Roberta´s Rache - Alles über Pilze. Der Tintling, die ...

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Roberta´s Rache Ich bin am Ende. Fertig. Ich biete einen Anblick zum Erbarmen. Das, was der grausame Sturm im November und der Blitzeinschlag im letzten Sommer von mir übrig gelassen hat, hat nicht den Hauch einer Chance zum Baum des Jahres gekürt zu werden. Ich bin einsam, verstümmelt, dem Tod näher als dem Leben. Der letzte meiner einst zwan- zig Untermieter, ein ziemlich gemeiner Wirrkopf, hat mich kürzlich verlassen. Und das, obwohl ich ihn anflehte zu bleiben. „Hör zu, du Gemeiner Wirr- kopf. Du kannst jetzt nicht gehen. Du siehst doch, daß ich dich brauche.“ „Du brauchst mich? Ist ja ganz was Neues. Damals, vor zig Jahren, da hast du mich keines Gedankens gewürdigt. Da waren die feineren Herrschaf- ten gefragt. Ich brauche mich nur daran zu erinnern, wie du um den rauhfüßigen Herrn Tes- sela herumscharwenzelt bist. Zum Erbrechen war das. Unsereins war einfach abge- meldet.“ „Tut mir leid. Du mußt verste- hen. Du bist eben so klein und so braun und unscheinbar. Außerdem so wenig produktiv. Von dem Herrn Tessela habe ich eine hohe Miete bekommen und überhaupt hatte ich alle Gemeiner Wirrkopf Inocybe lacera Mykorrhizapilz mit breitem Wirtsspektrum. Der Tintling 5 (1999) Seite 41 Sämlinge der Stieleiche Quercus robur im Frühjahr nach dem Keimen Eine Mordgeschichte, partiell erlebt und ergänzend ersonnen von K. Montag Roberta´s Rache giftig

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Roberta´s Rache

Ich bin am Ende. Fertig.Ich biete einen Anblick zum Erbarmen. Das,was der grausame Sturm im November und derBlitzeinschlag im letzten Sommer von mir übriggelassen hat, hat nicht den Hauch einer Chancezum Baum des Jahres gekürt zu werden. Ich bin einsam, verstümmelt, dem Tod näher alsdem Leben. Der letzte meiner einst zwan-zig Untermieter, ein ziemlichgemeiner Wirrkopf, hat michkürzlich verlassen. Und das,obwohl ich ihn anflehte zubleiben. „Hör zu, du Gemeiner Wirr-kopf. Du kannst jetzt nichtgehen. Du siehst doch, daß ichdich brauche.“„Du brauchst mich? Ist ja ganzwas Neues. Damals, vor zigJahren, da hast du mich keinesGedankens gewürdigt. Dawaren die feineren Herrschaf-ten gefragt. Ich brauche michnur daran zu erinnern, wie duum den rauhfüßigen Herrn Tes-sela herumscharwenzelt bist.Zum Erbrechen war das.Unsereins war einfach abge-meldet.“„Tut mir leid. Du mußt verste-

hen. Du bist eben so klein und so braun undunscheinbar. Außerdem so wenig produktiv.Von dem Herrn Tessela habe ich eine hoheMiete bekommen und überhaupt hatte ich alle

Gemeiner Wirrkopf Inocybe laceraMykorrhizapilz mit breitem Wirtsspektrum.

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Sämlinge der Stieleiche Quercus robur im Frühjahr nach dem Keimen

Eine Mordgeschichte,

partiell erlebt

und ergänzend ersonnen

von K. Montag

Roberta´s Rache

giftig

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Wurzeln voll zu tun mit dem Herrn.“„Von mir hast du auch Miete gekriegt. Undwas habe ich von dir bekommen? Eine win-zige Wurzelspitze direkt am Straßenrand.Jeder Hund pinkelte mich an und dauerndwurde ich von einem Auto angefahren. Wasverlangst du denn noch für so eine Mansarde?Nein, teure Freundin, wir sind längst quitt.“„Bitte bleib, lieber Wirrkopf. Sieh mal, ohnemich bist du doch auch nichts.“„Das denkst du so. Für unsereins ist überallPlatz. Selbst bei den blöden Fichten. Ich binschließlich genügsam. Ich kann mir aussu-chen, wo ich wohnen will. Hier jedenfallsnicht mehr. Dein Herr Rauhfuß und diesereingebildete Monsieur Camembert, diemögen vielleicht besondere Ansprüche an

ihre Wohnung stellen. Ichnicht. Aber deren Bedürfnissekannst du im Moment jaoffensichtlich nicht befriedi-gen, sonst wären die Herr-schaften ja noch da, oder?Nein, es bleibt dabei, liebeRoberta, ich gehe.“Alles Flehen nutzte nichts.Ich, die stolze Roberta Quer-cina bettelte jemanden umsBleiben an. Noch dazu soeinen nahezu nutzlosenGemeinen Wirrkopf. Oh, wie tief bin ich gesun-ken. Meine Güte, was füt-terte ich in meinen Glanz-zeiten, vor dreißig Jahren, füreine bunte und illustreMeute an meinen Wurzelndurch: die Täublings, die Rit-terlings, die Schleimkopfsmit ihrer Riesensippschaftund wie sie alle hießen.Nicht zu vergessen die aller-liebsten Kleinen der Röhr-lings.

Schwärzender Rauhfuß Leccinum tesselatumMykorrhizapilz der Eiche. Anspruchsvoll und selten.

Camembert-TäublingRussula amoenolens

Mykorrhizapilz der Eiche. Foto: Fredi Kasparek

kein Speisepilz

eßbar, aber gefährdete

Rote-LIste-Art

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Na gut, nicht, daß ich die alle umsonst und ein-seitig verköstigt hätte, das gerade nicht. Die vie-len Bewohner mußten schon einen gewissenMietzins zahlen. Genau diesen Abgaben ver-dankte ich schließlichmeine strahlende undstattliche, rundumwohlgenährte undgesunde Erschei-nung. Ich war einewohlhabende Ladyund außerdem dasSchmuckstück in mei-nem Umfeld. Ich wohnenämlich in einem Wald-stück mit lehmigemBoden und ich bin vonlauter mickrig-krummen,aber liebenswerten Sub-jekten umgeben, die deranspruchslosen Familievon Hain Buchenabstammen. Aber das ist jetzt allesvorbei. Als erste verabschiedeten sich Schleimkopfs.Die hatten ohnehin zeitlebens etwas zu nörgelnan ihrer Behausung und zogen sich beleidigt

zurück, wenn ihnenirgendetwas nichtpaßte. Dabei habeich wirklich getan,was ich konnte.Dann gingen so nachund nach die Ritter-lings und als selbstder Unverschämtestevon ihnen, den allehier nur „Lasci“nannten, die Verbin-dung abbrach, dabegann ich mir docheinige Sorgen zumachen. Ein verdrossen drein-blickender Eigen-brötler mit graubraunverfilztem Schädel,schwammig-röhri-gem Futter undRoten Füßen, warnoch der einzige,

neben dem besagten Wirrkopf. Doch der ging dann auch. Etwa zum gleichen Zeitpunkt, als ich statt derbisher zwanzig oder dreißig Untermieter nur

noch diese beiden trivialen Nichts-nutze beherbergte, merkte ich, daßes mit mir rapide bergab ging. Hundert Jahre hatte ich damals aufdem Buckel, was für eine MadameQuercina ja gar kein Alter ist. TiefeFalten hatten sich dennoch bereitsin mein Äußeres eingegraben. Ich begann plötzlich unter einemständigen und unstillbaren Durstge-fühl zu leiden. Ich fühlte mich sokrank, daß ich meinte in der näch-sten Minute sterben zu müssen. Doch wem sollte man derartige Lei-den klagen: Einem Menschen etwa?Mitnichten. Die haben doch nurihre eigenen Zeit- und Bewegungs-richtlinien. Die können sich absolutnicht vorstellen, was ein Geschöpfwie ich denkt und fühlt.Wie auch immer: In der Folge mei-

ner beginnenden Malaisen nisteten sich ver-haßte Mehltaupilze ungebeten auf meinen Blät-tern ein. Dann bekam ich rostige Pickel, was

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Unverschämter Ritterling Tricholoma lascivum.Wertvoller Mykorrhizapilz der Eiche. Foto: Fredi Kasparek

Rotfußröhrling Xerocomus chrysenteron

Aquarell: Thomas Brückner

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eine Folgeerscheinungvon Phosphormangelwar. Hätte ich mich fortbe-wegen können, wäreich in die nächsteApotheke gegangenum mir ein Vitamin-Mineralstoff-Präparatzu besorgen. Alsogenau das, was mirzuvor all meine ent-schwundenen Unter-mieter beschafft hat-ten.Das taten die jedochnicht mehr und dievielen Besucher, diemehr oder wenigerachtlos an mir vorbei-gingen, kriegten garnicht mit, wie ich litt.Selbst wenn, hättensie mir kaum helfenkönnen; nicht einmal die Männer in den grü-nen Jacken, die mit ihren grünen Jeeps bis aufmeine Wurzeln fuhren, kannten meine wahren

Bedürfnisse. Die kippten mich mit Jauche undDünger zu und wunderten sich hinterher, daßmir auch noch die Atemluft wegblieb. Nein,Waldmenschs hatten keine Ahnung, wasBäume wirklich wünschen...Die kamen nur, um ein weißes Kreuz an einenmeiner Nachbarn zu malen, zum Zeichendafür, daß dessen letztes Stündlein baldgeschlagen haben würde und daß der Befehls-empfänger mit der Motorsäge im Anrücken ist.Oder sie schnauzten arglose Pilzsammler an,weil sie die Wege (die ja oft eher Straßen sind)verlassen haben oder weil sie ihren Fiffi nichtan der Leine führten. Oder sie walteten sonst-wie wichtigtuerisch ihres Amtes. Diese Männer waren überhaupt nicht in derLage zu erkennen, daß das Vorhandensein vonPilzen (und damit von Pilzsammlern) über-haupt und grundsätzlich ihrem Job dienlich ist. Ein wirksames Medikament gegen die quälen-den Folgen meines Mineralstoffmangels undmeines andauernden Durstes, das hatten sienicht, ebensowenig, wie sie mir neue hilfreicheUntermieter heranschaffen wollten. Nein, schlimmer noch: Sie taten allein ausUnwissenheit sogar einiges, um meinen pilzli-chen Förderern die Anwesenheit so gründlichwie möglich zu verleiden. Mit Drainagegräben,

Verfärbender Schleimkopf Cortinarius nemorensis. WertvollerMykorrhizapartner der Eiche und anderer Laubbäume. Foto: Kasparek

Gemeiner Hallimasch Armillaria mellea s.l. Aggressiver Parasit Foto: Christian Wolf

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Kalkgaben, Düngern...Aber das ist eine eigene,schier endloseGeschichte...Meine Qualen wareninzwischen so über-mächtig, daß ich keinenSinn mehr für die subtileThematik hatte und lie-ber heute als morgendas Zeitliche segnenwürde. Ich war mittlerweileüber und über von Para-siten befallen, die michim Laufe der Jahreinnerlich und äußerlichin einen erbarmungs-würdigen Zustand ver-setzten. ich kannte sie alle mitNamen: Hepa Tika mitder Fistelstimme, die so gar nicht zu dem kuh-roten, wabbeligen Monstrum paßt. Sie hat

mich angefallen, nachdem mir eine Holzernte-maschine eine riesige Wunde beigebracht hat,

die schier über-haupt nicht mehrheilen wollte unddie mich jahre-lang quälte.Hepa ist abernicht ganz soschlimm wie dieanderen. DieUnbill, die sie mir

bereitet, ist zwaranhaltend und siewird auch bis zumeinem Ende dau-ern, aber es iistauszuhalten. Hepaging eher sanft undgemütlich vor mitihrem Zerstörungs-werk unter meinerRinde.Unangenehmergebärdete sichDryadeus Schiller,der, zu meinenFüßen kriechend,dauernd die

Ochsenzunge Fistulina hepatica Weißfäuleerzeuger und Schwäche-parasit an Eiche. Foto: Fredi Kasparek

Schwefelporling Laetiporus sulphureus Aggresiver Parasit an lebendenLaubbaumarten. Verursacht eine intensive Braunfäule im Kernholz.

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jung eßbar

jung eßbar

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dicken Krokodilstränen vergoß, weil es ihmangeblich leid tat, daß er mich so grausam aus-saugte. Man muß ihm in der Tat fast verzeihen:Auch er fand nur eine brutal aufgebrocheneTür und ging einfach und unbehelligt hinein...Nicht zu ver-gessen derrobuste Feuer-teufel, derschon seit Jah-ren schmerz-haft von einerAstgabel ausge-hend langsamaber sichermein Kambiumzerstört. Dann diese eitleHarzbacke vonResi Ganodermmit den lackier-ten Nägeln, dieimmer behaup-tet, sie sei fried-lich. Dabei istsie keinen Deutharmloser alsdie anderenSchmarotzer.Und als Krö-

nung des ganzenSchlamassels diewasserstoffblondeSulphurike Laeti-Porus, die übelstevon allen. Sie frißtmich in kürzesterZeit von innen her-aus auf und hinter-läßt eine krümelig-braune Schneise derZerstörung in mei-ner ehemals edlenund und im Normal-fall ziemlich teurenKernsubstanz.Mein Inneres ist seitdem aushöhlendenBesuch der bösarti-gen Blondine einwertloses Nichts.

Das Tröstliche daran: man sieht mir äußerlichzunächst nicht an, daß es mir so schlecht geht.Innen bin ich faul und hohl, außen sehe ich auswie das blühende Leben. Oben hui, unten pfui. Wie im richtigen Leben.

Viel später,als ich michlängst aufge-geben hatte,kamen die,die nur daraufwarteten,mich, dasarme, wehr-lose Opfer zuentern:Ein traurigherabhängen-der Ast anmeiner linkenFlanke - dieaalglatte undimmer einbißchengrüne SchildaColpomastürzte sichdarauf. Eine Wund-

Tropfender Schillerporling Inonotus dryadeusWundparasit an der Basis von Eichen. Foto: Fredi Kasparek

Harziger Lackporling Ganoderma resinaceum. Befällt als Schwächepara-sit lebendes Eichenholz, seltener frisch totes Holz. Foto: Fredi Kasparek

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stelle an der stammnahen Hauptwurzel: Asylfür den sparrigen Pholi Schüppli.Eine für Minuten unbewachte Wurzelspitze:Honigsüß und mit fröhlichem Hallihalloschleimte sich der unwiderstehliche MelleArmillaria ein. Diesmal von unten.Aber bitte gerne... Laßt euch nicht stören. Nehmt, war ihr braucht, zerbröselt mich... IhrKotzbrocken und ihr widerlichen Leichenfled-derer. Aber macht es wenigstens kurz!

Machen wir uns nichts vor: Es gibt für michselbst keine Rettung mehr. Die einzige Möglichkeit der Erhaltung meinerArt ist die Reproduktion. Als ich vor Jahrenmerkte, daß es bergab mit mir ging, habe ichnoch einmal alles gegeben. Ich produzierteFrüchte wie ein Weltmeister. Es war vergeblich. Zunächst wenigstens.Meine Samen sindzwar alle aufge-laufen, dannaber sind dieKeimlingemangelsWasser ein-gegangen.Kein Wun-der: Beson-ders eifrigeGrünröcke hat-ten einen tiefenDrainagegraben aus-gerechnet in meinemTerrain ausgehoben.Warum sagt denndiesen Freilandaktivi-sten niemand, daßihre Arbeitswut zu Hause in der Kellerwerkstattbesser ausgelebt werden sollte als im Wald. Meine Kinder sind fast alle vertrocknet. Den kümmerlichen Rest haben die Rehe abge-fressen.

Ohne Ausnahme.Im Jahr darauf war es das gleiche Fiasko, wennauch von ganz anderer Art: Die Eichelfäulebemächtigte sich meiner Reproduktionsorgane.Der Ciboria-Clan mumifizierte erst die Keim-blätter, dann meine ganzen Früchte. Keine ein-zige Eichel war mehr brauchbar. Alle schwarz.Batsch batsch batsch.Im Folgejahr nahm ich noch einmal, ein letztesMal in diesem kurzen Leben, all meine Kräftezusammen: Früchte bis zum Abwinken. Normalerweise produziert unsereins nur alle10 Jahre reichlich Früchte. Aber wenn es zuEnde geht, da strengt man sich noch einmalgewaltig an. Verständlich, nicht? Man will ja schließlich nicht sang- und klang-

los und ohne Erben untergehen..Ich ließ also Millionen von

Früchten auf den Bodenfallen - es müssen

einige Zentnergewesen sein.

Der mir ver-bliebeneRest meinerÄstekonnte siezumSchluß

kaum tra-gen, soviele

waren es.Genug für die

wilden Schweineund die Eichel-häher und wersonst immer etwasdavon habenwollte. Erst recht

genug für die eigene Nachkommenschaft.Ich selbst bereite mich, glaube ich, ein letztesMal auf den Winter vor. Rufe jedes Fitzelchenan Chlorophyll zurück und lagere es sorgsamein. Wer weiß, vielleicht brauche ich es ja doch

Eichen-Schildbecherling Colpoma quercina. Folgezersetzer an Eichenästchen. Foto: Kasparek

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Der Eichel-Stromabecherling Ciboria batschianasklerotinisiert Eicheln. Foto: Fredi Kasparek

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noch einmal.Wäre die frostige Zeit nur schon vorbei........Wie es nicht anders zu erwarten ist bei einerKreatur meines Schlages, ging auch dieserWinter, ebenso wie alle vorhergehenden, fastfolgenlos vorüber. Doch ließ selbst die labendeFrühjahrssonne meine Säfte diesmal nur spär-lich steigen und auch das nur noch in eineneinzigen, immerhin letztlich satt grünbelaub-ten Hauptast.Dafür hatte ich das großeGlück, zu meinen Füßenein Wunder zu erblicken: Im Kreis meiner Kro-nentraufe und noch einStückchen darüber hinauswaren tausende von Jun-gen aufgewachsen. Einherrlicher, dichter, saftiggrüner Rasen von lauterjungen Quercinas. Alle so10 - 20 cm hoch. Dicht andicht. Wie auf Seite 38.Traumhaft.Meine Kinder. Was wird einmal ausihnen werden?Es dauerte nicht lange, dafielen die ersten Schattenauf die Familienidylle. DiePracht begann sich zulichten. Der erste, derbestimmt ein paar hundert

meiner Abkömmlinge auf demGewissen hatte, war diese Holz-erntemaschine, vor der ich michaus gutem und schon erwähn-tem Grund entsetzlich fürchte.Nicht nur, daß das direkte An-und Überfahren den Todbringt... schlimmer noch, hin-terher ist der Waldboden so sehrverdichtet, daß da jahrelang garnichts mehr wachsen kann. Aber versuchen Sie das maleinem von denen beizubringen,die im Kommandostand von soeinem Monstrum hocken.Dann kam wieder dieser Wald-besitzer und hat den Drainage-graben, der sich wohltuendwasserspeichernd mit allerlei

Laubwerk gefüllt hatte, wieder freigeschaufelt.Besser: freischaufeln lassen. Für solchen Frevelhatte der natürlich seine Leute.Sie ahnen schon, was die Folge war: Trocken-heit, Mehltau, Tod.Von meiner ganzen Kinderschar waren imAugust gerade noch hundertfünfzig übrig. Wie-viele von ihnen den Sommer überstehen wer-den? Wenn sie doch wenigstens Untermieterfänden.

Eichen-Feuerschwamm Phellinus robustus. Langlebiger undknochenharter Wundparasit an Eiche. Foto: Fredi Kasparek

Sparriger Schüppling Pholiota squarrosa. Wund- und Schwäche-parasit an verschiedenen Laubbäumen, besonders an Robinie.

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Dann sähe alles ganz anders aus. Aber woher nehmen? Selbst der Gemeine Wirr-kopf ist längst über alle Berge.

Was höre ich da? Still! Auf der anderen Seite des Weges bewegtsich etwas. Menschen kommen näher. Pilzsucher.Also hier bei mir werden sie nichts finden. Dasweiß niemand besser als ich. Und niemand bedauert das so sehr wie ich.Horch. Sie reden miteinander. „Papa, guck mal, ich habe einen ganz grünenPilz gefunden.“„Ja Kind, bist du denn von Sinnen? Du drückstgerade einen von Amanita Grün´s Mördercli-que an dein Herz. Laß ihn sofort phallen. Derkönnte uns alle töten, wenn er in die Pfannegeraten würde.“Mich nicht, ganz im Gegenteil, dachte ichwehmütig beim Gedanken an den zahlungs-kräftigen Amanita Grün. In der nächsten Sekunde konnte ich meinGlück kaum fassen. Der Junge schleuderte denGiftling so weit fort, wie er konnte. Der Riesen-kerl zerschellte klatschend an meiner Borkeund stob in tausend Einzelteilen in alle Rich-tungen davon.

Wissen Sie, was das bedeutet? Milliarden vonSporen potentieller, solventer Untermieter fürmeine darbenden Kinder. Noch dazu in gut ver-teilten Häppchen.Der Wettlauf mit der Zeit beginnt.Ich stelle mir vor (leider kann ich es nichtsehen), wie die Sporen auskeimen, wie dieHyphen sich zu einem neuen Pilzgeflecht ver-einigen, wie sie wachsen, wie sie auf die äußer-sten, haarfeinen Saugwurzeln meiner Kindertreffen, diese an den Spitzen dicht und schüt-zend mit spinnwebfeinen Fäden umgarnen. Ich fühle mich wie im siebten Himmel. Die Mühe war nicht vergeblich.

Für mich selbst kommt das ja alles viel zu spät.Meine Feinwurzeln existieren praktisch nichtmehr. Sie sind verhärtet, fast undurchdringlichgeworden. Kein vernünftiger Mieter würde sichdie Mühe machen in diesen Altbau einziehenzu wollen. Aber meinen Kindern kommt esgerade recht. Wenn es nur etwas mehr regnenwürde. Oder wenn das vorhandene Wassernicht sofort wieder abfließen würde.Das kranke Herz schlägt mir bis zum Hals inatemloser Spannung.Erst im Oktober konnte ich mit großer Erleich-terung feststellen, daß mindestens zehn meinerKleinen dem lebensrettenden Amanita GrünEinlaß gewährt hatten. Zumindest diese zehnwaren damit ohne Zweifel winterfit. Nun hätte ich mich eigentlich unbesorgt zurwahrscheinlich allerletzten Nachtruhe begebenkönnen. Dennoch war ich alles andere als sorglos. Es sind eben sehr zarte Geschöpfe, meineBabys. Werden wenigstens diese zehn überleben?

Doch da naht schon die nächste Katastrophe.

Mitte Januar, an Schlaf war kaum zu denken,mußte ich hilflos mit ansehen, wie eine Rottevon Viechern, die den Namen Ungeziefer mehrals alle anderen Kreaturen verdienen würden,sich über meine Kinderschar hermachte. Inner-halb von zwei Minuten hatten die weißärschi-gen Rehe alle aufgefressen. Alle, die kräftigen mit ihrem Freund AmanitaGrün genau so wie die Kleineren, die nochohne einen Untermieter auskommen mußten,sind im Magen dieser gefräßigen Monsterverschwunden. Süße Bambis, daß ich nicht

Grüner Knollenblätterpilz Amanita phalloidesWertvoller Mykorrhizapartner der Eiche, sel-

tener ein Partner anderer Laubholzarten.

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tödlich giftig

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lache. Kindermörder. Und so etwas wird auchnoch gehegt und gepäppelt. Wachset und meh-ret euch. Kroppzeug. Ungeziefer. Gaskammer.Hackfleisch. Wolf in den Wald, Zweibeinerraus. Ich glaube, ich werde verrückt. Kommtmich abholen.Sie können mir glauben, daß in Anbetracht sol-cher Tragik selbst eine gestandene, vom Lebennicht gerade verwöhnte Roberta Quercinaschwere Depressionen davontragen kann. Ich bin dabei beileibe nicht die einzige in denWäldern und Forsten der Gegenwart, die vondieser üblen Seelenkrankheit heimgesuchtwird. Seufz.

Was ist das?Was erblicken meine tränennassen Augen?Herrje, wie konnte ich das nur übersehen?Eines meiner Kinder ist ja noch da. Das kleinste von denen, die sich ihren AmanitaGrün angelacht haben. Keck und ein bißchenkrumm, aber voller Lebensenergie wuchs esganz allein am oberen Rand des verhaßtenDrainagegrabens. Mein ein und alles.Ich weiß es, mein Kind, du wirst es schaffen.

Bis zum Durchbruch des Frühjahrs fiel ich end-lich in einen bleiernen Schlaf. Ich habe nichteinmal mitbekommen, daß einer von denMotorsägenbesitzern ein ein großes weißesKreuz auf meine Borke gemalt hat.

Mitte Mai erwachten meine Lebensgeistererneut. Ganz spärlich und verhalten zwar, aberfür einen winzigen Bürzel grüner Blätter hat esgerade noch gereicht. Und dafür, um zu sehen,wie prächtig sich mein Kind entwickelt. Es warschon fast dreißig Zentimetergroß, satt grün, gesund, wüch-sig, herrlich anzusehen.Als größtes Glück, das mir indiesem letzten Herbst meinesLebens vergönnt war, zeigtesich im September sogar schonsein Mieter. Es schien gerade so, als wollteer sagen: „Schau, nichts undniemand kann uns beidenetwas anhaben.“Amanita Grün erschien in Formvon drei wahren Prachtexem-plaren, die fast so groß warenwie ihr junger Lebensgefährte.

Das Leben kann so schön sein!Daß ich das noch erleben darf!

Doch plötzlich:Motorgeräusch. Stimmen. Schritte.Wer ist das, wer spricht da?„Hier das muß auch weg.“„Alles?“„Ja alles. Der Graben wird sauber gemacht unddie Böschung wird gefräst. Ich will keinUnkraut mehr sehen, wenn du hier fertig bist. Ordnung muß sein in einem deutschen Forst.“„Ja Chef. Roger. Wird gemacht, Chef.“

Hilflos und mit blankem Entsetzen mußte ichmit ansehen, wie dieser Underdog von Waldar-beiter die Befehle des Grünrocks im grünenJeep pflichtbewußt ausführte. Folgsam. Gedankenlos. Gründlich. Mein einziges Kind fiel der Fräse zum Opfer.Mein Herzblut. Mein Universalerbe.Mein Leben. Ich will auch sterben.Außer einem inständigen, flehenden Gebet fielmir in meiner stummen, herb enttäuschten undgrenzenlosen Machtlosigkeit nichts ein.

Doch: Mein verzweifeltes Gebet wurde erhört!Genau in dem Moment, wo der unerbittlicheBefehlshaber wieder in seinen Geländewagenstieg, kam ein äußerst kooperativer Sturm auf.Eigentlich war es nur eine einzelne Windböe.Sie erlaubte mir als allerletzte und größteAktion meines Lebens einen Vergeltungsmordzu begehen. Indem ich mich mit aller Kraft und Sturms Hilfezielsicher auf den Wagen stürzte.

Schon am nächsten Tag stand in der Pilz-Bild:

Waldbesitzer von Baum erschlagen.In Ausübung seines Gewerbes ereilte den 59jährigen Wald-besitzer Raffael Astloch kurz vor seiner Pensionierung eingrausames Schicksal: Er wurde in seinem Auto von einemBaum erschlagen. Er war sofort tot.Seine Verdienste in der Forstwirtschaft waren außerordentlich:Er erzielte mit besonderen Düngesystemen gigantische Holz-zuwachsraten, sein Revier war stets perfekt aufgeräumt, dieumfangreichen Rot-, Reh- und Schwarzwildbestände standengut im Futter und hatten reichlich Nachwuchs. Raffael Astloch hinterläßt eine der bedeutendsten Motorsä-gensammlungen, einen 62 Jahre alten Hinterlader und einenzerknitterten grünen Jeep.