Robert Walser Briefe...informationen. Die Robert Walser-Stiftung Bern schätzt sich...

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  • Robert WalserBriefe -

    Herausgegeben von Peter Stocker und Bernhard Echte

    Unter Mitarbeit von Peter Utz und Thomas Binder

    Suhrkamp Verlag

  • Erste Auflage © Suhrkamp Verlag Berlin Alle Rechte vorbehalten, insbesondere dasder Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.Umschlag: Brian BarthSatz: Satz-Offizin Hümmer GmbH,WaldbüttelbrunnPrinted in GermanyISBN ----

  • Inhalt

    Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Briefe - . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  • Inhalt

    Briefe - . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  • Inhalt

    NachwortRobert Walsers Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Editionsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    DokumenteVerlagsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Honorarbelege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absagebriefe in Formularform . . . . . . . . . . . . . . . . Drittbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    AbbildungenBriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Porträts von Robert Walser . . . . . . . . . . . . . . . . .

    RegisterKommentiertes Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . Korrespondenzregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    VerzeichnisseLiteraturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Archivverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Editionskonkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    ZeittafelnBiografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korrespondenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wohnadressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Detailliertes Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . .

  • Zu dieser Ausgabe

    Nachdem Robert Walsers Werk in den er- und er-Jah-ren ein breites Publikum gefunden hatte, richtete sich die Auf-merksamkeit bald auch auf seine Lebensgeschichte. Parallel zuden ersten Bänden der Gesamtausgabe brachte der Kossodo-Ver-lag eineWalser-Biografie heraus, verfasst von Robert Mäch-ler. Sie konnte sich auf die Kenntnis einer Reihe privater und ge-schäftlicher Korrespondenzen stützen – so auf frühe Schreiben anWalsers literarischen Entdecker Josef Viktor Widmann, auf denBriefwechsel mit Christian Morgenstern, einen Teil der Korre-spondenz mit den Verlagen Huber und Rascher sowie die mitMax Rychner, Otto Pick undMax Brod. Außerdem hatte Mäch-ler Zugang zu den umfänglichen privaten Briefschaften von Frie-da Mermet und Therese Breitbach, die Walser als einen unge-wöhnlich faszinierenden Briefschreiber zeigen. Es lag demnachnahe, die Gesamtausgabe seiner Werke mit einem Briefband ab-zuschließen. Der unter der editorischen Verantwortung vonJörg Schäfer und Robert Mächler erschienene Band versammeltKorrespondenzstücke – zumweitaus größten Teil vonWalserselbst. DieHerausgeber wiesen darauf hin, aus Platzgründen eineAuswahl vorgenommen zu haben, und deuteten im Kommentaran, dass bei gründlichen Bemühungenweitere Funde zu erwartenseien. In der publiziertenTaschenbuch-Ausgabe der Editionfanden sich dann Nachträge.

    Das stetig gewachsene Interesse an Walser mobilisierte in derFolge bei vielen Forschern und Walser-Liebhabern beträchtlicheEnergien. In den zurückliegenden drei Jahrzehnten wurden da-durch zahlreiche unbekannte Texte und biografischeMaterialienaufgefunden. Nirgends war der Zuwachs jedoch so groß wie beiWalsers Briefen. So kann die vorliegende Ausgabe insgesamt Korrespondenzstücke vorlegen – davon von WalsersHand und Schreiben an ihn, wasmehr als eine Verdoppelungder ursprünglichen Ausgabe bedeutet. Der größte Teil des neuen

  • Materials entfällt auf Walsers Korrespondenz mit Verlagen, Zeit-schriften, Autorenkollegen und Redakteuren. Die professionelleSeite seines ›Poetenlebens‹ zeigt sich dadurch erheblich detaillier-ter, und die Entstehungs- und Publikationsgeschichte seines lite-rarischenWerks kann nunmit präziseren Konturen nachgezeich-net werden, als dies bislang möglich war.

    Es schien daher angezeigt, die neue, kommentierteBerner Aus-gabe vonRobertWalsersWerkenmit denBriefen zu eröffnen.DieKorrespondenz tritt nun mit einem eigenen Gewicht neben daseigentliche literarische Werk und liefert zu diesem Hintergrund-informationen. Die Robert Walser-Stiftung Bern schätzt sichglücklich, damit in der Robert-Walser-Rezeption eine neue Phaseeinleiten zu können.

    Die Briefedition ist in einen zweibändigen Briefteil mit fort-laufendem Stellenkommentar und einen Zusatzband gegliedert.Dieser enthält neben dem Nachwort mit Editionsbericht einengewichtigen Anhang, beginnend mit Verlagsverträgen, Hono-rarbelegen und Absagebriefen. Darauf folgen ausgewählte Ab-bildungen aus den Briefwechseln, die Karl Walser parallel zuden Korrespondenzen seines Bruders mit Verlagen führte, ausden Lektoratsbriefen, die Christian Morgenstern schrieb, Doku-mente zu denHintergründen vonWalsers gescheitertemTheodor-Projekt sowie seiner Bevormundung. Im Mittelteil des Anhangsfinden sich Briefabbildungen. Danach stehen Register und Ver-zeichnisse, u. a. mit Informationen zu Walsers Briefpartnernund zu weiteren brieflich erwähnten Personen und Institutionen.Zeittafeln am Schluss des Anhangs dienen einer besserenOrientie-rung in Walsers Biografie.

    Bern, im Februar

    Zu dieser Ausgabe

  • Walser an »Arbeiterstimme« (Robert Seidel)Brief, . .

    Zürich, . März .An HerrnRobert SeidelRedacteur der »Arbeiterstimme« Zürich.

    Hochverehrter Herr!Können Sie vielleicht einen Angestellten in Ihrem geschätztenBüreau brauchen als Schreiber oder so was? Wenn ja, so möchteich Ihnen hierdurchmeine ganz ergebenenDienste anbieten, undrechne esmir als einGlück und bin Ihnen dankbar, wenn Sie vonmeinem Anerbieten einen Gebrauch machen.

    Ich bin Jahre alt, habe eine kaufmännische Lehrzeit hintermir und bin in verschiedenen Geschäften tätig gewesen, was Sieaus beiliegenden Zeugnissen ersehen wollen. Ich arbeite auch ge-genwärtig hier in einemVersicherungsgeschäft, aber es gefälltmirnicht, es drängt mich hinaus. Verstehen Sie, ich habe kein Inter-esse an der Arbeit, es läßt mich alles kalt; ich weiß gar nicht, war-um ich schaffe aber ziemlich deutlich vermute ich, daß ich wenig,furchtbar wenig nütze. Nunmeine ich, wenn ich bei Ihnen arbei-tete, sei’s noch so geringe Sache, wüßte ich doch, es hätte einenWert und ein Verdienst. Kurz gesagt, ich möchte zu gerne, einerPartei dienen, dermein ganzesHerz angehört; und ichwürdemirganz gewiß durch Treue und Fleiß und Eifer Ihre Zufriedenheiterringen können. Ich mache keine großen Ansprüche und kann fremde Sprachen; die eine ziemlich vollkommen die andere or-dentlich.

    Wollen Sie die Versicherung meiner vollkommenenHochach-tung genehmigen.

    Ihr ergebenerRobert WalserZeltweg II Hottingen.

    Brief

  • Textzeuge: ZB ZH: NL Robert Seidel .; sorgfältiger Schriftduktus;vgl. BA , Abbildungen.

    Zürich] Walsers Hauptwohnort -. »Arbeiterstimme« Zürich] Sozialistische Wochenzeitung, erschienen-; → Register.

    kaufmännische Lehrzeit … aus beiliegenden Zeugnissen] Vgl. das Ar-beitszeugnis der Bieler Filiale der Berner Kantonalbank, . . :»Herr Robert Walser ist am Mai bei unserer Anstalt als Lehrlingeingetreten und er wird seine Lehrzeit Mitte April künftig beendigt ha-ben. Auf Wunsch des HerrnWalser bescheinigen wir ferner gerne, daßer sich während dieser Zeit in verschiedenen Büreauarbeiten ausgebil-det hat, daß er eine schöne Handschrift führt und daß wir betreffs sei-nes Betragens und seines Fleißes unsere volle Zufriedenheit ausspre-chen können. \ Wir können überhaupt Herrn Walser als angehenderCommis bestens empfehlen.« (RWZ: RW BIO-)

    Versicherungsgeschäft] Transportversicherungsgesellschaft Schweiz, beider Walser vom . . bis zum . . als Hilfsbuchhalter ar-beitete.

    einer Partei dienen] In Briefen aus späteren Jahren äußerte sichWalserüber die Arbeiterbewegung distanzierter; vgl. Nr. , und .Im Roman Der Gehülfe () kommt die Hauptfigur Joseph mitder »üppigen Schlingpflanze ›Sozialismus‹« in Berührung.

    fremde Sprachen] Der Jahresbericht über das Progymnasium in Biel amSchlusse des Schuljahres / verzeichnet Fremdsprachenlehrer fürFranzösisch und Italienisch (vgl. Echte , S. ).

    »Arbeiterstimme« (Robert Seidel) an WalserHandschriften-Presskopie, . .

    . März .Herrn Robert WalserZeltweg II.

    Hottingen.Geehrter junger Verehrer!Ihr Brief vom . d. Mts. ist nebst Zeugnissen in meinem Besitzund hat einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht. Sie sindvoll Tatendrang und möchten der Welt etwas nützen. Das ist

  • schön und gut. Die Frage ist nur, wie Sie Ihre Kraft für eine guteSache, für Freiheit,Wahrheit und Gerechtigkeit verwenden unddabei leben könnten. Sie suchennoch denWeg zu einer Sie befrie-digenden und der Menschheit nützlichen Wirksamkeit. Ist’snicht so?

    Nun, was an mir liegt, will ich Ihnen gern diesenWeg suchenhelfen. Besuchen Sie mich einmal auf meinem Büreau, Kirch-gasse , Hinterhaus, dann wollen wir über die Sache sprechen.Sprechstunde habe ich von -.

    Ich kann Sie nicht beschäftigen, ich kann Ihnen nur raten.Mit freundlichem Gruss

    Rob. Seidel

    Textzeuge: ZB ZH: NL Robert Seidel , Kopialbuch ; vgl. BA , Abbil-dungen.

    Walser an »Arbeiterstimme« (Robert Seidel)Brief, ..

    Zürich, . April .III. Zurlindenstrasse I

    Hochverehrter Herr Seidel!Darf ich Ihnen zum . Mai, zu dem Festtag, den Sie so schön inIhren Gedichten besingen, meinen bescheidenen Glückwunschaussprechen! Ich werde es nie vergessen, dass Sie mich so freund-lich empfangen und so gütig beraten haben und ich will arbeitenauf dem Wege, den Sie mir gezeigt haben. Es braucht aber vielAusdauer und Kraft dazu; nun, was ich erreichen kann, das willich mir Mühe geben, zu erreichen und Sie, hochverehrter HerrSeidel, sollen mir stets gegenwärtig sein als hohes Beispiel oderals eine herrlich klare Leuchte.

    Mit herzlichem Wunsch für Ihr Wohlergehen empfehle ichmich Ihnen und bleibe Ihr dankbar ergebener

    Robert Walser.

    Brief

  • Textzeuge: ZB ZH: NL Robert Seidel .; ganzer Brief in lateinischerSchreibschrift; sorgfältiger Schriftduktus.

    III.] Die dem Straßennamen vorangestellte »III.« bezeichnet den›Stadtkreis‹, in diesem Falle das proletarisch geprägte Zürich-Wiedi-kon.

    Walser an »Arbeiterstimme« (Robert Seidel)Brief, ..

    Zürich IIIZurlindenstrasse I, . Juni .

    Hochverehrter Herr Seidel!Können Sie vielleicht das umstehende Gedicht von mir in Ihre»Arbeiterstimme« abdrucken lassen. Es würdemich freuen, wennSie es brauchen könnten.

    Mitmeiner Arbeit geht es langsam vorwärts, aber doch immervorwärts. Ich schaffe, was ich kann. Ich will nun noch viel mehrlesen, als bisher, gute Bücher langsam lesen, nicht wahr, verehrterHerr.

    Es macht mir Spass, in eine Sachemöglichst tief einzudringenund irgend einer Aufgabe aus dem Leben so recht auf Grund undBoden zu gelangen, und ich muß lachen, toll lachen, wenn derBoden faul ist oder wenn er strahlt wie der reinste Himmel.

    Vor allem geb ich mir Mühe, immer den Augenblick voll undganz zu erfassen und auszunützen. Hier liegt das Goldkorn desVerstandes. Das Herz tönt mir manchmal nur zu übermächtig.

    Ich grüße Sie herzlichst und bin immer Ihr dankbar ergebenerRobert Walser.

  • Zukunft!

    Es kommt die wunderschöne ZeitDa in den KönigshallenDer Freiheit neuer Glaube wirdAm Marmor wiederschallen.

    Wo sich in Lieb’ ein Volk ergehtAlleen auf und nieder;Wo ungebundner Fortschritt blüht –Und blühen tausend Lieder!

    Wo Menschen nur noch Menschen sindUnd sich unendlich lieben,Und wo die Arbeit, die jetzt weintZur höchsten Lust getrieben. –

    Wo Leidenschaft und edles ThunSind inniglich verbunden.Es wird der freien Zeiten GlückEin frei Geschlecht bekunden!

    Es kommt die wunderschöne ZeitWovon wir Lieder singen. – –Den Königsadler »Geist« hör ichSchon kühn die Flügel schwingen.

    Textzeuge: ZB ZH: NL Robert Seidel .; Doppelblatt; auf S. derBrieftext, auf S. das Gedicht; ganzer Brief in lateinischer Schreibschrift.

    das umstehende Gedicht] Walsers Gedicht Zukunft! blieb zu Lebzeitenunveröffentlicht. Vgl. das weniger optimistische spätere Gedicht War-um auch?, in dem ein zunächst zum Zukunftskampf Entschlossenervon Müdigkeit übermannt wird.

    Brief

  • Walser an Lisa WalserBrief, .. und . .

    Zürich, . Juli .Liebe Lisa!Ich denke soeben an deinen letzten lieben Brief, welcher mir ei-gentlich einen Seufzer entlockt hat, vielleicht sogar zwei. Nun,abgesehen von dem Seufzen, war es ein netter Brief und hat michgefreut! Wie geht es dir nun? Und welchen Plan für die nächsteZukunft hast du bereits entworfen? Wann beginnt dein Studiumund wo, in welcher Stadt, gedenkst du zu studieren? Und was ha-ben die Zweige deiner Pläne sonst noch für Blüten? Das interres-siert mich alles sehr! Kommst du vielleicht nach Zürich? Muß esin Bern sein?! Ich bitte dich, mir darüber einiges zu berichten.

    Ich habe Hunger! Und immer, wenn ich Hunger habe, gelü-stet es mich, einen Brief zu schreiben! An irgend jemand! Das istdoch begreiflich! Mit gefülltem Magen denke ich nur an mich,nie an jemand anders! Mit gefülltem Magen bin ich also glück-licher! Denn das ist doch kein Glück, sich nach etwas Fernemzu sehnen!Nunbin ich an demPunkt, worüber ich in diesem grü-nen Brief mit dir reden möchte, sehr gern, wenn ich nur könnte.Aber ich versuche es: Also was die Sehnsucht betrifft, so ist sie er-stens etwas Ueberflüssiges, zweitens etwas Begreifliches und drit-tens etwasUnbegreifliches!Ueberflüssig ist sie, weil sie einemnurbelästigt, begreiflich ist sie, gerade so gut, wie die Krankheit be-greiflich ist, oder die Sünde; aber unbegreiflich ist sie, weil soviele Menschen ohne sie, die Ueberflüssige, nicht leben können,weil so viele Menschen Sehnsucht betreiben, in Sehnsucht verge-hen und nicht aus der Sehnsucht herauskommen, ja sogar darineine Art Süssigkeit fühlen. Dass die Menschen etwas Lästiges soviel und gernbetreiben, etwas so sehnsüchtiges wie die Sehnsucht,das ist das Krankhafte, das an uns haftet! Das Christentum ist dieReligion der Sehnsucht! Schon aus diesemGrunde allein ist dieseReligion so unnatürlich, somenschenunwürdig! EinMensch, dersich die Sehnsucht abgeschüttelt hat, hat besser gethan, als ein an-

  • derer, der sehr gut gereimte aber sehnsüchtige Lieder geschrie-ben hat. Solche Lieder sollten überhaupt gar nicht gedruckt wer-den.Hier sollte die Polizei entschieden eingreifen!OUhland unddergleichen! Aber für heute ist genug! Ach, was soll ich zu Nachtessen? Schwierige Frage in solch traurigen Fressverhältnissen! Sie-he, da nützt einem die Sehnsucht auch nichts. Oder verhilft mirdie Sehnsucht nach einem saftigen Braten und einemGlas Veltli-ner zu beiden? Macht die Sehnsucht etwa, daß ich nicht so lang-weiliges Zeug zu fressen kriege, wie es der Fall ist? Die That alleinkann hier helfen! Und das nächsteMal spreche ich über die That!Adieu!

    den . August .Liebe Schwester!Ich bleibe noch Monate in dem gleichen Zimmer! Es passt mirjetzt noch! Wie geht es daheim? Gut!

    Ich langweile mich gegenwärtig wieder mal schauderhaft!Weisst du, dem mache ich in kurzer Zeit durch eine lustige Thatein Ende! Ich wollte über die That reden. Das gäbe aber einenseitenlangen Aufsatz, den ich lieber vorläufig bleiben lasse. Dieskann ich ja bemerken: die Welt erstickt förmlich in Tatenlosig-keit. Der einzelne Mensch kann also heutzutage mit einer Thatkolossal viel ausrichten! Ich hoffe, du amüsierst dich recht ange-nehm mit Ernst!

    Hast du die frs schon inHänden!Mir würde schwindligmit so vielem Gelde. Du bist jetzt reich reich! Also Kopf hoch,nicht wahr! In Bern gibt es gewiss nette nette liebe Leute, netteSchafsköpfe, liebe Spiessbürger! Damit gibt man sich zufrieden!Meine Ferien verbringe ich in Stuttgart bei Karl; dann kommtKarl hierher!

    Viele herzl. Grüsse an Dich Ernst & Papa v. Robert

    Textzeuge: RWZ: RW MSB-LIWA-; auf grünlichem Schreibpapier; gan-zer Brief in lateinischer Schreibschrift.

    Brief

  • deinen letzten lieben Brief] Nicht überliefert. Studium … Pläne] Lisa Walser trat im Herbst ins Lehrerinnen-

    seminar Bern ein, wo sie im Jahr das Primarlehrerinnenpatenterwarb.

    in diesem grünen Brief] Walser spielt nicht nur auf das jugendlicheTemperament seines Briefes, sondern auch auf das verwendete grün-liche Schreibpapier an.

    die Sehnsucht] Ein Hauptmotiv in Walsers Lyrik dieser Zeit; vgl. z.B.die im Mai im → Sonntagsblatt des Bund veröffentlichten Ge-dichteWie immer undVor Schlafengehen sowie die in der Gedichthand-schriftDrittes Buch. Saite und Sehnsucht überlieferten GedichteWinter-nacht und Alles grün.

    O Uhland] Ludwig Uhland war im . Jahrhundert »als Dichter demdeutschen Volk ans Herz gewachsen« (Vorwort zu Uhland , S. XIV).Die Sehnsucht als quälend süßes Gefühl ist ein wichtiges Motiv seinerLyrik.Walsers Appelle, die Sehnsucht zu überwinden, findet in Mor-gensterns Romanze Der Pilger Ausdruck (ebenda, S. f.).

    in dem gleichenZimmer] Walser wohnte an derZurlindenstrasse in Zü-rich und zog am . . an den Neumarkt um.

    daheim] Lisa wohnte bei ihrem Vater Adolf Walser in Biel. langweile mich] Walser arbeitete vom . . bis zum . .

    als Hilfsbuchhalter bei der Versicherungsgesellschaft »Schweiz« inZürich.

    frs] Lisa wurde von ihrem Onkel Friedrich Walser-Hindermannunterstützt.

    Stuttgart] ist keine Reise nach Stuttgart ermittelt.

    Walser an Fanny WalserAlbumblatt, ..

    Meiner lieben Fanny!

    Sieh nur im Leben nicht bei SeiteMach immer tüchtig mit im StreiteUnd schlag dich durch und greife zuDann hast du deine innere Ruh.

    Nur Zweifel nicht, und schele BlickeUnd keine scheuen Augenblicke

  • Vertrauensvoll zu deinem GottUnd stolz und klug in jeder Not.

    Von deinem treuen Bruder Robert

    Zürich, Biel, . Septb .

    Textzeuge: RWZ: RW MSG-; das ursprüngliche Albumblatt wurde zer-schnitten und collagiert (Gedicht, Gruß und Adresse).

    Fanny] Robert Walsers Schwester Fanny Walser war zu diesem Zeit-punkt -jährig.

    Walser an Lisa WalserBrief, . .

    Zürich, . Mai .Liebe Lisa!Ich sende dir hier kleine Bücher. Ich hatte dir so etwas verspro-chen.Wie geht es dir?Dein l. Brief klingt ein bischenme-lan-cho-lisch. Ja, was steckt nur in dir? Wenn ich nun ein dummer Kerlwäre, so würde ich sagen: ha, das versteh ich nicht, aber wennich ganz dumm wäre, so würde ich in deine mondscheinblassenKlagen einstimmen. Aber da ich (hoffen wir es) weder dummnoch ganz dummbin, so schreie ich einfach:Donnerwetter, Lisa,ja Herrgottdonnerwetter, und weiter nichts. – Fluchen ist in sol-chen Fällen famos, sage ich dir.

    Ach, ich habe jeden Abend Ursache, ein par mal zu Fluchen.Die Sehnsucht, o die Sehnsucht! Warum haben wir die eigent-lich?Wer hat sie uns heimlich in dieWestentasche gesteckt? Viel-leicht ein Engel oder sonst eine trübe Null.

    Was mich betrifft, so lerne ich tapfer französisch, gehe jedenMorgen ins Geschäft, komme Abends verrückt nach Haus, er-warte Briefe, schreibe keine, erwarte aber dessenungeachtet jeden

    Brief

  • Abend mindesten drei Briefe. Da sollten sie so liegen, wenn ichdie Thür aufmache, weiss, blendendweiss, die liebeMarke drauf,der süsse Poststempel und all das andere. Und wenn nun keinerdaliegt, so werd ich ganz dummund kannnicht arbeitenund sagemir darauf sehr vernünftig: du schreibst ja keine Briefe, und er-wartest welche! Ei du Schafskopf.

    Es ist nicht gerade, dass ich Briefe erwartete, aber ich erwartejetzt immer etwas ebenso liebes, zartes, als ein Brief ist. Es solltejeden Abend für mich eine kleine erhebende Ueberraschung auf-liegen, gerade wie so ein Brief.

    Aber es lässt sich ganz gut auch ohne Erregungen leben, nichtwahr, man sollte nur mit etwas weniger Poesie und dergleichenbegabt sein, nicht wahr, nicht wahr.Was bin ich für ein Schwäzer,nicht wahr, nicht wahr?

    Du erlebtest gewiss mit mir eine kleine Enttäuschung und dieandern Bieler auch, ich meine an Ostern. Du darfst mich nichtmehr als ein aussergewöhnliches Kunsttier vorstellen und An-dern aufmachen, denn weisst du, so an Ostern undWeihnachtenkommt jedesmal ein ganz gewöhnliches Vieh nach Hause unddas bin ich.

    Ich denke mir, dass es manchmal schwer für dich wird, denAnforderungen deiner jetzigen Umgebung gerecht zu werden.Man sollte viel kälter sein und du scheinst mir sehr weich zu sein.Aber es ist verdammt schön, trozdem, als weiche Seele mit denHärten der Welt im Kampf zu liegen. Und wir ›Weichen‹ kämp-fen am schönsten.

    Sowar auch die liebeMama. Ich denke oft an sie.Du hast aberein ganz besonderes Recht, an sie zu denken, denn du warst ja ammeisten um sie herum, damals als sie litt.

    Na, aber zumTeufel, es ist gewiss nicht gut, wenndu viel an siedenkst, denn ihr Andenken ist ein dunkles und schweres und dasLeben verlangt heitere Stirnen!

    Aber ich will aufhören mit Stirnen und Dunkelheiten, sonstkomme ich am Ende noch mit der Ewigkeit und der Liebe, Gottbehüte.

  • Ja, ich bin es, der Widman die Gedichte geschikt hat und essind meine Gedichte, die nächstens im Sonntagsblatt des BundzumDessert aufgetragenwerden.Werd ich wohl viel Schmeichel-haftes zu hören bekommen über die Feinheit meiner priklichenKochkunst?Karl wird nachBerlin gehen!Habenoch keineNach-richt. Nächstens ziehe ich wieder aus in eine andere Bude.

    Adieu du Einsame! Herzl Gruß!dein einsamerBruder Robert.

    Textzeuge: RWZ: RW MSB-LIWA-; ganzer Brief in lateinischer Schreib-schrift; viele orthografische Fehler, die hier gemäß den editorischen Richt-linien nicht emendiert werden.

    kleine Bücher] Nicht identifiziert. l. Brief] lieber Brief, nicht überliefert. ins Geschäft] Arbeitsort nicht ermittelt. Mama … als sie litt] Elisa Walser (-) galt als ›gemütskrank‹

    (vgl. Mächler /, S. f., und Echte , S. -). die Gedichte] Vgl. Sonntagsblatt des Bund, Nr. , . . : Lyrische

    Erstlinge, mit den Gedichten Helle,Vor Schlafengehen, Ein Landschäft-chen, Kein Ausweg, Immer am Fenster und Trüber Nachbar. → Wid-mann nannte in der Vorbemerkung als Autor einen »zwanzigjährigenHandelsbeflissenen in Zürich, R.W.«. Diese erste Publikation verhalfWalser zu einer schnellen Einführung in die literarische Welt.

    priklichen] »pricklig«, »prickelnd«. Karl wird nach Berlin gehen] Karl Walser hatte sich Mitte März

    von Zürichmit ZielMünchen abgemeldet und ging imMai nachBerlin.

    in eine andere Bude] Am .. zogWalser von derHinterbergstras-se an den Großmünsterplatz , d. h. vom Zürichberg in die Altstadt.

    Brief

  • Karl und Robert Walser an Flora AckeretAnsichtskarte, Thun, ..

    Gruss. .: Ihr ergeb.Karl Walser.Rob Walser IV

    Textzeuge: Standort: NMB; von Karl Walser geschrieben; nur die Unter-schrift Robert Walsers von dessen eigener Hand, das Datum eventuellvon Flora Ackeret; die Ansichtskarte (Berner Oberländer vor Butzenschei-ben) wurde von Ackeret in ein von Karl Walser gewidmetes Exemplar vonFritz Kocher’s Aufsätze eingeklebt. Im selben Exemplar von Fritz Kocher’sAufsätzen findet sich außerdem ein Albumblatt Robert Walsers (vgl.Nr. ).

    Zwischen→ Flora Ackeret und Karl Walser war es unmittelbar zuvor zueiner Liebesaffäre gekommen, die durch die Intervention von Flora Acke-rets Ehemann Henri in einem Eklat geendet hatte.

    Karl und Robert Walser an Flora AckeretAnsichtskarte, Bern, ..

    G T.Karl Walser.Gruss und noch mal Gruss …Rob.Walser

    Textzeuge:MH, ohne Signatur; Ansichtskartemit vorgedrucktem »G T«; von Karl Walser geschrieben, nur die Unterschrift RobertWalsers von dessen eigener Hand; adressiert »An Frau Akeret, in \ Biel \Neuhausstrasse. .«

    Datierung: Nach Poststempel.

    Brief

  • Walser an Josef Viktor WidmannBrief, . .

    Thun, . Mai Hochgeehrter Herr Widmann.Ich sende Ihnen Ihre Bücher, die Sie mir freundlichst geliehenhaben, zurück und bitte Sie, zu entschuldigen, wenn ich sie allzu-lange behalten habe.

    Ich gehe nach München, um dort etwas zu lernen und zu se-hen, wie lange ich es aushalten kann.

    Genehmigen Sie den höflichsten Dank, der je ausgesprochenwurde, von Ihrem ergebenen

    Rob.Walser.

    Textzeuge: BB: NL Josef ViktorWidmann, XLIII; vgl. BA , Abbildungen.

    Bücher] Nicht zu identifizieren. München] In den Münchner Einwohnerakten erscheint Walser erst

    am . . (vgl. Echte , S. f. u. S. ).

    Walser an Fanny WalserBrief, . .

    Solothurn, . März .Liebes Fanny.Du darfst nicht etwa lachen, über dieses Briefformat, welches dasmodernste aller Briefformate genannt zu werden verdient, vorwelchemdu, anstatt zu lächeln, einenHeidenrespeckt haben soll-test undmußt. DerGrund, die Ursache und die Erklärung diesesBriefes ist, dir ergebenst mitzuteilen, daß ich am nächsten Sonn-tag zu dir nach Biel komme, ummit dir einen Bummel oder auchkeinen Bummel zu machen, um mit dir Thee oder auch keinenThee zu trinken, um zu schwatzen und zu sehen, welche Fort-schritte deine neue Haartracht genommen hat. In derselben im-

  • ponierst du mir nämlich ganz unsäglich und das will etwas hei-ßen, einem modernen Dichterlig zu imponieren. Was machtdieWalserei, die Zahlerei, die Ackereterei, dieWyßlerei, dieWan-nemacherei, die –mir geht der Atem aus vor Fragen! Was machstdu,meine jungeHerrlichkeit? Bist du gerade satt von einemFrüh-stück, oder gerademüde vomLachen? Ich hoffe, dich amSonntagebensomunter anzutreffen, wie du es stets bist in meiner Phanta-sie, welche dich oft besucht.

    Lebe wohl, nein lieber bescheidener:Adieu!

    dein Robert.

    Textzeuge: RWZ: RW MSB-FAWA-; quadratisches Blatt; unkonventio-nelle Anordnung der Textteile; vgl. BA , Abbildungen.

    Solothurn] Walser arbeitete von Oktober bis April bei derSolothurner Hülfskasse.

    dieses Briefformat] Vgl. oben, zu Textzeuge. Dichterlig] ›Dichterling‹, vgl. zu schweizerdeutschen Ausdrücken all-

    gemein das Glossar. die Walserei] ›Die Walsers‹. die Zahlerei] Claire Zahler, mit Lisa und Robert Walser befreundet

    (vgl.Mächler /, S. f.), von KarlWalser porträtiert (vgl. Ab-bildung in Echte/Meier , S. ).

    die Ackereterei] → Flora und Henri Ackeret. die Wyßlerei] Nicht näher identifizierte Bieler Familie. die Wannemacherei] Familie Wannemacher, deren Tochter Clara

    (-) eine Freundin von Fanny Walser war.

    Brief