parla-mentarischer Anfragen zum Vollzug des Gentechnikgesetzes deutet aber an, daß das Thema trotzdem eine gewisse Aufmerksamkeit genießt. Dies könnte auch

71 Ein Sicherheitsstamm der Stufe B 2. 72 Ein Genehmigungsantrag für eine gewerbliche Anlage (S 1) wurde zurückgezogen, als der

Betreiber erfuhr, daß eine Veröffentlichung in einer Tageszeitung erforderlich sei. Als Be-gründung wird kolportiert: "Ich kann doch meine Produkte überhaupt nicht mehr ver-kaufen, wenn das öffentlich ruchbar wird, daß ich gentechnisch arbeite!" (Eichler in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 57).

73 Rechtsgrundlage ist § 12 GenTVfV. Das Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung vor Genehmigungserteilung, das vor der Novellierung auch mit einer mündlichen Anhörung verbunden war, gilt nur für einen Teil der gewerblichen Anlagen und für die experimentelle Freisetzung (vgl. oben, Kap. 5.10.).

74 Ausnahme ist der Streit um das biomedizinische Zentrum der Universität Tübingen (vgl. Fachschaft Biologie, GID 1991).

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erklären, warum für den Vollzug des Gentechnikgesetzes bei ansonsten stagnie-renden Haushalten und dem politischen Ruf nach 'Deregulierung' eine relativ große Zahl von Planstellen geschaffen wurde.

Insgesamt ist auch zu beobachten, daß sich die meisten Länderbehörden um ei-ne relativ starke Transparenz ihrer Vollzugsanstrengungen bemühen - die parla-mentarischen Anfragen z.B. wurden in den meisten Ländern relativ ausführlich und substantiiert beantwortet, Verstöße gegen das Gentechnikgesetz werden von manchen Behörden relativ klar benannt. Letzteres könnte allerdings auch im Ei-geninteresse der zuständigen Verwaltungsstellen liegen, die ihre vergleichsweise gute Personalausstattung rechtfertigen müssen und andererseits nicht - wie bei schon länger etablierten Gesetzen - der Untätigkeit geziehen werden können, wenn sie Regelverstöße in ihrem Zuständigkeitsbereich einräumen. Außerdem wären sie mit einer proaktiven Informationspolitik auf der sicheren Seite für den Fall, daß Regelverstöße oder gar Schäden in der Öffentlichkeit skandalisiert wür-den; sie könnten dann die Verantwortung leichter ganz auf die Betreiber überwäl-zen.

Ein Abteilungsleiter erklärte uns auch den scheinbaren Widerspruch zwischen seiner dezidiert befürwortenden Haltung gegenüber der Gentechnik und der be-richteten, relativ strikten Kontroll- und Sanktionstätigkeit seiner Behörde: Seine Abteilung bemühe sich, vor allem durch Beratung, aber auch durch Überwachung die Genforscher zur Einhaltung des Gesetzes zu motivieren, um die Genforschung angesichts der politischen Aktivitäten im Verwaltungsbezirk vor einer Skandali-sierung zu bewahren. Die vielen parlamentarischen Anfragen würden ihm zwar eine Menge Arbeit bereiten, stellten aber, da sie von einer Oppositionspartei gestellt würden, eine politisch vollständig unverdächtige Möglichkeit dar, die Öffentlichkeit über die Tätigkeit seiner Abteilung zu informieren (Int. Nr. 19).

Allerdings ist diese Haltung nicht durchgängig: Es finden sich auch vielfach la-pidare Formulierungen wie etwa 'bloß geringfügige Regelabweichungen'. Eine Verwaltungsstelle hat uns am Telefon die Zustände in öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen in ziemlich düsteren Farben geschildert, aber in schrift-licher Form festgestellt, daß gravierende Verstöße gegen das Gentechnikgesetz nicht bekannt geworden seien.

Insgesamt halten sich die Länderbehörden - etwa bei der Beantwortung par-lamentarischer Anfragen - mit der Artikulation von Eigeninteressen zurück und verweisen, wenn immer möglich, auf das Gesetz. Zumindest in Bayern und Berlin sind die für den Gentechnikvollzug zuständigen Behördenspitzen allerdings im Interesse der regionalen Wissenschafts- und Wirtschaftsförderung für die Ansied-lung von gentechnischen Anlagen auch aktiv in der Öffentlichkeit eingetreten.

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7.4. Organisierung der Betreiberpflichten in der Universitäts- und in der Industrieforschung75

Die Betreiberpflichten sind in der (Groß-)Industrie offenbar ziemlich straff orga-nisiert. Es herrschen sehr klare Vorstellungen über die Delegation von Verant-wortung und die Rollenverteilung zwischen Projektleiter, Beauftragten für Biolo-gische Sicherheit und sonstigen Leitungspersonen. In dieser Hinsicht ist das Gen-technikgesetz, insbesondere in seinen organisationsrechtlichen Aspekten, erkenn-bar auf die in der Industrie bereits vorhandenen Organisationsformen zugeschnit-ten. Sowohl das Gesetz als auch sein Vollzug beruhen in hohem Maße auf einem Erfahrungstransfer aus der Industrieforschung:

"Ich bin seit 1977 im Unternehmen und von Anfang in die Thematik involviert, also mit den Richtlinien vertraut. Es war immer ein Repräsentant der Firma in einschlä-gigen Gremien vertreten. Nachdem dann 1989 das Gentechnikgesetz verabschiedet worden war, hatten wir kein wesentliches Problem, weil die Anlagen bereits vor-schriftsmäßig standen und das Unternehmen schon viele Produkte gentechnisch ver-trieb und im großen Maßstab mit rekombinanten Bakterien gearbeitet hatte und da-bei bereits alle Richtlinien gemäß des Gesetzes eingehalten hatte, so daß wir keine wesentlichen Änderungen vornehmen mußten. Wir haben praktisch mit den Mitarbeitern der Landesbehörden, die für das Gentech-nikgesetz zuständig waren, immer sehr eng zusammengearbeitet. Dadurch haben sich sehr gute Beziehungen aufgebaut. Man kennt sich, und das ist gut, wenn man Probleme lösen muß."76

Rechte und Pflichten der betreffenden Personen werden von den befragten For-schungsleitern in detaillierter Form referiert; dabei wird auch immer wieder auf schriftlich festgelegte Organisationspläne verwiesen. Es wird erkennbar, daß lange Erfahrungen bei der Umsetzung von Sicherheitsvorkehrungen existieren. Die Vorschriften des Gentechnikrechts werden zusammen mit anderen Sicher-heitsanforderungen in integrierter Form im Rahmen eines relativ dichten Netzes

75 Die Industrieforschung (in Großunternehmen) und die Universitäten wurden von uns zur

näheren Untersuchung ausgewählt, weil wir aufgrund allgemeinerer Informationen davon ausgehen, daß sie Extremtypen auf einer Skala zwischen straffen, relativ zentralisierten und gut ausgestatteten sowie lockeren, zentrifugalen und schlecht ausgestatteten Organisa-tionsformen darstellen. Die diesbezüglichen Organisierungsformen in kleinen und mittleren Unternehmen, in Max-Planck-Instituten, in staatlichen Großforschungseinrichtungen und anderen lehrfreien Forschungsorganisationen der öffentlichen Hand dürften typischerweise zwischen diesen beiden Extremen zu verorten sein.

76 Int. Nr. 17, S. 6f. Über die Beratung von Behördenvertretern wurde uns allerdings auch von einer schon lange etablierten gentechnischen Arbeitsgruppe im Bereich der öffentli-chen Forschung berichtet.

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interner Kontrollen umgesetzt. So charakterisiert ein Forschungsleiter plastisch einen Unterschied zur Universität:

'Bei den Universitäten wird von den Aufsichtsbehörden z.B. Anstoß daran genom-men, daß Kühlschränke mit transgenen Organismen auf dem Flur stehen. Bei uns kann das nicht passieren, einfach deshalb, weil die Werksfeuerwehr das auf ihren regelmäßigen Kontrollgängen entdecken würde. Sie hätte auch die Befugnis, dafür zu sorgen, daß die Kühlschränke wegkommen.'77

Die Beauftragten für Biologische Sicherheit nehmen ihre Aufgaben z.T. haupt-amtlich war. Sie üben dabei einerseits Kontrollaufgaben aus:

"Zunächst habe hauptsächlich ich die Sicherheitsthemen bearbeitet, Anträge gestellt, kurz, alles erledigt, was zum Thema gehört. Als dann die Gruppe größer geworden ist, wuchs auch der Arbeits- und Zeitaufwand enorm, so daß wir entschieden haben, jemanden einzustellen, der alle im Zusammenhang mit gentechnischer Sicherheit anfallenden Aufgaben erledigt. Dieser promovierte Molekularbiologe bearbeitet die Zulassungen und kontrolliert die Labors. Außerdem, und das ist von großem Vor-teil, kontrolliert er auch uns Forscher, denn er betrachtet die Dinge aus einer ande-ren Perspektive als wir. Wir standen einerseits in der Verantwortung, dachten ande-rerseits aber als Forscher." (Int. Nr. 17, S. 7)

Zum anderen entlasten sie die Forscher auch durch die in ihrer Funktion zentra-lisierte Erfahrung im Umgang mit den Behörden:

"Die Antragsformulare für Labor- oder Projektzulassungen liegen als Schablone im Computer vor, so daß der Forscher nur die notwendigen Daten über das Plasmid, das Gen oder den Empfängerstamm einsetzen muß. Der oder die Beauftragte für Biologische Sicherheit vervollständigt dann den Antrag. Dadurch haben unsere Leu-te wenig zusätzlichen Aufwand und das Gesetz belastet uns nicht."78

Die Universitäten stehen dagegen grundsätzlich vor dem Problem, daß sie mit einer dualen Verwaltungsorganisation operieren, in der sich zwei historische Organisationsmodi - der ständisch-korporative Modus der akademischen Kolle-gialorgane und der bürokratische Modus der professionellen Amtshierarchie - überlagern:79 "Es gibt innerhalb dieser Struktur Konstellationen und 'Pfründe', die unantastbar und vertraglich geregelt sind."80

Hier kommt es zumindest in der Praxis immer wieder zu Konflikten, wenn hauptberufliche Verwaltungsangestellte gegenüber akademischen Mitgliedern der Hochschule Vorschriften durchsetzen sollen.81 Die dominante Stellung der Pro-

77 Hintergrundgespräch Nr. 2, sinngemäßes Zitat. 78 Int. Nr. 17, S. 8. Eine ähnliche Stellung des Beauftragten für Biologische Sicherheit findet

sich allerdings auch in manchen öffentlichen Forschungsorganisationen. 79 Vgl. Bahrdt, Wissenschaftssoziologie, 1971, S. 187ff. 80 Siller in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 139. 81 Vgl. auch Hamburger Behörde für Wissenschaft und Forschung, Bericht, 1990.

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fessoren in der Organisationsstruktur der Universität führt zugleich auch zu be-sonderen Engpässen, wenn sich das 'Berufungskarussell' dreht. Technische Si-cherheitsauflagen erfordern überdies Investitionen, für die wiederum die kollegia-le Zustimmung in den entsprechenden Gremien eingeworben werden muß.82

Die zwei von uns befragten Universitäten83 bedienen sich unterschiedlicher Organisierungsformen zur Wahrnehmung der Betreiberpflichten: An der Univer-sität A nimmt die entsprechende Stelle beim Präsidenten die Betreiberaufgaben vollverantwortlich wahr. Das heißt auch, daß der gesamte Schriftverkehr mit den Genehmigungs- und Überwachungsbehörden von dieser Stelle abgewickelt wird. Diese Stelle berät zugleich die Labors, wie sie den Formvorschriften des Geset-zes Genüge tun können. So hat es sich etwa als ein Problem erwiesen, daß auf-grund der hohen Fluktuation des Universitätspersonals häufig Probleme mit der Bestellung des Projektleiters und des Beauftragten für Biologische Sicherheit auftreten. Das hat in der Vergangenheit mehrfach zu vorübergehenden Stille-gungsverfügungen für die betroffenen Labors geführt. Entsprechend hat das Rechtsreferat den Instituten nun vorgeschlagen, mehrere Personen für diese Be-fugnisse auszubilden und bestellen zu lassen, so daß personelle Engpässe über-brückt werden können. Zugleich nimmt das Rechtsreferat aber, nach eigenem Bekunden, eine, so wörtlich, "rigorose" Haltung gegenüber den Instituten ein. Die jährlichen Berichte der Beauftragten für Biologische Sicherheit werden hier über-prüft, ob sie den gesetzlichen Bestimmungen genügen. Genehmigungs- und An-meldungsanträge werden nur an die Behörde wietergeleitet, wenn sie erkennbar die entsprechenden Formvorschriften erfüllen, und ansonsten mit den entspre-chenden Hinweisen zurückgegeben. Als interne Überwachungsinstanz fungiert der technische Sicherheitsdienst der Universität, der der Rechtsstelle berichtet.

Die andere Universität (B) hat die Betreiberpflichten an die Institutsleiter dele-giert. Das ist dort auch bei anderen Sicherheitsvorschriften, etwa der Gefahrstoff-verordnung, üblich. Die zuständige Stelle hat dementsprechend lediglich beraten-de Funktion und ist im Referat für Arbeitssicherheit angesiedelt. Gleichwohl be-richtet auch sie über Konflikte mit Institutsleitern, die allerdings in diesem Modell einen doppelten Charakter haben: Zum einen beschweren sich die Institutsleiter, daß sie sich selbst um alles kümmern müssen; andererseits scheint das Arbeitssi-

82 Öffentliche Forschungsorganisationen sind zwar grundsätzlich von der Entrichtung von

Verwaltungsgebühren an die Landesbehörden freigestellt. Allerdings müssen sie für die Beiziehung der ZKBS - und bei Freisetzunganträgen auch für die Kosten des Beteili-gungsverfahrens - aufkommen. Dies kann eine zusätzliche Belastung darstellen, zumindest solange dafür in den Etats der Forschungsorganisationen oder bei den Drittmittelgebern keine ausgewiesenen Haushaltposten bereitstehen.

83 Int. Nr. 16; Hintergrundgespräch Nr. 1; vgl. auch Siller in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 138ff.

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cherheitsreferat trotz seiner nominell nur beratenden Funktion de facto auch Ü-berwachungsfunktionen auszuüben und verfügt nach eigenem Bekunden mit ei-nem Stillegungshinweis bei exponierten Gefährdungen über ein ausreichendes Durchsetzungspotential.

Trotz der in den Interviews dargestellten Straffheit interner Kontrollen ist an-zumerken, daß zumindest anfänglich an vielen Universitäten größere Schwie-rigkeiten bestanden, die Betreiberpflichten zu organisieren.84 Für Irritationen bei den Forschern sorgt - zumindest im Organisationsmodus A (s.o.) - die Dreiecks-stellung 'Forscher - Betreiber - Behörde', die nur in beschränktem Maße eine direkte Kommunikation zwischen den Labors und den Vollzugsbehörden erlaubt. Im Extremfall sieht man die Universitätsverwaltung sogar "im anderen Lager":

"Der Kanzler und seine Mitarbeiter ... sind nicht primär an dem zügigen Fortgang gentechnischer Forschungsarbeiten interessiert. Vielmehr werden sie die Priorität ihres Tuns in der Absicherung der Verwaltung gegenüber der Aufsichtsbehörde se-hen. ... Der Gesetzgeber hatte ja - seine Behörden kennend - als Obergrenze für Be-arbeitungsfristen 2 - 3 Monate vorgeschrieben; dann sollten Anträge automatisch angenommen sein. Um diese Fristen zu unterbrechen, hielt der Betreiber [gemeint ist wohl die Universitätsverwaltung] unsere 'auf den Dienstweg' gebrachten Anträge erst einmal zurück und schickte informelle Vorabkopien an die Aufsichtsbe-hörde."85

Gegen den Vorwurf, daß das Gentechnikgesetz nicht auf die Universitätsstruk-turen zugeschnitten sei, wenden Behördenvertreter ein, daß die Universitäten für ihre Desorganisation selbst verantwortlich seien und es sich im übrigen auch nicht um ein gentechnik-spezifisches, sondern ein allgemeines arbeitsschutzrechtliches Problem handele.86 Ein mit der Koordination der Betreiberpflichten betrauter Universitätsvertreter erklärte auf diesen Vorhalt, warum dieses allgemeine Defizit erst durch das Gentechnikgesetz aufgedeckt wird:

"Bei den bisherigen Rechtsverordnungen aus dem genannten Bereich, wie z.B. der GefStoffV oder ähnlichen, hatte der Gesetzgeber Fehler begangen, weil er etwas ge-schaffen hatte, was nicht umsetzbar war. Sozusagen als Konzession hat er die Um-setzung dann einfach wenig kontrolliert. Dies hat dazu geführt, daß bei den Uni-versitäten immer alles einfach weiterlief. Und nun kommen sie eben in die Situa-

84 Auch in den Fällen 'Göttingen' und 'Marburg' waren Verletzungen der Betreiberpflichten

entscheidend für den Konfliktverlauf (s.u., Kap. 7.6.1.). 85 Bujard in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 76ff. 86 Knoche und Maier-Greiner in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 181 respektive S.

244f. Zusätzlich ist anzumerken, daß die Universitäten auch nicht, wie Industrieunter-nehmen, der Kontrolle durch fachlich spezialisierte Berufsgenossenschaften unterliegen; sozialrechtlich zuständig sind die Eigenunfallversicherungen der Länder, die sich allenfalls mit Gefährdungen befassen, wie sie für Büroarbeitsplätze typisch sind.

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tion, daß sie durch dieses neue Gesetz, bei dem eine Strafbewehrung und strengere Kontrollen vorhanden sind, auf einmal vieles neu strukturieren müßten. Und das stellt die Universitäten vor ein Problem, welches durch das GenTG aufgeworfen wird."87

7.5. Risikowahrnehmung und Risikokontrolle im Labor

Um die Organisation der Risikokontrolle im Labor selbst kennenzulernen, insbe-sondere im Bezug auf Wahrnehmungs- und Verhaltenskomponenten, die von der behördlichen Überwachung nicht erfaßt werden (können), haben wir mit drei universitären Arbeitsgruppen aus dem Bereich der molekularbiologischen Grund-lagenforschung, der klinischen Medizin und der Pflanzengenetik ausführliche Interviews geführt.88 Um ein möglichst vollständiges Bild exemplarischer Organi-sationsabläufe zu erhalten, wurden dabei möglichst alle der mit einem Projekt betrauten Arbeitsgruppenmitglieder befragt. Selbstverständlich müssen die Ant-worten vorsichtig interpretiert werden, weil sie weder repräsentativ sein können, noch zwangsläufig eine 'ungeschminkte' Abbildung der tatsächlichen Verhältnisse darstellen.89

Soweit sich erkennen läßt, sind grundlegende Sicherheits- und Hygieneregeln bei den Labormitarbeitern präsent. Ob dies auf Einflüsse des Gentechnikgesetzes zurückzuführen ist, läßt sich jedoch kaum sagen, weil die meisten dieser Regeln ohnehin für den Produktschutz erforderlich sind und die meisten Labormitarbeiter - z.B. als Doktoranden - keine Erfahrungen über die Zeit vor 1990 besitzen. Die Herkunft und die genaueren Funktionsaspekte der Regeln bezüglich des Produkt-, Arbeits- und Umweltschutzes sind vielen der noch weniger erfahrenen Labormit-arbeiter nur rudimentär bewußt: "So gut bin ich nicht informiert. Ich habe jetzt nicht alle Bestimmungen im Kopf, da muß man eben nachfragen." (Int. Nr. 6, S. 43)

Denn eine offenbar typische Situation sieht so aus: Ein Biologie- oder ein Me-dizinstudent bewirbt sich um eine Diplom- oder Doktorarbeit. Er kommt in ein Labor und wird dort von einem der 'Laborältesten' in die für seine Arbeit grundle-genden Techniken eingeführt. Insgesamt herrscht in akademischen Organisatio-nen auch in höheren Positionen, etwa bei Postdocs, eine hohe Fluktuation, so daß

87 Siller in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 182. 88 In den Interviews ging es darüber hinaus auch um Fragestellungen, die in den nächsten

beiden Kapiteln behandelt werden. 89 Zu näheren methodischen Hinweisen vgl. Anhang 1.

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die Situation des 'Neulings' für die Forschung fast die Regel ist.90 Bei der Einwei-sung durch den Laborältesten lernt der Neuling auch die entsprechenden Si-cherheits- und Hygieneregeln, die im Labor mehr oder weniger ritualisiert sind. Dasselbe gilt im übrigen auch für den Strahlenschutz (Int. Nr. 5, S. 17ff.). Diese Regeln werden nicht hinterfragt, nach gesetzlicher Verankerung, den verschiede-nen Funktionsaspekten etc., weil es erstens 'Wichtigeres' zu tun gibt und zweitens eine Auseinandersetzung mit dem im Labor gepflegten Ritual gruppendynamisch sehr aufwendig wäre. Zu erwarten ist allenfalls, daß der einzelne Regeln, die er nicht einsieht, individuell mißachtet, wenn er sich unbeobachtet glaubt.

Interessant ist dabei, daß besonders die allgemeine Risikowahrnehmung ge-genüber der Gentechnik innerhalb einer Arbeitsgruppe überraschend stark - ana-log der Einstellung zu sonstigen Umweltthemen - variieren kann, während gleich-zeitig der im Gruppenritual sich manifestierende Sicherheitsstandard offenbar klaglos akzeptiert wird. Eine Gruppe z.B. arbeitet grundsätzlich in der Sicher-heitsstufe 2, obwohl ihre Arbeiten von der Behörde in Stufe 1 eingruppiert wur-den. Dies wird zwar von einzelnen Arbeitsgruppenmitgliedern unterschiedlich be-gründet - mit Arbeitsschutz, Produktschutz und Tradition -, aber von niemandem beklagt. Auch die Zielsetzung eines Projekts kann von den einzelnen Beteiligten sehr unterschiedlich interpretiert werden; das von uns untersuchte Freisetzungs-projekt z.B. wird von einigen Mitarbeitern als ernstgemeinte Risikoforschung verstanden, während es der Initiator, der die Freisetzung von transgenen Orga-nismen im allgemeinen für unbedenklich hält, als Maßnahme zur publikumswirk-samen Akzeptanzbeschaffung betrachtet (unten Kap. 8.7.2., Int. Nr. 11 und Int. Nr. 12.).

Weniger überraschend als die arbeitsgruppen-interne Varianz der Risiko-wahrnehmung sind die Unterschiede zwischen den von uns befragten Arbeits-gruppen. In der eher egalitären Arbeitsgruppe ist insgesamt eine höhere Risiko-sensibilität zu verzeichnen als in den beiden eher hierarchisch koordinierten

90 Eine Mitarbeiterin der Überwachungsbehörden bemerkt dazu: "Gerade in [öffentlichen]

Forschungseinrichtungen stellt sich die Frage: Wer sind überhaupt die Beschäftigten? Die festangestellten Wissenschaftler und das festangestellte technische Personal sind dabei mit Sicherheit in der Minderzahl. In der Regel werden in gentechnischen Labors, vor allem in Universitäten, die Arbeiten von Doktoranden, Diplomanden, Drittmittelbeschäftigten, Sti-pendiaten, Studenten, sogar Schülern durchgeführt. ... Diese Mehrheit nichtfestangestellter Beschäftigter kann ein erhöhtes Risiko mit sich bringen. Denn oft ist eine hohe Fluktuati-on, wenig Verantwortungsbewußtsein für das Labor und die Geräte und leider auch eine 'allgemeine Unaufgeräumtheit' die Folge" (Hoffmann in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 255).

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Gruppen.91 In der eher egalitär organisierten Gruppe wird auch gelegentlich hef-tig über Risiko- und Ethikfragen diskutiert:92

"Also emotionsgeladen häufig auch deshalb, weil bestimmte Leute eine sehr einge-fahrene Meinung zu bestimmten Sachen haben, also für die einen ist das überhaupt kein Problem, für die anderen ist das ein Riesenproblem, und dann rutscht das manchmal auch auf eine sehr persönliche Ebene." (Int. Nr. 7, S. 82)

Währenddessen wird in den eher hierarchisch organisierten Gruppen über die dort durchaus vorhandenen Meinungsunterschiede kaum kommuniziert.93 Aber in keiner der befragten Gruppen werden Meinungsunterschiede so intensiv ausge-tragen, daß eine vollständige Konvergenz der Sichtweisen zu konstatieren wäre.94 Mögliche Dissonanzen werden offenbar durch die zum Teil sehr ausgeprägte Arbeitsteilung und Entkopplung - besonders zwischen den verschiedenen an ei-nem Projekt beteiligten Arbeitsgruppen95 - absorbiert. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß es sich um Meinungsunterschiede in Bezug auf die weitere Entwicklung und Verwendung des Laborkonstrukts in der natürlichen und gesell-

91 Eine der eher hierarchischen Gruppen arbeitet in der klinischen Medizin, einem Bereich,

der sich in seiner Risikosensibilität, wie auch von anderer Seite mehrfach bestätigt, gegen-über der Gentechnik auch aus inhaltlichen Gründen unterscheidet: Ärzte treffen mit ihren Eingriffen am Patienten täglich riskante Entscheidungen, deren Auswirkungen zumindest weitaus unmittelbarer sind als die Folgen der Gentechnik. Zudem sind sie mit einer bestän-digen natürlichen Ansteckungsgefahr durch ihre Patienten konfrontiert, die mit Sicher-heitsmaßnahmen sehr viel weniger als im Labor einzudämmen sind. Außerdem sind Grup-pen in der klinischen Medizin fast zwangsläufig hierarchisch organisiert, weil anders als in den handlungsentlasteten Bereichen der Grundlagenforschung in der Patientenbehandlung schnelle Entscheidungen getroffen und vom Chefarzt zumindest symbolisch verantwortet werden müssen (vgl. Bosk, Forgive, 1979).

92 Vgl. Kap 9.3.3. 93 Explizit dazu Int. Nr. 1, S. 26ff. 94 Generell ist zu bemerken, daß sich die geäußerten Gefahreneinschätzungen bei den Ar-

beitsgruppenmitgliedern sehr stark von der Risikowahrnehmung durch die interessierte Öf-fentlichkeit unterscheiden, die generell als übertrieben angesehen wird. In Rechnung zu stellen ist dabei insbesondere die Vertrautheit ('familiarity') im Umgang mit einer eng um-grenzten Zahl unterschiedlicher transgener Organismen, von denen man sich einfach nicht vorstellen kann, daß sie irgendwie gefährlich sein könnten, während bei Fragen nach Expe-rimenten und transgenen Organismen, mit denen man weniger Erfahrung hat, sich die Aus-sagen, auch im Sprachduktus, sehr viel stärker der Diskussion in der interessierten (Fach)Öffentlichkeit annähern (vgl. z.B. Int. Nr. 14, S. 11ff.). Dabei ist allerdings bei aka-demischen Anfängern häufig festzustellen, daß sie von der fachöffentlichen Sicherheits-diskussion noch wenig berührt wurden, während umgekehrt besonders die Projektleiter mit dieser Diskussion gut vertraut sind, gerade weil sie weniger im Labor, sondern eben in (fach)öffentlichen Foren engagiert sind.

95 An den von uns untersuchten Fallbeispielen zur Freisetzung und Gentherapie waren jeweils mindestens zwei Arbeitsgruppen beteiligt.

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schaftlichen Umwelt handelt, also in Bezug auf Freisetzung oder Gentherapie (vgl. Kap. 8 und 9), während die Regeln für den direkten Umgang im Labor, also im Geschlossenen System, offenbar nirgends umfassender diskutiert werden. Abweichendes Verhalten wird hier innerhalb der Arbeitsgruppen durch offenbar erwartete - oder explizit ausgeübte - Sanktion unterbunden.

In einer Arbeitsgruppe wird von einer eher egalitär funktionierenden sozialen Kontrolle berichtet:

"Wenn jetzt irgendwie alles schiefläuft, ... Also es sind häufig so lästige Sachen, wo dann irgendjemand den Autoklaven mit dem Müll nicht ausgeräumt hat oder ..., und es jetzt immer einer machen soll und immer wieder der gleiche es macht und die anderen keinen 'Bock' darauf haben, dann gibt es irgendwann, wenn's dann geknallt hat, halt eine Laborbesprechung und da kommt das alles auf den Tisch, und dann sagt jeder jedem die Meinung und dann reguliert sich das wieder." (Int. Nr. 7, S. 55)

In den beiden anderen Arbeitsgruppen scheint dagegen die Kontrollfunktion stär-ker dem Projektleiter bzw. der Technischen Angestellten zu obliegen. Von Be-deutung für die Einhaltung alltäglicher Sicherheitsregeln ist in jedem Fall die funktionelle Hierarchie, die sich in der praktischen Labororganisierung etabliert. Die Bezeichnung 'Laborältester' (oder 'Laborälteste') haben wir gewählt, um eine Funktion zu markieren, wie sie in der offiziellen Rollenbeschreibung z.B. des Gentechnikgesetzes nicht vorgesehen ist: Als Projektleiter im Sinne des Gesetzes fungiert in der Regel der Instituts- oder Arbeitsgruppenchef, meist ein Hochschul-lehrer, der aber selbst kaum noch im Labor steht. Durch seine Erfahrung und die Involviertheit in die (fach-)öffentliche Sicherheitsdiskussion kann er die generelle Gefährlichkeit der Experimente gut einschätzen, ist aber andererseits von den kleinen Entscheidungen und Beobachtungen im Laboralltag weitgehend abge-schnitten. Das bedeutet zugleich, daß ihm unerwartete und überraschende Vor-kommnisse, die er mit seinem vergleichsweise umfassenderen Wissens- und Er-fahrungshorizont vielleicht auch besser deuten könnte, häufig gar nicht mitgeteilt werden.

Die praktischen Aufgaben des Projektleiters - u.a. Sicherheitsbelehrungen und Überwachung - werden vielmehr von einem 'Majordomus' wahrgenommen, der als ein Bindeglied zwischen experimenteller Arbeit auf der einen und Theorie und Forschungsmanagement auf der anderen Seite fungiert, zugleich aber auch eine dritte Instanz darstellt. Häufig ist der 'Laborälteste' ein Labortechniker (TA), u.a. deshalb, weil es bei den TA's die niedrigste Fluktuation gibt.96 Die Frage des positionellen Status ist dabei nebensächlich, weil der Neuling in jedem Fall auf die Kooperation des 'Laborältesten' angewiesen ist.

96 Int. Nr. 5, insbesondere S. 2ff.

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Wenn man die überaus komplizierten Sicherheitsregeln im Gentechnikrecht be-trachtet, fragt man sich, wie die Mitarbeiter im Labor diese überhaupt kennen können. Hier findet eine zweifache Komplexitätsreduktion statt. Die erste wird von der Behörde bzw. vom Rechtsreferat des Betreibers vorgenommen, die im Genehmigungsbescheid die für die entsprechenden Arbeiten relevanten Regeln aufführen. Der Genehmigungsbescheid wiederum wird von dem Laborältesten rezipiert, mit den aus Produktschutzgründen ohnehin geltenden Hygieneregeln abgestimmt und im Laboralltag an die übrigen Mitarbeiter in praxistauglicher Form weitervermittelt und schließlich im Gruppenritual eingeübt. Dies verdeut-licht noch einmal die Schlüsselstellung, die dem 'Laborältesten' in praktischen Sicherheitsfragen zukommt.

Angesichts der Tatsache, daß die Funktion des 'Laborältesten' häufig von ei-nem TA wahrgenommen wird, ist allerdings umso erstaunlicher, daß in der Aus- und Fortbildung der Labortechniker die speziellen Sicherheitsfragen der Gentech-nik, anders als die konventionellen Bestimmungen zur Mikrobiologie, noch kei-nen Eingang gefunden haben (Int. Nr. 7, S. 75).

Hingegen war bei den Arbeitsgruppen festzustellen, daß der formell vorgese-hene Beauftragte für Biologische Sicherheit (BBS), dem im Gentechnikrecht wichtige Kontrollfunktionen zukommen, mehr auf dem Papier als in Wirklichkeit existiert. Zum Teil wurde, um seine Unabhängigkeit zu garantieren, auf Vor-schlag der Behörde97 nicht ein Mitarbeiter der Arbeitsgruppe, der dem Projektlei-ter zwangsläufig positionell untergeben ist, sondern eine außenstehende Person gewählt. Damit wird aber in der Praxis offenbar nicht nur die gewünschte Unab-hängigkeit, sondern auch die praktische Abwesenheit und Funktionslosigkeit garantiert.98

Das Alltagsgefühl bei der Laborarbeit wird, auch im Unterschied zum aller-dings selteneren Umgang mit radioaktiven Substanzen im Isotopenlabor, als we-nig befangen beschrieben. Man könnte dies als Nonchalance interpretieren. Wahrscheinlicher ist allerdings, daß dieses Sicherheitsgefühl aus der Einhaltung fester Sicherheitsregeln resultiert und Verunsicherungsgefühle nur eintreten, wenn die konventionalisierten Regeln verletzt werden. So wird aus der Gruppe, in der grundsätzlich auch bei in Risikostufe 1 eingestuften Experimenten unter S 2-Be-dingungen gearbeitet wird, berichtet:

"Wenn ich in ein anderes Labor komme und sehe ... mir vorstelle, daß ich jetzt mit meinen Pullis auf dem Tisch da rumarbeiten würde, das wäre mir persönlich unan-genehm. ... Ich glaube, es liegt einfach daran, ich kenne das nicht anders. Also auch

97 Zum Problem der organisationalen Stellung von BBS in öffentlichen Forschungsein-

richtungen vgl. Hoffmann in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 254. 98 Int. Nr. 15, S. 65; Int. Nr. 11, S. 47.

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die Vorstellung, nicht mit Handschuhen zu arbeiten, oder nicht mit einem Kittel zu arbeiten, das ist ..., nein, ich finde das eklig." (Int. Nr. 7, S. 43)

Verunsicherungsgefühle werden auch als eher kontraproduktiv für den prakti-schen Umgang mit Sicherheitsregeln beschrieben:

"Ich erlebe das bei manchen anderen, wenn die denken, es ist sehr, sehr gefährlich, was sie da machen, dann erlebe ich das eher so, daß die dann häufiger Fehler ma-chen oder dann eher mal was umkippen - und dann 'oh Gott, oh Gott jetzt ist da al-les umgekippt' - und in dem Moment anfangen ... und ein bißchen Panik kriegen. Da sehe ich es eben auch als meine Aufgabe oder überhaupt als Aufgabe derer, die schon erfahrener sind, diese Angst erst mal abzubauen oder auch zu sagen, wenn Du da was umkippst, selbst wenn Du es über die Finger kippst, was machst Du dann ei-gentlich, ... da den Leuten auch klarzumachen, gut es ist nicht schön, wenn so was passiert, aber man muß dann einfach die Nerven behalten und irgendwie die not-wendigen Schritte einleiten ..." (Int. Nr. 7, S. 57)

Man kann die Beschreibungen einzelner Labormitarbeiter also so interpretieren, daß bei Einhaltung der mehr oder weniger ins Unterbewußtsein abgesunkenen Sicherheitsregeln auch ein unbefangenes Sicherheitsgefühl eintritt, ähnlich wie bei einem Autofahrer, der sich ohne Sicherheitsgurt zwar irgendwie nackt fühlt, aber bei angelegten Sicherheitsgurt auch nicht immer an die Gefahren des Autofahrens denkt.

In Übereinstimmung mit dieser Interpretation von der Konventionalisierung der Risikokontrolle kann man also zum einen konstatieren, daß trotz unter-schiedlicher Risikosensibilitäten innerhalb der Arbeitsgruppen relativ einheitliche Sicherheitsstandards hergestellt werden können. Wie effektiv diese Sicherheits-standards sind, läßt sich mit sozialwissenschaftlichen Methoden nicht feststellen - dazu müßte mit mikrobiologischen Methoden die Zahl und Art der Keime auf Laborflächen, -kitteln und -abwässern bestimmt werden.99 Entscheidend ist aber ohnehin die Frage, ob die Einhaltung der Hygieneregeln - jenseits des aus Pro-duktschutzgründen Erforderlichen - überhaupt als sinnvolles Ziel angesehen wird. Da alle befragten Labormitarbeiter spontan100 bestreiten, daß ihre eigenen nach S 1 eingestufte Organismen im Laborumgang gefährlich sein könnten, ver-schwimmen die Maßstäbe und die Motivation zu einer präziseren Verhaltenskon-trolle. So kommentiert ein Projektleiter die Arbeit in der Stufe S 1 in Absetzung von seiner Ansicht nach 'fahrlässigen' Verstößen gegen die Vorschriften der höhe-ren Sicherheitsstufen:

99 Eine Arbeitsgruppe gibt auch an, daß sie gelegentlich auf Anraten der Behörde durch

sogenannte Abklatschtests die Keimzahlen auf Laboroberflächen bestimmt (Int. Nr. 7, S. 59f.). Es handelt sich also um eine Art von Eigenüberwachung.

100 Auf nähere Nachfrage werden dann eventuell doch Ungewißheiten eingeräumt.

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"Während Sie in einem undefinierbaren Gefahrenpotential [S 1] natürlich auch diese Fahrlässigkeit nicht haben: Wenn einer nur das Regelwerk verletzt, weil es eigent-lich egal ist, ob er es nun erfüllt oder nicht, die Konsequenzen sind die gleichen." (Int. Nr. 9, S. 61)

Und er stuft die Einhaltung der Hygieneregeln des Gentechnikgesetzes in seinem Labor im Vergleich so ein:

"[E]s gibt da auch Leute, die es lächerlich machen, indem sie ihre Werke demon-strieren oder sonst was tun oder die Formalien erfüllen und bewußt daran vorbeiar-beiten und das ab und zu auch sagen, seht mal, wie schlecht es nun ist [das Gen-technikgesetz], oder Leute, die es relativ distanziert sehen, vielleicht wie wir, die sagen wir erfüllen diese Auflagen. Ich bin durchaus der Meinung, daß, was in den Auflagen drinsteht, daß das auch so sein sollte, und wir bemühen uns, das auch so zu machen, aber natürlich sehen wir auch unser tagtägliches Chaos und sagen 'mein Gott, wenn das nur nach dem Gentechnikgesetz aufgearbeitet werden würde und was dort alles gleich zum Tragen gekommen wäre ...' Das sind vielleicht so die Di-mensionen. Es gibt auch andere Leute, die das ungeheuer penibel erfüllen, wobei denke, dann können sie wahrscheinlich nicht mehr richtig forschen."101

Die Konventionalisierung bedeutet zugleich, daß eine Reflexion und Diskussion der Standards zumindest in Bezug auf den Umgang im Geschlossenen System nicht (mehr) stattfindet. Das scheint in früheren Zeiten zum Teil anders gewesen zu sein:

"... ich kenne ja nun die Zeiten vor dem Gesetz, und da kenne ich aus eigener Erfah-rung, was hier am Institut so gelaufen ist an Überlegungen zur Sicherheit. Was ich wirklich gut fand, weil mit so einem Verantwortungsgefühl daran gegangen wurde und gesagt wurde, 'gut wir richten unsere Labors eben so ein, daß sie lieber eine Nummer zu sicher sind, als daß sie eine Nummer zu unsicher sind, und überlegen uns jetzt einfach, wie kann man jetzt, wenn bestimmte Kulturgefäße umfallen oder umkippen, wie kann man da vorher die Geräte anders aufstellen oder umbauen', o-der so einen Kleinkram, und da eigentlich mit so einem Verantwortungsgefühl her-angegangen wird, was ich jetzt, seit es nun das Gentechnikgesetz gibt, und ich jetzt ganz häufig eben auf solchen größeren Veranstaltungen bin, [nicht mehr sehe]. Wo Leute aus anderen Instituten kommen, viele aus medizinischen Instituten, wo ich den Eindruck habe, die Leute kümmern sich eigentlich nur noch darum, wie erfülle ich das Gesetz richtig und wie fülle ich diesen Antragbogen richtig aus, und daß jetzt gar nicht mehr wirklich nachgedacht wird, welchen Sinn das hat." (Int. Nr. 7, S. 21)

Die gleiche Mitarbeiterin stellt aber später im Interview auch den gegenteiligen Effekt heraus, daß nämlich durch das Gentechnikgesetz wenigstens ein Min-

101 Int. Nr. 9, S. 61. Verstöße im Detail aus pragmatischen Gründen werden gelegentlich

auch von anderen Interviewteilnehmern eingeräumt (z.B. Int. Nr. 14, S. 43).

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destmaß an Reflexion erzwungen würde. Sie antwortet auf die Frage, ob man S 1-Experimente vom Gentechnikgesetz ganz ausnehmen sollte:

"Also wenn ich mir vorstelle, es wäre ganz abgeschafft, und das meiste ist ja nun nur noch S 1, und die müßten sich dann nie Gedanken drüber machen, ... Viele wis-sen dann auch einfach gar nicht, was ist daran gefährlich oder was nicht, oder ma-chen die sich eben auch keine Gedanken, wenn sie jetzt irgendeinen anderen Bakte-rienstamm aus dem Nachbarlabor kriegen, ist der jetzt wirklich noch S 1 oder nicht. Die machen sich dann irgendwie gar keine Gedanken mehr drüber. ... Nein, also ich finde es albern, jetzt für S 1 diesen Riesenpapierkrieg zu führen, ich finde diesen Papierkrieg sowieso teilweise albern, aber doch, ich finde, ein bißchen gezwungen werden müssen die Leute schon, daß sie sich Gedanken machen." (Int. Nr. 7, S. 62)

Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß zwar ein Mindestmaß an kon-ventionalisierten Hygieneregeln in den meisten Labors wohl eingehalten wird, obwohl deren Sinnhaftigkeit - jenseits des Produktschutzes - gerade im S 1-Bereich durchaus bezweifelt wird. Generell wird zwar auf Nachfrage von allen Interviewpartnern eingeräumt, daß ein verborgenes Risiko, so wie man es etwa bei den FCKW mit starker zeitlicher Verzögerung im Nachhinein erkannt hat, auch bei der Gentechnik nicht auszuschließen ist. Eine ständige fachkundige Be-obachtung und eine Dauerreflexion unerwarteter Vorkommnisse findet aber - bei Arbeiten im Geschlossenen System - kaum (mehr) statt, obwohl auch hier viele Experimente nach wie vor nicht zuverlässig reproduzierbar, also im klassisch naturwissenschaftlichen Sinne nicht vollständig verstanden sind:

" ... oder einfach diese Zellen mal nicht exprimieren und keiner weiß mal wieder warum, obwohl alles genauso gemacht worden ist wie früher ..." (Int. Nr. 9, S. 14)

Ungewißheitsbasierte Vorsorge reduziert sich also auf einen mehr oder weniger 'lax' gehandhabten Sicherheitszuschlag; erfahrungsbasierte Vorsorge, also der Umgang mit anerkanntermaßen pathogenen Organismen, dürfte etwas ernster genommen werden, auch wenn aufgrund der in der Universität grundsätzlich bestehenden Rahmenbedingungen - Fluktuation, Koordinierungsmängel und Res-sourcenengpässe - keine wirklich 'zuverlässige Sicherheitsorganisation'102 zu erwarten ist.

102 'High reliability organizations' sind von der organisationssoziologischen Literatur am

Beispiel der NASA, von Flugzeugträgern und Atomkraftwerken untersucht worden (Pi-geon, Journal of Cross-Cultural Psychology 1991; Roberts, California Management Re-view 1990; Schulmann, Administration & Society 1993; Heimann, American Political Science Review 1993). Sie sind mit dem paradoxen Organisationserfordernis konfron-tiert, permanente Wachsamkeit und rigide Verhaltenskontrollen angesichts bekannter Ge-fahrenanzeichen mit kognitiver Offenheit und koordinierter Kommunikation angesichts unerwarteter Vorkommnisse zu verbinden.

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7.6. Das Gentechnikgesetz: Akzeptanzprobleme auf seiten der Forscher

Trotz der pauschalen Polemik, mit der Genforscher gelegentlich in öffentlichen Statements das Gentechnikgesetz attackieren, können wir aufgrund unserer Inter-viewerfahrung, die auch von einer anderen, in dieser Hinsicht ähnlich verfahren-den Studie bestätigt wird,103 kein generelles Akzeptanzdefizit gegenüber dem Gesetz bei den befragten Genforschern feststellen. Es wird zwar viel Kritik im Detail - an der Widersprüchlichkeit einzelner Vorschriften und am Vorgehen einzelner Vollzugsbehörden - geäußert, der Sinn einer gesetzlichen Regelung aber nicht grundsätzlich bezweifelt.

Der unterschiedliche Tenor der öffentlichen Stellungnahmen und der Inter-viewaussagen dürfte zwei Gründe haben: Der erstgenannte Artikulationsmodus befördert zugespitzte, der letztere moderate Äußerungen. Um in medienwirksa-men Debatten Gehör zu finden, müssen sich Genforscher aktiv engagieren oder über eine wichtige Stellung in Professionsverbänden verfügen. Beide Bedin-gungen wirken wahrscheinlich selektiv zugunsten zugespitzter Wahrnehmungen und Äußerungen. Umgekehrt kommen bei Befragungen Genforscher zu Wort, die nicht zwangsläufig in öffentlichen Debatten engagiert sind oder durch ihre Teil-nahme an Studien, die nicht erkennbar auf bloße Akzeptanzbeschaffung ausge-richtet sind, ihre Bereitschaft zu einer differenzierteren Auseinandersetzung do-kumentieren. Es ist jedenfalls festzustellen, daß sie als Beteiligte der hier erzeug-ten Sprechsituationen zu moderaten Äußerungen neigen.

Sprechsituationen, die direkte Nachfragen erlauben, zwingen die Befragten stärker, auf Widersprüche in ihren Aussagen einzugehen, als das in den meisten publikumswirksamen Debatten der Fall ist. So äußerst ein Projektleiter zu der Frage, ob Sicherheits- und Hygienerichtlinien für die Gentechnik gesetzlich ver-ankert sein sollten:

"Ja, die beste Antriebskraft ist doch für die einzelnen Leute: Klappt das Experi-ment? Die Mikrobiologen regeln das eigentlich immer so: Jeder, der nicht sauber mikrobiologisch arbeitet, kriegt auch kein Experiment zustande. ... Das ist ja ein Phänomen, was es seit 1960 und länger schon gibt, daß man versucht, erst mal die inhaltliche Seite zu vermitteln, also: 'Du mußt sauber arbeiten, damit Dein Experi-ment auch funktioniert. Und wenn Dein Experiment nicht funktioniert hat und die Ratio stimmt, dann hast Du garantiert nicht sauber gearbeitet. Anstatt zu sagen: wenn Du das und das alles einhältst und Dich an diesen Spielraum hältst, dann bist Du ein anständiger Mensch und dann wollen wir Dich auch nicht bestrafen.'"

103 Hasse et al., Technologisierung, 1994.

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Interviewer: "Aber es gibt doch Situationen, in denen sich der Forscher weder selbst gefährdet noch seine Kulturen verschmutzt, wenn er z.B. irgendetwas ins Abwasser gibt."

Projektleiter: "Ja, das ist ein gutes Argument. Ich denke der Abwasserbereich erfor-dert Regeln und Gesetze, erfordert dies nicht nur im Gentechnikbereich. ... Ich lehne das Gesetz zwar grundsätzlich ab, und bezweifle, daß es ein Gesetzkonstrukt geben muß. Aber viele dieser Dinge sind durchaus sinnvoll. Im Abwasserbereich hätte man auf jeden Fall geregelt, so wie man im Krankenhaus Abfall und Abwasserbe-reich geregelt hat, ohne daß dort Gentechnik eine Rolle spielt, oder wie man das im Chemikalienbereich geregelt hat. Da ist Regelungsbedarf und da kann man ja auch sagen, bitte wir wollen dieses Zeug nicht im Abwasser sehen. Wenn wir es sehen, dann hast Du da was falsch gemacht und dann werden wir Dich rankriegen." (Int. Nr. 9, S. 63f.)

Insofern entwickelt sich in interneren und informierteren Sprechsituationen - wie sie nicht nur durch die Interviews, sondern auch in anderen nicht direkt publi-kumswirksamen Diskussionen104 entstehen - eine andere Kritik als in öffentlich-keits- und politikwirksamen Foren, wie sie etwa von Verbandsvertretern in Bun-destagshearings vorgebracht wird.

7.6.1. Probleme mit der bürokratischen Rationalität: das Verhältnis zwischen Forschern und Behörden

Im Vollzug des Gentechnikgesetzes kommt es zur Konfrontation zwischen der bürokratischen Rationalität der Behörden und der wissenschaftlichen Rationalität der Forschung. Grundsätzlich ist dies schon seit längerem ein Problem der For-schungsverwaltung.105 Besonders zugespitzt hat es sich gerade bei der Implemen-tierung des Gentechnikgesetzes, weil die öffentlich finanzierte Wissenschaft erstmals mit einem ernsthaft vollzogenen Gesetz konfrontiert wurde und sich die Behörden und entsprechende für die Organisierung der Betreiberverantwortung in den Forschungsorganisationen zuständige Stellen, aufgrund interner Anlauf-schwierigkeiten (s.o.) und der erregten öffentlichen Debatte, zumindest in der Anfangszeit bei Interpretationsschwierigkeiten auf eine möglichst 'buchstabenge-treue' Auslegung zurückgezogen haben.

Ein Institutsleiter beschreibt die Vorzüge einer gleichberechtigten Nutzung ei-ner gemeinsamen Forschungsinfrastruktur (Zellkultur-, Brut- und Kühlräume, Tierställe, Meß- und Zentrifugenräume etc.) und zeigt den Konflikt mit der im Gesetz vorgesehenen Verantwortungszuweisung auf:

104 Vgl. etwa die in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992 dokumentierte Tagung. 105 Bahrdt, Wissenschaftssoziologie, 1971; Hohn/Schimank, Konflikte, 1990.

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"Das erste Problem trat auf, als wir nach dem Inkrafttreten des Gentechnik-Gesetzes unsere vernetzte Struktur in einzelne gentechnische Anlagen aufgliedern mußten. Bis dahin waren nur die Hauptlabors des ZMBH als Genlaboratorien bei der ZKBS angemeldet gewesen. Diese wurden nun per Gesetz zu "Gentechnischen Anlagen". Dies löste jedoch nicht das Problem der vielen gemeinsam benutzten "Nebenräu-me", in denen z.T. sowohl S 1- als auch S 2-Arbeiten durchgeführt werden, also Projekte, die von unterschiedlichen Leitern in mehr als einer Anlage durchgeführt werden. Obwohl eine Neugliederung der Anlage eigentlich die Aufgabe des Betreibers ist, der sich dazu jedoch nicht in der Lage sah, habe ich als Institutsdirektor versucht, die gemeinsam genutzten Nebenräume für alle betroffenen Anlagen anzumelden. Dies wurde von der Aufsichtsbehörde nicht akzeptiert: Sie bestand auf der Regel 'Ein Raum kann nicht Teil mehrerer Anlagen sein'. Nach langer Diskussion wurde schließlich ein Lösungsvorschlag von den Behörden akzeptiert: Gemeinsame Ne-benräume, wie z.B. die Spül- und Autoklavräume, werden einer der S 2-Anlagen zugeordnet. Man kann nun ein gentechnisches Projekt in mehreren Anlagen durch-führen, wobei jedoch Fragen zur Protokollführung [gemäß Gentechnikaufzeich-nungsV] nach wie vor offen sind."106

Solche Probleme sind weder für die Wissenschaft im allgemeinen noch für die Gentechnik im besonderen spezifisch, sondern treten immer auf, wenn die Logik von universellen, detaillierten und mit der übrigen Rechtsordnung kompatiblen Gesetzen in heterogene Lebensbereiche eingreift, deren Organisation zunächst anderen - ehemals oder gegenwärtig funktionalen - Prämissen folgt. Auch 'antibü-rokratische' Mentalitäten und Diskurse finden sich nicht nur in der Wissenschaft, sondern ebenso im 'freien Unternehmertum' und generell bei der Mehrzahl der Gesetzesunterworfenen.

Eine besondere Konfliktdynamik scheint aber daraus zu resultieren, daß die in-dividuelle Kommunikation zwischen (leitenden) Wissenschaftlern und Behörden-vertretern von Statusinkongruenzen gekennzeichnet ist: Der 'große Professor' muß Verhaltensanweisungen entgegennehmen von einem 'kleinen' Verwaltungsan-gestellen, der vielleicht erst kürzlich bei einem 'Kollegen' promoviert worden ist und 'nur deshalb' zur Behörde gegangen ist, weil er für eine Karriere in Wissen-schaft oder Industrie 'zu risikoscheu' oder 'zu wenig kreativ' ist.

Verbunden ist diese Statusinkongruenz auch mit einem vermeintlichen Kom-petenzgefälle. Da die Sicherheitsregeln in der Öffentlichkeit wissenschaftlich begründet werden und nach Meinung zumindest der meisten Wissenschaftler auch nur Geltung beanspruchen können, soweit sie 'wissenschaftlich begründet' sind (s.u.), glauben die meisten Wissenschaftler - ungeachtet der Tatsache, daß sie sich mit Sicherheitsfragen und ihren interdisziplinären Bezügen meistens nicht

106 Bujard in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 77f.

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sehr intensiv beschäftigt haben - eher im Sinne 'der Wissenschaft' sprechen zu können als die Verwaltungsangestellten, mit denen sie konfrontiert sind.

Empirisch korrespondiert diese Interpretation der Konfliktdynamik mit der Be-obachtung von Behördenvertretern, daß die gesetzlich vorgeschriebene und von den Behörden angebotene Beratung zum Umgang mit dem Gentechnikgesetz zumindest anfänglich kaum in Anspruch genommen wurde.107 In den Interviews wird von fast allen mit Überwachungsfunktionen betrauten Personen berichtet, daß sie des öfteren - insbesondere bei den Professoren an Universi-tätskrankenhäusern - mit besonderem Widerstand und herablassendem und ver-letzendem Verhalten konfrontiert sind:108

"Die Uneinsichtigsten sind wahrscheinlich die Mediziner ... Das hängt vermutlich damit zusammen, daß sie vor allem den kranken Menschen vor Augen haben. Zum Beispiel einen HIV-infizierten Menschen. Und dagegen ist es nicht einsichtig zu machen, daß der Umgang mit dem HI-Virus in einer S 3-Anlage erfolgen muß; das ist das eine. Zum zweiten bringen sie aufgrund der hierarchischen Struktur und der noch weit verbreiteten 'Halbgottheit-in-Weiß'-Mentalität auch die wenigste Bereit-schaft mit, sich mit den Überwachungsbehörden auseinanderzusetzen und offen zu sein für Sicherheitsfragen. Sie reagieren dann auch oft am cholerischsten, wenn sie sich, sozusagen als 'Halbgott-in-Weiß' von so einem 'Verwaltungsfuzzi' kritisiert se-hen. Und das dritte ist, daß sie auch oft unter einem von den Patienten und deren Angehörigen erzeugten Druck stehen, auch noch nicht erprobte und unter Umstän-den unsichere Verfahren einzusetzen. Dies gilt vielleicht auch beim zunehmenden Einsatz der Gentherapie. Während Naturwissenschaftler, die sich zum Beispiel mit Mikroorganismen, speziell eventuell mit Pathogenitätsfragen beschäftigen, oder sich im Bereich der Pflanzenzüchtung mit Freisetzungsfragen und dabei auch mit ökolo-gischen Fragestellungen befassen, ein größeres Risikobewußtsein haben." (Int. Nr. 18, S. 44f.)

Man kann davon ausgehen, daß ein entsprechendes Auftreten die Behördenver-treter nicht immer ermuntert, ihre Ermessensspielräume in einer für die Forscher besonders günstigen Weise zu nutzen.

Öffentlichkeitswirksam aufgeschaukelt hat sich ein Konflikt in Marburg. Be-hördenvertrer stießen bei einem Kontrollgang an der dortigen Universität auf nicht-registrierte Räume, in denen gentechnisch gearbeitet wurde. Der Projekt-leiter verweigerte die Auskunft über die durchgeführten Experimente. Daraufhin ließ die Behörde das Labor vom Staatsanwalt schließen. Die beschlagnahmten Laborproben sollten untersucht werden, was jedoch zum damaligen Zeitpunkt u.a. deshalb nicht möglich war, weil es für diesen Fall des Umgangs mit einer Probe unbekannten Inhalts und daher unbekannter Risikostufe keine Genehmi-

107 Eichler in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 201. 108 Int. Nr. 16; Int. Nr. 18.

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gungsmöglichkeit für die Arbeiten in einem Untersuchungslabor gab.109 Es wurde allerdings der Verdacht geäußert, daß die bearbeiteten Organismen in einer nicht näher definierten Weise krebserregend sein könnten. Das führte u.a. auch zur Gründung einer Bürgerinitiative, weil sich neben dem Laborgebäude ein Kinder-spielplatz befindet. Feststellbar war schließlich nur, daß der hausinterne Umzug des Labors der Universitätsleitung zwar mitgeteilt worden war, diese ihn aber nicht formgerecht an die Behörde weitergeleitet hatte. Deswegen wurde ein Ord-nungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Umgekehrt hat der betroffene Projektleiter die Behörde wegen "unschuldig erlittener Strafverfolgungsmaßnahmen" erfolg-reich vor einem Zivilgericht auf Schadensersatz verklagt.110 Von diesem Fall abgesehen ist es aber, soweit erkennbar, bisher nirgends von seiten der öffentli-chen Wissenschaft zu gerichtlichen Klagen gegen Bescheide der Behörden ge-kommen.111

Andererseits kann man auch feststellen, daß Genforscher die behördlichen Kontrollen gelegentlich sogar begrüßen, weil sie ihnen bei Bau- und Ausstat-tungsfragen Einfluß gegenüber der Universitätsverwaltung verschaffen:

"Das ist vor allen Dingen die Verwaltung, die sich sehr schwer damit tut, für [Si-cherheitsanforderungen] entsprechende Räumlichkeiten oder Finanzen bereitzu-stellen. Z.B. haben wir ein Zellkulturlabor, in dem die Gasflaschen praktisch immer ohne den notwendigen Sicherheitsabstand gelagert waren - immer, solange ich den-ken kann. Im Rahmen einer Begehung ist dann ... klargemacht worden, es hat dafür eben entsprechende Sicherheitsbehälter zu geben. Das war einer dieser Vorteile die-ser Begehung. Das wurde einmal im Protokoll festgehalten und der Verwaltung zu-geleitet, und nach einem Jahr kamen die [Vertreter der Überwachungsbehörde] wie-der und haben festgestellt, da hat sich überhaupt nichts bewegt. Dann ging es aller-dings relativ zügig, als es dann nochmal bemängelt wurde. Daß das überhaupt zuge-lassen wird, daß der Arbeitgeber da immer so schlurt, ist schwer verständlich. Und für uns, selbst wenn wir da Projektleiter sind, ist es kaum möglich, Druck bei sol-chen Fragen auszuüben." (Int. Nr. 4, S. 27)

7.6.2. Ungewißheits- versus erfahrungsbasierte Vorsorge

Eine viel kompliziertere, zugleich aber auch spannendere Frage ergibt sich aus dem Verhältnis von ungewißheits- versus erfahrungsbasierter Vorsorge - respek-tive der jeweiligen Wahrnehmung dieses Verhältnisses durch die beteiligten Ak-

109 Diese Situation wurde bei der Novellierung des Gentechnikgesetzes berücksichtigt. 110 Vgl. Oberhessische Presse vom 20.11.1992, 22.1.1993, 21.5.93, 24.6.1994. Berichtet

wurde anfangs auch überregional, z.B. in der Frankfurter Rundschau. 111 Dagegen hat ein Industrieunternehmen - erfolgreich - gegen einen Auflagenbescheid der

Behörden geklagt (vgl. Fn. 41 in diesem Kapitel).

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teure. Hier sind verschiedene Mißverständnis-Konstellationen denkbar.112 Wie allerdings eingangs in diesem Kapitel bemerkt, muß die Wissenschaft nicht per se dem Gedanken der ungewißheitsbasierten Vorsorge abgeneigt sein. Tatsächlich waren es auch zunächst die Genforscher selbst, die in der Debatte von Asilomar die Notwendigkeit einer Regelung auf die bestehende Ungewißheit gegründet hatten. So führt auch der gegenwärtige Vorsitzende der ZKBS aus:

"Dies geschah aus dem damaligen, sehr begrenzten Wissensstand der molekular-biologischen Forschung heraus ... Die Triebfeder der Vorsorge gegenüber mögli-chen Gefahren bei offenkundig begrenztem Wissen hat damals auch dazu geführt, daß die Sicherheitsauflagen zunächst sehr hoch angesetzt ... wurden, mit dem erklär-ten Ziel, diese Vorkehrungen schrittweise mit wachsendem Erkenntnisstand zu re-duzieren."113

Es stellt sich dann aber die Frage, wann man genug weiß, um entsprechende Vor-kehrungen fallen zu lassen, und wer dies definieren soll. Dazu wieder der Vorsit-zende der ZKBS:

"Das am Ausgangspunkt stehende Ereignis der Asilomar-Konferenz mit der Initia-tive zu wissenschaftsinternen Regelungen der Gentechnik hat den Gesetzgeber sti-muliert, solche Regelungen durch Gesetze verbindlich zu machen. Nachdem sich herausgestellt hat, daß die für möglich gehaltenen Gefahren weitgehend hypotheti-scher Natur114 sind, fällt es offenbar schwer, die einmal geschaffenen Regelungen wirklich wieder zurückzufahren, also z.B. die Vielzahl der risikofreien Experimente der Stufe S 1 auch tatsächlich aus dem Geltungsbereich des Gesetzes zu entlas-sen."115

Mit anderen Worten: Der Vorsitzende der ZKBS hält (1994) den Zeitpunkt für gekommen, von einer ungewißheitsbasierten Regelung auf eine erfahrungsba-sierte Regelung umzuschalten. Aber bereits in der 1990 verabschiedeten Fassung des Gentechnikgesetzes war die Stufe S 1 im Sinne erfahrungsbasierter Regulie-rung als risikofrei definiert:

"Der Sicherheitsstufe 1 sind gentechnische Arbeiten zuzuordnen, bei denen nach dem Stand der Wissenschaft nicht von einem Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt auszugehen ist." (§ 7 Abs.1 Nr.1 GenTG)

Auch damals schon hatten viele Genforscher auf die mittlerweile im Umgang mit der Gentechnik gewonnenen Erfahrungen und die damals schon 15-jährige Praxis eines unfallfreien Verlaufs hingewiesen. Auch die NIH- und ZKBS-Richtlinien waren im Zuge der innerwissenschaftlichen Risikodiskussion zu diesem Zeitpunkt

112 Vgl. oben, Kap. 1.2., S. 28. 113 Hobom, Erfahrungen, 1994, S. 422. 114 Gerd Hobom benutzt den Topos der 'hypothetischen Gefahren' offenbar im alten Sinne

des 'nicht-vorsorgepflichtigen Restrisikos'; vgl. oben, Kap. 1.1. 115 Hobom, Erfahrungen, 1994, S. 428.

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längst gelockert worden. Wenn der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes (bzw. der EG-Richtlinie) die S 1-Experimente trotz der Defi-nition als 'risikofrei' einer Kontrollpflicht unterworfen hat, dann macht diese Ent-scheidung nur Sinn, wenn er damit auf verbleibende Ungewißheit abzielen wollte. Da die Unterscheidung zwischen erfahrungsbasierter und ungewißheitsbasierter Vorsorge aber nie explizit in die politische Debatte eingeführt wurde - und auch die Gesetzesbegründung in dieser Hinsicht unklar geblieben ist -, wird die Erfas-sung von S 1-Experimenten durch das Gesetz von Genforschern immer wieder als widersinnig, nämlich als Regelung eines Nicht-Risikos angeführt. Dies wird dann häufig auch mit der laxen Handhabung von präventiven, d.h. auf klar erkennbare Risiken abzielenden Regularien, wie etwa dem Bundesseuchengesetz, kontras-tiert:

"Die Mikrobiologie ist einer der Bereiche gewesen, der über Jahrzehnte völlig unre-guliert war. Als das Gentechnikgesetz aufkam, war prb 322 [ein Sicherheitsplasmid in der Gentechnik] ein Gefahrenträger, während nebenan unter Umständen die Leu-te mit Pockenviren [völlig ungeregelt] arbeiten konnten."116

Mit der Abstufung von S 4 bis S 1 wird zudem suggeriert, daß die Sicherheits-stufe S 1, die nur unter dem Gesichtspunkt ungewißheitsbasierter Regulierung sinnvoll ist, zwangsläufig ein effektiv geringeres Gefährdungspotential impliziere als die höheren Sicherheitsstufen.117 Dabei wird übersehen, daß die a priori Ein-teilung von Experimenten in Sicherheitsstufen nur auf der Basis erkennbarer Risi-ken erfolgen kann und weitgehend dem Grad der abschätzbaren Pathogenität der erzeugten transgenen Organismen folgt (vgl. Kap. 2.4.). Es entsteht also der Ein-druck, als ob es sich hier einfach um einen linearen Sicherheitszuschlag handele und nicht um die Maßgabe eines anderen, nämlich ungewißheitsbasierten Vor-sorgeprinzips.

Dieser Aspekt des Gesetzes wird aber durch die doppelte Konstruktionslei-stung "Gentechnik = Natur = ungefährlich/wohltuend" (vgl. Kap. 2) von vielen Genforschern im Risikodiskurs negiert. Entsprechend wenig werden deshalb

116 Int. Nr. 9, S. 61; vgl. auch Int. Nr. 12, S. 42 zum herkömmlichen Umgang mit Schutzbe-

stimmungen gegen die Verbreitung von Pflanzenpathogenen. Verstöße gegen präventives Sicherheitsrecht (GefahrstoffV, StrahlenschutzV, Seuchenrecht und allgemeine Arbeits-schutzbestimmungen) werden im Zuge der Überwachung von Genlabors immer wieder festgestellt (vgl. Maier-Greiner und Hoffmann in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 245 respektive S. 257f.). Es ist davon auszugehen, daß sie in Labors, die nicht gentech-nisch arbeiten, ebenfalls festzustellen wären, wenn diese in gleicher Weise überwacht würden.

117 Dieser Suggestion folgt z.B. auch die Stellungnahme der Hochschulrektorenkonferenz zur Novellierung des Gentechnikgesetzes, die auf einer Umfrage bei 40 Hochschulen be-ruht (HRK, Stellungnahme, 1992).

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gerade die Vorschriften des Gentechnikgesetzes118 akzeptiert, die S 1-Experi-mente betreffen, während die Notwendigkeit von Regelungen in Bezug auf die übrigen Sicherheitsstufen (S 2 - S 4) - zumindest unter präventiven Gesichts-punkten - häufig eingeräumt wird.

Selbstverständlich kann man fragen, ob die Genforscher die Intention ungewiß-heitsbasierter Vorsorge im Gentechnikgesetz nicht sehen können oder - aus stra-tegischen Gründen - nicht sehen wollen. In den Interviews und in Diskussionen haben wir, im Anschluß an die Erörterung der erkennbaren Risiken, immer die Frage gestellt, ob auch bisher nicht erkennbare Risiken vorstellbar seien, und dabei zur Erläuterung auf den heute als sehr wahrscheinlich geltenden Zusam-menhang von FCKW-Emissionen und Ozonschichtabbau verwiesen, der lange Zeit ebenfalls nicht erkennbar war. Hier haben die meisten Befragten - oft nach einigem Zögern und einigen Mißverständnissen - eingeräumt, daß ähnliche Pro-zesse auch bei der Gentechnik nicht auszuschließen seien. Ein Industrieforscher, den wir nur schriftlich befragen konnten, kommentiert die Frage nach der Mög-lichkeit einer der historischen Entwicklung der FCKW vergleichbaren, gegen-wärtig unerkannten Gefahr:119

"Warum bezieht sich diese Frage nur auf die Gefahren? Theoretisch muß diese Fra-ge, will man sie wissenschaftlich seriös beantworten, mit ja kommentiert werden. Dieses ja bezieht sich aber auch darauf, daß es Nutzen und Chancen geben kann, von denen wir heute noch nichts wissen."120

In einem Interview wurde von einem leitenden Universitätsforscher unumwunden eingeräumt, daß es bisher unerkannte Schadensmechanismen geben könnte, er bezweifelte allerdings, daß diesen mit gesetzlichen Vorschriften sinnvoll begegnet werden könnte:

"Wenn man sehr genau weiß, was das Gefahrenpotential ist, kann man auch sehr gute Regelwerke machen. ... Nur so ein generelles Gefahrenpotential dadurch be-herrschen zu wollen, daß man in diversen Situationen versucht, Regeln zu schaffen, dann können die Regeln auch nur divers sein und sind dann einfach zu breit, um richtig greifen zu können." (Int. Nr. 9, S. 61)

118 Diese sind für die Praxis aufgrund der Vielzahl der dieser Stufe zugeordneten Experi-

mente am wichtigsten. Aber auch andere, auf Ungewißheit abzielende Vorschriften wie z.B. die gelegentlich nach § 7 GenTSV angezeigte vorläufige Einstufung eines Experi-ments in eine höhere Sicherheitsstufe stoßen auf Unverständnis und Ablehnung (vgl. die Diskussion in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 169ff.).

119 Sie lautete in diesem Fall wörtlich: "Halten Sie es für denkbar, daß von gentechnischen Prozessen oder Produkten Gefahren ausgehen, von denen man heute - vergleichbar etwa der seinerzeitigen Unkenntnis über den Zusammenhang zwischen FCKW und Ozonabbau - noch nichts weiß?"

120 Brief vom 13.9.1995 an den Autor (B.G.).

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Bei der Ablehnung der ungewißheitsbasierten Regelungsintention des Gentech-nikgesetzes mag es auch eine Rolle spielen, daß diese selten spezifisch vermittelt wird und in der allgemeinen Wahrnehmung ein linearer - und damit unspe-zifischer - Sicherheitszuschlag beim Containment im Vordergrund steht. Aller-dings ist auch zu konstatieren, daß einige Betreiber, wenn sie es sich von der Ressourcenausstattung leisten können, beim Containment von sich aus einen Sicherheitszuschlag vorsehen, um das Problem der Ungewißheit zu bewältigen. Ein leitender Industrieforscher führt dazu aus:

"Am Schluß der Produktionskette gewährleisten starke Erhitzung und eine chemi-sche Reaktion, daß die DNA oder RNA abgebaut ist, daß weder Nukleinsäure noch Mikroorganismen aus den Produktionsstätten hinausgeraten. Wir haben also kein Problem damit, ob Mikroorganismen in der Kläranlage überleben oder nicht, Expe-rimente haben bewiesen, daß nichts Lebendes in die Kläranlage gelangt." (Int. Nr. 17, S. 35)

Instrumente zur Informationsgewinnung - insbesondere Anmelde- und Auf-zeichnungspflicht (vgl. Kap. 5.2. - 5.5.) -, die gegenüber dem Moment der Unge-wißheit spezifischer wirken könnten, werden von den meisten Forschern nur als lästiger 'bürokratischer' Aufwand wahrgenommen. Die Klagen über die Formulare füllen in großer Breite sämtliche Protokollbände von Anhörungen und Tagungen. Aber auch hier gibt es wieder Ausnahmen; gelegentlich wird der Sinn dieser In-strumente durchaus eingeräumt. Eine Forscherin bemerkt zu den Aufzeichnungs-pflichten:

"Ich finde es auch richtig, daß das so geschieht, weil ja diejenigen, die wissen-schaftlich arbeiten, sowieso gewohnt sind, ihre Arbeit zu dokumentieren. Und ich halte es auch für zukünftige Projekte für wichtig, daß man diese Daten eine Weile aufbewahrt, und zum anderen dienen sie ja auch der Erfahrung. Daß man nachher auch auf alte Erkenntnisse nochmal zurückgreift: wie war das denn damals - es hat sich bestätigt, es läuft immer noch so, es hat sich nach 20 Jahren nichts geändert an Zahlen, an Daten, also können wir davon ausgehen, daß diese Erkenntnis, die wir damals hatten, gesichert ist und daß keine neuen unerwarteten Ereignisse hinzuge-kommen sind."121

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß ein sehr spezifisches Instru-ment zur Risikokommunikation, die Meldepflicht nach § 21 GenTG für uner-wartete, sicherheitsrelevante Ereignisse bzw. für das Bekanntwerden neuerer einschlägiger sicherheitsrelevanter Publikationen, bisher in der Praxis kaum von Bedeutung war. Nach unserer Kenntnis ist nur in einem einzigen Fall eine solche Anzeige erfolgt:

121 Zit. n. Bender et al., Ethische, 1997, S. 94.

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"Gemäß § 21 Abs. 5 GenTG ist bei mir lediglich eine Anzeige eingegangen, auf-grund derer bei einer gentechnischen Arbeit, die zuvor von der Sicherheitsstufe 2 in die Sicherheitsstufe 1 zurückgestuft wurde, nun doch aufgrund einer neueren Publi-kation nicht sicher war, ob die Rückstufung gerechtfertigt war. Aufgrund eigener experimenteller Untersuchungen des Betreibers, die in einem S 2-Labor durchge-führt wurden, konnte jedoch gezeigt werden, daß von dieser Arbeit kein Risiko für die menschliche Gesundheit und Umwelt ausging."122

Die einfachste Erklärung wäre, daß es unerwartete Vorkommnisse bei gentech-nischen Experimenten eben selten gibt. Eine andere Erklärung bestünde darin, daß sie aufgrund fehlender Sensibilität oder Kompetenz der direkten Beobachter (s.o., Kap. 7.5.) nicht als sicherheitsrelevant wahrgenommen werden. Schließlich ist es auch möglich, daß die Meldung unterbleibt, weil sie nicht nur zusätzlichen Aufwand bedeutet, sondern auch weitere Auseinandersetzungen mit den Behör-den und verstärkte Sicherheitsauflagen nach sich ziehen könnte.

In den Interviews haben wir auch immer wieder die Frage gestellt, inwieweit den Forschern unerwartete Ereignisse schon selbst begegnet sind. In einem einzi-gen Fall berichtet ein Industrieforscher von einem Ereignis, das in diese Richtung deutet:

"Die Frage, was alles geschehen kann, ist hochinteressant. Die analytischen Metho-den werden immer feiner, deshalb konnten wir feststellen, daß bei der Herstellung eines Proteins ein paar Prozent der Proteine länger waren. Wir haben uns das näher angesehen und stellten fest, daß durch den Produktionsprozeß eine Zelle Fehler machte. Das hängt wahrscheinlich mit den Streßbedingungen zusammen, der eine solche Produktionszelle (die ein Protein in besonders großen Mengen produziert) ausgesetzt ist. Wir haben dann durch Sequenzierung festgestellt, daß ein Stopcodon überlesen wurde und in einem Fall sogar auf eine andere Messenger-RNA gesprun-gen wurde. Das kann bei einem Arzneimittel fatal sein, denn eine neue Sequenz führt zu einem veränderten Protein und kann eine Immunreaktion auslösen. Dieser Fehler konnte nur durch ein neues Gerät, die modernste Form der Massen-spektroskopie, aufgeklärt werden. Die Konsequenz war, daß wir die Stämme um-konstruiert haben, eben alles unternommen haben, damit dieser Fehler nicht mehr auftreten kann. Danach haben wir das Konkurrenzprodukt untersucht und bei einer Analyse entdeckt, daß bei 10% des Proteins der gleiche Fehler aufgetreten war. Das alles herauszufinden und zu untersuchen, ist nur aufgrund völlig neuer Entwicklun-gen möglich und zeigt, daß man bei neuen Technologien immer an der Front sein muß, um mögliche Probleme auszuschließen. Um also Ihre Frage zu beantworten, ob Probleme erst zu einem späten Zeitpunkt er-kannt werden: ausschließen kann man das nicht, wie das Beispiel zeigt, aber wir wissen doch sehr genau, wo wir suchen müssen, um Fehler zu vermeiden. Die ge-zeigten Probleme liegen aber nicht in der Gentechnik per se, sondern hängen damit

122 Brief der Bezirksregierung Braunschweig vom 21.3.1995 an den Autor (B.G.).

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zusammen, daß neue Produktionsverfahren möglich werden, die man wie immer durch Qualitätssicherung kontrollieren muß. Der Vorteil der Gentechnik ist, daß man die Veränderungen, die man durchführt, genau kennt und damit überprüfen kann." (Int. Nr. 17, S. 37ff.)

Daß von einem unerwarteten sicherheitsrelevanten Ereignis gerade von einem Industrieforscher berichtet wurde - obwohl wir nur wenige Industrieforscher be-fragt haben - könnte mit der besonderen Aufmerksamkeit zusammenhängen, mit der in der Industrie - auch aus Gründen der Arzneimittelhaftung - Prozesse und Produkte überwacht werden.

Zu bemerken ist, daß die Schilderung des Ereignisses nicht auf die "Gentech-nik per se" abhebt, sondern auf Eigenschaften des Produkts, die auch bei nicht-gentechnischen Manipulationsverfahren auftreten können, die aber gerade auf-grund des Einsatzes der Gentechnik und durch die immer weitere Verfeinerung von Meßmethoden immer besser auszuschließen seien:

"Ob ein Produkt in Ordnung ist, also dem natürlichen Produkt oder dem erwünsch-ten entspricht, ist heute anhand analytischer und ständig verbesserter Methoden we-sentlich besser zu prüfen als früher. Heute ist die Wissenschaft in der Lage, eine Substanz auf molekularer Ebene zu charakterisieren. Unvorhergesehenes ist bereits so früh zu erkennen, daß es das Endergebnis nicht mehr verfälschen kann. Die mo-dernen Methoden ermöglichen, jede Veränderung des Produktes sofort zu erkennen. Auch wenn es wichtige Kriterien, wie beispielsweise die Stabilität eines Stammes gibt, fokussiert sich am Ende alles auf die Sicherheit." (Int. Nr. 17, S. 41f.)

Ungewißheit wird hier also mit dem Hinweis auf den praktisch schon erreichten Wissensstand bzw. theoretisch mit dem Vertrauen in den weiteren wissen-schaftlichen Fortschritt letztlich doch abgewehrt - in dem besprochenen Fall han-delte es sich auch um ein Ereignis, das man bei dieser Firma noch rechtzeitig, also vor dem Auftreten oder Bekanntwerden von Schäden, festgestellt hatte.123

Erkennbar wird hier auch, warum die Forschung und insbesondere die Indu-strieforschung - neben den eher politischen Implikationen der Diskussion um eine prozeß- versus produktbasierte Regulierung124 - stärker auf die Eigenschaft des

123 In dem Konkurrenzprodukt sind die Verunreinigungen ja offenbar zunächst unbemerkt

geblieben. Es ist allerdings festzustellen, daß es mittlerweile auch Veröffentlichungen zu der geschilderten Problematik der 'Lesefehler' gibt (vgl. den Überblicksaufsatz von San-tos/Tuite, Trends in Biotechnology 1993).

124 Auf der ideologischen Ebene befürchtet man eine 'Stigmatisierung' der Gentechnik durch die Prozeßregulierung (vgl. oben, Kap. 2.3.2. und 3.2.). Mit der Produktregulierung hält man dagegen an den herkömmlichen Zulassungsverfahren - z.B. der Arzneimittel- oder Pflanzenschutzmittelzulassung - fest, bei denen man auf innerbetrieblich gut eingespielte Prüfinstrumente zurückgreifen kann und in denen auch angestammte Kontakte zwischen Industrie und Behörden etabliert sind. Außerdem wäre gegebenenfalls auch der Verzicht auf einzelne Produkte weniger einschneidend, als es der Verzicht auf eine für die betrof-

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Produkts abhebt: Es herrscht die Hoffnung, mit wissenschaftlichen Methoden das Produkt - und vielleicht sogar seine mögliche Effekte, die sich aber wiederum im prinzipiell offenen Kontext seiner Anwendung entfalten125 - heute oder zumindest in Zukunft vollständig beschreiben und damit Ungewißheit völlig verbannen zu können. Zunächst nicht kalkulierbare emergente Effekte beim Einsatz der Gen-technik und anderer biotechnologischer Methoden werden also zumindest von differenzierter argumentierenden Genforschern nicht prinzipiell ausgeschlossen - man versucht vielmehr, diese Effekte anhand der Charakterisierung des Produkts festzustellen.

Festzuhalten ist also, daß ungewißheitsbasierte Vorsorge - wenn überhaupt - eher von Genforschern akzeptiert wird, wenn sie auf die Eigenschaften der ent-stehenden Produkte (oder Nebenprodukte) abhebt, als wenn sie mit unbekannten - und möglicherweise auch nicht existenten - Wirkmechanismen einer einzigen Technologie oder Herstellungsmethode, eben der Gentechnik, begründet wird. Der Unterschied besteht vor allem darin, daß für Produkte unerwartete sicher-heitsrelevante Effekte retrospektiv gezeigt werden können, während solche Effek-te für die Gentechnik als solche bezweifelt werden (vgl. Kap. 2.3.).

Zu untersuchen bleibt, wie sich die Vertreter der Vollzugsbehörden zu dem im Gentechnikgesetz meist nur vage programmierten Umgang mit Ungewißheit stel-len. Theoretisch sind drei Haltungen denkbar: 1. Sie halten die ungewißheitsbasierte Regelungsintention des Gentechnikgeset-

zes (mittlerweile) für deplaziert. Konsequenterweise müßten sie etwa für die Abschaffung der Anmelde- und Kontrollpflichten bei der Sicherheitsstufe S 1 eintreten.

2. Sie versuchen die ungewißheitsbasierte Regelungsintention in der Praxis wahr-zunehmen und an die Genforschung zu vermitteln.

3. Sie setzen ungewißheitsbasierte mit erfahrungsbasierter Vorsorge gleich und behandeln Experimente, bei denen es ungewiß ist, ob sie Gefahren bergen können, als ob sie tatsächlich gefährlich wären.

Die erste Haltung mag vorkommen, wir sind ihr aber - abgesehen von dem oben zitierten Statement des Vorsitzenden der ZKBS - nicht in Reinform begegnet. Selbst das Robert-Koch-Institut, das allgemein als eine gentechnik-freundliche Behörde gilt,126 antwortete auf die Frage, wie eine Herausnahme der Experimente der Sicherheitsstufe 1 aus dem Geltungsbereich des Gentechnikgesetzes mit der

fene wissenschaftliche Subcommunity und die projektierte 'Biotechnologie-Industrie' we-sentliche Forschungs- und Herstellungsmethode wäre.

125 Torgersen, Ecological, 1996. 126 Vgl. Gottweis, Governing, 1995, S. 353.

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Regelung zur Freisetzung zu vereinbaren wäre,127 lapidar: "Nach unserem Er-kenntnisstand sollten Laborsicherheitsmaßnahmen für die Stufe 1 nicht abge-schafft werden." (Herv. i. Original)128 Einer der von uns befragten Vertreter der Vollzugsbehörden scheint zwar selbst die ungewißheitsbasierte Regelungsintention materiell nicht mehr für notwendig zu halten,129 stellt dafür aber den demokratischen und friedensstiftenden Aspekt des Gesetzes, der die Forschung in seinen Augen auch vor Skandalisierung in der Öffentlichkeit schützen soll,130 an erste Stelle und versucht dies auch den betrof-fenen Forschern zu vermitteln:

127 Die Frage lautete im Wortlaut: "Containmentmaßnahmen nach 90/219 sollen in der Stufe

S 1 - spätestens mit der anstehenden Deregulierung - weitgehend abgeschafft werden. Labor- und Produktionsorganismen der Stufe S 1 können dann ohne Abtötung 'entsorgt' werden. Wenn nun andererseits Mikroorganismen nach 90/220 freigesetzt werden sollen, unterliegen sie weiterhin einer umfassenden Zulassungsprozedur. Wie ist das miteinander zu vereinbaren?"

128 Brief des RKI vom 7.6.1995 an den Autor (B.G.). 129 "Weil im Augenblick das durchaus noch so gesehen wird, daß wir hier ein entweder im

Atombereich permanentes hohes Risiko haben, oder im Gentechnikbereich - so wird's zumindest gesehen - eine noch nicht ganz abgeschlossene Risikobewertung haben, so daß wir im Grunde genommen fortlaufend das neu beurteilen müssen. Jetzt kann man natür-lich sagen: 'Gentechnik gibt es seit 20 Jahren und die Kontrollmechanismen sind eigentlich ausgefeilt, Unfälle sind nicht passiert', aber der Stellenwert ist nun einmal so. Eins kann man sicherlich nicht machen, daß man sagt: 'Na ja, die debattieren da im Bundestag jahre-lang drüber und im Bundesrat auch und in der Europäischen Gemeinschaft auch und alle Welt spricht von den Risiken der Gentechnik, aber wir sehen es nicht so, es ist noch nie was passiert, also ... wir schreiben die Genehmigungsbescheide, das steht ja im Gesetz drin und ansonsten gehen wir mal ab und zu irgendwo hin und schauen mal'. Also so kön-nen wir das nicht machen, dazu hat die Sache einen viel zu hohen Stellenwert. Ob man in der Zukunft mal sagt - wie in Amerika -, die Stufe 1 nehmen wir raus, weil nach Abwä-gung aller Umstände wirklich das Risiko gering ist und keine Unfälle passiert sind, auch undenkbar sind, dann klar ... aber im Augenblick ist es noch so." (Int. Nr. 19, S. 39f.)

130 "Ich glaube, das hängt auch von einem selbst ab, ob man nur so auf autoritäres Kom-mando pocht oder ob man vermitteln kann, daß es hier um die Umsetzung einer kompli-zierten, aber eben wichtigen Sicherheitsgesetzgebung geht, die gesellschaftlich auch einen hohen Stellenwert hat. Wenn Sie einem Forscher sagen, daß das nicht nur aus Sicher-heitsgesichtpunkten ist, sondern weil gerade in der Öffentlichkeit dieser Sicher-heitsgesichtspunkt auch beachtet wird, wenn das durchgesetzt werden sollte, dann wäre natürlich auch sehr schnell das Einverständnis da - denn welche Forschung möchte ir-gendwie in der Presse stehen oder Ziel von parlamentarischen Anfragen sein. Da können Sie auch lange darüber reden, ob das nun alles sehr sinnvoll ist oder nicht. Wir müssen al-le wissen oder lernen es, daß der gesellschaftliche Konsens, der sich da mehr oder weni-ger im Bundestagsbeschluß für so ein Gesetz niederschlägt, eben dann doch den ersten Stellenwert haben muß. Wenn wir das außer acht lassen und sagen: 'Davon verstehen die alle nichts, wir Wissenschaftler wissen sehr viel besser, was sicher oder nicht sicher ist,

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"Das ganze hat ja [für den Normalbürger] auch so den Charakter des Undurchsichti-gen und damit Unheimlichen, ist nicht nachvollziehbar und dann noch in diesem heiklen Bereich der Erbsubstanz. Da gibt es viele Vorbehalte. Das ist sicher auch der Grund, weswegen hier die Sicherheitsauflagen besonders groß sind. Das kommt alles zusammen, aber das müssen wir ernst nehmen, das ist nun mal so, daß hier der Bürger als Souverän derjenige ist, der seinen Vertreter in den Bundestag schickt, al-so letztendlich die Gesamtbevölkerung. Wenn die Bevölkerung zu einem Konsens gekommen ist, und das sogar noch bewertet in einem Gesetz, dann müssen wir auch so handeln. Da kann man nicht sagen: 'Nein, ich weiß es besser, ich halte mich nicht wirklich daran'. Das müssen wir auch zu unserer Maxime machen. Wenn wir mei-nen, aus fachlicher Sicht ist das überhaupt nicht mehr zu vertreten, dann müssen wir die Argumente auch ins Gesetzgebungsfeld bringen, und es werden ja jetzt gerade auch wiederum mehrere Verordnungen novelliert, und da spielen natürlich solche Gesichtspunkte auch eine Rolle." (Int. Nr. 19, S. 42f.)

Er verweist dabei auch auf einen Nebeneffekt der Anmelde- und Genehmi-gungspflichten, nämlich eine Art von staatlicher (oder gesellschaftlicher?) Beo-bachtungsmöglichkeit gegenüber einer ansonsten intransparenter bleibenden Technologieentwicklung:

"Also was im Labor passiert, ist eine Sache, was dann aber rauskommt, ist eine an-dere Sache. Also dieser ziemlich starke Abschottungsgesichtspunkt spielt ja nicht nur aus rein biologischen Sicherheitsgründen eine Rolle, sondern auch, weil man nicht will, daß das unkontrolliert rauskommt. Man möchte eben die Möglichkeit ha-ben, die Notbremse zu ziehen. Und wenn etwas nicht Vertretbares rauskommt, möchte man auch sagen können: 'Nein, das wird nicht in die Umwelt entlassen'." (Int. Nr. 19, S. 41)

In Antworten auf parlamentarische Anfragen haben zwei andere Länderbehörden klar auf die ungewißheitsbasierte Regelungsintention der Sicherheitsstufe 1 hin-gewiesen. Z.B. hat die CDU in Hessen gefragt:

"Teilt die Landesregierung die Klassifizierung des Gentechnik-Gesetzes, daß in der sogenannten Sicherheitsstufe 1 'nach dem Stand der Wissenschaft nicht von einem Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt auszugehen ist'? Wenn nein, aufgrund welcher Erkenntnisquellen kommt sie zu ihrer Einschätzung?"

Die Landesregierung antwortete:

laßt die doch ihre Gesetze machen, wir machen es so, wie wir wollen', dann driftet das auseinander. Das muß man eben akzeptieren, auch wenn im Einzelfall, vom fachlichem Verständnis her, die eine oder andere Vorstellung ein bißchen abwegig ist oder diese im Gesetz festgelegten Auflagen nicht immer sachgerecht sind. Da muß sich die Erkenntnis durchsetzen, daß das eben mehr oder weniger unantastbare Dinge sind. Ein Gesetz hat eben hier die oberste Maxime." (Int. Nr. 19, S. 32f.)

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"Die Klassifikation in § 7 Abs. 1 Nr. 1 des GenTG, nach der gentechnische Arbeiten dann der Sicherheitsstufe 1 zuzuordnen sind, wenn 'nach dem Stand der Wissen-schaft nicht von einem Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt aus-zugehen ist', wird von der Landesregierung akzeptiert. Dies heißt jedoch nicht, daß diese gentechnischen Arbeiten per se ohne jegliches Risiko sind. Die Kriterien be-stimmen nämlich lediglich, daß die verwendeten Organismen keine Krankheitser-reger sein dürfen und keine speziellen Risiken der gentechnischen Arbeit bekannt sind. Die Möglichkeit des Auftretens von bisher nicht bekannten Risiken im Zu-sammenhang mit gentechnischen Arbeiten ist im übrigen genau der Punkt, welcher den Gesetzgeber veranlaßt hat, jegliche gentechnische Arbeit den Bestimmungen des GenTG zu unterwerfen."131

Es stellt sich dann aber die Frage, wie diese Laborsicherheitsmaßnahmen für die Stufe S 1 ausgelegt und den Forschern vermittelt werden. Wenn man die Debat-ten zwischen Vollzugsbehörden und betroffenen Forschern verfolgt, muß man feststellen, daß hier häufig - aus der Perspektive ungewißheitsbasierter Vorsorge - unspezifische Erwägungen im Vordergrund standen, die auch S 1-Experimente so behandeln, als ob sie erwiesenermaßen gefährlich wären ('Prevention'), und daher vor allem auf eine möglichst strikte bürokratische Überwachung des Con-tainments und kaum auf den Aspekt der Informationsgenerierung und der Risiko-kommunikation als den für eine Reduzierung der Ungewißheit angemessenen Maßnahmen132 abzielen. So richtet sich folgender Beschluß des Länderausschus-ses Gentechnik (LAG) auch auf S 1-Experimente:

"[G]entechnische Anlage bzw. Teil einer solchen Anlage für den innerbetrieblichen Transport [sind] lediglich die 'Einrichtung', in der die Organismen transportiert wer-den. Im Rahmen eines Anmelde- und Genehmigungsverfahrens für eine gentechni-sche Anlage hat eine Überprüfung der zu verwendenden Behältnisarten im Hinblick auf die Einhaltung der Containment-Bedingungen der GenTSV zu erfolgen: die Be-hältnisarten sind in den Anmelde- bzw. Genehmigungsunterlagen zu bezeichnen. Der Austausch von Transportbehältnissen durch konstruktiv abweichende Behält-nisse ist nach § 21 Abs. 2 GenTG anzuzeigen; er kann im Einzelfall eine nach § 8

131 Hessischer Landtag, Drucksache 13/5283, S. 9f. Die sächsische Regierung antwortete auf

eine Frage von Bündnis 90/Die Grünen zur begrenzten Zuverlässigkeit von Sicherheits-studien u.a.: "Da Sicherheitsstudien stets auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik beruhen, gibt es auch im Bereich der Gentechnik zumindest theoretisch momen-tan nicht vorhersehbare Unwägbarkeiten. Die sich daraus ergebenden potentiellen Gefah-ren waren einer der Gründe für die Erarbeitung einer umfassenden gesetzlichen Regelung zum Schutz des Menschen und der Umwelt, die bereits an den Umgang mit GVO der Si-cherheitsstufe 1 (kein Risiko für Mensch und Umwelt) strenge Anforderungen stellt." (S. 28 im Antworttyposkript vom 25.8.1993 auf die Anfrage LT-Drs. 1/3331 im Sächsischen Landtag)

132 Vgl. unten, Kap. 10.1.4.

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Abs. 4 GenTG anmelde- oder genehmigungspflichtige wesentliche Änderung der gentechnischen Anlage sein." (Herv. i. Original)133

Erschwerend kommt hinzu, daß die zugezogenen tendenziell fachfremden Behör-den, wie etwa die Feuerwehr, den spezifischen Unterschied zwischen erfahrungs-basierter und ungewißheitsbasierter Regulierung kaum nachvollziehen können und deshalb wohl in der Regel dazu tendieren, beides über den 'gleichen Kamm' traditioneller Prävention zu 'scheren'.134 Diese Rigidität bei der Überwachung dessen, was einzig effizient durch die Vollzugsbehörden zu überwachen ist, näm-lich der technischen Voraussetzungen, muß aber schon angesichts der viel gra-vierenderen Motivations- und Überwachungsprobleme des Verhaltens in der täglichen Laborarbeit als vollkommen unangemessen erscheinen. Noch viel weni-ger sind sie dazu geeignet, die Forscher vom Sinn der ungewißheitsbasierten Regelungsintention des Gentechnikgesetzes zu überzeugen.

Dabei ist allerdings auch zu berücksichigen, daß klassische Verwaltungs-maßnahmen mit vorwiegend repressivem Zuschnitt kaum dazu geeignet sind, Kreativität und Engagement zur Aufklärung von Ungewißheit zu erzwingen. Der bürokratischen Rationalität entspricht es eher, erwartbare Prozesse zu regulieren, also klassische Prävention zu betreiben, als Überzeugungsarbeit gegenüber Wis-senschaftlern und der Öffentlichkeit zu leisten und dabei zu vermitteln, daß Kon-flikte angesichts von Ungewißheit nur durch Informationsgenerierung und soziale Kompromisse zu überwinden sind.

Das Zusammenspiel der Haltungen bei Forschern und Behörden führt aber im wesentlichen dazu, daß ungewißheitsbasierte als erfahrungsbasierte Vorsorge aufgefaßt wird, und dann von den ersteren als sinnlos abgelehnt und von letzteren dem Buchstaben nach exekutiert wird.

7.6.3. Die Novellierung des Gentechnikgesetzes - Scheitern der subpolitischen Kommunikation

Wahrscheinlich kaum ein anderes deutsches Umweltgesetz wurde so konsequent und so schnell implementiert wie das Gentechnikgesetz und seine Verordnungen, aber auch kaum ein anderes Gesetz wurde so schnell novelliert. Während in den übrigen EG-Ländern die Richtlinien erst allmählich implementiert wurden und zumindest im Bereich der Regelungen des 'Contained Use' bis heute kaum Kon-flikte aufgetreten sind, ist in Deutschland der Gesetzgeber bereits nach zwei Jah-ren wieder in Aktion getreten. Neben einigen kleineren Anpassungen, die sich infolge der Intervention der EG-Kommission als notwendig erwiesen, wurde das

133 Knoche in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 193. 134 Vgl. Meffert, VerwArch 1992, S. 474.

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Gentechnikgesetz soweit gelockert, wie es die EG-Richtlinien erlauben. Die No-vellierungsdebatte war von der Argumentation mit 'Erfahrungen' gekennzeichnet, die angesichts der kurzen Zeitreihen bestenfalls vorläufig sein konnten und die man auch als ganz normale Anlaufschwierigkeiten bei den betroffenen For-schungsorganisationen und den Behörden hätte interpretieren können.

Für den 'Erfolg' der Novellierungsbemühungen lassen sich drei Entwicklungen als komplementäre Erklärungsfaktoren anführen: 1. Die Stellung öffentlich finanzierter Forschungsorganisationen in der Akteurs-

konstellation hat sich geändert. 2. Es hat besonders in Deutschland allgemein einen radikalen Schwenk in der

veröffentlichten Meinung gegeben, der kurzfristigen Wirtschaftsproblemen (wieder) - gegenüber Umweltfragen - die oberste Priorität einräumt.

3. Es ist nicht gelungen, die auf Ungewißheit abzielenden Bestimmungen des Gentechnikgesetzes in der Wissenschaft, in der Verwaltung und in der Öffent-lichkeit angemessen zu vermitteln.

Zunächst ist in der Gesetzgebungsdebatte bis 1989 ein Organisationsdefizit der öffentlichen Wissenschaft und ihrer Verbände erkennbar, mit einer frühzeitigen und politisch sensiblen Interessenartikulation zu einer für die öffentlichen For-schungsorganisationen auskömmlichen Regulierungssituation beizutragen.

Schon in den frühen 80er Jahren hatte der damalige Forschungsminister die Wissenschaftsverbände - erfolglos - gemahnt, sich besser auf die öffentliche De-batte einzustellen.135 Während die Industrie auf europäischer Ebene und auch in Deutschland etwa 1988 aus pragmatisch-politischen Gründen ihre Opposition gegen eine gesetzliche Regulierung der Gentechnik aufgab, beharrten die Wis-senschaftsverbände bis zuletzt auf altbekannten Positionen ('kein Gentechnik-gesetz!'), die sie schon gegen Ende der 70er Jahre in den Gesetzgebungsdebatten in den USA und der BRD - damals erfolgreich - vertreten hatten.136

Die mangelhafte Koordination mit der Industrie wird auch daran erkennbar, daß die Wissenschaftsverbände in der Debatte um das deutsche Gesetz zuletzt eine möglichst zentralisierte und auf die ZKBS zugeschnittene Regelung auch für Arbeiten im Geschlossenen System anstrebten, während die Industrie - wegen der besseren Koordinierbarkeit mit anderen für Anlagegenehmigungen erforderlichen Zulassungsverfahren, die schon immer dezentral bearbeitet wurden (Baurecht, Immissionschutz) - für die Länderzuständigkeit plädierte.137

Daß schließlich der im Gentechnikgesetz vorgesehene Modus der Organisie-rung der Betreiberpflichten, der klar auf Organisationsformen in der

135 Gill, Gentechnik, 1991, S. 107. 136 Gottweis, Governing, 1995, S. 465, 338ff. 137 Gill, Gentechnik, 1991, S. 150ff.

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(Groß-)Industrie zugeschnitten ist, für öffentliche Forschungsorganisationen zu Schwierigkeiten führen würde, hätte schon bei der Gesetzesberatung erkennbar sein müssen.

Entsprechend wurden die Wissenschaftler durch die Wirkungen des Vollzugs des Gentechnikgesetzes überrascht. Während bis dahin eher Klagen auf symbo-lischer Ebene über die freiheitsberaubenden Wirkungen der Eingriffs- und Straf-bestimmungen des Gesetzes geführt wurden138 - die man allerdings auch im schon seit langem geltenden Seuchenrecht hätte entdeckt haben können -, wurden nun die viel unmittelbarer wirkenden verwaltungsrechtlichen Bestimmungen be-klagt. "Germany's Gene Law Begins to Bite", titelte das renommierte Wissen-schaftsmagazin Science 1992.139

Diese Schwäche in der Interessenartikulation wird leicht durch die Tatsache überdeckt, daß 'die Wissenschaft' als abstraktes System durch die szientistische Struktur des Gentechnikgesetzes, d.h. seiner Orientierung an letztlich immer nur wissenschaftlich definierbaren Risiken, in einer weiterhin privilegierten Situation belassen wurde.140 Dennoch hat sich die konkrete Forschungssituation für die einzelnen Wissenschaftler durch den strikten administrativen Vollzug auf Län-derebene zumindest in der Anfangsphase häufig konfliktträchtig und hin-dernisreich gestaltet. Dies scheint insbesondere für die Vielzahl der klinischen Forschungsinstitute zu gelten, die erst in jüngerer Zeit überhaupt mit der Gen-forschung angefangen haben und die deshalb auch den 'Geist' der älteren, auf Asilomar zurückgehenden wissenschaftlichen Risikokontroversen, der im Gen-technikgesetz gewissermaßen 'konserviert' wurde, nie verstanden haben (s.o.).

In der Novellierungsdebatte haben Wissenschaft und Industrie dagegen einen bemerkenswerten 'Schulterschluß' vollzogen. Die Industrie hatte zwar, wie wir gesehen haben, keine vergleichbaren Schwierigkeiten mit dem Vollzug des Gen-technikgesetzes - zumindest soweit es die Forschung im Geschlossenen System betrifft. Sie hatte aber weiterhin mit massiven Akzeptanzproblemen in der Öffent-lichkeit, besonders bei der Genehmigung von Produktionsanlagen, bei Freiset-zungen und bei der anstehenden Vermarktung von Produkten, zu kämpfen. In der von der Industrie finanzierten Anzeigenkampagne 'Pro Gentechnik' traten nun vor allem Wissenschaftler aus öffentlich finanzierten Forschungsorganisationen auf, die für die Akzeptanz der Gentechnik und das Wohl des 'Standorts Deutschland' warben.

Während für die Wissenschaft der Vollzug des Gentechnikgesetzes zunächst ein handfestes Problem war, war für die Industrie das Gesetz eher ein Symbol: In

138 Koelschtzky, Forum Wissenschaft 1989. 139 Kahn, Science 1992. 140 Vgl. Hasse/Gill, Biotechnological, 1994.

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der Gesetzgebungsdebatte hatte man die Hoffnung gehegt, ein Gesetz könnte Akzeptanz schaffen. Nun mußte man einsehen, daß sich an der Skepsis in der Öffentlichkeit wenig geändert hatte.141 Schließlich setzte sich sogar die gegentei-lige Überzeugung durch, wonach das Gesetz die Gentechnik in der Öffentlichkeit als per se gefährlich 'stigmatisiere'. Diese Vorstellung machte sich die Bun-desregierung schließlich auch bei ihren Vorstößen für eine Deregulierung der EG-Richtlinien zu eigen.142

Bemerkenswerterweise eröffnete nun umgekehrt die Max-Planck-Gesellschaft, eine Einrichtung, die bis dato eher auf den eigenständigen Wert der Grund-lagenforschung rekurrierte, ihre 'Stellungnahme zu den Erfahrungen mit dem Gen-technikrecht und seiner administrativen Umsetzung' im April 1992 mit einem Kapitel über nationalökonomische 'Standortfragen', in dem die gegenseitige Ab-hängigkeit von Wissenschaft und Wirtschaft betont wird.

Der Erfolg der Novellierungskampagne ist jedoch nicht allein durch den 'Schul-terschluß' zu erklären. Vielmehr ist infolge der weltweiten Veränderungen nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation, und speziell in Deutschland infolge des Beitritts der Neuen Länder, ein Umschwung in den generellen Bezugspunkten umweltpolitischer Argumentation in der öffentlichen Meinung eingetreten. Wäh-rend man in den späten 80er Jahren Ökologie und Ökonomie im Paradigma der 'Ökologischen Modernisierung' bzw. des 'Sustainable Development' langfristig zu vereinbaren suchte, stehen nun (wieder) die eher kurzfristigen Wirkungen öko-nomischer und sozialpolitischer Globalisierung im Zentrum öffentlicher Besorg-nis.

'Gentechnik', bis dahin ein eher randständiges Thema in wirtschaftspolitischen Debatten, rückte nun in der Vorstellung einer sehr breiten Schicht von Akteuren zur 'Schlüsseltechnologie' par exellence auf. In den Parteien, den Gewerkschaften und in Medien kamen nun zum Thema 'Gentechnik' plötzlich die wirtschaftspoliti-schen Fachleute und Ressorts zu Wort, während eher umwelt- und gesellschafts-politisch interessierte Sprecher, die die Debatte jahrelang dominiert hatten, im Hintergrund verschwanden.

Insofern war die Konstellation günstig, den Mikrodiskurs über die "Gentechnik im Würgegriff der Bürokratie" - so ein Titel in der Frankfurter Allgemeinen Zei-tung vom 12.2.1992 - mit dem Makrodiskurs über den 'Standort' zu koppeln. Für die bisher nur sehr spärlichen ökonomischen Erfolge143 wurden nicht die wissen-schaftlich-technisch wahrscheinlich zu kurz greifenden Vorstellungen des mole-

141 Z.B. Brauer/Stadler, Gesellschaftspolitische Kommentare 1992, S. 3f. 142 Vgl. Fn. 36 in Kap. 3. 143 Dolata, Politische, 1996; Gottweis, Governing, 1995.

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kularbiologischen Paradigmas144 und die mangelnde Verfügbarkeit von Risikoka-pital in Europa, sondern die angeblich zu restriktiven Regulierungen verant-wortlich gemacht.

Zu dieser Konstellation hat auch das oben beschriebene Unvermögen beige-tragen, die ungewißheitsbasierte Regelungsintention des Gentechnikgesetzes zu vermitteln. Dieses wurde von den betroffenen Forschern lediglich als überflüssige bürokratische Maßregelung wahrgenommen und entsprechend in der Novellie-rungskampagne thematisiert. Umgekehrt hat aber auch die Novellie-rungskampagne ein Meinungsklima geschaffen, das es schwierig gemacht hat, den Aspekt der Ungewißheit sinnvoll zu thematisieren und auszudeuten. In der Novellierungsdebatte wurden Interpretationsschablonen geliefert und (De-)Regu-lierungssituationen in Aussicht gestellt, die es für die betroffenen Wissenschaftler weder begründet noch opportun erscheinen ließen, sich näher auf dieses kompli-zierte und unangenehme Thema einzulassen.

Stattdessen kam es teilweise zu einer kollektiven Aufschaukelung im Diskurs der Wissenschaftler, die sich schließlich auch von Regelungen und 'Verboten' umstellt sahen, die es gar nicht gab. So bemerkte Roland Mertelsmann, nachdem er als erster Forscher in Deutschland den Antrag zur Anwendung genthera-peutischer Methoden am Menschen gestellt hatte, in einer Diskussionsveran-staltung:

"Der Grund weshalb wir den Antrag erst letztes Jahr gestellt haben, war wissen-schaftsfortschrittsbedingt und hatte nichts mit den regulatorischen Normen zu tun, eigentlich. Obwohl ich meine Kollegen in anderen Gebieten, wo die Gentherapie ei-gentlich schon viel mehr Sinn macht, immer gefragt habe: warum macht Ihr denn das nicht? Das geht nicht. Habt Ihr das probiert? Nein. Das ging bis dahin, daß es schwierig war, junge Kollegen aus Amerika zurückzuholen, weil sie sagten, in Deutschland darf man keine Gentherapie machen. Dann sagte ich, wer sagt denn das? Meines Wissens sind wir die ersten, die einen Antrag gestellt haben und die er-sten, die ihn unproblematisch durchgekriegt haben. Es hatte vor uns schlicht noch niemand versucht."145

144 Bisher haben sich die hochfliegenden Hoffnungen auf schnelle technische und wirt-

schaftliche Erfolge fast immer als verfehlt oder zumindest verfrüht herausgestellt. Die biochemischen Abläufe scheinen zumindest in höheren Organismen weitaus komplexer zu sein, als sie im 'Molekularbiologischen Dogma' (DNS => RNS => Protein => lebens-weltlich interessantes Phänomen/Problem) konzipiert werden (vgl. z.B. Strohman, Bio/Technology 1994).

145 Mertelsmann in Friedrich-Ebert-Stiftung, Expertengespräch, 1993, S. 46.

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Kapitel 8: Freisetzung von gentechnisch veränderten Organis-men

Auch bei der absichtlichen Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen kann man zwischen erfahrungsbasierter und ungewißheitsbasierter Vorsorge unterscheiden. Allerdings rückt hier der letztere Aspekt verstärkt in den Vorder-grund der Überlegungen, die zu einer Regulierung dieser Materie geführt haben.1 Denn Organismen, von denen bekannt ist, daß sie gefährlich sind, kommen für Freisetzungen kaum in Frage, es sei denn, sie ließen sich in der Umwelt durch eine Art von Quasi-Containment in ihrer Ausbreitung und Vermehrung zu-verlässig begrenzen2 und würden ansonsten am Freisetzungsort eine wichtige Funktion erfüllen. Bisher wurden allerdings hauptsächlich Organismen freigesetzt, die kein bekanntes, pathogenen Mikroorganismen vergleichbares Gefährdungspo-tential besaßen - es handelte sich überwiegend um gentechnisch veränderte Nutz-pflanzen.

Weil Ungewißheit also einen für die gesamte Freisetzungsregulierung zentralen und ausschlaggebenden Stellenwert besitzt, ist hier ein bewußterer Umgang mit den ungewißheitsbasierten Regulierungselementen zu beobachten als beim Um-gang im Geschlossenen System, wo letztere eine eher untergeordnete Rolle spie-len. Gleichwohl sind auch bei der Freisetzung wieder Ambivalenzen und Miß-verständnisse bezüglich der Auslegung ungewißheitsbasierter Regulie-rungselemente zu konstatieren. Diese zeigen sich hier explizit, weil sie, anders als Auslegungsschwierigkeiten beim Umgang im Geschlossenen System, Ausein-andersetzungen auf EG- und OECD-Ebene zur Folge haben.

8.1. Ungewißheitsbasierte Vorsorge als internationalisiertes Rechtspro-gramm

Zunächst ist das Problem der Ungewißheit bei der Freisetzung durchaus mit dem Umgang im Labor bzw. im Geschlossenen System vergleichbar: Wenn man einen

1 OECD, Recombinant, 1986. 2 Zu denken ist hier an die Sterilisierung, den Einbau sogenannter Selbstmordgene und an

die Manipulation der Fortbewegungsorgane. Allerdings muß Ausbreitung nicht räumlich, sie kann auch an bestimmte Umweltbedingungen - Substratspezifität, Wirtsspezifität, Lichtabhängigkeit etc. - gebunden sein: Ein Schadstoff abbauender Mikroorganismus z.B. müßte substratspezifisch sein und untergehen, sobald der Schadstoff als Nährmedium auf-gezehrt wäre. Zur Unzuverlässigkeit solcher Begrenzungsstrategien vgl. Backhaus in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 97ff.

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neuen Organismus konstruiert hat, kann man schwer voraussagen, wie er sich verhalten wird. Für den Umgang im Labor wurde jedoch in Anlehnung an das Sicherheitskonzept der Mikrobiologie ein Klassifikationsschema entworfen, das die Organismen in vier Risikostufen einteilt und sie entsprechend abgestuften Containmentbedingungen unterwirft. Dabei wird davon ausgegangen, daß auf Grundlage einer ex-ante-Abschätzung des zu konstruierenden Organismus die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zuverlässig bestimmt werden können.3 Man handelt also in einer hypothetischen Situation so, als ob die Erfahrungen der Mikrobiologie angemessen wären. Berücksichtigt werden dabei vor allem patho-gene Wirkungen, während die sonstigen ökologischen Effekte, z.B. von mit La-borabwasser freigesetzten GVO in Kläranlagen,4 noch weitgehend unerforscht sind.

Da das Containment in den unteren Stufen nicht wirklich dicht ist, ist der Ü-bergang vom Geschlossenen System zur absichtlichen Freisetzung zunächst vor allem symbolischer Natur. Denn auch aus Labors werden permanent transgene Organismen - über das Abwasser, die Abluft, den Abfall sowie über die Kleidung und die Ausscheidungen der Mitarbeiter - freigesetzt. Allerdings gibt es auch physiologische Unterschiede. Im Labor kann man mit Organismen arbeiten, die auf bestimmte Nährmedien und Kulturbedingungen angewiesen sind, während für die absichtliche Freisetzung nur solche Organismen in Frage kommen, die 'robus-ter' sind, also auch unter einem erweiterten Spektrum von Umweltbedingungen, wie sie eben im Freiland herrschen, überleben können. Außerdem wird in der Regel eine größere Zahl von Organismen ausgebracht: Nicht nur aus probabilisti-schen Gründen, sondern auch deshalb, weil die meisten Organismen nur in Ge-meinschaft (Kolonien) durchsetzungsfähig sind, haben sie dann bessere Überle-bensbedingungen. Gleichgültig, ob die Gründe nun eher symbolischer oder phy-siologischer Natur sind, in jedem Fall waren die Gentechnologen bei den Freiset-zungsversuchen mit einer anderen wissenschaftlichen Community - den Ökologen und Freilandbiologen - konfrontiert, die selbst eher deskriptiv als experimentell arbeiten und daher auch andere wissenschaftliche Sichtweisen und Sicherheits-konzepte vertreten als die Mikrobiologen.5

3 Wenn man streng einer ungewißheitsbasierten Vorgehensweise Rechnung tragen wollte,

müßte man den neuen Organismus zunächst immer in die höchste Sicherheitsstufe ein-gruppieren und könnte ihn dann erst mit steigendem Kenntnisstand allmählich niedriger eingruppieren. Im übrigen kennt auch die Mikrobiologie eine schrittweise Herabstufung des Containments, wenn mit bislang uncharakterisierten Materialien umzugehen ist (vgl. oben, Kap. 2.2.1.).

4 Brüser, Süddeutsche Zeitung 1993. 5 Vgl. Krimsky, Biotechnics, 1991; Schomberg, Technology in Society 1993.

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Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen ist dagegen von ei-nem 'epistemischen Streit' zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Diszip-linen, besonders zwischen Molekularbiologen und Ökologen, begleitet.6 Die Wahl eines geeigneten Analogiemodells7 blieb hier ambivalent, es wurden Erfah-rungen mit der Risikoabschätzung bei Chemikalien,8 der Einführung nicht-einheimischer Organismen9 und der Verwilderung einheimischer Nutzpflanzen10 herangezogen. Auf Drängen der Ökologen einigte man sich darauf, daß von Fall zu Fall geprüft werden soll, ob ein GVO freigesetzt werden darf, welche Sicher-heitsmaßnahmen einzuhalten sind, und unter welchen Bedingungen sie Schritt für Schritt beim Übergang vom kleinen Maßstab zur Vermarktung11 gelockert wer-den können.12 Die Sicherheitsabschätzung erfolgt also nicht ex ante, sondern jeder transgene Organismus wird zunächst in seinem Umweltverhalten als prinzi-piell unbekannt eingestuft und dann nach jedem Schritt, also ex post, aufgrund des gewonnenen Erkenntniszuwachses erneut beurteilt. Das vorsichtige Tasten ins Ungewisse hinaus ist kein ungewöhnlicher Vorgang. In der Politikwissen-schaft wird er auch als Inkrementalismus bezeichnet. Ungewöhnlich ist indes, daß er unter intensiver öffentlicher Beobachtung stattfindet und - zumindest in den Ländern der EU - von vornherein als gesetzlich geregeltes Verfahren entworfen worden war (EG-Richtlinie 90/220/ EWG).

Die rechtliche Programmierung, also die Festlegung von Genehmigungsbe-dingungen ex ante, ist hier allerdings mit drei Problemen konfrontiert: - Da bei Experimenten im Freiland zwar Schadensindikatoren beobachtet, grö-

ßere Schäden aber möglichst vermieden werden sollen, müssen für die ersten Schritte containment-ähnliche Bedingungen festgelegt werden, die als Confi-nement bezeichnet werden: Die Zahl der ausgebrachten Organismen, ihre Fort-pflanzungsfähigkeit und ihr Verbreitungsgebiet werden also zunächst begrenzt.

6 Schomberg, Technology in Society, 1993. 7 Zur Generierung von Hypothesen aus Analogien vgl. Poser, Berichte zur Wissenschafts-

geschichte 1989. 8 Strauss, Lessons, 1991. 9 Regal, Experientia 1993. 10 Sukopp/Sukopp, GAIA 1993. 11 Wir verwenden an dieser Stelle, wie im EG-Sprachgebrauch üblich, die Bezeichnung

'Vermarktung' ('placing on the market') synonym zum deutschen Rechtsbegriff des 'Inver-kehrbringens', der sprachlich sowohl sperrig als auch wenig eingängig ist. Der deutsche Rechtsbegriff ist zwar sachadäquater, insofern er auch eine nicht-kommerzielle, z.B. kos-tenlose Verbreitung von transgenen Organismen erfaßt. Aber diese Präzisierung ist im hier vorliegenden Argumentationskontext nicht von Belang und scheint daher verzichtbar zu sein.

12 OECD, Recombinant, 1986.

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Damit wird allerdings auch die Aussagekraft der Experimente über mögliche Schäden limitiert.

- Zunächst müssen für alle infrage kommenden Organismen Beobachtungskri-terien festgelegt werden,13 die per definitionem nicht - wie bei der üblicher-weise erfolgenden gesetzlichen Regulierung im Nachhinein - auf bereits auf-getretene Schäden reagieren, sondern aus Analogiemodellen (s.o., S. 230) ge-neriert werden. Über deren Angemessenheit, d.h. ihren Vorhersagewert, auf ein potentielles Schadensereignis hinzudeuten, können aber ex ante keine er-fahrungsgestützten Aussagen getroffen werden. Wenn sie nicht angemessen sind, können sie wiederum auf zweifache Weise falsch sein, nämlich in einem positiven und einem negativen Sinne. Im ersten Fall würde man also Orga-nismen von der Vermarktung ausschließen, die 'in Wirklichkeit'14 kein Gefah-renpotential besäßen. Im zweiten Fall würde man aufgrund unvollständiger Be-obachtungsparameter keine Gefahrenanzeichen feststellen und Organismen zur Vermarktung zulassen, die sich nachher doch als schädlich erweisen.15

- Die rechtliche Programmierung muß - oder müßte (s.u.) - Kriterien angeben, wann man zum nächsten Schritt übergehen kann. Auf den ersten Blick scheint die Antwort ganz einfach: Wenn die festgesetzten Beobachtungsparameter kein inakzeptables Schadenspotential anzeigen, darf freigesetzt werden. Da es sich aber im Freiland nicht um eine standardisierte Laborsituation handelt, können die Parameter in der Zeit16, im Raum17 und von Organismus zu Organismus18 ganz erheblich variieren. Selbst zwischen den berücksichtigten Beobach-

13 Z.B. Ausbreitungs- und Vermehrungsverhalten als Indikatoren eines Verunkrautungspo-

tentials von Pflanzen, vgl. Richtlinie 94/15/EG, Anhang II B. 14 Vom virtuellen Beobachtungsstandpunkt eines Betrachters aus gesehen, der über eine

'ausreichend lange' Beobachtungsdauer ex post urteilen könnte. Allerdings kann niemand wissen, wie lange 'lange genug' ist.

15 Vgl. allgemeiner Wildavsky, Searching, 1991, der aus diesen Gründen ungewißheitsba-sierte Regelungen grundsätzlich ablehnt.

16 Z.B. wechseln von Vegetationsperiode zu Vegetationsperiode die Witterungsbedingungen, so daß die Ergebnisse eines Versuches in der ersten Vegetationsperiode schwerlich auf alle zukünftigen Vegetationsperioden extrapoliert werden können.

17 An jedem Standort finden sich andere Böden, Witterungsverhältnisse, Vegetationsgemein-schaften etc.

18 Im Unterschied zu möglichst standardisierten Labororganismen, bei denen es sich oft um genetisch identische Klone handelt, ist die Überlebensfähigkeit im Freiland, auch bei kul-tivierten Organismen, von einer gewissen genetischen Varianz abhängig. Das Problem der Vergleichbarkeit von Organismen stellt sich erst recht, wenn man zu vereinfachten Zulas-sungsverfahren übergeht und z.B. Kartoffeln (gleichgültig welcher Sorte) mit Herbizidresi-stenz (u.U. unabhängig vom spezifischen genetischen Konstrukt) einer standardisierten Zu-lassungsprozedur unterwirft.

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tungsparametern sind daher so viele Kombinationen denkbar, daß sie schwer-lich alle vor der Vermarktung getestet werden können.

Grundsätzlich stellt sich das Problem, zu welchem Zeitpunkt man das Confine-ment- und Beobachtungsregime lockern, vereinfachen oder ganz aufgeben kann, falls zwischenzeitlich keine überraschenden Schadenspotentiale entdeckt wurden, und ob diese Festlegung im Wege einer einfachen Verwaltungsentscheidung, durch Verordnung oder nur durch eine gesetzliche Entscheidung erfolgen darf. Anders ausgedrückt: Wenn man auf der Basis von Ungewißheit ein schrittweise zu vollziehendes Lernprogramm vorschreibt, kann das anfangs installierte Regime nicht für alle Zeit Gültigkeit beanspruchen, sondern es muß aufgrund der schritt-weise gemachten Erfahrungen selbst wiederum revidiert werden - sei es, daß es aufgrund negativer Erfahrungen verschärft oder aufgrund des Ausbleibens von Schadensanzeichen gelockert wird.

Das Step-by-step-Verfahren unterscheidet sich also wesentlich von einer auf Dauer angelegten Regulierung: Wenn auf der Basis von Ungewißheit bestimmte Tätigkeiten oder Produkte ganz verboten werden, so verhindert man auch die Generierung von Erfahrungen, die eine (konditionierte) Erlaubnis (in der recht-lichen Terminologie: ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) rechtfertigen könnten. Werden auf der Basis eines hinreichend großen Erfahrungsschatzes Einschrän-kungen vorgenommen, so kann man ebenfalls sicher sein, daß die Regulierung nicht ständig angepaßt werden muß.

Zugleich läßt die EG-Richtlinie 90/220, und teilweise auch die auf ihr beru-henden Ausführungsbestimmungen der Kommission, den Mitgliedsländern und ihren Behörden einige Freiräume bei der konkreten Ausgestaltung der Geneh-migungsvoraussetzungen: - Es handelt sich nicht um eine EG-Verordnung, die unmittelbar im nationalen

Recht der Mitgliedsländer Rechtswirkung entfaltet, sondern um eine Richtlinie, die in nationales Recht umgesetzt werden muß. Dies eröffnet der Gesetzge-bung in den Mitgliedsländern gewisse Spielräume, die Vorschriften der Richt-linie in die jeweilige nationale Rechtskultur und Rechtsdogmatik einzupas-sen.19

- Die Freisetzungs-Richtlinie basiert zwar auf den Freihandelsbestimmungen des EG-Vertrages (Art. 100a) und erlaubt - im Unterschied zur System-Richtlinie 90/219/EWG - den Mitgliedsländern nur unter eingeschränkten Bedingungen

19 Bei der Richtlinie sind gemäß Art. 189 Abs. 3 EGV die Ziele verbindlich, die Wahl der

Form und der Mittel bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Allerdings enthalten beide EG-Richtlinien zur Gentechnik sehr detaillierte Regelungen, die den Umsetzungsspielraum der Staaten erheblich einschränken, vgl. auch das Schreiben der EG-Kommission (vgl. Fn. 91 in diesem Kapitel).

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(nach Art. 100a Abs. 4), weitergehende Maßnahmen zum Schutz von Gesund-heit und Umwelt anzuwenden.20 Allerdings stellt sie es den Mitgliedstaaten ausdrücklich frei, zumindest bei experimentellen Freisetzungen die Öffentlich-keit zu jedem Aspekt des Genehmigungsverfahrens anzuhören.21

- Bei den Ausführungsbestimmungen sind ebenfalls zum Teil optionale Ver-fahren vorgesehen. So können die Mitgliedsländer von dem vereinfachten Ge-nehmigungsverfahren Gebrauch machen, wenn sie bereits ausreichende Erfah-rung mit entsprechenden Genehmigungen gemacht haben.22 Hier wird also dem Prinzip der 'lernenden Verwaltung' Rechnung getragen, allerdings nur im Sinne einer Abschwächung von Anforderungen.

De facto führt dies im Fall der Freisetzungs-Richtlinie zu unterschiedlichen For-men der Umsetzung, die sich im nationalen Recht, aber mehr noch in der Verwal-tungspraxis zeigen.23

Innerhalb der OECD, vor allem zwischen der EG und den USA, werden Ver-handlungen geführt, die zu einer gegenseitigen Anerkennung der aus den Feld-versuchen gewonnen Daten führen sollen. Damit wäre es transatlantisch operie-

20 Weitergehende Bestimmungen, zumindest soweit sie die Marktzulassung beträfen, werden

als Handelshemmnisse angesehen. Da die Harmonisierung und die Entwicklung des Ge-meinsamen Marktes innerhalb der EG der wesentliche Grund für den Erlaß der Richtlinie waren, wurde Art. 100a als Rechtsgrundlage gewählt (vgl. oben, Kap. 3.2.2.). Zur rechtli-chen Anwendung des Art. 100a Abs. 4 vgl. EuGH, Urt. vom 17.5.1994, EuZW 1994, S. 405 (zum deutschen PCP-Verbot).

21 Da Artikel 7 systematisch in Teil B der Freisetzungs-Richtlinie steht, der die experimen-telle Freisetzung regelt, läßt sich diese Bestimmung wohl nicht auf das Verfahren zum In-verkehrbringen (Teil C) anwenden. Gleichwohl ist zweifelhaft, ob die EG-Richtlinie inso-weit eine abschließende Regelung enthält bzw. aus kompetenzrechtlichen Gründen enthal-ten kann; hierzu: Nentwich, Spielräume, 1993, S. 12f. Zu den übrigen Spielräumen der Richtlinie vgl. Nentwich, Spielräume, 1993, S. 8ff. Dort werden neben der Öffentlichkeitsbeteiligung die nationale Überwachung der Einsatzbe-dingungen eines Produktes und die Interpretation des Umweltbegriffs genannt. Vgl. auch Roller/Tappeser, Handlungsspielräume, 1994.

22 Entscheidung der Kommission vom 4.11.1994, Amtsblatt der EG Nr. L 292 vom 12.11.1994, S. 31f. Im vereinfachten Genehmigungsverfahren ist es nicht mehr erforder-lich, alle Freisetzungsflächen von vornherein im Genehmigungsantrag aufzuführen - diese können dann je nach Erfordernis sukzessive nachgemeldet werden. Außerdem entfällt die Beteiligung der Öffentlichkeit. Die Bundesrepublik nimmt am vereinfachten Verfahren nach EG-Recht teil und hat davon zum ersten Mal 1996 Gebrauch gemacht (Antrag der AgrEvo für Gaußig und weitere Orte). Allerdings besteht insofern eine unklare Rechtslage, als eine entsprechende Verordnung nach nationalem Recht (§ 14 GenTG) bisher nicht er-lassen wurde; vgl. auch oben, Kap. 5.3.3.

23 Vgl. Levidow/Carr, S&PP 1996; Bergschmidt, Comparative, 1995; Ministry of Housing, Public, 1994; Hohmeyer et al., Internationale, 1994.

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renden Konzernen möglich, auch auf der Basis von in Übersee gewonnenen Da-ten Marktzulassungsanträge zu stellen.

Hieraus wird ersichtlich, daß das Step-by-step-Verfahren nicht nur aus einer nationalen Perspektive betrachtet werden kann: - Die experimentellen Freisetzungen und die Marktzulassung können zwar in

einem einzelnen Mitgliedsland erfolgen, sind aber dann für die ganze EU gül-tig. Der Antragsteller muß seinen Hauptsitz nicht in dem Land haben, in dem er die experimentellen Freisetzungen und die Marktzulassung beantragt.24

- Die experimentellen Freisetzungen und die Marktzulassung können in ver-schiedenen Mitgliedsländern erfolgen, wobei in Zukunft wahrscheinlich auch auf Daten aus Freisetzungsexperimenten zurückgegriffen werden kann, die in Nicht-Mitgliedsländern stattgefunden haben.

- Bei Genehmigungsverfahren zur experimentellen Freisetzung und zur Markt-zulassung sind jeweils auch die Daten aus allen weltweit bekannt geworden Freisetzungen zu berücksichtigen, soweit sie zu sicherheitsrelevanten Ereig-nissen und Informationen geführt haben.

Wenn man die Rechtsform und Entscheidungsspielräume der nationalen Ver-waltungen in den Mitgliedsländern in Rechnung stellt, wird erkennbar, daß das Step-by-step-Prinzip nicht nur in seinen kognitiven, sondern auch in seinen sozia-len Aspekten zu betrachten ist, die in den verschiedensten Formen interagieren können.

Das Step-by-step-Prinzip hat verschiedene Bedeutungsebenen: (1) Die Schritte innerhalb eines einzelnen Falles: Zunächst versteht man unter

dem Step-by-step-Prinzip den schrittweisen Übergang, den ein transgener Orga-nismus im Wege seiner Entwicklung durchläuft, also vom Labor zum Mikrokos-mos oder Gewächshaus ins Freie, und dort von kleinen Feldversuchen auf abge-schirmten Flächen, über größere Anbauversuche im Rahmen der Sortenzulassung, bis hin zur allgemeinen Vermarktung.25 Diese Vorgehensweise wird bei der Ent-wicklung von biologischen Varietäten ohnehin verfolgt, sie ist aufgrund der Frei-setzungs-Richtlinie nun allerdings meldepflichtig und unterliegt einer Risikoab-schätzung. Die Behörde kann dem Betreiber Beobachtungspflichten auferlegen oder eine besondere Abschirmung, z.B. zum Schutz gegen die Verbreitung des transgenen Pollen, vorschreiben (Confinement). Diese Vorgehensweise ist äußer-

24 Eine Vermarktungsgenehmigung seitens eines Mitgliedslandes bzw. der EG-Kommission

gilt für die gesamte EU. Es steht einem Antragsteller frei, sowohl die Freisetzungsgeneh-migungen wie die Vermarktungsentscheidung in einem Mitgliedsland seiner Wahl her-beizuführen, wovon insbesondere multinational operierende Unternehmen auch praktischen Gebrauch machen.

25 Vgl. oben, Kap. 5.3.2, insb. Fn. 37.

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lich vergleichbar mit der Arzneimittelzulassung, bei der die Substanzen zunächst im Labor und im Tierversuch und dann in den vier Phasen klinischer Prüfung an zunächst kleinen und dann immer größeren Kollektiven von Probanden auf Ver-träglichkeit, Wirksamkeit und Effizienz getestet werden. Ein Unterschied besteht aber insofern, als man bei Arzneimitteln bereits über reichhaltige Erfahrungen mit unerwünschten Nebenwirkungen verfügt und daraus Prüfkriterien abgeleitet hat. Insofern sind dort Umfang und Inhalt der einzelnen Schritte vorab genauer festge-legt.

(2) Eine schrittweise Abfolge der Fälle: Diese Interpretation des Step-by-step-Prinzips ist rechtlich nicht verankert. Aber in der Praxis scheint man weitgehend dem Prinzip zu folgen, daß zunächst mit der Freisetzung relativ unpro-blematischer Organismen begonnen wird. Der Übergang von unproblematischen zu den eher schwierigen Fällen scheint sich in drei Dimensionen zu vollziehen: Das ist zum einen die Kontrollierbarkeit der Ausbreitung der freigesetzten Orga-nismen.26 Das ist zum zweiten die Überschaubarkeit der ökologischen Wirkungen der transgenen Eigenschaft.27 Und das ist zum dritten die wissenschaftliche Er-fahrung, die man mit dem Organismus und dem transgenen Konstrukt bereits gewonnen hat.

(3) Der schrittweise vollzogene Übergang zu Routineprozeduren bei der Ab-schätzung: Mit wachsender Verwaltungserfahrung können ähnliche Fälle in Klas-sen subsumiert werden, die einer gleichartigen Behandlung unterliegen. Zahl und Umfang der Prüfschritte können dann verringert werden. Auch wenn durch diesen Übergang von Einzel- zu Sammelgenehmigungen und von Fällen zu Fallgruppen das Verfahren kürzer und sein Ergebnis vorhersehbarer wird, so bedeutet diese Standardisierung nicht zwangsläufig eine Lockerung der Regulierung.28 Sie könn-te theoretisch auch eine Verschärfung darstellen, indem z.B. bestimmte Fallgrup-pen von der Vermarktung ausgenommen würden. Der Zuwachs an Verwaltungs-erfahrung vollzieht sich in den einzelnen Mitgliedstaaten ungleichzeitig. Staaten, die relativ spät die Richtlinie implementiert haben (z.B. Spanien) oder in denen

26 Stark domestizierte, in unseren Breiten von ständiger menschlicher Pflege abhängige

Pflanzen, die hier außerdem keine wilden Kreuzungspartner finden (z.B. Mais im Unter-schied zu Raps), gelten als relativ leicht kontrollierbar.

27 Z.B. werden transgene Eigenschaften, die den Nutzpflanzen außerhalb der Anbauflächen keine Konkurrenzvorteile verschaffen (z.B. Herbizidresistenz) in ihren ökologischen Wir-kungen als überschaubarer angesehen als z.B. Resistenzen gegen Insekten, deren Ver-breitung sowohl in den Pflanzenpopulationen als auch in den Insektenpopulationen (und den davon abhängigen Nahrungsketten, also z.B. bei Vögeln) zu erheblichen Veränderun-gen führen könnte. Dies gilt unabhängig davon, daß es agrarökologisch besehen wün-schenswert sein mag, mit der gentechnisch induzierten Insektenresistenz den Einsatz von chemischen Insektiziden zu substituieren.

28 So aber die bisherige Praxis der vereinfachten Verfahren, vgl. auch oben, Kap. 5.3.3.

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aufgrund des gesellschaftlichen Widerstands nur wenige Freisetzungen durchge-führt wurden (Deutschland), haben weniger Verwaltungserfahrung in diesem Bereich gewonnen.

(4) Die schrittweise vollzogene Anpassung der EG-Richtlinie bzw. der natio-nalen Gesetze an die aktuelle wissenschaftliche Risikoeinschätzung: Im Unter-schied zur dezentralen und daher asynchronen Entwicklung sozialer Erfahrung (s.o., Punkt 3) erzeugt der gesetzgeberische Rekurs auf wissenschaftliche Erfah-rung synchron wirksam werdenden Anpassungsdruck - sowohl auf die Rechts-anwendung als auch auf die Gesetzgebung. Grundsätzlich ist auch hier denkbar, daß diese Anpassung in zwei Richtungen verläuft, d.h. eine Verschärfung oder Lockerung der Regulierung bedeuten kann.29 Eine frühzeitige Lockerung, wie sie zur Zeit vollzogen wird, unterläuft allerdings Harmonisierungsbemühungen auf EG-Ebene, weil sie denjenigen Ländern und zentrifugalen Kräften entge-genkommt, die die Richtlinien nur schleppend oder pro forma umsetzen.

(5) Die transgenen Organismen werden zugleich in eine soziale Umwelt frei-gesetzt: Man kann das oben geschilderte Vorgehen - nämlich Schritt für Schritt das Erfahrungswissen zu vermehren - auch im sozialen Sinne als Zeitaufschub für Regulierungsdiskussionen, als Test öffentlicher Reaktionen und als schrittweise vollzogene Desensibilisierung deuten.

Zusammenfassend handelt es sich also um ein komplexes Programm, in dem schrittweise ein Übergang von einer ungewißheitsbasierten zu einer erfahrungs-basierten Regulierung vollzogen wird.

8.2. Administrative Umsetzung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union

8.2.1. EG-Ebene

Auf EG-Ebene wird die Freisetzungs-Richtlinie - soweit sie Kompetenzen der Kommission begründet - von der Generaldirektion Umwelt (DG XI) der EG-Kommission ausgeführt. Diese kooperiert mit einem Gremium der zuständigen Behörden der Mitgliedsländer (dem sogenannten Artikel 21-Ausschuß).30 Bezüg-

29 Vgl. hierzu auch unten, Kap. 10.2.6.1. 30 Vgl. Art. 21 der Freisetzungs-Richtlinie. Das Verfahren ist wie folgt geregelt: Die Kom-

mission legt einen Entscheidungsentwurf zur beantragten Vermarktung eines transgenen Organismus vor. Dazu kann das Artikel 21-Gremium mit 3/4-Mehrheit der gewichteten Stimmen eine Stellungnahme abgeben. Stimmen der Entscheidungsentwurf der Kommis-sion und die Stellungnahme nicht überein, entscheidet der Ministerrat mit qualifizierter

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lich der Anmeldung von experimentellen Freisetzungen in den Mitgliedstaaten übernimmt diese Direktion folgende Aufgaben: - Sie richtet ein System für den Austausch der in den Anmeldungen enthaltenen

Informationen ein.31 Aufgrund dieser in relativ knapp gehaltenen Formblättern, sogenannten SNIF's32, zirkulierenden Informationen können die anderen Mit-gliedsländer um weitere Auskünfte nachsuchen oder 'Bemerkungen' zu der je-weils geplanten Freisetzung machen.

- Zusammen mit dem Ausschuß der zuständigen Behörden der Mitgliedsländer richtet die Kommission für transgene Organismen, mit deren Freisetzung schon genügend Erfahrungen gesammelt wurden, vereinfachte Verfahren ein und ent-scheidet über Anträge der Mitgliedsländer, an diesen vereinfachten Verfahren teilzunehmen.33

Festzustellen ist, daß es bisher bei experimentellen Freisetzungen selten Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten gab, wohl auch deshalb, weil die Einwendungen von anderen Mitgliedstaaten im Freisetzungsland nicht berücksichtigt werden müssen.34 Konflikte treten erst und dann bisher regelmäßig bei Ver-marktungsentscheidungen auf - wahrscheinlich auch deshalb, weil es im Vorfeld, also während der experimentellen Freisetzungen, selten Auseinandersetzungen gibt.35

Mehrheit. Kommt diese qualifizierte Mehrheit innerhalb einer Frist von drei Monaten nicht zustande, kann die Kommission den von ihr unterbreiteten Vorschlag erlassen. Die Kom-mission kann also vom Artikel 21-Ausschuß und vom Ministerrat jeweils nur mit qualifi-zierter Mehrheit überstimmt werden.

31 Vgl. Artikel 6 und 9 der Freisetzungs-Richtlinie. 32 Summary Notification Information Format (SNIF), Entscheidung des Rates 91/596/EWG

(ABl. L 322, S. 1ff. vom 22.11.1991). 33 Auf Grundlage von Art. 6 Abs. 5 wurden bisher folgende Kommissionsentscheidungen

erlassen: Kriterien für das vereinfachte Verwaltungsverfahren (93/584/EWG, ABl. L 279, S. 42f. vom 12.11.1993) und Einrichtung von vereinfachten Verwaltungsverfahren (94/730/EG, ABl. L 292, S. 31f. vom 12.11.1994).

34 Der einzige bisher bekannt gewordene Fall, in dem es zu ernsthafteren Auseinanderset-zungen kam, war eine Freisetzung von virusresistenten Tomaten in Italien. In anderen Mit-gliedstaaten befürchtete man, daß dadurch neue Viren erzeugt werden könnten. Der Vor-schlag wurde auch - was bei der Zulassung von experimentellen Feldversuchen unge-wöhnlich ist - im Artikel 21-Gremium der zuständigen Behörden der Mitgliedsländer dis-kutiert. Nach einer längeren Verzögerung gab die italienische Behörde aufgrund der erwar-teten ökonomischen Vorteile dem Vorschlag ihre Zustimmung (Levidow et al., S&PP 1996, S. 150; vgl. Bergschmidt, Comparative, 1995, S. 115).

35 Ein deutscher Behördenvertreter bemerkte, daß es zu den Kommentaren, die die deutschen Behörden zu den Freisetzungsvorhaben in anderen Ländern machen, selten überhaupt Re-aktionen gibt (Int. Nr. 21, S. 8).

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Bei der Vermarktungsentscheidung kommen der Kommission folgende Auf-gaben zu: - Die Behörde, die einen bei ihr gestellten Vermarktungsantrag befürwortet,

sendet eine Kurzfassung36 und eine ausführliche Fassung der Antragsunterla-gen an die Kommission, die beide dann an die übrigen Mitgliedstaaten verteilt.

- Wenn die Behörde, die den Antrag befürwortet, sich nicht mit den Mitglied-staaten über deren Einwendungen einigen kann, erarbeitet die Kommission ei-nen Vorschlag und setzt das Abstimmungsverfahren nach Artikel 21 in Gang.

Sowohl bezüglich des Verfahrens zur experimentellen wie zur kommerziellen Freisetzung überarbeitet die Kommission zusammen mit dem Artikel 21-Gremium der Mitgliedstaaten die Formblätter für die bei einer Anmeldung verlangten In-formationen, nach denen sich die Zulassungsbehörden in den Mitgliedstaaten zu richten haben.37 Anpassungen an den technischen Fortschritt sind also in der Freisetzungs-Richtlinie vorgesehen und können auf administrativer Ebene, also ohne Zustimmung durch das Europäische Parlament oder den Ministerrat, vollzo-gen werden. Um die Legitimität ihrer Vorschläge zu erhöhen, zieht die Kommis-sion gemäßigte Industrielobbys38 und manchmal auch Umweltschutzverbände zu Rate. Trotz dieser Flexibilität, die die Richtlinie ermöglicht, erarbeitet die Gene-raldirektion Umwelt - auf Druck einer radikaleren Industrielobby39, anderer Di-rektionen der Kommission und einzelner Mitgliedsländer wie namentlich Deutschland - derzeit (Sommer 96) einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie, der aber bisher nicht verabschiedet wurde.40

36 Vgl. Kommissionsentscheidung 92/146/EWG (ABl. L 60, S. 19ff. vom 5.3.1992). 37 Vgl. Artikel 20 der Richtlinie. Mit der Richtlinie 94/15/EG der Kommission (ABl. L 103,

S. 20ff. vom 22.4.1994) wurde der für die experimentelle Freisetzung von höheren Pflan-zen erforderliche Datenumfang spezifiziert und verringert. Entsprechend wurden auch die korrespondierenden SNIF's geändert, und zwar durch die Kommissionsentscheidung 94/211/EG (ABl. L 105, S. 26ff. vom 26.4.1994).

38 Im European Secretariat of National BioIndustry Associations (ESNBA) und in der Green Industry Biotechnology Platform (GIBiP) sind vor allem die Verbände von kleinen und mittleren Unternehmen der Biotechnologie-Industrie repräsentiert.

39 Von der Senior Advisory Group on Biotechnology (SAGB) werden die Interessen großer multinationaler Chemieunternehmen repräsentiert. Vgl. Ward, Bio/Technology 1996.

40 Vgl. Levidow et al., S&PP 1996, S. 138ff.

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8.2.2. Administrative Umsetzung in den Mitgliedstaaten

Unterschiede zwischen den Zulassungsbedingungen in den einzelnen Mitglied-staaten resultieren weniger aus der rechtlichen Umsetzung41 als aus der admini-strativen Implementierung. Letztere unterscheidet sich zunächst durch die Wahl der zuständigen Behörde, die über Freisetzungsanträge entscheidet und das Land im Ausschuß der 'Competent Authorities' auf EG-Ebene vertritt. Die Wahl der einzubeziehenden Ressorts determiniert bis zu einem gewissen Grad den Regulie-rungsstil, d.h. den Abstimmungsmodus, den fachlichen Blickwinkel, die Beizie-hung wissenschaftlichen Sachverstands sowie die Beteiligung von unter-schiedlichen Lobbyorganisationen und der allgemeinen Öffentlichkeit.

In Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark, Spanien und Irland wird die führende Rolle im Rahmen des Zulassungsverfahrens vom Umweltministerium übernommen, in Deutschland, Italien, Österreich und Belgien (mit Einschränkun-gen) vom Gesundheitsministerium, sowie in Frankreich vom Landwirtschafts-ministerium.42

In den Ländern, in denen Freisetzungen öffentlich umstritten sind - also ins-besondere in Deutschland und Dänemark, aber auch in den Niederlanden und in Großbritannien -, reflektiert die Wahl der zuständigen Behörde eine gezielte poli-tische Strategie in diesen Debatten.43 In Dänemark, den Niederlanden und Groß-britannien wurde - relativ erfolgreich - versucht, mit der Wahl des Um-weltministeriums als zuständiger Behörde einen politischen Kompromiß zwischen den an Freisetzungen interessierten Organisationen und Umweltschutzgruppen zu etablieren. In Deutschland dagegen verfestigt die Wahl der Behörden eher die starken gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über die Freisetzung, als daß sie zu ihrer Überwindung beitragen würde.

41 Luxemburg und Griechenland haben die Richtlinie noch nicht umgesetzt. Erhebliche Un-

terschiede gibt es - wie von der Richtlinie auch eingeräumt - in den Bestimmungen über die Beteiligung der Öffentlichkeit. Im übrigen zielt in Luxemburg die (geplante) Gesetzgebung klar darauf ab, Freisetzungsanträge abzuschrecken, weil man es dort für zu aufwendig hält, eine Verwaltungseinheit für die Beurteilung von Freisetzungen aufzubauen. In Belgien gab es lange Verzögerungen bei der Umsetzung der Richtlinie. Besonders in Belgien, aber z.T. auch in Spanien wird die Richtlinie durch föderale Gesetzgebung umgesetzt. Vgl. Levi-dow/Carr, S&PP 1996.

42 Levidow et al., Deliberate, 1995, S. 10f.; Bergschmidt, Comparative, 1995, S. 96; DG XI, Summary, 1994b.

43 In den übrigen Ländern, z.B. in Italien, Spanien und Belgien, scheinen dagegen eher ge-genstandsexterne Interessen für die Wahl des Ressorts verantwortlich gewesen zu sein (Levidow et al., Deliberate, 1995, S. 10).

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8.3. Betreiberinteressen und Öffentlichkeit

Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten resultieren allerdings nicht nur aus den administrativen Entscheidungen, sondern ebenso aus dem Wechselspiel zwi-schen Betreiberinteressen und öffentlicher Aufmerksamkeit. Gerade weil das EG-rechtliche Regulierungssystem zumindest im Bereich experimenteller Freisetzun-gen sehr flexibel ist, hängt es sehr stark von der Balance gesellschaftlicher Inte-ressen ab, welche Anträge überhaupt gestellt werden, welche Sicherheitsmaß-nahmen die Antragsteller von sich aus vorschlagen und wie sorgfältig Sicherheit und Nutzen der vorgeschlagenen Versuche insgesamt begründet werden.

Insgesamt sind bis zum 1.7.1994 in der EU 292 Freisetzungsanträge gestellt worden.44 Die meisten der bisher freigesetzten transgenen Organismen waren Pflanzen, die der menschlichen Ernährung dienen.45 Bis Ende 1992 wurden in den OECD-Mitgliedstaaten 864 Freisetzungen von transgenen Pflanzen gemel-det.46 Darunter rangierten die Experimente mit Herbizidresistenz an erster Stel-le.47 Feldversuche mit Mikroorganismen und Tieren wurden bisher nur selten durchgeführt. Nach einer Schätzung der WHO sollen innerhalb der nächsten fünf Jahre 26 Pflanzen kommerziell angebaut werden.48 Hier ist eine ständige Zu-nahme kommerzieller Interessen zu konstatieren, die auf EG-Ebene und in den einzelnen Mitgliedstaaten auf eine Standardisierung und Vereinfachung der Zu-lassungsverfahren drängen.

Die Zahl der beantragten Freisetzungsversuche in den einzelnen Mitglied-staaten der EU variiert erheblich: In Frankreich waren es 93, in Belgien 56, in

44 DG XI, List, 1994. Zu den jeweils aktuellen Zahlen siehe seit neuestem http://www.rki.de

(Internetadresse). 45 In den OECD-Ländern waren das in erster Linie Raps (290), Kartoffeln (133), Tomaten

(72), Tabak (72) und Mais (65) (Schiemann, BioEngineering 1994). 46 Davon wurden 316 in den USA, 302 in Kanada, 77 in Frankreich, 45 in Großbritannien, 22

in den Niederlanden, 13 in Neuseeland, jeweils 6 in Australien, Spanien und Schweden, 3 in Dänemark, jeweils 2 in Deutschland und der Schweiz, und jeweils einer in Japan und Norwegen angemeldet (Schiemann, BioEngineering 1994). Bei Zahlenvergleichen ist grundsätzlich zu beachten, daß es von den jeweiligen administrativen Meldeverfahren ab-hängt, wie die Zahl der Feldversuche festgestellt wird: Eine Meldung kann sich auf ver-schiedene transgene Organismen beziehen, die in mehreren aufeinander folgenden Wachs-tumsperioden an verschiedenen Orten ausgesetzt werden - oder es muß für jeden Organis-mus, für jede Periode und für jeden Ort eine eigene Meldung erfolgen.

47 In den OECD-Ländern wurden bis Ende 489 Versuche mit Herbizidresistenz, 382 mit Markergenen, 115 mit Virusresistenz, 89 mit Insektenresistenzen, 72 mit Qualitätsverän-derungen, 39 mit männlicher Sterilität, 35 mit Krankheitsresistenz und 35 'übrige' gemeldet (Schiemann, BioEngineering 1994).

48 Köhler, GID 1995.

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Großbritannien 46, in den Niederlanden 42, in Italien 19, in Deutschland 11, in Dänemark 11, in Spanien 10, und in Portugal 4 Feldversuche.49 Wenn man die Größe des Territoriums und die allgemeine Wirtschaftskraft der Länder in Rech-nung stellt, liegen Belgien und die Niederlande klar an der Spitze. Bisher ist of-fenbar kein Freisetzungsantrag ausdrücklich abgelehnt worden. Es ist jedoch nicht bekannt, wie viele Freisetzungsanträge zurückgezogen wurden.50

Die Mehrzahl der Freisetzungsexperimente in Europa wurde von transatlan-tisch operierenden Unternehmen oder ihren europäischen Tochterunternehmen ausgeführt.51 Sie haben ein besonderes Interesse an den Verhandlungen über die 'gegenseitige Anerkennung von Daten', die zwischen den OECD-Staaten geführt werden. Da die Entwicklung besonders in den USA und Kanada schon weiter fortgeschritten ist, geht es de facto vor allem um eine Öffnung des Europäischen Marktes für Produkte, die in Übersee entwickelt wurden. Die häufig von der Lobbyorganisation dieser Konzerne vorgebrachte Klage, daß die Entwicklung der europäischen Biotechnologieindustrie durch die EU-Regulierung behindert wer-de,52 ist also zunächst lediglich auf betriebswirtschaftliche Interessen gegründet, die aber nicht notwendigerweise mit europäischen Wirtschaftsinteressen gleich-zusetzen sind.53 Das wird auch daran erkennbar, daß die Industrieverbände der mittelständischen und tatsächlich weitgehend europäisch basierten Biotechnolo-gieindustrie auf EG-Ebene eher eine regulierungsfreundliche Haltung einneh-men.54

Allerdings besteht in der Industrie auch ein gegenläufiges Interesse, gerade nicht den Weg des vordergründig geringsten Widerstands zu wählen. Es setzt sich

49 DG XI, List, 1994. 50 In Deutschland sollen es - einer Vertreterin des UBA zufolge - 12 von insgesamt 39 An-

trägen gewesen sein. Dabei wird allerdings offenbar eine andere als die EG-offizielle Zähl-weise zugrundegelegt (Löhr, GID 1995, S. 16).

51 Dies betrifft Zeneca, Monsanto, AgrEvo, Pioneer Hybrid, Ciba Geigy und Plant Genetic Systems (vgl. DG XI, List, 1994).

52 SAGB, Community, 1990; CEC, Bulletin of the European Communities, supplement 6/93, S. 100ff.; CEC, EBIS newsletter 1994; vgl. dagegen auch die aufschlußreiche Studie von Kraus, Regulation, 1994.

53 Um die Frage zu entscheiden, ob die Erleichterung des europäischen Marktzugangs eher im amerikanischen oder europäischen Wirtschaftsinteresse liegt, müßte man im einzelnen untersuchen, an welchen Standorten der multinationalen Konzerne (gut- oder schlechtbe-zahlte) Arbeitsplätze entstehen, Steuern abgeführt und Reinvestitionen getätigt werden.

54 Levidow et al., S&PP 1996, S. 142f. Auch in anderen Branchen ist auf EG-Ebene eine ambivalente Haltung der Industrie zu beobachten: "Ob Unternehmergruppen regulierte o-der deregulierte Produktmärkte bevorzugen, hängt von vielfältigen Faktoren wie z.B. der Branchenzugehörigkeit, der Art der erzeugten Produkte (Reifegrad im Produktlebenszy-klus, Wertschöpfung u.ä.) oder der Unternehmensgröße ab." (Traxler/Schmitter, Perspek-tiven, 1994, S. 63).

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nämlich die Erkenntnis durch, daß die Zulassungsverfahren allein den ökonomi-schen Erfolg nicht garantieren können. Denn letztlich müssen die Konsumenten bereit sein, die später vor allem zu Nahrungsmittel verarbeiteten Produkte zu kaufen, was derzeit - den Umfragen zufolge55 - kaum der Fall ist. Hier unter-scheidet sich der Produktbereich, auf den die meisten der derzeitigen Freiset-zungsversuche hinzielen, deutlich von anderen Anwendungsbereichen der Gen-technik. Im Unterschied zu gentechnischen Produkten für medizinische Anwen-dungen, für die es oftmals keine direkte nicht-gentechnische Alternative gibt und deren Verbrauch ohnehin mehr von den Ärzten als von den Patienten dirigiert wird, sind gentechnisch erzeugte Nahrungsmittel bisher kaum mit erkennbaren Vorteilen für den Endverbraucher verbunden und können von diesen auch relativ leicht boykottiert werden.56

Insofern ist das Step-by-step-Verfahren auch eine Gelegenheit für Wissen-schaft und Industrie, die Reaktionsweise nicht nur der natürlichen, sondern auch der sozialen Umwelt zu testen. Aus Sicht der Unternehmen kann das Verfahren genutzt werden, in der Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit die Akzeptanz für bestimmte Produkte zu testen sowie angemessene Argumentations- und Mar-ketingstrategien zu entwickeln. Die Unternehmen können so auch die Zeit über-brücken, bis sich der Widerstand gegen gentechnisch erzeugte Nahrungsmittel eventuell gelegt haben wird, ohne direkt das Risiko allzu großer Investitions- und Reputationsverluste einzugehen, das mit einer scheiternden Vermarktung verbun-den wäre. Man hält sich andererseits die Option offen, selbst mit eigenen Ange-boten sofort nachziehen zu können, wenn sich ein Konkurrenzprodukt am Markt als erfolgreich erweisen sollte.57

55 Z.B. Hennen/Stöckle, Gentechnologie, 1992, S. 14f.; Baron, Statusbericht, 1997, S. 10;

TAB-Brief Nr. 12, Juni 1997, S. 16ff. 56 Das gilt zumindest in der Anfangsphase auch dann, wenn gentechnische Nahrungsmittel

nicht gekennzeichnet werden müssen. Boykotte können sich auch gegen Firmen und La-denketten richten, von denen 'ruchbar' wird, daß sie (angeblich) gentechnische Produkte vertreiben. Die Auswirkungen sind dann weniger berechenbar und u.U. gravierender, weil auch nicht-gentechnische Produkte des Unternehmens betroffen wären. Einige deutsche Handelsketten lassen sich außerdem von ihren Lieferanten vertraglich zusichern, daß in ih-ren Lieferungen keine gentechnischen Produkte enthalten sind. Insgesamt scheint die Hal-tung der Unternehmen, die gentechnische Produkte einführen wollen, gespalten. Jedenfalls haben sich einige große europäische Nahrungsmittelkonzerne zu einer offenen und dialog-orientierten Informationspolitik entschieden (vgl. Behrens et al., Nachbarn, 1997; Heins, Soziale Welt 1992).

57 Man kann diese abwartende und 'umweltsensible' Haltung im Sinne der Rational Choice-Theorie auch als 'second winner'-Strategie bezeichnen. Sie setzt allerdings voraus - und kalkuliert ein -, daß es Unternehmen gibt, die auf jeden Fall und mit allen ihnen zur Ver-fügung stehenden Mitteln versuchen, den Marktdurchbruch zu erzielen ('first winner'-

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In der EG und in den USA sind zwar bereits einige Produkte genehmigt wor-den.58 Die Genehmigungsverfahren sind aber selten reibungslos verlaufen; sie waren innerhalb der Behörden, in der Fachöffentlichkeit wie zum Teil auch in der allgemeinen Öffentlichkeit umstritten.59 Gegen die von der US-amerikanischen Firma Calgene lagerfähig gemachte Tomate 'Flavr Savr' - das erste transgene Nahrungsmittel auf dem Endverbrauchermarkt - kam es in den USA zu einem Boykottaufruf, dem sich auch namhafte Chefköche anschlossen. Calgene, das daraufhin die Vermarktung aussetzte, ist mittlerweile wirtschaftlich stark ange-schlagen und wurde zur Hälfte von Monsanto übernommen.60

Es könnte sich daher bei vielen Unternehmen die Wahrnehmung durchsetzen, daß weniger die rechtliche Regulierung und ihr administrativer Vollzug, sondern die generelle Haltung des Publikums über Erfolg und Mißerfolg gentechnischer Produkte im Nahrungsmittelsektor entscheidet. Das hat auch Rückwirkungen auf die Handhabung experimenteller Freisetzungen. Bezeichnend ist in diesem Zu-sammenhang die Vorgehensweise von Vander Have, einem relativ großen nieder-ländischen Saatgutunternehmen. 1994 zögerte man noch, experimentelle Freiset-zungen in Deutschland zu unternehmen:

"In 1991 and 1992 our Dutch field trials with GMO maize were destroyed by ano-nymous activists. It is not this risk of having one's trials destroyed that has kept Vander Have from carrying out GMO trials in Germany. Until recently, the manpo-

Strategie). Denn andernfalls wäre es sinnlos, in das Offenhalten der Optionen zu investie-ren. Für welche Strategie sich die Unternehmen entscheiden, hängt von ihrer Organisa-tionskultur und der Wahrnehmung ihrer ökonomischen Innovationssituation ab (Rammert, Weg, 1996; Hasse/Gill, Biotechnological, 1994; vgl. auch unten, Kap. 11.5.1.).

58 In der EG waren dies bis 1994 zwei Tierimpfstoffe (gegen Aujeszky-Krankheit der Schweine und gegen Tollwut) und eine herbizidresistente Tabaksorte. Bis Mai 1996 waren außerdem Zulassungsanträge für herbizidresistenten Raps, herbizid- und insekten-resistenten Mais, herbizidresistenten und männlich sterilen Chicoree, herbizidresistente So-jabohnen sowie für mehrfach veränderte Tomaten gestellt bzw. genehmigt. In den USA waren 1994 fünf transgene Pflanzen im Marktzulassungsverfahren oder hatten dieses be-reits abgeschlossen: Länger haltbare Tomaten, herbizidresistente Baumwolle, herbizid-resistente Sojabohnen, virusresistenter Kürbis und insektenresistente Kartoffeln.

59 Bei fast allen Genehmigungsverfahren in der EG kam es bisher zu Einsprüchen seitens anderer nationaler Behörden, so daß die Kommission nach Art. 21 die endgültige Ent-scheidung treffen mußte. Beim insektenresistenten Mais von Ciba Geigy mußte zum ersten Mal der Ministerrat angerufen werden, weil die Kommission sich nicht mit den Behörden der Mitgliedstaaten einigen konnte.

60 Die belgische Firma Plant Genetics Systems (PGS) lancierte 1994 einen der ersten Markt-zulassungsanträge in der EG, und zwar für herbizidresistenten Raps (s.u.). PGS wurde 1996 zu 75 Prozent von AgrEvo übernommen (ZEIT vom 23.8.1996, S. 18).

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wer to provide the anticipated amount of information required by colleagues and the German general public was simply not available."61

Wie sich in diesem Statement aber schon andeutet, hat man 1995 doch einen Genehmigungsantrag für eine experimentelle Freisetzung in Deutschland gestellt - für herbizidresistenten Mais, den man schon 1991 in den Niederlanden und Frankreich getestet hatte. Der einzige Grund für die Freisetzung in Deutschland war die Provokation und der Test sozialer Reaktionen:

"Our intentions go far beyond the issue of actual acceptability. We applied for the test to promote the understanding of this new technology, and therefore we were ve-ry happy with the protests from environmental and consumer groups, who camped on the test site to make the field test impossible. So, as a consequence, the field test could not take place since they have been camping there for six months. We had ve-ry interesting discussions with the activists. We believe that the market success of our product will depend on what the German public accepts, to a great extent. The speed with which things develop will be determined by the German situation. So, even if we do not face any problems in the Netherlands, Germany will be the poten-tial bottleneck."62

Darüber hinaus gibt es auch Überlegungen in der Industrie, daß die - offiziell vielfach beklagte - deutsche Situation längerfristig eher vorteilhaft sein könnte, weil hier in der Phase experimenteller Freisetzungen Widerstände abgearbeitet werden können, die in anderen Ländern vielleicht erst später einsetzen und dann die ökonomisch sehr viel sensiblere Vermarktungsphase treffen würden.63 So hat z.B. auch das US-amerikanische Unternehmen Monsanto 1996 in Deutschland einen Freisetzungsantrag gestellt. Das heißt allerdings nicht, daß sich (schon) alle Unternehmen diese sozioökonomische Interpretation des Step-by-step-Prinzips zu eigen gemacht hätten und Feldversuche nun bevorzugt in Deutschland vornehmen würden (vgl. Tabelle 1, S. 258).

61 Saat, Open, 1996, S. 315. 62 Interview mit C. Noome, zit. n. Schomberg, Netherlands, 1995, S. 38. 63 Bender et al., Ethische, 1997, S. 61. Man mag in diesem Zusammenhang auch an die

Situation in den USA denken, wo sich die öffentliche Diskussion zuerst, nämlich schon in den 70er Jahren entzündete und seit den 80er Jahren in relativ ruhigen und geregelten Bahnen verlief.

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8.4. Zum Stand des Step-by-step-Verfahrens in der EG

8.4.1. Verlauf der internationalen Sicherheitsdiskussion

Entsprechend der Präambel der Freisetzungs-Richtlinie sollte schrittweise die Ausweitung der Feldversuche und die Lockerung des Einschlusses erfolgen, "je-doch nur dann, wenn die Bewertung der vorigen Stufen ... ergibt, daß die nächste Stufe eingeleitet werden kann." Dem für die Freisetzungsregulierung grundlegen-den OECD-Dokument zufolge, in dem das Step-by-step-Prinzip erstmals formu-liert ist, sollten im Rahmen der ohnehin für die Produktentwicklung erforderlichen Feldversuche auf den jeweiligen Stufen auch Sicherheitsdaten gesammelt werden, aus deren Auswertung sich der nächste Schritt rechtfertigen sollte.64

In den USA, wo die Entwicklung schon weiter fortgeschritten ist und eine gan-ze Reihe von transgenen Pflanzen aus dem Stadium der kleinräumigen Versuche heraustreten, wird mittlerweile von den Befürwortern mit der Unschädlichkeit von 2000 Versuchen argumentiert. Die Feststellung 'Nothing happened' wird nun als Argument für eine Blanko-Freigabe ins Feld geführt. Dagegen wird von Um-weltschützern das sorgfältige Confinement, das vor den befürchteten Risiken der Feldversuche schützen sollte, nun im Nachhinein ganz anders als bisher noch in Deutschland kommentiert. Die Ökologen Peter Kareiva und Ingrid Parker bemer-ken in ihrem Gutachten für Greenpeace International:

"Field trials tend to be uninformative because they have been so tightly controlled that they do not reflect the circumstances likely to prevail if commercial production were to begin."65

Auch ein Bericht der OECD kommt zu dem Schluß, daß die bisherigen Feldver-suche wissenschaftlich nur schwer zu beurteilen seien:

"In biosafety terms it is clear that the amount of useful information gained from the releases to date has been limited. ... This has to be expected from the nature of the releases which have in effect been 'field contained' rather than true releases."66

Argumentiert wird auch, daß die bisherigen Versuche zu klein angelegt waren, als daß sich statistisch seltene Ereignisse hätten zeigen können.67 Von Umwelt-schützern wird allerdings auch kritisch angemerkt, daß in den Beobachtungs-protokollen vieler Feldversuche nicht einmal die wichtigsten der jeweils rele-vanten ökologischen Kriterien - wie Verunkrautung, Auskreuzung, Entstehung neuer Viren - überhaupt erwähnt seien; umso weniger seien sie in den allermei-

64 OECD, Recombinant, 1986, S. 29. 65 Kareiva/Parker, Environmental, 1995, S. 2. 66 OECD, Field, 1993, S. 23f. 67 Vgl. Stone, Science 1994.

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sten Fällen genauer untersucht worden.68 Ein anderer OECD-Bericht räumt ein, daß die ohnehin unternommenen Feldversuche zur Beurteilung des technischen Entwicklungserfolgs nicht immer geeignet sind, zugleich auch Risikofragen zu beurteilen.69

Allerdings zeigt sich auch, daß sich die Diskussion über Beobachtungskrite-rien, etwa im Hinblick auf die Propagierung neuer Viren durch virusresistente Pflanzen zum Teil erst seit 1987, d.h. parallel zur Freisetzung, entwickelt hat. Zum Teil wird auch 'auf Vorrat' beobachtet, d.h. es werden z.B. in Frankreich molekulargenetische Untersuchungen verlangt, die man heute noch nicht inter-pretieren kann, von denen aber die Zulassungsbehörde annimmt, daß sie sich in Zukunft als wertvoll erweisen könnten, wenn der Stand des Wissens über die Ge-nome der Nutzpflanzen gewachsen sein wird.

Mit der Unklarheit der Beobachtungskriterien korrespondiert auch die Unklar-heit der Beobachtungsdauer, die für die einzelnen Schritte angesetzt wird. So war schon vorher bekannt, daß für das aus der Invasion nicht-einheimischer Pflanzen entwickelte Schadensszenario der 'time-lag' zwischen Einführung und Verwilde-rung einige hundert Jahre betragen kann.70 Wenn man in der Gesetzgebung die-sem Analogiemodell konsequent gefolgt wäre, hätte man entweder eine - unrea-listisch lange - Karenzzeit festlegen oder zuverlässige Frühindikatoren entwickeln müssen, die das spätere Verwilderungspotential anzeigten. Die Prognosefähigkeit wird aber von den Ökologen, die das Analogiemodell in die Diskussion gebracht haben, eher skeptisch eingeschätzt.71

8.4.2. Wandel der Schadensdefinitionen

Parallel zur weltweiten Zunahme der Zahl der Freisetzungen haben sich auch die generellen semantischen Strategien in der Sicherheitsdiskussion verschoben. An-fangs, als die Debatte noch auf die Zuverlässigkeit des Containment fokussierte,

68 Margaret Mellon und Jane Rissler haben in den USA im Namen der Union of Concerned

Scientists die Herausgabe der amtlich vorgeschriebenen Beobachtungsberichte der US-amerikanischen Feldversuche unter dem Freedom of Information Act erzwungen und an-schließend ausgewertet (Mellon/Rissler, Bio/Technology 1995).

69 "Performance trials per se do not necessarily provide information relevant to the risk/safety analysis and risk management, but can be designed to do so." (OECD, Safety, 1993, S. 10). Damit wird also die anfängliche, von OECD Experten 1986 geäußerte Vorstellung re-vidiert, daß die Sicherheitsdaten im Zuge der ohnehin erforderlichen Leistungstests immer sinnvoll erhoben werden könnten.

70 Vgl. oben, Kap. 2.2.2. 71 Z.B. Sukopp/Sukopp, GAIA 1993; Langzeitbeobachtungen, z.B. über zehn Jahre, böten

aber die Möglichkeit besserer Abschätzung (Int. Nr. 22, S. 10).

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ging es darum, ob die eingebrachten transgenen Konstrukte am intendierten Ort bleiben oder in andere genetische Kontexte und auf andere Organismen übertra-gen würden. Hier zeigte sich in einer ganzen Reihe von Experimenten der Sicher-heitsforschung und anhand theoretischer Überlegungen, daß die ehemals behaup-tete Stabilität und Abgrenzbarkeit des Eingriffs nicht gegeben ist. Einen Ge-naustausch über die Grenzen der Arten und selbst der biologischen Reiche hin-weg, also z.B. von Pflanzen auf Bakterien, möchte heute niemand mehr aus-schließen.72 Allerdings resultierte aus dieser Falsifizierung einer Sicherheitsannahme nicht die Verschärfung der Regulierung. Es hat sich bei den Genforschern und überwiegend auch in der Verwaltung - parallel mit der in vielen Fällen bereits praktizierten Aufgabe des Confinements - eine Neuinterpretation dieser Befunde durchgesetzt: Wenn die eingebrachte DNA nicht am Bestim-mungsort bleibe, sondern von anderen biologischen Arten aufgenommen werde, dann sei das ein Zeichen, daß allgemein in der Natur die genetischen Grenzen nicht so scharf gezogen seien, wie man ehedem dachte. Daraus sei zu schließen, daß der künstliche Gentransfer sich nicht vom natürlichen Gentransfer unter-scheide. Je häufiger und weiterreichend der natürliche Gentransfer, desto geringer das Risiko, das zusätzlich durch einen künstlichen Gentransfer ausgelöst werden könnte. Wenn überhaupt, dann sei zu fragen, ob das übertragene Gen in anderen biologischen Kontexten 'Schäden' auslösen könne.73

Kritische Wissenschaftler haben dies ironisch kommentiert: "Bewiesene Risi-ken sind natürliche Risiken sind keine Risiken".74 Sie versuchen einen Schadens-begriff zu etablieren, der jegliche nicht-intendierte Verbreitung von eingebrachten Genen als "genetische Verschmutzung" konzipiert.

In einem Bericht über die EU-weite Handhabung von Freisetzungsanträgen wird vermerkt, daß keine europäische Prüfbehörde bisher eine abschließende Definition festgelegt habe, was als Schaden für die Umwelt anzusehen sei. Ent-sprechend orientiert man sich bei der Risikoanalyse weiterhin 'bottom up' an den Eigenschaften des transgenen Organismus und den Umständen der Freisetzung, und nicht an einer vielleicht zukünftig denkbaren Liste von Schadeffekten, die es dann 'top down' zu verhindern gelte.75

Es zeigt sich also auch in der administrativen Handhabung des Step-by-step-Prinzips, daß man weder kognitive Gewißheit über die zu erwartenden Effekte

72 Vgl. z.B. Int. Nr. 9, S. 34: "Wir sehen nun, daß unser Genom überhaupt nicht das stabile

Ding ist, das es über Jahrzehnte sein sollte, sondern daß viel rekombiniert wird, einerseits zu unserem Wohl, zum Beispiel im Immunsystem, und andererseits wahrscheinlich auch bei der Krankheitsentstehung."

73 Vgl. z.B. Int. Nr. 21, S. 23f. 74 Tappeser/Jäger, Perspektivenwechsel, 1994; vgl. auch Int. Nr. 23. 75 Bergschmidt, Comparative, 1995, S. 108.

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noch normativen Konsens über ihre Bewertung besitzt. In dieser Situation hat das aus den USA stammende Kriterium der 'Vertrautheit' ('familiarity') auch in der europäischen Sicherheitsdiskussion großen Anklang gefunden. Der rhetorische Erfolg des Vertrautheitskonzepts liegt u.a. darin begründet, daß es verschiedene Bedeutungen annehmen kann: Es kann dahingehend verstanden werden, daß sich in Feldversuchen keine unerwarteten Effekte gezeigt haben, daß die Komponen-ten des transgenen Produkts bekannt sind oder daß in begleitender Sicherheitsfor-schung einige Ungewißheiten geklärt worden sind.76 Zugleich impliziert es, daß 'vertraute' Produkte auch 'akzeptabel' seien, indem ihre Effekte mit natürlichen Prozessen oder mit herkömmlichen landwirtschaftlichen Produkten und Anwen-dungsformen verglichen werden.77 Man könnte hier auch von einer pragmatischen Sicherheitsfiktion sprechen, bei der die wissenschaftlich nicht entscheidbaren Fragen durch sozialen Konsens überbrückt werden sollen.78 Allerdings bleibt dabei immer noch umstritten, was als zulässige Vergleichsebene angesehen wer-den kann, und ob 'vertraute' Produkte und Praktiken, z.B. des herkömmlichen chemisierten Landbaus, auch akzeptabel sind.

8.4.3. Der Streit um die Marktzulassungen

Manifest werden die Probleme mit diesem rhetorischen Kompromiß, wenn sich die Mitgliedsländer bei Marktzulassungen auf EG-Ebene einigen müssen. Bei der Auseinandersetzung über die von der belgischen Firma Plant Genetic Systems (PGS) in Großbritannien beantragte Zulassung für herbizidresistenten Raps war vor allem umstritten, ob die zu erwartenden Resistenzbildungen bei Unkräutern tolerierbar seien.79 Insbesondere die skandinavischen Länder und Österreich argumentierten, daß dies zu einer Ausweitung des Herbizideinsatzes führen könn-te. Dagegen wurde von der Mehrheit der anderen Mitgliedstaaten eingewandt, daß dieser Effekt zwar durchaus möglich sei, aber nicht vom Produkt selbst, son-dern vom Herbizideinsatz herrühren würde, der nicht durch die Freisetzungs-Richtlinie geregelt werden könne.

Insgesamt zeigt sich in den Diskussionen um die Produktzulassungen immer wieder, daß in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber bestehen, was als 'Schaden' anzusehen ist und inwieweit auch der Verwen-dungszusammhang des Produkts - und nicht nur seine unmittelbaren biologischen

76 Vgl. Levidow et al., S&PP 1996, S. 146. 77 Vgl. Schomberg, S&PP 1996; Levidow/Carr, S&PP 1996; für die Diskussion in Deutsch-

land vgl. Daele et al., Bewertung, 1994; kritisch dazu Gill, Wechselwirkung 1996. 78 Vgl. unten, Kap. 11.3.ff. 79 Es gilt als relativ wahrscheinlich, daß das Resistenzgen des herbizidresistenten Rapses auf

verwandte Wildkräuter übertragen wird.

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Effekte - in Betracht gezogen werden soll.80 Eine deutsche Verwaltungs-vertreterin verweist hier auf das Spannungsfeld zwischen internationalisierter Wissenschaft und partikularisierten Öffentlichkeiten, in dem es letztlich keinen einhelligen Konsens geben kann:

"Die Öffentlichkeit spiegelt sich insofern wider, als die Meinungsvielfalt der Behör-denvertreter eben auf Basis der gesellschaftlichen Verhältnisse entsteht. Wenn man einmal annimmt, daß die Skandinavier z.B. viel sozialer und umweltorientierter als die Italiener sind, beeinflußt die Gesellschaft die Entscheidung, die von der Behörde getroffen wird - aber nicht direkt. Wir haben nun mal heutzutage eine internationale Wissenschaftsgemeinde, und auf dieser Basis müssen wir uns dann auch bewegen. ... Und da muß man sich zusammensetzen und zusehen, daß man auf eine vergleich-bare Einschätzung kommt. Alles, was darauf sattelt, ist dann wieder etwas anderes. Es wird immer nationale Unterschiede geben, heißt das im Klartext. Deshalb besteht Harmonisierungsbedarf." (Int. Nr. 22, S. 30)

Dabei räumen auch die Befürworter der jeweiligen Marktzulassungen gelegent-lich ein, daß nicht alle Sicherheitsfragen abschließend geklärt sind. Im Fall des hr-Rapses von PGS wurde die Marktzulassung von britischen und italienischen Ver-tretern als Genehmigung für ein großflächiges Experiment unter Realbedingungen gerechtfertigt.81 Entsprechend wird diskutiert, hier eine Nachmarktbeobachtung zu installieren, wie sie auch bei Arzneimittelzulassungen üblich ist. Allerdings wurden dazu bisher nirgends verbindliche Festlegungen getroffen.

8.5. Rechtliche und administrative Umsetzung der Freisetzungs-Richtlinie in der Bundesrepublik

8.5.1. Zuständige Behörden

Während in anderen Mitgliedstaaten der EU, in denen Freisetzungen ebenfalls umstritten sind, die Wahl von zuständigen Behörden und wissenschaftlichen Be-ratungsgremien auf Kompromißbildung und Integration abzielte und eine ver-gleichsweise weitgehende Einbindung von Umweltinitiativen vorsieht, wird in Deutschland der gesellschaftliche Konflikt in der Gesetzgebung und im administ-rativen Vollzug perpetuiert. Sichtbar wird dies schon in der ambivalenten Formu-

80 Torgersen hat in einer retrospektiven Studie über konventionell gezüchtete Agrarpflanzen

gezeigt, daß problematische ökologische Effekte ihres Anbaus kaum von ihren biologi-schen Charakteristiken per se herrühren, sondern aus den Kultivierungstechniken resultie-ren, die von den biologischen Eigenschaften allein nur schwach determiniert werden (Tor-gersen, Ecological, 1996).

81 Levidow et al., S&PP 1996, S. 150f.

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lierung des Gesetzesziels, das - wie im Atomgesetz - einerseits den Schutz von Mensch und Umwelt und andererseits die Förderung einer bestimmten Technolo-gie beinhaltet.

Während der Gesetzgebungsdebatte Ende der 80er Jahre übertrug die Bun-desregierung die Zuständigkeit für die Sicherheitsfragen der Gentechnik vom Forschungsministerium auf das Gesundheitsministerium. Dieser Schritt ließ sich zunächst auch sachlich begründen, insofern als der Konflikt damals noch beson-ders stark auf Sicherheitsbedenken gegenüber dem Umgang im Geschlossenen System - und in diesem Diskurskontext vor allem auf Humanpathogenität - fokus-siert war.

Allerdings hätte man aus sachlich naheliegenden Gründen die Zuständigkeit für Freisetzungsfragen auf das Umweltministerium übertragen können. Hier scheint jedoch die Überlegung eine Rolle gespielt zu haben, daß das Bundesge-sundheitsamt den mit der Gentechnik verbundenen wissenschaftlichen und wirt-schaftlichen Interessen näher stand als das Umweltbundesamt.82 Das Bun-desgesundheitsamt war auch von Anfang an für die Betreuung der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit zuständig gewesen, die bei Wissenschaft und Industrie großes Ansehen und Vertrauen genoß,83 und ihre Beratungsfunktion auch auf die nun praktisch relevant werdenden Freisetzungsentscheidungen aus-dehnen sollte.84

Das Umweltbundesamt (UBA) und die Biologische Bundesanstalt (BBA) als nachgeordnete Behörden des Umwelt- und Landwirtschaftsministeriums fungie-ren zwar bei experimentellen Feldversuchen als Einvernehmensbehörden und können insofern ihr Veto einlegen; zuständige Genehmigungsbehörde ist aber das Robert-Koch-Institut (RKI).85 Personell ist die Abteilung für Biologische Sicher-heit im RKI mit ca. 65 Beschäftigten besetzt, in den zuständigen Abteilungen im UBA sind ca. 12 und in der BBA ca. 6 Personen beschäftigt. Das UBA bemüht sich um einen guten Kontakt sowohl zu Umweltgruppen als auch zur Industrie und vertritt in Genehmigungsverfahren eine "von dem Gedanken des vorsorgen-

82 Gottweis, Governing, 1995, S. 353. Fast alle Ämter bilden mit der Zeit relativ enge und

kooperative Beziehungen zu ihren Klienten aus, sofern keine Gegenmaßnahmen getroffen werden. Im Fall des Bundesgesundheitsamts (BGA) führte dies immer wieder zur Skan-dalisierung in der Öffentlichkeit. Der sogenannte Blut-AIDS-Skandal - das BGA hatte zu spät Maßnahmen gegen verseuchte Blutkonserven erlassen - gab letztlich auch Anlaß zu seiner Auflösung und der direkten Unterstellung der Einzelinstitute unter die Aufsicht des Gesundheitsministeriums.

83 Vgl. oben, Kap. 7.2. 84 Vgl. Gill, Gentechnik, 1991, S. 147ff. 85 Vertreter von BBA und UBA bemerken dazu, daß sie teilweise nur unvollständig und

verzögert informiert würden (Int. Nr. 21, S. 4; Int. Nr. 22, S. 22f.); seitens des UBA wird auch geklagt, daß Einwände manchmal ohne nähere Begründung übergangen würden.

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den Umweltschutzes geleitete" Position, die sich teilweise in der Forderung nach zusätzlichen Auflagen niederschlägt.86 Auch die BBA gilt im allgemeinen als etwas kritischer gegenüber den Genehmigungsanträgen als das RKI.87 Für die Überwachung der Freisetzung sind die Länderbehörden zuständig, die diese Auf-gabe aufgrund ihrer Ortsnähe besser ausführen können.88

8.5.2. Umsetzung des Step-by-step-Verfahrens in der Bundesrepublik

Das deutsche Gentechnikgesetz wurde 1990, also vor Inkrafttreten der Freiset-zungs-Richtlinie, verabschiedet. Es fokussiert daher wesentlich stärker auf die damals im Vordergrund stehende Diskussion über den Umgang im Geschlossenen System, also insbesondere auf die Anlagengenehmigung,89 zumal bei seiner For-mulierung offenbar vielfach das Bundesimmissionsschutzgesetz als Vorlage dien-te. Entsprechend sind im Gentechnikgesetz die experimentelle Freisetzung und die Marktzulassung ('Inverkehrbringen') - im Unterschied zum Umgang mit trans-genen Organismen im Geschlossenen System - nur relativ schwach pro-grammiert.90 Eine Abfolge der Schritte im Sinne des Step-by-step-Prinzips ist nicht definiert.91

Betrachtet man den Ablauf der Genehmigungsverfahren in der Bundesrepublik genauer, dann fällt auf, daß die Auseinandersetzungen hier noch weitgehend auf die Frage bezogen sind, ob bei den einzelnen kleinräumigen Feldversuchen trans-gene Erbinformationen auf andere Organismen übertragen werden können. Ent-sprechende Aufmerksamkeit wird auf das Confinement, also den Einschluß der Feldversuche, gelegt. Kaum in Betracht gezogen wird dagegen die weitere Per-spektive der Entwicklung, bei der es eigentlich darum geht, Informationen zu gewinnen, um festzustellen, ob man für den transgenen Organismus schließlich eine Marktzulassung erteilen kann oder nicht.

86 Int. Nr. 22, insb. S. 14f. 87 Int. Nr. 21, S. 3. 88 Vgl. auch oben, Kap. 5.6.3. 89 Vgl. Drescher, ZUR 1994. 90 Vgl. im einzelnen oben, Kap. 5.3.2, 5.4.2, 5.4.3. 91 Die EG-Kommission hat in einem Mahnschreiben zur Umsetzung der Gentechnik-

Richtlinien moniert, daß das deutsche Gentechnikgesetz ein gestuftes Verfahren nicht zwingend vorschreibt. Die Bundesregierung antwortete darauf, daß das Step-by-step-Prin-zip in den Erwägungsgründen der Richtlinie 90/220 zwar mehrfach angesprochen werde, aber in den Artikeln der Richtlinie selbst nicht umgesetzt sei (Schreiben der EG-Kommis-sion vom 6.8.1992, Nr. SG (92) D/10908, und Stellungnahme der Bundesregierung vom 7.10.1992; vgl. auch oben, Kap. 5.3.2., insb. Fn. 37).

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"Also ich habe auch mal mit dem RKI ein kurzes Gespräch gehabt und habe gefragt, liebe Leute, wenn wir diese Genehmigung aussprechen, dann sollten wir doch sa-gen, was wir an Zusatzinformationen noch brauchen, um auch bei größeren Frei-setzungen oder der Kommerzialisierung mit gutem Gewissen ja sagen zu können. Und das ist dann eigentlich nicht [aufgenommen worden] ... Sowas gehörte nicht in den Genehmigungsbescheid eines begrenzten Feldversuches. ... Ich denke, das ist auch von uns, insgesamt von den Behörden, nicht wirklich konsequent durchdacht." (Int. Nr. 21, S. 40f.)

Ähnliches wird aber auch für andere Mitgliedstaaten der EG konstatiert. Ein An-tragsteller kommentiert: "One could say that, so far, the step-by-step procedure focused more on the safety of the step to be taken, than on the preparation of future steps."92

Theoretisch ist es nach dem Gentechnikgesetz sogar möglich, daß ein An-tragsteller die Vermarktung beantragt, ohne daß experimentelle Freisetzungen vorausgegangen sind. Außerdem zeigt eine nähere Betrachtung des deutschen Gesetzestexts, daß die Marktzulassung gegenüber der Freisetzung prozedural deutlich erleichtert ist: - Es gibt bei der Entscheidung über das Inverkehrbringen auf nationaler Ebene

keinerlei Informations-, Beteiligungs- und Klagerechte für die Bürger - im Un-terschied zu den relativ weitgehenden Verfahrensrechten bei der experi-mentellen Freisetzung.93

- Bei der Freisetzung sind das Umweltbundesamt und die Biologische Bundes-anstalt Einvernehmensbehörden, beim Inverkehrbringen müssen sie lediglich gehört werden. Im GenTG alter Fassung war die Biologische Bundesanstalt noch Einvernehmensbehörde bei der Marktzulassung. Im Zuge der Verhand-lungen um die Novellierung des Gentechnikgesetzes hatte auch das Umwelt-bundesamt diese Stellung beansprucht, konnte sich damit jedoch nicht durch-setzen. Nach der nunmehr geltenden Rechtslage müssen beide Behörden nur noch gehört werden.94

- Beim Inverkehrbringen wird die Zuverlässigkeit des Antragstellers nicht ge-prüft.

- Eine ohne Genehmigung erfolgte Freisetzung ist strafbar, während eine ohne Genehmigung erfolgte Vermarktung lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet wird.95

92 Rüdelsheim, Does, 1995, S. 29; Rüdelsheim ist Vertreter der belgischen Firma Plant Gene-

tic Systems. 93 Gill, Germany, 1995, S. 29. Allerdings sind diese durch das 1. Gentechnik-Änderungs-

gesetz bereits erheblich zurückgenommen worden, im einzelnen dazu oben, Kap. 5.10. 94 Vgl. Int. Nr. 21, S. 1f. 95 Vgl. oben, Kap. 5.10.2.

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Diese Bewertung scheint sich zum Teil aus der ursprünglichen Vorstellung zu erklären, daß zwar die ersten Freisetzungen mit großen Unsicherheiten verbunden wären, man aber im Zuge des schrittweisen Verfahrens alle Ungewißheiten abklä-ren könnte, so daß die Marktzulassung auf sicherer Wissensgrundlage erfolgen könnte.96 Wie die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Marktzulassun-gen zeigen, konnte diese Hoffnung allerdings nicht eingelöst werden.

Diese Unterschiede, die in der öffentlichen und fachwissenschaftlichen Dis-kussion unseres Wissens nach bisher nirgends kommentiert wurden, erscheinen als nicht sachgerecht, weil die Vermarktung die weitestgehende Verbreitung von transgenen Organismen darstellt und deshalb u.U. weit größere Risiken mit sich bringt als eine lokal begrenzte experimentelle Freisetzung. Auch verfas-sungsrechtlich ist nicht einsichtig, wieso eine in der Regel kommerzielle Tätigkeit gegenüber der auf Wissensgenerierung abhebenden experimentellen Freisetzung privilegiert wird.97

In der Praxis dürfte allerdings eine Marktzulassung ohne jegliche experi-mentelle Absicherung im Vorfeld kaum zu erlangen sein, weil das Step-by-step-Prinzip de facto über den Umfang der von der Zulassungsbehörde jeweils ver-langten Daten realisiert wird. Das Robert-Koch-Institut bemerkt dazu:

"Grundsätzlich wird EU-Recht auf nationaler Ebene sinngemäß angewandt. Das RKI ist der Route des 'step by step' stets gefolgt. Es liegt in der Natur der moleku-largenetischen Verfahren, daß Freisetzungen immer gentechnische Arbeiten in La-boratorien vorausgehen. Ebenso ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die für ein Inverkehrbringensverfahren notwendigen Daten vorherige Freisetzungen bedin-gen."98

Das RKI behauptet auch, daß auf diese Weise alle Ungewißheiten auszuschließen seien:

"Es werden alle sicherheitsrelevanten Aspekte nach Antragseingang gemäß den nach Gentechnikrecht vorgegebenen Kriterien geprüft und bewertet. Es sind daher keine gentechnisch-rechtlichen Schäden aufgetreten und auch nicht zu erwarten." (Brief vom 7.6.1995 an den Autor, B.G.)

Die ungewißheitsbasierte Regelung des Gentechnikgesetzes wird hier als eine erfahrungsbasierte Regelung mißverstanden. Nur so können die getroffenen Ent-scheidungen als eindeutig und frei von normativen Bewertungsspielräumen darge-stellt werden. Tatsächlich scheinen aber bei den Einvernehmensbehörden Ambi-valenzen darüber zu bestehen, wie das Step-by-step-Prinzip im Rahmen des deut-schen Gentechnikgesetzes gehandhabt werden kann. Denn einerseits eröffne das

96 Int. Nr. 22, S. 15. 97 Zum Forschungsprivileg vgl. oben, Kap. 4.4. 98 Brief vom 7.6.1995 an den Autor (B.G.); vgl. Int. Nr. 22, S. 15 ff; vgl. Int. Nr. 21, S. 26ff.

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im Gesetzesziel statuierte Vorsorgeprinzip - so eine Verwaltungsvertreterin - relativ große Ermessensspielräume, während andererseits die konkreteren Be-stimmungen zur Freisetzung eine 'gebundene Entscheidung' forderten, also kein Versagensermessen vorsähen.99 Eine Zustimmung muß also erteilt werden, wenn nach dem Stand der Wissenschaft keine schädlichen Einwirkungen auf Mensch und Umwelt zu erwarten sind.

In der Praxis bedeutet das nach Auffassung eines anderen Verwaltungsver-treters, daß alle Risiko-Szenarien, die konkret vorstellbar sind und im Feldver-such getestet werden können, auch getestet werden müssen, während darüber hinaus verbleibende Ungewißheiten hinzunehmen sind.100 Insgesamt scheint aber Unklarheit darüber zu bestehen, was man nun tatsächlich in den Feldversuchen selbst oder im Rahmen begleitender Sicherheitsforschung testen könnte und was nicht. Denn einmal konstatiert der Interviewpartner, daß wichtige Fragestellungen bisher nicht verfolgt wurden:

"Es gibt einige Risikoszenarien, von denen behauptet wurde, daß sie bearbeitet wür-den, die werden eben nicht bearbeitet. Also ob die neuen Produkte jetzt eine größere Ausbreitungsfähigkeit oder größere ökologische Fitneß haben, das wird nur an we-nigen Stellen, ich möchte fast sagen, an fast keiner Stelle, wirklich ernsthaft unter-sucht ... [Transgen erzeugte Insektenresistenz], das wäre im Prinzip ein ökologischer Vorteil; wenn man dieses Risikoszenario ernst nähme, müßte man es wirklich gut untersuchen, das macht aber keiner. Und wir haben uns bisher auch nicht dazu durchgerungen, diese Art von Untersuchungen zur Bedingung zu machen bei Frei-setzungen." (Int. Nr. 21, S. 15f.)

99 Int. Nr. 22, S. 17ff. 100 Interviewer: "Es gibt kein Versagensermessen, wenn nach Stand der Wissenschaft keine

schädlichen Folgen zu befürchten sind. Das heißt doch eigentlich, daß der Antragsteller nicht verpflichtet ist, selber zum Stand der Wissenschaft beizutragen, indem er eigene Si-cherheitsforschung, eigene Begleitforschung, eigene Vorversuche unternimmt?" Verwaltungsvertreter: "Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. So auf Knopf und Spitze ist es bisher noch nicht gekommen. Aber ich denke, so muß man das wahrschein-lich interpretieren. Nach dem Stand der Wissenschaft ... den hat er nicht zu befördern, sondern auf dem hat er aufzubauen seinen Antrag. Also ich denke, das würden wir darauf ankommen lassen. Wenn wir in irgendeinem Punkt einen Forschungsbedarf sehen würden, weil wir Risikoszenarien haben, über die man unvollkommen Bescheid weiß, würden wir, denke ich, auch die entsprechenden Untersuchungen anfordern." Interviewer: "Und das Risikoszenario wäre etwas, was in einem Versuch, also einem na-turwissenschatlichem Experiment, zu überprüfen wäre?" Verwaltungsvertreter: "Ja, wenn es das wäre. Wenn es das nicht wäre, dann müßten wir wohl genehmigen." Interviewer: "Also so allgemeine Ungewißheiten sind kein Einwand?" Verwaltungsvertreter: "Sind kein Einwand. Das würde ich auch so sehen, sonst dürfte ich, denke ich, nicht auf so einer Stelle wie dieser hier arbeiten." (Int. Nr. 21, S. 26f.).

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Die gegenwärtige Sicherheitsforschung verfolge überwiegend Fragestellungen, bei denen noch die Übertragbarkeit der Transgene auf andere Organismen im Vordergrund stünde. Das sei zwar im Sinne von Grundlagenforschung sehr inte-ressant, und finanziert werde es vor allen Dingen, weil die Projektträger hofften, auf diese Weise die Akzeptanz für die Gentechnologie zu erhöhen. Aber die Sor-ge des deutschen Publikums um die Übertragbarkeit von Genen spiele in der internationalen Regulierungsdiskussion sowieso keine besondere Rolle mehr (s.o., Kap. 8.4.). Daher hinke die Sicherheitsforschung den für die Regulation re-levanten Fragestellungen hinterher:

"Die Sicherheitsforschung müßte uns helfen zu beurteilen, ob wir denn die jeweili-gen Freisetzungen genehmigen können oder welche Fragen wir an den Antragsteller spezifisch stellen sollen, was er untersuchen soll, damit wir ihm hinterher auch die Vermarktung erlauben können. Und wenn zu diesen Fragen diese Sicherheitsfor-schung nun wirklich gar nichts beiträgt, dann habe ich erhebliche Probleme damit, sie überhaupt als Sicherheitsforschung anzuerkennen." (Int. Nr. 21, S. 61)

Die Ungewißheiten im Hinblick auf Langzeitwirkungen werden dabei auch von einer anderen Behördenvertreterin als groß eingeschätzt:

"Keiner würde sich heute wirklich hinstellen und sagen, er kann Langzeitwirkungen feststellen. Wir können auf der Grundlage des heutigen Wissens eindeutige, direkte Risiken bei den Freisetzungen rausfiltern und können z.T. einschätzen, wo Fehlent-wicklungen entstehen können und wie diesen vorzubeugen wäre. Aber diese Grau-zonen bis hin zur wirklichen Risikofreiheit, die haben wir nicht im Griff. Das müs-sen wir ehrlicherweise auch sagen." (Int. Nr. 22, S. 19)

Bei dem Feldversuch mit Petunien in Köln wurde festgestellt, daß die Pflanzen überraschenderweise eine erhöhte Pilzresistenz aufwiesen.101 Welche Beobach-tungsauflagen schließlich gemacht werden, werde dann mehr oder minder kon-fliktvoll zwischen den Einvernehmensbehörden ausgehandelt. Während das RKI nach außen den Eindruck zu vermitteln versucht, es gäbe hier für alle Entschei-dungen klare rechtliche und wissenschaftliche Vorgaben, wird von den Vertretern der Einvernehmensbehörden eingeräumt, daß die Verwaltung hier auch eigenen Wertvorstellungen folgt:

"Das läuft dann eben in den Behörden ab. Es gefällt mir nicht, daß von Behörden dann leicht behauptet wird, daß das alles eine rein wissenschaftliche Entscheidung sei. Um sich unangreifbar zu machen, wird das ja leicht so dahingestellt. Das ist, denke ich, schlicht nicht wahr. Irgendwo hat man ein gewisses Maß an Unsicher-heit. In diesem Maß an Unsicherheit entscheidet man sich für die eine oder andere Seite." (Int. Nr. 21, S. 21f.)

101 Bergschmidt, Comparative, 1995, Annex II.

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Ambivalenzen scheinen aber nicht nur in den Behörden, sondern auch auf rechts-politischer Ebene zu bestehen. Das Gentechnikgesetz sieht eine Verord-nungsermächtigung zur Genehmigung von Feldversuchen in einem vereinfachten Verfahren vor, die auf die EG-Richtlinie Bezug nimmt (§ 14 Abs. 4 GenTG). Von dieser Verordnungsermächtigung wurde bisher kein Gebrauch gemacht, obwohl das vereinfachte Verfahren 1994 von der Kommission etabliert wurde, Deutsch-land von Anfang an daran teilnahm und der AgrEvo eine Genehmigung für Feld-versuche nach diesem Verfahren erstmals 1996 erteilt wurde (Antrag Gaußig).

Auf EG-Ebene wirkt es auch irritierend, daß die Bundesrepublik im Inland die von der Richtlinie eröffneten Freiräume nur langsam ausschöpft,102 aber bereits seit 1993 bei der EG-Kommission auf eine gesetzliche Novellierung der Richtli-nie drängte. Ein deutscher Behördenvertreter erklärt zu den Hintergründen:

"Das kommt daher, daß man in Brüssel bessere Beziehungen und bessere Kontakte hat. Das ist hier zuhause schwieriger durchzusetzen als in Brüssel. Ich denke, auch Industrievertreter finden in Brüssel eher ein offenes Ohr als sie das an manchen Stellen hier finden. Stellenweise ist das tatsächlich lächerlich, wenn wir uns als Land, das fast noch gar keine Erfahrungen mit Freisetzungen hat, dann für die große Vereinfachung dort einsetzen. Das wird übrigens auch von den Nachbarländern re-gistriert, daß das ein Versuch ist, über Brüssel in das Heimatland rückzuwirken."103

8.6. Feldversuche in der Bundesrepublik

Im Enquête-Bericht des Deutschen Bundestages zur Gentechnik wurde 1986 ein fünfjähriges Freisetzungsmoratorium für Mikroorganismen gefordert.104 Wie auch an den gereizten Reaktionen von Wissenschafts- und Industrieverbänden erkenn-bar wurde, war 'Freisetzung' damit auch in der Bundesrepublik zum Thema ge-worden, noch bevor es konkrete Vorhaben in diese Richtung gab. Der erste Frei-setzungsversuch in der Bundesrepublik wurde schließlich 1990 vom Kölner Max-Planck-Institut vorgenommen, allerdings mit Pflanzen, von denen man generell annimmt, daß sie sich weniger leicht unkontrolliert verbreiten können als Mikro-organismen.

Der erste Versuch, der von der Fachwelt als völlig harmlos eingeschätzt wur-de, stieß auf ein starkes Medienecho. Schwierigkeiten ergaben sich schon bei der Vorbereitung der öffentlichen Anhörung, weil die Stadt Köln dem Amtshilfeersu-

102 Insbesondere wurde bisher - anders als in anderen Mitgliedstaaten - keine 'fast track

procedure' etabliert (vgl. Fn. 137 in diesem Kapitel). 103 Int. Nr. 21, S. 59. Vgl. zu dieser Passage oben, Kap. 3.2.3. 104 Catenhusen/Neumeister, Chancen, 1987, S. XLVI.

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chen des RKI nur schleppend nachkam - sie wollte keine Räume und Personal zur Verfügung stellen - und sich dadurch prozedurale Fehler bei der Auslegung der Genehmigungsunterlagen ergaben.105 Dieser Zwischenfall erscheint insofern symptomatisch, als er auf eine weit in die öffentlichen Institutionen hineinrei-chende Skepsis hinzudeuten scheint. Die erste Erörterungsveranstaltung mußte wegen Tumulten vertagt werden, zur zweiten waren die Freisetzungskritiker nicht mehr erschienen, weil sie diese als 'Farce' ansahen.

Die Petunien wurden schließlich trotz der Sitzblockade einer Bürgerinitiative freigesetzt, blühten aber überraschenderweise nicht in den vorgesehenen, trans-gen erzeugten Farben. Dies wurde in der Öffentlichkeit zum Teil als Hinweis gewertet, daß die Wissenschaftler entgegen ihren Ankündigungen eben doch nicht alles im Griff haben, und daß in anderen Fällen vielleicht auch mit weniger harmlosen Ereignissen zu rechnen sei.106 Ein Behördenvertreter erklärte denn auch im Interview, daß schon aus Laborversuchen bekannt gewesen sei, daß die Blütenfarbe nicht homogen ausgeprägt werde und daß es daher - im Hinblick auf die öffentliche Darstellung - 'verantwortungslos' und 'dumm' gewesen sei, mit den Pflanzen damals ins Freiland zu gehen.107

Es gab schon seit längerer Zeit in der Gentechnik-Community Diskussionen darüber, wer mit den Versuchen nun endlich beginnen würde und welche trans-genen Eigenschaften in der Öffentlichkeit - anders als die schon damals kontro-vers diskutierten Herbizidresistenzen - am wenigsten Kritik zu gewärtigen hät-ten.108 Es ist also offenbar kein Zufall, daß in der Bundesrepublik zunächst wis-senschaftliche Institute (MPI Köln, IGF Berlin) und ein Saatgutunternehmen mit guter öffentlicher Reputation (KWS/Planta) mit den Freisetzungsversuchen be-gonnen haben, bevor Hoechst/AgrEvo, als ein Unternehmen mit weniger gutem 'Image', nachzog (vgl. Tabelle 1).

105 Vgl. die entsprechende Akte zum Genehmigungsverfahren, S. 636ff. 106 Vgl. Lau, Risikokonflikt, 1997. 107 Int. Nr. 21, S. 53. 108 "Es war schon die Stimmung so: 'Ich mach mir die Finger da nicht schmutzig, sollen es

doch andere machen, einer muß ja einmal anfangen'. ... Die haben die Petunie ausgewählt, weil man gehofft hat, daß dagegen niemand etwas haben könnte. Eine Pflanze, die bei uns draußen nicht überleben kann, die normalerweise überhaupt nicht draußen ist, wo man einfach mal zeigt, das wächst normal, und sie hat die Eigenschaft, die man ihr beigebracht hat, das war das Ziel damals." (Int. Nr. 12, S. 27.). In einem anderen Interview wird auch berichtet, daß Hoechst ein öffentliches Forschungsinstitut regelrecht gedrängt habe, die von dem Unternehmen entwickelten herbizidresistenten Pflanzenlinien zunächst im Rah-men der Sicherheitsforschung freizusetzen (Int. Nr. 21, S. 51ff.).

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Tabelle 1: Genehmigte Feldversuche in der Bundesrepublik Deutschland Anzahl Antragsteller Organismus Veränderung SF109

1990 1 MPI Köln Petunie Blütenfarbe 1991 1 MPI Köln Petunie Blütenfarbe 1992 4 IGF Berlin (2) Kartoffel größere Knollen, Stärkegehalt Uni Hamburg Kartoffel Krankheitsresistenz KWS/Planta Zuckerrübe Virusresistenz 1993 1 TU München Mais, Raps Herbizidresistenz SF 1994 7 AgrEvo (5) Mais, Raps Herbizidresistenz MPI Köln Kartoffeln Virusresistenz Uni Bielefeld Rhizobien Markergen SF 1995 10 AgrEvo (6) Mais, Raps, Herbizidresistenz Zuckerrübe Herbizidresistenz KWS/Planta Zuckerrübe Virusresistenz RWTH Aachen Zuckerrübe Virusresistenz SF Uni Hohenheim Mais Herbizidresistenz SF Vander Have Mais Herbizidresistenz

Offenbar hatte man auch erwartet, daß mit der Zeit und der zunehmenden Zahl das öffentliche Interesse und mit ihm der Widerstand gegen die Feldversuche erlahmen würde. Soweit es die Berichterstattung in den überregionalen Medien anbetrifft, ist dieser Effekt tatsächlich auch eingetreten. Allerdings haben die Feldversuche in vielen betroffenen Gemeinden ein erstaunlich starkes und weit in 'bürgerliche Kreise' hineinreichendes lokales Widerstandspotential geweckt. Die Akzeptanz für die Freisetzung transgener Pflanzen ist, einer repräsentativen Um-frage zufolge, von 1992 bis 1997 noch einmal deutlich gesunken.110 Die Formen des Protestes reichen von einer häufig sehr hohen Zahl von schriftlichen Einwen-dungen über wissenschaftliche Diskussionen, moralisierende Vorhaltungen wie auch regelrechte Beschimpfungen bei den Erörterungsveranstaltungen (solange es diese noch gab) bis hin zu gerichtlichen Klagen von Gemeinden und ortsansässi-gen Bio-Bauern. Darüber hinaus kam es zu vielen Feldbesetzungen - zum Teil in regelrechten Dauercamps - und häufig zur Zerstörung der ausgesäten Pflanzen.111

Die anfangs relativ geringe Zahl von Freisetzungen in der Bundesrepublik ist daher wohl kaum auf eine besonders restriktive Haltung der Behörden zurück-

109 SF: Sicherheitsforschung 110 TAB-Brief Nr. 12, Juni 1997, S. 17f. 111 Vgl. die laufende Berichterstattung im Gen-ethischen Informationsdienst (GID).

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zuführen, sondern - von eher endogenen Gründen abgesehen -112 durch die Auf-merksamkeit in der Öffentlichkeit und die Antizipation lokaler Proteste bedingt. Manche Wissenschaftler beklagen sich zwar auch hier - wie in anderen Bereichen der Gentechnik - über die Bürokratisierung (vgl. Kap. 7). Aber gerade in EG-Ländern, in denen bereits viele Freisetzungen durchgeführt wurden, wie nament-lich Frankreich und den Niederlanden, werden Auflagen gemacht, die in der Bun-desrepublik nicht üblich sind.113

Es ist den Behörden in der Bundesrepublik allerdings viel weniger als in ande-ren EG-Ländern gelungen, Antragsteller und Kritiker in vernünftige Dialoge ein-zubinden und damit zugleich in der Öffentlichkeit den Eindruck einer verantwor-tungsbewußten Vorgehensweise zu vermitteln. Das liegt sicher zum Teil an den festgefahrenen Haltungen der Kontrahenten. Man hat aber bisher auch keine ge-eigneten Formen einer konstruktiven Konfliktaustragung installiert, in denen die Konfliktparteien Einfluß auf die Genehmigungsprozeduren ausüben und sich über die Entwicklung gesellschaftlich akzeptabler Produkte verständigen könnten.114 Diese Situation wird durch den eng an 'Recht' und 'Wissenschaftlichkeit' gebun-denen, mithin wenig partizipationsfreundlichen Verhandlungsstil des RKI - wie er auch in den Erörterungsveranstaltungen zum Tragen kam - nicht überwunden, sondern eher verstärkt.115

8.7. Fallbeispiel: Ein Freisetzungsversuch in Deutschland

In einem von uns näher untersuchten Freisetzungsversuch konnten wir im Detail einige der Ambivalenzen der ungewißheitsbasierten Regulierung nachvollziehen.

112 Die Gründe dürften auch in der zögerlichen Innovationsbereitschaft der (Groß-)Industrie,

mangelndem Risikokapital sowie fehlender Unterstützung durch ökonomische Eliten zu finden sein; vgl. dazu oben, Kap. 7.3.2. und 8.3.

113 Frankreich verlangt besonders saubere gentechnische Konstrukte, die durchsequenziert sein müssen und keine überflüssige DNA enthalten sollen. Begründet wird das damit, daß die überflüssige DNA nicht-intendierte Effekte hervorrufen könnte, weil sie eventuell doch Funktionen hat, die man heute noch nicht kennt. In den Niederlanden wird ein rela-tiv sorgfältiges Monitoring der Feldversuche verlangt (vgl. Bergschmidt, Comparative, 1995). Im übrigen waren in den USA am Anfang die bürokratischen Auflagen mindestens genauso streng wie in der EG (vgl. Krimsky, Biotechnics, 1991; Int. Nr. 21, S. 53).

114 Die Einbindung von Umweltschutzvertretern in der ZKBS ist gescheitert, weil diese ihre Mitwirkung dort als nutzlos ansahen (vgl. Kap. 7.2.). Die mündlichen Erörterungstermine (vgl. Kap. 5.10), die bis zur Gesetzesnovellierung von 1993 Verfahrensbestandteil waren, sind dieser Hinsicht keine geeigneten Foren. Daß sie aber ersatzlos gestrichen wurden, wird von vielen im Nachhinein bedauert.

115 Vgl. Gill, Germany, 1995, S. 37ff.

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Bei dem Versuch handelt es sich um ein Projekt zur Sicherheitsforschung, das von öffentlich finanzierten Wissenschaftseinrichtungen durchgeführt wird und bei dem von kooperierenden Arbeitsgruppen die Ausbreitung und Übertragbarkeit des Pollens, die Übertragbarkeit transgener Erbinformation auf Bodenmikroor-ganismen und der Abbau der transgenen Erbinformation während der Verrottung untersucht werden sollte. Gearbeitet wird mit herbizidresistenten Pflanzen u.a. deshalb, weil sich hier eine Genübertragung relativ einfach nachweisen läßt.116

8.7.1. Fixierung auf das Confinement

Obwohl es sich um einen Versuch zur Sicherheitsforschung handelt, mußte das Projekt wie jeder andere Freisetzungsversuch von den Behörden genehmigt wer-den. Dabei äußern sich die Antragsteller sehr wohlwollend über den Kontakt zur Genehmigungsbehörde:

"Die Kontakte zum RKI waren immer gut. Die Leute vom RKI waren sehr offen und pflegten auch einen sehr netten und freundschaftlichen Ton, als wir in Berlin waren. Sie haben uns darauf hingewiesen, was da im Antrag stehen muß und welche Nachweise wir brauchen usw." (Int. Nr. 14, S. 41)

Die erste Fassung des Antrags wies einige Mängel auf und wurde nicht akzep-tiert. Zwei Monate später konnte mit einer zweiten Fassung das Verfahren eröff-net werden. Bei den Sicherheitsauflagen ist die Genehmigungsbehörde im we-sentlichen den Vorschlägen des Antragstellers gefolgt.117 Der Genehmi-gungsbescheid enthält Auflagen, die die Ausbreitung von transgenem Pollen und Saatgut verhindern sollen.

Gegen das Projekt wurden 18.000 Einwendungen erhoben, davon ca. 90 Pro-zent aus der näheren Umgebung.118 Das Freisetzungsareal befindet sich in den noch teilweise ländlichen Einzugsgebieten einer Großstadt. In den umliegenden Gemeinden leben vor allem Angehörige der Mittelschicht, die überwiegend in der Stadt arbeiten.119 Für den mündlichen Erörterungstermin wurde eine große Halle

116 Alle Organismen, die das Gen für die Herbizidresistenz aufgenommen haben und expri-

mieren können, werden dadurch (theoretisch) selbst herbizidresistent. Man kann diese Organismen also relativ leicht auffinden, indem man entsprechende Proben mit dem Her-bizid besprüht - überleben würden das (wahrscheinlich) nur Organismen, die transformiert worden sind.

117 Int. Nr. 12, S. 50. 118 Mehrere Umwelt- und Naturschutzverbände sammelten in den Gemeinden Unterschriften

für Sammeleinwendungen, zum Teil handelte es sich aber auch um individuell begründete Stellungnahmen.

119 Int. Nr. 11, S. 7.

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mit 1100 Plätzen angemietet;120 bis zu zweihundert Zuhörer nahmen an der Ver-anstaltung teil. Sie dauerte zunächst vier Tage und mußte dann einen Monat spä-ter erneut für drei Tage anberaumt werden. In mehreren Gemeinderäten gab es Entschließungen gegen das Projekt. Der Bürgermeister einer Nachbargemeinde attackierte den Versuch mit allen zu Gebote stehenden verwaltungsrechtlichen Mitteln. Mehrere kleinere Demonstrationen begleiteten den Verlauf des Experi-ments. In einem prall gefüllten Aktenordner hat der Leiter des Versuchsguts die Artikel und Leserbriefe gesammelt, die überwiegend in der Lokalpresse über und vor allem gegen den Versuch geschrieben wurden.

In unseren Interviews zeigen sich die Mitglieder der für den Feldversuch un-mittelbar verantwortlichen Arbeitsgruppe von den öffentlichen Protesten weitge-hend unberührt. Obwohl sie zum Teil in der Nähe des Versuchsfelds wohnen, sei ihr privates Umfeld davon kaum tangiert worden. Verärgert sind sie allerdings wegen der Verwüstungen, die wiederholt auf den Versuchsfeldern angerichtet wurden. Denn dadurch werde insbesondere die biostatistische Auswertung des im Detail auch mühevollen Experiments beeinträchtigt, wenn nicht unmöglich ge-macht.

Schwer getroffen fühlten sie sich auch durch eine Anzeige, die ein Natur-schutzverband erstattet hatte, nachdem die Aussaat nicht, wie gesetzlich vorge-schrieben, mindestens drei Tage, sondern nur einen Tag vor dem Termin der zuständigen Kontrollbehörde gemeldet worden war:

"Da hat jeder gezittert am Institut. Als dann wirklich Anzeige erstattet worden ist, war Herr X. schon ziemlich deprimiert. ... Herr X. hat schon mit dem Schlimmsten gerechnet, mit einer hohen Geldstrafe oder so etwas, und Herr Y. natürlich auch, weil er als Projektleiter dann doch die Verantwortung hat, obwohl er mit der Aus-saat überhaupt nichts zu tun hatte." (Int. Nr. 15, S. 73)

Aufgrund der problematischen Wetterlage habe man sich kurzfristig zur Aussaat entschlossen, rechtfertigten sich die Arbeitsgruppen-Mitglieder. Da es sich bloß um einen formalen Verstoß handelte, sah die zuständige Behörde vom Erlaß eines Bußgeldes ab. Die psychologische Wirkung allein der Anzeige, über die auch breit in der Lokalpresse berichtet wurde, ist jedoch kaum zu unterschätzen.

An dieser Episode wird exemplarisch und zugespitzt ein Synergieeffekt zwi-schen gesetzlicher Regulierung und öffentlicher Beobachtung deutlich, der zu-mindest teilweise erklärt, warum sich deutsche Genforscher stärker reglementiert fühlen als ihre Kollegen im Ausland. Jedenfalls achten die Mitglieder der betrof-fenen Arbeitsgruppe nun sehr stark darauf, vor allem die formalen Auflagen pein-lich genau zu erfüllen, auch wenn ihr Sinn ihnen durchaus zweifelhaft erscheint:

120 Wenn die Halle zu klein gewesen wäre, hätte dies einen Verfahrensfehler dargestellt.

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"Wir haben solche Schilder hier. Das ist ein Originalschild, nicht klein, sondern soo groß. ... Aber weil man uns zur Auflage macht, daß wir die ganze Fläche mindestens in einem Abstand von 20 Metern mit diesen Schildern, bei denen die Größe und al-les vorgeschrieben ist, markieren müssen, sieht heute das Feld draußen irgendwie verrückt aus. Wenn da einer entlang marschiert, und ein Weg geht ja 10 Meter ne-ben dem Versuchsfeld entlang, und sieht alle 20 Meter auf der Länge hier sieben solcher Schilder, wo immer dasselbe obensteht ... Daß das ausgezeichnet werden muß, dafür habe ich Verständnis, aber daß ich das so oft auszeichnen muß ... ? Das ist eine der Auflagen!" (Int. Nr. 14, S. 34)

Absurd erscheinen den Mitgliedern der Arbeitsgruppe die Auflagen - die sie selbst nur aus Opportunitätsgründen vorgeschlagen hatten -, weil sie in ihrem eigenen Versuch keinerlei Risiken sehen. Wenn das Gen für Herbizidresistenz übertragen würde - was man untersuchen will -, würde es diesen Organismen keine besonderen Selektionsvorteile verschaffen, außer auf Ackerflächen, die mit dem Komplementärherbizid behandelt worden sind. Und dort könne man sie immer noch mit einem anderen Herbizid entfernen.

Unverhältnismäßig erscheinen ihnen auch die peniblen Kontrollen bei der Frei-setzung, verglichen mit der laxen Handhabung der herkömmlichen Bestimmungen zur Vorbeugung gegen Pflanzenkrankheiten:

"Die Bestimmungen sind gleich streng, aber der Kontrollaufwand mit dem Gentech-nikgesetz ist im Augenblick viel höher. ... Wenn Sie den Austausch von Pflanzen-pathogenen betrachten, was da über die Grenze rollt jeden Tag, und wo nur ein paar Dienststellen ab und zu einmal ein paar Stichproben nehmen aus dem Handelsgut. ... Von den Fachleuten gibt heute jeder zu, daß man die Einfuhr von Pflanzenpatho-genen nicht mehr verhindern kann, nicht in Deutschland; in Australien vielleicht noch - die sind noch sehr viel strenger. Wenn Sie nach Australien kommen, müssen Sie alle Taschen umkrempeln, ob da nicht ein falsches Saatkorn drin ist, an dem ein Pilz sein könnte. Bei uns ist das Routine, außer wenn man verhindern will, daß Obst aus Italien reinkommt, dann machen sie das nach Vorschrift und dann stoppt der Verkehr. Die Vorschriften, wenn sie die anwenden würden, sind mindestens so streng wie bei der Gentechnik auch, aber sie wurden in der Routine längst abge-flacht." (Int. Nr. 12, S. 39f.)

Verschärft werden die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Auflagen noch dadurch, daß etwa zeitgleich mit dem Versuchsbeginn in der EG ein Vermarktungsantrag gestellt wurde - für die gleiche Pflanzenart, die gegen dasselbe Herbizid resistent ist. Die Marktzulassung - sie ist nach Abschluß der Interviews erfolgt - würde bedeuten, daß praktisch die gleichen Pflanzen, die man in diesem Versuch unter peinlicher Quarantäne halten muß, überall in der EG ohne Genehmigung angebaut werden können:

"Die Entwicklung geht weiter, und was wir nicht machen, machen andere. Das Ver-rückte ist ja, daß innerhalb der EU hier unterschiedliche Gesetze herrschen. Weil

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innerhalb der EU ein freier Saatgutverkehr garantiert ist, ist es sowieso ziemlich hirnverbrannt, wenn wir hier jetzt riesiges Theater machen." (Int. Nr. 14, S. 51)

Auch für die Versuchsgegner ergaben sich Konsistenzprobleme, als sie von dem Zulassungsantrag erfuhren. Die vor Ort gegründete Bürgerinitiative blieb zwar bei ihrer ablehnenden Haltung, änderte aber die Begründung. Sie forderte die For-schungsinstitutionen auf, den Versuch abzubrechen, weil er nun 'überflüssig' ge-worden sei. Der Bürgermeister, der so vehement gegen den Versuch gekämpft hatte, regte dagegen an, die Marktzulassung in Brüssel wenigstens solange zu blockieren, bis das vor Ort laufende Sicherheitsexperiment abgeschlossen sei.

8.7.2. Akzeptanz- oder Sicherheitsforschung?

Erstaunlich ist, daß die Arbeitsgruppe trotz des Beobachtungsdrucks, dem sie ausgesetzt ist, überhaupt eingewilligt hat, uns in so detaillierter Form Auskunft zu geben. Aber diese Offenheit gehört zum Programm des Freisetzungsversuches, das uns der Chef der Arbeitsgruppe ausführlich erläuterte:

"Es ging darum, daß man in Deutschland die Biotechnologie, z.B. im Sektor der Pflanzenzüchtung, nicht noch weiter zurückfallen läßt. Ein ganz wichtiges Problem ist ja dabei, daß die Akzeptanz in der Öffentlichkeit nahe dem Nullpunkt lag oder immer noch liegt. Die Mehrzahl der Leute sind irgendwie in Sorge, daß das nicht in Ordnung ist. Warum können sie nicht genau sagen, sie haben so viel Negatives ge-hört, daß sich das festgesetzt hat. Von der Seite her ist es sicher notwendig, daß man einfach solche Versuche auch bei uns macht." (Int. Nr. 12, S. 5)

Da er selbst in Übereinstimmung mit der herrschenden Auffassung in der Com-munity der Genforscher keine - durch Risikoforschung antizipierbaren121 - Si-cherheitsprobleme sieht, bezeichnet er sein Vorhaben auch explizit als 'Ak-zeptanzforschung':

"Obwohl es umstritten ist, das offen zu sagen: Es ist natürlich so, daß biologische Sicherheitsforschung heute im wesentlichen Akzeptanzforschung ist." (Int. Nr. 12, S. 32)

Die Motivation für den Versuch besteht im wesentlichen darin, ihn überhaupt zu machen und dabei die Sorgen in der Öffentlichkeit aufzugreifen:

"Für die Leute ist es wichtig, wenn man sich noch erinnert, was in der öffentlichen Anhörung z.T. für Sorgen geäußert worden sind, was die für Vorstellung gehabt ha-

121 "Das ist so ein Überraschungselement, das immer in der Forschung eine große Rolle

gespielt hat. Das ist ja nicht von der Hand zu weisen. Aber innerlich teile ich den Stand-punkt, wie er auch in den anderen Ländern vorherrschend ist, daß man so ein unerwarte-tes Ereignis, das man nicht ausschließen kann, auch nicht systematisch erforschen kann - wir lassen es darauf ankommen." (Int. Nr. 12, S. 34)

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ben, was solche transgenen Pflanzen alles machen. Da hat die simple Tatsache, daß die da stehen und sich nicht unterscheiden lassen von den anderen Pflanzen, immer-hin so viel bewirkt, daß sie wenigstens sagen: 'Na ja, ich verstehe nichts davon, aber so gefährlich kann es doch vielleicht wirklich nicht sein.' Insofern meine ich, in ge-wisser Weise wirkt es sich schon aus, daß einfach das anschauliche Beispiel letzten Endes doch etwas bewirkt und daß nicht so irreale Vorstellungen sich da halten, wie sie ja wirklich z.T. im Umlauf waren." (Int. Nr. 12, S. 54)

Auch ein anderes Arbeitsgruppenmitglied betont, daß es vor allem um eine öf-fentliche Demonstration geht:

"Wir könnten mit dem Versuch auch irgendwo anders hingehen. Aber wir haben ge-sagt, wir ziehen es hier durch, und wir werden es auch nicht besonders umfrieden das Gelände. Jetzt hat man es kaputtgemacht. Aber wenn es darum gegangen wäre, den Versuch ohne Rücksicht auf die Bevölkerung durchzuziehen, dann hätte man auf ein militärisches Gelände hier in der Nähe gehen können, das jetzt teilweise leersteht. Das ist ein riesiges Areal, das außen bewacht wird und umzäunt ist. ... Aber mit solchen Verfahren bringen Sie es nicht an die Öffentlichkeit." (Int. Nr. 14, S. 25)

Andere Arbeitsgruppenmitglieder teilen diese Einstellung jedoch nicht.122 Für sie steht der inhaltliche Aspekt, d.h. die Sicherheitsforschung, im Vordergrund. Sie sehen zwar auch keine direkte Gefahr in der möglichen Verbreitung der Herbizid-resistenz (s.o.). Aber sie gehen davon aus, daß Versuchsergebnisse über die Aus-breitungsfähigkeit von Genen wichtig sind für die Beurteilung anderer Freiset-zungsversuche, bei denen das transgene Erbmaterial den Pflanzen einen natürli-chen Selektionsvorteil verschafft, wie etwa bei einer gentechnisch induzierten Krankheits- oder Insektenresistenz.123

Bei den kooperierenden Arbeitsgruppen arbeiten einige Wissenschaftler mit - zum Teil in leitender Position -, die der gegenwärtigen Durchsetzungsform der Gentechnik kritisch gegenüberstehen. Sie plädieren auch öffentlich für eine ernst-hafte und umfassende Risikoforschung, bevor kommerzielle Freisetzungen einge-leitet werden. Hier zeigt sich, wie weit die strategischen Ziele divergieren kön-nen, die intentional an ein Projekt geknüpft werden.124

Allerdings zeigt sich auch bei dem Leiter der von uns befragten Arbeitsgruppe eine Ambivalenz zwischen politischer Absicht und wissenschaftlichem Interesse. Wenn sich eine bis dato als wenig wahrscheinlich geltende Genübertragung

122 Int. Nr. 15; Int. Nr. 11. 123 Int. Nr. 11, S. 13f. 124 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß keine besonders enge Kooperation erforder-

lich ist, weil die von uns befragte Arbeitsgruppe den anderen Gruppen lediglich das Mate-rial (Boden- und Pflanzenproben) liefert, das diese dann weitgehend selbständig untersu-chen können.

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nachweisen ließe, dann wäre das zwar politisch unerwünscht: "Das würde dann die Sicherheitsbestimmungen möglicherweise verschärfen."125 Andererseits wür-den solche Genübertragungen wissenschaftlich auf große Resonanz stoßen, gera-de weil sie nicht erwartet worden sind:

"Wir hoffen, daß wir überhaupt einen [Gentransfer auf Wildkräuter] finden. Das würde bedeuten, daß man zunächst dann sofort diese Pflanzen weiterverfolgen muß; das wäre dann besonders interessant ... Es wäre ein sehr überraschendes Ergebnis und wäre natürlich fast eine Sensation, wenn man das finden würde. Da würden wir Schlagzeilen kriegen, auch in der wissenschaftlichen Literatur; aber ich glaube es nicht." (Int. Nr. 12, S. 13f.)

Der Versuch zeigt zugleich exemplarisch, in welchem Dilemma die Sicherheits-forschung steckt: Zunächst einmal muß man ein gewisses Risiko eingehen, um es zu testen.126 Schon das kann in der Öffentlichkeit umstritten sein, zumal dann, wenn - wie bei der grünen Gentechnologie - die Sinnhaftigkeit der Ent-wicklungsrichtung überhaupt bezweifelt wird. Wenn etwas gefunden wird, dann mag das zwar wissenschaftlich interessant sein, wirkt aber politisch unter Um-ständen gegen die Interessen der eigenen Disziplin. Wenn - wie erwartet - nichts gefunden wird, dann ist es wissenschaftlich von geringem Interesse, und politisch bringt es auch nicht unbedingt den von vielen Genforschern erhofften Durch-bruch, denn es zeigt nur, das ein bestimmtes Ereignis unter bestimmten Umstän-den nicht eingetreten ist. Oder, um es in Anlehnung an Karl Popper zu sagen: Eine Sicherheitsannahme kann nur falsifiziert, aber niemals bewiesen werden.

Zwar gibt es auch bei der 'normalen' Forschung häufig fehlschlagende Expe-rimente - und man hat dann auch nicht den Trost, daß das Ergebnis wenigstens politisch 'korrekt' ist -, aber wenn die Experimente gelingen, kann man sich des ungeteilten Beifalls in der Community gewiß sein. Gleichermaßen erfolgshungrige wie erfolgsgewöhnte Genforscher werden sich daher kaum auf das Null-

125 Int. Nr. 12, S. 14; vgl. Int. Nr. 15, S. 22: "Wenn das wirklich rauskäme, würde man

wahrscheinlich die ganzen Sachen intensiver studieren. Aufgrund eines Einzelversuchs-ergebnisses würde man sicherlich nicht zur Ablehnung der Gentechnik kommen. Aber das würde bedeuten, daß auf jeden Fall mehrere unabhängige Forschungsinstitute sich mit der Frage befassen würden, um das dann eben zu bestätigen oder zurückzuweisen. Von den Ergebnissen hängt mit Sicherheit auch die Zukunftsperspektive der Pflanzenzüchtung ab, so sehe ich das schon. Wenn die Gegner der Gentechnik also halbwegs gute Versuche vorweisen können, ... dann würde man die ganze Frage politisch auch ein bißchen über-denken. Diesen Einzelversuch darf man bestimmt nicht überbewerten, aber so ein Stand-punkt kann es schon sein: Wenn nichts rauskommt, okay, dann passiert auch nichts. Wenn man doch wider aller Erwartung herausfindet, da findet eine Genübertragung auf andere Pflanzenarten statt, dann wird man da bestimmt noch nachhaken müssen. Das bleibt dann wohl nicht einfach so stehen."

126 Vgl. Krohn/Weyer, Soziale Welt 1989.

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summenspiel der Sicherheitsforschung einlassen.127 Insofern bedarf es schon einer starken intrinsischen, u.U. auch querulatorischen Motivation bei den For-schern oder eines Anstoßes aus der Öffentlichkeit, damit Sicherheitsforschung in Gang gesetzt wird.128 Aber wenn sie einmal in Gang gesetzt ist, scheint wissen-schaftlicher Ehrgeiz zu garantieren, daß sie nicht mehr ohne weiteres durch politi-sche Motive korrumpierbar ist.

8.8. Ambivalenzen des Step-by-step-Prinzips im Überblick

Im vorigen Kapitel mußten die Aspekte ungewißheitsbasierter Regulierung aus der scheinbar alles überdeckenden Rhetorik erfahrungsbasierter Regulierung herauspräpariert werden. Daß sie dort nur noch in mehr oder weniger impliziter Form anzutreffen sind, erklärt sich dadurch, daß beim Umgang im Geschlossenen System schon eine Standardisierung vorgenommen wurde, die im Bereich der Freisetzung bisher so nicht absehbar ist. Sicherlich wird man auf einer erweiterten Erfahrungsbasis auch hier zwischen a priori riskanteren und weniger riskanten Experimenten unterscheiden können.129 Trotzdem ist davon auszugehen, daß zumindest für bestimmte Experimente und Produkte, die sich weder als eindeutig ungefährlich noch als eindeutig gefährlich klassifizieren lassen, eine Fall-zu-Fall- und Schritt-für-Schritt-Beurteilung bestehen bleibt, wie sie generell bei der Arz-neimittelzulassung praktiziert wird. Wahrscheinlich wird sich aber auf Dauer die Datenmenge reduzieren, die für die einzelne Produktzulassung zu erbringen ist (vgl. Schaubild 1, S. 268).

Insofern kann man die Arzneimittelzulassung durchaus als Vorläufer der Frei-setzungsregulierung betrachten, allerdings mit dem Unterschied, daß die Arznei-mittelzulassung in weit größerem Maße als die Zulassung von transgenen Orga-

127 Es ist vielleicht kein Zufall, daß der Arbeitsgruppenleiter emeritiert ist: "Ich habe gesagt,

ich bin alt genug, mir können sie nicht mehr so viel am Zeug flicken. Deshalb hat mich das geärgert, daß überall bei uns so geduckt wird in dieser Hinsicht und jeder gejammert hat, daß die öffentliche Meinung so gegen die Gentechnik sei. ... Ich erwarte von dem Versuch nicht riesige, sensationelle Ergebnisse der Gefährlichkeit, sondern ein Ergebnis, das einfach das Risiko in seiner wirklichen Dimension darstellt." (Int. Nr. 12, S. 28f.)

128 Der Anstoß aus der Öffentlichkeit war Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik noch nicht vorhanden: "Als die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1981 den Bioforschern das Angebot machte, eine gentechnische Risikostudie finanziell zu unterstützen, blieb sie auf ihrem Geld sitzen; kein Wissenschaftler, kein Institut wollte sich für das Projekt erwär-men." (Spiegel vom 21.11.1983, S. 235)

129 Vgl. Goy/Duesing, Bio/Technology 1996. Die Autoren, die in der Industrie beschäftigt sind, propagieren in diesem Aufsatz schon heute eine Einteilung in Risikokategorien, so wie sie bisher im Geschlossenen System praktiziert wird.

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nismen auf Erfahrungen basiert und daher genauere Vorstellungen über die erfor-derlichen Beobachtungsmaßnahmen und ein größerer sozialer Konsens über die Bewertung von Schäden und die Angemessenheit der Verfahren besteht.130

Das Zulassungsverfahren für Freisetzungen zeichnet sich dagegen - in viel hö-herem Maße - durch eine Reihe von Ambivalenzen und Widersprüchen aus, die an dieser Stelle noch einmal systematisch zusammengefaßt werden sollen, weil sich darin die Probleme einer ungewißheitsbasierten Regulierung in einem bisher an keiner anderen Regulierungsform sichtbaren Maße entfalten.

8.8.1. Ambivalenzen der Risikoerkennung

Confinement versus Informationsgewinn: Confinement-Maßnahmen erscheinen angezeigt, um die a priori ungewissen Risiken von Feldversuchen zu begrenzen. Sie behindern aber gleichzeitig den Erkenntnisgewinn, weil nicht-intendierte Ver-änderungen - z.B. die Übertragung des transgenen Materials auf verwandte Wild- oder Nutzpflanzen - nicht stattfinden können. Wenn Pflanzen im Freiland quasi wie im Labor gehalten werden, hat man keine sinnvolle Begründung, um zum nächsten Schritt überzugehen. Allerdings würden großflächigere und weni- ger kontrollierte Feldversuche - z.B. als Zwischenschritt vor der Vermarktung - das Problem auch nicht automatisch lösen, weil man mögliche nicht-intendierte Effek-te nur in den seltensten Fällen mit bloßem Auge feststellen könnte. Nur mit vorab festgelegten Versuchsanordnungen und Beobachtungsinstrumenten kann festge-stellt werden, ob bestimmte potentiell schädliche Effekte auftreten. Solche Moni-toringmaßnahmen waren aber in Deutschland wie in den meisten europäischen Ländern und den USA selten Gegenstand der Auseinandersetzungen, die sich vielmehr auf den Einschluß der Versuche konzentrierten. Diese etwas kurzsichti-gen Debatten werden auch durch das Gentechnikgesetz nahegelegt, weil es den Behörden und den Betroffenen nur die Möglichkeit eröffnet, gegen unmittelbar aus den Versuchen erwachsende Risiken vorzugehen, kaum aber, auf die Gene-rierung von Sicherheitsdaten Einfluß zu nehmen.

Endlichkeit versus Unendlichkeit von Beobachtungsdauer und Beobach-tungskritierien: Bei erfahrungsbasierten Regulierungen beruhen die Beobach-tungskriterien auf vorausgegangenen Schadensereignissen. Aus der Schadens-analyse weiß man, welche (ähnlichen) Konstellationen riskant sind, und man hat Anhaltspunkte, mit welchen Latenzzeiten zu rechnen ist. Bei einer ungewiß-heitsbasierten Regulierung müßte man im Idealfall alle Wechselwirkungen und zukünftigen Verkettungen antizipieren. Weil das praktisch unmöglich ist, versucht

130 Dennoch sind auch hier gerade die ungewißheitsbasierten Regelungsaspekte keineswegs

unumstritten (vgl. Di Fabio, Risikoentscheidungen, 1994).

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Schaubild 1: Die Dynamik des Step-by-step-Prozesses131

man sich auf die Hypothesen zu konzentrieren, die relativ einfach zu überprüfen sind und bei denen theoretisch die Eintrittswahrscheinlichkeit oder das Scha-densausmaß groß ist. Weil die Kriterien dafür nicht vorab (gesetzlich) festgelegt werden können, bleibt es aber eine gegenüber politischem Druck sehr sensible Ermessensfrage, wo die Grenze zwischen relevanten und irrelevanten Hypothesen zu ziehen ist.

Einzelfallbeurteilung versus Verallgemeinerungsfähigkeit: Es stellt sich die Frage, wie man aus der Betrachtung einzelner Fälle zu verallgemeinerungsfähigen Kriterien kommen kann, um die Prüfprozeduren zu standardisieren. Beim einzel-

131 Anfangs ist das allgemeine Vorwissen über das Verhalten von transgenen Organismen im

Freiland nur gering. Deshalb ist der Genehmigungsaufwand (dargestellt durch die dicke-ren Balken auf der linken Seite des Diagramms) noch höher, es sind außerdem mehr Ge-nehmigungsschritte erforderlich. Aus den Freisetzungen gewinnt man im Lauf der Zeit mehr allgemeines Wissen (versinnbildlicht durch die im unteren Teil des Bildes von links nach rechts zunächst stetig ansteigende Linie). Mit dem wachsenden ökonomischen Inte-resse und dem (wahrscheinlich) nachlassenden öffentlichen Interesse sinkt allerdings auch die von den Behörden für eine Marktzulassung insgesamt verlangte Datenmenge (ver-sinnbildlicht durch die von links nach rechts im oberen Teil des Bildes zunächst stetig fal-lende Linie). Allerdings könnte hier, wie das zum Teil derzeit diskutiert wird (daher die gestrichelte Linie), auch eine Pflicht zur 'Nachmarktbeobachtung' einsetzen: Weitere, für den Bestand der Zulassung erforderliche Daten würden dann noch nach der Genehmigung des Inverkehrbringens generiert.

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nen transgenen Produkt steht man vor dem Problem, wie man aus den Erfahrun-gen, die man bis dato in wenigen Vegetationsperioden an einigen Versuchs-standorten gesammelt hat, eine Marktzulassung begründen kann, die Sicherheit an allen infrage kommenden Anwendungsorten mit ihren je verschiedenen ökologi-schen und klimatischen Bedingungen und über einen längeren Entwicklungszeit-raum gewährleisten soll. Gleichzeitig versucht man aber auch die Erfahrungen aus den einzelnen Fällen auf den gesamten Zulassungsprozeß anzuwenden. Das heißt konkret, daß man zu generelleren Ausssagen über Gruppen von Organismen und Gruppen von transgenen Konstrukten bzw. ihren Kombinationen gelangen will, um Fälle zu Fallgruppen zusammenzufassen. Zugleich ist man bemüht, hier je-weils die relevanten von den weniger relevanten Beobachtungskriterien zu schei-den. Wenn sich in einer Reihe von Genehmigungsverfahren gezeigt hat, daß keine neuen Informationen hinzukommen, dann argumentiert die Verwaltungspraxis, daß hier Vereinfachungen vorgenommen werden könnten. Auch hier stellt sich die Bewertungsfrage, wie viele Fälle mit welcher Beobachtungsintensität diese Schritte erlauben. Zu berücksichtigen ist dabei auch, daß das Fallspektrum, wel-ches den Behörden präsentiert wird, mehr oder weniger zufällig zustande kommt. Wollte man dagegen - aus der Perspektive der Sicherheitsforschung - systema-tisch verallgemeinern, müßte man die hier jeweils relevanten Variablen auf ihre möglichen Extremwerte setzen, d.h. zum Beispiel Orte mit potentiellen Kreu-zungspartnern des transgenen Organismus wählen, extreme Klimaverhältnisse durchspielen etc. Weil die Antragsteller aber unabhängig voneinander agieren und zumeist primär nicht an Sicherheitsforschung, sondern an technologischer Ent-wicklung interessiert sind, kommt ein systematisiertes Sicherheitsforschungspro-gramm nicht zustande, und die Zulassungsbehörden können die Versuchsfolge bei der gegenwärtigen Rechtslage auch nicht in dieser Hinsicht beeinflussen.

Ambivalenzen der Schadensdefinition: Früher ging man im fachöffentlichen Diskurs davon aus, daß sich die Ausbreitung von transgenem Erbmaterial begren-zen ließe. Von vielen Umweltschützern und einigen Verwaltungsvertretern wird transgenes Erbmaterial auch heute noch gleichsam wie eine giftige Chemikalie aufgefaßt und seine Ausbreitung daher per se als Schaden ('genetic pollution') angesehen.132 Die Mehrheit der Wissenschaftler neigt heute aber dazu zu fragen, welche Veränderungen das transgene Erbmaterial auslösen könnte - wo immer es absehbar hingelangen kann. Nur bleibt dann unklar, welche Veränderungen über-haupt gravierend sind, weil man sich zunächst auf ein Bezugssystem verständigen müßte. Aber gleichgültig, ob man hier naturnahe Ökosysteme oder den Status quo anthropogen veränderter, z.B. agrarischer Ökosysteme wählt, so ist häufig nicht einmal genau bekannt, wie sich diese Systeme vor der Einbringung transgenen

132 Zum juristischen Schadensbegriff vgl. oben, Kap. 6.2.6.

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Erbmaterials verhalten haben. Auf der Wertungsebene muß entschieden werden, ob der Zustand des gewählten Bezugssystems - etwa der Status quo chemisierter Landwirtschaft oder auch einer naturnahen, aber menschlicher Lebensweise nicht zuträglichen Umgebung (z.B. Wüste) - wünschenswert ist, ob die vorausgesehe-nen Veränderungen durch den gentechnischen Eingriff dort eher als Nutzen oder als Schaden anzusehen sind, und welche Schäden schließlich im Hinblick auf den angestrebten Nutzen als akzeptabel angesehen werden können. Außerdem stellt sich die Frage, welche Schäden dem gentechnischen Eingriff selbst zuzurechnen sind und welche sich aus den mehr oder weniger absehbaren Verwendungszu-sammenhängen ergeben, die durch den transgenen Organismus selbst nicht streng determiniert sind.133

8.8.2. Widersprüche des Verfahrens

Freier Informationsaustausch versus Geschäfts- und Verwaltungsgeheimnis: Gesetzlich garantiert ist lediglich der Informationsaustausch zwischen den An-tragstellern und den zuständigen nationalen Behörden. Auf Grundlage der Frei-setzungs-Richtlinie müssen auch die Grunddaten aller beantragten Versuche of-fengelegt werden. Behauptungen aber, daß sich bei den Feldversuchen keine überraschenden Ereignisse gezeigt hätten, sind für die Öffentlichkeit kaum über-prüfbar.134 Auch die Antragsteller können aus den Erfahrungen, die in ähnlichen Versuchen gemacht wurden, nur lernen, wenn deren Betreiber ihnen die Daten freiwillig zugänglich machen. Selbst der Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten der EG scheint sich praktisch auf ein Minimum zu beschränken.135 Schon bei erfahrungsbasierter Regulierung führt die Restriktion des Informationsaustausches dazu, daß der Vollzug von der Öffent-lichkeit nicht überprüft werden kann. Bei einer ungewißheitsbasierten Regulie-rung, die aufgrund der gewonnenen Erfahrungen permanent angepaßt werden soll, führt dies darüber hinaus zu mangelnder Kontrolle bei der Regelanpassung. Al-lerdings ist auch zu berücksichtigen, daß überraschende Ereignisse den Verwal-tungen eher gemeldet werden, wenn die entsprechenden Informationen vertraulich gehandhabt werden.

133 Vgl. z.B. oben, S. 248: Änderungen im Herbizidgebrauch aufgrund des Anbaus herbizid-

resistenter Pflanzen. 134 Bei der OECD gibt es zwar eine Datenbank, in der die Beobachtungsdaten aller Feldver-

suche eingespeist werden sollen. Diese ist aber nur für die Behörden zugänglich. Selbst in den USA, wo Behördendaten normalerweise am leichtesten zugänglich sind, konnte eine Offenlegung der Beobachtungsprotokolle nur auf dem Klagewege erreicht werden (s.o., Kap. 8, Fn. 68).

135 Vgl. Bergschmidt, Comparative, 1995, S. 131.

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Ungleichzeitigkeit der nationalen Erfahrungsakkumulation: Aufgrund der schleppenden Umsetzung der Richtlinie in einigen Mitgliedstaaten und wegen des unterschiedlichen Antragsaufkommens sammeln die nationalen Behörden unter-schiedlich schnell eigene Erfahrungen mit der Kontrolle von Freisetzungs-projekten. Gleichzeitig besteht aber ein faktischer Druck, die eigenen Kontroll-standards dem EG-Niveau anzupassen - sei es, weil Antragsteller dies mit Ver-weis auf die Praxis in anderen Mitgliedstaaten verlangen, weil ähnliche transgene Organismen ohnehin schon vermarktet werden, oder weil die Prozeduren auf-grund von Beschlüssen der Kommission entsprechend vereinfacht werden. Über-dies scheinen bei der Diskussion auf EG-Ebene über die Anpassung und Standar-disierung der Richtlinie tendenziell diejenigen nationalen Behörden den stärksten Einfluß auszuüben, die selbst schon über die meisten Erfahrungen verfügen.136 Sie sind zum Teil mit Vereinfachungen im eigenen Land schon vorangegangen, u.a. auch deshalb, weil sie das hohe Antragsaufkommen anders nicht mehr sinn-voll bewältigen könnten.137 Dadurch müssen aber bei den anfangs 'langsameren' Ländern Sprünge und Inkonsistenzen im Verwaltungsvollzug auftreten.138

Wissenschaftliche versus kulturelle Risikoperzeption: Die nationalen Verwal-tungen sind gezwungen, ihr Handeln einerseits auf den internationalen Wissen-schaftsdiskurs und andererseits auf die partikularen Diskurse im eigenen Land abzustimmen.139 Letztere folgen unterschiedlichen kulturellen Präferenzen und entwickeln sich asynchron zum internationalisierten wissenschaftlichen Diskurs. Soweit es nur um die Zulassung von Feldversuchen geht, können alle Mitglieds-länder problemlos ihren eigenen Regulierungsstil verfolgen, ohne daß es zu Ab-

136 Im Artikel 21-Gremium scheinen de facto die Niederlande und Großbritannien über den

stärksten Einfluß zu verfügen. Das liegt unter anderem auch daran, daß die Verkehrs-sprache Englisch ist.

137 In Großbritannien und den Niederlanden wurden sogenannte 'fast track procedures' einge-führt, bei denen die auch dort - ähnlich der deutschen ZKBS - etablierten Bera-tungskommissionen nicht mehr eingeschaltet werden müssen (Bergschmidt, Comparative, 1995, S. 112, Schomberg, S&PP 1996, S. 160). In Belgien und Italien wird ebenfalls über die Standardisierung des Verfahrens nachgedacht.

138 Z.B. ist auch Irland im November 1994 dem vereinfachten Verfahren beigetreten, obwohl dort - jedenfalls bis Mitte 1994 - noch keine Freisetzungsversuche genehmigt worden wa-ren.

139 In Dänemark z.B. bemüht sich die zuständige Behörde sehr stark um den nationalen Konsens, der eine vorsichtige Haltung gegenüber der Gentechnik impliziert. Ein dänischer Behördenvertreter kommentiert - in Anspielung auf die Diskussion über die Vermarktung herbizidresistenten Raps durch PGS (s.o.) - das Dilemma: "We find it increasingly diffi-cult in Denmark to explain why we have the kind of boundaries as set by the Directives. If we have to say that we cannot consider this or that [issue] because of the Directives, and the public or political opinion is that it is a highly relevant issue, then we have lost the ca-se" (Ministry of Housing, Public, 1994, S. 78).

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stimmungsschwierigkeiten in der EG kommt. Diese treten dann aber umso stärker bei Marktzulassungen auf, bei denen die Mitgliedsländer sich untereinander eini-gen müssen. Insbesondere in skandinavischen Ländern und Österreich wird auch immer wieder diskutiert, ob man gegebenenfalls nicht doch den Import von EG-weit zugelassenen Produkten für das eigene Territorium verbieten kann. Dort gibt es zum Teil auch Bestimmungen im jeweiligen Gentechnikrecht, die nicht nur Sicherheitskriterien, sondern auch weitergehende soziale Restriktionen und Ent-wicklungsziele vorschreiben.140

Pluralität im Regulierungssystem: Die auf diese Weise entstandene Pluralität im Regulierungssystem kann insbesondere von multinationalen Unternehmen ausgenutzt werden, um bei Feldversuchen den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Durch die Konzentration der Versuche in einigen Ländern und die dort resultierende Beschleunigung des Verwaltungsvollzugs wird dann auch Druck auf das gesamte Regulierungssystem ausgeübt. Andererseits ist aber zu konstatieren, daß auf der Grundlage des im wesentlichen dezentralen Vollzugs der Richtlinie unterschiedliche Risikophilosophien entwickelt werden, die sich nicht einfach auf der Skala 'liberal versus restriktiv' abbilden lassen. Auf der Grundlage dieser Pluralität von Risikophilosophien kommt es insgesamt zu einer intensiveren und vielschichtigeren Diskussion, als dies bei einer zentralen Handhabung des Voll-zugs wahrscheinlich der Fall wäre.

Ambivalenzen der Sicherheitsforschung: Sicherheitsforschung kann sowohl darauf abzielen, die Lockerung wie die Verschärfung oder Spezifizierung des Regulierungsansatzes zu begründen. In jedem Fall können die Behörden oder politischen Initiativen in den einzelnen Ländern die Förderung der Sicherheits-forschung forcieren und damit in viel stärkerem Maße auf die Entwicklung der internationalen Regulierungsdiskussion Einfluß nehmen als durch administrative Maßnahmen, deren Wirkung sich zwangsläufig auf das eigene Territorium be-schränkt.141

Interessenzuwachs und (De-)Sensibilisierung: Auch wenn sich viele Firmen noch abwartend verhalten, geht mit der fortschreitenden Entwicklung transgener Produkte ein Zuwachs kommerzieller Interessen einher, der sich in verstärktem

140 Das österreichische Gentechnikgesetz enthält die erwähnte 'Sozialverträglichkeitsklausel',

die die Möglichkeit eröffnen soll, die Vermarktung von 'sozial unverträglichen' Produkten zu unterbinden (vgl. Waldhäusl, Soziale, 1994; Nentwich, Spielräume, 1993; Torger-sen/Seifert, Sozialverträglichkeit, 1996; sowie unten, Kap. 10.3.2.2.). In Norwegen soll die Entwicklung der Gentechnik dem Ziel des 'Sustainable development' folgen (Nielsen, Biotechnologie, 1996).

141 Z.B. hat eine staatlich finanzierte dänische Studie über die Möglichkeit der Auskreuzung transgenen Erbmaterials von Raps auf das Wildkraut Brassica campestris einen starken Einfluß auf die internationale Sicherheitsdiskussion (Mikkelsen et al., Nature 1996).

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Druck niederschlägt, die Regulierung zu lockern.142 Durch das steigende An-tragsaufkommen sind auch die Behörden aus Kapazitätsgründen gezwungen, die Verfahren zu vereinfachen. Ob es gleichzeitig auch zu einer Desensibilisierung in der Öffentlichkeit kommt, bleibt abzuwarten. In jedem Fall wird sich die Auf-merksamkeit stärker von den Feldversuchen auf die Vermarktung gentechnischer Produkte richten. Wenn sich hier klar zurechenbare Zwischenfälle - etwa Aller-gien (vgl. S. 49f.) - ereignen sollten, kann es auch zu einer Resensibilisierung kommen.

Rechtssicherheit versus Lernfähigkeit: Wir sind bei der Step-by-step-Regelung mit 'lernendem Recht' konfrontiert, das seinerseits in seinem Geltungsbereich Lernen ermöglichen soll. Diese Konzeption widerspricht aber der klassischen Funktion des Rechts, Experimente in bestimmten sozialen Bereichen entweder ganz zu verhindern oder die Variation der Randbedingungen einzuschränken, also zumindest teilweise formelle Erwartungssicherheit und damit Rechtssicherheit herzustellen. Die Handhabung von 'lernendem Recht' ist bisher noch sehr wider-sprüchlich und tendenziell willkürlich, weil bisher noch wenig ausbuchstabiert ist, unter welchen Voraussetzungen die Lernbedingungen verändert werden können. Oder anders ausgedrückt: Es ist unklar, wie die Selbstprogrammierung der recht-lichen Programmierung vonstatten gehen kann, ohne einen gerechten Interessen-ausgleich zu gefährden.

Ungewißheits- versus erfahrungsbasierte Regulierung: Angesichts der auf-gezeigten Vermittlungsschwierigkeiten ist es verständlich, daß bei allen Betei-ligten die Neigung besteht, die ungewißheitsbasierte Regulierung als erfahrungs-basierte Regulierung mißzuverstehen. Nur tut dies jeder auf seine Weise: Viele Betreiber wünschen sich, nach US-amerikanischem Vorbild, eine Regulierung, die nur auf die Eigenschaften des Produkts abhebt, nicht aber auf den Prozeß seiner gentechnischen oder nicht-gentechnischen Herstellung (vgl. Kap. 3.2.4.). Das würde die Abschaffung der Freisetzungs-Richtlinie implizieren. Stattdessen hätte man nur noch mit den Prüfungsanforderungen zu tun, die in den jeweiligen Produktbereichen - z.B. Lebensmittel, Pestizide etc. - tendenziell eher auf her-kömmlicher Erfahrungsbasis die Sicherheitskriterien festlegen. Bei den Behörden besteht zwar die Tendenz, an der Freisetzungs-Richtlinie und damit an einer auf den gentechnischen Herstellungsprozeß bezogenen Regulierung festzuhalten. Zugleich versuchen viele Behördenvertreter aber, die jeweils angewandten Krite-

142 Dadurch entsteht die paradoxe Situation, daß nicht nur bei den Umweltverbänden, son-

dern auch in den Prüfbehörden der Wunsch aufkommen kann, es möge sich ein Schaden ereignen, um das eigene Engagement zu rechtfertigen. So kommentierte eine Behörden-vertreterin die Folgen der ihrer Meinung nach zu schnellen Deregulierung der EG-Richtlinien: "Dann könnte man nur hoffen, daß es irgendwann einen Fall gibt mit erkenn-baren Schäden und daß daraufhin die Deregulierung gestoppt wird." (Int. Nr. 22, S. 39)

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rien nach beiden Seiten als wissenschaftlich abgesichert und vorhersagefähig darzustellen. Viele Kritiker sehen dagegen jede Ausbreitung transgenen Materials per se als 'unabsehbares Risiko' an, die mit allen Mitteln verhindert werden soll.

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Kapitel 9: Somatische Gentherapie

Mit der somatischen Gentherapie haben wir ein Anwendungsgebiet der Gen-technik gewählt, das bisher - zumindest in Deutschland - noch wenig reguliert ist. Voraussetzung für diese Regelungsabstinenz war allerdings die Abgrenzung der 'somatischen Gentherapie' von der 'Keimbahntherapie'1, wie sie z.B. vom Enquê-te-Bericht des Deutschen Bundestages in die öffentliche Debatte eingeführt wur-de: Die Keimbahntherapie zielt auf die Veränderung von Zellen, die der biologi-schen Reproduktion dienen - also auf die Stammzellen von Ei- und Spermazellen, auf Ei- und Spermazellen selbst, und auf frühe, noch nicht differenzierte Embryo-nen. Veränderungen an den Keimbahnzellen können an alle Folgegenerationen weitervererbt werden. Bei Tieren wurden entsprechende Versuche schon häufiger vorgenommen,2 Versuche am Menschen sind dagegen bisher nirgends bekannt geworden. Die Keimbahntherapie am Menschen wurde zudem in Deutschland durch den Erlaß des Embryonenschutzgesetzes 1990 verboten. Bei der somati-schen Gentherapie handelt es sich dagegen 'nur' um eine Veränderung des Erbma-terials in bereits ausdifferenziertem Gewebe - also an Nerven-, Blut-, Haut- etc. Zellen. Veränderungen an diesen Zellen werden nicht an die Nachkommen wei-tervererbt.

Die (vorläufige) Regulierungsabstinenz gegenüber der somatischen Genthe-rapie rührt wohl weniger daher, daß bisher erst wenige Versuche in dieser Rich-tung unternommen wurden. Denn in dieser Hinsicht wäre die gegenwärtige Situa-tion der somatischen Gentherapie z.B. mit der Freisetzung zu Beginn der 90er Jahre vergleichbar, als ebenfalls erst wenige Freisetzungsversuche in Deutschland durchgeführt, aber gleichwohl schon frühzeitig eine rechtliche Regulierung etab-liert wurde. Bisher haben sich aber gegen die somatische Gentherapie keine ver-gleichbaren Protestbewegungen gebildet - wie gegen den Umgang im Geschlos-senen System, die Freisetzung und die Embryonenforschung, die u.a. die Grund-lage zur Keimbahntherapie liefern könnte. Nachdem sich in Deutschland ein brei-ter Konsens gegen die Keimbahntherapie etabliert hatte, scheint die somatische Gentherapie als 'normale' medizinische Hilfe verstanden und entsprechend akzep-tiert zu werden. Insofern kann am Beispiel der Gentherapie der Umgang mit Un-gewißheit unter anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen studiert werden.

1 Inwieweit die Bezeichnung 'Keimbahntherapie' euphemistisch ist - und nicht richtiger von

-eingriff oder -manipulation gesprochen werden müßte -, soll hier nicht diskutiert werden. Wir verwenden diese Bezeichnung lediglich, weil sie sich allgemein eingebürgert hat.

2 Ein Beispiel ist die aus der Debatte um die Patentierung bekannt gewordene 'Krebsmaus', der Teile der Erbanlagen für das Immunsystem entfernt wurden. Sie ist daher besonders anfällig für Krebserkrankungen und wird für entsprechende Tierversuche eingesetzt.

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9.1. Regulierungssituation

9.1.1. USA

In den USA wurde die erste Gentherapie bereits 1979 beantragt und führte zu einem Skandal.3 Martin Cline und seine Mitarbeiter setzten sich über das ab-schlägige Votum der zuständigen Ethik-Kommission hinweg und führten die Ver-suche in Israel und Italien durch. Als dies in den USA bekannt wurde, setzte eine breitere fachöffentliche Debatte ein, in deren Folge genauere Voraussetzungen festgelegt wurden, auf deren Basis später gentherapeutische Versuche am Men-schen begonnen werden konnten. Dazu gehörten vor allem die Etablierung eines speziell zuständigen Gremiums beim Recombinant DNA Advisory Committee (RAC)4 des National Institute of Health (NIH) und die Ausarbeitung einer Richt-linie ('points to consider') für die Prüfung von klinischen Versuchen zur Genthe-rapie. Die Arzneimittelbehörde (FDA) etablierte eine parallele Prozedur zur Prü-fung von Versuchsprotokollen.

Alle von öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen geplanten Versuche müssen seither vier Gremien durchlaufen,5 bevor mit den Versuchen begonnen werden darf. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, daß - von den Versuchen keine Infektionsgefahren für Dritte ausgehen,6 - die Versuchspersonen keinem unnötigen Risiko ausgesetzt werden,7 - die Keimbahnzellen der Versuchspersonen nicht unbeabsichtigt verändert wer-

den oder diese sich nicht mehr fortpflanzen, - die Versuchspersonen umfassend über den Versuch aufgeklärt werden und

ausdrücklich ihre Zustimmung geben ('informed consent'), - die Versuchspersonen ihre Einwilligung zur Langzeitbeobachtung geben und

einer Autopsie im Falle ihres Todes zustimmen.8

3 Vgl. im folgenden Paslack, Diskussion, 1995; Simon/Vesting, Studie, o.J., S. 39ff. 4 Das RAC ist von seiner Funktion und Stellung her etwa vergleichbar der ZKBS in

Deutschland. 5 Zunächst müssen die an den Forschungsinstituten regelmäßig eingerichteten Ethik-

Kommissionen (Institutional Review Board/IRB) und Sicherheits-Gremien (Institutional Biosafety Committee/IBC) zustimmen. Dann wird der Vorschlag den nationalen Behörden NIH und FDA vorgelegt.

6 Da bei der Gentherapie Viren oder andere infektiöse DNA-Partikel als Vektoren eingesetzt werden, ist eine Infektionsgefahr für die beteiligten Forscher, das Krankenhauspersonal, Angehörige und weitere Personenkreise nicht von vornherein auszuschließen (vgl. zur Dis-kussion Schmitt et al., Stand, 1994).

7 Dazu gehört auch, daß nur hinreichend durchdachte und auf dem Stand der Wissenschaft basierende Forschungsprotokolle zugelassen werden sollen, weil andernfalls die Belastung der Versuchspersonen unnötig wäre.

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Für kommerzielle Versuche ist nur die Zustimmung der FDA erforderlich.9 Europäische Beobachter sind immer wieder erstaunt über die starke Öffent-

lichkeitsorientierung der US-amerikanischen Verfahren. Dies gilt insbesondere für das Begutachtungsverfahren des RAC zur Gentherapie: Regularien und die zu begutachtenden Forschungsvorschläge werden veröffentlicht, jeder Bürger kann Einwendungen erheben und Tagesordnungsvorschläge machen, die Sitzungen sind öffentlich, die Protokolle werden ebenfalls veröffentlicht etc.10 Außerdem wurde zum Zweck einer eingehenderen Prüfbarkeit bei den ersten Anträgen er-wirkt, daß auch Hintergrundmaterialien - ungeachtet bestehender Geheimhal-tungsgründe - vollständig offenzulegen waren.11

Der erste Gentherapieversuch wurde 1989 nach längerer Diskussion geneh-migt. Bis Juni 1995 erhielten 106 Untersuchungsprotokolle mit insgesamt 567 Patienten vom RAC die Zulassung.12 Wegen des hohen Antragsaufkommens - das RAC trifft sich viermal pro Jahr - sind für schon relativ gut bekannte Unter-suchungsverfahren vereinfachte Begutachtungsprozeduren festgelegt worden.13 Außerdem wird der Begutachtungsprozeß verstärkt mit der FDA koordiniert.14

Insgesamt ist das Regulierungsverfahren in den USA also mit der Fall-zu-Fall- und Schritt-für-Schritt-Beurteilung vergleichbar, wie sie auch in Freisetzungs-verfahren (vgl. Kap. 8) angewandt wird - inklusive der allmählichen Verein-fachung und Standardisierung des Verfahrens. Die Tatsache, daß ein relativ ela-boriertes Prüfverfahren etabliert wurde, bedeutet allerdings nicht, daß man in den USA der Gentherapie besonders kritisch gegenüberstünde. Im Gegenteil: Auch die Keimbahntherapie wird in den USA sehr offensiv vertreten. Zwar wird hier noch eine Scheidelinie zwischen therapeutischen und auf 'Verbesserung' abstel-lenden Experimenten gezogen. Aber schon Mitte der 80er Jahre propagierte der gegenwärtige Vorsitzende des RAC, der Bioethiker Leroy Walters, Versuche zur

8 "NIH Modifies Gene Therapy Research Guidelines" in: Hastings Center Report, vol

15./no.3, 1985, S. 3, zit. n. Paslack, Diskussion, 1995, S. 78. 9 Allgemeinverbindlich ist nur die Zustimmung der FDA. Allerdings verlangt die FDA auch

die Vorlage bei einer lokalen Ethik-Kommission. Der Jurisdiktion des NIH sind nur Ein-richtungen unterworfen, die vom NIH, dem größten Sponsor biomedizinischer Forschung in den USA, gefördert werden.

10 Die relativ weitverbreitete Fachzeitschrift 'Human Gene Therapy' widmet einen beträcht-lichen Teil ihrer Seiten der Veröffentlichung der beantragten Forschungsvorhaben und der Sitzungsprotokolle. Diese sind auch über Internet abzurufen (http://www.nih.gov/od/ or-da/sect1.htm).

11 Paslack, Diskussion, 1995, S. 77, 86f.; Gill, Gentechnik, 1991, S. 238. 12 Marshall, Science 1995a, S. 1052. 13 Vgl. Petermann/Schmitt, Monitoring, 1996, S. 54ff. 14 Vgl. "Regulatory Issues", in: Human Gene Therapy, vol.6, 1995, S. 822ff.

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'Verbesserung' der menschlichen Erbanlagen.15 Beobachter rechnen damit, daß eventuell schon in den nächsten Jahren die ersten Keimbahnexperimente bean-tragt werden könnten.16

9.1.2. Europa

Auch in Europa wurden schon vereinzelt Versuche zur somatischen Gentherapie am Menschen vorgenommen, namentlich in Frankreich, den Niederlanden, Groß-britannien, Italien und Deutschland. Die Regelungen in diesen Ländern sind sehr unterschiedlich.17

Frankreich hat in den letzten Jahren eine sehr detaillierte Gesetzgebung bezüg-lich der Anwendung biomedizinischer Techniken am Menschen auf den Weg gebracht. Die Keimbahntherapie ist verboten. In Frankreich sind medizinische Versuche am Menschen spezialgesetzlich geregelt; das impliziert unter anderem, daß die Versuche bei einer Verwaltungsbehörde anzumelden sind und eine Ethik-Kommission eingeschaltet werden muß. Die Versuchsprotokolle zur somatischen Gentherapie werden außerdem nach dem französischen Gentechnikgesetz von der für Freisetzungen zuständigen Kommission beurteilt.18 Dagegen ist unklar, in-wieweit das Arzneimittelgesetz anzuwenden ist.19

In Großbritannien wurde eine Kontrollkommission für gentherapeutische Expe-rimente eingerichtet, die die Einhaltung der von ihr herausgegebenen Richtlinien überwacht; außerdem ist die Zustimmung einer Ethik-Kommission erforderlich. In den Niederlanden, Italien und der Bundesrepublik gibt es bisher keine speziellen gesetzlichen Vorschriften zur Regulierung der somatischen Gentherapie, aber allgemeinere medizinrechtliche Vorschriften, die zu beachten sind.

Auch auf der Europäischen Ebene ist noch kein einheitliches Bild auszuma-chen. Zwar wird die Keimbahntherapie sowohl in der vorgelegten Bioethik-Konvention des Europarats sowie in einer Entschließung des Europäischen Par-laments abgelehnt.20 Zur somatischen Gentherapie gibt es aber nur partikulare Entwürfe.

Das Bioethik-Gremium der Europäischen Kommission empfiehlt, daß neben der weitgehend etablierten Kontrolle durch lokale Ethik-Kommissionen auch

15 Vgl. Rawls, Chemical & Engineering News 1984, S. 44. 16 Int. Nr. 9, S. 51. 17 Vgl. im folgenden Petermann/Schmitt, Monitoring, 1996. 18 Die Einsetzung einer speziellen 'Intercommission de thérapie génique' ist geplant (Peter-

mann/Schmitt, Monitoring, 1996, S. 43, Fn. 67). 19 Petermann/Schmitt, Monitoring, 1996, S. 48. 20 Simon/Vesting, Studie, o.J., S. 73ff. Das Verbot in der Bioethik-Konvention ist aber als

nicht hinreichend klar anzusehen; vgl. auch FAZ vom 13.10.1997, S 5.

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nationale Aufsichtsgremien überall eingerichtet werden sollten. Außerdem sollten einheitliche europäische Richtlinien geschaffen werden. Weil die Infek-tionsrisiken bei der Anwendung der somatischen Gentherapie am Menschen21 durch die Gentechnik-Richtlinien (90/219/EWG, 90/220/EWG) nicht adäquat erfaßt würden, sollten diese entsprechend novelliert werden.22

Anderer Auffassung über die Reichweite der Gentechnik-Richtlinien ist die Pharmacy Working Party, ein Beratungsgremium der Europäischen Arzneimit-telbehörde.23 Sie geht davon aus, daß gegenwärtig alle Sicherheitsaspekte der Gentherapie von den bestehenden Richtlinien erfaßt werden. In Vorbereitung auf eine zukünftige Zulassung gentherapeutischer Produkte als Arzneimittel - ent-sprechend der Europäischen Arzneimittel-Verordnung (EG-VO 2309/93) - wurde eine spezielle Anleitung ausgearbeitet, die eine umfassende Abwägung der Um-weltrisiken vorsieht und daher für diese Produkte die Marktzulassung entspre-chend der Freisetzungs-Richtlinie ersetzen könnte.24

9.1.3. Deutschland

In Deutschland ist die Keimbahntherapie, wie eingangs bemerkt, durch das Emb-ryonenschutzgesetz verboten.25 Spezielle Vorschriften zur somatischen Genthe-rapie existieren jedoch nicht. Durch die Novellierung des Gentechnikgesetzes 1993 wurde die gentherapeutische Anwendung am Menschen explizit von der Geltung des Gentechnikgesetzes ausgenommen.26 Andernfalls hätte sich nämlich die Frage gestellt, ob es sich bei der Gentherapie um eine gentechnische Arbeit oder Freisetzung handeln könnte, die entsprechende Quarantänemaßnahmen und Zulassungsprozeduren erfordern würde.27 Eine gentechnikspezifische Risikoab-schätzung findet also nur insofern statt, als die vorangehenden Arbeiten im Labor angemeldet oder genehmigt werden müssen.28

21 Unstrittig ist, daß die Vorversuche im Labor auf jeden Fall durch die Richtlinie 90/219

erfaßt werden (vgl. unten die deutsche Diskussion zur Reichweite des GenTG). 22 Butler, Nature 1994. 23 Simon/Vesting, Studie, o.J., S. 71f. 24 Nach Art. 10 Abs. 2 der Freisetzungs-Richtlinie sind Produkte ausgenommen, für die nach

anderen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften vergleichbare Standards der Umweltver-träglichkeitsprüfung gelten.

25 Vgl. oben, Kap. 7.5.2. 26 § 2 Abs. 2 GenTG. 27 In Großbritannien wurde daher nachträglich eine spezielle Ausnahmeregelung geschaffen.

Andernfalls hätte man die Patienten nach britischem Gentechnikrecht unter Laborbedin-gungen halten müssen (Coghlan, New Scientist 1995).

28 Simon/Vesting bezweifeln, daß die derzeit herrschende Auslegung des Gentechnikgesetzes mit dem EG-Recht zu vereinbaren sei (Simon/Vesting, Studie, o.J., S. 100ff., 132ff.).

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Ansonsten besteht einige Unsicherheit, ob man Gentherapie eher als Heilver-such, als medizinische Forschung oder als Arzneimittelentwicklung verstehen soll. Als Heilversuch wäre sie von jeglicher Kontrolle ausgenommen, als medi-zinische Forschung wären die Vorschriften des ärztlichen Standesrechts anzu-wenden, und als Arzneimittelentwicklung wäre sie dem Arzneimittelgesetz (AMG) zu unterwerfen.29 In der Praxis scheint man sich indes einig, daß die Rechtfertigung als Heilversuch im allgemeinen nicht gegeben ist. Sowohl nach Standesrecht als auch nach dem AMG30 ist die Anrufung einer lokalen Ethik-Kommission vorgesehen. Darüber hinaus verlangt das AMG die Anmeldung von klinischen Versuchen bei der Landesbehörde. Eventuell ist auch die Hinterlegung der klinischen und toxikologischen Daten bei einer Bundesbehörde sowie die Beachtung der 'Good Manufacturing Practice' (GMP) für die Herstellung des gentherapeutischen Präparats erforderlich.31 Sollte die Gentherapie zu einem marktförmigen 'Produkt' entwickelt werden, kämen auch die europarechtlichen Vorschriften (EG-VO 2309/93, s.o.) zur Anwendung.

Bei der Verhandlung vor den Ethik-Kommissionen geht es vor allem um die bei medizinischen Versuchsprotokollen übliche Risiko-Nutzen-Abwägung und die Sicherstellung der aufgeklärten Zustimmung.32 1994 wurde bei der Bundes-ärztekammer außerdem eine zentrale Ethik-Kommission für Fragen der Genthe-rapie eingerichtet, die von den lokalen, vor allem bei Landesärztekammern und Universitätskliniken eingerichteten Ethik-Kommissionen zur Beratung herange-zogen werden soll. 1995 wurden vom Vorstand der Bundesärztekammer Richt-linien zur Gentherapie verabschiedet, die den Versuchsleitern und Ethik-Kommis-sionen nähere inhaltliche Kriterien für die Anfertigung und Beurteilung von Ver-suchsprotokollen an die Hand geben.33

Inwieweit es darüber hinaus auch in der Bundesrepublik zu einer spezialge-setzlichen Regelung kommen wird, ist fraglich. Die Meinungen sind in der Fach-öffentlichkeit geteilt.34 Der für 1995 erwartete Bericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die 1993 zu diesem Thema eingerichtet wurde, lag bei Projekt-

29 Vgl. Schreiber, Rechtliche, 1995; Friedrich-Ebert-Stiftung, Expertengespräch, 1993;

Simon/Vesting, Studie, o.J. 30 Seit 1995 schreibt das AMG für alle Arzneimittelstudien die Vorlage der Versuchsproto-

kolle bei einer Ethik-Kommission zwingend vor. 31 Lindemann et al., Der Chirurg 1995. 32 Vgl. Helmchen, Ethikkommissionen, 1994; Levine, Ethics, 1988; Czwalinna, Ethik-

Kommissionen, 1987; Daele/Müller-Salomon, Kontrolle, 1990; Gill, Gentechnik, 1991, S. 199ff.

33 Deutsches Ärzteblatt vom 17.3.1995, Bd.92/Nr. 11, S. A-789ff. 34 Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung, Expertengespräch, 1993; Simon/Vesting, Studie, o.J.

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abschluß noch nicht vor. Es scheint sich aber anzudeuten, daß man die technische und rechtspolitische Entwicklung zunächst weiter beobachten will.

9.2. Entwicklung der somatischen Gentherapie in den USA und Europa

Entsprechend der Konzeption in den 80er Jahren sollte die somatische Genthe-rapie vor allem auf monogenetische Erbkrankheiten angewandt werden. Fehlende Genfunktionen sollten durch den Einbau des 'richtigen' Gens nachträglich substi-tuiert oder fehlerhafte Genfunktionen durch die Abschaltung des mutierten Gens korrigiert werden. Zwar sind etwa 4000 monogenetische Erbleiden bekannt, doch sind diese für sich genommen relativ selten. Auch in ihrer Summe sind monoge-netische Erbkrankheiten nur für einen geringen Prozentsatz des gesamten Krank-heitsaufkommens verantwortlich, das wesentlich von den großen 'Volkskrankhei-ten' - Gefäßerkrankungen (vor allem Herzinfarkt), Krebs, Rheuma etc. - dominiert wird. Bei diesen kann zwar ebenfalls eine genetisch bedingte Anfälligkeit beste-hen, sie sind aber immer durch exogene Faktoren - Infektionen, Ernährung, Um-welt- und Genußgifte, psychische Belastungen - mitverursacht. Außerdem beruht die erblich bedingte Anfälligkeit in der Mehrzahl der Fälle auf dem Zusammen-spiel mehrerer Gene, so daß gentherapeutische Eingriffe im ursprünglichen Sinne hier schwierig, wenn nicht gar unmöglich sind.35

Allerdings wurden bereits Ende der 80er Jahre schon andere Behandlungs-strategien entwickelt, die im wesentlichen auf die Unterstützung des Immun-systems bei Krebs- und Viruserkrankungen abzielen oder einen zielgenaueren Einsatz von Chemotherapien bei diesen Krankheiten erlauben sollen.36 Zum Bei-spiel sollen Abwehrzellen durch die Einschleusung entsprechender Gene zu einer verstärkten Produktion immunstimulierender Substanzen angeregt werden. Zum Teil wurde der Gentransfer auch zu rein diagnostischen Zwecken eingesetzt, z.B. um die Wege von Immunzellen bei ihrem Angriff auf Krebsgeschwulste verfolgen zu können (sogenannte Markerstudien). Von 106 Protokollen, die bis 1995 in den USA genehmigt wurden, zielten 51 auf die Therapie von Krebs, bei 25 handelte es sich um Markerstudien, 20 waren auf die Behandlung monogenetischer Er-krankungen - vor allem Cystische Fibrose - gerichtet, acht hatten die Eindäm-mung von HIV zum Ziel, und die übrigen zwei richteten sich gegen Rheuma- und Gefäßerkrankungen.37

35 Vgl. Strohman, Bio/Technology 1994. 36 Vgl. Culver/Blaese, Trends in Genetics 1994; Bayertz et al., Gentransfer, 1993, S. 10ff.;

Schmitt et al., Stand, 1994; Friedrich-Ebert-Stiftung, Expertengespräch, 1993, S. 3ff. 37 Marshall, Science 1995a, S. 1053.

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Sowohl bei den Therapieversuchen zu den monogenetischen wie auch zu den übrigen Erkrankungen scheint absehbar, daß nicht eine einmalige Applikation von transgenem Material - wenn überhaupt - zum Erfolg führen wird, sondern daß wahrscheinlich wiederholte oder sogar dauerhafte Anwendungen erforderlich sein werden. Daher ist für die gegenwärtige Konzeption der somatischen Gentherapie die Analogie zu einem chirurgischen Eingriff - früher wurde häufig der Vergleich mit der Organtransplantation bemüht38 oder von 'Genchirurgie' gesprochen - nicht mehr tragfähig; die Entwicklung scheint sich stattdessen eher einer Impfung oder medikamentösen Therapie anzunähern.39

Mit dem Angriff auf weit verbreitete Krankheiten wird außerdem ein viel brei-teres Betätigungsfeld eröffnet, als es bei monogenetischen Erkrankungen gegeben wäre. Damit einher geht der Einstieg großer pharmazeutischer Unternehmen und eine Gründungswelle kleinerer kommerzieller Unternehmen im Umkreis des e-hemals von der universitären Medizin geprägten Entwicklungsbereichs. Pharma-zeutische Unternehmen sehen ihre Kompetenzvorteile gegenüber der medizini-schen Klinik vor allem in der hochreinen und standardisierten Aufbereitung der Präparate, die in Universitäten und Krankenhäusern nur schwer zu gewährleisten ist.

Zur schnellen Kommerzialisierung der somatischen Gentherapie hat die Eupho-rie in der medizinischen wie in der allgemeinen Öffentlichkeit beigetragen.40 Für viele tödliche Krankheiten schien endlich eine wirksame Therapie in Aussicht. Auch unerwünschte Nebenwirkungen waren - von selteneren Zwischenfällen abgesehen41 - bisher kaum erkennbar geworden. In Deutschland wurden die ers-ten klinischen Versuche 1994 begonnen. Diese sind aber nur die Spitze eines Eisbergs. Denn zur gleichen Zeit lagen dem Bundesforschungsministerium ca. 245 Anträge von Forschergruppen zur Entwicklung gentherapeutischer Verfahren vor.42 Diese Perspektive führte selbst in der Fachöffentlichkeit zu der Forderung, von Vorsichtsmaßnahmen abzusehen, um die Heilung leidender Menschen nicht zu verzögern.43

38 Vgl. z.B. die ersten von der Bundesärztekammer 1989 herausgegebenen Richtlinien (Deut-

sches Ärzteblatt vom 12.10.1989, Bd.86/Nr. 41, S. A-2957ff.). 39 Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung, Expertengespräch, 1993, insb. S. 38, 81; Schleuning, Gen-

therapie, 1994. 40 Die positive Bewertung des Nutzens der Gentherapie in der Bevölkerung war jedoch

1997, einer erneut durchgeführten Umfrage zufolge, gegenüber 1992 von 52% auf 39% abgesunken. Dieses Absinken könnte allerdings mit der zu diesem Zeitpunkt aktuellen Dis-kussion über die Klonierung des Schafes 'Dolly' zusammenhängen (TAB-Brief Nr. 12, Juni 1997, S. 17f.).

41 Schmitt et al., Stand, 1994, S. 29. 42 Schmitt et al., Stand, 1994, S. 9. 43 Vgl. z.B. Schreiber, Rechtliche, 1995.

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In jüngerer Zeit ist aber ein deutlicher Stimmungsumschwung eingetreten. Nach anfänglichen Erfolgsmeldungen hat sich nämlich unterdessen die Erkenntnis durchgesetzt, daß therapeutische Erfolge bisher in keinem einzigen Fall nachge-wiesen werden konnten.44 Es stellt sich nämlich das Problem, daß vorübergehen-de Besserungen des Zustands der Patienten, wie sie gelegentlich gemeldet wur-den, nicht unbedingt auf die Gentherapie zurückzuführen sind, sondern ebensogut von spontanen Schüben herrühren können oder mit den Reaktionen auf her-kömmliche Behandlungsansätze vergleichbar sind. Selbst bei den berühmten ADA-Patienten,45 bei denen sich anfangs zum Teil eine deutliche Besserung ab-zeichnete, konnte bisher nicht auf die konventionelle Therapie verzichtet werden. Abgesicherte Ergebnisse der klinischen Versuche sind daher bisher kaum in an-gesehenen Fachzeitschriften veröffentlicht. Als Gründe werden vor allem die Ineffizienz der verwendeten Vektoren, Abstoßungsreaktionen gegenüber dem eingebrachten transgenen Material sowie Zweifel an der biochemischen und phy-siologischen Zielgenauigkeit der bisher verwandten Verfahren genannt.

Viele Forscher halten daher den Einsatz von klinischen Versuchen am Men-schen für tendenziell verfrüht und propagieren eine Präzisierung der Ansätze durch gründlichere Vorarbeiten im Labor.46 In ihren Augen stellt die jüngste Wel-le klinischer Versuche einen blinden Aktionismus ("hype") dar, der getragen sei von einer Mischung aus Mitleid, öffentlicher Euphorie und kommerzieller Propa-ganda,47 aber nicht von anwendungsreifen wissenschaftlichen Ergebnissen.

Erkennbar wird in diesem Zusammenhang auf jeden Fall, daß die Entwicklung der Gentherapie bisher weder durch staatliche Regulierung noch durch öffentliche Kritik behindert wird. Der relativ späte Beginn klinischer Versuche in der Bun-desrepublik ist allenfalls durch eine von den deutschen Genforschern selbst - in Reaktion auf allgemeinere öffentliche Vorbehalte - erzeugte Stimmungslage zu erklären.48 Er könnte aber auch auf die in Deutschland generell beklagten Schwierigkeiten bei der Verzahnung von Grundlagenforschung und klinischer Medizin zurückzuführen sein.

44 Vgl. im folgenden Marshall, Science 1995a; Koch, Süddeutsche Zeitung 1995; Ritzert,

Süddeutsche Zeitung 1995. 45 ADA ist eine sehr seltene erbliche Immunschwächeerkrankung. 46 Marshall, Science 1995b. 47 So bemerkt Harold Varmus, der Direktor des NIH, daß der frühe Start von klinischen

Versuchen damit zusammenhänge, daß kleine, mit Risikokapital gegründete Firmen vor al-lem darauf konzentriert seien zu überleben: "One way to survive is to have a clinical trial - show that you are actually on the scoreboard". (zit. n. Marshall, Science 1995a, S. 1055).

48 Vgl. oben, Kap. 7, S. 226; vgl. Int. Nr. 1, S. 21.

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9.3. Fallbeispiel: Gentherapie 'von innen'

Da die Gentherapie in Deutschland eine noch relativ junge und nur schwach regu-lierte Anwendungsform ist, wurden - im Unterschied zum Umgang im Geschlos-senen System und zur Freisetzung - bisher nur wenige praxisnahe Risiko- und Regulierungsdiskussionen geführt. Daher steht nur in sehr begrenztem Umfang Material für eine Dokumentenanalyse zur Verfügung. Allerdings wurde uns von einem Institut der molekularbiologischen Grundlagenforschung und einer medizi-nischen Klinik - die hier zusammenarbeiten - freundlicherweise die Möglichkeit eröffnet, die beteiligten Mitarbeiter über ihre diesbezüglichen Einstellungen zum konkreten Fall und zur Gentherapie im allgemeinen detailliert zu befragen. Dabei wollten wir vor allem herausfinden, welche Wahrnehmungs-, Diskussions- und Entscheidungsprozesse im Sinne einer Selbstregulierung zum Tragen kommen und an welchen Stellen die gegenwärtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen wirksam werden.

In dem vorliegenden Fall geht es um den Versuch, die Immunabwehr gegen Krebs zu verstärken.49 Zu diesem Zweck werden bei den Patienten Tumorzellen entnommen, im Labor vermehrt und mit einem Gen versehen, das die Zellen zur Produktion von immunstimulierenden Botenstoffen (Zytokinen50) anregt. Dann werden die Tumorzellen durch Bestrahlung vermehrungsunfähig gemacht und den Patienten - über mehrere Wochen verteilt - unter die Haut gespritzt. Man erwartet nun, daß die behandelten Tumorzellen sich an denselben Stellen anreichern, an denen ihre unbehandelten Schwesterzellen Metastasen bilden. Es handelt sich also um eine Art gezielter Impfung, die das Immunsystem an diesen Stellen zu einer verstärkten Abwehr gegen die Tumorzellen provozieren soll.51

Außerdem wird den Patienten Blut entnommen, daraus ein bestimmter Typ von Immunzellen (Lymphozyten) isoliert, vermehrt und ebenfalls mit einem Gen ver-sehen, das diese Zellen verstärkt zur Produktion von immunstimulierenden Bo-tenstoffen anregt. Auch diese Zellen werden den Patienten dann in einem be-stimmten Rythmus verabreicht.

Von diesen beiden Eingriffen erhofft man sich, daß Zytokine gezielt am Wir-kungsort der Tumorabwehr ausgeschüttet werden. Damit sollen die starken Ne-

49 Die folgenden Darstellungen stützen sich auf das bei der Ethik-Kommission zur Begut-

achtung vorgelegte Versuchsprotokoll. 50 Das sind Interleukine, Tumor-Nekrose-Faktor, Interferone etc. 51 Es handelt sich um die Weiterentwicklung einer Impfung mit abgetöteten Tumorzellen, die

z.B. aufgrund der Infizierung mit Viren vom Immunsystem als 'fremd' erkannt und daher attackiert werden. Ist die Attacke erst einmal in Gang gesetzt, werden dann oft auch die im Körper verbliebenen, nicht-veränderten Tumorzellen angegriffen (vgl. Schirrmacher, Spektrum der Wissenschaft 1990).

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benwirkungen vermieden werden, die sich bei der ungezielten 'systemischen' Verabreichung von wirksamen Dosen dieser Botenstoffe ansonsten gezeigt ha-ben.

Das transgene Erbmaterial wird mit Goldkügelchen in die Tumorzellen bzw. Lymphozyten geschossen und dabei im Zellkern abgestreift. Der vor allem in den USA gebräuchliche Einsatz viraler Vektoren, die sich eventuell komplettieren und dann weitervermehren können,52 wird also vermieden. In den Zellen kommt es auch nicht zum Einbau in das Genom. Deshalb hofft man, daß keine Mutationen ausgelöst werden, die z.B. die Neubildung von Krebs nach sich ziehen könnten. Außerdem werden die neuen Gene nur vorübergehend exprimiert und können daher höchstens einige Wochen lang die Produktion der Zytokine induzieren. Das bedeutet zwar, daß regelmäßig Zellpräparate zugeführt werden müssen, hat aber zugleich den Vorteil, daß auch die Nebenwirkungen wahrscheinlich nicht lange anhalten würden, wenn man die Therapie abbrechen müßte. Der Gentransfer findet außerhalb des Körpers ('in vitro') statt; daher - und weil der Vektor im Körper wahrscheinlich nicht vermehrt werden kann - sind nur die ausgewählten Zellen betroffen. Beim Gentransfer direkt in den Körper ('in vivo') besteht näm-lich sonst das Problem, daß sich der Eingriff kaum auf die Zielzellen beschränken läßt. Insofern handelt es sich um einen relativ - bezogen auf die bisher diskutier-ten Sicherheitskritierien53 - 'harmlosen' Versuchsansatz, zumal auch bei anderen Gentherapieversuchen mit Zytokin-produzierenden Zellen keine stärkeren akuten Nebenwirkungen aufgetreten sind.

9.3.1. Perspektiven der Gentherapie

Befragt nach den unmittelbaren Erfolgsaussichten des aktuellen Versuchs, geben sich alle beteiligten Forscher sehr skeptisch. Sie betonen, daß es sich zunächst - ähnlich wie bei Arzneimittelprüfungen54 in der Phase I - vor allem um Verträg-lichkeitstests handele, die nur an Krebspatienten vorgenommen werden dürften, bei denen bereits alle herkömmlichen Therapieansätze55 ausgereizt seien und die sich daher in einem weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium befänden. Weil sich in diesem Stadium Metastasen schon weit ausgebreitet hätten und das Im-

52 Vgl. Schmitt et al., Stand, 1994, S. 22ff. 53 Vgl. Schmitt et al., Stand, 1994, S. 22ff. 54 Bei der Arzneimittelprüfung werden gewöhnlich vier Phasen unterschieden: In Phase I

wird das Mittel an kleinen Kollektiven auf Verträglichkeit, in Phase II und III zunächst an kleinen und dann an größeren Patientenkollektiven auch auf Effektivität getestet. Nach der Marktzulassung setzt dann Phase IV ein, in der das Medikament unter Praxisbedingungen beobachtet wird.

55 Dabei handelt es sich um chirurgische Eingriffe, Bestrahlung und Chemotherapie.

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munsystem in der Regel auch bereits geschwächt sei, wären Heilungserfolge eher unwahrscheinlich. Dies müsse man den Patienten auch deutlich sagen, um keine falschen Hoffnungen zu wecken. Mit anderen Worten: Man geht davon aus, daß die für die Studie ausgewählten Patienten so oder so in nächster Zeit sterben wer-den.

Allerdings möchte man auch im aktuellen Versuch schon Hinweise gewinnen, wie die Therapie wirkt und wie sie gegebenenfalls zu verbessern wäre. Weil die 'harten' Kriterien für die Beurteilung neuer Therapieansätze - z.B. die Fünf-Jahre-Überlebensquote - in diesem Krankheitsstadium nicht mehr angewandt werden können, müssen Indikatoren entwickelt werden, die gleichwohl latente Ver-besserungen anzeigen. Dabei scheint es allerdings zu Verständigungsschwie-rigkeiten zwischen den an der Laborforschung orientierten Molekularbiologen und den letztlich am Wohlbefinden der Patienten orientierten Medizinern zu kommen. Der Leiter der molekularbiologischen Arbeitsgruppe schildert aus seiner Sicht:

"Die Mediziner haben nie gelernt, ihre Versuchsbedingungen, falls man es dort so nennen kann, wirklich zu kontrollieren. Ich denke, die statistischen Kontrollen bei Arzneimittelprüfungen vermitteln nicht das Gedankengut, in dem wir erzogen sind. Wir versuchen nämlich, Schritte von A nach B wirklich nur mit einem Parameter Unterschied zu machen, um zu sehen: Ist das, was ich tue, wirklich auf die beim je-weiligen Schritt veränderten Bedingungen oder geänderten Messungen zurückzu-führen?" (Int. Nr. 9, S. 1f.)

Diese Unterschiede im disziplinären 'Denkstil'56 machen sich auch praktisch be-merkbar:

"Das macht sich praktisch bemerkbar, wenn es zum Beispiel um den Signifikanz-begriff geht, ob sich etwas deutlich unterscheidet von dem, was vorher war. Wir ha-ben bestimmte Regeln, was man unter 'deutlich unterscheidbar' versteht. Das ist den Klinikern sehr schwer zu vermitteln. Es kann ja sein, daß ein Patient sich zunächst wohler fühlt, oder daß es vielleicht so aussieht, als würde eine Metastase nicht wachsen, oder daß sich das Blutbild so schön entwickelt hat. Nur sind das Dinge, die zwar die tägliche Motivation eines Arztes ausmachen können, aber ich muß mich fragen: Ist es nach meinen Regeln wirklich beweisbar, daß diese Verände-rungen auf den gewählten Therapieansatz zurückzuführen sind? ... Das ist eine Dis-kussion, die mit unterschiedlichen Maßstäben geführt wird, ähnlich einer Aus-

56 Vgl. Fleck, Entstehung, 1935. Fleck war selbst praktizierender Mediziner und hat seine -

dem Werk von Thomas S. Kuhn schon früh vorgreifenden - erkenntnistheoretischen Über-legungen am Beispiel der Syphilisforschung zu Beginn dieses Jahrhunderts dargelegt. Zur Konkurrenz von Grundlagenmedizinern und Klinikern vgl. auch Bourdieu, Homo, 1992, S. 117ff.

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einandersetzung unter Eheleuten, die auch nicht wirklich über das Gleiche reden, sich aber trotzdem kräftig streiten können." (Int. Nr. 9, S. 3)

Allerdings wird auch eingeräumt, daß der 'ganze Mensch' - um den es letztlich geht - viel komplexer sei als das Labormodell, und daß daher der Denkstil der Kliniker, der an der Erfahrung im Umgang mit Patienten orientiert sei, eine ande-re, aber gleichwohl berechtigte Rationalität besitze. Die Kliniker seien sehr skep-tisch gegenüber der "Erfolgseuphorie" der Molekularbiologen:

"Erfolgseuphorie nicht im unmittelbar emotionalen Sinn: Wir denken, wenn ein Konzept in sich stimmig ist und auch beweisbar ist von den Grundlagen her, ... daß es dann an den Menschen auch so arbeitet. Das tut es aber nicht. Das haben wir dann ganz drastisch einsehen müssen. Und ich denke, das ist ein wesentlicher Punkt, den man von den Klinikern lernen kann: Daß wir uns hier in einen Erfah-rungsbereich vorschieben und mit einem komplexen System umzugehen versuchen, das man sicherlich nicht begreifen, aber trotzdem irgendwie 'händeln' kann aufgrund von Erfahrungsfaktoren." (Int. Nr. 9, S. 8)

Befragt nach den über die aktuellen Versuche hinausweisenden Perspektiven der Gentherapie zeigt sich dann trotzdem ein Unterschied zwischen der tendenziell57 euphorischen Einschätzung von Molekularbiologen und der durchweg eher nüch-ternen Haltung der Kliniker. Am prononciertesten wird die optimistische Ein-schätzung vom Leiter der molekularbiologischen Arbeitsgruppe vertreten:

"Ich denke, daß diese malignen Erkrankungen molekularbiologische Fehlsteuerun-gen sind und daß man sie letzlich nur mit solchen Vorgehensweisen heilen kann. ... Man ist [bei der herkömmlichen Krebstherapie] in die eigentliche kausale Proble-matik nie tief genug eingestiegen. Natürlich hat auch die Grundlagenforschung bis-her nicht genügend gewußt. Aber ich denke, seit zehn Jahren weiß man sehr viel mehr über das Immunsystem, seit fünf Jahren weiß man sehr viel über Steuerung von Zellteilung und programmierten Zelltod. Nun ist eigentlich klar aus den Berei-chen der signalen Transduktion, was Krebs ist und weshalb Menschen daran erkran-ken. Es ist zwar jetzt noch nicht klar, wie man dort therapeutisch eingreifen kann, weil es ein sehr breites biologisches Geschehen ist, und dann nicht nur eine einzelne Zelle, sondern einen komplexen Organismus betrifft. Aber es kann sicher nur ein molekularbiologisches oder ein immunologisches Vorgehen sein. ... Ich bin also der festen Überzeugung, daß diese Wege, die jetzt gegangen werden, auch die richtigen sind, was das grundsätzliche Prinzip angeht." (Int. Nr. 9, S. 15ff.)

Was wären aber die sozialen Aussichten, wenn es gelänge, Krebs als eine der häufigsten Todesursachen zu 'besiegen':

57 Als in dieser Hinsicht tendenziell optimistisch haben wir die Interviews Nr. 9, Nr. 8 und

Nr. 5 bewertet, als eher skeptisch die Interviews Nr. 10, Nr. 6 und Nr. 7; dabei ist aufge-fallen, daß die optimistischeren Einschätzungen durchweg von Männern, die skeptischeren durchweg von Frauen stammen.

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"Es ist gut, daß wir ein programmiertes Lebensalter haben. Die Menschen sollten aber dieses Lebensalters 'in den Stiefeln erleben'. Man sollte das Leben so lebens-wert machen, daß es sich dann vielleicht auch lohnt, diese neunzig bis hundert Jahre alt zu werden." (Int. Nr. 9, S. 17)

Mit der Vorstellung von einem programmierten Lebensalter wird ein 'natürlicher' Rahmen redefiniert, in dem die Gentherapie einerseits zur Verbesserung der Le-bensbedingungen beitragen kann, aber andererseits auch in ihren potentiellen Wirkungen - z.B. einer beliebigen Lebensverlängerung - eingeschränkt wird.58 Denn Krebs gehöre nicht zu den biologischen Mechanismen, mit denen der pro-grammierte Untergang des Organismus eingeleitet werde, und erfolgreiche Krebs-therapien könnten daher auch diese Programmierung nicht außer Kraft setzen.59

Zu so weitreichenden Überlegungen waren die Kliniker in den Interviews nicht anzuregen. Sie haben nicht die Perspektive der Grundlagenforschung, die jahr-zehntelang im Labor mit Modellen arbeitet und nun relativ plötzlich die Perspek-tive einer gesellschaftlich äußerst resonanzfähigen Anwendung entdeckt. Ihr All-tag stellt sich vielmehr so dar, daß sie vor allem mit dem Leiden der Krebskran-ken konfrontiert sind:

"Das ist ja ein generelles Problem, wenn man mit Patienten arbeitet, die eine tod-bringende Erkrankung haben. Bei den Onkologen, die das nun speziell und konzen-triert erleben, ist das natürlich immer auch eine Belastung, zu sehen, wenn Patien-ten, die 30 oder 40 Jahre alt sind, an ihren Metastasen dann versterben und man kann nur danebenstehen und sagen: 'Das wars dann eben'." (Int. Nr. 3, S. 4)

Als Ärzte sind sie daher nicht nur selbst auf der Suche nach neuen Hoffnungen, sie werden auch von den Patienten zu allen möglichen Therapieverfahren ge-drängt, von denen in den Medien berichtet wird:

"Die Krebspatienten, die dem Tod entgegensehen, erkundigen sich über alles mög-liche, und dann oft auch viel Obskures ... irgendwelche Kälte- oder Hitzetherapien oder was es da auch immer gibt. Es ist erstaunlich, womit sie immer wieder an-kommen. Sie passen also enorm auf. Diese Geschichten sind ihnen dann geläufig, z.B. durch die Laienpresse, oder wie man es nennen mag." (Int. Nr. 1, S. 7)

Die Onkologen haben aber auch seit Jahrzehnten die Erfahrung gemacht, daß alle bisherigen Verfahren - trotz vielfach euphorischer Versprechungen - immer nur begrenzt hilfreich waren - wenn überhaupt. Aus ihrer Perspektive ist daher die Gentherapie ein Verfahren unter anderen, das sie mit einer Mischung aus Hoff-nung und Skepsis betrachten:

58 Vgl. auch Int. Nr. 8, S. 13, in dem ebenfalls ein zwar großer, aber überschaubarer und

daher sozial wünschenswerter Erfolg vorgestellt wird. 59 Int. Nr. 9, S. 20.

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"Das ist jetzt der große Wagen, auf den alle springen. Das ist auch gar nicht schlecht, denn dadurch werden wir dann auch nach einigen Jahren genug wissen, um es einschätzen zu können. Es wird einfach gemacht, weil wir nichts anderes ha-ben. Wir haben nichts Besseres. Es ist doch auch auf anderen Gebieten passiert, daß immer mal mit dem wissenschaftlichen Fortschritt ein bißchen was abfiel. Es ist a-ber auch viel verpufft." (Int. Nr. 1, S. 10)

9.3.2. Risiken der Gentherapie

Als unmittelbar praktisches Risiko stellt sich aus der Sicht der Molekularbiologen die Möglichkeit der Verunreinigung der Zellpräparationen dar, die den Patienten verabreicht werden. Eine Verunreinigung, etwa durch die Atemluft des Präpara-tors, würde man zwar relativ schnell bemerken.60 Allerdings müßte man dann das Präparat wegwerfen, was im normalen Laboralltag kein größeres Problem darstel-len würde - man müßte eben den Versuch wiederholen -, in diesem Fall aber die Verschiebung des Behandlungstermins - also Störung der Zusammenarbeit und wahrscheinlich Enttäuschung des Patienten - zur Folge hätte.61 Das sei aber bis-her noch nicht vorgekommen. Man bemühe sich um größtmögliche Hygiene - u.a. würden die Präparationen unter S 2-Bedingungen vorgenommen, obwohl sie nach dem Gentechnikgesetz auch unter S 1-Standard zulässig wären. Um die Qualität der Präparationen zu gewährleisten, versuche man sich am Standard von Blut-banken zu orientieren. Allerdings seien die in der Industrie geltenden GMP-Standards im Institut noch nicht zu verwirklichen.62

Als theoretische Risiken werden von den erfahreneren Mitgliedern der mole-kularbiologischen Arbeitsgruppe ein mögliches onkogenes Potential der Vektoren und der nicht-intendierte Transfer auf die Keimbahn angesprochen. Bei den ge-wählten transgenen Konstrukten sei das - aufgrund der oben dargestellten Sicher-heitsvorkehrungen - nicht sehr wahrscheinlich, und außerdem handele es sich um Langzeitwirkungen, die man in den aktuellen Versuchen nicht beobachten könnte, weil die Patienten nicht lange genug lebten.63

Etwas überraschend für uns war die Beobachtung, daß - bei einer so neuartigen Entwicklung - die Vektorentwicklung im molekularbiologischen Institut in we-sentlichen Teilen von Medizinstudenten im Rahmen von Doktorarbeiten64 betrie-ben wird. Obwohl die Arbeiten von erfahreneren Wissenschaftlern betreut wer-

60 Int. Nr. 6, S. 24. 61 Int. Nr. 8, S. 4. 62 Int. Nr. 9, S. 6, 49. 63 Int. Nr. 9, S. 28. 64 Es ist bei Medizinstudenten heute vielfach üblich, daß die Doktorarbeiten noch während

des Studiums nebenher begonnen und abgeschlossen werden.

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den, stellt sich die Frage, ob die unmittelbar bei der Vektorentwicklung auftreten-den Phänomene - mit denen in erster Linie noch eher unerfahrene Experimentato-ren konfrontiert sind - dann angemessen beobachtet und interpretiert werden kön-nen.

Die Risikoerwägungen der Kliniker bewegen sich dagegen wieder überwie-gend auf einer anderen Erfahrungsebene:

"Bei diesen Versuchen sehe ich eigentlich überhaupt kein Risiko. ... Die Substanzen selber kennen wir. Die haben wir z.T. schon therapeutisch eingesetzt. Nun macht die Körperzelle dies selber, was noch viel besser ist. Wir haben auch nicht die Ge-fahr der Kontamination, z.B. mit HIV oder Hepatitis, die gegeben wäre, wenn man Zellmaterial von einem fremden Spender einsetzen würde. ... Ja, was könnte sonst noch eine Gefahr sein? Daß die Krebszellen, wenn man sie zurückspritzt, noch nicht genug abgetötet sind und dann einfach weiterwachsen. Diese Gefahr ergibt sich nicht, wenn man die Zellen vernünftig bestrahlt hat, es sei denn, es passiert ein Un-fall. ... Ich sehe auch für uns beim Umgang mit diesen Zellen keine Gefahr, jeden-falls keine größere Gefahr, als wenn wir unseren Patienten auf der Station Blut ab-nehmen oder die Haut abtasten. Natürlich haben wir immer Umgang mit Patienten, wir haben fast alle schon mal eine Hepatitis gehabt, weil wir lange genug in der Medizin sind. ... Die Verträglichkeit bei den von uns verwendeten Zytokinen ist so-gar noch besser, als ich erwartet habe. Da kenne ich ganz andere Nebenwirkungen, z.B. bei den schrecklichen chemotherapeutischen Therapien, die wir eingeleitet und den Patienten zugemutet haben." (Int. Nr. 1, S. 11f.)

Wie hier deutlich wird, setzen Kliniker andere Vergleichsmaßstäbe an als Labor-forscher. Während Laborforscher - soweit sie nicht regelmäßig und gezielt mit hochinfektiösem Material arbeiten - mit vergleichsweise niedrigen Risiken direkt konfrontiert sind, ist das unmittelbare Gefahrenniveau in der Klinik weitaus höher - sowohl im Hinblick auf Selbstgefährdungen als auch auf nicht-intendierte Ne-benwirkungen bei der Behandlung der Patienten.

Die Möglichkeit von überraschend auftretenden Risiken wollen aber weder die Molekularbiologen noch die Kliniker ausschließen. Bei der Diskussion der ent-sprechend zu treffenden Vorkehrungen zeigt sich indes wieder die unter-schiedliche Denkweise. Eine Klinikerin antwortet:

"Wir überwachen die Patienten sehr umfangreich. Die Patienten sind krank, sie sind in unserer Obhut und das ist eigentlich eine ganz unproblematische Zusammen-arbeit.65 ... Da wird ein Riesenschwanz an Untersuchungen bei diesen Patienten vorgenommen, wo wir auch schauen wollen, wie das Immunsystem reagiert und was sich sonst abspielt. Das ist sehr sorgfältig ausgetüftelt." (Int. Nr. 1, S. 20)

65 Hier wird auf das in anderen Fällen auftretende Problem angespielt, daß man die Wirkung

von Therapien nicht genau studieren kann, weil die Patienten nicht den ärztlichen Anwei-sungen folgen.

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Dagegen setzen die Überlegungen der Grundlagenforscher auf der molekularen und zellulären Ebene an. Grundsätzlich hält man die Übertragung des transgenen Materials etwa auf die Darmflora oder in die Umwelt nicht für ausgeschlossen. Auch wenn dann kaum mit schwerwiegenden Folgen zu rechnen sei, sollte man z.B. den Verbleib des vom Patienten ausgeschiedenen Genmaterials im Rahmen von Sicherheitsforschung verfolgen:

"Ich weiß nicht, was ich mir vorstellen sollte, wenn so ein Plasmid nun in die Ka-nalratte gerät, wo es dann irgendwo weiterübertragen wird. Soweit möchte ich gar nicht gehen. Aber es besteht die Möglichkeit, daß in größeren Mengen vorhandenes und vermehrungsfähiges transgenes Material in irgendwelche Ketten von Systemen gelangt. Ich denke, man sollte versuchen, das frühzeitig zu erkennen." (Int. Nr. 9, S. 31)

Um dem Verbleib des Vektors nachgehen zu können, sei es auch wichtig, jeweils bei den verstorbenen Patienten eine Obduktion vorzunehmen. Aus ethischen Er-wägungen habe man aber davon abgesehen, die Zustimmung zum Versuch seitens der Patienten mit der Einwilligung in die spätere Obduktion zu koppeln.66

Nach den Risiken viraler Vektoren befragt, betonen die meisten Mitarbeiter in beiden Arbeitsgruppen, besonders aber die Kliniker, sie seien froh, daß diese bei den eigenen Versuchen nicht eingesetzt würden:

"Das Bestechende an der Kooperation mit dieser molekularbiologischen Arbeits-gruppe ist eben, daß dort keine viralen Vektoren verwandt werden, was ich immer zumindest als ein theoretisches Risiko betrachtet habe, auch wenn inzwischen eine ganze Menge Information - zumindest kurzfristiger Natur - vorliegt. Bei der Über-tragungsmethode, die wir verwenden, scheint mir die größtmögliche Sicherheit so-wohl für die Leute, die die Zellen herstellen, als auch für die Patienten und ihre Umgebung gewährleistet zu sein, so daß kein vermehrungsfähiges Material, selbst im theoretischen Sinne, entstehen kann." (Int. Nr. 4, S. 11)

Ein anderes Mitglied der klinischen Arbeitsgruppe würde sogar eventuell die Mitarbeit verweigern, wenn mit viralen Vektoren gearbeitet würde:

"Ich würde in so einer Gruppe nicht spontan mitmachen, sondern ich würde wahr-scheinlich Wochen brauchen, um mit genügend Recherche eine solche Entschei-dung abzuwägen." (Int. Nr. 2, S. 10)

Nur die mit der Sicherheitsdiskussion vertrauteren Mitglieder der molekular-biologischen Arbeitsgruppe relativieren die Risiken der in anderen Versuchen verwendeten viralen Vektoren. Sie weisen darauf hin, daß durch mehrfache Be-

66 Int. Nr. 9, S. 47; Int. Nr. 7, S. 24f. In dem von der Bundesärztekammer entwickelten

Zustimmungsformular zur Gentherapie ist allerdings mittlerweile die Einwilligung in die spätere Obduktion vorgesehen (Deutsches Ärzteblatt vom 17.3.1995, Bd.92/Nr. 11, S. A-789ff.).

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schneidung des viralen Genoms verhindert würde, daß virale Vektoren wieder vermehrungsfähig werden könnten. Wenn sie sich dennoch wieder vervollständi-gen würden, seien sie nicht besonders pathogen und, wie am Beispiel der häufig verwendeten Schnupfenviren (Adeno-V) aufgezeigt, in der Umwelt sowieso häu-fig anzutreffen.67 Auch die Entstehung neuartiger Viren sei nicht ausgeschlossen, aber im Verhältnis zu den in der Umwelt ohnehin stattfindenden Muta-tionsereignissen sei es eher unwahrscheinlich, daß dabei besonders gefährliche Varianten entstünden.68 Der Einsatz einer nicht-viralen Übertragungsmethode wird mit deren technischer Überlegenheit und nicht mit Risikoerwägungen be-gründet:

"Wir benutzen die Retroviren nicht deshalb nicht, weil wir diese Sicherheitsproble-matik irgendwo sehen würden, sondern weil wir einfach die anderen Systeme ha-ben, die für uns praktischer sind." (Int. Nr. 9, S. 33)

9.3.3. Zum Umgang mit todgeweihten Patienten

Wie schon bei der Darstellung der Risikoerwägungen angedeutet, ist man bei der Gentherapie von Tumorerkrankungen - nicht nur in diesem Fall, sondern auch bei der Vielzahl der weltweit unternommenen Versuche - der Auffassung, daß diese vorläufig nur an Patienten in einem weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium vorgenommen werden dürften. Damit ist die allgemein verbreitete utilitaristische Vorstellung verbunden, daß die Patienten fast nichts mehr zu verlieren haben und allenfalls noch etwas gewinnen können - eine Situation also, die einem morali-schen Freibrief gleichkommen könnte.69

Anklänge an diese Argumentation finden sich auch immer wieder in den Inter-views, wenn darauf hingewiesen wird, daß die Erwägungen über längerfristige Risiken für die aktuellen Versuche eigentlich irrelevant sind.70 Es wird aber auch darauf verwiesen, daß weniger die Todesprognose, sondern das Fehlen von aus-sichtsreichen Behandlungsalternativen der Grund dafür sei, daß diese Versuche an Patienten im Endstadium vorgenommen werden:

67 Int. Nr. 7, S. 11ff. 68 Int. Nr. 9, S. 33f.; Int. Nr. 2, S. 11. 69 Vgl. dazu die Kritik des Philosophen Hans Jonas: "Da muß die Profession dem verführe-

rischen Sophismus widerstehen, daß der hoffnungslose Fall am ehesten 'verausgabbar' ist ... und daher vorzüglich verfügbar; und allgemein die Einstellung, daß, je schlechter die Chancen des Patienten, desto berechtigter seine Rekrutierung für Experimente sei, die nicht direkt zu seinem eigenen Wohl gedacht sind. Das Gegenteil ist wahr." (Jonas, Tech-nik, 1987, S. 140)

70 Z.B.: "Gerade bei Tumorpatienten ist diese Diskussion relativ einfach, weil diese Patienten ohnehin quasi zum Sterben verurteilt sind." (Int. Nr. 4, S. 21)

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"Mit der Lebenserwartung direkt hat das nichts zu tun. ... Es wäre auch ein etwas schwacher Standpunkt zu sagen: 'Die haben eh nichts mehr zu verlieren, also kön-nen wir machen, was wir wollen'. Nein, es sind Patienten, denen wir sonst über-haupt nichts mehr anbieten können, die mit Standardtherapien und auch schon expe-rimentell behandelt worden sind, und denen wir jetzt gar nichts mehr anbieten kön-nen, und die aber noch freiwillig bereit sind und doch noch etwas machen wollen." (Int. Nr. 3, S. 13)

Es handelt sich also um Patienten, die nach konventionellen Maßstäben 'austhe-rapiert' sind. Patienten, denen es schon zu schlecht geht, werden allerdings von der Studie ausgeschlossen, weil die Gentherapie dann ohnehin nicht mehr helfen könnte und man den Patienten die aufwendigen Begleituntersuchungen in diesem Stadium auch nicht mehr zumuten möchte.71

Umstritten war die Frage, ob man überhaupt schon mit Versuchen am Men-schen beginnen sollte, gerade in der molekularbiologischen Arbeitsgruppe:

"In der Gentherapie würde ich vielmehr Probleme auf der ethischen Seite sehen als auf der gentechnischen Seite. Da wird mit schwerkranken Menschen umgegangen, an denen wird irgendwas ausprobiert. ... Es ist zweischneidig, es wird immer so dar-gestellt: 'Ja, wir wollen Ihnen helfen, Sie sind so krank, das ist jetzt die letzte Mög-lichkeit und wir tun Ihnen Gutes.' Auf der anderen Seite geht die Menschlichkeit dabei verloren. Vielleicht sollte man so eine Krankheit als etwas nehmen, wo man erstmal sieht, wie gehe ich damit um und wie lebe ich damit weiter, statt immer zu sagen: Ich muß das alles bekämpfen, so daß der Mensch nur noch aus Krankheit be-steht und nicht mehr aus dem Rest."72

Das liegt vor allem daran, daß die Grundlagenforscher durch die Gentherapie zum ersten Mal mit der Problematik von Versuchen am Menschen konfrontiert sind:

"Bei mir sieht es so aus - ich nehme an, bei einigen meiner Mitarbeiter auch -, daß wir im Moment, wo das rationale Konzept stimmt, das auch ganz vehement betrei-ben wollen. Wenn wir dann aber wirklich vor diesem Patienten stehen oder vor sei-nen Zellen stehen, dann haben wir doch sehr starke initiale Ängste. Zunächst ande-ren Leuten klarzumachen, daß das ein sonnenklares Konzept ist, da sind wir wahr-scheinlich die treibende Kraft. Aber wenn es dann wirklich soweit ist, sind es dann eher die Mediziner, die sagen: 'Wieso, ich muß da doch nur etwas injizieren, Zellen raus, Zellen rein. Sonst zerlegen wir die Leute in wie viele Einzelteile und nähen sie wieder zusammen.' Während der direkte Umgang mit dem Körper für uns eher eine Barriere ist, ist das für die natürlich täglich Brot. So daß man an dieser Stelle dann sehr aufpassen muß als eher Außenstehender oder als Molekularbiologe, dies dann nicht zu weit zu treiben." (Int. Nr. 9, S. 13)

71 Int. Nr. 1, S. 6, 16; Int. Nr. 4, S. 16. 72 Int. Nr. 7, S. 28; vgl auch oben, Kap. 7.5.

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So ist es manchmal auch die medizinische Seite, die zu mehr Zurückhaltung drängt.73 Auch die 'aufgeklärte Zustimmung' wird gerade von den Klinikern prob-lematisiert, weil sie damit unmittelbare Erfahrungen haben:

"Das mit dem Verstehen ist natürlich ein Problem, das ist ja auch schon bei relativ einfachen Eingriffen ein Problem. ... Für einfacher strukturierte Patienten ist das ein Problem, vielleicht sogar ein unlösbares Problem. Man kann natürlich versuchen, das in einfachere Worte zu kleiden, aber das ist auch immer eine gewisse Form der Patientenführung. Speziell bei fortgeschrittenen Patienten ist es außerdem auch ein Klammern nach einer neuen Möglichkeit, wenn man ihnen so etwas vorschlägt. Da-her ist es in der Regel so, daß wir nicht nur solche Therapieentscheidungen für die Gentherapie, sondern prinzipiell Therapieentscheidungen bei fortgeschrittenen Krebspatienten in einer Gruppe versuchen zu fällen, bevor wir dem Patienten den Vorschlag unterbreiten. Sicherlich hat der Patient dann immer die Möglichkeit, nein zu sagen. Aber auf der anderen Seite hat der Patient nicht so viele Möglichkeiten. Die Patienten stimmen bei dieser Form von Therapie, weniger weil es Gentherapie ist, sondern weil praktisch keine Nebenwirkungen erwartet werden, relativ einfach zu." (Int. Nr. 4, S. 15f.)

9.3.4. Wahrnehmung der Kontrolle durch die Ethik-Kommission

Das Projekt wurde der Ethikkommission der Universität als Heilversuch - und nicht als Arzneimittelprüfung - zur Begutachtung vorgelegt. Dieses Procedere war bereits bei einer vorangegangenen Studie, die die Molekularbiologen in Koopera-tion mit einer anderen klinischen Arbeitsgruppe initiiert hatten, gegen anfängliche Bedenken bei der Ethik-Kommission ausgehandelt worden:

"Die Ethikkommission hat zunächst formal argumentiert und nach den Tierversu-chen und anderen Vorversuchen gefragt. Wir können auf einige Vorversuche ver-weisen, die es gibt, aber bestimmte Tests gibt es eben nicht. Also war es unsere Aufgabe, trotzdem klarmachen zu können, daß das sinnvoll ist, was hier passieren soll. Wir können zum Beispiel dieses Konstrukt, das für Menschen gemacht ist, nicht an Tieren testen. Natürlich gibt es den ähnlichen Promotor und das ähnliche Gen und das ähnliche Protein auch in Tieren, nur wird es dort wieder anders regu-liert. Tierversuche würden wahrscheinlich die gleiche Richtung zeigen, aber es wä-ren keine validen Daten und nicht die Aussage, die wir eigentlich haben wollten. Was ja auch für viele Arzneimittelprüfungen gilt, aber hier wurde es extrem gefor-dert. Ein für unseren Versuch wichtiges Gen arbeitet in Mäusen völlig anders als in

73 In einem in Kooperation mit einer anderen klinischen Arbeitsgruppe begonnenen Vorhaben

werden von den Medizinern Vorversuche an Zellkulturen verlangt, die umgekehrt die Mo-lekularbiologen tendenziell als überflüssig erachten (Int. Nr. 10, S. 59).

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Menschen. Keiner weiß bisher warum. Das war die Arbeit, die wir mit der Ethik-kommission leisten mußten." (Int. Nr. 9, S. 41f.)

Die formale Deklarierung des Projekts als Heilversuch schlägt allerdings nicht auf die interne Diktion durch, die - auch im Einklang mit dem internationalen wissen-schaftlichen Sprachgebrauch in der Diskussion der Gentherapie - an den Kriterien der Arzneimittelprüfung orientiert ist:

"Wenn ich von 'Studie' oder von 'Kausalstudie' rede, dann deshalb, um zu zeigen, daß wir uns bemühen, möglichst dicht [am Verfahren experimenteller Forschung] dran zu sein. Aber für die Kassen oder für das Standesrecht oder für alle formalen Kontexte, in denen das von Belang ist, ist es eine individuelle Beeinflussung." (Int. Nr. 9, S. 43)

Die Verhandlung des ersten Gentherapieprotokolls, das in Kooperation mit einer anderen klinischen Arbeitsgruppe entwickelt und ca. neun Monate zuvor der universitären Ethikkommission vorgelegt worden war (s.o.), wurde von dem Lei-ter der molekularbiologischen Arbeitsgruppe als intensiver Diskussionsprozeß wahrgenommen. Von den von uns befragten Klinikern wurde dagegen die Begut-achtung 'ihres', also des zweiten Protokolls tendenziell als weniger anspruchsvolle Diskussion erlebt:

"Wir haben dieses Protokoll vorgelegt, da ist ja dann auch eine Patientenaufklärung dabei, und das sind sie alles durchgegangen, haben uns Fragen gestellt, wie wir uns das vorstellen. Das war eine ganz interessante Diskussion. ... Da habe ich auch ge-lernt, daß da sehr vieles überhaupt nicht reguliert ist von den Gesetzen her, und man da im Grunde noch in einer frühen Grauzone ist und einfach nur mit ein bißchen Verantwortung gucken muß, ob man das alles richtig geplant hat. Das Ethikkomitee bei uns besteht ja auch aus diversesten Leuten aus der Fachdisziplin, die haben das sehr wohl - so wie wir ihnen das vorgestellt haben - verstanden und haben einiges dann nachgefragt, aber im Grunde kundgetan, sie geben ja keine Einwilligung, wür-de ich sagen, nur daß sie keine ethischen Bedenken haben, und das haben sie in je-dem Fall auch getan." (Int. Nr. 1, S. 16f.)

"Ich habe die Diskussion als sehr hilfreich empfunden in Bezug auf die Patienten-aufklärung. Es ist aber sicherlich schwierig für das Ethikkomitee, einen wissen-schaftlichen Nutzen zu beurteilen, offiziell soll das Ethikkomitee das auch nicht. Aber ich denke, daß es schon hilfreich wäre, wenn es da auch etwas mehr Informa-tionen beurteilen müßte. Wie ich es erlebt habe, ist es nicht so hilfreich in den übri-gen Komplexen gewesen. Eine gewisse Beurteilung, was der Ansatz an sich bedeu-tet, das ist praktisch überhaupt nicht bzw. sehr wenig geschehen, möglicherweise auch deswegen, weil der Ansatz der anderen klinischen Arbeitsgruppe ein dreivier-tel Jahr vorher schon durchdiskutiert worden war. Da hätte ich eigentlich mehr Rückfragen erwartet." (Int. Nr. 4, S. 18)

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Der zentrale Ausschuß bei der Bundesärztekammer, den die lokalen Ethikkom-missionen zu Rate ziehen können (s.o.), existierte damals noch nicht. Insofern war eine intensivere fachliche Befassung aus strukturellen Gründen kaum zu leisten. Das Problem der lokalen Ethik-Kommission scheint auch zu sein, daß sehr viele Anträge - etwa 400 im Jahr - zu behandeln sind. Entsprechend gab der gegenwärtige Vorsitzende der Kommission - in Reaktion auf unser Interviewer-suchen - an, daß er sich kaum an die Behandlung des Gentherapieprotokolls erin-nern könnte.

9.3.5. Einstellung zu anderen Regulierungsmechanismen

Eine implizite Orientierung am Step-by-step-Prinzip läßt sich auch bei genthe-rapeutischen Versuchen erkennen, auch wenn die Prinzipien der Arzneimittel-prüfung nicht voll zur Anwendung kommen. Ansätze einer Selbstregulierung der Community werden auch insofern gesehen, als die Studien auf wissenschaftlichen Tagungen vorgestellt werden und sich auch implizit aufeinander beziehen.74 Al-lerdings wird auch bemerkt, daß auf Gentherapietagungen selten über Sicherheits-fragen diskutiert würde.75 Insgesamt scheinen die Arbeitsgruppen von der in Deutschland sich etablierenden Gentherapie-Community relativ abgeschnitten.76 So wird auch der von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Gentherapie vorge-schlagene Selbstregulierungsansatz77 nur in einem Interview erwähnt.78

Darüber hinaus stehen im Prinzip alle Befragten einer stärkeren - d.h. aber nicht zwangsläufig gesetzlichen - Regulierung der Gentherapie aufgeschlossen gegenüber. Sie betonen aber, daß es gegenwärtig dafür noch zu früh sei, weil eine angemessene Erfahrungsbasis fehle. Gegen die Subsumierung unter das Arznei-mittelgesetz wird eingewandt, daß dadurch die nicht-kommerzielle Forschung behindert würde, weil öffentliche Forschungseinrichtungen kaum den GMP-Maßstäben genügen könnten.79 Eventuell seien einheitliche Protokollschemata, die einen besseren Vergleich der Gentherapie-Ansätze zuließen, wünschens-wert.80 Ein Kliniker betont, daß nicht nur bei der Gentherapie, sondern generell bei neuen Therapieformen sichergestellt werden sollte, daß nur hinreichend

74 Int. Nr. 10, S. 41. 75 Int. Nr. 7, S. 37f. 76 Int. Nr. 7, S. 38ff. 77 Lindemann et al., Der Chirurg 1995. 78 Int. Nr. 10, S. 36. 79 Int. Nr. 9, S. 49f. 80 Int. Nr. 9, S. 51.

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durchdachte Behandlungsansätze zur Anwendung kämen - die meisten Ethik-kommissionen seien seiner Erfahrung nach dazu kaum in der Lage.81

9.3.6. Zwischenergebnis: Soziale Prozesse der Selbstregulierung

Die externen Kontrollen bei der Gentherapie sind derzeit offenbar minimal. Aber es läßt sich feststellen, daß durch die interdisziplinäre Anlage dieses Versuchs implizit ein Regime von 'checks and balances' entsteht, bei dem sich vor allem die Gruppe der Grundlagenforscher und die Gruppe der Kliniker gegenseitig 'in Schach halten'.

Auf der Machtebene besteht eine Balance zwischen den Gruppen, weil beide bei der Durchführung des Projekts aufeinander angewiesen sind: Die Kliniker können die Vektoren (noch) nicht selbst herstellen und bisher auch noch nicht kommerziell beziehen, den Grundlagenforschern stehen ohne Vermittlung durch die Klinik keine Patienten zur Verfügung, wenn sie ihre Vektoren praktischen Tests unterziehen wollen.82 Zugleich sind beide Gruppen aber auch insofern un-abhängig voneinander, als keine Seite die andere ernsthaft unter Druck setzen kann.

Daher können sich beide Seiten gegenseitig nur argumentativ überzeugen, wo-bei sich, wie gezeigt, unterschiedliche professionelle Denkweisen gegenüber-stehen: Die Grundlagenforscher dringen stärker auf die modelltheoretische Be-gründbarkeit der Versuche, die Kliniker haben stärker den praktischen Nutzen vor Augen.

Zugleich zeigt sich - schon eher überraschend -, daß die Forscher eine beson-dere Vorsicht gerade in dem Bereich üben, für den eigentlich die jeweils andere Gruppe zuständig ist: Die Kliniker sorgen sich um die Risiken der viralen Vekto-ren, die Molekularbiologen zeigen besondere Skrupel bei der Applikation am Patienten.

Das liegt offenbar daran, daß man sich besondere Gedanken gerade in den Be-reichen macht, mit denen man nicht vertraut ist. Dies ist eine in der sozial-wissenschaftlichen Risikoforschung allgemein bekannte Erscheinung: Gegenüber Risiken, mit denen man ständig Umgang hat, neigt man zur Nachlässigkeit, wäh-rend man gegenüber weniger vertrauten Risiken zu größerer Vorsicht tendiert.83 Insofern kann man auch sagen, daß die Mitarbeiter auf der jeweils anderen Seite als eine Art partieller Öffentlichkeit fungieren, die als Nicht-Fachleute in der

81 Int. Nr. 4, S. 22. 82 Int. Nr. 2, S. 19ff. 83 Z.B. Jungermann/Slovic, Psychologie, 1993.

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jeweils anderen Disziplin die allgemeineren Besorgnisse und eine distanziertere Perspektive projektintern repräsentieren.

Soziologisch interessant ist dabei, daß eine solche Form von Auseinanderset-zung und gegenseitiger Kontrolle nur auf der Basis von Differenzierung entstehen kann, also zunächst die Entwicklung unterschiedlicher Denkstile, Erkennt-nisinteressen und unabhängiger Institutionalisierungen voraussetzt, die dann erst interdisziplinär zusammengeführt werden. Auf der Basis eines 'einheitswis-senschaftlichen' oder generalistischen Programms wäre nämlich andernfalls zwar die Borniertheit des einzelfachlichen Blickwinkels zu vermeiden, es würden sich aber keine untereinander divergierenden Denkstile herausbilden, die miteinander in Diskussion treten könnten. Außerdem würde wahrscheinlich relativ schnell ein einheitliches Erkenntnis- und Handlungsinteresse die Oberhand gewinnen.

Unser Befund kann als positives Beispiel bewertet werden, aber man sollte ihn nicht vorschnell verallgemeinern. Der Gegenstand unserer Befragung ist ein Ein-zelfall, und es handelt sich zudem nur um eine Momentaufnahme in der Startpha-se. Selbst bei diesem Einzelfall kann also keine Aussage darüber getroffen wer-den, wie sich die Beziehungen zwischen den Gruppen entwickeln und ob sich nicht auf Dauer einseitige Abhängigkeiten und unreflektierte Handlungsroutinen einspielen werden. Mit der zunehmenden Standardisierung der Gentherapie, z.B. als medikamentöse Behandlung,84 würde sich das aufwendige interdisziplinäre Arrangement ohnehin erübrigen und die Entscheidung über die Versuchs- oder Behandlungsstrategien - jedenfalls auf unmittelbar handlungspraktischer Ebene - wieder bei einer Einzelprofession zentralisiert werden.85

9.4. Ungewißheitsbasierte Regulierung auf der Basis von Selbststeuerung oder Recht?

In der deutschen Öffentlichkeit wird scheinbar mit zweierlei Maß gemessen: Während bei landwirtschaftlichen Freisetzungen eine sehr starke Risikosensibi-lität zu beobachten ist (vgl. Kap. 8.3.), werden die potentiellen Risiken der Gen-

84 Diese Perspektive wurde in den Interviews z.T. auch angesprochen (Int. Nr. 4, S. 8; Int.

Nr. 9, S. 17). 85 Ein Interviewpartner machte uns nachträglich darauf aufmerksam, daß sich unterdessen

(Mai 97) die Situation eher zugunsten der Kliniker verschoben habe, die vermehrt Koope-rationen mit der Industrie suchten, um ihre gentherapeutischen Ideen durchzusetzen. Al-lerdings seien auch die externen Kontrollen verstärkt worden, wobei diese Kontrollen vor allem aufgrund des formellen Aufwands mit den Antragsarbeiten abschreckend wirkten.

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therapie für die menschliche und nicht-menschliche Umwelt kaum in Erwägung gezogen.86

Was die Risiken für die behandelten Patienten anbetrifft, besteht eine ähnliche Ambivalenz zwischen der Einordnung experimenteller Therapien entweder nach dem relativ strikten, an US-amerikanischen Standards orientierten Arz-neimittelgesetz oder als Heilversuche, die lediglich - und im Prinzip freiwillig - der Kontrolle durch eine standesrechtliche Ethikkommission unterworfen sind.

9.4.1. Zur normativen Einordnung der Gentherapie

Normativ stellt sich das Problem, ob der propagierte Nutzen und die schwere Erkrankung wirklich geeignet sind, alle anderen behandlungsethischen, seu-chenhygienischen und ökologischen Bedenken zur Seite zu schieben, wobei diese Frage wiederum nicht nur im Zusammenhang mit der Gentherapie, sondern wie bei der Ungewißheit neuer experimenteller Methoden insgesamt (vgl. Kap. 2.1.1.) ebenso auch bei neuen Behandlungsformen generell aufzuwerfen wäre. Die Lö-sung dieses Problems scheint davon abhängig, ob und inwieweit man die Genthe-rapie als Heilversuch, experimentelle Behandlung oder Freisetzung einzustufen hat.

Doch zunächst ist zu fragen, wie die unterschiedlichen Bewertungen in den ge-nannten Bereichen zustande kommen. Das ergibt sich offenbar aus den ver-schiedenen Abwägungskontexten: Beim Heilversuch ist eine unmittelbare, indivi-duelle Nutzen-Risiko-Relation gegeben. Im Unterschied dazu sind bei der Arz-neimittelprüfung - oder anderen experimentellen Behandlungsformen - Risiken und Nutzen meistens ungleich über das Probandenkollektiv gestreut. Bei land-wirtschaftlichen Freisetzungen verspricht sich die Mehrheit der Bevölkerung dagegen offenbar gar keinen Nutzen und geht die Risiken nicht freiwillig ein, weil, anders als beim Heilversuch oder bei experimentellen medizinischen Men-schenversuchen, keine 'aufgeklärte Zustimmung' der potentiell Betroffenen einge-holt wird. Insofern wäre auch die unterschiedliche Bewertung materiell vergleich-barer Risiken keineswegs irrational.

Zwar könnte man entgegenhalten, daß die Risiken biologisch ohnehin nicht vergleichbar seien, weil in der Landwirtschaft vermehrungsfähige Organismen freigesetzt, in der Gentherapie aber gegenwärtig nur replikationsgehemmte DNA-Konstrukte verwendet würden. Aber auch ursprünglich replikationsgehemmte Konstrukte können von Mikroorganismen - in der Darmflora, im Abwasser etc. - aufgenommen oder im Kontext von Helferviren weiterpropagiert werden, so wie umgekehrt bei der landwirtschaftlichen Freisetzung nach der Ausbreitungsfähig-

86 Vgl. Bayertz, Neue, 1994.

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keit nicht nur des transgenen Organismus selbst, sondern auch von DNA-Fragmenten - via Pollen, horizontalem Gentransfer auf Bodenmikroorganismen etc. - gefragt wird.

Außerdem ist rechtlich nicht festgelegt, daß nur relativ harmlose - d.h. unter Laborbedingungen entsprechend Gentechnikgesetz nach S 1 eingestufte - und zugleich replikationsgehemmte Konstrukte bei der Gentherapie zum Einsatz kommen dürfen, wie es gegenwärtig tatsächlich noch der Fall ist. Wenn also Ri-siken für Dritte nicht von vornherein auszuschließen sind - wie es etwa bei einer experimentellen chirurgischen Behandlung der Fall wäre -, resultiert aus den ver-schiedenen oben skizzierten Abwägungskontexten tatsächlich ein Wertungs-widerspruch, der sich auch in einer sehr unterschiedlichen Handhabung der Gen-therapie und der Freisetzung im Gentechnikgesetz niederschlägt.

Aber auch die rechtliche Behandlung der Gentherapie als Heilversuch erscheint problematisch. Sie wäre nur zulässig, wenn für die behandelten Patienten tatsäch-lich ein individueller Nutzen zu erwarten wäre. Dieser scheint aber für die ge-genwärtig getesteten 'austherapierten' Krebspatienten kaum begründbar zu sein. Wenn man hier - zur Rechtfertigung gegenwärtig ausbleibender Heilerfolge - von Phase I-Studien oder Verträglichkeitstests spricht, müßte man die somatische Gentherapie auch dem Arzneimittelgesetz unterwerfen oder einer vergleichbaren Prüfungs- und Genehmigungsmethodik unterziehen.87

9.4.2. Zur tatsächlichen Einordnung der Gentherapie in Deutschland

In der deutschen Öffentlichkeit wurden bisher weder die seuchenhygienischen und ökologischen noch die behandlungsethischen Aspekte der Gentherapie ernst-haft erörtert. Das scheint damit zusammenzuhängen, daß der Risikodiskurs hier bisher von Klinikern dominiert wird, die sich implizit noch immer am heroischen Ethos des Heilversuchs orientieren. Dieser Einschätzung liegt die These zugrun-de, daß die unterschiedliche Risikowahrnehmung in den verschiedenen Anwen-dungsbereichen der Gentechnik auf die Dominanz von Leitprofessionen und ent-sprechender Analogiebildungen zurückzuführen ist: Die Risikowahrnehmung beim Umgang im Geschlossenen System wurde von den Mikrobiologen, die Risi-kowahrnehmung bei der Freisetzung wurde von den Ökologen und Toxikologen strukturiert. Bei der Gentherapie ist allerdings noch offen, inwieweit sich die Kliniker gegenüber den Pharmakologen durchsetzen können, die ähnlich wie die Ökologen, Toxikologen und Mikrobiologen disziplinär eher risikoavers eingestellt

87 Daß das AMG nur auf Arzneimittelstudien und nicht auch auf andere experimentelle Ent-

wicklungen von neuen Behandlungsformen angewandt wird, ist ein anderer Wer-tungswiderspruch, dem hier nicht näher nachgegangen werden kann.

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sind. Gelegentlich wird auch behauptet, daß die Genforscher ihre Sicher-heitsbedenken im Hinblick auf die Gentherapie nicht in größeren Kreisen disku-tieren wollten, weil andernfalls eine Risikodebatte in der Öffentlichkeit geweckt werden könnte ähnlich derjenigen, die zur Verabschiedung des Gentechnikgeset-zes geführt hat.88

Auch rechtlich ist in Deutschland die Tendenz zu beobachten, allgemein mit experimentellen Menschenversuchen - jedenfalls im Vergleich zu den USA - eher nachlässig umzugehen. Während man beim Umgang im Geschlossenen System und tendenziell bei der Freisetzung transgenes Material prinzipiell als potentiell gefährlichen Stoff einschätzt, orientiert man sich bei der Einordnung der Genthe-rapie nur am erhofften Heilerfolg, aber kaum noch an den potentiellen Nebenwir-kungen und behandlungsethischen Fragen.

Ob die Gentherapie aber nicht letztlich doch dem Arzneimittelgesetz unter-worfen werden muß, wird wohl auch vom Engagement der Pharmaindustrie ab-hängen. Letztere drängt nämlich auf eine Anwendung der europäischen arznei-mittelrechtlichen Vorschriften.89 Inwieweit sich dieses Engagement verstärkt, wird nicht nur durch technische Entwicklungen - Erfolg bei häufig auftretenden Krankheiten und Standardisierbarkeit -, sondern auch im Streit über die Paten-tierbarkeit menschlicher Erbsubstanz entschieden.90

9.4.3. Implizite Orientierung an einer ungewißheitsbasierten Regulierung

Mit dem Versuch der Annäherung an die Kriterien der Arzneimittelprüfung un-terwirft sich die Forschung zur Gentherapie aber dennoch einer ungewiß-heitsbasierten Regulierung. Denn bei der Arzneimittelprüfung werden schon seit längerer Zeit in etwa die gleichen Verfahren - nämlich die Fall-für-Fall- und Schritt-für-Schritt-Beurteilung - angewandt wie bei der Freisetzung transgener Organismen. Über die Regulierung der Freisetzung hinaus ist sogar eine Nach-markt-Beobachtung vorgeschrieben. Ein Unterschied besteht allerdings insofern, als bei der Arzneimittelprüfung auf der Basis schon häufig aufgetretener Zwi-schenfälle vorab bekannte Kriterien existieren und nur Risiken für die betroffenen Patienten, nicht aber für die Umwelt in Rechnung gestellt werden. Außerdem interferieren die Sicherheitstests hier mit behandlungsethischen Prinzipien, so daß

88 Simon/Vesting, Studie, o.J., S. 22, referieren eine entsprechende Behauptung in der Presse. 89 Positionspapier des Verbands der Chemischen Industrie zur Gentherapie, abgedruckt in

Schmitt et al., Stand, 1994, S. 76f. 90 Vgl. Gugerell, Darf, 1994.

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die Prüfung der Sicherheit und Effizienz nicht ausschließlich nach wissenschaftli-chen Kriterien erfolgen kann.91

Die Forschung zur Gentherapie geht bei ihren Vorsichtsmaßnahmen aber auch über das Arzneimittgesetz hinaus, insoweit sie auch hypothetischen Risi-koerwägungen Rechnung trägt. Die Sequenz der Fälle ist bisher auch insofern dem Schritt-für-Schritt-Prinzip gefolgt ist, als anfangs gerade in Deutschland nur - den Risikoerwägungen zufolge - relativ harmlose Vektoren und diese nur bei lebensbedrohlichen Krankheiten eingesetzt wurden.

Wenn man für diese Vorgehensweise nicht schieren Idealismus als Motivation unterstellen will, kommen verschiedene Beweggründe in Betracht: - Weil die Gentherapie ohnehin von der US-amerikanischen Entwicklung domi-

niert ist, sind wissenschaftlich nur solche Versuche naheliegend, die an die technische Entwicklung in den USA anschließen und zur Sicherheitsdiskussion in den USA anschlußfähig sind. Dort ist aber schon früh eine unge-wißheitsbasierte Regulierung etabliert worden (s.o.).

- Die Genforscher vermuteten relativ lange eine hohe Risikoaversion bei den Behörden und in der Öffentlichkeit auch gegenüber gentherapeutischen Ver-suchen. Sie sind sich möglicherweise nicht sicher, daß die gegenwärtige Ruhe von Dauer sein wird und wollen daher auch nicht durch besonders wagemutige Versuche averse Reaktionen provozieren.

- Sie sind auf die interne Akzeptanz zunächst bei ihren Mitarbeitern und dann auch in der Fachöffentlichkeit angewiesen. Wie sich bei unseren Interviews gezeigt hat, ist hier mit einer latenten Risikoaversion zu rechnen, die der ge-genwärtigen Euphorie in der Öffentlichkeit nicht folgt.

Dies könnte erklären, warum die Forscher auch ohne gesetzlichen Zwang der Tendenz nach einer ungewißheitsbasierten Regulierung folgen.

Ob sie dies dann aber auch auf Dauer tun werden, ist fraglich. Denn durch die Medien-Euphorie und reichlich fließende Forschungsgelder könnte es auch zu einer wildwüchsigen Entwicklung kommen, in der nicht mehr jeder genthera-peutische Versuch mit fachöffentlicher und öffentlicher Beobachtung rechnen muß. Gerade wenn dann trotz hochgeschaukelter Erwartungen die Erfolge aus-bleiben, wird bei manchen die Versuchung groß sein, mit 'härteren' Vektoren und ohne ausreichende Voruntersuchungen herumzuexperimentieren:

"Die Menschen sind unterschiedlich und manche wollen unbedingt - auf Teufel-komm-raus - Erfolg haben, um des Erfolgs wegen. ... Die Medien, die haben schon

91 Int. Nr. 9, S. 38.

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eine gewisse Macht, das darf man nicht unterschätzen. ... Die Medien sind schon verführerisch." (Int. Nr. 5, S. 6)

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Kapitel 10: Politische und rechtspolitische Vorschläge

Wenn wir nun zum Schlußteil dieses Buches kommen, so stellt sich die Aufgabe, die Befunde zu einer einheitlichen, fachübergreifenden Perspektive zu verdichten. Es geht also darum, eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage zu geben, ob und wie Risikosteuerung oder (Risiko-)Selbststeuerung unter der Bedingung von 'objektiver Ungewißheit' möglich ist und gegebenenfalls auch verbessert werden kann.

Eine eindeutige Antwort würde zunächst allerdings auch einen eindeutigen Er-folgsmaßstab voraussetzen. In materieller Hinsicht würde man also erwarten, daß die befürchteten Schäden vermieden werden. In Feldern erfahrungsbasierter Um-weltpolitik stellt man regelmäßig die Frage, ob durch einen bestimmten Regulie-rungsansatz die Reduktions- oder Erhaltungsziele erreicht werden.1 Da es sich bei der Gentechnik aber um hypothetische Gefahren handelt, würde deren Ausbleiben nicht zwangsläufig den Erfolg bestätigen, denn sie wären auch ohne Regulierung vielleicht nicht eingetreten. Aber auch wenn sie - teilweise oder anders als be-fürchtet - eintreten, muß das nicht als Mißerfolg der Regulierung interpretiert werden, weil sie andernfalls möglicherweise noch gravierender ausgefallen wä-ren. Ein materieller Maßstab - vergleichbar einem erfahrungsbasierten und allge-mein konsensfähigen Reduktionsziel in der herkömmlichen Umweltpolitik - läßt sich also bisher nicht ausmachen.

Insofern ist man also zwangsläufig auf prozedurale Maßstäbe verwiesen. Häu-fig wird hier der Konsens in der Gesellschaft als Zielgröße gewählt. Wenn man allerdings davon ausgeht, daß der Versuch einer ungewißheitsbasierten Regulie-rung einen historischen Kompromiß zwischen einfacher Durchsetzung und undif-ferenzierter Blockade darstellen könnte, wird man nicht erwarten, daß sich dieser Kompromiß vollkommen reibungslos einstellt. Auseinandersetzungen und Miß-verständnisse, wie wir sie in vielfacher Hinsicht festgestellt haben, sind dann - wie bei anderen sozialen Innovationen - kaum zu vermeiden. Widerspruch und Dissens sind dann aus demokratietheoretischer Perspektive sogar wünschenswert, weil bisher niemand weiß, ob und wie sich dieses Unternehmen sowohl in kogni-tiver wie in sozialer Hinsicht verwirklichen läßt.

Insofern kann auch die Regelakzeptanz und Regelbefolgung allenfalls als heu-ristischer Maßstab dienen. Wollte man sie zu einem unabhängigen Maßstab erhe-ben, müßte man nämlich voraussetzen, daß die gegebenen Regeln schon prob-lemangemessen sind, was bei einer ungewißheitsbasierten Regulierung schon aus

1 Auch dann ist nicht immer eindeutig festzustellen, ob der Erfolg oder Mißerfolg auf die

Regulierung oder auf andere Variablen - z.B. auf regulierungsunabhängige ökonomische Prozesse - zurückzuführen ist.

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systematischen Erwägungen kaum der Fall sein kann, weil man mit dem Problem noch keine ausreichenden Erfahrungen hat und diese - jedenfalls in einem katast-rophalen Ausmaß - gar nicht machen möchte. Als heuristischer Maßstab ist Re-gelakzeptanz aber insofern tauglich, als sie auf Handlungsbereitschaften innerhalb der Wissenschaft hinweist und entsprechende Konvergenzpotentiale, d.h. Kom-promiß- und Lernbereitschaft, im Hinblick auf eine ungewißheitsbasierte Regulie-rung anzeigt.

Mögliche Konvergenzpotentiale - auch im Hinblick auf den Abbau admini-strativer und gesellschaftlicher Blockadehaltungen - lassen sich aber unserer An-sicht nach nur ausschöpfen, wenn die im Zuge der Untersuchung aufgezeigten Widersprüche einer sinnvollen Lösung zugeführt werden. Einige grundsätzliche Schritte in diese Richtung sollen in diesem Kapitel skizziert werden.

Es geht uns dabei im Hinblick auf die bisherige politische Debatte weniger um eine Verschärfung oder um eine Liberalisierung des bestehenden Gentech-nikrechts, sondern vor allem um eine sach- und sozialadäquate Umverlagerung, Ergänzung und Neuinterpretation vorhandener Instrumente. Denn wir glauben, im Laufe unserer Untersuchung Konstruktionsschwächen im Gentechnikrecht und seiner Implementierung identifiziert zu haben, die zu beheben im allseitigen Inte-resse läge, weil sie unseres Erachtens unabhängig vom jeweiligen politischen Standpunkt als suboptimale Lösungen anzusehen sind. Gleichgültig welche politi-sche Gewichtsverteilung man also zwischen Sicherheitsinteressen und Wirt-schaftsinteressen anstrebt, es gibt u.E. Lösungsprinzipien, die beiden Bestrebun-gen mehr entgegenkommen als das gegenwärtige Gentechnikrecht.

Wir haben in unserem folgenden Plädoyer selbst eine politische Gewichts-verteilung vorgenommen, einerseits, weil es unredlich wäre, den eigenen politi-schen Standpunkt zu verschweigen, und andererseits, weil die Darstellung sonst zu abstrakt und vage ausgefallen wäre. Wir sind aber der Auffassung, daß unsere Vorschläge auch aus anderen politischen Perspektiven erwägenswert sind, weil man auch im Rahmen der hier vorgeschlagenen Neuinterpretation wiederum 're-striktiver' oder 'liberaler' verfahren kann, als wir es hier konkret vorsehen.

10.1. Zusammenfassung relevanter Ergebnisse und allgemeine Schlußfol-gerungen

10.1.1. Regelakzeptanz und Regelbefolgung

In deutlichem Unterschied zu dem häufig in der Öffentlichkeit besonders während der Novellierungsdebatte vermittelten Bild konnten wir in unserer Untersuchung eine allgemein recht weitgehende Akzeptanz des Gentechnikrechts bei den Wis-

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senschaftlern feststellen.2 Diese bezieht sich insbesondere auf Regelungen, die bekannten Risiken vorbeugen sollen. Auch wird grundsätzlich anerkannt, daß mit der Gentechnik bisher noch unbekannte Risiken verbunden sein könnten. Aller-dings werden diejenigen Regelungsaspekte, die sich auf bisher noch unbekannte Gefahren - besonders im Bereich des Geschlossenen Systems - beziehen, tenden-ziell als bürokratische Schikane wahrgenommen. Dies könnte auf die bisher man-gelhafte Unterscheidung zwischen ungewißheitsbasierten und erfahrungsbasierten Regelungsaspekten zurückzuführen sein, die hier zu einer Reihe von Miß-verständnissen führt (vgl. Kap. 7.6.2.): - Die Maßnahmen werden von den Behörden (und der Öffentlichkeit) so ver-

standen, als ob es sich um die Vorbeugung vor bekannten Gefahren handele. Diese Vorgehensweise muß zwangsläufig bei den betroffenen Genforschern auf Unverständnis stoßen.

- Die Existenz noch unbekannter Risiken wird oft nur auf Nachfrage und teilwei-se gewissermaßen 'zähneknirschend' eingeräumt. Man kann also annehmen, daß diese Vorstellung im Laboralltag allenfalls partikular präsent ist.

- Die Maßnahmen erscheinen - zumindest in ihrer gegenwärtigen Form und in der vorherrschenden Auslegung - als wenig geeignet, bisher noch unbekannte Risiken zu erkennen und ihnen vorzubeugen.

- Es besteht ein Mißverhältnis zwischen der detaillierten und relativ strikt voll-zogenen Regulierung im Gentechnikbereich und der relativ nachlässig gehand-habten Regulierung von bekannten Gefahren in anderen Bereichen, etwa der Chemikalienkontrolle und dem allgemeinen Seuchenrecht.

Man könnte nun unterstellen, daß es sich nicht um kognitive Verständigungs-probleme und um lösbare Gestaltungs- und Auslegungsfragen handele, sondern daß hier unüberwindliche Gegensätze zwischen Akteursinteressen oder Teil-systemrationalitäten zugrundeliegen,3 so daß die Akteure gegebenenfalls auch bewußt 'aneinander vorbeireden' würden. Dieser Einwand ist insoweit gerechtfer-tigt, als residuale Spannungen in vertikal geschichteten - also z.B. durch Klassen-gegensätze gekennzeichneten - und funktional differenzierten - also durch die Eigendynamik ihrer Teilsystemrationalitäten fragmentierten - Gesellschaften wohl immer fortbestehen werden. Aber weder theoretisch noch empirisch ist bisher ausgemacht, ob und inwieweit sich Wissenschaft, Recht und politische Öffent-lichkeit gegen eine ungewißheitsbasierte Regulierung sperren müssen und sperren werden. Immerhin ist zu konstatieren, daß die explizit ungewißheitsbasierte Re-gulierung, also insbesondere das Step-by-step-Verfahren, bei der Freisetzung trotz ihrer Paradoxien in weiten Kreisen der Wissenschaft und Industrie akzep-

2 Zu methodischen Überlegungen im Hinblick auf diese Diskrepanz vgl. oben, Kap. 7.1. 3 Vgl. Gloede, TA-Datenbank-Nachrichten 1996; vgl. Hasse, Nicht-intendierte, 1997.

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tiert wird4 und bei der Gentherapie sogar mehr oder weniger freiwillig befolgt wird (vgl. Kap. 8 und 9).

Wie sieht es nun aus mit der Regelbefolgung? Hier ist zunächst zu unter-scheiden zwischen der technischen und formalen Regelbefolgung, die von den Ordnungsbehörden relativ leicht überprüft werden kann,5 und der eher im persön-lichen Verhaltensbereich liegenden Regelbefolgung, die von Außenstehenden kaum zu kontrollieren ist. Zunächst ist hier zu konstatieren, daß die technische und formale Regelbefolgung insbesondere bei den Universitäten immer wieder zu Mängelrügen Anlaß gibt. Das hat aber offenbar wenig mit Bereitschaft oder Ak-zeptanzdefiziten seitens der Forscher zu tun, sondern ist vor allem auf mangel-hafte Organisation und Finanzierung an den Universitäten zurückzuführen. Die Verstöße betreffen hier offenbar gleichermaßen ungewißheitsbasierte wie erfah-rungsbasierte Regelungsaspekte und sind im übrigen auch in anderen Risikobe-reichen, wie z.B. der Chemikalienkontrolle und dem übrigen Seuchenrecht, ver-breitet.

In den äußerer Kontrolle entzogenen Verhaltensbereichen ist davon auszuge-hen - und in den Interviews wird das gelegentlich auch offen eingeräumt -, daß die rechtlichen Regeln nur insoweit befolgt werden, wie sie für sinnvoll erachtet werden (s.o.). Insbesondere beim Umgang im Geschlossenen System dürften also Verstöße gegen ungewißheitsbasierte Regelungsaspekte, die sich nicht mit den für das Gelingen der Experimente erforderlichen Regeln der Laborhygiene dec-ken, recht häufig vorkommen. Andererseits ist aber zu konstatieren, daß teilweise auch weitergehende als die rechtlich vorgeschriebenen Regeln eingehalten wer-den, weil das im Hinblick auf z.T. näher spezifizierte Ungewißheiten für sinnvoll erachtet wird.

10.1.2. Wissenschaft als Regulierungsfeld

Grundsätzlich ist die Wissenschaft als Institution - als funktional differenziertes Subsystem - auf die Erkenntnis des Neuen ausgerichtet. Das Neue kann in gesell-schaftlicher Hinsicht sowohl neue technische Nutzungsformen als auch neue Er-kenntnisse über natürlich oder technisch induzierte Risiken implizieren. Aufgrund der überkommenen Wertpräferenzen ist die Wissenschaft aber bisher strukturell noch stärker auf die Wahrnehmung neuer Nutzungsformen und die umfassendere

4 Die Kritik richtet sich vor allem auf die allein an der Gentechnik ansetzende 'Prozeßregu-

lierung'. Aber auch die präferierte 'Produktregulierung' kann ein schrittweises Vorgehen implizieren, wie es im Arzneimittelrecht tatsächlich schon seit längerem - unabhängig von der Gentechnik - praktiziert wird.

5 Z.B.: Ist die vorgeschriebene technische Ausstattung vorhanden, haben die Leitungsper-sonen die entsprechenden formalen Qualifikationen etc.?

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empirische Fundierung säkularer Weltbilder als auf die Wahrnehmung von nicht-intendierten Nebenfolgen dieser Nutzungsformen ausgerichtet.6

Mit den veränderten Wertpräferenzen in den entwickelteren Industriegesell-schaften und dem weltweit sich ausbildenden Bewußtsein über globale Gefähr-dungen hat die Wissenschaft in den letzten dreißig Jahren ihre Aufmerksamkeits- und Suchhorizonte zunehmend auch an technisch induzierten Risiken orientiert.7 In der im Kontext der Weltumweltkonferenz 1992 in Rio de Janeiro entwickelten 'Agenda 21' wird eine noch stärkere Ausrichtung der Wissenschaft auf diesen neuen Aufmerksamkeitsfokus gefordert.8

Eine verstärkte Risikowahrnehmung kann sowohl innerhalb der einzelnen For-schungsprojekte entwickelt werden (integrierter Ansatz) als auch durch gegensei-tige Beobachtung der unterschiedlichen Forschungsansätzen und (Sub-)Disziplinen untereinander entstehen (adversativer Ansatz). Beim inte-grierten Ansatz geht es um die Frage, inwieweit im normalen Prozeß der Gen-forschung unerwartete Ereignisse auftreten, die bei entsprechender Aufmerk-samkeit seitens der Forscher auch als Anzeichen für mögliche Risiken gesehen und diskutiert werden könnten (vgl. z.B. Kap. 7.6.2., S. 216). Wenn Risiko- und Begleitforschung in unabhängiger Organisierung erfolgen, ist das Erkenntnisin-teresse der jeweiligen Projekte dagegen speziell und ausschließlich auf Sicher-heitsfragen ausgerichtet, die sich anhand der publizierten Forschungsliteratur oder von theoretischen Überlegungen aufwerfen lassen.

Für die integrierte Herangehensweise spricht die größere Sachnähe und Detail-kenntnis der an den jeweiligen Projekten Beteiligten; dagegen spricht in vielen Fällen der Aufwand umfassender Monitoringaufgaben, die relative Ferne der beteiligten Wissenschaftler von der eingehenderen Sicherheitsdiskussion verbun-den mit einem anders gelagerten Erkenntnisinteresse der jeweiligen Projekte.9 Für die adversative Herangehensweise spricht, daß die Thematisierung von Risiko-fragen andere kognitive und soziale Dispositionen erfordert - und einen entspre-chenden Überblick über die einschlägige Diskussion zur biologischen Sicherheit -

6 Vgl. z.B. Lenoir, Politik, 1992. 7 Dies wird auch durch die 1995 erfolgte Vergabe der höchsten wissenschaftlichen Aus-

zeichnung, des Nobelpreises, für die Aufklärung des Ozonschicht-Abbaus durch anthro-pogen erzeugte FCKW eindrucksvoll bestätigt (vgl. S. 176). Zur Verträglichkeit von Risi-koaufklärung mit den Bedingungen des Subsystems 'Wissenschaft' vgl. auch Krohn/Küppers, Selbstorganisation, 1989, S. 119ff. Im Hinblick auf eine detaillierte Aus-einandersetzung über die Interessenlage speziell in der Genforschung vgl. oben, Kap. 7.1.

8 ICSU, Agenda, 1992. 9 Bei der Freisetzung wurde zunächst der integrierte Ansatz gewählt: Im Zuge der ohnehin

zu Entwicklungszwecken stattfindenden Feldversuche sollten auch Risikoparameter be-obachtet werden. Allerdings kam man zu dem Schluß, daß die Anlage der Feldversuche nur schwer für beide Zwecke zugleich sinnvoll optimiert werden kann (vgl. Kap. 8.4.1.).

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als die in der Vielzahl der gentechnischen Projekte ursprünglich anvisierten Ent-wicklungen. Idealiter wären die Vorteile beider Herangehensweisen miteinander zu kombinieren, d.h. Detailnähe und induktive Impressionen mit Überblick und theoretischer Reflexion in Verbindung zu bringen (oder zu halten).

Das bedeutet auf der Ebene der einzelnen Forschungsprojekte, daß diese so transparent wie möglich gehalten werden sollten, damit Wissenschaftler mit auf Risikowahrnehmung ausgerichteten Erkenntnisinteressen Einblick nehmen kön-nen. Das bedeutet auch, daß für die Forscher in den einzelnen Projekten Anreize bestehen sollten, unerwartete Vorkommnisse (fach-)öffentlich zu kommunizieren und gegebenenfalls ohne Karriereknick die ursprünglich technisch ausgerichtete Zielrichtung des Projekts zu ändern oder individuell aussteigen zu können ('Whistle blowing')10.

Auf der projektübergreifenden Ebene wäre dafür zu sorgen, daß insbesondere über die Forschungsförderung konkurrierende Paradigmen11 und explizit auf Ne-benfolgen ausgerichtete Forschungsansätze wie die Ökologie und Toxikologie stärker entwickelt und über interdisziplinäre Verzahnung direkter auf die Beglei-tung der Entwicklung von technischen Nutzungsoptionen ausgerichtet werden.

Im Einzelfall kann es allerdings zu Interessenkonflikten in und zwischen Communities kommen, indem sich die Nutzungsinteressen und die aus Risiko-definitionen hergeleiteten Vermeidungsimperative gegenseitig blockieren (vgl. Kap. 7.1.). Da es hier nur sehr schwache selbstregulative Koordinationsmecha-nismen gibt, muß hier auch im öffentlichen Interesse über rechtliche Regulierung verstärkt nachgedacht werden.

10.1.3. Selbstregulierung und Regulierung

Selbststeuerung und rechtliche Regulierung müssen nicht als Gegensatz betrachtet werden, sondern können auch komplementär wirken. Dabei ist allerdings darauf zu achten, daß die rechtliche Regulierung nicht durch eine zu starke Reglementie-rung von Detailfragen die Eigeninitiative der beteiligten Forscher erstickt und durch überzogene Vereinheitlichung und Formalisierung kontextadäquate Lösun-gen verhindert, also zu suboptimalen Ergebnissen führt und die Regelungs-akzeptanz bei den betroffenen Forschern vermindert. Tendenzen in diese Rich-

10 Zur arbeitsrechtlichen Beurteilung von individuellen Vorbehalten der an Forschungs- und

Entwicklungprojekten beteiligten Wissenschaftler vgl. Wendeling-Schroeder, Autonomie, 1994.

11 Die Förderung konkurrierender Paradigmen ist auch angezeigt, um einseitige Ausrichtun-gen des Weltbilds (z.B. genetischer Determinismus als Rechtfertigung für bestehende Un-gleichheiten) zu vermeiden. Dieses Problem soll, da es nicht zur Risikofrage im engeren Sinne gehört, im folgenden nicht weiter verfolgt werden.

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tung haben sich im Zuge der Untersuchung durchaus gezeigt.12 Sie sind aber unserer Auffassung nach vor allem auf normale Anlaufschwierigkeiten und eine besonders ausgeprägte sozialpsychologische Konfliktdynamik in der Frühphase der Implementierung und weniger auf die Anlage des Rechtsprogramms selbst zurückzuführen.13

Insbesondere im Hinblick auf die ungewißheitsbasierten Regelungsaspekte ist aber zu konstatieren, daß hier auch das Rechtsprogramm zumindest in seiner vorherrschenden Auslegung zu Paradoxien und kontra-intentionalen Effekten führt. So ist eine starke Fixierung auf den ordnungsrechtlich relativ leicht mit herkömmlichen Rechtsinstrumenten konditionierbaren Einschluß der transgenen Organismen (Containment/Confinement) zu beobachten, während die Program-mierung von Erfahrungsakkumulation und -austausch in den Hintergrund tritt. Diese Vorgehensweise mag im Hinblick auf erfahrungsbasierte Regelungsinten-tionen teilweise angemessen sein, im Hinblick auf ungewißheitsbasierte Rege-lungsintentionen ist sie es kaum. Denn neues Risikowissen wird nur generiert und kommuniziert, wenn dafür Anreize geschaffen werden. Such- und Austauschpro-zesse lassen sich aber nicht im herkömmlichen Sinne 'erzwingen'.

Besonders im Hinblick auf die ungewißheitsbasierten Regelungsintentionen sollte also verstärkt an den Selbstregulierungsimpulsen der Wissenschaft ange-setzt werden. Daß diese durchaus vorhanden sind, zeigt neben theoretischen Ü-berlegungen (s.o.) insbesondere das Fallbeispiel über die Gentherapie (Kap. 9.4.). Der rechtliche Rahmen müßte hier, über das geltende Recht hinaus, vor allem für eine Verallgemeinerung und Verstetigung von Informationsgewinnung und -austausch sorgen.

10.1.4. Grundlegende Anforderungen an ungewißheitsbasierte Regelungen

Von den denkbaren Vorsichtsmaßnahmen zum Umgang mit Ungewißheit ist im-plizite oder extern organisierte Risikoforschung, die an spezifischen Ver-dachtsmomenten und Erkenntniszielen ansetzt, besser mit den Grundmotivationen der Wissenschaft - dem Erkenntnisfortschritt - vereinbar als eher unspezifische, flächendeckende bürokratische Maßnahmen wie Containmentanforderungen, die nichts zur Aufklärung gegebenenfalls vorhandener Gefahrenpotentiale beitragen können. Der Einschluß der transgenen Organismen kann zwar gegebenenfalls vorhandene Gefahren unterdrücken, diese bleiben dadurch aber auch unsichtbar. Zumindest dann, wenn ein transgenes Laborkonstrukt auch in Verkehr gebracht werden soll, ist das Labor-Containment und Freisetzungs-Confinement tenden-

12 Vgl. oben, insb. Kap. 7.6.1. und 8.7. 13 Vgl. oben, Kap. 7, insb. 7.6.3.

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ziell kontraproduktiv, weil es einer frühen Entdeckung gegebenenfalls vorhande-ner Gefahren entgegensteht.

Gerade bei der Freisetzung hat sich gezeigt, daß die Fixierung auf den Ein-schluß der transgenen Organismen die Generierung von Risiko- bzw. Sicher-heitswissen verhindert, das zur Beurteilung der nächsten Entwicklungsschritte erforderlich ist.14 Aufgrund der Internationalisierung der Regelung im Bereich der EG und der OECD kann eine besonders restriktive nationale Handhabung den kontra-intentionalen Effekt zeitigen, daß die Produkte ohne die im Inland für erforderlich gehaltenen Sicherheitstests via Import auf den Markt gelangen.15

Anders als die auf bekannte Risiken abzielende Regulierung sollten unge-wißheitsbasierte Regelungsansätze daher verstärkt die Risikoaufklärung unter-stützen und auf aufwendigere allgemeine Vorsichtsmaßnahmen, die sich länger-fristig ohnehin kaum durchhalten lassen, tendenziell verzichten. Daraus ergibt sich folgende Präferenzskala: 1. Risikoforschung: Diese kann in integrierter oder adversativer Herangehens-

weise erfolgen (s.o.). Hier kommt es vor allem auf eine sinnvolle Forschungs-förderung an. Bisher werden relativ wenig Finanzmittel eingesetzt und diese werden vom Forschungsministerium verteilt, das selbst vor allem als Promotor der Biotechnologie auftritt.16 Im Sinne von 'checks and balances' müßten diese Mittel aber von einer oder mehreren eher kritischen Institutionen, wie z.B. dem Umweltbundesamt, vergeben werden. Außerdem sollte man die Ri-sikoforschung, um ein frühzeitiges Einsetzen zu erleichtern, auch rechtlich ge-genüber herkömmlicher, auf neue Nutzungsformen ausgerichteter Forschung privilegieren.

2. Beobachtungspflichten (Monitoring): Diese können grundsätzlich dem Betrei-ber im Sinne der Selbstüberwachung sowohl beim Umgang im Geschlossenen System, bei Freisetzungsexperimenten und als Nachmarktbeobachtung aufer-legt werden. Das setzt allerdings voraus, daß die Vollzugsbehörden - z.B. an-hand von vorausgegangener Risikoforschung - selbst schon über genaueres Wissen verfügen, was sinnvollerweise beobachtet werden sollte. Wenn den Regulierungsinstitutionen selbst Steuerungsmöglichkeiten bei der Risikofor-schung eingeräumt würden, wäre eine bessere Koordinierung mit den Beob-achtungsauflagen möglich.

3. Aus- und Fortbildung: Experimente, mit denen noch nicht sehr viel Erfahrung gesammelt wurde, sollten gut ausgebildeten und erfahrenen Forschern direkt vorbehalten sein. Denn nur mit Ausbildung und Erfahrung lassen sich die bei

14 Vgl. oben, Kap. 8, insb. 8.4.1. und 8.8.1. 15 Vgl. oben, insb. Kap. 8.1., 8.7.1., 8.8.2. 16 Vgl. Fn. 80 in diesem Kapitel.

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Experimenten immer wieder auftretenden unerwartenden Ereignisse sinnvoll interpretieren, die aus Interaktionen des transgenen Erbmaterials mit den Wirtsorganismen sowie zahlreichen Umgebungsparametern resultieren und e-ventuell auch als Anzeichen für bisher noch unbekannte Gefährdungen gelesen werden können.17

4. Registrierpflichten: Diese dienen mittelbar der Risikoaufklärung. Sie haben die Aufgabe, das Forschungsfeld für alle Beteiligten - Wissenschaft, Verwaltung und Öffentlichkeit - transparent zu halten. Außerdem erleichtern sie im Scha-densfalle die nachträgliche Aufklärung der Schadensentstehung und können dann gegebenenfalls auch bei der Schadenseindämmung hilfreich sein.

5. Containment/Confinement: Grundlegende Einschlußmaßnahmen stellen eine Sicherheitsreserve dar. Sie können verhindern, daß überraschende Wirkungen sich sofort in der Umgebung des Versuchs entfalten. Sie sind aber auch für die Risikoaufklärung erforderlich, weil die o.g. Beobachtungs- und Regi-strierpflichten nur greifen können, wenn definierte, also durch das Contain-ment/Confinement festgelegte Ausgangsbedingungen gegeben sind. Andern-falls könnte auch nicht mehr sinnvoll zwischen 'Umgang im Geschlossenen System', 'experimenteller Freisetzung' und 'Inverkehrbringen' unterschieden werden. Sie stellen außerdem keine Sonderbelastung dar, weil sie aus ver-suchstechnischen Erwägungen ohnehin, also auch unabhängig vom Gentech-nikrecht, erforderlich sind. Kontrollierte Beobachtung erfordert eben immer ei-ne Reduktion und gezielte Variation der Beobachtungsparameter - gleichgültig ob sie auf systematisch generierte technische Innovationen oder Risi-koaufklärung abzielt.

Die hier aufgezeigte Präferenzskala kehrt die herkömmliche Rangfolge der In-strumente, die bei der erfahrungsbasierten Vorsorge gilt, um. Empfohlen wird also eine Umschichtung der Maßnahmen, aber keine 'Deregulierung'. In Fällen, bei denen auch mit bekannten Risiken zu rechnen ist, müssen die aus den beiden Risikoaspekten resultierenden Vorsorgestrategien sinnvoll kombiniert werden.18

Anhand der 'umgekehrten' Präferenzskala, die für ungewißheitsbasierte Rege-lungsaspekte angemessen erscheint, wird aber einmal mehr deutlich, wie wichtig es ist, zwischen beiden Risikoaspekten analytisch klar zu trennen und sie nicht, wie bis dato meisthin üblich, in einem einfachen Kontinuum zwischen Gefahren und Restrisiken abzuschichten.

17 Vgl. Gill, Soziale Welt 1994, S. 437f. 18 Physischer Einschluß und biologische Sicherheitsmaßnahmen müssen dann aufgrund der

bekannten Risiken selbstverständlich gewährleistet sein, selbst wenn dadurch die Aufklä-rung von bisher noch unbekannten Risiken eventuell behindert wird.

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10.1.5. Implementierungsdefizite im Bereich erfahrungsbasierter Regulierung

Der Umgang mit bekannten Risiken ist im Gentechnikrecht sehr sorgfältig und umfassend geregelt. Allerdings ist das Gentechnikrecht von seinen organisatori-schen Erfordernissen her auf große Industriebetriebe zugeschnitten, während es mit anderen Organisationstypen der Forschung weniger kompatibel ist. Entspre-chend sind im Rahmen unserer Erhebungen Implementierungsdefizite vor allem bei den Universitäten erkennbar geworden.

Zum Teil sind dafür strukturelle Ursachen (z.B. Lehrbetrieb, hohe Fluktuation etc.) verantwortlich, die zu 'beheben' unangemessen erscheinen könnte - die Uni-versität als 'high reliability organization'19 wäre keine Universität mehr. Denn sehr rigide Maßnahmen zur Folgenvermeidung sind mit der notwendig offenen Orga-nisationsform von Universitäten nur schwer in Übereinstimmung zu bringen. Wenn man hier nicht die adäquaten Organisationsvoraussetzungen schaffen will, könnte es angezeigt erscheinen, riskantere Forschungsunternehmen - im biologi-schen Bereich z.B. ab der Risikostufe 3 - nicht mehr an Universitäten durchzufüh-ren und entsprechend dafür eingerichteten Forschungsorganisationen vorzubehal-ten. In jedem Fall müßte eine Darlegungspflicht bestehen, warum entsprechende Forschungs- und eventuell Lehrprojekte nur mit derart riskanten Organismen (respektive Stoffen) durchgeführt werden können.

Behebbare Organisationsdefizite bestehen im wesentlichen darin, daß es Ver-antwortungslücken zwischen der zentralen Organisation der Betreiberpflichten und der dezentralen Organisation der Institute bzw. Lehrstühle gibt. Wenn man realistischerweise davon ausgeht, daß der Trend der allgemeinen Universitäts-organisation weiter in Richtung Dezentralisierung geht, erscheint eine Verlage-rung der Betreiberverantwortlichkeit auf die Projektleiter angezeigt.20 Die Uni-versität als zentrale Organisation könnte dann die Aufgabe übernehmen, die Pro-jektleiter zu beraten.

Entsprechend wäre es dann auch sinnvoll, Drittmittelgeber dazu zu ver-pflichten, den Mittelnehmern die entsprechenden technischen, organisatorischen und personellen Sicherheitsvorkehrungen zur Verfügung zu stellen bzw. durch eine entsprechende Mittelvergabe zu ermöglichen.

Inkonsistenzen zwischen der Regelungsdichte und dem Vollzug anderer für Forschung und Entwicklung relevanter Sicherheitsgesetze und dem Gentechnik-

19 Zu 'high reliability organisations' vgl. Fn. 102 in Kap. 7. 20 Das könnte z.B. bedeuten, daß man nicht wie gegenwärtig im GenTG die Regulierung auf

die gentechnische Anlage, sondern auf die gentechnische Arbeit fokussiert (für die dann, ähnlich wie im Bundesseuchengesetz, selbstverständlich die entsprechenden Räumlich-keiten zur Verfügung stehen müßten). Die Haftung müßte entsprechend ebenfalls auf die Projektleiter übertragen werden.

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recht sind nicht nachvollziehbar. Die erkennbaren Risiken der Gentechnik sind nämlich aus den Erfahrungsbereichen dieser Gesetze hergeleitet. Mittelfristig erscheint eine Angleichung dieser Gesetze bzw. ihres Vollzugs auf das Niveau des Gentechnikrechts angezeigt.

10.1.6. Wertentscheidung und Partizipation

Gerade im Bereich ungewißheitsbasierter Regelungen sind viele Wertentschei-dungen zu treffen, die vom Gesetzgeber, soweit er sich nicht selbst mit Detail-entscheidungen ständig befassen will und kann, nur schwach programmiert wer-den können. Dies wird insbesondere beim Step-by-step-Verfahren der Freiset-zungsregulierung deutlich.21 Ein besonderes Problem besteht auch darin, daß normative und kognitive Entscheidungsfragen sich gegenseitig bedingen und da-her prozedural kaum voneinander zu trennen sind. Dies zeigt sich insbesondere bei folgenden Fragen: - Was ist ein Schaden? Da im Gentechnikrecht nicht nur zivilrechtlich relevante

Güter, sondern darüber hinaus auch "Tiere, Pflanzen sowie die sonstige Um-welt in ihrem Wirkungsgefüge" geschützt werden sollen, stellt sich regelmäßig die Frage, welche Einwirkungen auf die Natur als 'Schaden' zu betrachten sind. Allerdings sind die Effekte ökologischer Langzeitwirkungen kognitiv ungewiß und der immaterielle Wert von Naturgütern ist normativ umstritten. Hier be-steht - außer in Extremfällen, etwa der Auslöschung ganzer Arten - weder in der Ökologie noch in der Öffentlichkeit ein kultureller Hintergrundkonsens, auf den sich administrative Entscheidungen berufen könnten.22

- Welche Parameter und Effekte sollen in Entscheidungen einbezogen werden? Da die Zahl möglicherweise einwirkender Parameter und Effekte gegen unend-lich tendiert, muß hier eine Auswahl stattfinden. Diese Auswahl kann aber nicht auf einer festen Erfahrungsbasis getroffen werden. Vielmehr findet eine normative Abwägung zwischen Prüfaufwand und potentiell zu verhindernden Schäden statt.

- Wann kann man von einer ungewißheitsbasierten zu einer ausschließlich erfah-rungsbasierten Regelung übergehen? Während der Gesetzgeber die normative Entscheidung getroffen hat, überhaupt im Bereich der Gentechnik eine unge-wißheitsbasierte Regelung zu etablieren, wird die schrittweise erfolgende Ent-lassung aus dem Beobachtungsregime - nicht nur für einzelne transgene Orga-nismen, sondern auch für ganze Gruppen - auf administrativem Wege entschie-den. Wann der Erfahrungshorizont als vorläufig abschließbar gelten kann, um

21 Vgl. oben, Kap. 8, insb. 8.8. 22 Vgl. Daele et al., Bewertung, 1994, S. 121ff., 147ff.

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diese Schritte zu rechtfertigen, ist ebenfalls nicht allein auf kognitiver Basis zu entscheiden, denn a posteriori wissen wir aus anderen Bereichen, daß es ver-borgene Langzeitrisiken geben kann, von denen die Wissenschaft ihrerzeit kei-ne Vorstellung hatte.23

- Wie sind erkennbare Risiken und Entwicklungsziele gegeneinander abzuwä-gen?24 Auch hier ist es eine normative Frage, welche Zwecke im öffentlichen Interesse liegen und daher anerkennenswert sind. Wie kann man außerdem Zwecke und Risiken miteinander vergleichen? Da der potentielle Nutzen und die Risiken bei ökologisch relevanten Entscheidungen - anders als bei medi-zinischen Entscheidungen25 - in der Regel auf unterschiedliche Medien und Nutzer fallen dürften, stellt sich hier insbesondere die Frage sozialer Gerechtig-keit. Da bei den bisherigen Freisetzungsentscheidungen Risiken von der Ge-nehmigungsbehörde negiert wurden, mußte der entsprechende Gesetzespassus bisher allerdings noch nicht in Anspruch genommen werden.26

Darüber hinaus stellen sich aber auch Fragen, die vom Gentechnikrecht unserer Ansicht nach bisher auch materiell nicht sinnvoll geregelt werden: - Ist nur bei erkennbaren Risiken eine Nutzenabwägung vorzunehmen? Das

deutsche Gentechnikrecht sieht die o.g. Nutzenabwägung nur für den Fall vor, daß "nach dem Stand der Wissenschaft" schädliche Einwirkungen zu erwarten sind. Da die verborgenen Risiken die erkennbaren Risiken in ihren Konsequen-zen weit übersteigen können, sollte bei der Marktzulassung als der weitestge-henden Form von Freisetzung aber immer eine Nutzenabwägung vorgenommen werden.

- Sind nur physische Schäden relevant? Die Skepsis und Ablehnung gegenüber der Gentechnik gründet sich nicht nur auf die Sorge um physische Schäden, sondern auch auf moralische, sozialökonomische und ästhetische Vorbehalte. In administrativen Entscheidungen können diese Aspekte jedenfalls nach dem deutschen Gentechnikgesetz nicht einbezogen werden. Man könnte aber die Risikodebatte in sachlichere Bahnen lenken, wenn anders motivierte Vor-

23 Z.B. FCKW und Abbau des Ozonschilds, Verbrennung fossiler Energieträger und Klima-

veränderungen. 24 Vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2. Darin heißt es: Eine Genehmigung ist zu erteilen, wenn

"nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum Zweck der Freisetzung [bzw. des Inverkehrbringens] unvertretbare schädliche Einwirkungen auf die in § 1 Nr. 1 bezeichne-ten Rechtsgüter nicht zu erwarten sind."

25 Vgl. oben, Kap. 9.4.1. 26 Vgl. Brief des Robert-Koch-Instituts vom 7.6.1995 an den Autor (B.G.), S. 2.

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behalte innerhalb oder außerhalb des Gentechnikgesetzes adäquat zum Aus-druck gebracht werden könnten.27

Aus den genannten Gründen müssen geeignete Institutionen etabliert werden, um die ständig zu treffenden Wertentscheidungen in demokratisch angemessener Form zu treffen. Dabei sind grundsätzlich drei Ebenen zu unterscheiden, auf de-nen Entscheidungsverläufe prozeduralisiert und mit partizipatorischen Elementen versehen werden können: - auf der Ebene der Gesetzgebung und der Gesetzesrevision (EG-Richtlinien,

Novellierung des Gentechnikrechts und seiner Verordnungen), - auf der Ebene untergesetzlicher Auslegungsvorschriften (Empfehlungen der

ZKBS, Beschlüsse der Bund-Länder-AG, Verwaltungsrichtlinien), - auf der Ebene des einzelnen Vorhabens, also insbesondere bei Genehmigungen

für experimentelle Freisetzungen und Produktzulassungen. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn sich die Wissenschaften unter-einander und zur Gesellschaft hin öffneten, um diese Wertfragen adäquat zu be-rücksichtigen. Dies wäre durch wissenschaftsorganisatorische Maßnahmen ent-sprechend zu fördern. Soweit eine Verständigung hier gelingt, kann die politische und rechtliche Ebene auch von Entscheidungsdruck entlastet werden.

10.1.7. Zur mangelnden Systematik des Gentechnikrechts

Im Zuge der politischen Entwicklung, die zum Erlaß des Gentechnikgesetzes geführt hat, waren zwei miteinander gekoppelte Prozesse zu beobachten: Die Einengung von allgemeineren - vor allem kulturellen - Vorbehalten gegen Eingrif-fe im Bereich des Lebendigen ausschließlich auf deren Gesundheits- und Um-weltrisiken, sowie die Einengung von Vorbehalten gegen ein breiteres Spektrum neuer Biotechnologien ausschließlich auf die Gentechnik im engeren Sinne.28

27 In Norwegen und Österreich gibt es entsprechende Öffnungsklauseln im Gentechnikrecht,

in den Niederlanden gibt es einen Bioethik-Rat beim Parlament (vgl. zu Österreich Wald-häusl, Soziale, 1994; Nentwich, Spielräume, 1993; Torgersen/Seifert, Sozialverträglich-keit, 1996; vgl. zu Norwegen Nielsen, Biotechnologie, 1996; vgl. zu den Niederlanden Stemerding/Jelsma, ÖZS 1995).

28 Vgl. Gill, Gentechnik, 1991, S. 286ff. Bei der 'Gentechnik im engeren Sinne' handelt es sich um die 'in-vitro-Neukombination von DNA', wie sie in § 3 GenTG näher definiert ist. Ausgeschlossen werden dabei eine ganze Reihe von organ-, zell- und molekularbiologi-schen Techniken, die in kultureller Hinsicht mindestens ebenso neu und relevant sind, in-dem sie die ehemals als naturgegeben angesehenen Formen von Geburt, Tod und Gestalt des Lebendigen nun mehr oder weniger beliebiger gesellschaftlicher Verfügung zugänglich erscheinen lassen. Bei den nicht-gentechnischen Verfahren zu nennen sind in der Human-medizin u.a. die Embryonenforschung, die in-vitro-Fertilisation (inklusive 'Leihmutter-

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Die politische Logik dieser Zuspitzungen und Ausblendungen ist folgende: Zum einen sind in einer Gesellschaft, die technische Innovation grundsätzlich begünstigt, nur Vorbehalte gegen Gesundheits- und Umweltrisiken rechtlich und politisch ohne größere Schwierigkeiten tragfähig zu machen.29 Zum anderen wa-ren regierungsamtliche Stellen darum bemüht, den Einflußbereich der Neuregulie-rung zu begrenzen und dabei die Assoziation der Gentechnik mit herkömmlichen 'Seuchen' zu vermeiden.30

Ausgeklammert wurde dabei die Frage, inwieweit nicht auch andere Biotech-niken, oder sogar Techniken im allgemeinen, mit Risiken und Ungewißheiten belastet sind, die einer ebenso sensiblen Regulierung bedürften, wie sie im Gen-technikrecht teilweise angestrebt oder von uns hier - über den Status quo hinaus-weisend - gefordert wird. Jüngstes Beispiel für eine offenbar biotechnisch - aber eben nicht gentechnisch - induzierte Gefährdung ist das Auftreten von BSE, also 'Rinderwahn', und die mögliche Übertragbarkeit auf den Menschen.

Begründet wurden die speziellen Regelungen der Gentechnik allerdings mit 'besonderen' Risiken oder Ungewißheiten, um ihren Sonderstatus in der Regu-lierung zu rechtfertigen, sowie mit der Neuartigkeit des Regulierungsgegen-standes. Von der Mehrheit der Genforscher werden solche besonderen Risiken aber nicht bestätigt.31 Wie im Laufe unserer Untersuchung auch deutlich wurde, wird von den betroffenen Genforschern die nachlässige Regulierung anderer Ge-fährdungsbereiche immer wieder ins Feld geführt, um die ihrer Ansicht nach ü-berzogenen Anforderungen des Gentechnikrechts zu kritisieren. Die politisch entstandene Konzentration des Risikoverdachts allein auf die Gentechnik muß zwangsläufig hier zu einem Akzeptanzdefizit gegenüber dem Gentechnikrecht führen, weil sie naturwissenschaftlich allenfalls schwach zu begründen ist.

schaft'), die Chirurgie am lebenden Föten, die Humangenetik (teilweise auch Gentechnik), die Organ- und Gewebetransplantation (u.a. auch Übertragung von embryonalem Gehirn-gewebe auf Erwachsene), die Xenotransplantation (Übertragung von Organen von Tieren auf Menschen), die Geschlechtsumwandlung bei Transsexuellen. In der Tiermedizin wären außerdem die Herstellung von Interspezies-Hybriden ('Schiege') und die intentionale Her-stellung von Mehrlingen zu erwähnen. Kulturelle Vorbehalte gegen die Manipulation von niederen Tieren, Pflanzen und Einzellern scheinen dagegen kaum zu bestehen, weil zumin-dest in modernen Gesellschaften auf diese Organismen keine Mitgefühle projiziert werden. Zu den mit der Biotechnologie im weiteren Sinne verbundenen physischen Risiken und Ungewißheiten sei auf Kapitel 2.2. verwiesen.

29 Vgl. Daele, PVS 1993. 30 Auf EG-Ebene war dafür das Machtspiel zwischen den Ressorts der EG-Kommission

verantwortlich (vgl. S. 63). Und in Deutschland war es das damalige Bundeskabinett, das die Biotechnologie aus Akzeptanzgründen nicht mit AIDS oder anderen biologischen Pla-gen assoziiert wissen wollte (vgl. S. 62f.).

31 Vgl. oben, Kap. 2.3.

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Dabei ist allerdings auch festzustellen, daß selbst zwischen den einzelnen An-wendungsfeldern der Gentechnik - insbesondere zwischen der Freisetzung und der Gentherapie - inhaltlich nur schwer zu begründende Widersprüche bei den dort jeweils geltenden Regulierungsstandards auftreten. Wir haben dies auf die unterschiedlichen Risikokonzeptionen der in diesen Feldern kompetenten biologi-schen bzw. medizinischen Subdisziplinen und die unterschiedlichen Wahrneh-mungsformen in der Öffentlichkeit zurückgeführt.32 Dennoch wären auch hier systematischere, interdisziplinär durchdiskutierte Regulierungsprinzipien wün-schenswert.

In der Regel werden in der Gentechnikdebatte die Argumente des Vergleichs zwischen Risikobereichen ins Feld geführt, um für eine Rücknahme der gen-technikspezifischen Regulierungsanforderungen zu plädieren. Derselben Begrün-dungslogik folgend kann man allerdings auch für eine Ausweitung des in der Gentechnik geltenden oder sinnvoll erscheinenden Regulierungsstandards auf andere Bereiche eintreten. Viele Probleme, die sich gegenwärtig im Streit um BSE europapolitisch ergeben, wären heute vielleicht schon lösbar oder zumindest informierter zu verhandeln, wenn man frühzeitig, also spätestens Ende der 80er Jahre, die Risikoforschung stärker angekurbelt hätte, anstatt das Problem 'auf die lange Bank zu schieben'.33

Mit einer solchen Vereinheitlichung der Regulierung im Hinblick auf andere Techniken wäre auch die im internationalen Raum heftig geführte Debatte um Prozeß- oder Produktregulierung34 hinfällig, weil dann nicht nur gentechnisch erzeugte, sondern je nach Bereich tendenziell auch alle anderen Produkte einer ungewißheitsbasierten Regulierung zu unterziehen wären.35 Eine Einbeziehung der Gentechnik ins Bundesseuchengesetz und dessen Umbennung in "Gesetz zur Regelung der biologischen Sicherheit", wie seinerzeit von der Enquête-Kom-mission des Deutschen Bundestages vorgeschlagen,36 würde allerdings zu kurz greifen. Denn viele Bereiche, die von der Gentechnik berührt werden, sind nicht

32 Vgl. oben, Kap. 9.4.2. 33 Vgl. oben, Kap. 10.1.4. 34 Vgl. oben, Kap. 3.2.2.ff. 35 Z.B. gilt in Kanada eine verschärfte Zulassung nicht nur für transgene, sondern auch für

alle anderen 'neuartigen' Pflanzen (vgl. Kap. 2, Fn. 25). Die Freisetzungs-Richtlinie der EG hält eine solche Entwicklung explizit offen, indem sie statuiert, daß alle transgenen Pro-dukte von der Prozeßregulierung (durch die Freisetzungs-Richtlinie) ausgenommen wer-den können, wenn bei der Produktzulassung eine den Standards der Freisetzungs-Richtlinie vergleichbare Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgt (90/220/EWG, Art. 10, Abs. 2). Eine ungewißheitsbasierte Regulierung (allerdings nur im Hinblick auf humanmedizinische Risi-ken) gibt es außerdem schon seit längerem im Arzneimittelbereich.

36 Vgl. oben, Kap. 3.2.1.

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im Bundesseuchengesetz, sondern in einer Vielzahl weiterer Gesetze geregelt.37 Eine systematische Neuregulierung erforderte daher die Erarbeitung eines umfas-senden besonderen Gesetzes.

Freilich würde sich auch und gerade bei einer Vereinheitlichung der Regulie-rung die Frage stellen, wo die Schnitte zwischen den Bereichen mit höheren oder niedrigeren Regulierungsstandards, zwischen ungewißheitsbasierter oder bloß erfahrungsbasierter Regulierung anzusetzen wären. Denn selbstverständlich wäre es unangemessen und würde die Regulierungskapazitäten selbst von wohlorgani-sierten Gesellschaften übersteigen, wollte man alle menschlichen Handlungen einem strengen Beobachtungsregime unterstellen.

Wir haben daher schon eingangs38 vom jeweiligen Stand der naturwissen-schaftlichen Debatte über Schadenspotentiale weitgehend unabhängige Prinzipien formuliert, die eine erweiterte Verantwortungs- und Rechtfertigungspflicht für bestimmte Handlungsbereiche begründen. Die wichtigsten seien hier stich-wortartig zusammengefaßt: - Handlungsabsicht, Reflexions- und Präventionskapazität der Akteure, - Vorhandensein von brauchbaren, besser erprobten Alternativen, - Neuartigkeit der Technologien bzw. wissenschaftlichen Methoden. Modernisierungsprozesse - und dazu gehören auch höhere Sicherheitsanforde-rungen - wurden bisher immer erst insular durchgesetzt und erst dann allmählich ausgeweitet.39 Historische Brüche und Inkonsistenzen - eben auch zwischen her-kömmlichen und avancierten Sicherheitsanforderungen - gehören daher wohl zwangsläufig zu einer modernen, d.h. sich transformierenden Gesellschaft.

10.1.8. Ungewißheitsbasierte Regelungen als Standortfaktor

Im Lichte der seit dem Beginn der 90er Jahre verstärkt geführten Standortdebatte werden schon erfahrungsbasierte Umweltschutzregelungen als Kostenfaktor und Flexibilitätshindernis kritisiert. Ungewißheitsbasierte Regelungen scheinen erst recht als überflüssiger Ballast wahrgenommen zu werden,40 zumal die Entwick-lung der Gen- und Biotechnologie als eine der wichtigsten Zukunftstechnologien

37 Zu denken ist z.B. an die Tierseuchenerreger-Verordnung, die unüberschaubare Vielfalt

einzelner Verordnungen zur Abwehr von Pflanzenkrankheiten, an diverse Gesetze zur Zu-lassung landwirtschaftlich und biotechnologisch hergestellter Produkte, an das Bun-desimmissionsschutzgesetz, soweit es biotechnische Produktionsanlagen betrifft, etc.

38 Vgl. oben, Kap. 2.1. und 2.4. 39 Im deutschen Arzneimittelrecht waren ältere, schon seit längerem auf dem Markt befind-

liche Pharmaka zunächst ebenfalls von den verschärften Zulassungsanforderungen des 1976 erlassenen Arzneimittelgesetzes ausgenommen.

40 Vgl. oben, Kap. 7; vgl. Gottweis, Governing, 1995.

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für den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen in den etablierten Industrie-ländern gilt.41

Wenn man jedoch in Rechnung stellt, daß ungewißheitsbasierte Regelungen zur Früherkennung von möglichen Folgeschäden und von Akzeptanzdefiziten beitragen können, wird sichtbar, daß sie nicht nur als Kostenfaktor anzusehen sind. Sie können auch zu einer Rationalisierung des FuE-Managements und zur Vermeidung von Verlusten führen, die sich bei erst später sichtbar werdenden Schäden oder Widerständen seitens der Verbraucher ergeben.42

Zwar ist eine rechnerische Abschätzung eventueller Kostenvorteile insofern nicht möglich, als eben nicht bekannt ist, ob und in welchem Maße es zu Folge-schäden kommen kann und ob sie durch die jeweilige ungewißheitsbasierte Rege-lungsform vermieden würden. Wenn man allerdings berücksichtigt, daß die heuti-gen Hochlohnländer wohl kaum durch einfache Kostenreduzierung ('Sozial- und Ökodumping') konkurrenzfähig bleiben können, sondern nur durch spezifische Innovationsvorsprünge und Qualitätsvorteile,43 so wird man den Blick nicht nur auf konventionelle technologische Effizienzstrategien ausrichten können. Denn auch die heutigen Schwellenländer verfügen über ein beträchtliches biotechnolo-gisches Know-how und werden viele Produkte bald in irgendeiner Form kopieren und entsprechend kostengünstiger produzieren können.

Überlegene Qualität zeigt sich dann auch oder sogar besonders in einem bes-seren Sicherheitsimage.44 Die frühe Einbeziehung der Verbraucher ermöglicht zudem den Aufbau von Vertrauensbeziehungen, die auch dann von Vorteil sind, wenn trotz aufwendiger Prüfung unvorhergesehene Produktrisiken auftreten soll-

41 Z.B. Stehn, Die Weltwirtschaft 1995; eher kritisch dazu Dolata, Politische, 1996. 42 Vgl. oben, insb. Kap. 8.3; vgl. auch Kap. 7, S. 216. Zu einer systematischen Diskussion

der Vor- und Nachteile der zeitlichen Vorverlagerung der Folgenerkenntnis vgl. Wiesenth-al, Leviathan 1994; Gill, Soziale Welt 1994.

43 "Nur durch die Anpassung der Produktpalette und der Produktionstechnologien in Rich-tung der stärkeren 'Wissensintensität' kann eine weit entwickelte Volkswirtschaft wie die deutsche längerfristig einen Platz in der internationalen Arbeitsteilung erhalten, der ein re-lativ hohes Pro-Kopf-Einkommen sichert." (Paqué, Aus Politik und Zeitgeschichte 1995, S. 8).

44 Dies war auch einer der Gründe, der zur Verabschiedung des deutschen Arzneimittelge-setzes geführt hatte (Zacharias, Arzneimittelzulassung, 1986). Das AMG enthält, wie mehrfach angemerkt, bereits einige der ungewißheitsbasierten Regelungen, wie sie auch im europäischen Gentechnikrecht zu finden sind. Denn soweit sich Mißtrauen gegen ein Pro-dukt oder eine Technologie kulturell 'exportieren', d.h. über größere Wirtschaftsräume ver-allgemeinern läßt, verschafft es auch ökonomische Exportvorteile für die Hersteller, die sich freiwillig oder gezwungenermaßen schon früh mit Abhilfemaßnahmen beschäftigt ha-ben.

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ten, weil sich dann die ökonomisch häufig viel gravierenderen Imageschäden leichter in Grenzen halten lassen.45

Insofern unterscheidet sich die Einbeziehung von Sicherheitsaspekten auch nicht von der frühzeitigen Berücksichtigung anderer Kundenwünsche im Inno-vationsprozeß. Allgemein wird hier in der Innovationsdiskussion die Ansicht vertreten, daß Konkurrenzvorteile oder Nischen für die Hochlohnländer nur noch durch eine Abkehr von den Economies of scale-46 und Supply push-47 Strategien und eine Hinwendung zu einer möglichst flexiblen und kundengerechten Diversi-fizierung zu sichern sind.48 Gerade das Step-by-step-Verfahren könnte die Mög-lichkeit bieten, sowohl die sorgfältige Prüfung der Produkte öffentlichkeitswirk-sam vorzuführen als auch in der frühzeitigen Auseinandersetzung mit Reaktionen aus der Öffentlichkeit die Entwicklungs- und Vermarktungsstrategien entspre-chend anzupassen. Jedenfalls scheinen sich einige Unternehmen dieser Sichtwei-se des Verfahrens anzunähern.49

Die Mehrheit, darunter vor allem die großen Chemieunternehmen, scheint da-gegen in dem Verfahren nichts anderes als einen 'Stigmatisierungsprozeß' zu er-kennen. Es wird also unterstellt, daß das öffentliche Mißtrauen gegenüber gen-technisch modifizierten Produkten erst durch die Gesetzgebung evoziert würde. Diese wenig konstruktive Sichtweise mag zum Teil auf Unflexibilität und Innova-tionsschwäche in den Unternehmen zurückzuführen sein. Andererseits muß man aber auch konstatieren, daß ungewißheitsbasierte Regelungen jeweils unter-schiedliche Wirkungen entfalten, je nachdem, ob sie auf Prozeß- oder Produktin-novationen angewandt werden, und ob sie auf die Sicherheit des Produkts oder des Produktionsprozesses abzielen.

10.1.8.1. Prozeßinnovationen Bisher besteht das Problem für die Hersteller im Bereich der 'grünen' Gentech-nologie vor allem darin, daß sie lediglich Prozeßinnovationen anzubieten haben, aber keine neuen Produkte, die für den Verbraucher einen Vorteil darstellen wür-den. Zwar mögen herbizidresistente Pflanzen für die Bauern die Unkrautkontrolle erleichtern, für den Endverbraucher macht sich diese betriebswirtschaftliche Rati-onalisierungsmaßnahme aber allenfalls in Form (minimal) sinkender Lebens-mittelpreise bemerkbar.50 Eine sorgfältige Prüfung transgener Pflanzen kann hier nur einen Konkurrenzvorteil zu ungeprüften transgenen Pflanzen begründen, aber

45 Darbourne, Scrip Magazine 1993. 46 Bedeutet: hohe Stückzahlen, niedrige Stückkosten. 47 Bedeutet: Angebot schafft Nachfrage. 48 Vgl. Rammert, Weg, 1996; vgl. Pries, Betrieblicher, 1991. 49 Vgl. oben, Kap. 8.3. 50 Daele et al., Ökonomische, 1994, S. 91ff.

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eben nicht gegenüber herkömmlichem Pflanzen, die zunächst das wichtigste Kon-kurrenzprodukt sind. Betriebswirtschaftlich ist es daher auch nachvollziehbar, daß sich die Hersteller hier gegen eine Kennzeichnung wehren, weil sie erhebli-che Kosten verursacht, aber für den Verbraucher keine Produktinnovation, also keine Vorteile des Produktes signalisieren kann.

Zumindest in ihrer bisherigen Form wirkt sich die Regelung also hemmend auf gentechnische Prozeßinnovationen aus. Allerdings ist zu fragen, ob diese Proze-ßinnovationen ökonomisch überhaupt wünschenswert sind, weil sie aufgrund ihres Rationalisierungseffektes - gesamtwirtschaftlich gesehen - Arbeitsplätze vernichten51 und die meisten Verbraucher in den Industrieländern nicht billigere, sondern qualitativ wertvollere Nahrungsmittel wünschen.

10.1.8.2. Produktinnovationen Anders verhält es sich z.B. im Arzneimittelbereich, wo mit Hilfe der Gentechnik bestimmte Präparate erstmals überhaupt (z.B. Interferone) oder nach vor-herrschender Ansicht sicherer als mit herkömmlichen Methoden (z.B. Faktor VIII für Bluter) hergestellt werden können.52 Die verbesserte Produktsicherheit stellt eine Produktinnovation dar: Die Produkte werden gekauft, weil es sie vorher noch gar nicht gab oder weil sie besser erscheinen als herkömmliche Produkte. Die Gentechnik markiert hier also per se schon einen Konkurrenzvorteil, der zugleich auch höhere Verkaufspreise rechtfertigt. Auch die Kosten eines aufwen-digeren Prüfverfahrens lassen sich hier - mangels stärkerer Konkurrenz durch herkömmliche Produkte - auf die Preise umlegen. Entsprechend gab es auch sei-tens der Industrie keine Widerstände gegen die Pflicht zur Sonderzulassung und Kennzeichnung für gentechnisch hergestellte Arzneimittel, die 1989 durch eine entsprechende Änderung des Arzneimittelgesetzes eingeführt wurde.

51 Vgl. Dolata, WSI-Mitteilungen 1993. Dieses Argument gilt selbstverständlich nicht für alle

nationalökonomischen und betriebswirtschaftlichen Interessenlagen, in denen sich auch si-tuative Zuwächse an Arbeitsplätzen ergeben können. In zwei jüngeren Untersuchungen der Basler Prognos AG wird deutlich auf die Substituierungs- und Rationalisierungseffekte hingewiesen, die den immer wieder vorgebrachten Versprechungen über den Zuwachs von Arbeitsplätzen den Boden entziehen (vgl. Dolata, GID 1997, S. 16).

52 Selbstverständlich sind auch im Arzneimittelbereich Prozeßinnovationen denkbar. Z.B. wird von Kritikern argumentiert, daß gentechnisch erzeugtes Insulin als Produkt keine Vorteile gegenüber herkömmlich gewonnenem Insulin besitze und auf diesem Wege al-lenfalls kostengünstiger hergestellt werden könne. Tatsächlich wird das gentechnisch her-gestellte Insulin aber von den Firmen mit dem Argument verbesserter Produktsicherheit beworben und zu höheren Preisen angeboten als herkömmlich hergestelltes Insulin.

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10.1.8.3. Prozeß- versus Produktregulierung Regelungen zur Sicherheit der Arbeiter und Anwohner von Forschungs- und Pro-duktionsanlagen erhöhen tatsächlich die Kosten am Standort, ohne einen Konkur-renzvorteil via Produktqualität am Weltmarkt markieren zu können. Demgegen-über stellen nationale oder EG-weite Regelungen zur Produktsicherheit in erster Linie Markteintrittsbarrieren dar, die zwischen Etablierten und Newcomern und bei den Newcomern zwischen kapitalstarken und kapitalschwachen Unternehmen diskriminieren. Sie können darüber hinaus auch protektive Wirkungen für den Standort entfalten, weil ortsansässige Firmen im allgemeinen über Erfahrungen und bessere Verbindungen mit den inländischen Zulassungsbehörden verfügen.53

Die US-amerikanische Rechtssituation, in der - grosso modo - das Contain-ment von Forschungs- und Produktionsanlagen bzw. das Confinement bei Feld-versuchen weniger streng reguliert sind als die Produktzulassung und die allge-mein geltende Produkthaftung,54 ist also in nationalökonomischer Hinsicht weit-aus sinnvoller als das Gentechnikrecht in Deutschland, das sich - genau umge-kehrt - stark auf die Anlagensicherheit und das Confinement bei experimentellen Freisetzungen konzentriert55 und bei der Produktzulassung kaum nachvollziehba-re Erleichterungen56 gewährt.

Es läßt sich also feststellen, daß selbst die nationalökonomische Standort-debatte - wenn sie denn etwas differenzierter und informierter geführt würde - nicht zu einer pauschalen Ablehnung von ungewißheitsbasierten Regelungen führen müßte,57 sondern vor allem zu einer Verschiebung der Gewichte vom Anlagen- zum Produktbezug und genereller vom Containment zum Erkenntnis-gewinn. Diese Verschiebung wäre allerdings, wie bereits dargelegt, auch aus ökologischen Motiven angezeigt.

53 Dies ist neben dem Dollarkurs und dem attraktiven Angebot von Know-how auch einer

der Gründe, warum deutsche Arzneimittelunternehmen in den USA Biotechnologiefirmen erwerben: Die dortigen Arzneimittelzulassungprozeduren gelten als besonders schwierig.

54 Hohmeyer et al., Internationale, 1994. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, daß biotechnologisch hergestellte Arzneimittel in der EG und insbesondere in der Bundesre-publik weitaus schneller eine Marktzulassung erhalten als in den USA (Bienz-Tadmor, Bio/Technology 1993).

55 Das gilt nicht nur für das Gentechnikrecht, sondern generell für das Umweltrecht, das allerdings auch mit der Tatsache konfrontiert ist, daß Deutschland sehr viel dichter besie-delt ist als die USA (vgl. Weidner, 25 Years, 1995).

56 Vgl. oben, Kap. 8.5.2. 57 Daß die Gentechnikregulierung zu einer Diskriminierung von Prozeßinnovationen führt,

wird von uns nicht bestritten. Diese stellen aber, unter den gegenwärtigen Bedingungen und weltwirtschaftlich gesehen, keinen Beitrag zum Wirtschaftswachstum dar (s.o.).

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10.2. Konsequenzen für eine verbesserte Risikosteuerung im Forschungs-bereich

Aus diesen allgemeinen Befunden ergeben sich Folgerungen für eine Verschie-bung der Schwerpunkte im Bereich der ungewißheitsbasierten Risikosteuerung. Diese Schwerpunktverschiebung bezieht sich auf zwei wesentliche Aspekte. Zum einen ist bei der Regulierung der Bereich der Risikokommunikation und Risiko-forschung stärker zu berücksichtigen, zum andern sollte die Regulierung stärker an den Produkten anknüpfen, als dies bisher geschah.58

Diese Neugewichtung sollte auch in den gesetzlichen Regelungen ihren Nie-derschlag finden. Die folgenden Überlegungen sollen dies an einigen, uns wesent-lich erscheinenden Punkten beispielhaft verdeutlichen.

10.2.1. Ausklammerung der Sicherheitsstufe 1 aus dem Gentechnikgesetz?

Wenn das Gentechnikgesetz als rein erfahrungsbasiertes Gesetz intendiert gewe-sen wäre, dann hätte der Gesetzgeber Experimente und Produktionsanlagen der Sicherheitsstufe 1 nie einbeziehen dürfen, da im Gesetz explizit festgestellt wird, daß hier "nach dem Stand der Wissenschaft nicht von einem Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt auszugehen ist".59

Eine schlüssige Antwort auf die bisweilen aufgeworfene Frage der Legitimität der Einbeziehung von Arbeiten der Sicherheitsstufe S 1 ins Gentechnikgesetz ergibt sich daraus, daß der Gesetzgeber offenbar nicht nur eine erfahrungs-basierte, sondern auch eine ungewißheitsbasierte Vorsorge für notwendig hielt.60 Wenn man eine umfassende Beobachtung der mit der Gentechnik verbundenen Ungewißheit anstrebt, dann kann man S 1 nicht aus dem Geltungsbereich des Gesetzes ausklammern.61 Dies gilt dann konsequenterweise gerade auch für Or-ganismen, die nach bisherigem Erkenntnisstand 'kein Risiko' aufweisen, aber bei denen auch nicht ausgeschlossen werden kann, daß unvorhergesehene Entwick-lungen oder Wechselwirkungen eintreten.62

Die Sicherheitsstufe S 1 stellt außerdem einen wichtigen rechtstechnischen Anknüpfungspunkt dar, weil ohne eine Mindestform des Containments Registrier-

58 Vgl. oben, insb. Kap. 10.1.4. 59 GenTG § 7, Abs. 1, Nr. 1. 60 So etwa Vitzthum, ZG 1993. In einem Memorandum der Deutschen Forschungsgemein-

schaft wird sogar gefordert, "die Sicherheitsstufen 1 und 2 aus dem Gentechnikgesetz aus-zuklammern". (DFG, Forschungsfreiheit, 1996, S. 29)

61 Vgl. oben, Kap. 2.4. 62 Eine andere Frage ist, ob die konkrete Einstufung nach der Gentechniksicherheitsverord-

nung in allen Fällen die Stufe S 1 rechtfertigt.

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und Beobachtungspflichten gar nicht denkbar wären.63 Außerdem könnten - bei einer vollständigen Ausklammerung - transgene Organismen dieser Sicherheits-stufe ohne weitere Prüfung experimentell freigesetzt und eventuell sogar vermark-tet werden, was aber derzeit offenbar selbst die radikalsten Verfechter einer Libe-ralisierung nicht wünschen. Daher kommt - im Sinne einer ungewißheitsbasierten Regulierung - den Melde- und Aufzeichnungspflichten besondere Bedeutung zu. Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat diesem Gedanken offenbar auch in der Gentechnikaufzeichnungs-Verordnung Rechnung getragen, indem dort Arbeiten zu Forschungszwecken der Sicherheitsstufe S 1 einbezogen sind.

10.2.2. Risikoermittlung, -bewertung und Risikoentscheidung

Der Umgang mit bekannten Risiken ist im Gentechnikgesetz hinreichend geregelt. Defizite ergeben sich insoweit nicht in instrumenteller Hinsicht, sondern, wie oben dargelegt,64 eher auf der Ebene der Organisation der Normadressaten.

Das klassische ordnungsrechtliche Instrumentarium mit Genehmigungs-, An-melde- und Anzeigevorbehalten, das im Hinblick auf eine Risikoentscheidung vom Antragsteller und der Behörde eine Ermittlung und Bewertung des Risikopo-tentials verlangt, entspricht dem in anderen Umweltgesetzen vorhandenen Instru-mentarium. Dies gilt in gleichem Maße für nachträgliche Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse der Behörde. Insoweit existiert im Gentechnikbereich derzeit eine relativ starke Kontrolldichte. Auch wird von seiten der Genforscher die grundsätzliche Notwendigkeit der Regulierung im Bereich erkannter Risiken nicht in Frage gestellt.

Die in anderen Bereichen diskutierte Frage der Dynamisierung der Genehmi-gungsentscheidung durch eine Flexibilisierung, insbesondere eine Befristung der Genehmigung,65 stellt sich in dieser Form jedenfalls im Bereich gentechnischer Forschung nicht. Freisetzungsvorhaben sind per se auf eine bestimmte Dauer angelegt. Für Laborforschung gilt dies in ähnlichem Maße. Insoweit vermag eine dynamisierte Risikobewertungspflicht, wie sie in § 6 Abs. 1 S. 1 GenTG enthal-ten ist, mehr zu bringen als eine pauschale zeitliche Befristung. Anders mag dies für die gewerbliche Produktion im Geschlossenen System und insbesondere für das Inverkehrbringen66 zu beurteilen sein.

63 Vgl. oben, Kap. 10.1.4., Nr. 5. 64 Vgl. oben, Kap. 10.1.1. und 10.1.6. 65 Grundsätzlich: Wickel, Bestandsschutz, 1996, S. 278ff. 66 Hier wäre es vor allem sinnvoll, ein Nachmarktmonitoring, wie es auch im Arzneimittel-

recht vorgesehen ist, einzuführen (vgl. Daele et al., Bewertung, 1994, S. 166f.).

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10.2.3. Interne Risikokommunikation

Im Bereich der Risikokommunikation sind verschiedene Defizite zu verzeichnen. Unsere empirischen Untersuchungen zeigen hier insbesondere, daß die rechtli-chen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Generierung von potentiellem Risikowissen unzureichend sind und deshalb die Bedingungen für ein effektives Risikomanagement nicht gegeben sind.

10.2.3.1. Bestehende Defizite Eine Ursache für Hemmnisse im Bereich der internen Risikokommunikation ist darin zu sehen, daß im Labor die Experimente in der Regel von weniger erfah-renen Wissenschaftlern durchgeführt werden, die selbst (noch) kaum in die (fach-)öffentliche Risikodebatte eingebunden sind. Daher fehlt es an einem ent-sprechenden Risikobewußtsein, aber auch an der fachlichen Erfahrung, die für das Erkennen bzw. die Einschätzung unvorhergesehener Ereignisse notwendig ist. Die Leiter größerer Forschungsgruppen sind demgegenüber von den unmittel-baren Beobachtungen, die sich aus den Experimenten ergeben, häufig weitgehend abgeschnitten. Man könnte hier also von einem 'informationellen Flaschenhals' sprechen.

Nach unseren empirischen Beobachtungen ist der Beauftragte für die Biolo-gische Sicherheit (BBS) im universitären Bereich praktisch weitgehend bedeu-tungslos.67 Das Dilemma besteht hier grundsätzlich darin, daß er in der Regel ohnehin nur eine zeitlich befristete Stelle innehat und deshalb weder die Zeit noch die Unabhängigkeit besitzt, seine Aufgaben wirksam zu erfüllen.68 Er untersteht entweder direkt dem Projektleiter oder kommt aus einem anderen Labor. Bei der letzteren Konstruktion ist er zwar weniger abhängig, aber zwangsläufig auch weniger anwesend. Hier bestehen drei Optionen: Als BBS dürfte nur fungieren, wer eine zeitlich unbefristete Mittelbaustelle innehat und sich nicht mehr weiter-qualifizieren (habilitieren) will; dann wäre es sogar wünschenswert, wenn er un-mittelbar in dem von ihm betreuten Projekt tätig wäre. Andernfalls ist auch denk-bar, daß die Universität oder größere Fakultäten einen hauptamtlichen BBS enga-gieren, wie dies auch in der Großindustrie üblich ist.69 Er könnte dann bei der Risikokommunikation wichtige Funktionen übernehmen. Wenn man schließlich, wie von uns vorgeschlagen, die Betreiberverantwortung auf die Institute über-trägt, müßten auch die Kompetenzen eines zentral oder dezentral eingesetzten BBS entsprechend angepaßt werden. Grundsätzlich kann ein hauptamtlicher BBS

67 Vgl. oben, Kap. 7.4. und 7.5., insb. S. 203f. 68 Das rechtlich vorgesehene Benachteiligungsverbot läuft damit praktisch weitgehend leer. 69 Z.B. verfügt die Universität Freiburg über einen hauptamtlichen BBS (Hohmeyer et al.,

Internationale, 1994, S. 18).

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besser die institutsübergreifenden Sicherheitsbelange verfolgen, während neben-amtliche Beauftragte wiederum stärker mit den Problemen an der Basis vertraut sein werden.

Ein ähnlicher 'informationeller Flaschenhals' wie in den Instituten besteht auch bei der Kommunikation zwischen Betreibern und Behörden. Die Behörden sind zwar auf die systematische Sammlung und Auswertung von Risikowissen einge-richtet (z.B. nach § 6 und § 21 GenTG), sie haben aber keine unmittelbaren Er-fahrungen mit den in vielen hundert Labors durchgeführten Versuchen. Umge-kehrt verfolgen die Betreiber in der Regel andere Erkenntnisinteressen als die Generierung von Risikowissen; sie verfügen auch nicht über den systematischen Überblick der Behörden. Sie sind, abgesehen von mehr oder weniger zufälligen Vernetzungen, die sich aus persönlichen Vertrauensverhältnissen und der Durch-sicht der sicherheitsrelevanten Fachpublikationen ergeben können, untereinander isoliert; auch haben sie keine Einsicht in die Kommunikation anderer Betreiber mit den Behörden. Dies gilt bislang auch für die einschlägige Sicherheitsfor-schung.70

10.2.3.2. Verbesserte Aus- und Weiterbildung Eine Verbesserung der laborinternen Risikokommunikation könnte sich aus einer Einbeziehung von Risikofragen in die Aus- und Weiterbildung ergeben. Als not-wendige Voraussetzung für diejenigen, die in einem biologischen Labor experi-mentell forschen, sollte deshalb der Nachweis eines Kurses zur biologischen Sicherheit eingeführt werden, wie er regelmäßig von den Universitäten angeboten werden sollte.71 Sinnvollerweise sollten Fragen der Sicherheit bzw. Ungewißheit auch regelmäßig Gegenstand der Institutsbesprechungen sein, die dann die vom Gesetz vorgesehene Sicherheitsbelehrung72 ersetzen können, die sich in der Pra-xis tendenziell auf das Austeilen von Merkblättern und Abheften von Unterschrif-ten zu beschränken scheint. Weil Technische Angestellte oft die wichtigste Rolle bei der alltäglichen Organisierung von Sicherheitsbelangen spielen, sollten ent-sprechende Fachinhalte gerade in ihrer Aus- und Weiterbildung berücksichtigt werden.

70 Dazu unten, Kap. 10.2.4. 71 Diese Kurse können, müssen aber nicht identisch sein mit den Kursen, die für die Bestel-

lung zum Beauftragten für Biologische Sicherheit oder zum Projektleiter erforderlich sind. Es bietet sich an, diese Kurse mit entsprechenden Praktika zur Einführung in mole-kularbiologische Arbeitstechniken zu koppeln.

72 § 12, Abs. 3 GenTSV.

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10.2.3.3. Verbesserung der Informationsbeziehungen, Zugang zu Informationen Die asymmetrischen Informationsbeziehungen zwischen Betreibern und Behörden könnten tendenziell aufgehoben werden, wenn alle entsprechenden Informationen den beteiligten Akteuren zugänglich wären. So erscheint es sinnvoll, die im Rah-men von Anmeldung, Aufzeichnung, Meldungen und Überwachung gewonnenen sicherheitsrelevanten Daten zentral zu sammeln und abrufbar zu machen. Inso-weit bedarf es einer Relativierung der Geheimhaltungsinteressen im Bereich risi-korelevanter Daten. Eine gesetzliche Offenlegungspflicht der Forschungser-gebnisse ist dabei um so eher möglich, wie es sich um staatlich finanzierte For-schung handelt. Aber auch bei privater Forschung ist sie nicht grundsätzlich aus-geschlossen. Eine entsprechende gesetzliche Regelung müßte im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 GG aber auch den Schutz des Forscherinteresses an der Verwertung seiner Ergebnisse angemessen berücksichtigen. Im einzelnen ist die Zuordnung Aufgabe des Gesetzgebers. Er hat dabei die unterschiedlichen Interessen abzu-wägen. Eine Berücksichtigung der Forscherinteressen kann etwa durch Verwer-tungsschutzrechte und Vergütungsansprüche erreicht werden.73

10.2.3.4. Aufzeichnungspflichten Grundsätzlich können Aufzeichnungspflichten dazu beitragen, in einem Bereich von Unsicherheit Wissen zu erzeugen und Vorgänge nachvollziehbar zu ma-chen.74 Gerade für die ungewißheitsbasierte Risikovorsorge kommt diesem In-strument deshalb besondere Bedeutung zu.

Von ihrer Zweckbestimmung beschränken sich die aufzuzeichnenden Angaben im Rahmen des geltenden Rechts75 allerdings in erster Linie auf die Selbst-kontrolle des Betreibers sowie das Überwachungsverhältnis zwischen diesem und der zuständigen Behörde.76 Es fehlen Vorschriften, die einen horizontalen Wis-senstransfer zwischen Forschungseinrichtungen aus den Aufzeichnungen ermögli-chen. So ist etwa vor dem Hintergrund dieser Zweckbestimmung die Einschrän-kung auf die Aufzeichnung solcher Vorkommnisse, die nicht dem erwarteten Verlauf der gentechnischen Arbeit oder Freisetzung entsprechen und bei denen der Verdacht einer Gefährdung der Schutzgüter des GenTG nicht auszu-schließen ist, verständlich; unter der Perspektive der Generierung neuen Risiko-wissens kann aber auch die Aufzeichnung von zunächst nicht sicherheitsrelevant

73 Vgl. etwa § 17 Abs. 3 GenTG, wonach bei der Bezugnahme auf die Unterlagen eines

Dritten dieser unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf eine Vergütung hat. Vgl. auch die relativ weitreichenden Offenlegungspflichten in den USA unter dem Freedom of Information Act (vgl. z.B. Nehls et al., Environmental Research 1981).

74 Wahl, Gentechnikgesetz, § 6 Rn. 78. 75 Vgl. oben, Kap. 5.4. 76 Vgl. oben, Kap. 5.4.3.

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erscheinenden unvorhergesehenen Ereignissen interessant sein. Insgesamt ist eine Abstimmung der nach der Gentechnikverfahrens-Verordnung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens vorzulegenden Unterlagen mit den nach der Gentechni-kaufzeichnungs-Verordnung zu machenden Angaben erforderlich. Insbesondere im Hinblick auf potentielle Umweltwirkungen sind die aufzuzeichnenden Anga-ben unzureichend.77

Grundsätzlich sollten die Aufzeichnungen für andere Wissenschaftler, aber auch für sonstige Dritte zugänglich sein. Zu erwägen wäre insofern, ein öffentlich zugängliches Aufzeichnungs- und Melderegister einzuführen. Damit würde auch eine begleitende oder vergleichende Sicherheitsforschung durch Dritte mit diesen Aufzeichnungen erleichtert, wenn nicht erst ermöglicht (s.u.).

Um das gewonnene Wissen langfristig zu sichern, sind zeitlich begrenzte Auf-bewahrungspflichten nur dann sinnvoll, wenn die gewonnenen Daten in einen zugänglichen Datenpool eingespeist werden. Zwar erscheint auf den ersten Blick eine Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren bei Freisetzungen als eine lange Dauer, da dies der längsten bekannten Verjährungsfrist im Bürgerlichen Recht entspricht. Diese spezifisch rechtliche Sichtweise verkennt aber, daß für die langfristige Risikobewertung erheblich längere Zeiträume erforderlich sind.78

Um den mit den Aufzeichnungspflichten verbundenen Aufwand für die For-schenden möglichst gering zu halten und die Auswertung durch Behörden und Dritte zu erleichtern, könnte ein entsprechendes Software-Programm entwickelt werden, das eine elektronische Weiterleitung, Speicherung und Suchfähigkeit (retrieval) ermöglichen und gleichzeitig die Rechtsförmigkeit der Dokumente gewährleisten müßte.

10.2.4. Sicherheitsforschung

Im Bereich der ungewißheitsbasierten Risikosteuerung kommt der Aufhellung des Bereichs des Ungewissen und damit der Risikoforschung entscheidende Bedeu-tung zu.

Zum einen ist eine unabhängige Sicherheitsforschung im Sinne des oben (Kap. 10.1.2) skizzierten adversativen Ansatzes zu etablieren. Die Notwendigkeit einer eigenständigen Sicherheitsforschung wird im Bereich der Freisetzung auch allge-mein anerkannt, weil experimentelle Feldversuche nicht ohne weiteres der gleich-

77 Vgl. oben, Kap. 5.4.2. 78 So bedürfte es etwa allein für die Risikoeinschätzung eines vertikalen Gentransfers bei

Raps unter Einschluß der Umweltauswirkungen eines Beobachtungszeitraums von 10 Jah-ren, um aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen; Sinemus, Risikoanalyse, 1995, S. 159. Vgl. auch oben, Kap. 2.2.2.

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zeitigen Bewertung von Sicherheitsfragen und von technischen Entwicklungser-folgen dienen können.79

Dabei kommt der Forschungsförderung eine wichtige Aufgabe zu. Es geht nicht allein um eine Mittelerhöhung in diesem Bereich - die allerdings angezeigt erscheint80 -, sondern auch um eine Pluralisierung der Mittelvergabe. Die Mittel-vergabe sollte nicht wie bisher durch das Forschungsministerium, sondern durch solche Institutionen erfolgen, die speziell das Sicherheitsinteresse repräsentieren (z.B. Umweltbundesamt). Dabei sollten nicht nur die Molekularbiologie, sondern vor allem auch andere risikorelevante Subdisziplinen (Ökologie, Toxikologie etc.) und zugleich auch theoretisch oder methodisch konkurrierende Ansätze gefördert werden. Gleichzeitig sollte aber auch - z.B. durch die Förderung entsprechender Tagungen - dafür gesorgt werden, daß die verschiedenen Ansätze und Subdiszip-linen miteinander konfrontiert werden und nicht beziehungslos auseinandertrei-ben.

Doch auch bei den ohnehin stattfindenden Forschungsvorhaben können im Sinne des bereits angesprochenen integrativen Ansatzes81 Anreize geschaffen werden, eventuellen Verdachtsmomenten genauer nachzugehen. Zum einen ist hier wiederum die Forschungsförderung gefragt, die dafür genügend Mittel zur Verfügung stellen muß und damit auch 'Bedenkenträgern' in den Forschungs-einrichtungen alternative Karrierewege eröffnet, falls sie aufgrund ihrer Vorbe-halte in Konflikt mit ihrem bisherigen Arbeitsumfeld geraten.82 Anreize für die

79 Vgl. oben, Kap. 8.4.1. 80 So investierte das Bundesministerium für Forschung und Technologie, der wichtigste

Förderer in diesem Bereich, im Rahmen seines Förderprogramms zur Biotechnologie zwi-schen 1988 und 1993 1,6 Milliarden DM, aber davon nur 33,4 Millionen DM - das sind ca. 2 Prozent - für die einschlägige Sicherheitsforschung (vgl. Katzek/Wackernagel, Stand, 1991, S. 56). Ob die staatliche Förderung anwendungsorientierter Forschung im Bereich angeblicher 'Schlüsseltechnologien' gesamtwirtschaftlich überhaupt sinnvoll ist, wird zu-mindest von ordoliberal orientierten Wirtschaftswissenschaftlern bestritten. Sie argumen-tieren, daß hier Subventionierungswettläufe entstehen und dabei die Gefahr der Fehlalloka-tion staatlicher Mittel sehr groß ist - wie sich auch an der staatlichen Forcierung der Atom-industrie gezeigt hat (vgl. z.B. Klodt, Aus Poltik und Zeitgeschichte 1995). Eine breiter angelegte Sicherheitsforschung gehört dagegen unbestreitbar zur Daseinsvorsorge und damit zu den staatlichen Aufgaben. Freiwerdende Mittel aus der gegenwärtigen Förderung von 'Schlüsseltechnologien' könnten entsprechend umverlagert werden.

81 Vgl. oben, Kap. 10.1.2. 82 Das ist häufig gar nicht der Fall, weil es im Interesse der Genforschung selbst liegt, zumin-

dest naheliegende und beherrschbare Sicherheitsprobleme auszuräumen. So berichtet uns der Molekularbiologe Arndt Heyer, ein Teilnehmer an dem im Rahmen unseres For-schungsprojekts veranstalteten interdisziplinären Workshop, der selbst an einem Freiset-zungsprojekt mitarbeitet, von Untersuchungen zur Lebensmittelsicherheit der freigesetzten Nutzpflanzen: "Das ganze läuft inzwischen als eine wissenschaftliche Kooperation mit ver-

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frühzeitige Abklärung von Bedenken können aber auch im Haftungsrecht - durch entsprechende Haftungserleichterungen bei den hier in Rede stehenden Entwick-lungsrisiken - geschaffen werden.83

Generell sollten Vorhaben zur Sicherheitsforschung rechtlich insofern privile-giert werden, als ihnen zumindest prozedurale Genehmigungserleichterungen zu gewähren sind.84 Damit soll erreicht werden, daß die Sicherheitsforschung der technischen Entwicklung tendenziell vorangeht - und nicht umgekehrt. Dem Ab-grenzungsproblem, was hier als Sicherheitsforschung gelten kann, wäre durch eine relativ einfache prozedurale Definition zu begegnen: Sicherheitsforschung muß vollständig veröffentlicht werden. Ein Geheimhaltungsinteresse an den ge-wonnenen Daten kann nicht bestehen, andernfalls handelt es sich nicht um Si-cherheitsforschung. Jedenfalls die Daten aus der Sicherheitsforschung wären in einem allseits zugänglichen Aufzeichnungs- und Melderegister zu speichern.

Darüber hinaus sollte der Sicherheitsforschung ein möglichst weitreichender Zugang zu den Aufzeichnungen der 'Überraschungen', die im Verlauf von biologi-schen Experimenten andernorts aufgetreten sind, sowie zu den entsprechenden Rohdaten ermöglicht werden. Diese wären insbesondere für die adversative Si-cherheitsforschung von Bedeutung, weil sie auf diese Weise anhand von systema-tischen Auswertungen spezifischere und durch empirische Anhaltspunkte fundier-te Risikohypothesen generieren könnte. Da bei der adversativen Sicherheitsfor-schung - im Unterschied zur integrativen Sicherheitsforschung - keine Konkur-renzbeziehungen zu technologisch orientierten Forschungsprojekten bestehen, dürften insofern auch keine Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen.

10.2.5. Dynamisierung der Risikosteuerung

10.2.5.1. Dynamisierung der Gesetzgebung Gelegentlich wird in der rechtswissenschaftlichen Risikodiskussion auch eine Dynamisierung der Gesetzgebung vorgeschlagen. Dabei sollen die Gesetze 'auf Zeit' erlassen, also befristet werden. Dahinter steht - die im Grundsatz zutreffende - Erwägung, daß der Gesetzgeber einer ständigen Risikobeobachtungspflicht unterliegt. Daraus kann sich die Notwendigkeit ergeben, die gesetzlichen Rege-

schiedenen Leuten hier im Institut, die immer dann, wenn sie interessante - d.h. mögli-cherweise im Alkaloidgehalt veränderte - Transgene haben, auf ... [N.N.] zugehen. Ich denke, hier zeigt sich recht deutlich, daß eine Arbeitsteilung - in Verbindung mit Aufmerk-samkeit der Molekularbiologen für mögliche Effekte - der Sicherheitsforschung zugute kommt. Das Motiv ist für alle Beteiligten gegeben und nachvollziehbar: man möchte Daten publizieren." (Brief vom 12.3.1996, S. 3)

83 Vgl. oben, Kap. 6.4. 84 Vgl. auch Sinemus, Risikoanalyse, 1995, S. 177.

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lungen neuen Erkenntnissen anzupassen. Dies kann sowohl in die Richtung einer Lockerung gesetzlicher Regelungen in den Fällen gehen, in denen eine vormals als Risiko eingestufte Situation sich später als risikolos erweist, als auch in die Richtung einer Verschärfung der Anforderungen im umgekehrten Fall. So richtig dieser Ansatz im Grundsatz ist, so fraglich ist es andererseits, ob es - zumindest derzeit - im Bereich des Gentechnikrechts hierfür ein tatsächliches Bedürfnis gibt. Es besteht die Gefahr, daß die Kapazitäten des Gesetzgebers und der Vollzugs-behörden überlastet werden, wie sich dies im übrigen auch im Rahmen des der-zeitigen Deregulierungs-Aktivismus allgemein abzeichnet. Erforderlich erscheint eher - auch und gerade um nicht zu einer völligen Vollzugsblockierung zu gelan-gen - eine gesetzgeberische 'Pause'. Sinnvoller erscheinen demgegenüber dynami-sierte Rechtsnormen, die 'selbstreflexiv' in der Lage sind, neues Wissen aufzu-nehmen und in Handlungsoptionen umzusetzen. Beispielhaft kann hier die Dyna-misierung der Grundpflicht des § 6 Gentechnikgesetz genannt werden. Weiter auszubauen ist auch das im folgenden zu behandelnde 'Step-by-step-Prinzip'.

10.2.5.2. Step-by-step-Prinzip Als ein wesentliches Mittel zur Dynamisierung der Risikosteuerung erscheint das Step-by-step-Prinzip. Obwohl das Prinzip als Ausdruck besonderer Vorsicht im Gentechnikrecht angesehen wird, ist es doch im Gentechnikgesetz nicht aus-drücklich verankert. Das geltende Recht ist hier ambivalent. Einerseits parzelliert das auf Einzelfallentscheidungen abstellende Regulierungsinstrumentarium ein-zelne Schritte und beurteilt nur das mit dem jeweiligen Schritt verbundene Risi-ko.85 Aufgrund der Rechtskonstruktion der 'gebundenen Entscheidung' dürfen an sich im einzelnen Freisetzungsverfahren mögliche Auswirkungen eines Inver-kehrbringens des Produkts de lege lata nicht berücksichtigt werden. Andererseits muß im Rahmen der Verfahrensvorschriften der Antragsteller auch Unterlagen über vorangegangene Arbeiten in einer geschlossenen Anlage und über Freiset-zungen beifügen. Auch die Gentechnikverfahrens-Verordnung hat das Prinzip insofern berücksichtigt, als bei den vorzulegenden Informationen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens auch eine Beschreibung der Zielsetzung und der ge-planten Produkte der Freisetzung erfolgen muß.86

Grundsätzlich sollten bei der Entscheidung über die Zulassung eines Schrittes auch - soweit dies tatsächlich möglich ist - die Auswirkungen des nächsten Schrittes mit bedacht werden. Die Ansatzpunkte im geltenden Recht könnten für eine stärkere Verankerung des Step-by-step-Prinzips genutzt werden.

85 Vgl. oben, Kap. 8.5.2. 86 Vgl. im einzelnen oben, Kap. 5.3.2.

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10.2.6. Externe Risikokommunikation und Wertentscheidung

Für den Bereich der externen Risikokommunikation gilt zunächst ebenfalls die Feststellung, daß das geltende Recht sehr stark entscheidungsfixiert und wenig (kommunikations-)prozeßorientiert ist. Eine Kommunikation mit der Öffentlich-keit findet primär im Rahmen der bestehenden Einwendungsverfahren statt. Das Einwendungsverfahren erfüllt zwar sowohl demokratietheoretisch als auch grund-rechtsdogmatisch eine wichtige Funktion auch im Rahmen der ungewißheits-basierten Risikosteuerung;87 auch kann es der Verbesserung der Selbst- und Fremdkontrolle der Entscheidungsfindung dienen. Neues Risikowissen wird dort aber eher ausnahmsweise erzeugt oder den Behörden zur Kenntnis gebracht.88 Vor allem sind die derzeitigen Beteiligungsverfahren aufgrund ihrer Einbindung in das Genehmigungsverfahren wenig offen für neue Erkenntnisse und unterliegen häufig verfahrenstaktischen Überlegungen der beteiligten Akteure. Dies gilt ins-besondere für die Erörterungstermine.

Darüber hinaus können viele der von seiten der Bürger vorgebrachten Be-denken im Rahmen der 'gebundenen Entscheidung' nicht berücksichtigt werden, weil es sich einesteils nicht um Risikoeinwände im engeren Sinne handelt oder diese sich nicht auf den anstehenden Genehmigungsschritt, sondern auf die Risi-ken des erst später - und ohne Öffentlichkeitsbeteiligung - zu genehmigenden Pro-dukts beziehen.

Andererseits ist es, wie oben (10.1.6.) dargelegt, erforderlich, Wertentschei-dungen, wie sie allenthalben im Rahmen des Gentechnikgesetzes getroffen wer-den müssen, als solche transparent zu machen und auf eine repräsentativere Basis zu stellen. Deshalb erscheint es sinnvoll, veränderte Verfahren einzuführen, in denen die vielfältigen Einwände von seiten der Bürger angemessener berücksich-tigt und so die bisherigen Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung entlastet wer-den könnten.

Dabei erscheint es allerdings nicht angeraten, kognitive und normative Aspekte der Risikobewertung in getrennten Gremien und Verfahren abzuarbeiten, weil sich beide Aspekte beständig überlagern und durchdringen und nur 'in kleiner Münze' voneinander geschieden werden können. Andernfalls bestünde die Ge-fahr, daß Wertentscheidungsgremien ohne genauere Befassung mit technischen Details sehr abstrakte oder unpraktikable Empfehlungen gäben und daher - jen-seits einer bloß symbolischen Politik - rein wissenschaftliche Kommissionen

87 Aus diesen Gründen ist auch die Entscheidung des Gesetzgebers, den Erörterungstermin

im Rahmen der Freisetzungsgenehmigung ersatzlos abzuschaffen, rechtspolitisch verfehlt; vgl. dazu oben, Kap. 5.10.

88 Dies war am ehesten in der Anfangsphase der Genehmigungsverfahren zu beobachten, als es auch den Behörden noch an einer entsprechenden Infrastruktur fehlte.

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weiterhin die normativen Entscheidungen präjudizierten. Dies haben auch Erfah-rungen in den Niederlanden mit teilweise sehr hochrangig angesiedelten und plu-ralistisch besetzten Ethik-Gremien gezeigt, deren Entschlüsse mangels Befassung mit technischen Detailfragen ins Leere liefen.89

Die über die Genehmigungstatbestände hinausweisenden Diskussionsbedürf-nisse und Eingaben von seiten der Öffentlichkeit sollten daher auf vier Punkte verlagert werden:

10.2.6.1. Prüfaufträge im Step-by-step-Verfahren Eine bisher kaum beachtete Funktion der Einwendungsverfahren bei experi-mentellen Freisetzungen könnte sein, im Sinne des Step-by-step-Prinzips den Behörden und den Betreibern Erwägungsgründe und Prüfaufträge für weitere Freisetzungen und zur Vorbereitung der Vermarktungsentscheidung mit auf den Weg zu geben, die die Sicherheitsforschung, die weitere Risikoprüfung und die Technikgestaltung beeinflussen könnten. Es mag zwar sein, daß solche Konse-quenzen teilweise ohnehin aus den Verfahren gezogen werden,90 aber dann sollte man sie auch - eventuell sogar in einer öffentlich verbindlichen Form91 - für die Bürger erkennbar machen.

Im Hinblick auf das notwendige Vertrauen zwischen Forscher und Öffent-lichkeit sollte im übrigen darüber nachgedacht werden, Dritte bereits möglichst frühzeitig und fortlaufend in den Kommunikationsprozeß zwischen Forscher und Behörde einzubinden, also auch in den Vorverhandlungen vor Auslegung der Unterlagen und nach Genehmigungserteilung und in den Fällen, in denen eine Genehmigung nicht mehr notwendig ist. Insgesamt müßten die Verfahren also stärker auf ein "dynamisches Modell des Lernens" umgestellt werden.92

89 Schomberg, Analyse & Kritik 1997, S. 115ff.; vgl. auch Stemerding/Jelsma, ÖZS 1995. 90 Bei der Durchsicht der Akte zum ersten Freisetzungsverfahren (der 'Kölner Petunien')

wurde für uns erkennbar, daß die Behörden intern die auf dem Erörterungstermin vorge-tragenen Bedenken, etwa über die Möglichkeit eines horizontalen Gentransfers auf Boden-mikroorganismen, sehr viel ernster nahmen, als sich dies im Genehmigungsbescheid und in anderen Äußerungen der Behörden widerspiegelte. Tatsächlich wurde zu dieser Frage auch ein vom Forschungsministerium finanziertes Begleitforschungsprojekt unternommen (vgl. Becker et al., Begleitende, 1994).

91 Derzeit können zwar solche Prüfaufträge, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Freisetzung stehen, nicht in rechtlich verbindlicher Form als Nebenbestimmung in der Genehmigung festgeschrieben werden, sondern allenfalls als unverbindliche Hinweise (vgl. auch oben, Kap. 5.1.). Bei einer de lege ferenda verbesserten und konsistenteren Ausge-staltung des Step-by-step-Prinzips wäre aber auch eine rechtlich verbindliche Vorgabe denkbar.

92 Ladeur, Öffentlichkeitsbeteiligung, 1996, S. 187.

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10.2.6.2. Öffnung der ZKBS und des Behördenausschusses bei der EG-Kom-mission

Schon bisher erfüllt die ZKBS wichtige Beratungsaufgaben. Sie befaßt sich zu-nehmend weniger mit standardisierbaren Einzelgenehmigungen, sondern verlagert ihre Aufmerksamkeit zurecht stärker auf die generelle Ausgestaltung des Verwal-tungsverfahrens. Außerdem wird sie bei anstehenden Novellierungen des Gen-technikgesetzes und seiner Verordnungen gehört. Ähnliches gilt auf EG-Ebene für den bei der Generaldirektion Umwelt (DG XI) eingerichteten 'Artikel 21-Ausschuß'.93 Unter Beibehaltung dieser Kompetenzen wären allerdings das Ver-fahren und die Zusammensetzung dieser Gremien deutlich zu verändern: - Beide Gremien sollten mit einem erweiterten Mandat ausgestattet werden,

damit auch die normativen Aspekte explizit einbezogen werden können. Neben der Befassung mit einzelnen Genehmigungsverfahren sollte vor allem die Funk-tion der Dauerbeobachtung des biotechnologischen Prozesses und seiner ge-sellschaftlichen Implikationen gewährleistet sein.

- Umfassende Transparenzvorkehrungen. - Initiativrecht der Öffentlichkeit. Speziell bei der ZKBS sollten zudem folgende Änderungen vorgenommen wer-den: - Bei der ZKBS sollten entsprechend interdisziplinär ausgewiesenen Philoso-

phen, Sozial- und Rechtswissenschaftlern auf der 'Wissenschaftlerbank' betei-ligt werden, die für die normativen Aspekte zuständig wären.

- Die Beteiligung von Verbänden sollte erweitert werden. - Aufgrund des erweiterten Teilnehmerkreises sollte die Tagungsfrequenz redu-

ziert werden und die Beratung über Detailfragen durch Unterausschüsse oder Gutachten vorbereitet werden.

- Die ZKBS sollte beim Ministerium94 (statt wie bisher beim Robert-Koch-Institut) angesiedelt sein und Beratungsaufgaben gegenüber dem Parlament o-der seinen jeweils zuständigen Ausschüssen wahrnehmen.

Die Vertreter der nationalen Fachbehörden im Artikel 21-Ausschuß sind Natur-wissenschaftler. Zur Analyse der normativen Aspekte müßten von den nationalen Behörden entsprechend philosophisch, rechts- oder sozialwissenschaftlich ausge-bildete Experten entsandt werden.

93 Vgl. oben, Kap. 8.2.1. 94 In diesem Zusammenhang wäre zu überlegen, ob die Federführung nicht ohnehin vom

Gesundheits- auf das Umweltressort verlagert werde sollte.

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10.2.6.3. Entscheidungsentlastete Diskursverfahren Neben diesen eher entscheidungsorientierten Gremien sollten Diskursverfahren etabliert werden, die von einem konkreten Entscheidungsdruck entlastet sind und damit auch den Akteuren ermöglichen, die jeweils andere Seite mit ihren Argu-menten eher ernst zu nehmen. 'Runde Tische', die inzwischen auch als Instrument zwischen Chemieunternehmen und Anwohnern erprobt werden, könnten hierzu ein wichtiges Mittel darstellen.95 Die Gesprächskreise, die von Unilever und Novo Nordisk eingerichtet wurden, werden von den beteiligten Umweltverbänden zwar zwiespältig beurteilt.96 Allerdings könnten sie auf die Firmenpolitik langfris-tig mehr Einfluß haben, als aktuell - angesichts schon von langer Hand getroffe-ner Investitionsentscheidungen - erkennbar wird.97 Gute Erfahrungen wurden in Baden-Württemberg mit dem Verfahren der Bürgergutachten sowie im Ausland mit Konsensuskonferenzen gemacht.98

10.2.6.4. Öffentlichkeitsbeteiligung beim Inverkehrbringen Bei der Genehmigung des Inverkehrbringens sollte - anders als bisher - ein öffent-liches Erörterungsverfahren stattfinden, das auch den Zweck, also die vorgesehe-nen Nutzungsformen der Produkte einbezieht (siehe dazu im folgenden Kap. 10.3.).

10.3. Ausblick: Von der Prozeßregulierung zur Produktregulierung99

Grundsätzlich dienen experimentelle Freisetzungsverfahren dem Erfahrungs-gewinn, mithin auch der Generierung von Risikowissen. Sie sind also, zumindest soweit ihre Ergebnisse veröffentlicht werden,100 als Forschungstätigkeit anzuse-hen und sollten daher - ähnlich wie das auch bei Forschungstätigkeiten im Ge-schlossenen System geschieht - gegenüber dem Inverkehrbringen prozedural privilegiert werden; die gegenwärtige Rechtslage101 müßte hier also genau umge-kehrt werden.

95 Vgl. z.B. Dreyer/Kesselring, Wechselwirkung 1996. 96 Behrens et al., Nachbarn, 1997. 97 Vgl. Wiesenthal, Leviathan 1994. 98 Vgl. Garbe, Diskurse, 1996; Hennen, TA-Datenbank-Nachrichten 1995. 99 Wie sich im folgenden zeigen wird, gebrauchen wir die Termini hier anders, als dies in der

internationalen Debatte üblich ist. Zum Gebrauch der Termini in der internationalen Debat-te vgl. oben, Kap. 2.3.2.

100 Vgl. oben, Kap. 4.4.1.2. 101 Vgl. oben, Kap. 8.5.2.

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Für diese Umkehrung spricht allerdings auch die Logik der ungewißheits-basierten Regulierung. Das Inverkehrbringen stellt - gegenüber den wissen-schaftlich kontrollierten und räumlich begrenzten Freisetzungsversuchen - den weitestgehenden Eingriff in den Natur- und Kulturhaushalt dar, indem die trans-genen Organismen dann europaweit freigesetzt und konsumiert werden können. Die Produktgenehmigung markiert also das Ziel und den (vorläufigen) Abschluß des im Step-by-step-Verfahren organisierten Lernprozesses. Hier wäre also der Ort, die im Verlauf der vorangegangenen Schritte gesammelten Erfahrungen um-fassend zu bewerten. Dies gilt umso mehr, wenn man, wie hier vorgeschlagen, den Schwerpunkt der Regulierung auf die Beobachtung insbesondere der ökolo-gischen Wechselwirkungen legt. Weil dann mehr und zugleich komplexeres Risi-kowissen generiert wird, steigen die Anforderungen an seine Bewertung im Rah-men der Produktgenehmigung. Aufgrund der europarechtlichen Logik dezentraler Freisetzungsgenehmigungen und zentral geltender Produktgenehmigungen können explizit politische Gestaltungsbedürfnisse wirksam ohnehin nur an letzteren an-setzen.102

Da wir uns im Rahmen unserer Untersuchung jedoch vor allem auf die Regu-lierung der Forschung konzentriert haben und die Produktzulassung nur peripher bearbeiten konnten, handelt es sich im folgenden um vorläufige Überlegungen zur Gestaltung des Markteinführungsprozesses, die einer fundierteren Ausarbeitung bedürften. Insofern stellen die im folgenden - z.T. auch in Frageform - vorgetra-genen Gedanken Hinweise auf den weiteren Forschungsbedarf dar.

10.3.1. Gründe für die Änderung der Produktzulassung

10.3.1.1. Verbleibende Ungewißheit Das vorauslaufende Prüfverfahren garantiert keineswegs, daß die anfängliche Ungewißheit zum Zeitpunkt der Produktgenehmigung vollständig beseitigt wor-den wäre. Im Rahmen der bisherigen Handhabung des Step-by-step-Verfahrens wird der Erfahrungsgewinn durch die experimentellen Freisetzungen selbst von den zuständigen OECD-Gremien eher zurückhaltend bewertet.103 Sicher ließe sich, wie oben skizziert, die Generierung von Risikowissen im Verlauf des Step-by-step-Verfahrens verbessern.104 Aber auch dann können im Rahmen einer end-

102 Vgl. oben, Kap. 8.7.1. (S. 262ff.) und Kap. 8.8. (S. 272). 103 Vgl. oben, Kap. 8.4.1. 104 Dabei wäre besonders zu berücksichtigen, daß die 'Zentren der natürlichen Vielfalt' vieler

transgener Organismen in den ärmeren Länder liegen. Organismen, die sich in unseren Breiten als 'eingebürgerte Exoten' weder selbständig ausbreiten noch ihr Erbmaterial auf artverwandte Organismen übertragen können und daher ökologisch wahrscheinlich un-

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lichen Zahl von experimentellen Freisetzungen nur die ökologischen Wechselwir-kungen in den jeweiligen Testarealen und dabei immer auch nur eine endliche Zahl von Parametern beobachtet werden.105 Vergleichbares gilt auch für die Prü-fung von gesundheitlichen Auswirkungen der Produkte auf den Menschen.106

10.3.1.2. Sozioökonomische Bedenken Nicht nur bei den Anhörungsverfahren zu den experimentellen Freisetzungen, sondern auch in der allgemeinen Debatte um die Biotechnologie hat sich vielfach gezeigt, daß bei den Bürgern nicht nur Bedenken bezüglich möglicher Risiken für Gesundheit und Umwelt bestehen. Soweit die moderne Bio- und Gentechnologie zu Rationalisierungszwecken eingesetzt wird, kann damit eine Umstrukturierung vieler Wirtschaftsbereiche einhergehen, die Betriebskonzentrationen, die Entwer-tung traditioneller Qualifikationen und gesamtwirtschaftlich einen Verlust von Ar-beitsplätzen zur Folge haben kann. Diesem Tatbestand hat die EG-Kommission wohl auch beim Verbot des Rinderwachstumshormons (BST) Rechnung getragen. Offiziell wurde das Verbot zwar mit gesundheitlichen Einwänden begründet, wahrscheinlich haben aber sozioökonomische Bedenken den Ausschlag gege-ben.107

10.3.1.3. Kulturelles Unbehagen Bei der Bevölkerung scheinen neben sozioökonomischen Erwägungen auch mo-ralische und ästhetische Bedenken eine erhebliche Rolle zu spielen. Indem sich

problematisch sein werden, treffen dort sehr viel wahrscheinlicher auf Umweltbedingun-gen, die entweder die selbständige Auswilderung oder die Auskreuzung des Genmaterials begünstigen. Soweit die transgenen Eigenschaften (z.B. Insektentoleranz) einen Selekti-onsvorteil vermitteln, kann die dort konzentrierte genetische Vielfalt stark vermindert werden, wovon u.a. auch die Saatgutzüchtung in den Industrieländern nachhaltig betrof-fen wäre, weil diese auf die beständige Zufuhr von genetischen Ressourcen aus den 'Zent-ren der natürlichen Vielfalt' angewiesen ist (vgl. Rissler/Mellon, Ecological, 1996, S. 111ff.). Daher implizieren Produktgenehmigungen in der EG (und in anderen OECD-Ländern) eine globale Verantwortung, zumal die Aushandlung eines weltweiten 'Biosafe-ty-Protokolls' gerade von einigen EG-Ländern und den USA blockiert wird (vgl. oben, Kap. 3.2.4.).

105 Vgl. insgesamt Kap. 8. Vergleichbares gilt im Prinzip auch für die Gentherapie (vgl. Kap. 9). Vgl. generell Gleich, TA-Datenbank-Nachrichten 1996. Zum dort vorgeschlagenen Kriterium der Eingriffstiefe vgl. aber Fn. 47 in Kap. 2.

106 Vgl. oben, Kap. 2, S. 49ff. 107 BST läßt sich nur in agrarindustriell strukturierten Großfarmen betriebswirtschaftlich

sinnvoll einsetzen und müßte entweder zu höheren Subventionszahlungen (für 'Milchseen' bzw. 'Butterberge') oder zur beschleunigten Aufgabe kleiner Landwirtschaftsbetriebe füh-ren.

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die Gen- und Biotechnologie anschickt, die bisherigen Formen des Lebendigen von Grund auf umzugestalten, verschiebt sie damit auch kulturell wichtige Unter-scheidungen - vor allem im Bereich von 'Natürlichkeit' und 'Künstlichkeit' -, die für die bisherigen kognitiven und normativen Orientierungen in der Gesellschaft fundamental bedeutsam waren.108

Soweit diese Eingriffe unmittelbar auf die menschliche Physis abzielen, fallen sie zwar zum Teil schon unter andere Regelungen, wie etwa das Embryo-nenschutzgesetz oder die Europäische Bioethik-Konvention. In den Niederlanden wurde auch eine spezialgesetzliche Grundlage für den Umgang mit transgenen Tieren geschaffen.109 Andere Eingriffe bleiben aber bisher weitgehend ungere-gelt. Die gentechnische Veränderung von Pflanzen und Mikroorganismen scheint insoweit auch zunächst kaum auf größere moralische Bedenken zu stoßen. An-ders als höhere Tiere lösen diese Lebewesen bei den meisten Menschen in der modernen Kultur kein Mitgefühl aus.110 Allerdings macht die despektierliche Berichterstattung über 'Gen-Food' in den Medien deutlich, daß hier zumindest ein ästhetisches Unbehagen vorzuliegen scheint.

10.3.2. Demokratisierung der Produktzulassung

Aus den oben genannten Gründen erscheint eine Demokratisierung und eine Er-weiterung der Entscheidungsgrundlagen bei der Produktzulassung angezeigt: Wenn Ungewißheit in Bezug auf die Risiken für Umwelt und Gesundheit nicht vollständig auszuräumen ist, dann sollte der versprochene Nutzen auch gesell-schaftlich wünschenswert sein - nur so sind 'Restrisiken' sozialädaquat zu ma-chen. Wenn neben dieser Ungewißheit auch sozioökonomische oder kulturelle Bedenken bestehen, dann sind sie ebenfalls in das Verfahren einzubeziehen. Es stellt sich also die Frage, wie Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung, eine Bewertung des Nutzens der Produkte und eine umfassende Kennzeichnung bei der Produktzulassung etabliert werden können.

10.3.2.1. Informationsrechte und Öffentlichkeitsbeteiligung Vorbedingung jeder demokratisch motivierten und gemeinwohlorientierten Parti-zipation ist die Herstellung von möglichst vollständiger Transparenz, d.h. die gleiche Verfügbarkeit von Informationen für alle potentiell interessierten Akteure.

108 Vgl. Haraway, Kyborg, 1984; Daele, Concepts, 1992; Heins, Soziale Welt 1992. 109 Vgl. Stemerding/Jelsma, ÖZS 1995. 110 Anders ist dies in Pflanzerkulturen, vgl. z.B. Müller, Paideuma 1974.

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Daran fehlt es gegenwärtig allerdings in vielen Mitgliedstaaten111 und vor al-lem auch auf EG-Ebene gerade bei der Produktzulassung. Die Einsprüche anderer Mitgliedsländer zu einer nationalen Entscheidung sowie die Verhandlungen auf EG-Ebene werden zwar meist in ungefähren Umrissen aufgrund entsprechender Bemühungen einer europäischen Umweltschutzinitiative bekannt, die von der Kommission gelegentlich auch - neben Industrievertretern - zu Konsultationen herangezogen wird.112 Die Offenlegung von Informationen ist aber nicht durch formale Bestimmungen festgelegt. Zwar könnte inzwischen auf der Grundlage des von der Kommission durch Beschluß vom 8.2.1994 eingeführten Verhaltensko-dex über den Zugang der Öffentlichkeit zu den der Kommission vorliegenden Dokumenten113 im Prinzip jeder EU-Bürger Einsicht in diese Informationen ver-langen. Dieses Zugangsrecht steht jedoch unter einer Fülle von Ausnahmevorbe-halten, und erste Erfahrungen zeigen, daß die Dienststellen der Kommission in-soweit sehr restriktiv vorgehen.114

Für die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Produktzulassung gibt es auch im nationalen Recht - zumindest in Deutschland - keine Vorbilder. Anders als bei der Genehmigung von Anlagen, bei der die Öffentlichkeitsbeteiligung sich aus dem Gedanken des Nachbarschaftsschutzes entwickelt hat, geht die Rechtsdogmatik hier bisher davon aus, daß keine bestimmten und abgrenzbaren Bevölkerungs-gruppen von einer Produktgenehmigung betroffen sind, sondern die Verbraucher im allgemeinen.115 Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Anlagengenehmigungen ist nach geltendem Recht als Jedermannsbeteiligung ausgestaltet.116 Dieser Logik folgend wäre es denkbar, auch bei Produktgenehmigungen ein Jedermannsrecht einzuräumen, zumal nicht auszuschließen ist, daß bestimmte Bevölkerungsgrup-pen - z.B. Nahrungsmittelallergiker, Biobauern etc. - von der Zulassung transge-ner Produkte in besonderer Weise betroffen sind.

111 Vgl. Levidow/Carr, S&PP 1996. 112 Vgl. dazu die mehr oder weniger regelmäßig an interessierte Akteure verschickten Rund-

briefe des Friends of the Earth Biotechnology Programme. 113 ABl. Nr. L 46 vom 18.2.1994, S. 46. Vgl. hierzu auch die Notiz in Elni-Report 1/94, S. I

(Beilage zu ZUR 1994, Heft 2). 114 Hierzu jüngst: EuGH, EuZW 1996, S. 152 sowie Entscheidung des EuGH vom 5.3.1997,

Rs. T-105/95 WWF UK/Kommission (noch nicht veröffentlicht). 115 Vgl. Briefe des Umweltbundesamtes an den Autor (B.G.) vom 21.7.1995 und 10.8.1995

zu dieser Frage. 116 Vgl. oben, Kap. 5.10.

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10.3.2.2. Prüfung des Bedarfs und der Sozialverträglichkeit Schon seit längerem wird darüber diskutiert, inwieweit Bedarfserwägungen Ge-genstand von Genehmigungsverfahren sein können.117 Daß grundsätzlich auch der Gesetzgeber dieses Kriterium zur Abwägung bei Freisetzungs- und Inver-kehrbringensgenehmigungen für geeignet hält, ergibt sich aus dem deutschen Gentechnikgesetz.118 Die entsprechende Vorschrift kann nicht so verstanden werden, daß der Freisetzungszweck Risiken heiligt.119 Allerdings ist im Bereich der ungewißheitsbasierten Risikovorsorge eine solche Abwägung zulässig. Diese müßte dann aber auch in beide Richtungen offen sein: Der 'gute' Zweck ('Bedarf') kann dann den Ausschlag für die Hinnahme eines 'vertretbaren' Risikos geben, wie auch umgekehrt bei 'schlechtem' Zweck die verbleibende Ungewißheit nicht hingenommen wird. Der sachliche Gehalt des Vorsorgeprinzips würde somit ausgeweitet von der Frage 'Schadet uns das?' auf die Frage 'Brauchen wir das?'.120 Verfassungsrechtlich läßt sich dies mit dem Erfordernis der 'Sozialadäquanz' des Restrisikos begründen.

Während das Kriterium des 'Bedarfs' weitgehend darauf abstellt, ob bereits Al-ternativen zur Erreichung eines bestimmten Zwecks bestehen,121 ginge es beim Kriterium der 'Sozialverträglichkeit' um die soziale Bewertung des Zwecks selbst bzw. entsprechender nicht-intendierter Nebenfolgen. Mit dieser in der Literatur gebräuchlichen Bezeichnung 'Sozialverträglichkeit' ist allerdings eine u.U. irrefüh-rende Semantik verbunden. Wenn man hier ein Abwägungskriterium formulieren will, kann nur von 'sozialer Unverträglichkeit' die Rede sein, das dann zusammen mit anderen Vorbehalten wie z.B. Gefahr/Risiko/Ungewißheit in die 'negative' Waagschale zu legen wäre. 'Verträglichkeit' konstituiert demgegenüber nur einen neutralen Wert, aber noch kein Positivum, denn dann müßte man von 'Förderlich-keit' sprechen. Wenn 'Sozialverträglichkeit' nicht einfach auf die Erhaltung des Status quo hinauslaufen soll,122 müßte man hier zunächst unvoreingenommener von 'sozialen Auswirkungen' sprechen, die eben als 'gut' oder 'schlecht' zu bewer-

117 Vgl. z.B. Winter, KJ 1992. 118 Vgl. § 16 Abs.1 Nr. 3 sowie § 16 Abs. 2 GenTG. Dort ist zwar von Zweck die Rede,

"was ist aber die Bewertung von Zwecken anderes als eine Bedarfsprüfung?", Winter, Grundprobleme, 1993, S. 45.

119 Winter, Grundprobleme, 1993, S. 43f.; dies wäre auch EG-rechtlich nicht zulässig, vgl. auch Führ, DVBl. 1991, S. 565; Jarass, NuR 1991, S. 54.

120 Winter, KJ 1992, S. 389. 121 Vgl. Winter, KJ 1992; Rehbinder, Rechtsprobleme, 1994, S. 26f. 122 Zur Kritik des latenten Konservativismus der 'Sozialverträglichkeit' vgl. Daele, PVS

1993.

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ten wären und dementsprechend auf beiden Seiten in die Waagschalen gelegt werden könnten.123

Ob man allerdings in einem rechtlichen Verfahren neben dem generellen Wert der Freiheit überhaupt weitere Kriterien in die positive Waagschale legen will, hat auch etwas damit zu tun, inwieweit dem Verfahren eine planerische Komponente und im positiven Sinne marktgestaltende Wirkung zugemessen werden soll.124 Andernfalls könnte man die genannten Kriterien nur im Sinne 'fehlenden Bedarfs' und 'sozialer Unverträglichkeit' in negativer Hinsicht berücksichtigen.

Problematischer als diese Frage ist allerdings, daß sich eine Sozialverträg-lichkeitsprüfung rechtlich nur schwer programmieren läßt. Das gleiche gilt im Prinzip auch für die Bedarfsprüfung, soweit diese nicht nur, wie etwa im 'Para-quat-Urteil'125, technisch sehr ähnliche Lösungsalternativen - z.B. mehrere glei-chermaßen taugliche Beikrautregulierungsmittel (Herbizide) - beurteilt, sondern ein breiteres Spektrum von sozio-technischen Alternativen - z.B. auch Maßnah-men der mechanischen Beikrautkontrolle oder Methoden des ökologischen Land-baus - zum Vergleich heranziehen würde.

Dabei könnte zwar dem geläufigen Argument begegnet werden, daß die Ver-wendung eines Produktes zum Zeitpunkt seiner Genehmigung noch nicht abseh-bar ist.126 Denn wechselnden Verwendungszwecken kann mit dem sowohl in der Freisetzungs-Richtlinie127 vorfindlichen wie auch in anderen Produktbereichen gebräuchlichen Rechtsinstrument der Indikationsbeschränkung begegnet werden. Wenn ein neuer Verwendungsbereich eröffnet werden soll, muß eine neue Ge-nehmigung beantragt werden.

123 Das gleiche gilt im übrigen auch für das Kriterium der 'Umweltverträglichkeit'. Nur wenn

man den gegenwärtigen Zustand der Umwelt oder eine imaginäre natürliche Umwelt als unbedingt erhaltenswert ansieht, ist es sinnvoll, von 'Umweltverträglichkeit' zu sprechen. Ansonsten müßte man auch hier von 'Förderlichkeit' und 'Schädlichkeit' sprechen. Ein Beispiel für Umweltförderlichkeit wäre die mitteleuropäische Landwirtschaft bis ins 19. Jahrhundert: Sie hat durch die Gliederung und Gestaltung des Naturraums den Arten-reichtum erhöht und nicht - wie heute - reduziert.

124 Beispiel für eine planerisch sehr stark eingreifende Produktregelung ist das deutsche Saatgutverkehrsgesetz. Dort wird u.a. der 'landeskulturelle Wert' einer Neuzüchtung ge-prüft. Nur Pflanzen, die in der Summe ihrer Eigenschaften besser sind als alle bisherigen Sorten, können danach zugelassen werden. In der Praxis scheitern daher 92 - 94 Prozent aller Zulassungsanträge für neue Pflanzensorten (Steinberger, Rechtsprobleme, 1994, S. 107).

125 BVerwG, Bd. 81 (1990), S. 12ff.; vgl. Rehbinder, Rechtsprobleme, 1994, S. 37ff. 126 Vgl. Stemerding/Jelsma, ÖZS 1995. 127 90/220/EWG, Art.11, Abs. 4.

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Das Österreichische Gentechnikgesetz bietet ein Beispiel für eine Sozialver-träglichkeitsklausel. Danach wird der Bundesregierung ermöglicht, durch Rechts-verordnung das Inverkehrbringen von GVO zu untersagen, wenn: - schwerwiegende negative Auswirkungen wirtschaftlicher oder sonstiger ethi-

scher Natur eintreten, - diese Auswirkungen gerade durch das gewerbsmäßige Inverkehrbringen des

betreffenden GVO verursacht werden, - eine große Gruppe potentiell Betroffener vorhanden ist, - die Auswirkungen für die Betroffenen unter volkswirtschaftlichen, sozialen

oder sittlichen Aspekten objektiv unzumutbar sind.128 Das hohe Maß an Unbestimmtheit der österreichischen Sozialklausel wird aber auch als Verstoß gegen das Legalitätsprinzip kritisiert.129

Zu bemerken ist außerdem, daß es sich hier um eine reine Kann-Bestimmung handelt. Bisher wurde von ihr noch kein Gebrauch gemacht.130 Insofern ist viel-leicht auch die in Österreich verbreitete Einschätzung zutreffend, daß es sich um eine mehr symbolisch gemeinte Geste zur Beschwichtigung der Opposition gegen die Gentechnik handelt bzw. eine Notfalloption für die Regierung, falls Proteste gegen ein in der EG zugelassenes Produkt zu stark würden.131 Eine tatsächlich stattfindende Prüfung der Sozialverträglichkeit müßte dagegen den absehbaren und in der sozialwissenschaftlichen Literatur in jüngerer Zeit auch überwiegenden Einwänden132 von vornherein begegnen. Rechtlich gewendet lassen sich diese dahingehend zusammenfassen, daß das Kriterium der Sozialverträglichkeit nicht hinreichend objektivierbar ist, die Verwaltungen (oder nachfolgend die Gerichte) aber nicht ausreichend legitimiert sind, ein entsprechendes politisches Werturteil zu fällen.133

128 Waldhäusl, Soziale, 1994, S. 17. 129 Waldhäusl, Soziale, 1994, S. 20. Das würde in Deutschland einem Verstoß gegen Art. 80

GG entsprechen. 130 Inwieweit ihr Gebrauch mit den Bestimmungen des Gemeinsamen Marktes (also Art.

100a EWG-Vertrag) kollidieren könnte, braucht hier nicht diskutiert zu werden, weil die Sozialverträglichkeitsprüfung auch im Rahmen einer supranationalen Produktzulassung auf EG-Ebene stattfinden könnte (vgl. zur Frage weitergehender Bestimmungen auf nati-onaler Ebene aber das ebenfalls aus Österreich stammende instruktive Gutachten von Nentwich, Spielräume, 1993).

131 Vgl. Torgersen/Seifert, Sozialverträglichkeit, 1996. 132 Vgl. Daele, PVS 1993; Renn, ÖZS 1994; Tichy, ÖZS 1994. 133 So trifft es zu, daß die österreichische Sozialverträglichkeitsklausel eine Fülle unbe-

stimmter Rechtsbegriffe beinhaltet. Zwar handelt es sich um Begriffe, die durchaus in ver-schiedenen Rechtsbereichen auch verwandt werden und konkretisierbar sind. Das Unbe-stimmtheitsargument ist aber trotzdem nicht leicht von der Hand zu weisen, da eine Ein-zelfallentscheidung ausgesprochen schwierig sein dürfte. Einer Gruppe potentiell Betrof-

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Dieser Mangel wäre mit der oben erörterten Öffentlichkeitsbeteiligung zwar zu mildern, aber kaum zu heilen. Denn die Öffentlichkeitsbeteiligung bedeutet nur eine Erweiterung der Entscheidungsgrundlage; die Entscheidung selbst wird aber letztlich von einem Organ der Exekutive getroffen. Eine Übertragung der Ent-scheidungsbefugnis erscheint hier auch nicht denkbar, weil es sich immer um eine 'Präsenzöffentlichkeit' handeln wird, die sich in aller Regel aus besonders stark interessierten Bürgern zusammensetzen, aber kaum einen repräsentativen Quer-schnitt durch die Gesellschaft darstellen wird. Die Ergebnisse der Öffentlich-keitsbeteiligung müßten deshalb in ein legitimiertes Entscheidungsverfahren ein-bezogen werden. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf, wie ein sinnvoller Ab-wägungs- und Entscheidungsprozeß - im Rahmen bestehender oder neuer demo-kratischer Verfahren - etabliert werden könnte.

10.3.2.3. Informativere Kennzeichnung der Produkte Ganz unabhängig von der Frage, ob die Produkte möglicherweise gefährlich sind oder nicht, ermöglicht eine Kennzeichnung der Produkte dem einzelnen Bürger, seinem kulturellen Unbehagen und seinen kulturellen Vorlieben Rechnung zu tragen. Darüber hinaus kann der Konsument über den Kaufakt auch politisch tätig werden. Die implizit politische Abstimmung am Markt scheint prima facie ge-genüber allen explizit politischen Abstimmungsverfahren einige Vorteile zu bie-ten: Sie findet, je nach Dauerhaftigkeit der Waren, häufig und teilweise täglich statt - anders als die Mandatsträger können die Hersteller praktisch ständig zur Verantwortung gezogen werden. Kennzeichnung könnte in diesem Sinne als neue, quasi-politische Institution angesehen werden, die der Dezentralisierung und Pluralisierung in der Gesellschaft Rechnung trägt. Mit ihr könnte der einzelne Bürger marktgestaltende Macht erhalten bzw. angesichts der immer länger wer-denden Vermittlungsketten vom Rohstofferzeuger zum Endverbraucher zurück-gewinnen. Dem gegenwärtigen Übergewicht der Marktgestaltung durch die An-bieter würde der Einfluß einer informierteren Nachfrage entgegengesetzt.

Es wäre also denkbar, daß die entsprechenden Waren, so wie heute schon die Arzneimittel mit einem 'Waschzettel', mit einer kleinen Informationsbroschüre geliefert werden. Aber anders als bei der Arzneimittelinformation, deren Text aus guten Gründen Genehmigungsgegenstand ist,134 könnten hier der Hersteller und bei der EG entsprechend akkreditierte Verbände das Recht erhalten, in der Pro-

fener wird in aller Regel auch eine Gruppe Begünstigter gegenüberstehen (z.B. kleinere Landwirtschaftsbetriebe gegen Agrarindustrie), oder ein unter ethischen Aspekten prob-lematisches Produkt könnte volkswirtschaftlich sinnvoll sein etc.

134 Vgl. Zacharias, Arzneimittelzulassung, 1986.

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duktinformation ihre Sicht der sozialen und ökologischen Vor- und Nachteile des Produkts, seiner Entstehung und seiner Verwendung darzulegen.

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Kapitel 11: Gesellschaftstheoretische Verortung - Ungewißheits-basierte Regulierung im Prozeß 'reflexiver Moderni-sierung'

Was bedeutet es nun soziologisch, wenn sich der Umgang mit Ungewißheit in der Gesellschaft verändert? Ungewißheit über die Zukunft gab es schon immer, und in früheren Kulturen gab es auch Institutionen wie das Orakel, die Vorsehung Gottes etc., um die Ungewißheit ins Diesseits einzubinden und erträglich zu ma-chen. Erst die säkulare Moderne gründete ihre Orientierung ganz auf positives und (vermeintlich) metaphysikfreies Wissen. Mit dem Fortschritt der (Na-tur-)Wissenschaften war im 19. Jahrhundert sogar die Hoffnung verbunden, alles wissen und daher auch vollständig und rational beherrschen zu können.1 Mit dem Stolz über das Gewußte und Beherrschte und im Vertrauen, daß das bald zu Wis-sende auch beherrschbar sein werde, wurden die Konsequenzen des Nicht-Wissens ignoriert.2 Noch in der Rede vom 'Restrisiko' scheint diese Haltung auf, wenn auch in abgeschwächter Form: Erstmals wird (wieder) eingeräumt, daß das noch nicht Gewußte negative Konsequenzen bergen könnte, wenn diese auch - nach dem Stand des gegenwärtigen Wissens eben - als extrem unwahrscheinlich anzusehen und daher praktisch zu vernachlässigen seien.

Dagegen haben wir in unserer Untersuchung aufgezeigt, daß es sich beim deut-schen (und europäischen) Gentechnikrecht teilweise um eine ungewißheits-basierte Regulierung handelt (vgl. Kap. 8). Die Einbeziehung von Ungewißheit ist dabei kein singuläres Merkmal des Gentechnikrechts, sondern findet sich auch in anderen Bereichen der Umweltpolitik und des Umweltrechts.3 Es handelt sich aber bei den entsprechenden Regelungen des Gentechnikrechts um die bisher weitestreichende Entwicklung in diese Richtung. Zum ersten Mal wurde eine Regulierung in Kraft gesetzt, bevor die Technik breiter eingeführt und bevor ein-schlägige Schadwirkungen bekannt geworden waren (vgl. Kap. 2 und 3).

Dieser Punkt soll im folgenden noch etwas genauer erläutert werden, bevor wir näher auf die Theorie 'reflexiver Modernisierung' eingehen, die uns zur soziologi-

1 So behauptet z.B. der deutsche Naturforscher, Arzt und Politiker Rudolf Virchow: "Wäre

die Biologie fertig, kennten wir die Lebensgesetze und die Bedingungen ihrer Manifesta-tion genau, wüssten wir bestimmt die Folgen jedes Wechsels dieser Bedingungen, so wür-den wir eine rationelle Therapie haben und die Einheit der medicinischen Wissenschaft würde hergestellt sein." (Herv. i. Orig.; Virchow, Einheitsbestrebungen, 1856, S. 33).

2 "Ignoramus" - 'Wir wissen es nicht' sagten die Naturforscher stolz und fordern damit auf, sich ganz am positiv Wißbaren zu orientieren (vgl. z.B. Du Bois-Reymond, Grenzen, 1872, S. 41).

3 Vgl. z.B. Prittwitz, Katastrophenparadox, 1990; Ladeur, Umweltrecht, 1995; O'Rior-dan/Cameron, Interpreting, 1994.

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schen Interpretation unserer Ergebnisse als besonders spezifisch und aufschluß-reich erscheint. Wir wollen dann prüfen, inwieweit sich Phänomene reflexiver Modernisierung in unserer Untersuchung gezeigt haben, und umgekehrt fragen, welche Präzisierungsvorschläge sich für diese im ganzen noch recht junge und im Detail wenig durchformulierte Theorie anhand unseres empirischen Materials4 ergeben. Damit soll zugleich ein Ausblick in Form einer gesellschaftstheo-retischen Gegenwartsdiagnose versucht werden.

11.1. Zur allgemeineren Einbeziehung von Ungewißheit im Umweltrecht

Wie oben angedeutet, ist die Einbeziehung von Ungewißheit, also der zeitlichen Dimension, keine ganz neuartige Entwicklung. Schon das ältere Umweltrecht hatte die Entwicklungsdynamik der Technik antizipiert, indem es z.B. den unbe-stimmten Rechtsbegriff 'Stand der Technik' verwendete.5 Gemeint war damit, daß eine Anlage so sicher und emissionsarm auszulegen war, wie es die Technik zum jeweiligen Zeitpunkt der Betrachtung eben erlaubte. Mit der Einführung des Rechtsbegriffs 'Stand der Wissenschaft' waren dann auch solche Folgen zu be-rücksichtigen, die wissenschaftlich zum jeweiligen Zeitpunkt schon bekannt, aber technisch (noch) nicht zu beherrschen waren.

Das Konzept der Grenzwerte impliziert eine andere Dimension von Unge-wißheit. Zum einen ist in qualitativer Hinsicht oft nicht nachprüfbar, ob ein be-stimmter Stoff die im Labor nachweisbaren oder in Modellrechnungen postu-lierten Schadwirkungen auch in realen, d.h. komplexeren Umwelten entfaltet. Zum anderen ist in quantitativer Hinsicht meist umstritten, ob es die mit dem Grenzwertkonzept korrespondierenden 'Schadschwellen' überhaupt gibt, wie hoch sie gegebenenfalls anzusetzen sind und welcher 'Sicherheitsabstand' eingehalten werden soll.6

Auch wenn mit der Entwicklung der Wissenschaft eventuell ein besserer Kenntnisstand zu erreichen ist, so stößt man doch an prinzipielle Grenzen der Erkenntnis. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse von Laborversuchen und Com-putersimulationen auf reale Umwelten wird immer umstritten bleiben, weil bei letzterer die intervenierenden Variablen weder a priori bekannt noch vollständig berechenbar sind, u.a. auch deshalb, weil sie von menschlichen Entscheidungen beeinflußt werden. Umgekehrt sind die 'Realexperimente', d.h. die Einflüsse

4 Zum 'empirischen Material' zählen in dieser Perspektive auch die einschlägigen Rechts-

vorschriften. 5 Vgl. z.B. Wolf, Stand, 1986. 6 Vgl. Winter, Grenzwerte, 1986; Daele, Soziologische, 1996.

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menschlicher Einwirkungen in der Umwelt, nur schwer auszuwerten, weil sie nicht - wie im Labor und in der Simulation - unter bekannten und festgelegten Randbedingungen stattfinden. Zugleich verbietet sich weiterer Erkenntnisgewinn zum Teil auch aus moralischen Gründen.7

Mit der Schritt-für-Schritt-Regelung, die sich erstmals im Arzneimittelgesetz von 1976 findet, wurde nicht nur auf das bereits vorhandene Risikowissen zu-rückgegriffen, sondern dieses mußte nun vom Antragsteller selbst aktiv generiert werden. Dabei ist aber im Arzneimittelrecht der Prüfhorizont noch relativ klar, nämlich auf der Basis von Erfahrungen mit bisherigen Unverträg-lichkeitsreaktionen, definiert. Das Gentechnikrecht operiert demgegenüber mit einem in normativer Hinsicht erweiterten und in kognitiver Hinsicht weitgehend offenen Suchhorizont. Zum einen werden nicht nur Schäden für die menschliche Gesundheit, sondern auch Schäden an Tieren, Pflanzen und der übrigen Natur 'in ihrem Wirkungsgefüge' einbezogen. Zum zweiten wird ein sehr breites Spektrum theoretisch denkbarer Schadwirkungen in Betracht gezogen.8

Im Rahmen des Schritt-für-Schritt-Prinzips bei der Freisetzung transgener Or-ganismen sind also die beiden oben angesprochenen Probleme potenziert. Die Anpassung an die Zeitabhängigkeit der Erkenntnis, wie sie schon mit dem Rechtsbegriff 'Stand der Wissenschaft' eingeführt wurde, wird noch überboten durch die proaktive Suche nach neuem Wissen. Zugleich stellt sich das schon von der Grenzwertediskussion bekannte Problem der Zuverlässigkeit von Laborversu-chen und der mangelnden Schlüssigkeit von 'Realexperimenten'. Bei den jeweili-gen 'Schritten' vom Labor bis zur Vermarktung läßt sich also schwer sagen, ob deren Ergebnisse auch auf den nächsten Schritt - in eine komplexere Umwelt - übertragbar sind,9 so wie umgekehrt in den von Schritt zu Schritt komplexer wer-denden Umwelten ein Zusammenhang zwischen den transgenen Eigenschaften des Organismus und den hier auftretenden Phänomenen schwerer nachweisbar ist.

Ein Vorgriff auf die Zukunft findet sich schließlich auch im 1990 verab-schiedeten Umwelthaftungsgesetz. Darin ist festgelegt, daß die Betreiber von

7 Wenn z.B. die Übertragbarkeit der Ergebnisse von Tierversuchen auf Menschen in Frage

steht, kann man vielleicht bessere Testsysteme entwickeln, aber man darf die Versuche nicht an Menschen durchführen. Ebenso verbieten sich manche Realexperimente gegebe-nenfalls auch bei Strafe des Untergangs, wenn z.B. versucht würde, die Grenzen der Tra-gefähigkeit (carrying capacities) von umfassenderen Ökosystemen auszutesten.

8 Vgl. dazu aber auch die Bemerkungen in Kap. 1, Fn. 8. 9 Das gilt grundsätzlich in beiden Richtungen: Ein Nicht-Ergebnis ('keine unerwarteten

Nebenwirkungen') ist nicht auf komplexere Zusammenhänge übertragbar. Ein Ergebnis, al-so das Auftreten einer bisher unerwarteten Nebenwirkung, dürfte in der Regel als Hinweis zu nehmen sein, daß dieses Ereignis auch in komplexeren Umwelten auftreten kann, es sei denn, daß es unter besonders künstlichen Randbedingungen im Labor - z.B. bei einem 'worst case'-Experiment der Sicherheitsforschung - provoziert wurde.

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Anlagen im Nachhinein auch für sogenannte Entwicklungsrisiken haften, also für Schadwirkungen, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung noch nicht bekannt waren.10 Auch unvermeidbares Nicht-Wissen schützt also nicht mehr vor Haftung (wohl aber vor Strafe).

Es zeigt sich also, daß das Gentechnikrecht in eine breitere Entwicklung ein-gebettet ist, die man als 'Vorverlegung der Folgenerkenntnis' bezeichnen könn-te.11 Wenn man Genese und Vollzug des Rechts nun nicht als isolierten Bereich, sondern als Ausdruck gesellschaftlicher Normenentwicklung betrachtet, dann stellt sich auch die Frage, wie diese insgesamt, also gesellschaftstheoretisch, zu verorten ist.

11.2. Grundlegende Anknüpfungspunkte in der Theorie reflexiver Mo-dernisierung

Zwei Dynamiken stehen im Zentrum der vor allem von Ulrich Beck formulierten Theorie oder Theorieskizze12 'reflexiver Modernisierung': Die Individualisierung und die Konflikte der 'Risikogesellschaft'.13

Individualisierung meint dabei nicht, wie gelegentlich kulturpessimistisch in-terpretiert wird, eine zunehmende Isolierung der Gesellschaftsmitglieder. Behaup-tet wird vielmehr, daß die Biographie der Individuen immer weniger durch deren dauerhafte Positionierung in gesellschaftlichen Gruppen - z.B. sozialen Klassen und Familien - geprägt wird, sondern durch individuell im Lebenslauf zu treffende Entscheidungen.14

10 Vgl. oben, Kap. 6.2.2. 11 Vgl. Gill, Soziale Welt 1994. 12 So konstatiert Beck selbst: "[Die] Unterscheidung einer ersten, einfachen, industriellen von

einer zweiten, reflexiven, globalen Moderne ist nicht nur mit allen Vorläufigkeiten eines hypothetischen Entwurfs behaftet; es handelt sich zunächst um eine Theorieskizze, deren empirische, historische und methodische Ausarbeitung und Überprüfung - von einigen As-pekten und Studien abgesehen - noch ausstehen" (Beck, Zeitalter, 1996, S. 67f.).

13 Beck, Risikogesellschaft, 1986; Beck, Gegengifte, 1988; Beck, Erfindung, 1993; Beck, Zeitalter, 1996; Beck, Wissen, 1996; vgl. auch Lau, Soziale Welt 1989; Bonß, Risiko, 1995.

14 Das bedeutet allerdings nicht die Aufhebung sozialer Ungleichheit: "Reflexive Moderni-sierung löst die kulturellen Voraussetzungen sozialer Klassen auf und ab durch Formen der Individualisierung sozialer Ungleichheit. ... Das Verschwinden sozialer Klassen und die Aufhebung sozialer Ungleichheit fallen nicht mehr zusammen. Das Verschwimmen der so-zialen (Wahrnehmungs-)Klassen geht vielmehr einher mit einer Verschärfung sozialer Un-gleichheit, die nun nicht mehr in lebenslang lebensweltlich identifizierbaren Großlagen ver-läuft, sondern (lebens-)zeitlich, räumlich und sozial zersplittert werden" (Herv. i. Orig.;

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'Risikogesellschaft' meint, Beck zufolge, einen Zustand, in dem die bis dahin ungesehenen Nebenfolgen der Modernisierung nicht oder zumindest nicht mehr mit den alten Sicherungsinstitutionen beherrscht werden können und daher ver-stärkt thematisiert werden. Beck illustriert dieses Problem zumeist an ökolo-gischen Nebenfolgen, hat aber auch andere Risiken moderner Gesellschaften im Blick.15 Während die 'alten Risiken' vor allem durch die Institution des Ver-sicherungswesen abgefangen worden seien, zeichneten sich 'neue Risiken' da-durch aus, daß sie nicht mehr versicherbar seien.16 Risikokonflikte spalteten die Gesellschaft entlang anderer Linien als die klassischen Verteilungskonflikte, wie sie für die 'Industriemoderne' kennzeichnend waren. Während sich letztere klas-senförmig organisieren ließen, sind bei Risikokonflikten immer wieder andere Bevölkerungsgruppen und eben auch die Entscheidungsbefugten selbst in ihrem Privatleben betroffen.17 Zudem ist die Risikowahrnehmung stark von der wissen-schaftlichen Diskussion geprägt, die in ihrem Tenor - zwischen Alarmierung und Beruhigung - ständig wechselt.18 Entsprechend ließe sich in Risikokonflikten die Willensvermittlung nicht nach dem von Verteilungskonflikten bekannten Muster dauerhaft durch intermediäre Verbände organisieren.19 Man beobachtet stattdes-sen unerwartet aufbrechende und kaleidoskopartig changierende Konfliktlinien.20

Die Risikovergesellschaftung gründet auf der schon für die Moderne - nament-lich von Max Weber - konstatierten, aber nun kulminierenden Tendenz zur Ratio-nalisierung von Entscheidungen: Mehr Wissen, mehr Technik, erweiterte wirt-schaftliche Handlungsspielräume, gesteigerte Handlungskapazitäten der Verwal-tung und die Auflösung überkommener kultureller Imperative bergen nicht nur mehr Gestaltungschancen und Gestaltungszwänge, sondern zugleich auch die

Beck, Zeitalter, 1996, S. 45f.; vgl. zur Individualisierung allgemeiner Beck/Beck-Gerns-heim, Riskante, 1994).

15 "Dieser Begriff [Risikogesellschaft] bezeichnet eine Entwicklungsphase der modernen Gesellschaft, in der die durch die Neuerungsdynamik hervorgerufenen sozialen, politi-schen, ökologischen und individuellen Risiken sich zunehmend den Kontroll- und Siche-rungsinstitutionen der Industriegesellschaft entziehen" (Beck, Erfindung, 1993, S. 35).

16 Beck, Erfindung, 1993, S. 40ff. 17 Heine/Mautz, Öffnung, 1995; Schülein et al., Manager, 1994; Beck, Risikogesellschaft,

1986. 18 Vgl. Nunner-Winkler, Enttraditionalisierungsprozeß, 1991. 19 Lau, Soziale Welt 1989, S. 426ff.; ähnlich Neidhardt/Rucht, Soziale Welt 1993, S. 321f.

Für die Verbesserung des Umweltschutzes gibt es - entsprechenden Umfragen zufolge - zwar eine breite Unterstützung in der Bevölkerung, die aber bisher noch nicht in dauer-hafte Organisationsbereitschaft in intermediären Organisationen (z.B. Mitgliedschaft in Umweltverbänden) transformiert werden konnte (vgl. Weßels, KfZSS 1991, der aus den Daten allerdings eine Tendenz zur zunehmenden Organisierung herausliest).

20 Vgl. Luhmann, Forschungsjournal NSB 1994; vgl. Luhmann, Soziologie, 1991, S. 135ff.

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Notwendigkeit, die entsprechenden Entscheidungen intern und öffentlich zu be-gründen.

In der 'einfachen, linearen Industriemoderne' - so nennt Beck in Abgrenzung zur allmählich anbrechenden 'reflexiven Moderne' die Vorzeit - gab es noch ge-nug Traditionsbestände, auf die die 'einfache, lineare Modernisierung' zurück-greifen konnte. Traditionsbestände sicherten als 'hergestellte Fraglosigkeit'21 die weitgehend klaglose Akzeptanz des zum Teil durchaus gewalttätigen22 Moderni-sierungsprozesses. Aber diese Traditionsbestände werden zunehmend aufgezehrt.

Reflexive Modernisierung setzt sich dann nicht mittels der revolutionären, ge-waltsamen, gleichsam von außen kommenden Einführung anderer Vergesell-schaftungsprinzipien durch, sondern infolge der konsequenten und gesteigerten Anwendung moderner Imperative: Mehr Wissen, mehr Recht, mehr Freiheit, mehr Industrie, mehr Handel, mehr Erwerbsarbeit etc. Aber indem diese Steige-rungen vollzogen werden, beginnen sie, sich selbst oder sich gegenseitig zu blo-ckieren. Mehr Verkehr, um ein besonders anschauliches Beispiel zu wählen, führt zu mehr Stau, oder, wenn die Verkehrsnetze entsprechend ausgebaut werden, zur Entwertung zentrumsnaher Siedlungsflächen und zur Zerstörung von Naherho-lungsräumen mit der Folge, daß wiederum das Verkehrsaufkommen zunimmt.

Diesen Prozeß der Selbstkonfrontation wollen wir mit Beck als 'Reflexivität' bezeichnen.23 Er vollzieht sich zunächst unbewußt und ungewollt, also gleichsam reflexartig, und stellt die notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung dar, daß die materiellen Konflikte in einem zweiten Schritt im Sinne von gesellschaft-licher 'Reflexion' öffentlich bewußt gemacht und eventuell auch im Sinne der (Selbst-)Beschränkung der Akteure bearbeitet werden.

11.3. Allgemeines Entwicklungsmodell für den Prozeß der reflexiven Mo-dernisierung bei Umweltrisiken24

Der Prozeß der Selbstkonfrontation kann auch am Beispiel der durch Wissen-schaft und Technik induzierten Risiken gezeigt werden. Allerdings läßt er sich

21 Kulturbestände werden also nicht als vormoderne Relikte begriffen, sondern als 'Erfindung

von Tradition', wie sie zum Beispiel mit der Definition der 'Hausfrau und Mutter'-Rolle in der bürgerlichen Familie im 18. und 19. Jahrhundert einsetzte (vgl. Beck, Erfindung, 1993, S. 136ff.).

22 Zur Kritik der euphemistischen Rhetorik vor allem in den älteren Versionen der Moderni-sierungstheorie vgl. Wehling, Moderne, 1992.

23 Beck, Erfindung, 1993, S. 36ff. 24 Im folgenden handelt es sich, soweit nicht anders angegeben, um eigene Überlegungen

zum Prozeß reflexiver Modernisierung.

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unserer Ansicht nach nicht auf die Gegenwart beschränken. 'Reflexivität' und 'Reflexion' sind hier, wie die Umweltgeschichte lehrt, bereits im 19. Jahrhundert zu beobachten, wenn auch in anderen, nämlich zunächst kleinräumigeren und einzelfallbezogenen Formen. Die Theorie reflexiver Modernisierung gilt also, wenn auch in beschränkter Form, retrospektiv.

Wir werden dazu im folgenden ein dreistufiges Modell entwickeln (vgl. Schau-bild 1, S. 359). Die Bezeichnung 'Stufe' ist dabei modelltheoretisch und idealty-pisch gemeint. Mit 'Stufen' sollen dabei qualitativ unterschiedene Reak-tionsweisen bezeichnet werden und nicht 'Phasen' im Sinne strenger historischer Periodisierung. Wir behaupten zwar eine entwicklungstheoretische Abfolge die-ser 'Stufen', gehen aber davon aus, daß diese Stufen empirisch besehen oftmals gleichzeitig existieren, auch innerhalb der Stufen verschieden hohe Verwirkli-chungsgrade des jeweiligen Reflexionsprinzips erreicht werden können, und Reg-ressionen selbstverständlich nicht ausgeschlossen sind.

11.3.1. Stufe 1: Reflexion von Nahfolgen

Schon bei früheren Industrialisierungsschüben kam es örtlich zu erheblichen, die heutigen Aversionsschwellen weit übersteigenden lokalen Belastungen mit In-dustriegiften.25 Damit waren nicht nur Wohlbefinden und Gesundheit der An-wohner bedroht, auch andere wirtschaftliche Nutzungen des Gebiets wurden massiv beeinträchtigt. Man kann also schon hier von einer reflexartigen Selbst-konfrontation, von 'Reflexivität', sprechen.

Allerdings - und hier kommen die oben erwähnten, in der Industriemoderne hergestellten Traditionsbestände ins Spiel - wurden 'rauchende Schlote' vielfach als Signum des Fortschritts angesehen. "Wo ein Schornstein rauchte und nun tausend Schlote von nützlicher Arbeit zeugen, ist ein schlechthin gültiger Fort-schritt vollzogen, durch den die Welt besser und wertvoller geworden ist", be-

25 Vgl. z.B. Wolf, Stand, 1986, S. 31ff. (zur Geschichte des Umweltrechts); Radkau, Um-

weltgeschichte, 1994; Morone/Woodhouse, Averting, 1986, S. 14ff. Lokale Umweltkata-strophen, bis hin zur Selbstvernichtung ganzer Kulturen, gab es im übrigen auch schon in vormodernen Zeiten. So ist die von der Bibel überlieferte Sintflut wahrscheinlich als eine menschlich verursachte Umweltkatastrophe zu deuten. Die Bauern in Mesopotamien düng-ten die Felder nicht mit Tierdung, sondern mit dem Schlamm von Euphrat und Tigris, der über ein kompliziertes Bewässerungssystem auf die Felder geleitet wurde. Durch Rodung und Überweidung lockerte sich im Bergland der Boden, und mit den Jahren wurden immer mehr Sedimente in den Flußniederungen angespült, eine Entwicklung, die wegen ihrer Düngewirkung nicht nur begrüßt, sondern auch gezielt befördert wurde. Etwa 2500 v. Chr. muß es dann auf einmal sehr schnell gegangen sein: Starke Regenfälle ließen ganze Hänge abrutschen und spülten sie über das Zweistromland; die Stadt Ur wurde von einer drei Meter dicken Lehmschicht begraben (Seymour/Girardet, Fern, 1985, S. 41ff.).

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schrieb der Soziologe Hugo Münsterberg 1908 die Sicht seiner Zeit.26 Die be-lasteten Regionen wurden - vor allem durch paternalistische Unternehmens-philosophien27 - zu Schicksalsgemeinschaften 'zusammengeschmiedet'. Entspre-chend wurden die damals sinnlich noch leicht faßlichen Belastungen soweit wie möglich ignoriert und verdrängt oder im Sinne der Loyalitätsformel 'Dreck gegen Arbeit' als unvermeidliches Schicksal hingenommen. Diese Wirkungen des Fort-schrittskonsenses lassen sich, wenn auch in schwindendem Maße, in einigen Industrieregionen bis auf den heutigen Tag beobachten.28

Doch die Einbindung gelang, jedenfalls in einigen Fällen, nur soweit, als die Betroffenen auch mehr oder weniger direkt von den jeweiligen Industrieanlagen profitierten. Auch hier gibt es frühe Gegenbeispiele: Infolge des Einsatzes neuer Technologien bei den fiskalisch (staatlich) betriebenen Silberverhüttungswerken und damit einhergehender zunehmender Immissionen kam es z.B. in Sachsen Mitte des 19. Jahrhunderts zu Protesten seitens der umliegenden Land- und Forst-wirtschaft. Die Hüttenrauchschäden wurden zum Gegenstand eines Gutach-terstreits, in dem zum ersten Mal in Deutschland Experten verschiedener Fach-richtungen, nämlich des Bergwesens und der Land- und Forstwirtschaft, gegen-einander antraten. Schon damals haben Wissenschaftler interessen- oder fachbe-dingt unterschiedliche Ausschnitte der Wirklichkeit wahrgenommen.

Aufgrund entsprechender Petitionen war die 'Hüttenrauchplage' zwischen 1850 und 1870 siebenmal Beratungsgegenstand in beiden Kammern des sächsischen Landtages. Die fiskalische Forstverwaltung konnte gegen die fiskalische Hütten-verwaltung zwischenzeitlich auch die vorübergehende Schließung einer großen Anlage durchsetzen. Das Problem wurde über Entschädigungszahlungen, Grenz-wertfestsetzungen für Emmissionen, Filtertechniken und letztlich durch den Bau immer höherer Schornsteine, die selbst zum kulturellen Wahrzeichen des Wohlstands wurden, 'gelöst'. Die Diskussion des beschriebenen Falls hatte auf-grund der Bedeutung der Erzverhüttung paradigmatische Ausstrahlungskraft so-gar über Deutschland hinaus.29

Man kann hier also schon einen aus der heutigen Perspektive zumindest in Tei-len durchaus bekannt anmutenden Prozeß der 'Reflexion' im oben definierten

26 Münsterberg, H.: Philosophie der Werte, Leipzig 1908, S. 356 (zit. n. Andersen, Histori-

sche, 1994, S. 87f.). 27 Dazu gehören die Definition des Unternehmens als Familie, Bau von Werkssiedlungen,

branchennahe Organisierung der sozialen Sicherung, Arbeitsplatzsicherheit der Stamm-belegschaften, Rekrutierung neuer Arbeitskräfte aus den Familien der Belegschaftsmit-glieder etc. (z.B. Kocka, Management, 1973, S. 171ff.).

28 Vgl. z.B. entsprechende Presseberichte in den Lokalzeitungen zur ambivalenten Aufnahme der Störfallserie bei Hoechst bei der ortsansässigen Bevölkerung im Februar 1996.

29 Andersen, Historische, 1994.

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Sinne beobachten.30 Allerdings wurde das Problem im beschriebenen prototypi-schen Fall nur lokal 'gelöst', und zwar indem man es auf ein jeweils größeres Territorium verteilte, oder mithilfe von Filtertechniken in andere Umweltmedien, z.B. in den Boden oder ins Abwasser, verlagerte. Bezeichnend für diese erste Stufe ökologischer Modernisierung31 - die weit in die heutige Zeit hinreicht - waren der regional und zeitlich32 begrenzte Gesichtskreis, die Wahrnehmungsbe-schränkung auf wirtschaftlich und sozial faßbare Umweltschäden, sowie die Ab-hilfe mit 'End-of-the-pipe'-Technologien33.

11.3.2. Stufe 2: Reflexion bekannter Fernfolgen

Dabei wurden schon damals die jeweiligen 'Lösungen' zum Teil immer wieder durch die Ausweitung der Produktion, also den industriellen Fortschritt eingeholt. Entsprechend schreitet der Verbrauch der Naturressourcen und die Imple-mentierung riskanter Technologien - Reflexivität also - mehr oder weniger unge-drosselt voran. Die Wahrnehmung und Skandalisierung der damit verbundenen 'Neben'-Folgen kann heute zwar kaum noch mit dem Appell an den alten Fort-schrittskonsens der regional begrenzten 'Schicksalsgemeinschaften' blockiert werden. Aber es gibt immer wieder Versuche, die 'Schicksalsgemeinschaft' auf überregionaler Ebene wieder zusammenzuschweißen, wie gegenwärtig an der Debatte zum 'Industriestandort' erkennbar wird. Hier werden dann auch wieder soziale Risiken34 gegen Umweltrisiken ausgespielt. Insofern ist auch zu konstatie-

30 Wenn man Reflexivität (impact) und Reflexion (knowledge) in dieser Form unterscheidet,

kann man allerdings nicht von einer quasi-objektiven 'Gegenmacht der Gefahr' (Beck, Ge-gengifte, 1988, S. 151ff.) sprechen. Denn den sozialen Status einer 'Gegenmacht' können Gefahren nur annehmen, wenn ihre Symptome und Entstehungsprozesse gesellschaftlich wahrgenommen und reflektiert werden.

31 Der Begriff 'ökologische Modernisierung' wird normalerweise für gegenwärtige Prozesse und Konzepte gebraucht (vgl. Literatur in Fn. 44 in diesem Kapitel). Er läßt sich aber un-serer Ansicht nach auch retrospektiv verwenden.

32 Unfälle wie die berühmten Dampfkesselexplosionen und akute Schäden wurden eher wahrgenommen als etwa langfristige Vergiftungsprozesse.

33 Mit 'End-of-the-pipe' werden, im Unterschied zur integrativen Produktionstechnologie (s.u.), Umwelttechnologien bezeichnet, mit denen Abwässer, Abluft und Abfälle verdünnt oder zurückgehalten werden.

34 Allerdings ist zu vermuten, daß sich für Verteilungskonflikte zukünftig im Zeichen der Globalisierung ähnlich unübersichtliche und instabile Konfliktmuster ergeben, wie sie aus Konflikten um Umweltrisiken (s.o.) bekannt sind. Denn hier stehen dann nicht mehr nur Gewerkschaften gegen Arbeitgeber, sondern Gewerkschaften in den Industrieländern ge-gen Gewerkschaften in ärmeren Ländern; Arbeiter in den Industrieländern werden, zumal wenn die soziale Sicherung nicht mehr durch direkte Umverteilung, sondern wie heute

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ren, daß sich verschiedene Risikodiskurse, oder in der Terminologie von Beck gesprochen, Entwicklungen einfacher und reflexiver Modernisierung immer wie-der gegenseitig überlagern.35 Welche Entwicklung dabei jeweils die Oberhand gewinnt, ist nicht von vornherein absehbar, sondern abhängig vom jeweils wahr-genommenen Problemdruck, den bereitstehenden Bearbeitungskapazitäten,36 den Diskurs- und Interessenkonstellationen sowie den kulturellen und prozeduralen Voraussetzungen, einen Konsens in die eine oder andere Richtung herzustellen.

Im Prozeß der Globalisierung fallen die Interessen von 'Entscheidern und Be-troffenen'37 immer weiter auseinander, und aufgrund der modernisierungsbe-dingten Individualisierung - und vermittelt über die Wissenschaft und die Medien - wird das tendenziell auch so wahrgenommen. Betroffen sind aufgrund des Wett-rüstens mit 'hohen Schornsteinen' - im direkten wie im allgemeineren Sinne des Einsatzes von Diffusionstechnologien - und aufgrund schädlicher Nebenwirkun-gen weltweit vertriebener Produkte nicht mehr nur die lokale Nachbarschaft, sondern tendenziell alle. Auch die sozialen Gewinne der Wirtschaftstätigkeit - Arbeitsplätze, mehr und bessere Produkte, Steuerzahlungen und Kapitalinvestiti-onen - werden transnational fungibel und kommen nur noch eher zufällig oder vorübergehend den Epizentren der Schadstoffemissionen oder den Wirkungsorten der Nebenfolgen von Produktion und Produkten zugute. Die Zahl der White-collar-Angestellten im Dienstleistungsbereich wächst, und mit ihrer Zunahme - ih-rem höheren Bildungsstand, gewachsenen quantitativen und qualitativen Lebens-erwartungen, verändertem Berufshabitus - entstehen auch andere kulturelle Orien-tierungen.38

Zu den neuen kulturellen Orientierungen gehört auch das gestiegene Gesund-heits- und Umweltbewußtsein und eine wachsende Risikoaversion, vor deren Hintergrund uns die Berichte der Umweltgeschichtsschreibung über das 19. und frühe 20. Jahrhundert regelrecht schockierend anmuten.39 Nun werden auch durchaus radikalere Reflexionsprozesse möglich als noch im 19. Jahrhundert; wir

schon bei den Pensionsfonds in den USA durch Kapitaleinlagen bewerkstelligt wird, zu-mindest indirekt zu Shareholdern etc.

35 Vgl. Prittwitz, Reflexive, 1993. 36 Vgl. Prittwitz, Katastrophenparadox, 1990. Prittwitz vertritt darin eindrucksvoll die These,

daß die lokalen Reaktionen auf den Reaktorunfall in Tschernobyl vor allem von den relati-ven Reaktionsmöglichkeiten der öffentlichen Verwaltungen abhingen. Kurz gesagt, es wurde nur das (öffentlich) wahrgenommen, was auch annähernd bewältigt werden konnte. Insofern ergab sich das Paradox, daß in den am stärksten betroffenen und tendenziell ärme-ren Gebieten die Gefahr als sehr niedrig und in den weniger betroffenen und reicheren Ge-bieten die Gefahr als besonders hoch eingeschätzt wurde.

37 Vgl. Luhmann, Soziologie, 1991. 38 Vgl. schon Bell, Nachindustrielle, 1973. 39 Vgl. z.B. Radkau, Technik, 1989, S. 363.

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wollen sie als Reflexionsprozesse zweiter Stufe bezeichnen, bei denen nicht nur lokale, sondern eben auch globale Umweltrisiken thematisiert werden.40 Treiben-de Kraft sind dabei auch die neuen sozialen Bewegungen, die wegen der gewach-senen Freiheiten und Deprivationen im Lebensverlauf - besonders in der Jugend-zeit und im Alter - stärkeren Zulauf erhalten,41 sowie die stärkere Berücksichti-gung von Frauen und Kindern, die die Umweltrisiken aus anderen und teilweise sensibleren Perspektiven wahrnehmen.42

Auch in dieser Dimension - Sicherheit für Gesundheit und Umwelt - entspricht die Steigerung der Sicherheitsversprechen sowie der verfeinerten und weiterrei-chenden Wahrnehmung der Risiken durch Wissenschaft und (Meß-) Technik und der - z.T. dadurch erst evozierten - Sicherheitsansprüche der Individuen weiterhin den Kulturimperativen der Moderne.43 Daher steht auf dieser zweiten Stufe der kulturelle Hintergrundkonsens, der in der Rede vom 'Industriestandort' zum Aus-druck kommt, in einem Spannungsverhältnis zum Nachhaltigkeitsdiskurs, also zu global ansetzenden Überlegungen zur gerechten Verteilung von Naturressourcen und Entwicklungschancen. Man kann daher auch von einem Hintergrunddissens sprechen.

'Ökologische Modernisierung'44 versucht heute, die bisherigen Schadstoffe gar nicht erst entstehen zu lassen. Es sollen integrierte Entwicklungs- und Produkti-

40 Langfristfolgen werden hier berücksichtigt, soweit sie bereits klar erkennbar sind. Es ge-

hört aber praktisch zur 'Natur' von Langfristfolgen, daß sie das nicht sind, weil man eben nicht genug Erfahrung hat. Insofern kann ihre Berücksichtigung oft erst in Stufe 3 erfol-gen. Die besonderen Probleme der Berücksichtigung von langfristigen Folgen zeigen sich auch im Umweltrecht (Wolf, Soziale Welt 1992). Stufe 2 ist gegenüber Stufe 3 aber inso-fern oft voraussetzungsreicher, als hier die Kosten für die Vorbeugung und Beseitigung von Umweltschäden oft höher sind als in Stufe 3, gerade weil man nicht rechtzeitig vorge-beugt hat. Das wird exemplarisch an der Problematik der Klimafolgen der Verbrennung fossiler Energieträger deutlich: Eine Umstellung auf andere Energieträger ist gerade des-halb besonders aufwendig, weil man das Problem nicht rechtzeitig erkannt hat. Daher sind die bereits getätigten Investitionen sehr hoch, und es stehen bisher nur wenig Alternativen zur Verfügung.

41 Vgl. Neidhard/Rucht, Soziale Welt 1993; Luhmann, Forschungsjournal NSB 1994. 42 Vgl. Gill, Ende, 1996. 43 Vgl. Schimank, Dynamiken, 1990. 44 Zum Konzept ökologischer Modernisierung vgl. z.B. Huber, KfZSS 1993; Prittwitz, Um-

weltpolitik, 1993; Ladeur, ZfU 1987; Schot, STHV 1992. Gelegentlich werden diese Kon-zepte ökologischer Modernisierung wegen der darin enthaltenen technokratischen Tenden-zen kritisiert (z.B. Wehling, Moderne, 1992, S. 227ff.). Wir gehen davon aus, daß rein technokratische Ansätze ohnehin zu kurz greifen, und fassen daher den Terminus 'öko-logische Modernisierung' in unserem Konzept nicht als Gesellschaftstheorie, sondern en-ger, nämlich als pragmatische Handlungsstrategie, die innerhalb unseres Entwicklungs-modells in der spezifizierten Weise wirksam wird.

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onskonzepte eingesetzt werden, bei denen Umweltverträglichkeitskriterien auf allen Stufen - und nicht erst nachträglich, also 'end-of-the-pipe' - berücksichtigt werden. Auch die Einführung neuer Technologien, zu denen nicht nur Solar-energieanlagen, sondern je nach Anwendungsform und Beurteilungsperspektive auch die Atomtechnik und die Gentechnik zu rechnen sind,45 kann als ökologi-sche Modernisierung verstanden werden.

11.3.3. Stufe 3: Reflexion von Ungewißheit

Die Frage ist allerdings, welche neuen Risiken mit den veränderten Produk-tionsformen und erst recht mit den neuen Technologien verbunden sind.46 Wenn die erste Stufe ökologischer Modernisierung vor allem durch die territoriale Ver-lagerung der Risiken aus dem jeweiligen Gesichtsfeld und sozialen Rück-kopplungskreis gekennzeichnet war, so findet auf der zweiten idealtypisch zu unterscheidenden Stufe eine Überwälzung auf das Noch-Nicht-Wissen, also auf die Zukunft und kommende Generationen statt.47 Man handelt hier eben ent-sprechend dem 'Stand der Wissenschaft', also rechtlich besehen mit 'erfahrungs-basierten Regulierungen'.

Das sogenannte Restrisiko aber, das aus der Perspektive des 'Stands der Wis-senschaft' als äußerst gering erscheint, wird aus der Perspektive des Noch-Nicht-Wissens zum Zukunftsrisiko schlechthin. Die Thematisierung dieser Ungewißheit stellt eine dritte Reflexionsstufe dar.48 Im Sinne ökologischer Modernisierung

45 Mit der Atomtechnik lassen sich die Klimafolgen vermeiden, die ansonsten bei der

Verbrennung fossiler Energieträger entstehen (vgl. Nunner-Winkler, Enttraditionalisie-rungsprozeß, 1991). Mit Hilfe gentechnisch hergestellter Enzyme können viele chemische Prozesse - jedenfalls nach herkömmlichen Kriterien - umweltverträglicher ablaufen; dar-über ist bei der Partei der Grünen und in der Umweltbewegung eine heftige Kontroverse entbrannt (vgl. z.B. Kiper, GID 1996a; Rauhbuch/Baufeld, GID 1996; Kiper, GID 1996b).

46 Auch hier ist wieder ein historisches Beispiel lehrreich: Die FCKW, die heute für die Zer-störung der Ozonschicht verantwortlich gemacht werden, wurden ursprünglich vor allem deshalb als Kühlmittel eingesetzt, weil das bis dato verwendete Ammoniak zu gefährlich schien. FCKW galt nach den damaligen Maßstäben als absolut sicherer Stoff, weil es che-misch 'inert', also reaktionsunfähig schien. Ironischerweise gerade deshalb konnten seine fatalen Wirkungen lange Zeit unerkannt bleiben und sich akkumulieren, und deshalb wer-den sie auch nach der Produktionseinstellung noch lange fortdauern (Gill, Soziale Welt 1994, S. 432ff.).

47 Dazu gehört nicht, wie noch bei Stufe 1, die Ignorierung von Langzeitfolgen. Langzeitfol-gen werden berücksichtigt, soweit sie gut bekannt sind.

48 Im logisch-systematischen Sinne kann Ungewißheit auch bei der Reflexion von Nahfolgen thematisiert werden. Dies war bei dem oben erwähnten Beispiel der 'Hüttenrauchplage' tat-sächlich auch der Fall. Im allgemeinen ist aber bei räumlich und zeitlich nahen Folgen der

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(der dritten Stufe) wird nun versucht, durch auf Sicherheitsforschung und Risiko-kommunikation basierende Lernstrategien die Kluft zwischen dem Noch-Nicht-Wissen und dem Noch-Nicht-Wissen-Können sowie zwischen 'subjektiver' und 'objektiver Ungewißheit' (vgl. Kap. 1, S. 24) zu verringern. So mag die Vorver-legung wissenschaftlicher Folgenerkenntnis - wie wir sie oben (Kap. 11.1.) an-hand der bisherigen Rechtsentwicklung skizziert und im vorigen Kapitel für die Gentechnik darüber hinaus verstärkt propagiert haben - in beschränktem Maß für Abhilfe sorgen. Dennoch stößt das Modell ökologischer Modernisierung hier an prinzipielle Grenzen.

Das Problem zeigt sich insbesondere an der zwischen dem erreichbaren Wis-sen und dem jeweils aktuellen Noch-Nicht-Wissen-Können gezogenen Grenze.49 Soweit sie thematisiert wird - und ihre Thematisierung ist gerade unter rationalen Diskursbedingungen unvermeidlich -, verliert die Wissenschaft ihre Funktion als allein gültiger Orientierungsrahmen. Mehr Wissen und mehr Rationalität begrün-den jetzt nicht nur mehr Sicherheit, sondern zugleich und unvermeidlich mehr offene Fragen und damit mehr wahrgenommene Ungewißheit.

Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zu evident, als daß man ihn erfolgreich bestreiten könnte. Bei Fernfolgen wird im allgemeinen zunächst Ungewißheit über deren Verursa-chung bestehen. Bezeichnend für die zweite Reflexionsstufe ist es, daß hier erst Maßnah-men ergriffen werden, wenn über die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge weitgehender Konsens besteht. Die dritte Reflexionsstufe zeichnet sich zunächst dadurch aus, daß auch schon bei bloßem Gefahrenverdacht Vorsorgemaßnahmen eingeleitet werden. Eine weite-re, gerade bei der Freisetzungsregulierung deutlich werdende Besonderheit liegt aber darin, daß nicht mehr nur von bestimmten Schadensarten oder bestimmten Ursache-Wirkungs-Hypothesen ausgegangen wird, sondern erstmals ganz allgemein nach allen möglichen schädlichen Folgen einer heute anstehenden Entscheidung über die Einführung eines Pro-duktes oder einer Technologie gefragt wird. Entscheidend ist dabei, daß ein offener Such-horizont eingeführt wird. Es muß dann auch zunächst offen bleiben, ob es sich bei den möglichen Folgen um Nah- oder Fernfolgen handelt - das weiß man eben nicht im voraus (ausführlicher dazu Gill, Ungewißheit, 1997).

49 Vgl. Beck, Wissen, 1996; vgl. Luhmann, Beobachtungen, 1992, S. 129ff.

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Schaubild 1: Stufen reflexiver Modernisierung im Umweltbereich

Stufe 1 Reflexivität auf regionaler Ebene (lokal begrenzte und kurzfristige Umweltrisiken: Nahfolgen) ↓ Reflexion auf regionaler Ebene ↓ Ökologische Moder- ←→ Kultureller Hinter- nisierung: räumliche grundkonsens: Verlagerung der Folgen "Rauchende Schlote"

Stufe 2 ↓ Reflexivität auf globaler Ebene (lokal und zeitlich entgrenzte Umweltrisiken: Fernfolgen) ↓ Reflexion auf nationaler und globaler Ebene ↓ Ökologische Moder- ←→ Kultureller Hinter- nisierung: zeitliche grunddissens: Verlagerung "Industriestandort" oder der Folgen "Nachhaltige Entwicklung"?

Stufe 3 ↓ Reflexivität auf hypothetischer Ebene (hypothetische Umweltrisiken) ↓ Reflexion der Grenze zwischen Wissen und Noch-Nicht-Wissen-Können ↓ Ökologische Moder- ←→ Expliziter sozialer Konsens: nisierung: aktive Lern- Reflexive Politik, strategien Sicherheitsfiktionen

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Sofern der Reflexionsprozeß bis zu diesem Punkt getrieben wird, eröffnet sich die Chance 'reflexiver Politik': Entscheidungen unter Ungewißheit können dann legitimerweise nur noch von allen, die gleich viel oder gleich wenig wissen, ge-troffen werden. Wer dabei zu beteiligen und was zu entscheiden sei, kann selbst zum Verhandlungsgegenstand werden - ebenso wie das Procedere, in dem diese prozeduralen Fragen entschieden werden sollen.50 Wissenschaftliche Information zur Abklärung der Frage, was ungewiß ist und was nicht, ist dann eine notwendi-ge, aber keine hinreichende Bedingung mehr. Die sich hieraus ergebenden Folge-rungen wurden im vorigen Kapitel exemplarisch skizziert.

Inwieweit es die Reflexion dritter Stufe und reflexive Politik ansatzweise schon gibt, ist eine empirische Frage, die wir im folgenden noch einmal rekapitulieren wollen. Erst wenn sie sich stabilisieren und allgemein durchsetzen sollten, kann man unserer Ansicht nach den von Beck behaupteten - oder vorausgesehenen? - 'Strukturbruch' zwischen einfacher und reflexiver Modernisierung bestätigen.51

11.4. Reflexive Modernisierung bei der Genforschung - die empirische Ebe-ne

Wie fügt sich nun unser empirisches Untersuchungsmaterial in dieses Schema? Welche der in diesem Sinne modelltheoretisch definierten Reflexionsstufen (vgl. Schaubild 1, S. 359) empirisch erreicht werden, ist Gegenstand der nun folgenden Auswertung und Interpretation unseres Untersuchungsmaterials. Dabei werden wir mit Begriffen operieren, die sich nicht unbedingt von selbst verstehen und die daher vorweg kurz erklärt werden sollen: - 'Permissive Gewißheitssemantik' bedeutet, daß man sich gewiß ist, daß die

Gentechnik 'als solche' sicher sei und daher - im Rahmen der auch für andere biologische Verfahren geltenden Bestimmungen - erlaubt sein sollte.

- 'Prohibitive Gewißheitssemantik' bedeutet, daß man mit Gewißheit davon aus-geht, daß die Gentechnik besonders gefährlich sei und daher eingeschränkt o-der verboten werden sollte.

- 'Permissive Ungewißheitssemantik': Die entsprechenden Protagonisten räumen Ungewißheit im Hinblick auf mögliche negative Folgen durchaus ein, argumen-tieren aber 'in dubio pro Anwendung'.

50 Vgl. Beck, Erfindung, 1993, S. 205ff. 51 Vgl. Daele, Soziologische Revue 1995. Selbst wenn es den 'Bruch' nicht geben sollte, wäre

es dennoch ein Verdienst der Theorie reflexiver Modernsierung, die in der Moderne ange-legte Spannung zwischen einfachen und reflexiven Modernisierungsimpulsen aktuell auf den Begriff zu bringen.

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- 'Prohibitive Ungewißheitssemantik' bedeutet, daß man nach der Formel 'in dubio contra Anwendung' argumentiert.52

Wie die Begriffsbildung hier schon zeigt, ist mit dem - empirisch noch näher zu erläuternden - Umschalten von Gewißheits- auf Ungewißheitssemantik eine Ver-lagerung der Kontroverse von der Wissenssphäre auf die Wertungssphäre ver-bunden.

11.4.1. Gesetzgebungsdebatte53

Wohl erstmals in der Geschichte der Wissenschaften wurden bereits zum Zeit-punkt der ersten gentechnischen Experimente, also Anfang der 70er Jahre, von einigen beteiligten Wissenschaftlern fachöffentlich Überlegungen über die damit verbundenen Risiken angestellt, obwohl es keinerlei unmittelbare Anzeichen - z.B. im Sinne von Unfällen - für die Gefährlichkeit dieser experimentellen Me-thode gab. Man argumentierte hier explizit mit Nicht-Wissen:

"The new techniques, which permit combination of genetic information from very different organisms, place us in an area of biology with many unknowns. Even in the present, more limited conduct of research in this field, the evaluation of potenti-al biohazards has proved to be extremely difficult. It is this ignorance that has com-pelled us to conclude that it would be wise to exercise considerable caution in per-forming research."54

In der Folge kam es zu einem Moratoriumsaufruf und zur Konferenz von Asi-lomar, auf der zunächst relativ restriktive Sicherheitsrichtlinien verabschiedet wurden,55 die im Zuge des allmählichen Erfahrungsgewinns schrittweise gelok-kert werden sollten.56

Diese Vorgehensweise kann nach unserem Modell als Reflexion und ökolo-gische Modernisierung der dritten Stufe gelten, denn die Forschungscommunity reagierte hier theoretisch wie praktisch auf hypothetische Risiken. Schon bald nach der Konferenz von Asilomar wurde aber damit begonnen, die selbst aufge-stellten Regeln zum Umgang mit der Gentechnik im Geschlossenen System so-

52 Vgl. Jonas, Prinzip, 1984, S. 70ff. 53 Die Gesetzgebungsdebatte war nicht Gegenstand unserer eigenen empirischen Untersu-

chung, wird aber hier angeführt, um die Argumentation systematisch entfalten zu können. Als Quellen vgl. im folgenden für die USA z.B. Krimsky, Genetic, 1982; Krimsky, Bio-technics, 1991; und für die EG Gottweis, Governing, 1995.

54 Berg, P. et al.: Summary Statement of the Asilomar Conference on Recombinant DNA Molecules, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA, vol.72, no.6, 1975, p.1981 (zit. n. Gottweis, Governing, S. 95).

55 Vgl. oben, Kap. 2.3.1. 56 Gottweis, Governing, S. 96.

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weit zu lockern, daß sie bis Mitte der 80er Jahre fast nur noch die aus der Mikro-biologie bekannten Standards enthielten und somit eine erfahrungsbasierte Regu-lierung darstellten. Sie entsprachen demnach im wesentlichen nur noch einer öko-logischen Modernisierung der Stufe 2.

Auch war die Reflexion insofern unvollständig geblieben, als sie zunächst die allgemeine Öffentlichkeit nicht einbezogen hatte. Diese meldete sich zum ersten Mal Ende der 70er Jahre in den USA und - mit einiger Verzögerung - auch in europäischen Ländern, wie namentlich Dänemark und der Bundesrepublik, Mitte der 80er Jahre vehement zu Wort und erzwang eine Neuauflage der Risikodiskus-sion. Dabei kam es besonders in der Bundesrepublik zu einer Konfrontation sich gegenseitig ausschließender Gewißheiten, indem die Befürworter die Gentechnik als sicher und die Gegner sie als gefährlich darzustellen versuchten.57 Die Kon-fliktparteien selbst argumentierten also teilweise noch auf der zweiten Reflexi-onsstufe und waren - zumindest in den an ein breites Publikum adressierten Are-nen - nicht willens oder in der Lage, auf den allerdings voraussetzungsvolleren Gebrauch von Ungewißheitssemantiken58 überzuwechseln.

Der Disput war aber nicht mehr durch den autoritativen Einsatz wissen-schaftlicher Sicherheitsversprechungen zu beenden. Denn den Kritikern gelang es immer wieder, überraschende biologische Ereignisse anzuführen, die zwar oft keinen direkten Schaden zur Konsequenz hatten oder deren spezifisch gentechni-sche Verursachung bestreitbar war. Aber die Vorhersagefähigkeit der Wissen-schaft bzw. die Evidenz der Trennlinie zwischen spezifisch gentechnischen und allgemein biologischen Risiken wurde dadurch infrage gestellt. Der Slogan von "den ungeklärten Gefahrenpotentialen der Gentechnologie"59, der in seiner schil-lernden Unbestimmtheit je nach Betonung sowohl als Ungewißheitssemantik an ein skeptisch rationales wie auch als prohibitive Gewißheitssemantik an ein emo-tional voreingenommenes Publikum adressiert werden konnte, zeitigte in beide Richtungen Wirkung. Die Ungewißheit war auf der Tagesordnung, gleichgültig, ob sie von den Kontrahenten als solche wahrgenommen wurde oder nicht.

Die in der Folge in der EG verabschiedete Richtlinie zum Umgang mit trans-genen Organismen im Geschlossenen System ging in materieller Hinsicht nicht sehr weit über die Anforderungen und Restriktionen der selbstregulativen Richtli-nien, also erfahrungsbasierter Regulierung, hinaus.60 Immerhin wurden aber nun,

57 Vgl. Beck, Wissen, 1996. 58 Vgl. Luhmann, Beobachtungen, 1992. 59 Kollek et al., Die ungeklärten Gefahrenpotentiale der Gentechnologie (so der genaue

Buchtitel), 1986. 60 In den USA kam es aufgrund der öffentlichen Diskussion gegen Ende der 70er Jahre auf

prozeduraler Ebene zu einer Erweiterung der wissenschaftlichen Kontrollgremien, die nun

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im Unterschied zu den selbstregulativen Richtlinien, nicht nur Gefahren für die Gesundheit, sondern auch Risiken für die Umwelt berücksichtigt.61 In prozedura-ler Hinsicht wird hier durch die Anmelde- und Genehmigungserfordernisse die Reflexion zweiten Grades dauerhaft eingeführt62 - eine Funktion, die schon die selbstregulativen Richtlinien zumindest erfüllen sollten - und zugleich aus der Profession herausverlagert. Die Reflexion bleibt zwar auf die Administration beschränkt, aber aufgrund immerhin rudimentärer Publikationspflichten und Kla-gerechte findet auch eine Einbeziehung der Öffentlichkeit statt.

Insbesondere die zur Zeit der Gesetzgebungsdebatte ins Auge gefaßten Frei-setzungen sorgten aber in vielen Ländern für Konfliktstoff, zumal sich nun mit den Ökologen eine andere und ex professione besonders risikosensible Disziplin in die Diskussion einschaltete.63 Daraus folgte sowohl in den USA wie in der EG eine gesetzliche Normierung, die viele - aber freilich nicht alle - der für eine un-gewißheitsbasierte Regulierung denkbaren Elemente enthält.64 Die Regulierung, insbesondere das Step-by-step-Prinzip, entspricht demnach tendenziell einer öko-logischen Modernisierung der Stufe 3. Dadurch wird zugleich die Reflexion hypothetischer Risiken auf Dauer gestellt, allerdings weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Insofern bleibt die Regulierung in prozeduraler Hinsicht hinter den Anforderungen reflexiver Politik zurück. Gleichzeitig sind auch politische Anstrengungen zu beobachten, die Freisetzungs-Richtlinie - aus ökonomischen Gründen - in ihrem Gehalt auf eine erfahrungsbasierte Regulierung zurückzufüh-ren.65

11.4.2. Exkurs zur Gentherapie

Die Gentherapie ist - spätestens mit der Novellierung von 1993 - weitgehend vom Anwendungsbereich des Gentechnikgesetzes ausgenommen (vgl. Kap. 9.1.3.). Sie wird im öffentlichen Diskurs in der Bundesrepublik fast ausschließlich im Hinblick auf den propagierten oder von der Öffentlichkeit hoffnungsfroh erwarte-ten Erfolg thematisiert. Insofern ist hier Fraglosigkeit im Sinne der untersten Stufe reflexiver Modernisierung vorherrschend.

auch mit Sozialwissenschaftlern und Vertretern der Öffentlichkeit besetzt wurden, sowie zu einer Gesetzgebungsinitiative, die auf Bundesebene allerdings scheiterte.

61 Vgl. Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.): Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in-vitro neukombinierte Nukleinsäuren, 5. überarbeitete Fassung vom 28.5.1986 mit den Anhängen der GenTSV.

62 Vgl. oben, Kap. 5. 63 Vgl. Schomberg, Technology in Society 1993. 64 Entsprechend denkbare Erweiterungen werden oben, in Kap. 10 näher erläutert. 65 Vgl. oben, Kap. 3.2.3.

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Die eingehendere Reflexion beschränkt sich daher auf die Fachöffentlichkeit. Soweit die Gentherapie dort als für den einzelnen Patienten direkt nutzenver-sprechender Heilversuch aufgefaßt wird, sind lediglich die mit den jeweiligen Ansätzen verbundenen Belastungen für den Patienten selbst zu thematisieren.66 Dies geschieht in Ethik-Kommissionen, die hier eine unmittelbare Risiko-Nutzen-Abwägung vornehmen, die in unserem Schema der Reflexion auf Stufe 1, also der Berücksichtigung der einzelfallbezogenen Nahfolgen entspricht.67

Die Konzipierung als Heilversuch ist aber nicht unbestritten, weil bei 'aus-therapierten' Krebspatienten, die derzeit am häufigsten als Testpersonen ausge-wählt werden, kaum mit einem direkten therapeutischen Nutzen zu rechnen ist. Insofern findet also, wie bei jeder Neuentwicklung von medizinischen Methoden, eine Ungleichverteilung des Risikos zwischen Patientengruppen statt, die früher, d.h. mit weniger ausgereiften, oder später, d.h. mit verbesserten Thera-pieansätzen, behandelt werden. Entsprechend wären dann die strengeren Bedin-gungen der Arzneimittelprüfung anzuwenden, die eben auch garantieren sollen, daß Testpersonen nicht zu Versuchen mit wissenschaftlich unausgereiften Me-thoden herangezogen werden. Insofern als die Bestimmungen der Arznei-mittelprüfung, soweit dies überhaupt möglich ist, also auf eine Art 'intergeneratio-naler Gerechtigkeit' abzielen, kann man sie als Reflexionsverfahren der zweiten Stufe ansehen. Sie werden gegenwärtig in der Bundesrepublik bei gentherapeu-tischen Versuchen aber allenfalls implizit angewandt.

Fraglich ist aber auch, inwieweit bei gentherapeutischen Versuchen Dritte, also z.B. Krankenhauspersonal und Angehörige, durch infektiöse Vektoren gefährdet werden können. Hier handelt es sich bei den derzeit verwendeten Vektoren um hypothetische Risiken, die in den USA von den einschlägigen Sicherheitsaus-schüssen auch thematisiert werden, während sie in der Bundesrepublik nur infor-mell und implizit diskutiert und berücksichtigt werden.

Zwar war bei dem von uns näher untersuchten Gentherapieversuch aufgrund dessen interdisziplinärer Anlage ein hohes Maß an projektinterner Risikoreflexion auf allen Stufen auszumachen. Aber diese Beobachtung läßt sich nicht systema-tisch für anders organisierte Projekte und zukünftige Entwicklungen verallgemei-nern. Eine Dauerreflexion - jenseits der unmittelbaren Risiko-Nutzen-Abwägung durch Ethik-Kommissionen - ist jedenfalls weder durch professionsinterne noch durch gesetzliche Regeln sichergestellt.

66 Zur Diskussion Heilversuch, Arzneimittelprüfung und Drittbetroffenheit durch potentiell

infektiöse Vektoren vgl. oben, insb. Kap. 9.4.1. 67 Soweit man die Gentherapie als Heilversuch thematisiert, besteht im Sinne von Niklas

Luhmann auch kein Risikokonflikt, weil Entscheidung und Betroffenheit hier - durch die aufgeklärte Zustimmung der Patienten - zur Deckung gebracht werden.

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11.4.3. Das Gentechnikrecht

Im Hinblick auf die einzelnen Bestimmungen des deutschen Gentechnikrechts ist zu berücksichtigen, daß die kontinentaleuropäische Rechtsdogmatik den konsi-stenten und systematischen Einbau von Einzelgesetzen in den gesamten Korpus des bestehenden Rechts verlangt. Daher ist schon a priori zu erwarten, daß nicht alle Bestimmungen des Gentechnikrechts in eine einzige der ent-wicklungstheoretisch unterschiedenen Stufen einzuordnen sind. Da aber mit der Gentechnik nicht nur hypothetische, sondern auch bekannte Nah- und Fernfolgen - also Reflexivitätsphänomene auf Stufe 1 und 2 - verbunden sind, ist es von der Problemlage selbst her erforderlich, daß das Gentechnikrecht Reflexion und öko-logische Modernisierung auch auf den beiden unteren Stufen zu gewährleisten versucht.

Rechtshistorisch besehen ist 'Gefahrenabwehr' die idealtypische Reaktions-weise auf Stufe 1 (vgl. Kap. 4.2.). Sie richtet sich gegen unmittelbar bevorste-hende und sicher erkennbare Schadenswirkungen, bei denen sofort gehandelt werden muß. Auch im räumlichen Sinne handelt es sich hierbei in aller Regel zunächst um Nahfolgen. Hier wird die Verwaltung vom Gentechnikrecht - in Konkordanz mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht - ermächtigt und verpflichtet, unmittelbar einzugreifen.

Die rechtlich von der Gefahrenabwehr zu unterscheidende 'Risikovorsorge' um-faßt im Gentechnikrecht alle drei Reflexionsstufen, je nachdem, worauf sich die Vorsorge bezieht. Dabei ist zunächst zu konstatieren, daß das Gentechnikgesetz, ebenso wie andere modernere Umweltgesetze, keinen Unterschied zwischen Nah- und Fernfolgen macht.68 Denn in der Definition der Schutzziele sind keiner-lei räumliche oder zeitliche Begrenzungen für die Beurteilung der Folgewirkungen vorgesehen. Auch in der Abstufung der Sicherheitsvorkehrungen je nach Risiko-einstufung ist keine spezifische Umverlagerung der Risiken auf andere Territo-rien, Umweltmedien, Zeiträume oder soziale Schichten zu erkennen.69 Anders als in vielen anderen Umweltgesetzen wird zunächst keine klassifikatorische Ein-schränkung der Schadensdefinition vorgenommen: Nicht nur menschliches Leben, Gesundheit und Eigentum, sondern darüber hinaus auch alle Tiere, Pflanzen und

68 Das liegt allerdings zum Teil auch in der 'Natur' der Sache: Einerseits sind transgene Orga-

nismen, wenn sie einmal freigesetzt sind, in ihrem Ausbreitungsradius nicht zuverlässig steuerbar. Insofern verbietet sich im Prinzip eine Strategie der 'hohen Schornsteine'. Ande-rerseits sind sie - anders als z.B. Plutonium oder Dioxin - relativ leicht durch Hitze oder Desinfektionsmittel zu zerstören.

69 Daß das Laborpersonal besonders geschützt wird, liegt auch im öffentlichen Interesse, weil es andernfalls als Ausscheider und Überträger von transgenen Mikroorganismen auftreten würde.

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die Natur in ihrem Wirkungsgefüge werden durch das Gesetz geschützt. Aller-dings sind bei den straf- und haftungsrechtlichen Bestimmungen schließlich doch Abstufungen zwischen den Menschen unmittelbar oder nur mittelbar betreffenden Folgen vorgesehen.

Eine Beschränkung ergibt sich aber insoweit, als das Gentechnikrecht und die EG-Richtlinien nur territoriale Geltung besitzen. Das spricht für sich genommen keineswegs gegen die Intention, globale Vorsorge treffen zu wollen, soweit dies eben im Rahmen der eigenen Entscheidungsmacht möglich ist, zumal mit dem Gentechnikrecht teilweise Wettbewerbsnachteile für den eigenen 'Standort' perzi-piert werden.70

Anders als von den Kritikern der 'additiven Risikophilosophie' pauschal be-hauptet,71 entsprechen einige Bestimmungen des Gentechnikrechts unserer Ana-lyse zufolge der dritten Stufe der Risikovorsorge. Das gilt sogar ansatzweise für den Umgang im Geschlossenen System: Die Einbeziehung der Risikostufe 1 - mit der definitionsgemäß kein bekanntes Risiko verbunden ist - macht nur Sinn, wenn sie als Beobachtungsraum und Sicherheitsreserve im Hinblick auf bisher noch unbekannte Risiken verstanden wird.72 Außerdem sind die Bestimmungen zu erwähnen, die eine permanente Neubewertung der Risikolage anhand der eigenen Untersuchungsergebnisse und der einschlägigen Fachliteratur verlangen.73 Auch diese Bestimmungen implizieren, daß der Gesetzgeber hier auf bisher noch unbe-kannte bzw. noch nicht abschließend einschätzbare Risiken abzielt.

Deutlicher erkennbar und weiterreichend ist allerdings die Berücksichtigung hypothetischer Risiken bei der Freisetzung und Marktzulassung von transgenen Organismen.74 Hier gilt das Fall-zu-Fall- und Schritt-für-Schritt-Prinzip im Sinne inkrementalistischen Lernens, gerade weil der Gesetzgeber nicht a priori und abschließend befinden wollte, welche Organismen bei der Freisetzung als riskant zu gelten haben und welche nicht. Vorgesehen ist also ein vorsichtiges Tasten ins Ungewisse hinaus, wobei die Ergebnisse der einzelnen Schritte und zu-rückliegender Fälle je erneut im Verwaltungsverfahren zu bewerten sind. Dabei sind auch die Kriterien der Risikobewertung mangels einschlägiger Erfahrungen

70 Zur Diskussion und Differenzierung vgl. Kap. 10.1.8. Es ist in dieser Hinsicht allerdings

verwunderlich, daß die USA und die EG die Aushandlung eines weltweiten 'Biosafety Pro-tocol', wie es vor allem von Nicht-OECD-Staaten gefordert wird, verzögern (vgl. Kap. 3.2.4.). Diese Handlungsweise wirft den Verdacht auf, daß die Drittweltländer hier wei-terhin im Interesse der Industrieländer - ihrer Bevölkerung wie ihrer Konzerne - als de fac-to restriktionsfreies Testareal genutzt werden sollen (vgl. auch Stone, Science 1994).

71 So Bonß et al., Kontext, 1992; zum Begriff der 'additiven Risikophilosophie' vgl. oben, Kap. 2.3.3.

72 Vgl. oben, Kap. 10.2.1, Kap. 7, Kap. 2.4. 73 § 6 Abs. 1 und 2 GenTG, § 21 Abs. 3 und 5 GenTG, sowie §§ 4ff. GenTSV; vgl. Kap. 5. 74 Vgl. oben, Kap. 8.

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sehr allgemein und auslegungsbedürftig gefaßt.75 Entsprechend gibt es hier bisher - im Unterschied zum Umgang im Geschlossenen System - auch keine Eingrup-pierung in vorab festgelegte Risikoklassen.76

Widersprüche ergeben sich hier im deutschen Gentechnikrecht aber bei-spielsweise77 insofern, als bei der Genehmigung der einzelnen Fälle und Schritte jeweils ein Genehmigungsanspruch besteht, soweit nach dem 'Stand von Wissen-schaft und Technik' keine Risiken bekannt sind. Demgegenüber sollte der Sinn des Gesamtverfahrens - also der fall- und schrittweise vollzogenen Prüfung - aber gerade darin bestehen, Risikowissen über den jeweiligen Erkenntnisstand hinaus zu generieren. Durch den Genehmigungsanspruch des Antragstellers werden hier der Verwaltung - zumindest vom Buchstaben des Gesetzes her - die Hände ge-bunden, die Abfolge und die Prüfaufträge für die einzelnen Fälle und Schritte systematisch zu planen.78

Neben diesen Widersprüchen, die sich durch Rückfälle auf die zweite Stufe, nämlich die gewißheitsorientierte Denkweise ergeben, ist darüber hinaus auf die bereits dargelegten Defizite im Hinblick auf die Generierung von Risikowissen hinzuweisen.79 Unzureichend sind auch die prozeduralen Vorkehrungen zur Her-stellung eines expliziten sozialen Konsenses im Sinne reflexiver Politik. Für die Entscheidung von Wertfragen, wie sie sich gerade an der kognitiv nicht mehr überschreitbaren Grenze des jeweiligen Noch-Nicht-Wissen-Könnens deutlich entfalten, sind im Gesetz keine angemessenen Verfahren vorgesehen.80

11.4.4. Verwaltungsverfahren in Deutschland

Gesetze sind allerdings nur wirksam, wenn und soweit sie auch umgesetzt wer-den. Insofern ist es möglich, daß gesetzlich intendierte Dauerreflexion aufgrund von Implementierungsdefiziten vernachlässigt, deformiert oder stillgestellt wird. Umgekehrt ist allerdings auch denkbar, daß im Rahmen von Verwaltungsverfah-ren aufgrund besonderer Legitimationszwänge Reflexion stattfindet, die vom Gesetzgeber nicht intendiert war.

Hier ist anhand unserer empirischen Ergebnisse zu konstatieren, daß das Gen-technikgesetz in Deutschland mit erheblichem bürokratischem Aufwand vollzo-gen wird, weil die Verwaltung eine Skandalisierung durch eine als in diesem

75 Vgl. die Anlagen zur GenTVfV. 76 Eine solche wird aber gelegentlich vorgeschlagen (Sinemus, Risikoanalyse, 1995;

Goy/Duesing, Bio/Technology 1996). 77 Zu einem weiteren gravierenden Widerspruch vgl. z.B. Kap. 8.5.2. 78 Vgl. insb. Kap. 8.8. und Fn. 100 in Kap. 8, sowie Kap. 10.2.5.2. 79 Vgl. im einzelnen Kap. 10.2. 80 Vgl. insb. Kap. 10.1.6. und 10.3.

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Punkt besonders wachsam wahrgenommene Öffentlichkeit befürchtet.81 Es er-folgt daher eine sorgfältige Reflexion der bekannten Risiken zumindest auf Ver-waltungsebene und eine relativ, d.h. im Verhältnis zum Vollzug sonstigen Um-weltrechts, minutiöse Überwachung der organisatorischen und technischen Si-cherheitsvorkehrungen. Die Vorsorge gegenüber bekannten Risiken läßt sich für die Verwaltung - unter der Bedingung ausreichender Ressourcen, die in diesem Fall vorhanden sind - relativ leicht in Routineoperationen übersetzen.

Sie verharrt also in der Gewißheitssemantik, während ein Umschalten auf Un-gewißheitssemantik jedenfalls in öffentlichen Stellungnahmen kaum zu beobach-ten ist.82 Der Ausschluß von Ungewißheit kann in der gewohnten Beschwichti-gungsrhetorik83 oder in der inädaquaten Wahl von Sicherheitsmaßnahmen zum Ausdruck kommen, indem dann transgene Organismen generell wie Gefahrstoffe behandelt werden, während in Abwesenheit bekannter Gefahren Maßnahmen zur Aufklärung von Ungewißheit das Mittel der Wahl sein sollten.84 Bei prohibitiven Maßnahmen auf der Basis vermeintlicher Gewißheit gerät die Verwaltung mit den betroffenen Wissenschaftlern in Konflikt, die dann die Kompetenz der Verwal-tung und die Sinnhaftigkeit des Gesetzes anzweifeln und es dann nur in seinen von der Verwaltung tatsächlich kontrollierbaren Aspekten befolgen.

Diese Verfahrens- und Reaktionsweisen liegen im Rahmen bürokratischer Ra-tionalität zwar nahe, sie werden aber auch durch die oben schon angesprochenen Widersprüchlichkeiten im Gesetz sowie die vorherrschende Rechtsauslegung begünstigt, die der Kategorie der 'Ungewißheit' ebenfalls keinen spezifischen Status einräumt, sondern sie entweder im Vorsorgebereich aufgehen oder im rechtsfolgenfreien Restrisiko verschwinden läßt. Ungewißheit läßt sich aber auch gegenüber einer Öffentlichkeit, die - je nach politischer Stimmungslage - entwe-der mit dem Ruf nach prohibitiven Maßnahmen oder nach schlichter Deregulie-rung reagiert, nur schwer vertreten. Andererseits birgt das Beharren auf Gewiß-heitssemantik aber das Problem, daß die Verwaltung mit ihren Stellungnahmen in Widerspruch zu der mittlerweile auf Ungewißheitssemantik sich umstellenden

81 Vgl. insb. Kap. 7.3.5. und Kap. 8.7. 82 Die beiden in Kapitel 8 angeführten Interviews mit Verwaltungsvertretern scheinen hier

zwar eine andere Sprache zu sprechen. Dabei ist aber zu bedenken, daß wir diese beiden Verwaltungsvertreter ausgesucht hatten, weil wir mehr über den Umgang mit Ungewißheit erfahren wollten und von beiden wußten, daß sie sich anders als der Mainstream äußern.

83 "Es werden alle sicherheitsrelevanten Aspekte nach Antragseingang gemäß den nach Gen-technikrecht vorgegebenen Kriterien geprüft und bewertet. Es sind daher keine gen-technisch-rechtlichen Schäden aufgetreten und auch nicht zu erwarten." Brief des Robert-Koch-Instituts vom 7.6.1995 an den Autor (B.G.). Weil das Zitat so schön ist, wird es hier wiederholt (vgl. Kap. 8, S. 253).

84 Vgl. Kap. 10.1.5.

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Diskussion in der Fachöffentlichkeit gerät,85 erkenntnistheoretisch leicht angreif-bar ist und beim Eintreten gegenteiliger empirischer Evidenzen auch vor einem breiteren Publikum unglaubwürdig wird.

Denn in der internationalen fachöffentlichen Diskussion zur Gestaltung des Step-by-step-Prinzips zeigen sich die Lücken einer rein szientistischen Risiko-abschätzung umso deutlicher, je mehr man sich der Grenze des Noch-Nicht-Wissen-Könnens anzunähern versucht.86 Auch ein Industrievertreter bemerkt: "Within the precautionary approach, one can not guarantee full safety of an appli-cation."87 Der Übergang zum nächsten Schritt läßt sich nicht allein wissen-schaftlich ableiten, sondern stellt zugleich eine normative Entscheidung dar. Dies wurde auch auf politischer Ebene, z.B. im Rahmen von Expertentreffen der OECD, teilweise eingeräumt und zeigt sich auch daran, daß im Koordinie-rungsgremium der EG bei der Marktzulassung transgener Organismen häufig abgestimmt, d.h. auf ein politisches Entscheidungsverfahren zurückgegriffen wer-den muß.

Zugleich erschwert die Gewißheitssemantik aber auch eine sinnvolle Einbe-ziehung der Öffentlichkeit. Denn für deren Einflußnahme ist kein Raum gegeben, wenn die Ergebnisse immer schon rechtlich und wissenschaftlich vorentschieden sind. Insofern kann es auch nicht verwundern, wenn die Verfahren zur Öffent-lichkeitsbeteiligung zu Konfrontationsritualen ausarten und für alle Seiten frustrie-rend sind.88 Denn erst durch das Umschalten auf Ungewißheitssemantik werden die rechtlich nicht im Detail normierbaren Wertentscheidungen erkennbar, die ge-genwärtig implizit von der Verwaltung getroffen werden,89 bei denen aber eine Einbeziehung der Öffentlichkeit nicht nur sinnvoll, sondern aus demokratietheore-tischen Gründen auch erforderlich wäre. Im Ergebnis ist jedenfalls festzuhalten, daß es der Verwaltung in Deutschland bisher zumindest nicht gelungen ist, den anhaltenden Protest gegen die Freisetzung in einen konstruktiven Dialog einzu-binden.

11.4.5. Europäischer Vergleich (am Beispiel Dänemarks)

Vergleichbare Probleme mit der Implementierung des Gentechnikrechts sind in anderen Mitgliedstaaten der EG in dieser Form nicht aufgetreten. Dies scheint in den Ländern, in denen es wenig öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema

85 Vgl. Kap. 8.4. 86 Vgl. Kap. 8.4. 87 Rüdelsheim, Does, 1995, S. 28. Rüdelsheim ist Vertreter der belgischen Firma Plant Gene-

tic Systems. 88 Vgl. Kap. 5.10. und Kap. 8. 89 Vgl. Kap. 10.1.6.

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gibt, vor allem daran zu liegen, daß die EG-Richtlinien bisher eher nachlässig implementiert wurden. Für die südlichen EG-Länder und mit Abstrichen auch für Frankreich gilt, daß hier die Reflexion von Umweltproblemen noch auf Stufe 1 und 2 verharrt.90 In Dänemark91 jedoch, wie auch in abgeschwächter Form in anderen nördlichen EG-Ländern,92 in denen es zumindest anfänglich starken Pro-test gab, scheint einiges darauf hinzudeuten, daß man dort Ungewißheiten eher einräumt und sie entsprechend durch expliziten gesellschaftlichen Konsens zu überbrücken versucht. So wurde das dänische Gentechnikgesetz nicht mit der Gefährlichkeit, sondern mit der relativen Unwissenheit gegenüber den Auswir-kungen der Gentechnologie begründet.93 Hiergegen vorgebrachte Partialinteres-sen94 stießen in der dänischen Konsenskultur auf Unverständnis, und zwar selbst bei denjenigen Parlamentariern, die die Gesetzesinitiative inhaltlich nicht unter-stützten.

Dieser Konsenskultur entsprechend sind auch die Entscheidungsprozeduren im dänischen Gentechnikgesetz gestaltet: Umweltschutzorganisationen, Wis-senschaft, Industrie und Parlamentsausschüsse werden regelmäßig in die Bera-tungen einbezogen. Zu den Schutzzielen des dänischen Gentechnikgesetzes ge-hört auch eine 'nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung'. Dementsprechend werden 'unerwünschte Effekte' nicht nur unter wissenschaftlichen, sondern auch unter politischen Aspekten diskutiert. Das dänische Parlament stellte darüber

90 Das gilt also insbesondere für Italien, Spanien, Portugal und Griechenland (Levidow/Carr,

S&PP 1996). Für Frankreich liegen keine direkten Untersuchungsergebnisse zur Öffent-lichkeitsbeteiligung vor. Aus einem anderen Bericht über die Implementierung der Frei-setzungs-Richtlinie (Bergschmidt, Comparative, 1995) und aus Hintergrundgesprächen er-gibt sich, daß die Öffentlichkeit sich zwar kaum für das Thema interessiert, aber auf admi-nistrativer Ebene dennoch ein relativ konsequenter Vollzug zu beobachten ist.

91 Vgl. im folgenden Toft, Denmark, 1995; sowie Int. Nr. 24. 92 Dies gilt insbesondere auch für die Niederlande, mit Abstrichen für Großbritannien. Öster-

reich und Luxemburg verfolgen eine ziemlich klar ablehnende Haltung, haben aber auch kaum eine eigene Biotechnologie-Industrie. Für die Niederlande vgl. Schomberg, Labori-ous, 1996.

93 1985 startete NOAH, der dänische Ableger der internationalen Umweltschutzorganisation Friends of the Earth, eine Protestkampagne gegen die Gentechnik. Anders als deutsche Ini-tiativen forderte NOAH allerdings kein Verbot, sondern stellte lediglich Fragen betreffs der Risikoabschätzung und der Verantwortungsstrukturen. Diese Fragen konnten zum damali-gen Zeitpunkt weder von der Biotechnologie-Industrie, die in Dänemark stark vertreten ist, noch von den Behörden befriedigend beantwortet werden. Das dänische Parlament re-agierte schnell, indem es - anfänglich gegen den Willen der Minderheitsregierung - inner-halb eines halben Jahres ein relativ restriktives Gentechnikgesetz erließ.

94 Novo, ein großer Biotechnologie-Konzern und wichtiger Arbeitgeber in Dänemark, hatte gegen die Gesetzesinitiative opponiert und mit dem Abzug von Produktionsanlagen ge-droht.

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hinaus Mittel bereit, um eine breite Informations- und Diskussionskampagne zu initiieren und zwei Konsensus-Konferenzen abzuhalten.95 Außerdem ist die däni-sche Wissenschaft - gemessen an der Wirtschaftskraft des Landes - ausge-sprochen aktiv an der internationalen Sicherheitsforschung zur Biotechnologie beteiligt.96

Im Ergebnis ist festzustellen, daß die Gentechnik in Dänemark zwar dauerhaft diskutiert wird, regelrechter Widerstand und andere verhärtete Konfliktformen wie in Deutschland aber bisher nicht zu beobachten sind. Bis 1994 wurde in Dä-nemark exakt die gleiche Anzahl von Freisetzungsversuchen genehmigt wie in Deutschland (11), wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß Dänemark nur ein sehr kleines Land ist. Den viel folgenreicheren Marktzulassungen stehen die däni-schen Vertreter im zuständigen EG-Ausschuß aber weitaus kritischer gegenüber als etwa die deutschen Behördenvertreter. Man kann die Opposition der däni-schen Behörden auf EG-Ebene auch als Versuch interpretieren, den nationalen Konsens durch Verlagerung des Konflikts auf die internationale Ebene zu wah-ren.

Im Vergleich beider Länder ist festzustellen, daß sich in Dänemark reflexive Modernisierung anders darstellt als etwa in der Bundesrepublik, indem einerseits die Generierung von Risikowissen im Land aktiver betrieben und bei europä-ischen Verwaltungsentscheidungen eingefordert wird und zugleich versucht wird, im Hinblick auf die stets verbleibende und eben auch offen eingeräumte Unge-wißheit eine möglichst breite und informierte Zustimmung der Bevölkerung ein-zuwerben. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß in Dänemark, wie in allen klei-neren und sozialstrukturell vergleichbaren europäischen Ländern, die politische Kultur als Konsensdemokratie ausgeprägt ist, während in den großen Terri-torialstaaten das Prinzip der Konkurrenzdemokratie vorherrschend ist, das ein Umschalten auf Ungewißheitssemantik offenbar beträchtlich erschwert.

11.4.6. Forschungsorganisation

Und wie zeigen sich nun Phänomene reflexiver Modernisierung auf der Ebene der Forschungsorganisation? Einerseits sollte die moderne Wissenschaft aufgrund der von Robert Merton konstatierten Norm der 'organisierten Skepsis' mit dem Phä-

95 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß bei den EG-weit wiederholten Mei-

nungsumfragen zur Biotechnologie in allen anderen Ländern die Glaubwürdigkeit staatli-cher Behörden als sehr niedrig und die der Verbraucher- und Umweltorganisationen als sehr hoch eingeschätzt wird, während in Dänemark die Skepsis gegenüber der Verwaltung deutlich geringer ausfällt (vgl. INRA, Opinions, 1991, S. 72ff.; INRA, Biotechnology, 1993, S. 83ff.).

96 Katzek/Wackernagel, Stand, 1991, S. 70.

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nomen der Ungewißheit vertraut sein. Andererseits ist gerade bei der Genfor-schung eine frühzeitige und dynamische Verflechtung mit Verwendungsinteressen zu beobachten. Aber auch ohne diese Verflechtung könnte man ihr, wie jedem anderen Forschungszweig, ein Eigeninteresse an einer autonomen und möglichst unbehinderten Selbstentfaltung unterstellen.97

Und in der Tat bezieht Merton seinen Befund nur auf Skepsis im Hinblick auf die Ungewißheit der Ergebnisse, nicht auf deren Nebenfolgen. Aussagen über die Nebenfolgen der eigenen Forschung macht ein Forschungszweig in der Regel nur dann, wenn er damit in der (Fach-)Öffentlichkeit konfrontiert wird. Wenn er dann behauptet, daß er überraschende Nebenfolgen mit Gewißheit ausschließen könn-te, folgt er seinem Entfaltungsinteresse.

Aber prekär sind solche Aussagen für Wissenschaftler immer, weil sie mehr als andere Professionen gerade von der Revidierbarkeit von Aussagen, die Neuem erst Platz schafft, leben. Aufgrund der Differenzierung der Disziplinen werden die Nebenfolgen des einen Forschungszweigs zum Gegenstand des anderen For-schungszweigs, der dann gelegentlich sogar mit größerer Kompetenz die Sicher-heitsbehauptungen in Zweifel ziehen kann.

Diesem merkwürdigen Paradox unterliegt die Genforschung insbesondere dann, wenn sie sich selbst auf Sicherheitsforschung einläßt:98 Wenn diese überra-schende Ergebnisse zeitigt, ist sie wissenschaftlich interessant, behindert aber die Entfaltungsinteressen - zumindest dann, wenn keine schnelle Abhilfe in Form einfacher und wenig behindernder Sicherheitsmaßnahmen zur Verfügung steht. Wenn sie keine überraschenden Ergebnisse vorweisen kann, ist sie erstens 'lang-weilig' und zweitens auch kein Sicherheitsbeweis, denn Sicherheit kann man so-wieso nicht beweisen. Insofern kann es nicht verwundern, wenn Si-cherheitsforschung für den jeweils betroffenen Forschungszweig selbst nicht besonders attraktiv ist, sondern nur für andere Subdisziplinen, wie z.B. die Öko-logie, die daraus sowohl innerwissenschaftliche Reputation als auch außer-wissenschaftliche Anerkennung schöpfen können.

Daß Forschungsorganisationen, jedenfalls auf hoher Ebene, hier wenig Pro-blembewußtsein entwickeln, scheint sich zumindest in ihren auf Gewißheits-semantik rekurrierenden und von einseitigen Partialinteressen geprägten Stel-lungnahmen gegenüber der Öffentlichkeit zu zeigen. Der inter- und intradiszi-plinäre Diskurs in der (Fach-)Öffentlichkeit spiegelt sich darin nicht wider. So behauptete die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jüngst in einem Memo-randum zur 'Forschungsfreiheit' pauschal, daß es keine unvorhersehbaren, 'syner-gistischen' Risiken bei der Genforschung gäbe:

97 Vgl. Kap. 7.1.; vgl. Mayntz/Scharpf, Ansatz, 1995, S. 54f. 98 Vgl. Kap. 8.7.2.

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"Kritiker der Gentechnik halten allerdings weiterhin [das] 'additive Modell' der Ri-sikobewertung für nicht ausreichend; sie verweisen auf ein sogenanntes 'synergi-stisches Modell', in welchem Gen und Empfängerorganismus 'mehr' als die Summe ihrer jeweiligen Eigenschaften darstellen. Dieses 'Mehr' wird als das biologische Restrisiko oder als das gentechnische Risiko bezeichnet. Hinweise auf die Existenz eines solchen Risikos gibt es bis heute nicht."99

Mitglied der Arbeitsgruppe, die diese Schrift verfaßte, war Ernst Ludwig Win-nacker,100 der in einer eigenen Monographie drei Jahre zuvor weitaus differen-zierter feststellte:

"Synergistische Gen-Wirkungen sind ihr [der biologischen Wissenschaft] ... keines-wegs neu. ... Derartige Phänomene, in denen die Gesamtwirkung, die von einem Gen oder einem von ihm abgeleiteten Eiweißmolekül ausgeht, mehr darstellt als die Summe der erwarteten Einzeleffekte, müssen also auch in die Bewertung von Si-cherheitsfragen richtig eingehen. Da sie jedoch keineswegs immer auftreten ..., muß sehr sorgfältig nach dem 'wann' und dem 'wo' gefragt werden. ..." Und er fährt dann fort: "So können wir insgesamt das Problem der biologischen Sicherheit sowohl in der Laborpraxis als auch im Produktionsbereich im Prinzip als gelöst betrachten, wobei uns aber diese Gewißheit niemals daran hindern sollte, auf der Hut zu sein ..."101

Die Vereindeutigung - man könnte auch sagen: Verdrehung - dieses stärker ab-wägenden und tendenziell auf Ungewißheitssemantik umgestellten Befunds durch das Memorandum der DFG könnte der Vorstellung geschuldet sein, daß man in einer Konkurrenzdemokratie nur mit Gewißheitssemantik und polarisierenden Zuspitzungen gehört wird und Einfluß gewinnen kann. Man untergräbt damit aber auch die eigene Glaubwürdigkeit, die allerdings eine notwendige Voraussetzung wäre, wenn die Öffentlichkeit auf die andererseits behauptete Selbstregulierung der Forschung102 vertrauen sollte.

Die Wissenschaftsorganisationen stecken hier in einem grundsätzlichen Di-lemma: Äußern sie sich in abwägender, unverkürzter und für Laien schwer ver-ständlicher Form, wirft man ihnen - auch von seiten der etablierten und technolo-gieemphatischen Politik - vor, daß sie im 'Elfenbeinturm' verharrten und ihrem Auftrag zum Dialog mit der Öffentlichkeit nicht nachkämen.103 Äußern sie sich dagegen in medienwirksamer Form, werden sie des Dogmatismus und der Ver-

99 DFG, Forschungsfreiheit, 1996, S. 26; vgl. die im Tenor ähnliche Stellungnahme der Max-

Planck-Gesellschaft zum Gentechnikgesetz (MPG, Schwerwiegende, 1992). 100 DFG, Forschungsfreiheit, 1996, S. VII. 101 Winnacker, Faden, 1993, S. 267ff.. 102 DFG, Forschungsfreiheit, 1996, S. 14ff. 103 "Renitent", Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.3.1996, S. N1; vgl. dazu auch den

Leserbrief "Unfairer Renitenzvorwurf" in der FAZ vom 16.4.1996, S. 8.

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kündigung von Halbwahrheiten bezichtigt. Dasselbe Problem stellt sich auch für Kritiker, die meist selbst Wissenschaftler sind, wenn sie in direkter face-to-face Kommunikation seriös und differenziert und in den Massenmedien oder bewe-gungsnahen Foren verkürzt und polemisch argumentieren (müssen).104

Dennoch entwickelt sich hinter den Kulissen der Massenkommunikation, in der die Argumente in sich wechselseitig ausschließender Gewißheit präsentiert wer-den, ein ungewißheitsbasierter Diskurs, der aber, anders als z.B. korporatistisches Bargaining oder andere arkane Absprachen, prinzipiell öffentlich bleibt: Es gibt keine formellen Zugangsbeschränkungen und vor allem keine Geheimhaltungsab-sprachen. Dadurch vermischen sich aber häufig Elemente beider Diskurse, wenn Akteure mit inkongruenten Situationsdefinitionen aufeinandertreffen oder zur Vermeidung kognitiver Dissonanz auch beim Wechsel der Arena 'ihre' - gewiß-heits- oder ungewißheitsbasierte - Semantik beibehalten.

Eine spezifische Form, die Ambivalenz zwischen der am Eigeninteresse ori-entierten Gewißheitssemantik und der am Wissenschaftsethos der (organisierten) Skepsis orientierten Ungewißheitssemantik zu überbrücken, besteht in der von seiten reflektierterer Befürworter aufgestellten Behauptung, daß die Gentechnik - soweit nach dem Stand der Wissenschaft derzeit abschätzbar - keine besonderen Risiken oder Ungewißheiten berge. Zwar wird hier wieder auf den Stand des Wissens rekurriert und insofern auf der Metaebene wieder mit Gewißheitsse-mantik operiert, andererseits werden aber auf der Aussageebene Ungewißheiten durchaus eingeräumt. Allerdings werden diese durch Vergleich mit anderen in der Biologie bestehenden Ungewißheiten nivelliert.105

Neben dem Konflikt zwischen sich gegenseitig ausschließenden, also zwischen prohibitiven und permissiven Gewißheitssemantiken, ergeben sich dann drei wei-tere, allerdings abgeschwächte Konfliktformen, nämlich zwischen prohibitiver Gewißheitssemantik und tendenziell permissiver Ungewißheitssemantik106, zwi-schen permissiver Gewißheitssemantik und tendenziell prohibitiver Ungewiß-heitssemantik107, sowie zwischen den beiden Formen der Ungewißheitssemantik (vgl. Schaubild 2, S. 375).

Diese Komplikationen finden sich nicht nur auf der Ebene öffentlicher Kom-munikation, sondern auch beim Vollzug des Gentechnikgesetzes, soweit es um

104 Willmitzer, Gentechnologie, 1994. 105 Vgl. Kap. 2.3. sowie Kap. 7 - 9. 106 Eine tendenziell permissive Ungewißheitssemantik wird z.B. von den Veranstaltern der

vom Wissenschaftszentrum Berlin organisierten Technikfolgenabschätzung zu herbizid-resistenten Kulturpflanzen propagiert (Daele et al., Bewertung, 1994).

107 Eine tendenziell prohibitive Ungewißheitssemantik wird z.B. von uns im rechtspolitischen Kapitel (Kap. 10) propagiert.

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die Umsetzung ungewißheitsbasierter Regelungsaspekte geht.108 Hier treffen Verwaltungsvertreter mit den entsprechenden Vollzugsstilen auf Genforscher mit unterschiedlichen Sicherheitsüberzeugungen. Allerdings ist bei den Ver-waltungsvertretern hier die Schwankungsbreite zwischen prohibitiven und per-missiven Haltungen durch das Gentechnikgesetz eingeschränkt, und Genforscher mit deutlich prohibitiven Einstellungen werden wahrscheinlich kaum für längere Zeit auf diesem Gebiet arbeiten (können) und eher ins Lager der Kritiker über-wechseln. In der Kombinatorik des Zusammentreffens sind Mißverständnisse, Frustrationen und Konflikte, aber auch Kontrolldefizite programmiert, zumindest soweit es die o.g. ungewißheitsbasierten Aspekte des Gentechnikgesetzes anbe-trifft.109

Vieles deutet also darauf hin, daß in der Auseinandersetzung zwischen Ver-waltungsvertretern und Genforschern eine sinnvolle Umsetzung ungewißheits-basierter Regelungen teilweise blockiert wird. Das gilt insbesondere für Vor-sorgemaßnahmen, deren Einhaltung von außen nicht effektiv zu kontrollieren ist und deren Wirkung daher von Einsicht und Vertrauen abhängig ist.110 Die Miß-verständnisse und Konflikte waren in dem sich nach 1989 verändernden politi-schen Umfeld Anlaß nicht nur für die Novellierung des Gentechnikgesetzes im Jahr 1993, sondern auch für die weitergehenden Forderungen der Bun-desregierung nach einer Lockerung der EG-Richtlinien. Andererseits gibt es auch Anzeichen, daß die Genforscher aus eigenem Antrieb - und manchmal trotz ten-denziell kontraproduktiver Verwaltungsmaßnahmen - selbstregulativ tätig wer-den. Schaubild 2: Entschärfte Konfliktdynamik beim Übergang zu Ungewißheits-

semantiken

108 Die folgenden Ausführungen gelten also nicht für Vorsorgemaßnahmen gegen bekannte

Risiken, deren Erforderlichkeit von niemandem bestritten wird. 109 Vgl. Kap. 7.6. 110 Z.B. die Meldung unerwarteter Vorkommnisse nach § 6 und § 21 GenTG.

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Prohibitive Permissive Gewißheit Gewißheit Prohibitive Permissive Ungewißheit Ungewißheit Die Initiative dazu scheint von Einzelpersonen auszugehen oder sich aus interdis-ziplinären Kooperationen zu ergeben. Sie ist aber kaum auf der Ebene der hier relevanten Forschungsorganisationen, z.B. der Universitäten, institutionalisiert. Entsprechende organisationsrechtliche Vorgaben des Gentechnikgesetzes, die im Sinne von 'checks and balances' - z.B. zwischen Projektleitern und Sicherheitsbe-auftragten - auf interorganisationale Dauerreflexion abzielen, scheinen zumindest bei Universitäten ins Leere zu laufen. Allerdings gibt es Industriebetriebe, die auf die Ausbildung organisationsinterner Öffentlichkeiten, einen ernsthaften Dialog mit externen Kritikern und eine relativ straffe Umsetzung betriebsinterner Sicher-heitsforschung hinarbeiten.111 Für die Ausbildung organisationaler Lernbereit-schaft gerade bei der Industrie gibt es zwei Gründe: Erstens bieten die dort anzu-treffenden Organisationsbedingungen, insbesondere die - im Unterschied zur Universität - relativ klaren und verbindlichen Kommunikationsbeziehungen, dafür günstige Voraussetzungen. Zweitens sind kommerzielle Unternehmen vom Wohlwollen der Öffentlichkeit sehr viel direkter abhängig als staatlich getragene Forschungsorganisationen.

In den Universitäten scheint es aber auch auf informeller Ebene in der Regel wenig Diskussionen über Forschungsfolgen zu geben. Das ist insofern erstaun-lich, als wir innerhalb der einzelnen Projekte relativ große Unterschiede zwischen den diesbezüglichen Vorstellungen der einzelnen Mitarbeiter feststellen konnten. Vorsorgemaßnahmen gegenüber bekannten wie unbekannten Risiken beschrän-ken sich weitgehend auf entsprechende Handlungsroutinen, die von der informel-len oder formellen Hierarchie bestimmt sind und von den einzelnen Mitarbeitern kaum hinterfragt werden. Nur im Hinblick auf einen interdisziplinären und neu etablierten Handlungskontext zur Gentherapie, der durch formelle Bestimmungen

111 Vgl. Kap. 7.4. und 8.3.

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auch kaum geregelt ist, wurde uns aktuell112 von entsprechenden Diskussionen berichtet.

Auf der individuellen Ebene war auffällig, daß erfahrenere Forscher gegenüber unseren Fragen nach bisher noch ungewissen Folgen weitaus responsiver waren als die weniger erfahrenen, meist jüngeren Mitarbeiter. Das scheint vor allem daran zu liegen, daß erstere stärker in fachöffentliche und öffentliche Diskussio-nen involviert sind und daher schon öfter mit dieser Fragestellung konfrontiert waren. Das private Umfeld scheint dagegen weder bei den erfahreneren noch bei den 'jüngeren' Forschern - anders als bei anderen ökologierelevanten Themen113 - eine stärker sensibilisierende Rolle zu spielen. Die erfahreneren Forscher schei-nen die in den Interviews teilweise dokumentierte Responsivität wenn schon nicht über projektinterne Diskussionen, so doch durch eine entsprechende Gestaltung der laborübergreifenden Forschungsroutinen umzusetzen - soweit ihnen das prak-tikabel erscheint. Spezifischere Fragen nach je erneut im einzelnen Experimental-kontext möglichen Risiken werden jedoch von den weniger erfahrenen, aber oft viel unmittelbarer in die tägliche Laborarbeit involvierten Forschern offenbar kaum gestellt - ansonsten hätten sie die diesbezüglichen Interviewfragen wohl ergiebiger beantworten können.

Vielfach wird von den erfahrenen und responsiven Forschern aber auch darauf hingewiesen, daß Vorsorgemaßnahmen im Hinblick auf nicht näher spezifi-zierbare Ungewißheiten nicht praktikabel seien. Allerdings korrespondiert diese Einsicht dann im allgemeinen mit einer etwas größeren Aufgeschlossenheit ge-genüber der Einbeziehung der Öffentlichkeit, als dies bei weniger responsiven Forschern der Fall ist.

Bei dieser Synopse unserer empirischen Ergebnisse ist allerdings dreierlei zu berücksichtigen: - Wie bei qualitativen Studien unumgänglich, beruht sie auf einer kleinen Zahl

von Fällen und Interviews. - Es haben uns, wie auch an den nicht ganz einfachen und im Bereich der Indust-

rie weitgehend gescheiterten Vorverhandlungen deutlich wurde, wahrscheinlich nur Projektleiter Feldzugang gewährt, die ohnehin der kritischen Öffentlichkeit gegenüber aufgeschlossener sind.

- Ungewißheit beim Umgang mit Forschungsfolgen wurde meistens erst auf intensivere Nachfragen hin eingeräumt.

112 In einem Labor berichteten Mitarbeiter, die schon länger dabei waren, auch von entspre-

chenden Diskussionen aus der Anfangszeit, als die Gentechnologie in Deutschland noch eine relativ 'junge' Methode und noch nicht gesetzlich reguliert war.

113 Vgl. Heine/Mautz, Öffnung, 1995; Schülein et al., Manager, 1994.

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Daher können diese Aussagen auch nicht für 'die' Genforschung verallgemeinert werden.

11.5. Perspektiven reflexiver Modernisierung

Im folgenden soll nun versucht werden, auf der Basis der vorgelegten empiri-schen Ergebnisse einige Schlußfolgerungen für die Entwicklung und die sozio-logische Beobachtung moderner Gesellschaften unter den Bedingungen reflexiver Modernisierung zu ziehen.

11.5.1. Reflexive Akteure oder reflexive Institutionen?

Zunächst ist also zu fragen, auf welchen Ebenen Reflexion auftritt und dauerhaft wirksam wird - auf der Ebene der Diskurse, der Institutionen, oder der organisier-ten und individuellen Akteure. Wenn man sich dieser Frage aus der Perspektive der Akteure nähert, ist hier zunächst an den altbekannten Widerspruch zwischen Aktion und Reflexion zu erinnern: Wer sich zum Handeln entschließt, muß die Reflexion der Nebenfolgen an irgendeinem Punkt abbrechen. Denn je mehr un-gewisse oder unerwünschte Nebenfolgen man nicht nur zu bedenken, sondern auch zu berücksichtigen sucht, umso enger wird der Korridor möglicher Hand-lungsoptionen. Dabei ist es zunächst gleichgültig, ob Reflexion in Form von indi-vidueller Selbstreflexion, von organisationsinternen Diskussionsprozessen, oder im Dialog mit organisationsexternen Akteuren stattfindet. Extensive Dauerrefle-xion läuft maximal auf die Wahl der Exit-Option hinaus. Die Akteure treten also nicht mehr als solche auf.

Auch wenn manchmal in der Öffentlichkeit der Eindruck vom drohenden Exo-dus der Genforschung aus Deutschland vermittelt wird, so spricht die stetig stei-gende Zahl der gemeldeten Genlabors - derzeit sind es etwa 2000 - eine andere Sprache.114 Allerdings läßt sich auf der Ebene der Statistik nicht ausmachen, welche Motive beim Einstieg oder Ausstieg wirksam werden - in Frage kommen hier endogene Verschiebungen in der Wahl der präferierten Methoden und For-schungsziele, Attraktion durch Drittmittel aller Art oder Abschreckung durch bürokratische Hürden.115 Reflexionsbereitschaft dürfte dabei nach wie vor eine eher untergeordnete Rolle spielen. Sichtbar wird diese vor allem dann, wenn die Akteure vom Pfad geradliniger Durchsetzung abweichen und zu Grenzgängern werden, z.B. indem sie in ernsthaften Dialog mit der Öffentlichkeit eintreten,

114 Vgl. Kap. 7.3.2. 115 Vgl. Kap. 7.1.

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Sicherheitsforschung betreiben, und so die Genforschung mit den Mitteln der Genforschung kritisieren. Ein entsprechendes Verhalten ist bei einzelnen For-schern, bei einigen Industrieunternehmen wie auch bei nationalen Behörden (z.B. Dänemark) zu beobachten.

Aber dieses Verhalten erklärt für sich genommen nicht den relativ massiven öf-fentlichen Konflikt um die Genforschung. Aus der Sicht des Rational-Choice-Ansatzes würde man hier ohnehin nicht von einer am öffentlichen Wohl ausge-richteten Reflexionsbereitschaft, sondern von einer Strategie 'abwartender Nut-zenkalkulation', von 'second winnern' sprechen.116 Angesichts der technisch, wirt-schaftlich und im Hinblick auf Akzeptanzprobleme derzeit nicht klar kalku-lierbaren Investitionsstrategien würden also die vorgeblich moralisch motivierten 'Zauderer' nur abwarten, daß andere Akteure 'für sie die Kastanien aus dem Feuer holen', um dann aus deren fast unvermeidlichen Fehlern zu lernen und aus ihren Fehlinvestitionen möglicherweise auch Konkurrenzvorteile zu erzielen. Sie beo-bachteten also zunächst, ob und gegebenenfalls wie die vermeintlichen 'first win-ner' die Hürden bürokratischer und gesellschaftlicher Widerstände nehmen, um dann mit leichter akzeptierten Techniklinien, ausgefeilterer Antragstellung und verbesserten Marketingkonzepten nachzuziehen.117 Demonstrative Reflexions-bereitschaft könnte man aus dieser Perspektive als Strategie interpretieren, mit der man aus einer unklaren Konkurrenzsituation wenigstens Imagegewinne zu ziehen versucht.

Isoliert betrachtet sind beide Erklärungsweisen plausibel und empirisch auch kaum zu widerlegen. Man müßte sich aufgrund der persönlichen Präferenz für eines der darin ohnehin schon je unterstellten Menschen- und Gesellschaftsbilder entscheiden. Aber gleichgültig, ob man nun einzelnen Akteure genuin altruistische Motive unterstellt oder nicht, die Wirksamkeit ihrer Reflexionsbereitschaft wäre ohnehin von überindividuellen Diskursen und Institutionen abhängig. Denn die Gesetze des Marktes wirken auch dann, wenn einzelne Anbieter sich zu-rückziehen, gleichgültig aus welchen Motiven das geschieht. Wenn die Nachfrage groß genug ist, werden neue Anbieter an ihre Stelle einrücken. Wirksam wird die Wahl der Exit-Option also nur, wenn sie massenhaft geschieht oder sich eine unüberhörbare Kritik (voice) formiert. Dann können sich auch die Märkte und die sie formierenden und regulierenden Diskurse und Institutionen verändern.

Dabei ist die Entwicklung umfassenderer und dauerhafterer Reflexion inklusive ihrer Umsetzung in wirksame Selbstbindung allein von innen, also aus der Bin-nenperspektive der 'zuständigen' Akteure eher unwahrscheinlich, weil sie in der Regel von zu starken an technologischer Durchsetzung ausgerichteten Interessen

116 Vgl. Hasse/Gill, Biotechnological, 1994. 117 Vgl. Kap. 8.3.

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überlagert wird. Die Debatte von Asilomar ist zwar ein Beispiel eines von innen angestoßenen Reflexionsprozesses, nur war er nicht weitreichend, nicht dauerhaft und nicht transparent genug, um das von großen Teilen der Öffentlichkeit damals erwartete Reflexionsniveau zu erreichen. Erst das Auftreten externer Akteure, der öffentliche Diskurs und seine Umsetzung in gesetzlich verankerte Institutionen haben hier wie in vielen anderen Umweltkonflikten eine dauerhaftere und weiter-reichende Reflexion sichergestellt.

Dabei darf die Bedeutung der individuellen Reflexionsbereitschaft wissen-schaftlicher Akteure aber auch nicht unterschätzt werden. Zum einen wird der öffentliche Diskurs wohl fast in allen Umweltkonflikten durch wissenschaftliche Informationen in Gang gesetzt und am Leben erhalten, auch wenn er letztlich eine Eigendynamik entwickelt, die von der Wissenschaft nicht mehr steuerbar ist. Zum anderen laufen Institutionen leer, wenn sie nicht von den Akteuren getragen wer-den. Das ist auch bei der Umsetzung des Gentechnikgesetzes zu beobachten, dessen ungewißheitsbasierte Bestimmungen von Verwaltungsvertretern und Gen-forschern vielfach im Sinne eines stark eingeschränkten Suchhorizonts und auf Gewißheit abstellend interpretiert werden. Aber reflexive Institutionen sind auch von nachhaltiger Unterstützung im öffentlichen Diskurs abhängig, weil sie an-sonsten von widerstrebenden Akteuren grundsätzlich in Frage gestellt und revi-diert werden, wie derzeit an den Bemühungen zur Aufweichung des Gentechnik-gesetzes und der EU-Richtlinien zu beobachten ist.

Inwieweit die Gesellschaft 'auf dem Weg in eine andere Moderne' (Beck) ist, scheint demnach nicht nur vom Auftreten einzelner reflexionsbereiter Akteure oder vom Aufflackern entsprechender Diskurse abzuhängen, sondern davon, ob reflexive Institutionen etabliert werden. Reflexive Institutionen unterscheiden sich dabei deutlich von 'normalen' Institutionen, die weit weniger auf dauernde Unter-stützung angewiesen sind. Denn die Institutionalisierung von Dauerreflexion ist nicht mit der Internalisierung gewißheitsbasierter Handlungsnormen gleichzuset-zen, deren Funktion gerade darin besteht, die Akteure von Reflexion zu entlasten und die Diskurse in geordnete Bahnen zu lenken. 'Normale' Institutionen schlie-ßen also Lernprozesse ab, reflexive Institutionen müßten sie auf Dauer stellen. Denn Ungewißheit besteht - im Sinne sozialer Wirkung - immer nur insoweit fort, als sie auch immer wieder thematisiert wird. Reflexive Institutionen implizieren also das ständige Offenhalten des kognitiven und moralischen Suchhorizonts und die gesellschaftlich breit gestützte Aushandlung revidierbarer Entscheidungen.

Es stellt sich dann allerdings die Frage, ob man hier überhaupt noch von 'Insti-tutionen' sprechen kann, wenn sowohl die im Rahmen der Institutionen getroffe-nen Entscheidungen relativ leicht revidierbar sind als auch die Institutionen selbst ständig fortentwickelt werden. Wie das Beispiel der Freisetzungsregulierung tatsächlich zeigt, handelt es sich hier sowohl um 'lernendes' als auch um 'Lernen

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ermöglichendes' bzw. 'Lernen nahelegendes' Recht:118 Zum einen werden die rechtlichen Bestimmungen mit zunehmender Erfahrung ständig angepaßt - inso-fern 'lernt' das Recht selbst. Zum zweiten verbietet das Recht die Gentechnik nicht, sondern legitimiert (umstrittene) Experimente, in deren Rahmen gelernt werden kann. Zum dritten versucht das Recht zugleich aber auch, die Akteure bei ihren Experimenten zur möglichst frühzeitigen Generierung von und Auseinan-dersetzung mit Risikowissen anzuhalten.

Das Gentechnikrecht macht dabei nur wenige materielle Vorgaben, und soweit es diese macht, unterliegen diese selbst wieder - im Sinne 'lernenden Rechts' - häufiger Revision. Sein institutioneller Gehalt besteht demnach vor allem darin, die beteiligten Akteure, d.h. die Antragsteller, die Genehmigungsbehörden und die interessierte Öffentlichkeit, zu permanenten Verhandlungen darüber anzuhal-ten, was als 'zu riskant' und als 'angemessene Evidenz' anzusehen ist.119

Eine 'normale' Institution beruht auf materiellen, konditional spezifizierten Er-wartungen an die Akteure: 'Es ist angemessen, daß ihr in der Situation x die Handlung y ausführt'. Demgegenüber sind reflexive Institutionen zunächst als Meta-Erwartungen oder Diskursaufträge zu verstehen: 'Ihr sollt in der Situation x darüber verhandeln, was angemessen (und) zu tun ist'. Inwieweit dieses 'Ver-handeln' - im neutralen Sinne von 'negotiating' - eher auf dem 'zwanglosen Zwang des besseren Arguments' im Sinne des Diskursideals von Jürgen Habermas beruht oder eher auf ein 'Bargaining' zwischen Parteien mit unterschiedlichen Partikular-interessen bzw. unversöhnlichen Wertideen hinausläuft, ist zunächst eine empiri-sche Frage.120 Insoweit handelt es sich zunächst auch nur um eine Prozeduralisie-rung, die im schlimmsten Fall bedeuten kann, daß 'Recht' einfach durch (Verhand-lungs-)Macht ersetzt wird.121 Will man 'reflexive Institutionen' nicht nur als empi-

118 Vgl. im folgenden insb. die Kap. 8.1., 8.8. und 10.2.3.ff. 119 Damit soll aber nicht gesagt werden, daß die Institution hier an die Form des Rechts

gebunden wäre. Wie das Beispiel der Gentherapie deutlich gemacht hat, bestehen hier ähnliche Erwartungshaltungen im Hinblick auf frühzeitige Risikoaufklärung (vgl. insb. Kap. 9.3.5f. und 9.4.3). Demnach folgt man hier einem Step-by-step-Verfahren, obwohl es (in der Bundesrepublik) rechtlich nicht vorgeschrieben ist.

120 Zu den theoretischen Implikationen des Begriffspaars 'Verhandeln und Argumentieren' vgl. Saretzki, Argumentieren, 1996; als Beispiel einer empirisch-analytischen Untersu-chung (des TA-Verfahrens zur Herbizidresistenz) anhand dieser Begriffe vgl. Saretzki, Diskurse, 1996.

121 So wird z.B. über prozedurale Institutionen geklagt: "Die Verhandlungen zwischen Be-hörden und Bauern zum Thema Düngen haben in einigen Teilen des Landes dazu geführt, daß über Jahre hinweg die gesetzlich vorgeschriebenen Normen für Grundwas-serbelastung in bewußtem Einvernehmen aller Verhandlungspartner überschritten wur-den, ohne daß eine rechtliche Verurteilung, die von Umweltschutzgruppierungen ange-strebt wurde, noch möglich wäre. Es ist also fraglich, ob diese von Ulrich Beck beschrie-

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rische Erscheinungen verstehen, sondern in ihnen einen sozialen und ökologi-schen Fortschritt verkörpert sehen, so müssen sie auch normative Mindestqualifi-kationen erfüllen: - Sie müssen 'bessere' - d.h. beispielsweise im Ökologiebereich 'nachhaltigere' -

Ergebnisse zeitigen, als sie sich entweder im 'freien Spiel der Kräfte' ohnehin ergäben oder durch herkömmliche Institutionen, wie z.B. materielle Vorgaben durch den Gesetzgeber, zu erzielen wären.

- Sie müßten 'demokratischer' sein, also den potentiell von einer Entscheidung Betroffenen mehr und gerechtere Partizipationschancen bieten, als sie in den herkömmlichen Verfahren repräsentativer Demokratie zu gewährleisten sind.

Diese Mindestanforderungen sind interpretations- und ausgestaltungsbedürftig und stellen damit ein demokratietheoretisch wie demokratiepraktisch offenes Problem dar.122

bene und befürwortete Form einer 'Subpolitik', die den Niederlanden im Ausland große Bewunderung einbringt, tatsächlich eine Form der politischen Erneuerung ist, die wir uns wünschen sollten." (Schomberg, Analyse & Kritik 1997, S. 112)

122 Aus liberaler Perspektive ginge es darum, daß unter aktuellem Entscheidungsdruck prak-tikable und möglichst reversible Lösungen gefunden werden, während gleichzeitig die Grundsatzdiskussion und die Suche nach besseren Lösungen weitergeht. Der Antagonis-mus von differierenden Positionen und Wertideen würde wegen der sich daraus ergeben-den gesellschaftlichen Reflexionschancen begrüßt (vgl. z.B. Schwarz/Thompson, Divided, 1990, S. 137ff.). Aus einer dem Diskursideal von Habermas verpflichteten Perspektive gäbe es dagegen keinen 'Bestandschutz für Positionen'. Einzig gültiges (Meta-)Kriterium wäre die Durchsetzungsfähigkeit von Argumenten unter den Bedingungen eines delibera-tiven, (möglichst) herrschaftsfreien Diskurses. In diesem Sinne wären der Kreis der zu Beteiligenden, der Entscheidungsrahmen, die Kriterien und das Verfahren auch je erneut einer in diesem Sinne reflexiven Prüfung zu unterziehen (vgl. z.B. Saretzki, Demokratisie-rung, 1997). Aus unserer Sicht besteht der Vorzug der 'deliberativen' Perspektive darin, daß Positionen, die zwar aktuell über Macht verfügen, jedoch keine guten Argumente vorbringen können, im Diskurs nicht obsiegen könnten. Außerdem wird hier an der regu-lativen Idee universaler Vernunft festgehalten, während das liberale Modell die auf dezen-traler Ebene spezifische Gefahr in sich birgt, daß die gesellschaftliche Gesamtkoordinati-on durch inkohärente Entscheidungen unterminiert wird. Die deliberative Perspektive ist allerdings mit dem Problem konfrontiert, daß die jeweils mächtigen Positionen sich nicht ohne weiteres einem (annähernd) herrschaftsfreien Diskurs oder seinen Ergebnissen un-terwerfen. Ein weiteres Problem besteht darin, daß der im deliberativen Modell vorgese-hene 'Konsens' voraussetzen muß, daß sich Menschen aus unterschiedlichen 'Kulturen' tatsächlich verständigen und einigen können - und zwar, wenn das Modell irgendwie pra-xistauglich sein soll, unter Zeitdruck.

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11.5.2. Probleme organisationaler und funktionaler Differenzierung

Auf hohem Reflexionsniveau rücken zugleich auch Probleme ins Blickfeld, die - anders als die Umweltrisiken auf niedrigem Reflexionsniveau - mit den Mitteln der Differenzierung nicht mehr einfach zu lösen sind.

Die Probleme der Differenzierung werden zunächst schon innerhalb der Wis-senschaft sichtbar. Die Etablierung ökologisch orientierter Fachdisziplinen erhöht zwar generell auf kognitiver Ebene die Reflexionspotentiale. Solange aber die Fachdisziplinen auf kommunikativer wie organisationaler Ebene voneinander abgeschottet bleiben, können handlungsrelevante Konsequenzen erst relativ spät gezogen werden. Diese These läßt sich gut an gegenwärtigen Risikokonflikten illustrieren: Die an unerwünschten Nebenfolgen, also reflexiv orientierten Fach-wissenschaften generieren Verdacht und alarmieren zunächst die Fachöffentlich-keit. Die an erwünschten Folgen, also technisch orientierten Fachdisziplinen ver-stehen diese Einwände nicht und ignorieren sie daher. Der Streit wird dann gele-gentlich in die allgemeine Öffentlichkeit und schließlich in die politische Agenda hineingetragen. Inzwischen vergehen einige Jahre bis Jahrzehnte. Die politischen Entscheidungsträger beschließen Gesetze, die entweder nur erfahrungsbasierte Maßnahmen verlangen oder - wie die ungewißheitsbasierten, also 'früh' ansetzen-den Instrumente des Gentechnikgesetzes - bei ihrer Implementierung auf erhebli-chen Widerstand stoßen.123

Dieser Widerstand resultiert dann nicht mehr nur aus innerwissenschaftlichen Verständigungsbarrieren und professionellen Handlungsinteressen, sondern auch aus der Kollision der übergeordneten Subsysteme Wissenschaft, Politik und Recht. Wenn Ungewißheit hier zum Thema wird, lösen sich die spezifischen Konturen der Subsysteme tendenziell auf. Die Trennschärfe der kommunikativen Codes verschwimmt, und sie kommen immer weniger mit den entsprechend aus-differenzierten Handlungssystemen zur Deckung. Oder anders ausgedrückt: Wenn man an klaren Konturen festzuhalten versucht, muß Ungewißheit verdrängt und ignoriert werden.

Das gilt zunächst vor allem für das Wissenschaftssystem. Seine ausschließliche Definitionsmacht in Risikokonflikten kann nur behauptet werden, wenn man im Sinne des modernen Universalitätsanspruchs wissenschaftlicher Erkenntnis die Unterscheidung zwischen 'eindeutig wahr' und 'eindeutig falsch' zur Ausgangsba-sis aller weiteren Überlegungen macht. Doch selbst wenn man die umstrittenen kulturrelativistischen Argumente gegen den Universalismus ausklammert, er-wächst aus der unbestreitbaren Begrenztheit des Wissens ein Problem, das mit

123 Ähnliches gilt schon auf der zweiten Stufe für die Einführung integrierter Produktions-

konzepte. Diese erfordert nämlich eine interdisziplinäre und die betrieblichen Organisa-tionseinheiten übergreifende Vorgehensweise (vgl. Birke/Schwarz, Umweltschutz, 1994).

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den Mitteln der Wissenschaft jedenfalls unter aktuellem Entscheidungsdruck nicht mehr zu lösen ist. Man kann zwar an diesem Punkt auf andere, d.h. rechtli-che, politische oder religiöse Kommunikationscodes überwechseln. Die rechtliche Formel der 'Sozialadäquanz des Restrisikos' ist dafür ein Beispiel.124 Derartige Reflexionsabbrüche werden aber nicht mehr durchgängig von den potentiell Be-troffenen akzeptiert, zumindest dann nicht, wenn es wissenschaftliche Vermutun-gen im Hinblick auf größere Gefahren gibt. In modernen Risikokonflikten wird regelmäßig von allen Seiten umstrittenes Wissen einbezogen, und es ist gerade ein Zeichen eines hohen Reflexionsniveaus, wenn der Kreis der zu erörternden Argumente sehr weit gezogen wird. Andernfalls würde man sofort abstimmen, Recht sprechen oder glauben, aber das wäre offensichtlich ein Rationalitätsver-zicht. Daher muß wissenschaftliches Wissen in politische, rechtliche und meta-physische Diskurse immer enger einbezogen und zugleich mit dem Kontextwissen der Praktiker konfrontiert werden. Es kann dann nicht mehr einfach zwischen 'wahr' und 'falsch', sondern nur noch zwischen 'wahrscheinlich' und 'unwahr-scheinlich' bzw. zwischen 'plausibel' und 'unplausibel' unterschieden werden.

In ähnlicher Weise verschwimmen die klaren Konturen des Rechtssystems. Seine Funktion besteht nach klassischer Interpretation darin, Erwartungssicher-heit für die Kontrahenten herzustellen.125 In dem Maße, wie der Staat aber eine Garantenstellung gegenüber Dritten, also von den Nebenfolgen des Kontraktes Betroffenen einnimmt, ist diese Bestimmung schon seit längerem in Auflösung begriffen. Wie oben126 schon angemerkt, genießt z.B. der Betreiber einer Anlage oder der Hersteller eines Produkts keine unumschränkte Bestandsgarantie mehr für seine Tätigkeiten, da er dynamischen rechtlichen Anforderungen unterworfen ist ('Stand von Wissenschaft und Technik').127 Darüber hinaus wird durch das Step-by-step-Prinzip 'lernendes' Recht eingeführt, in dessen Rahmen durch die aktive Generierung von Risikowissen der 'Stand von Wissenschaft und Technik' jeweils erweitert wird (s.o.). Zwar steht dem Step-by-step-Prinzip im Gentechnik-recht der Genehmigungsanspruch des Antragstellers gegenüber, aber dieser fügt sich nicht in die Logik eines offenen Suchhorizonts und wird in der Vollzugspra-xis offenbar nicht zu wörtlich genommen.128 Während es die klassische Funktion gewißheitsbasierten Rechts war, nach einer rechtlich nicht determinierten Lern-phase, die zur Rechtsetzung geführt hatte, weiteres Lernen in bestimmten Berei-chen auszuschließen, indem sowohl die Eingriffsermächtigung der Exekutive wie die Handlungsmöglichkeiten der Rechtsunterworfenen begrenzt wurden, versucht

124 Vgl. Kap. 1 und Kap. 4. 125 Vgl. Weber, Wirtschaft, 1922, Kap. VII, § 8. 126 In Kap. 11.1. 127 Das beklagt Di Fabio, Risikoentscheidungen, 1994. 128 Kap. 8, Fn. 100.

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'lernendes' Recht, gerade diese Lernphase im Sinne der Wissensgenerierung zu gestalten. Hier findet also eine enge Verschränkung zwischen Wissenschafts- und Rechtssystem statt, bei der prinzipiell unklar wird, wann auf weitere Wissensge-nerierung und wann auf rechtliche Ansprüche des Antragstellers oder Dritter umzuschalten ist, zumal wenn diese im Widerstreit liegen.

Die Funktion des politischen Systems besteht unter anderem darin, Zustim-mung für mehr oder weniger einmalige Rechtsetzungsakte zu organisieren, nach deren Maßgabe dann die Verwaltung programmiert wird. Wie wir aber gezeigt haben, sind die ungewißheitsbasierten Regelungen des Gentechnikrechts, insbe-sondere das Step-by-step-Prinzip, eben wegen der zugrundeliegenden Ungewiß-heit normativ unterdeterminiert.129 Man hätte andernfalls die Gentechnik generell verbieten oder nach der Maßgabe der damals schon bekannten Einschränkungen generell erlauben müssen, was aber wieder auf eine Gewißheitsfiktion hin-ausgelaufen wäre. Die normativen Lücken zu füllen, sind weder das Wissen-schafts- noch das Rechtssystem legitimiert. Daher - und wegen der soeben aufge-zeigten Ambivalenzen zwischen Wissenschafts- und Rechtssystem - ergibt sich immer wieder die Notwendigkeit, auf politische Kommunikation umzustellen und sozialen Konsens herzustellen. Das Problem liegt aber darin, daß das Parlament in seiner gegenwärtigen Verfassung tendenziell damit überfordert ist, sich in die-sen kleinteiligen und fachlich anspruchsvollen Beratungen zeit- und sachgerecht zu engagieren, zumal diese nicht rein politisch, sondern eben auch wis-senschaftlich und rechtlich geführt werden müßten. Wenn man überdies bei der Produktzulassung eine Nutzenprüfung einführte,130 käme es außerdem zu einer Verschränkung zwischen dem Rechtssystem, dem politischen System und dem Wirtschaftssystem.

Solange Umweltrisiken ausschließlich in gewißheitsbasierter Form behandelt werden, ist eine relativ klare zeitliche und logische Abfolge der Kommunika-tionsweisen zu erkennen. Zunächst wird wissenschaftlich über mögliche Folgen debattiert, dann wird eventuell in der Öffentlichkeit moralisch über deren Wünschbarkeit räsoniert, anschließend suchen die Parteien nach Zustimmung für entsprechende Rechtssetzungsakte, und schließlich wird das Gesetz imple-mentiert und von der Verwaltung und den Gerichten angewandt. Bei ungewiß-heitsbasierter Rechtssetzung und Regulierung löst sich der sequenzielle Ablauf auf, die Grenzen zwischen den Kommunikationssystemen verflüssigen sich, und es ergeben sich positive wie negative Kompetenzkonflikte. Das Problem der Dauerreflexion wird zwischen den Handlungs- und Kommunikationssystemen hin und her geschoben, aber aufgrund ambivalenter, zwischen Wissenschaft, Moral,

129 Vgl. oben, Kap. 10.1.6. und Kap. 8.8. 130 Vgl. oben, Kap. 10.3.

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Politik und Recht changierender Konzeptualisierungen und entsprechend unklarer Zuständigkeiten am Leben erhalten.

11.5.3. Probleme und Perspektiven reflexiver Politik

Wie wir oben festgestellt haben, erscheint bei der Anwendung der Prinzipien der Konsensdemokratie131, wie wir sie oft in den kleinen nord- und mitteleuro-päischen Ländern beobachten, das Umschalten auf reflexive Politik und sozialen Konsens bzw. Kompromiß132 einfacher als bei der Anwendung der Prinzipien der Konkurrenzdemokratie, die im Gentechnikkonflikt besonders ausgeprägt in der Bundesrepublik wirksam werden.133 Daß das Umschalten in Konsensdemokratien leichter fällt, ergibt sich daraus, daß alle Konfliktparteien vorab erwarten können, daß ein Kompromiß gefunden wird, der dann auch nicht mehr sehr heftig vertei-digt werden muß, weil alle potentiell einflußreichen Konfliktakteure einbezogen wurden. Die im Kompromißfall von den beteiligten Akteuren zu bringenden Op-fer sind im allgemeinen geringer als die Transaktionskosten oder Sanktionen, die bei der Wahl der Dissensoption zu erwarten sind. In einem solchen Kontext ist auch organisationales Lernen leichter möglich, weil die Preisgabe einer ehemals gehaltenen Position intern wie extern kaum als 'Verrat' oder 'Opportunismus' gebrandmarkt wird.

Das schnelle Umschalten hat aber auch seinen Preis. Denn der Widerstreit wechselseitig sich ausschließender Gewißheiten, wie er in Konkurrenzdemo-kratien zu beobachten ist, führt zu länger anhaltenden und intensiveren Diskus-sionen sowie zu praktischen Blockadesituationen, die im Ergebnis zumindest zu einem höheren kognitiven Reflexionsniveau führen können, wie z.B. an den in

131 Das Prinzip der Konsensdemokratie bedeutet, daß alle Parteien um Kompromisse ringen,

während das Prinzip der Konkurrenzdemokratie dazu führt, daß die jeweilige(n) Mehr-heitspartei(en) ihre Vorstellungen durchsetzen, und die Minderheit sich in der Opposi-tionsrolle zu profilieren versucht. Alle westlichen Demokratien operieren mehr oder weni-ger mit beiden Prinzipien inklusive subpolitischer Varianten, wie etwa im klassischen Fall des Korporatismus oder der offenen Klassenauseinandersetzung in arbeitspolitischen Konflikten. Welches Prinzip im jeweiligen Konfliktfall die Oberhand gewinnt, hängt von den Prädispositionen der nationalen politischen Kultur, den politischen Institutionen so-wie den jeweiligen Akteurs- und Diskurskonstellationen ab (vgl. für die Behandlung des Gentechnikkonflikts im Deutschen Bundestag zur Mitte der 1980er Jahre Gill, Gen-technik, 1991, S. 167ff.).

132 vgl. Fn. 122 in diesem Kapitel. 133 Gill, S&PP 1996; bei anderen Umweltproblemen sind in Deutschland allerdings auch

andere Lösungsmuster zu beobachten (vgl. etwa zur Chemikalienregulierung Schneider, Politiknetzwerke, 1988; O'Riordan/Wynne, Regulating, 1987; Brickman et al., Control-ling, 1985).

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den USA und in der Bundesrepublik mit großem Engagement geführten Risiko- und Moraldiskussionen zu beobachten ist. Von den auf diese Weise generierten Daten und Überlegungen profitieren häufig auch andere Länder. Der Preis hierfür ist aber, daß im eigenen Land lange Zeit entweder gar nicht oder auf einem nied-rigen Niveau der ökologischen Modernisierung gehandelt wird.134

Auf der Ebene intergouvernementaler bzw. supranationaler Koordinierung, z.B. in der EG, führen die Auslegungsspielräume, die sich bei ungewißheits-basierter Regulierung ergeben, fast unvermeidlich zum Konflikt. Denn das Um-schalten von wissenschaftlicher auf politische Kommunikation, reflexive Politik also, wie sie in einigen EG-Ländern ansatzweise stattfindet, bedeutet zugleich, daß von einem universalen Prinzip - nämlich Wissenschaft - auf ein lokales Prin-zip, nämlich den in den betreffenden Mitgliedstaaten hier jeweils ausgehandelten Kompromiß, übergewechselt wird. Dies zeigt sich insbesondere bei der Marktzu-lassung transgener Organismen.135

Zwar wäre es denkbar, auch auf höherer Ebene, also z.B. EG-Ebene, auf refle-xive Politik umzuschalten - unsere Überlegungen im vorigen (Kap. 10.3.) weisen auch in diese Richtung. Aber dem sind erstens aufgrund der ganz verschiedenen politischen Kulturen und zweitens generell in umfassenderen politischen Gebilden aufgrund der wachsenden Länge und Komplexität der Vermittlungswege Grenzen gesetzt. Transnationale Lernprozesse sind zwar denkbar, aber in jedem Fall langwierig. Der Dauerdissens erscheint daher vorprogrammiert. Insofern gibt es auch Forderungen seitens der Industrie und einiger Mitgliedsländer, hier zu 'streng wissenschaftlichen' - gemeint ist: gewißheitsbasierten - Entscheidungskri-terien zurückzukehren. Allerdings muß man fragen, ob das eine auf Dauer gang-bare Alternative wäre. Die EG-Richtlinie zur Freisetzung wurde als ungewiß-heitsbasierte Regulierung gerade deshalb erlassen, um den Gemeinsamen Markt für transgene Produkte zu etablieren. Andernfalls hätten viele Mitgliedsländer eigene Bestimmungen erlassen.

Die BSE-Krise in der EG zeigt im Kontrast deutlich, was passieren kann, wenn man an gewißheitsorientierten Regelungen festhält und zuzuwarten versucht, ob sich der Risikoverdacht bestätigt. Weil man das Übergreifen wissenschaftlicher Vermutungen auf die Öffentlichkeit selten verhindern kann und gezielte Informa-tionsunterdrückung, wenn sie bekannt wird, erst recht zu einer Vertrauenskrise führt, scheinen ungewißheitsbasierte Regulierungen auch die politisch rationalere Alternative - trotz des Dauerdissenses, den sie in einem komplexen politischen System wie der EU produzieren.

134 Vgl. für die USA Jasanoff, Risk, 1986; vgl. für den Atomkonflikt in der Bundesrepublik

Ueberhorst, Energiekonsens, 1993. 135 Vgl. Kap. 8.4.3.

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11.5.4. Interferenz verschiedener Risikosphären

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung haben wir nur Umweltrisiken be-trachtet. Daneben existieren aber andere Sphären, die ebenfalls von den Neben-folgen riskanter Entscheidungen betroffen sein können. In der politischen Sphäre sind das Gefährdungen des äußeren und inneren Friedens, in der ökonomischen Sphäre potentielle Schädigungen einer angemessenen Wirtschaftskraft,136 in der sozialen Sphäre Armut und soziale Ungleichheit, in der rechtlichen Sphäre der Verlust von Rechtsstaatlichkeit und der Kohärenz des Normenprogramms etc. Es steht hier nicht an, diese Risikosphären in vergleichbarer Weise als Entwick-lungsmodelle mit aufeinanderfolgenden Reflexionsstufen zu konzipieren. Aber generell läßt sich sagen, daß die Risiken und Vorsorgestrategien aus den ver-schiedenen Sphären untereinander interferieren.

Zum einen können die Risiken aus der einen Sphäre in die andere Sphäre durchschlagen. Umweltrisiken werden zu Wirtschaftsrisiken, wenn mit einem Risikoverdacht belastete Produkte nicht mehr verkauft werden können oder eine Branche die Ressourcen der anderen Branche zerstört. Soziale Risiken werden zu politischen Risiken und diese wiederum zu wirtschaftlichen Risiken, wenn wach-sende Spannungen den inneren Frieden gefährden. Wirtschaftliche Risiken wer-den aber auch umgekehrt zu sozialen Risiken, wenn keine Transferleistungen mehr abgeschöpft werden können etc.

Zum anderen können aber auch die Vorsorgestrategien in einer Sphäre Risiken in anderen Sphären auslösen. Besonders lebhaft wird derzeit unter verschärften globalen Konkurrenzbedingungen diskutiert, inwieweit die Vorsorgestrategien im Umwelt- und Sozialbereich die Wirtschaftskraft des jeweiligen Standorts lähmen. Genauso kann man aber auch umgekehrt argumentieren, daß die Vorsorge zum Erhalt der Wirtschaftskraft - z.B. durch technische Innovationen - die Risiken im Umwelt- und Sozialbereich erhöhe.

Es gibt aber auch günstige Interferenzmuster: Vorsorgemaßnahmen zur Pro-duktsicherheit können die Wirtschaftskraft erhöhen.137 Hohe Umweltstandards beschleunigen die Entwicklung sauberer Technologien, die dann über kurz oder lang Wettbewerbsvorsprünge sichern. Soziale Vorsorge stärkte unter den Bedin-gungen relativ abgeschotteter Märkte die Massenkaufkraft und damit das Wirt-

136 Als wirtschaftliches Risiko wollen wir die Möglichkeit bezeichnen, daß der auf der Be-

trachtungsebene jeweils zu verteilende 'Kuchen' geringer wird, nicht aber die Möglichkeit, daß einzelne Gruppen ein kleineres Stück davon erhalten. Letzteres wäre eben ein Vertei-lungskonflikt.

137 Vgl. oben, Kap. 10.1.8.

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schaftswachstum.138 Soweit es gelingt, die Wirtschaft vom Verbrauch materieller Ressourcen - nicht-erneuerbarer Rohstoffe und Energie sowie Senken - zu ent-koppeln, kann Wirtschaftswachstum auch zum Erhalt der natürlichen Umwelt beitragen.

Die Steigerung des Reflexionsniveaus, so haben wir argumentiert, ist ver-bunden mit einer Reduktion der Externalisierungsmöglichkeiten für unerwünschte Folgen. Das gilt in unserem bereichsspezifischen Entwicklungsmodell zunächst nur für die Externalisierung innerhalb der jeweiligen Risikosphäre, also hier für die Verlagerung von Umweltrisiken auf entferntere Territorien und in die Zu-kunft. Es müßte aber, wenn man die Überlegung konsistent weiterzudenken ver-sucht, auch für die Externalisierung in andere Risikosphären, also z.B. für die Überlastung der Wirtschaft durch Umweltvorsorge gelten. Es liegt auf der Hand, daß hier der bereichsspezifischen Reflexion auch Grenzen gesetzt werden.

Dabei stellt sich allerdings das Problem, daß festgestellt werden muß, was als unerwünschte Externalisierung im Hinblick auf eine andere Risikosphäre gelten soll. Denn jede Vorsorgestrategie in einer Risikosphäre ist mit Kosten verbunden, die in anderen Risikosphären zu Buche schlagen können. Hohe Sicher-heitsstandards für gentechnische Produkte drosseln zwar nicht das Wirtschafts-wachstum, aber bei ansonsten gleichbleibender Produktivität den Endverbrauch - die Waren werden teurer.139 Es werden also weniger, aber dafür höherwertige Produkte konsumiert. Aus der Perspektive des Umweltschutzes wird man hier den Zweck ebenso wie die Nebenfolge gutheißen, aus der Perspektive sozialer Ungleichheit wird man bei ungleicher Einkommensverteilung die Nebenfolge als unerwünscht ansehen, weil dann breitere Kreise der Bevölkerung vom Konsum dieser Produkte ausgeschlossen werden.

Das Erreichen eines hohen Reflexionsniveaus z.B. bei Umweltrisiken ist also zunächst weniger eine eindeutig beantwortbare moralische Frage, sondern er-scheint von günstigen Interferenzen zwischen den Risikosphären abhängig. Daher ist anzunehmen, daß hohe Reflexionsniveaus wahrscheinlich zunächst nur punk-tuell und zeitlich begrenzt erreicht werden und im übrigen Regressionen, wie gegenwärtig infolge der Standortdebatte, immer wieder zu erwarten sind. Mit der unter Globalisierungsbedingungen schwindenden Regulierungskapazität des Na-tionalstaats und dem Fehlen supranationaler Äquivalente - es existieren zwar internationale Regime in einzelnen Risikosphären, aber es fehlt eine Gesamtkoor-

138 Unter den Bedingungen deregulierter Märkte funktioniert die Umverteilungspolitik aller-

dings nicht mehr richtig, und inter- oder supranationale Sozialregime sind selbst in der Europäischen Gemeinschaft kaum - und viel weniger noch auf globaler Ebene - durchzu-setzen (vgl. Streek/Schmitter, National, 1994).

139 Vgl. oben, Kap. 10.1.8.

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dination - wird ein Durchschlagen der Effekte quer durch die Risikosphären wahrscheinlicher.

11.5.5. Unterwegs in eine 'andere Moderne'?

Inwieweit sind wir unterwegs in eine 'andere Moderne'? Gibt es gar einen 'Epo-chenbruch', der bisher nur noch nicht bemerkt wurde? Selbstverständlich wäre es vermessen, anhand der vorliegenden Einzelfallstudie diese Frage abschließend beantworten zu wollen. Allerdings könnten sich hier in nuce entsprechende An-zeichen gezeigt haben.

Doch zunächst ist zurückzufragen: Was ist mit dem 'Weg in eine andere Mo-derne' oder 'Epochenbruch' gemeint? Meinen die beiden Metaphern überhaupt dasselbe, oder ist nicht ersteres eine evolutionäre und letzteres eine revolutionäre Metapher? Und weiter zurückgefragt: Hebt die 'einfache', 'lineare' oder wie auch immer genannte Moderne, die wir jedenfalls zu kennen vermeinen, mit dem Thea-terdonner der Französischen Revolution von 1789 an oder beginnt sie ganz all-mählich, schleichend und zunächst fast unbemerkt im Mittelalter in den oberita-lienischen Städten?

Wenn letzteres der Fall ist, dann stellt sich außerdem noch die Frage, ob die allmähliche Zunahme des Geldverkehrs, die ersten Handwerkersiedlungen in den freien Reichsstädten oder an den sich über 'Ausscheidungskämpfen' etablierenden Höfen etc.140 bereits den Keim einer dann über kurz oder lang zwangsläufig auf-gehenden Saat darstellten, wie man retrospektiv immer leicht zu behaupten ge-neigt ist, zumal wenn man in Gesellschaft und Geschichte gesetzmäßige Prozesse auszumachen versucht. Oder war der Prozeß vollkommen kontingent und hätte daher auch vollkommen anders verlaufen können?

Bleiben wir noch einen Moment bei der biologischen Metapher der Saat: Sie stellt eine genetische Disposition dar, aber niemand weiß, ob und wann sie keimt und wie sie sich dann entwickelt. Genetische Disposition verweist zugleich auf Vorgängerschaft. Insofern müßte 'eine andere Moderne' bereits schon in dieser angelegt sein - in Vorformen eben schon seit langem. Die Moderne wäre dann immer schon reflexiv gewesen, nur in weniger entwickelter oder auch einfach in einer anderen Form. Das ist auch die in unserem Entwicklungsmodell aufgestellte Behauptung. Dabei scheint es auch Qualitätssprünge zu geben, die den Zeitge-nossen immer dramatischer erscheinen als einem distanzierteren Beobachter.

Das würde bedeuten, daß sich die Moderne nicht nur erneut verändert, sondern daß sie schon immer anders war, als die 'einfache' Modernisierungstheorie sie

140 Vgl. Elias, Prozeß, 1936.

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konzipiert hat.141 Die reflexive Modernisierungstheorie wäre demnach in der Lage, auch retrospektiv Prozesse zu begreifen, die von der 'einfachen' Moderni-sierungstheorie nicht gesehen oder nur unzureichend erfaßt wurden. Der 'Bruch' oder die Richtungsänderung fände dann vielleicht weniger auf der ontologischen, als eher auf der epistemologischen Ebene statt. Die Moderne befände sich dem-nach schon je auf einem anderen Weg, als er von der 'einfachen' Modernisie-rungstheorie gesehen wurde und vorgesehen war. Sie würde von der reflexiven Modernisierungstheorie, die gegenüber der 'einfachen' Modernisierungstheorie relativ plötzlich die Blickrichtung ändert, nur eingeholt.

Die soziologische Beobachtung befindet sich hier in einer ähnlichen Lage wie die Akteure, die sie beobachtet. Viele von ihnen wollen die letztlich unab-weisbare Ungewißheit der Nebenfolgen ihrer Entscheidungen nicht sehen. Eben-so kann die soziologische Beobachtung die gesellschaftliche Wahrnehmung von Ungewißheit und der sich daraus ergebenden sozialen Prozesse nur ernst nehmen, wenn sie dafür Kategorien entwickelt. Andernfalls sieht die Modernisierungstheo-rie die Gesellschaft so, wie die in vermeintlicher Gewißheit befangenen Akteure ihre Lage wahrnehmen: Beide versuchen weiterzumachen wie bisher. In einer Gesellschaft, deren Selbstverständnis aber zunehmend von ihrer Realität ab-weicht, kann es dann tatsächlich zum Bruch kommen - wahrscheinlich mit katast-rophalen Folgen.

Auf der Beobachtungsebene unserer Untersuchung ist jedenfalls kein drama-tischer Richtungswechsel auszumachen. Die Ungewißheit, die wir zur zentralen Beobachtungskategorie gemacht haben, gab es schon immer in der Biologie, wie auch die Akteure konstatieren (müssen), die jetzt von Gewißheits- auf Ungewiß-heitssemantik umschalten. Sie verändert sich vielleicht mit dem Einsatz der Gen-technologie, aber auch das ist ungewiß. Wie weit die aus dem partiellen Umschal-ten auf Ungewißheitssemantik folgende gesellschaftliche Entwicklung vom vor-gezeichneten Weg - den Prognosen der modernisierungsemphatischen Akteure wie der 'einfachen' Modernisierungstheorie - abweichen wird, läßt sich noch nicht sagen. Dazu sind die beobachteten Prozesse noch zu brüchig.

Manche werden daher an ihrer Normalitätsdiagnose festhalten.142 Andere wer-den die von uns aufgezeigten Prozesse nicht als reflexive Modernisierung ansehen wollen, weil sie sich die 'andere Moderne' ganz anders vorgestellt haben. Aber ein wenig anders ist die Entwicklung der Genforschung schon: Es wird eben nicht alles gemacht, was sich die Protagonisten auf den Wunschzettel gesetzt haben,

141 Nach Stephen Toulmin z.B. gab es die Skepsis, zur der die Gesellschaft jetzt überzugehen

scheint, bereits am Anfang der Moderne, bevor mit Descartes und anderen im 17. Jahr-hundert eine gewißheitsorientierte Rationalitätsfixierung einsetzte (Toulmin, Kosmopolis, 1994).

142 Daele, Soziologische Revue 1995.

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und das nicht nur aus technologisch und ökonomisch endogenen Gründen. Der Einsatz der Gentechnologie wurde bisher nicht verhindert und wird wahr-scheinlich auch nicht verhindert werden. Aber kommt es darauf überhaupt an?

Mit der Fokussierung auf Ungewißheit und der Abkehr vom - in ihren Augen - erwiesenen Risiko der Gentechnologie sehen viele Kritiker eine Schwächung ihrer Positionen verbunden. Wenn die Gentechnologie erwiesenermaßen mit gro-ßen und irreduziblen Gefahren verbunden wäre - was indes die meisten Wissen-schaftler bestreiten -, dann müßte sie aus verfassungsrechtlichen Gründen tatsäch-lich verboten werden. Aber an den gegebenen Herrschaftsverhältnissen würde sich dadurch nichts ändern: Die Wissenschaft befindet und die Verwaltung ent-scheidet unter der Maßgabe rechtlicher Generalklauseln ('nach dem Stand der Wissenschaft'). Oder um es mit Niklas Luhmann auszudrücken: "Andere Ent-scheidungen bedeuten nicht eine andere Ordnung, sie sind nichts weiter als Ent-scheidungen: Eine Straße wird gebaut oder nicht gebaut. Raketen werden statio-niert oder nicht stationiert. Ein giftmüllbeladenes Schiff läuft aus dem Hafen aus oder läuft nicht aus ..."143 Wäre die Gentechnik verboten worden, würden statt-dessen andere, ebenfalls mit Ungewißheit behaftete Technologien entwickelt.

Dagegen könnte die Wahrnehmung der stets vorhandenen Ungewißheit und ih-re politische Berücksichtigung tatsächlich eine andere Ordnung hervortreiben. Wenn sich die aufgezeigten Trends fortsetzen und sich der Übergang von der Gewißheits- zur Ungewißheitssemantik auf längere Sicht und auf breiterer Front vollzieht, ist auch mit umfassenderen Veränderungen zu rechnen. Es könnten sich dann Politikformen entwickeln, die demokratischer, adaptiver und lernfähiger wären.

143 Zit. n. Wolf, KJ 1986, S. 262.

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Anhang 1: Methodische Überlegungen zu Auswahl, Verlauf und Auswertung der Interviews

Die folgende Darstellung methodischer Überlegungen gilt für die vor allem in den Kapiteln 7 - 9 verwendeten Interviewdaten.

A 1. Erkenntnisziele beim Einsatz der Interviewmethode

Nicht-standardisierte Interviews haben sich in jüngerer Zeit im Zeichen der Re-naissance qualitativer Methoden in der empirischen Sozialforschung zum Stan-dardinstrument entwickelt, dessen Einsatz kaum noch begründungspflichtig er-scheint. Häufig wird es, obwohl auch andere Datenzugänge denkbar wären, als ausschließliches Erhebungsinstrument eingesetzt.

Dagegen erscheint es uns wichtig, die praktischen und theoretischen Beschrän-kungen im Auge zu behalten, die sich hier ergeben. Wenn es - wie im vorliegen-den Fall - um die Untersuchung eines politischen und sozialen Konflikts geht, ist zum einen mit Zugangsschwierigkeiten zu rechnen, zum anderen werden die In-terviewpartner (IP) häufig nicht mehr und nichts anderes sagen, als auch anhand von öffentlichen Dokumenten zu erfahren ist. Denn in diesen Dokumenten ist eine - häufig innerhalb der entsprechenden Organisationen sorgfältig abgestimmte - Sichtweise der Situation niedergelegt, die allen antizipierten und strategisch wich-tigen Verwendungszusammenhängen der preisgegebenen Informationen Rech-nung trägt. Wenn sich die IP doch zu weitergehenden Aussagen 'hinreißen' lassen, kann man diese meistens aus forschungsethischen Gründen nicht direkt verwen-den. Daher ist es oft schon aus Gründen der Forschungsökonomie - Interviews sind schließlich in jeder Hinsicht aufwendig - ratsam, gleich auf veröffentlichte oder zugänglich gemachte Dokumente zurückzugreifen, zumal diese im Hinblick auf faktische Details ohnehin meist präziser sind als das Erinnerungsvermögen der IP.

Andererseits stellen Interviews aber eine wichtige Ergänzung zur Dokumen-tenanalyse dar. So ist es häufig der Fall, daß im Rahmen von Interviews Doku-mente zugänglich gemacht werden, die man ansonsten nicht erhalten oder nicht beachtet hätte.1 Außerdem kann man im Dialog mit den IP die Entstehungs-kontexte und Sinnzusammenhänge oft besser klären, als dies allein anhand der Zusammensicht der Dokumente möglich wäre. Schließlich ist der Einsatz der

1 Vgl. Hucke/Wollmann, Methodenprobleme, 1980.

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Interviewmethode immer dann erforderlich, wenn es zu dem jeweils interessie-renden Thema keine anderen Daten gibt.

Vor allem aus dem zuletzt genannten Grund haben auch wir in der Untersu-chung auf die Anwendung der Interviewmethode zurückgegriffen. Wichtigstes Ziel war dabei die Erhebung von ergänzenden Daten zu Interaktionen innerhalb der Behörden, zwischen Behörden und Antragstellern sowie innerhalb der befrag-ten Arbeitsgruppen. Denn gerade zum letzten Punkt lagen bis dato keine systema-tischen Aussagen vor.2

A 2. Überlegungen zur Auswahl der befragten Arbeitsgruppen3

Leitgedanke bei der Auswahl der befragten Arbeitsgruppen war die Überlegung, in welchen Anwendungsfeldern der Gentechnik am ehesten mit vergleichsweise brisanten Entscheidungen in der Forschungssituation selbst zu rechnen sei. Es sollten gezielt Gruppen ausgewählt werden, bei denen erwartet werden konnte, daß sie ihre Forschungsentscheidungen aufgrund von inneren oder äußeren An-trieben 'reflektieren' (vgl. Kap. 11). Es ging uns also nicht darum, ein 'repräsenta-tives' Bild der Genforschung zu zeichnen - was angesichts von ca. 2000 Genla-bors und den bei qualitativen Studien notwendigen Beschränkungen der Fall-auswahl sowieso allenfalls im Sinne der Kontrastgruppenbildung4 möglich gewe-sen wäre -, sondern um die aus theoretischen Überlegungen5 sich ergebende Fra-ge, ob es Nebenfolgenreflexion in der Genforschung tatsächlich gibt und wie sie sich gegebenenfalls qualitativ gestaltet. Daher wurden ein Freisetzungsprojekt, das der Sicherheitsforschung gewidmet ist (vgl. Kap. 8), und ein Gentherapie-projekt (vgl. Kap. 9) ausgewählt.

Außerdem war geplant, verschiedene Typen der Forschungsorganisation - Uni-versität versus große Industrieunternehmen - näher zu untersuchen. Daher sollte auch eine Fallstudie zur Pharmaforschung in der Industrie vorgenommen werden. Allerdings mußten hier Abstriche gemacht werden, weil es bei der Großindustrie erhebliche Zugangsschwierigkeiten gab (s.u.) und im Laufe der Zeit auch for-schungsökonomische Beschränkungen hinzukamen - die Untersuchung des Gen-

2 Die Untersuchung von Hasse et al. bezieht sich vor allem auf die Entwicklung von For-

schungsmethoden, Denkstilen und Forschungszielen in der Molekularbiologie, während der Umgang mit Nebenfolgen nur am Rande gestreift wird. Gleichwohl war diese Studie in inhaltlicher wie methodischer Hinsicht wichtig als Hintergrund für die Konzeption unserer eigenen Untersuchung (Hasse et al., Technologisierung, 1994).

3 Die entsprechenden Interviewnummern sind in diesem Anhang unter Punkt A 9 aufgeführt. 4 Vgl. Hasse et al., Technologisierung, 1994, S. 39f. 5 Vgl. Gill, Soziale Welt 1994.

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therapieprojekts hatte sich aufgrund der dort nachzuvollziehenden interdis-ziplinären Kooperation zwischen zwei Arbeitsgruppen (vgl. Kap. 9) als doppelt aufwendig erwiesen. Daher konnten im Bereich der Industrie nur ein ausführli-ches Interview sowie ein Hintergrundgespräch und eine briefliche Befragung durchgeführt werden.

A 3. Überlegungen zur Auswahl der übrigen Gesprächspartner6

Mit der Auswahl der übrigen Gesprächspartner wurde versucht, das sich erge-bende Bild abzurunden. Zum einen wurde bei den Universitäten, der die unter-suchten Arbeitsgruppen angehören, Gespräche mit den in der Universitäts-verwaltung zuständigen Personen über die Organisation der Betreiberverant-wortung geführt. Zum zweiten wurden auf Länderebene mit unterschiedlichen Vollzugsaufgaben betraute Personen befragt. Schließlich wurde im Hinblick auf die administrative Handhabung von Freisetzungen um Interviews mit Vertretern der zuständigen Bundesbehörden nachgesucht. Der Vertreter des Robert-Koch-Instituts wollte unsere Fragen allerdings nur schriftlich beantworten.

A 4. Zugangsbedingungen

Abgesehen von diesem Fall, der sich erklärtermaßen aus der Intention ergibt, nur eine intern abgestimmte 'Amtsposition' nach außen geben zu wollen, gab es bei der Verwaltung keine Auskunftsprobleme. Auch die Reaktion auf die Bitte um Nachweis oder Zusendung von schriftlichen Dokumenten (Jahresberichte, parla-mentarische Anfragen etc.) war im allgemeinen sehr entgegenkommend.

Wie schon erwähnt, gab es bei der Industrie erhebliche Zugangsschwierig-keiten. Nur drei der zehn von uns angeschriebenen großen Firmen mit Hauptsitz in Deutschland sind auf unser Gesprächsersuchen überhaupt eingegangen. Einige Firmen haben gar nicht geantwortet. Ablehnungen wurden damit begründet, daß man 'keine Zeit' habe. Da im Zuge der Standort- und Novellierungsdiskussion die Gentechnologie von den Wirtschaftswissenschaften als Thema 'entdeckt' wurde, sind viele Firmen offenbar 1993/1994 mit einer Welle von Interviewanfragen konfrontiert worden. Insofern ist der Ablehnungsgrund nicht zwangsläufig vorge-schoben. Auch von anderen Forschern wurde uns von vergleichbaren Zugangs-schwierigkeiten bei der Industrie berichtet. Jedenfalls gibt es keine Hinweise, daß

6 Die entsprechenden Interviewnummern sind in diesem Anhang unter Punkt A 9 aufgeführt.

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die Zugangsschwierigkeiten etwas damit zu tun hätten, daß die großen Industrie-unternehmen 'etwas zu verbergen hätten', wie man naheliegenderweise vermuten könnte. Daß die Sicherheitslage hier deutlich besser ist als etwa an den Univer-sitäten, wird auch durch die Erhebungen und Auskünfte der Länderbehörden eindeutig bestätigt.

Der Vorgang der Selbstauswahl, auf dem die hier zusammengetragenen Infor-mationen beruhen, ist eher bezeichnend für den mißtrauischen und Mißtrauen erweckenden Umgang der meisten großen deutschen Unternehmen mit der deut-schen Öffentlichkeit, die ihrerseits ihre Kritik an der Gentechnik bevorzugt an die großen Unternehmen adressiert und daher zu der hier entstandenen Mißtrau-ensspirale selbst mit beiträgt. So wollten auch die beiden Unternehmen, die zö-gerlich auf die Anfrage eingingen und dann in Form eines Hintergrundgesprächs und eines Briefes auf unsere Fragen geantwortet haben, sehr genau wissen, ob un-sere Untersuchung für sie nützlich sein könnte. Lediglich ein Unternehmen war umstandslos gesprächsbereit - es hatte bezeichnenderweise bisher, nach eigenen Angaben, auch keine Probleme mit direkt ausgerichteter Kritik von seiten der Öffentlichkeit.

Im Unterschied zu den großindustriellen Forschungsorganisationen war es bei den universitären Arbeitsgruppen nicht besonders schwierig, Gespräche anzubah-nen. Nur eine Arbeitsgruppe (in der klinischen Medizin) hat sich gegen eine Be-fragung gesperrt. Es wurden jeweils zunächst die Arbeitsgruppenleiter angespro-chen und unser Untersuchungsvorhaben vorgestellt. Die Arbeitsgruppenleiter haben dann ihre Mitarbeiter gefragt, ob sie grundsätzlich bereit wären, an der Befragung teilzunehmen. Dann wurde das Projekt noch einmal in einer Arbeits-gruppensitzung erläutert. Schließlich wurden mit den infrage kommenden Perso-nen Einzelgespräche geführt. Hier gab es praktisch keine Weigerungen. Auch in den Interviews selbst wurde keine der von uns gestellten Fragen zurückgewiesen.

Insofern können wir davon ausgehen, daß die Selektivität der hier erhobenen Interviewdaten weitgehend auf unseren Auswahlkriterien beruht und nicht von krassen Selbstauswahleffekten überlagert wird - etwa in dem Sinne, daß nur in ihrer Selbstwahrnehmung besonders 'gesetzestreue' Labors zur Teilnahme an den Interviews bereit gewesen wären. Allerdings ist anzunehmen, daß For-schungsorganisationen bzw. Labors mit (selbst wahrgenommenen) gravierenden Organisationsmängeln sich unserer Befragung verweigert hätten.

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A 5. Interviewmethode und Gesprächsverlauf

Die zugrundegelegte Interviewmethode läßt sich am besten als Mischtyp zwi-schen 'Experteninterview'7 und 'problemzentriertem Interview'8 charakterisieren. Während beim Experteninterview im allgemeinen reine Sachfragen thematisiert werden und dem IP die alleinige Definitionsmacht für seine Sichtweise der Dinge eingeräumt wird, geht die Konzeption des problemzentrierten Interviews davon aus, daß auch die Involviertheit des IP selbst mit dem Problem zur Sprache ge-bracht wird und daß auch konfrontierende Interventionen seitens des Interviewers sinnvoll sein können, wenn es um die Klärung von scheinbaren oder tatsächlichen Widersprüchen in der Aussage des IP geht. Auch das 'Nachhaken' bei (scheinba-ren) Ausweichreaktionen seitens des IP ist zulässig. Diese Interventionen wäh-rend des Interviews sind vor allem auch deshalb angezeigt, um nicht später in der Auswertung auf mehr oder weniger willkürliche Interpretationen angewiesen zu sein. Mit anderen Worten: Die Interpretationsarbeit wird in die Interviewsituation selbst verlegt, indem eine kooperative Klärung offener Fragen zwischen In-terviewer und IP angestrebt wird.

Die Gespräche dauerten zwischen ca. 30 Minuten und drei Stunden. Die Dauer war von dem Kenntnisstand der IP zu den jeweils interessierenden Fragen, ihrer Expressivität und ihrer zeitlichen Belastung abhängig. Wie auch von sozial voll-ständig anderen Interviewsituationen berichtet,9 wurden die - selbstverständlich um einen sachlichen Ton bemühten - Interventionen des Interviewers ohne er-kennbare Widerstände akzeptiert und wahrscheinlich eher als Stimulanz und Herausforderung (im positiven Sinne) wahrgenommen als ein auf vollkommen passives Feedback ('mmh, mmh') sich beschränkendes Interviewerverhalten, wie es in der Methodenliteratur häufig empfohlen wird.

Selbstverständlich sind die so erhobenen Daten auch durch das Interviewer-verhalten beeinflußt. Das sind sie aber in jedem Fall. Es ist eine Illusion zu glau-ben, daß es eine 'im Feld' objektiv und unabhängig von den wechselnden sozialen Situationen gegebene Sichtweise überhaupt gäbe, und daß sie ohne verzerrenden Einfluß seitens des Interviewers erhoben werden könnte.10 Denn ganz gleich, wie

7 Hucke/Wollmann, Methodenprobleme, 1980; Meuser/Nagel, ExpertInneninterviews, 1991. 8 Witzel, Verfahren, 1982. 9 Witzel, Verfahren, 1982. 10 Vgl. Welzer, Soziale Welt 1995. Abgesehen von Informationen über Tatbestände, die von

den IP aus strategischen Gründen verzerrt dargestellt werden können, wurde auch nach Einstellungen und Erwartungen gefragt. Auch diese sind nicht einfach gegeben, sondern werden in der Gesprächssituation in der konkret zum Ausdruck kommenden Form aktuell erzeugt. Allerdings ist davon auszugehen, daß hier nicht beliebige Reaktionen durch den Interviewer hervorgerufen werden können, sondern daß durch den sozialen und biographi-

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sich der Interviewer verhält, werden die IP ihre eigenen Überlegungen anstellen, was der Interviewer 'hören will', wie er die erhobenen Daten verwenden könnte und was sie ihm daher mitteilen möchten. Gerade wenn er sich sehr passiv und unbestimmt verhält, wird er Projektionen Vorschub leisten, die dann weder von den IP noch von ihm selbst zu kontrollieren sind.

Die wechselseitigen Projektionen werden - was in der Methodenliteratur sel-tener diskutiert wird - wohl vor allem bei den Anbahnungsgesprächen geprägt. Wir haben schon in unseren Anschreiben deutlich gemacht, daß es uns letztlich um den Schutz für Gesundheit und Umwelt geht (und nicht vorrangig um den 'Industriestandort'), wir aber auch Zweifel an der vollständigen Angemessenheit des Gentechnikgesetzes und seiner gegenwärtigen Vollzugsformen hegen. Inso-fern haben wir sicher teilweise auch nolens volens ein 'sozial erwünschtes' Ant-wortverhalten provoziert.

Dadurch, daß jeweils mehrere Mitglieder einer Arbeitsgruppe befragt wurden, sind die Spielräume strategisch verzerrter Darstellungen jedoch wahrscheinlich eingeschränkt worden, zumindest soweit es sich um Fragen handelte, bei denen die IP damit rechnen mußten, daß ihre Antworten in Widersprüche mit den Aus-sagen anderer Mitglieder geraten würden. Vorabgestimmte Aussagen zu einzel-nen Punkten sind zwar nicht auszuschließen, es haben sich jedoch keine ent-sprechenden Hinweise - etwa in Form stereotyper Sprachregelungen - im Ant-wortverhalten finden lassen. Im übrigen wurden die Interviews möglichst offen geführt - der Leitfaden war den IP nicht im Detail bekannt, er wurde nur als grobe Merkliste benutzt und es wurden konkrete Nachfragen gestellt -, so daß komple-xere Verzerrungen weitgehend ausgeschlossen werden können. Allerdings war festzustellen, daß es zwischen und in den Arbeitsgruppen Unterschiede dahinge-hend gab, auf möglicherweise 'heiklere' Fragen eher pauschal und ausweichend oder detailliert und offen zu antworten. Potentiell 'anstößigere' Antworten - etwa im Hinblick auf Regelverletzungen im eigenen Labor, zum Sinn von gesetzlichen Regeln und kulturellen Tabus (Keimbahneingriff) - kamen bezeichnenderweise nur von Arbeitsgruppenleitern (Professoren) bzw. in einem Fall von einem Tech-niker mit ebenfalls gesicherter Berufsposition. Allen IP wurde (selbstverständlich) die Anonymität ihrer Aussagen sowie die Möglichkeit zur Autorisierung der ver-wendeten und von ihnen stammenden Interviewpassagen zugesichert.

schen Hintergrund des IP eine Bandbreite determiniert ist, innerhalb derer sich das Ant-wortverhalten bewegen kann. Durch gezielte Eskalation der (Nach-)Fragen kann der Inter-viewer diese Bandbreite der vorhandenen Denk- und Bewertungsspielräume 'testen' und gewinnt damit auch Hinweise auf Reaktions- und Veränderungsbereitschaften der IP in 're-alen' Situationen.

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A 6. Auswertung und Validierung

Alle Interviews - mit zwei Ausnahmen (Hintergrundgespräche) - wurden auf Ton-träger aufgezeichnet und vollständig transkribiert. Die Auswertung erfolgte durch den Interviewer (B.G.) selbst. Bei der ersten Lektüre wurden Stichwörter für die sich daran - in zweiter Lektüre - anschließende Kodierung erstellt. So wurde sichergestellt, daß nicht nur vorgefaßte, sondern auch anhand der ersten Lektüre sich induktiv ergebende Auswertungskategorien berücksichtigt werden konnten. Bei der schriftlichen Abfassung des Endberichts wurde darauf geachtet, daß die getroffenen Aussagen nicht nur mit den jeweils in Bezug genommenen Textstel-len, sondern auch mit der Gesamtaussage des jeweiligen Interviews in Einklang stehen.

Eine kollektive Auswertung im Sinne einer Interpretationsgruppe erschien uns nicht angezeigt. Zum einen hätte nur der Interviewer selbst über das für das Ver-ständnis vieler Interviewpassagen notwendige Kontext- und Hintergrundwissen verfügt. Zum zweiten waren wohl die allermeisten Verständnisprobleme durch den Einsatz der problemzentrierten Methode schon im Interview selbst ausge-räumt worden (s.o.). Und zum dritten erscheint es uns überhaupt fraglich, ob eine Interpretationsgruppe eher zu einer angemesseneren Interpretation gelangt als ein einzelner Auswerter. Ein einzelner Auswerter hat seine Interpretation immer selbst zu verantworten und wird in seinen Schlußfolgerungen entsprechend vor-sichtiger sein als eine Interpretationsgruppe, in der die Verantwortung diffundiert und die sich dann im Zuge entsprechender Gruppendynamik berechtigt und stark fühlen kann, von einer vermeintlich 'höheren Warte' aus über die 'Forschungsob-jekte' zu urteilen.

Die Validierung der Interviewergebnisse selbst erfolgte im Rahmen der schon aus anderen Gründen notwendigen Autorisierung (s.o.).11 Die insgesamt in der Untersuchung getroffenen Aussagen sind - im Sinne der Methodentriangula-tion12 zusätzlich auf die Dokumentenanalyse und auf die langjährige teilnehmende Beo-

11 Den IP wurden die entsprechenden Bezugnahmen sowie die sinngemäß angrenzenden

Passagen aus dem umliegenden Text zugesandt mit der Bitte, sich bei Bedarf innerhalb von sechs Wochen zu melden. Von fünf IP wurden teils kleinere, teils umfassendere Kor-rekturen ihrer Aussagen vorgenommen. Im wesentlichen handelte es sich dabei um Glät-tungen etwas zugespitzterer Äußerungen und stilistische Änderungen, die den Text mehr dem in der Schriftsprache üblichen 'gehobeneren' Ton anglichen. Ein IP verweigerte die Autorisierung mit der Begründung, sich an das Gesagte nicht mehr erinnern zu können. Den Änderungs- bzw. Rückzugswünschen wurde selbstverständlich entsprochen. Infolge der Änderung an einer Interviewpassage mußte auch unsere anschließende Interpretation leicht korrigiert werden.

12 Instruktiv in diesem Sinne Thienen, Beratungswelt, 1990.

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bachtung bzw. beobachtende Teilnahme der Projektmitarbeiter im politischen Gentechnikdiskurs gestützt.

A 7. Belastbarkeit und Generalisierbarkeit der Interviewdaten

Besonders infolge der erörterten Selektivität bei der Auswahl der IP und der 'Konstruiertheit' der Interviewaussagen ergeben sich Einschränkungen im Hin-blick auf die Generalisierbarkeit und Belastbarkeit dieser Daten. Darauf wurde im Text bereits hingewiesen (z.B. Kap. 9, S. 298; Kap. 11, S. 377). Allerdings be-ruht die Studie, wie schon mehrfach erwähnt, nicht nur auf diesen Daten. Vielfach wurden die Interviewaussagen vor allem als lebensnahe Illustration herangezo-gen.

Zu bedenken ist auch, daß sich viele der hier getroffenen Aussagen nicht allein auf das Interviewmaterial stützen. Wenn wir z.B. behaupten, daß 'Reflexion' im umfassenderen Sinn nicht nur die Sache 'reflexiver Akteure' sein kann, sondern auch reflexive Institutionen voraussetzt (vgl. Kap. 11.5.1.), so wird hier schon aufgrund theoretischer Überlegungen von einer stärkeren Belastung der Inter-viewdaten Abstand genommen. Die Behauptung, daß das Gentechnikgesetz sei-nem Gehalt nach teilweise eine 'reflexive Institution' darstelle (ebd.), ergibt sich ohnehin aus unserer Interpretation des Gesetzestextes und nicht des Inter-viewmaterials. Inwieweit diese Interpretation auch in der Praxis Gültigkeit besitzt - also von den Vollzugsvertretern und Rechtsunterworfenen geteilt wird -, wird von uns selbst, auf der Basis entsprechender empirischer Hinweise und Gegen-beispiele, durchaus skeptisch beurteilt. Aber auch diese Skepsis stützt sich nicht nur auf die Interviewaussagen, sondern auch auf veröffentlichte Dokumente.

A 8. Redaktionelle Bearbeitung der zitierten Interviewpassagen

Die zitierten Interviewaussagen wurden in zweierlei Hinsicht redaktionell überar-beitet: - Sie wurden der Schriftsprache angeglichen, d.h. erforderlichenfalls wurden

redundante Redewendungen und Denkpausengeräusche gestrichen sowie un-vollständige zu vollständigen Sätzen umgebaut. Außerdem wurden sie von All-tagsjargon leicht bereinigt.

- Um einer möglichen Reidentifizierbarkeit des IP entgegenzuwirken, wurden an manchen Stellen konkrete Angaben durch sinngemäße allgemeinere Angaben ersetzt.

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A 9. Liste der Interviews und Hintergrundgespräche

Gentherapie (zwei Arbeitsgruppen): Int. Nr. 1: 31.1.1995; Int. Nr. 2: 1.2.1995; Int. Nr. 3: 1.2.1995; Int. Nr. 4: 31.1.1995; Int. Nr. 5: 10.1.1995; Int. Nr. 6: 9.1.1995; Int. Nr. 7: 10.1.1995; Int. Nr. 8: 9.1.1995; Int. Nr. 9: 8.3.1995; Int. Nr. 10: 19.4.1995

Freisetzung: Int. Nr. 11: 18.11.1994; Int. Nr. 12: 28.11.1994; Int. Nr. 13: 5.12.1994 (Autorisierung verweigert); Int. Nr. 14: 11.11.1994; Int. Nr. 15: 21.11.1994

Universitätsverwaltung: Int. Nr. 16: 19.9.1995; Hintergrundgespräch Nr. 1 (Ton-bandaufzeichnung abgelehnt): 12.10.1995

Industrie: Int. Nr. 17: 12.5.1995; Hintergrundgespräch Nr. 2 (Tonbandaufzeich-nung abgelehnt): 14.11.1994

Länderverwaltungen: Int. Nr. 18: 24.6.1994; Int. Nr. 19: 13.10.1995; Int. Nr. 20: 18.5.1994

Einvernehmensbehörden zur Freisetzung: Int. Nr. 21: 10.3.1995; Int. Nr. 22: 7.3.1995

Wissenschaftlich fundierte Gentechnikkritik: Int. Nr. 23: 4.5.1995 Experte in Dänemark: Int. Nr. 24: 7.4.1995

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Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen

ABl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften AMG Arzneimittelgesetz AÖR Archiv des öffentlichen Rechts ARSP Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie AtRS Atomrechts-Symposium BBA Biologische Bundesanstalt BBS Beauftragter für Biologische Sicherheit BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. I Bundesgesetzblatt, Teil I BGH Bundesgerichtshof BSeuchG Bundes-Seuchengesetz BT-Dr. Bundestags-Drucksache BVerfG, Bd. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG, Bd. Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft DG Generaldirektion der EG-Kommission DNA, DNS Desoxyribonucleinsäure DÖV Die Öffentliche Verwaltung DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt ESchG Embryonenschutzgesetz EuGRZ Europäische Grundrechtszeitschrift EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht FDA Food and Drug Administration (US-Bundesbehörde) FuE-Prozeß Forschungs- und Entwicklungsprozeß GefStoffV Gefahrstoff-Verordung GenTAufzV Gentechnik-Aufzeichnungs-Verordnung GenTG Gentechnik-Gesetz GenTSV Gentechnik-Sicherheits-Verordnung GenTVfV Gentechnik-Verfahrens-Verordnung GG Grundgesetz GID Gen-ethischer Informationsdienst GMO Genetically Modified Organism GMP Good Manufacturing Practice

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GVO Gentechnisch veränderter Organismus HdBStR Handbuch des Staatsrechts HHG Hessisches Hochschulgesetz HRG Hochschulrahmengesetz HR-TA Verfahren zur Technikfolgenabschätzung des Anbaus von

Kulturpflanzen mit gentechnisch erzeugter Herbizidresistenz am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), Dokumentation in 18 Heften, WZB-papers FS II 94-301 bis WZB-papers FS II 94-318, zu beziehen über das WZB

HUG Hessisches Universitätsgesetz IP Interviewpartner IUR Informationsdienst Umweltrecht (ab 1993: Zeitschrift für

Umweltrecht, ZUR) i.V.m. in Verbindung mit JZ Juristen Zeitung KJ Kritische Justiz KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechts-

wissenschaft KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie LAG Länderausschuß Gentechnik MPI Max-Planck-Institut NIH National Institutes of Health (Bundesbehörde in den USA) NJW Neue Juristische Wochenschrift NuR Natur und Recht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht OECD Organisation for Economic Cooperation and Development OVG Oberverwaltungsgericht ÖZS Österreichische Zeitschrift für Soziologie PHI Produkt Haftpflicht International PrOVG, Bd. Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts PVS Politische Vierteljahresschrift RAC Recombinant DNA Advisory Committee (in etwa vergleich-

bar der ZKBS in Deutschland) RIW Recht der Internationalen Wirtschaft RKI Robert-Koch-Institut RNA, RNS Ribonucleinsäure RP Regierungspräsidium

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S&PP Science & Public Policy SAGB Senior Advisory Group on Biotechnology (Interessenvertre-

tung großer Chemiefirmen auf EU-Ebene) StGB Strafgesetzbuch STHV Science, Technology & Human Values TA Je nach Kontext entweder Technikfolgenabschätzung oder

Technischer Angestellter TAB Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bun-

destag UBA Umweltbundesamt UmweltHG Umwelthaftungsgesetz UPR Umwelt- und Planungsrecht UTR Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts VersR Versicherungsrecht VerwArch Verwaltungsarchiv VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staats-

rechtslehrer WHO World Health Organisation WissR Wissenschaftsrecht, Wissenschaftsverwaltung, Wissen-

schaftsförderung ZfS Zeitschrift für Soziologie ZfU Zeitschrift für Umweltpolitik & Umweltrecht ZG Zeitschrift für Gesetzgebung ZKBS Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit ZKBSV ZKBS-Verordnung (nach GenTG) ZMBH Zentrum für Molekulare Biologie Heidelberg ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZUR Zeitschrift für Umweltrecht

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Schaubild 1: Heuristische Typologie potentieller Risiko- oder Überraschungsquellen der Gentechnologie Bezugnahme der Analogien Analoge Ereignisse Mögliche Vorsorge- Bewertung der Vor- (Risikogenese) in der Vergangenheit maßnahmen sorgemaßnahmen

Eigenschaften der Aus- z.B. Pathogenitätssteige- erfahrungsbasiert: be- Konsens gangsorganismen ('addi- rung bei Mikroorganismen grenzbare und erprobte tive' Risikoabschätzung) Maßnahmen Wechselwirkung in neuen z.B. Einführung exotischer ungewißheitsbasiert: tendenzieller Kontexten ('synergistische' Organismen (vgl. Kap. 2) Step-by-step-Prinzip Dissens Risikoabschätzung) (vgl. Kap. 8) Entdeckung neuer z.B. 'transkingdom gene ungewißheitsbasiert: tendenzieller Wirkmechanismen transfer', 'springende Gene' Sicherheitsforschung, Dissens generelle Vorsicht Neue Theorien ⇒ Grund- z.B. Pasteur, Koch im 19. Jh.; Förderung paradigmati- Dissens, Nichtbe- sätzliche Neukonzeption heute: z.B. Theorie morphoge- scher Vielfalt, generelle achtung des der Wirkmechanismen netischer Felder (vgl. S. 52f.) Vorsicht Problems