Robin Wood Magazin 3/2008

48

Click here to load reader

description

Robin Wood Magazin 3/2008Demos heute

Transcript of Robin Wood Magazin 3/2008

Page 1: Robin Wood Magazin 3/2008

Leben heißt handeln 2.95 € · ISSN 1437-7543 · Nr. 98/3.2008

Demos heute

TROPENWALD Schmierige Geschäfte mit Palmöl

TATORTE

Protest vorm Schacht

ENERGIE

Abschalten stattAtome spalten

magazin

Page 2: Robin Wood Magazin 3/2008

inhalt

titel

tropenwald

Seite 8

Seite 6

Seite 18

6 „Wir sind gekommen, um zu bleiben“:

Hüttendorf gegen Flughafenausbau

Andere Länder, anderer Protest 8

Vom Elend der „Latschdemos“ 12

18 Schmierige Geschäfte mit Palmöl

20 Regenwald aufs Brot

22 Brasilien: Zuckerrohr in den Tank

24 Kambodscha: Kampf ums Paradies

26 Malawi: Ausbeutung für Glimmstängel

28 Den Schutz der Wälder gerecht gestalten

Nr. 98/3.08

tatort-hintergrund

Foto: NBA

Foto: Jan Becker

strömungen

Agro-Gentechnik unter Druck 16

2

Foto: Harald Schröder

Page 3: Robin Wood Magazin 3/2008

3

inhalt

perspektiven

tatorte

Seite 45

Seite 33

Seite 30

Mobil ohne Auto 32

Lang lebe der Stuttgarter Kopfbahnhof! 33

Asse: Protest vorm Schacht 34

Keine Kohle für Klimakiller 35

bücher

42 Holz

43 ABC der Alternativen

44 Damit sich was bewegt

44 Wir sind überall

impressum46

internes

ROBIN WOOD-Treffpunkte 36

Nr. 98/3.08

Foto: Sortir du Nucléaire

post46

30 Cécile Lecomte:

Störfaktor Eichhörnchen

energie

Foto: ROBIN WOOD/LEGE

kleinholz

41 Free Your River

Energie-Spartipps 37

Der Richtungskampf: Atomkraft - Klimaschutz 38

EIB: Schatztruhe der Atomindustrie 40

merk-würdiges

45 „Strahlendes Klima“: Dokumentarfilm über Atomkraft

Page 4: Robin Wood Magazin 3/2008

4

editorial

Nr. 98/3.08

Wann haben Sie das letzte Mal für mehr Umweltschutz

demonstriert? Oder sich bei einer kreativen Aktion für

wirksamen Klimaschutz eingesetzt? Im Titel dieser Aus-

gabe erfahren Sie mehr vom Elend der „Latschdemos“

und wie Protestbewegungen mit spektakulären Akti-

onen Stärke und Ausstrahlung gewinnen können. Und

wie viel AktivistInnen in Indien und Russland riskieren,

um auf Umweltskandale aufmerksam zu machen.

„Leinen los!“ hieß es am 25. Juli für die Crew der

ROBINA WALD. Zwölf ROBIN WOOD-AktivistInnen

sind in Dresden zu einer ungewöhnlichen PR-Tour für

Energiesparen und Ökostrom aufgebrochen. Auf einem

großen Holzfloß sind die Aktiven fünf Wochen auf der

Elbe unterwegs. Die Floßtour, die über Torgau, Barby,

Magdeburg, Wittenberge, Dömitz und Lauenburg bis

nach Hamburg führt, steht unter dem Motto „Saubere

Energie statt Kohle und Atom“. Die Menschen entlang

der Strecke sind herzlich zu einem Besuch auf dem Floß

eingeladen. An Bord der ROBINA WALD haben die Floß-

fahrerInnen reichlich Informationen rund ums Thema

Energie, Umweltfilme und Aktionsideen. BesucherInnen

des Floßes können Solartechnik ausprobieren, erfahren,

wie sie ihrem Stromanbieter durch den Stromwechsel

die Rote Karte zeigen und gemeinsam mit der Crew

das Flößerleben genießen. Auf dem Programm stehen

u.a. Rundfahrten, Floß-Kino unter freiem Himmel und

Mitmachangebote wie Schnupperklettern.

Die FlößerInnen wollen auf ihrer Fahrt deutlich machen,

wie verlogen die Klima-PR der Energiekonzerne ist. Sie

möchten dazu motivieren, sparsamer mit Energie umzu-

gehen und keinen Strom mehr von den Kohle- und

Atomkonzernen Vattenfall, RWE, E.on und EnBW zu

kaufen. Denn die vier Energie-Riesen setzen voll darauf,

den beschlossenen Atomausstieg zu kippen, die ältesten

Schrottmeiler länger am Netz zu lassen und obendrein

noch mehr AKW in Deutschland zu bauen. Am 29.

August wird das Floß Hamburg erreichen. Interessierte

können jederzeit im Internet unter www.flosstour.de

einsehen, wo sich das Floß gerade befindet.

Wenn Sie selbst gegen die unverantwortliche Atompoli-

tik aktiv werden möchten: Unter dem Motto Atomkraft?

Nein Danke! Castor stopp - Gorleben vermASSEln! wird

am 8. November eine große bundesweite Demons-

tration im Wendland stattfinden. Dann nämlich sollen

wieder 11 Castorbehälter mit hochradioaktiven Kokillen

aus La Hague ins Zwischenlager Gorleben rollen.

In diesem Sinne: Wir sehen uns im Herbst in Gorle-

ben! Bis dahin mit sonnenfreundlichen Grüßen für die

Schwedt/Berliner Redaktion Ihre

Liebe Leserinnen und Leser!

Page 5: Robin Wood Magazin 3/2008

5

tatorte

Nr. 98/3.08

Kreative Aktionen sind das Marken-zeichen von ROBIN WOOD: Zwölf Ak-tivistInnen sind seit Ende Juli mit dem ROBIN WOOD-Floß unter dem Slogan

„Aktiv gegen Dreckstrom aus Kohle und Atom“ auf der Elbe unterwegs

Page 6: Robin Wood Magazin 3/2008

Nr. 98/3.086

„Wir sind gekommen, um zu bleiben“

Die Fraport AG ist Eigentüme-

rin von 21 Quadratkilome-

tern Fläche. Am 28. Mai kündigt

Konzernchef Wilhelm Bender auf

der Hauptversammlung an, in den

nächsten sieben Jahren sieben

Milliarden Euro in den Frankfur-

ter Flughafen zu investieren. Der

Löwenanteil soll in den Bau eines

dritten Terminals und einer vierten

Landebahn gesteckt werden. 400

Hektar Wald soll die hessische

Kleinstadt Kelsterbach dafür

hergeben. Während Bender den

Aktionären die Wachstumszahlen

des Flughafenkonzerns verkün-

det, läuft über die Presseticker die

Nachricht, dass das Baugelände

der Landebahn über Nacht besetzt

wurde. Öko-NomadInnen, Feldbe-

freierInnen und andere Umwelt-

schützerInnen sind in das begehrte

Waldstück eingezogen. Sie instal-

lieren Hängematten, Feldbetten

und hölzerne Plattformen, richten

sich in den Kronen von Kiefern,

Eichen, Buchen und Kastanien

ein. Viele ROBIN WOODlerInnen

kennen das Gelände von früheren

Klettertrainings.

Im besetzten Wald prallen Lebens-

welten aufeinander. „Dreckische

Füß“ stören die einen, Leberwurst

tatort-hintergrund

Mit dem Kelsterbacher Stadtwald will die

Fraport AG 250 Hektar Mischwald noch in

diesem Jahr für den Bau einer vierten Lande-

bahn am Frankfurter Flughafen kahl schlagen

lassen. Laut Planfeststellungsbeschluss wird die

Fraport AG ihre Kapazitäten in Frankfurt auf

700.000 Flugbewegungen im Jahr steigern.

Faktisch wäre bei der jetzigen Planung nahezu

eine Verdopplung der Flugbewegungen auf

eine Millionen Maschinen im Jahr möglich.

Am Rhein-Main-Airport werden nach Unter-

nehmensangaben jährlich 5,6 Millionen Kubik-

meter Kerosin in die Flugzeugtanks gepumpt.

Bei der Verbrennung dieser Treibstoffmenge

entstehen knapp 18 Millionen Tonnen Kohlen-

dioxid, außerdem Stickoxid, Wasserdampf,

Sulfat-Aerosole und Ruß. Dadurch wird das

Klima mit der mindestens dreifachen Wirkung

als nur durch das Kohlendioxid belastet. Die

jährliche Klimalast durch Flüge ab Frankfurt,

berechnet aus der dortigen Betankung, ent-

spricht also 53 Millionen Tonnen Kohlendioxid.

Allein die heute geplanten und weitgehend

genehmigten Ausbauten der drei größten

deutschen Flughäfen Frankfurt, München und

Berlin würden deren Kapazitäten von jetzt

einer auf zwei Millionen Flugbewegungen

jährlich verdoppeln. Die Klimaschutzziele der

Bundesregierung sind damit das Papier nicht

mehr wert, auf dem sie stehen.

Page 7: Robin Wood Magazin 3/2008

in der veganen Waldküche stinkt den an-

deren. „Was denkt das Kalb darüber?“

fragt ein Zettel über der Essenskiste.

Andere anders sein lassen kostet Nerven.

Das ungleiche Bündnis von Waldbeset-

zerInnen und AnwohnerInnen trägt mitt-

lerweile zwei Monate. Zahlreiche Klagen

gegen den Kahlschlag von Gemeinden,

AnwohnerInnen, Unternehmen und dem

Bund für Umwelt und Naturschutz sind

noch anhängig. „Der Widerstand ist

vielfältig“, sagt Andreas Kleinhans von

der ROBIN WOOD-Gruppe Rhein–Main.

„Aber die Schnittmenge an Gemeinsam-

keiten bleibt trotzdem groß.“

Es regnet in Strömen. Eine Plane schützt

die Dorfküche, unter einer zweiten

Nr. 98/3.08

versammeln sich WaldbesetzerInnen.

„Eine Hütte würde die Wärme besser

halten“, sagt einer. Das Dorf entwickelt

sich weiter. Seit Mai ist es erheblich

gewachsen, Bauten aus Lehm und Fund-

holz stehen zwischen den Zelten. Laut

Planfeststellungsbeschluss darf Fraport

am 1. September mit dem Kahlschlag

beginnen. Die Leute im Kelsterbacher

Walddorf richten sich auf einen stür-

mischen Herbst ein.

www.waldbesetzung.blogsport.de und

www.robinwood.de

7

HüttendorfbewohnerInnen im Kelsterbacher Wald

Fotos: Harald Schröder

Monika Lege ist Verkehrsreferentin

in der Pressestelle von ROBIN WOOD

[email protected]

tatort-hintergrund

Page 8: Robin Wood Magazin 3/2008

titel

Nr. 98/3.088

Foto: argus/Fred Dott

Andere Länder,anderer Protest

Page 9: Robin Wood Magazin 3/2008

9

titel

Nach den 80er Jahren sind große Protestbewegungen

in Deutschland selten geworden, abgesehen von den

Protesten gegen den Irakkrieg, der sich nicht gegen die ei-

gene Regierung richtete und den farbenfrohen G8-Protes-

ten durch mecklenburgische Rapsfelder im vergangenen

Jahr. Umweltbelange etwa werden vornehmlich durch

Nichtregierungsorganisationen vertreten, die oft hohe

Sachkenntnisse, aber nur sehr begrenzte Mobilisierungs-

fähigkeit haben. Der Protest ist institutionalisiert. Das mag

auch daran liegen, dass die Gesetzeslage Betroffenen in

vielen Fällen die Möglichkeit bietet, sich mit legalen Mitteln

zu wehren. Das ist bei weitem nicht überall so. Notgedrun-

gen greifen deshalb Betroffene wie auch Bewegungen

und Organisationen in anderen Ländern zu ganz anderen

Mitteln.

Indien: Alle Register gegen die Fluten ziehen

Zum Beispiel in Indien, wo der massive Ausbau der Wasser-

kraft zu einer breiten Anti-Staudamm-Bewegung geführt

hat. Im Narmadatal etwa wehrt sich seit 30 Jahren die

‚Narmada Bachao Andolan’ (NBA), die ‚Rettet die Narmada

Bewegung’, gegen neue Staudämme, die kleine Subsis-

tenzbauern von ihrem fruchtbaren Boden in eine ungewisse

Zukunft vertreiben. Zwar haben in Indien die Menschen, die

ihr Land verlassen müssen, um etwa einem Staudamm zu

weichen, Anrecht auf Ersatzland. Dieses steht jedoch meist

nicht zur Verfügung und wenn Ausgleichsland angeboten

wird, hat es deutlich schlechtere Qualität, die nicht aus-

reicht, um die Familien zu ernähren. Deshalb besetzen die

Betroffenen Baustellen über mehrere Wochen, lassen sich

bei der Räumung verhaften und haben auch schon spontan

das Gefängnis besetzt, wenn sie freigelassen werden soll-

ten, ohne dass auf ihre Forderungen eingegangen wurde.

Und sie setzen immer wieder ihr Leben aufs Spiel. Sowohl

durch Hungerstreiks als auch durch Ausharren im Überflu-

tungsgebiet, wie das Beispiel Omkareshwar zeigt: Für den

Bau dieses 520 MW Wasserkraftwerkes an der Narmada er-

hielt die Firma Voith Siemens 2003 den Auftrag. Bereits im

November 2003 warnte die NBA, dass sowohl die indischen

Behörden als auch der Staudammbetreiber NHPC (Natio-

nal Hydro Power Corporation) nicht bereit seien, die rund

50.000 Menschen, die im Überflutungsgebiet des Dammes

leben, umzusiedeln. Dies veranlasste potenzielle Finanzierer

wie Weltbank und Deutsche Bank, sich von dem Projekt

zurückzuziehen - Voith Siemens hielt jedoch daran fest. Im

Große Proteste wie 2007 gegen den G8-Gipfel in Hei-ligendamm sind in Deutsch-land selten geworden

Nr. 98/3.08

In Deutschland haben Friedensbewegung und breite Anti-Atom-Proteste unter anderem zur Gründung der Grünen Partei geführt, die es beim Marsch durch die Institutionen bis zur (Ex-) Regierungspartei gebracht hat. Protestie-rende in anderen Ländern wie zum Beispiel in Indien und Russland müssen notgedrungen zu anderen Mitteln greifen.

Page 10: Robin Wood Magazin 3/2008

10

titel

Frühjahr 2007 wurde der Omkareshwar

Damm vollendet und laut Plan sollten im

April 2007 die Wehröffnungen geschlos-

sen und der Stausee gefüllt werden.

Ende März 2007 wandten sich jedoch

die betroffenen DorfbewohnerInnen

an das oberste Landesgericht Madhya

Pradeshs und erwirkten eine einstwei-

lige Verfügung gegen die Flutung des

Stausees. Denn entgegen dem Landesge-

setz hatte noch keine einzige Familie aus

dem Omkareshwar-Gebiet die zugesagte

Land-für-Land Entschädigung erhalten.

Das Landesgericht verbot bis auf weiteres

die Flutung und setzte im Juli einen Ter-

min für die Gerichtsverhandlung fest.

In der Zwischenzeit bewirkte der Be-

treiber NHPC jedoch eine Aufhebung

der einstweiligen Verfügung durch den

indischen Supreme Court und erhielt

somit grünes Licht, um die erste Teil-

Flutung des Stausees vorzunehmen. Die

Entscheidung, ob der Stausee vollständig

gefüllt werden darf, wurde jedoch vom

Supreme Court an das Landesgericht

von Madhya Pradesh zurücküberwiesen.

Daraufhin versammelten sich 12.000

Menschen in der Provinzhauptstadt

Khandwa, um bei den Behörden gegen

die Flutung zu protestieren. Anfang Juni

begannen zwei Aktivisten der NBA einen

unbefristeten Hungerstreik.

Eher ertrinken wir...

Mitte Juni wurden trotzdem die Wehr-

öffnungen des Dammes geschlossen.

NHPC hatte angegeben, dass nur fünf

angeblich bereits evakuierte Dörfer durch

die Teilflutung betroffen seien. Tatsächlich

jedoch weigerten sich BewohnerInnen

des Dorfes Ganjari, ihr Dorf zu verlassen,

und eine Gruppe von Frauen stand neun

Tage lang in den ansteigenden Fluten,

um auf das Umsiedlungsfiasko aufmerk-

sam zu machen. Um die Landesregie-

rung zum Handeln zu zwingen, zogen

12.000 DemonstrantInnen und die

beiden Hungerstreikenden am 25. Juni

nach Bhopal. Chittaroopa Palit von der

Russland: TeilnehmerInnen des Anti-Atomcamps besetzen den Rohbau eines Verwaltungsgebäudes, um gegen Pläne für ein Urananreicherungszentrum in Angarsk zu protestieren

Indien: Proteste und Sitzblockaden gegen den Omkareshwar Staudamm am Narmada Fluss 2007

Nr. 98/3.08

Foto: NBA

Foto: Ecodefense

Page 11: Robin Wood Magazin 3/2008

11

titel

Nr. 98/3.08

Foto: Greenpeace

NBA begründet ihre Aktion: „Weder die Landesregierung

noch NHPC halten sich an Gesetze. Die 50.000 Einwoh-

nerInnen der Region werden für den Profit von NHPC und

Voith Siemens einfach aus ihren Dörfern geflutet. Vorher

waren diese Menschen selbstständige Bauern, nun werden

sie dem Verhungern preisgegeben. Wir hoffen, dass das

Landesgericht NHPC zwingt, die Wehre wieder zu öffnen,

denn diese Überflutung ist illegal und unmenschlich.“ Die

Narmada Bachao Andolan ist mit ihrer Strategie, sowohl

traditionelle Widerstandsformen aus dem Unabhängigkeits-

kampf als auch rechtliche Schritte anzuwenden, eine der

bedeutendsten zivilgesellschaftlichen Protestbewegungen

des modernen Indiens.

Russland: atomfreie Republik Baikal

Immerhin hat Indien eine lange Tradition des Widerstan-

des und der Proteste. Russische UmweltschützerInnen,

oder AtomkraftgegnerInnen hingegen operieren in einem

Land, dessen demokratische Freiheiten überaus bescheiden

sind. Da wünschen sie sich manchmal wohl einen anderen

Staat und haben im Sommer 2007 gleich eine ganz neue

Republik ausgerufen: die atomfreie Republik Baikal (Baikal

Nuclear-Free Republic, BNFR). In der Nähe der sibirischen

Stadt Irkutsk besetzten TeilnehmerInnen eines Anti-Atom-

camps kurzfristig den Rohbau eines Verwaltungsgebäudes,

um sich gegen Pläne für ein internationales Urananreiche-

rungszentrum in Angarsk, nahe Irkutsk, zu wehren. Diese

hat Russland im Rahmen der Verhandlungen um das ira-

nische Nuklearprogramm auf den Tisch gebracht. Ebenfalls

ging es um radioaktive Abfälle, die in der Region wenig

gesichert gelagert werden. Das Gründungsmanifest der

Republik besagt: „Die atomfreie Republik Baikal schließt

Atomabfallimporte, den Bau von Atomkraftwerken und

Gewalt durch die Regierung aus. JedeR, der/die diesen Prin-

zipien zustimmt, kann BürgerIn der Republik werden, die

vorherige Staatsbürgerschaft spielt keine Rolle. Leider hat

BNFR gemeinsame Grenzen mit Russland, das radioaktiven

Abfall importiert. Als BürgerInnen der atomfreien Republik

Baikal erklären wir, dass diese Praxis dumm, gefährlich und

unverantwortlich ist.“ Die Republikgründung war übri-

gens klar von bekannten Vorbildern beeinflusst, denn das

Manifest geht weiter: „BNFR erklärt seine Solidarität mit

der freien Republik Wendland und wird in naher Zukunft

daran arbeiten, einen visumsfreien Austausch zwischen den

BürgerInnen beider Republiken zu ermöglichen, um die

Anstrengungen für eine atomfreie Welt zu koordinieren.“

Separatistische Bewegungen sieht jedoch Russland nicht

gerne: Nach nur dreieinhalb Stunden verhaftete die Polizei

alle BürgerInnen der neuen Republik und hielt sie 20 Stun-

den fest. BNFR-Offizielle erklärten jedoch, dass die Regie-

rung der Republik auch im Exil weiterarbeiten und weiter

die Gefahren der Atomkraft bekämpfen werde.

Regine Richtern ist Biologin und arbeitet für die Um-

welt- und Menschenrechtsorganisation

urgewald in Berlin, [email protected]

Page 12: Robin Wood Magazin 3/2008

titel

Nr. 98/3.0812

Allein in Berlin registrieren die

Behörden jährlich weit über 2000

„Versammlungen und Aufzüge“,

von denen die meisten landläufig als

Demonstrationen bezeichnet werden.

Offenkundig sind die Menschen nicht

nur mit vielem in Gesellschaft und Poli-

tik unzufrieden, sondern sie sind auch

bereit, ihre Unzufriedenheit kollektiv

und öffentlich auszudrücken. Ganz im

Sinne des lateinischen Wortes protestari

legen sie für ihre Haltung Zeugnis ab.

Fast immer geht es dabei um mehr als

die bloße Bekundung von Stimmungen

und Meinungen. Die Protestierenden

Heute ist Aufmerksamkeit ein knappes Gut: Nur wenige PassantInnen bleiben stehen, um die Botschaft einer Demo zu erfassenVom Elend

der »Latschdemos«Wer die Zeitung aufschlägt oder die Nachrichten verfolgt, wird mit Protesten aller Art konfrontiert. Beschäftigte wehren sich gegen Massenentlassungen, Klinikärzte verlangen höhere Gehälter, Nazis beschmieren jüdische Gedenkstätten, franzö-sische Studenten gehen gegen eine Änderung des Arbeitsgesetzes auf die Barrika-den, Arbeitslose wenden sich gegen Hartz IV, die Globalisierungsgegner begleiten G8-Gipfel und WTO-Tagungen rund um den Globus . . .

Foto: argus/Fred Dott

setzen sich gegen Zumutungen zur

Wehr, versuchen, in ihren Augen unge-

rechtfertigte Belastungen und Nachteile

abzuwenden oder auch Privilegien zu

verteidigen. Viele blicken über den

Tellerrand ihrer eigenen Lage hinaus,

setzen sich für Benachteiligte ein, die

keine oder nur eine schwache Stimme

haben. Andere wollen nicht nur das

Los bestimmter Gruppen verbessern,

sondern gesellschaftliche Verhältnisse

grundlegend verändern, sei es in klei-

nen, bedächtigen und am Ende doch

große Folgen zeitigenden Schritten, sei

es mit ungestümer und zorniger Geste,

sei es mit kühl kalkulierter Gewalt.

Fragt man die Protestierenden, so

geht es ihnen in erster Linie darum,

die Motive und Gründe ihres Handelns

darzulegen, die Verantwortlichen und

Schuldigen zu benennen, schließlich

die Dinge zum Besseren zu wenden.

Im Vordergrund steht das Warum und

Wozu. Hier wird jedoch eine andere

Perspektive eingenommen. Im Mit-

telpunkt stehen nicht einzelne und

konkrete Inhalte des Protests, sondern

das Wie, genauer: die instrumentellen,

funktionalen und interaktiven Aspekte

des Protests, vor allem (1) seine auf

Aufmerksamkeit zielende Inszenierung,

(2) seine auf Zustimmung und Empa-

Page 13: Robin Wood Magazin 3/2008

13

titel

Nr. 98/3.08

thie gerichteten Techniken des Werbens

und Überzeugens, schließlich (3) seine

Selbstbezüglichkeit als Vergewisserung

kollektiver Identität und Stärke.

Diese soziologische Perspektive betont

die triadische Natur von Protest, der

neben seiner meist übersehenen Binnen-

funktion für die Demonstranten auch

und vor allem als Zeugnis oder Botschaft

für externe Gruppen konzipiert wird.

Dazu zählen zum einen diejenigen, an

die sich der Protest als Einspruch und

Widerspruch richtet, die als Verursacher,

Verantwortliche, Schuldige oder Gegner

identifiziert werden. Dazu zählen zum

anderen die »Dritten« im Konflikt, also

die (noch) Gleichgültigen oder Unent-

schiedenen, die interessierten Beobach-

ter und Berichterstatter, die möglichen,

aber noch nicht gewonnenen Bündnis-

partner, schließlich neutrale Vermittler,

Schlichter oder Schiedsrichter.

Sichtbarkeit

In den heutigen modernen Gesell-

schaften ist Aufmerksamkeit ein äußerst

knappes Gut. Dies ist besonders offen-

kundig für den massenmedialen Betrieb,

der aus der schier unendlichen Fülle von

Themen, Ereignissen und Meinungen die

relativ kleine Menge des ihm berichtens-

wert Erscheinenden rigoros auswählt

und dem Publikum anbietet. Aber auch

in den nicht medial vermittelten Sphären

des Alltags ist Aufmerksamkeit knapp.

Nur weniges kann jeweils beim Essen in

der Familie oder beim Treffen im Ortsver-

ein besprochen werden.

Nur wenige Passanten nehmen den

ihnen entgegengestreckten Werbezettel

in die Hand. Und nur wenige halten

inne, um einen Zug von Demonstranten

eingehend zu betrachten und alle ihrer

Botschaften zur Kenntnis zu nehmen.

Wer nicht schon qua Prominenz, Prestige

oder sonstiger herausragender Merk-

male einen Aufmerksamkeitsbonus hat,

wird also in einen regelrechten Kampf

um Sichtbarkeit eintreten und entspre-

chende Techniken der Aufmerksamkeits-

gewinnung entwickeln müssen. Dies löst

wiederum entsprechende Bemühungen

der Konkurrenten aus, so dass sich das

Spiel auf immer höherer Stufenleiter

fortsetzt.

Protestgruppen, sofern sie um öffent-

liche Aufmerksamkeit als Vorbedingung

ihrer weiteren gesellschaftlichen Wirk-

samkeit ringen, wissen um die Schwie-

rigkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen.

Bei manchen Gruppen führen vergeb-

liche Bemühungen, öffentliche Auf-

merksamkeit zu erringen, zu Resignation

und Rückzug. Die übrigen suchen nach

Mitteln und Wegen, die Hürden der sie

umgebenden Indifferenz zu überwinden.

Dabei stehen ihnen im Grundsatz vier

grundlegende Ressourcen zur Verfü-

gung: Masse, Radikalität, Kreativität und

Prominenz.

Masse dokumentiert, dass das Pro-

testanliegen breiten Rückhalt genießt

und somit seine Legitimität zumindest

prüfenswert erscheint. Jedenfalls können

die Anliegen von Massen, zumal wenn

sie sich zu gemeinsamer Aktion zusam-

menfinden, kaum auf Dauer ignoriert

werden, selbst wenn man die Massen für

ignorant oder verführt halten mag.

Radikalität, die nur selten mit Massen-

haftigkeit vereinbar ist, legt nahe, dass

die Protestierenden für ihr Handeln

starke Motive haben müssen, setzen sie

sich doch dem Risiko der sozialen Isolie-

rung, der politischen Ächtung und der

strafrechtlichen Verfolgung aus. Soweit

Radikalität auch mit der massiven Schä-

digung von Sachen und/oder Personen

verbunden ist, ist ihr – ebenso wie der

Masse – öffentliche Aufmerksamkeit,

jedoch kaum Zustimmung sicher. Am

deutlichsten offenbart sich dies bei terro-

ristischen Akten.

Kreativität ist eine Ressource, die ihre

Wirkung aus der Originalität der Aus-

sage, ihrem Neuigkeitswert oder ihrem

Verblüffungseffekt erzielt. Sie kann beim

Publikum Erstaunen oder, besonders im

Falle subversiver Proteste, auch Irritation

und Nachdenklichkeit auslösen. Sie steht

selbst kleinen Gruppen offen, erfordert

sie doch weder den hohen Aufwand der

Breitenmobilisierung, noch birgt sie die

Risiken der Radikalität. Aber sie bringt

die Gewissheit ihres raschen Verschleißes

mit sich. Kreativität verträgt sich nicht

mit Wiederholung.

Prominenz schließlich ist eine vierte

Ressource, die weder an die Botschaft

noch die Art der Aktion gebunden ist,

sondern einzelnen Gruppen und vor

allem Personen zukommt. Prominenz ist

ein Aufmerksamkeitskapital, das vorab

erworben und dann im Protest einge-

setzt werden kann. Wenn sich renom-

mierte Organisationen, Nobelpreisträger,

Filmstars und Popsänger an einem Pro-

test beteiligen – so ist zumindest diesem

Akt der Beteiligung – wenngleich nicht

notwendig dem Protest als solchem, öf-

fentliche Aufmerksamkeit gewiss. Kleine

Demonstrationen von Tierschützern in

Brüssel werden erst dann von den Me-

dien registriert, wenn sich Brigitte Bardot

beteiligt.

Diese vier Faktoren, die sich in Grenzen

auch miteinander verknüpfen lassen und

dann einen besonders hohen Nachrich-

tenwert aufweisen, bilden lediglich einen

Rahmen, innerhalb dessen spezifischere

Techniken zur Erregung von Aufmerk-

samkeit zur Anwendung kommen

können. Ein Beispiel dafür ist die bloße

Andeutung von Protestakteuren, dass

dieses Mal mit etwas Besonderem zu

rechnen sei. Das kann, sofern es sich

bereits um eine bekannte und als seriös

geltende Gruppe handelt, die Neugier

der Medien anstacheln. Zuweilen genügt

schon der Name des Protestakteurs, um

das Interesse zu wecken. Ein Beispiel

dafür ist Greenpeace. Nachdem die

Organisation eine öffentliche Reputation

für das garantierte Spektakel erworben

hatte, genügte es für eine Weile, den

Medienvertretern lediglich Zeit und Ort

des nächsten Coups mitzuteilen, um

diese in Scharen anzulocken. Damit ist es

inzwischen vorbei.

Eine weitere Technik der Aufmerk-

samkeitserregung besteht darin, das

Gegenwartshandeln mit einer weithin

bekannten Heroik oder Tragik aus der

Vergangenheit zu verbinden. So knüpfen

manche Protestgruppen an ein histo-

risches Datum an (den Geburtstag des

„Führers“, den Jahrestag der Ermordung

eines Demonstranten oder des „Aus-

bruchs“ einer Revolution), um damit

das Interesse potentieller Teilnehmer wie

auch der Massenmedien zu erregen.

Bei einer dritten Technik der Aufmerk-

samkeitserzeugung wird ein externes

und ohnehin stark beachtetes Ereignis

Page 14: Robin Wood Magazin 3/2008

14

titel

Auszug aus Dieter Rucht „Vom Elend der Latsch-demos“ in: Und jetzt? Protest und PropagandaHeinrich Geiselberger (Hrsg) Suhrkamp Verlag, 2007364 Seiten, 12,- EuroISBN: 978-3-518-12500-7

Nr. 98/3.08

als Rahmen oder Bühne für den Protest

benutzt. So störten Feministinnen in den

USA das Ritual der Schönheitswettbe-

werbe oder veranstalteten Globalisie-

rungskritiker „Gegengipfel“ anläßlich

großer Konferenzen des Internationalen

Währungsfonds, der G8 und der WTO.

Ein viertes Muster der Aufmerksam-

keitserregung beruht auf der Erzeugung

„starker“ Bilder des Protests. So werden

etwa in einer viele Kilometer langen

Menschenkette zwei Orte miteinander

verknüpft, formen zahlreiche Menschen-

körper ein nur aus der Luft erkennbares

Peace-Zeichen, wird die Ungleichheit

des Kampfes durch die Konstellation

von David-gegen-Goliath symbolisiert,

werden Untergangsszenarien durch

Särge, Sensenmänner, auf fünf Minuten

vor zwölf stehende Uhren beschworen

oder Autoritäten durch entstellende oder

verfremdende Darstellungen ins Lächer-

liche gezogen.

Eine letzte hier genannte Technik der

Aufmerksamkeitserregung besteht in

der ostentativ dargestellten Risiko- und

Opferbereitschaft der Protestierenden,

die stundenlang im Regen ausharren,

wochenlang einen Bauplatz besetzt

halten, einen kollektiven Hungerstreik

durchführen oder mit ihrer Selbsttö-

tung ein letztes und an Dramatik kaum

zu überbietendes Zeichen setzen. Das

Bild des buddhistischen Mönches Thich

Quang Duc, der sich aus Protest gegen

den Vietnamkrieg öffentlich verbrannt

hat, wird immer wieder von den Medien

gezeigt. Warum dagegen Hartmut

Gründler, ein Lehrer, der sich 1977 aus

Protest gegen die Nutzung der Atomen-

ergie auf den Stufen einer Hamburger

Kirche auf gleiche Weise wie der Mönch

tötete, der Vergessenheit anheim gefal-

len ist, wäre einer gesonderten Analyse

wert.

Selbstvergewisserung

Proteste sind nicht nur Botschaften an

die Außenwelt, sondern auch nach

innen, an die Protestteilnehmer adres-

sierte Botschaften. Im Idealfall bekunden

Proteste interne Geschlossenheit, die

Hingabe an die Gemeinschaft (und nicht

nur die „Sache“), schließlich Stärke und

Zuversicht.

Nicht alle Protestierenden gehören einer

Gruppe an. Aber ohne organisierende

Kerne und Netzwerke sind größere und

länger anhaltende Proteste, geschweige

denn soziale Bewegungen, nicht mög-

lich. Eine Funktion der Gruppen und

Netzwerke besteht in organisatorischen

und logistischen Leistungen: Ort und Zeit

des Protests werden bekannt gemacht,

die Ordnungsbehörden verständigt, Geld

gesammelt, Plakate gedruckt, Trans-

parente gemalt, Lautsprecheranlagen

gemietet, Redner bestimmt, Absprachen

mit der Polizei getroffen.

Eine andere Sache ist es, die Gruppe als

Gruppe am Leben zu erhalten, um auch

in Zukunft weiterzuwirken. Das ist für

Protestgruppen keineswegs selbstver-

ständlich, haben sie doch kaum andere

Gratifikationen zu vergeben als Gemein-

schaftserlebnisse, soziale Anerkennung

durch Gleichgesinnte und die innere

Befriedigung, für eigene Überzeugungen

mit Wort und Tat einzutreten. Ein

wichtiges Moment dabei ist die Über-

zeugung, eine gemeinsame Wertebasis

und Zielvorstellung, einen gemeinsamen

Gegner zu haben. Somit ist Geschlos-

senheit der Gruppe nicht nur ein Faktor

in der strategischen Auseinandersetzung

mit Gegenkräften, sondern auch ein Bei-

trag zur inneren Stabilisierung und zur

Schaffung einer Gruppenatmosphäre,

die Rückhalt und Sicherheit vermitteln

soll.

Zum zweiten, und damit zusammen-

hängend, muss die Einheit und der Sinn

der Gruppe immer wieder durch Gesten

der Solidarität bekräftigt werden. Am

deutlichsten geschieht dies durch jene,

die viel Zeit und Energie für die Belange

der Gruppe opfern, die anderen, welche

weniger Zeit oder Geschick haben, be-

stimmte Aufgaben abnehmen, dadurch

aber auch in der informellen Hierarchie

der Gruppe einen höheren Rang einneh-

men. Es sind vor allem diese Mitglieder,

die bei Protesten vorangehen, mehr

Risiken als andere auf sich nehmen, sich

auch schützend vor andere Gruppenmit-

glieder stellen.

Zum dritten muss sich die Gruppe auch

als eine Einheit darstellen, von der Kraft

und Dynamik ausgeht und die damit

ihren Mitgliedern Energie und Zuver-

sicht verleiht. Auf der Stelle zu treten

bedeutet früher oder später den Zerfall

der Gruppe. All diese Anforderungen las-

sen sich am besten im Akt des Protestes

bekunden und bekräftigen. Damit ent-

steht kollektive Identität, die von innen

wie von außen zugeschrieben wird und

ein Gefühl der Zusammengehörigkeit

erzeugt.

Gratwanderungen

Der Protest hat sich mittlerweile in

unseren Gesellschaften veralltäglicht. Die

prinzipiell verfügbaren Mittel und Wege,

sich Aufmerksamkeit und Zustimmung

zu verschaffen, sind bekannt. Das gilt für

die Protestgruppen wie für ihre Gegner,

für die über Protest berichtenden Jour-

nalisten wie für einen Großteil des Publi-

kums. In manchen Fällen ist das schlichte

„Weiter-so“ Teil der Botschaft. Ein Bei-

spiel dafür bieten die Demonstrationen

am 1. Mai. Es geht darum zu zeigen,

dass man in einer Traditionslinie steht,

auf die man stolz ist und deren Preisgabe

einer Bankrotterklärung gleichkäme. In

der Mehrzahl der Fälle erfordern jedoch

Page 15: Robin Wood Magazin 3/2008

15

titel

Nr. 98/3.08

Foto: argus/Schwarzbach

gelingende Proteste mehr als die Verlängerung einer Tradition.

Sie sind vielmehr Gratwanderungen, die schwerlich durch all-

gemeine Richtungsangaben und das Aufstellen von Warnschil-

dern zu bewältigen sind. Die Art solcher Gratwanderungen

kann gleichwohl in allgemeiner Weise umrissen werden:

Zum ersten ist deutlich, dass in einer immer stärker medial ver-

mittelten Welt der Protest seine Stärke und Ausstrahlung nicht

durch die bloße Fortsetzung bzw. Wiederholung eingespielter

Formen gewinnen kann. Das Elend der „Latschdemos“, des

Dahintrottens für wechselnde politische Inhalte, hat sich all-

mählich herumgesprochen. Wer es noch immer nicht glauben

will, betrachte aufmerksam das Verhalten der Umstehenden.

Aber auch andere und vermeintlich frechere Formen, man

denke etwa an die trillerpfeifenden Gewerkschafter in ihren

standardisierten Plastikwesten, nutzen sich in dem auf Neuig-

keiten getrimmten Medienbetrieb schnell ab. Gefragt sind also

Innovationen und Provokationen. Auf der anderen Seite kann

sich auch die ständige Suche nach Innovationen verselbständi-

gen und zur krampfhaften Attitüde werden, um im Ringen um

öffentliche Aufmerksamkeit mithalten zu können. Am Ende

dominiert die Form über den Inhalt.

Zum zweiten wäre auf die politische Sprache und das framing

zu achten. Auf der einen Seite brauchen Protestgruppen die

Vereinfachung und Zuspitzung, um Positionen zu markieren,

Alternativen aufzuzeigen und ihre eigene Richtung zu be-

zeichnen. Auf der anderen Seite laufen sie aber Gefahr, die

Welt nach schlichten Mustern von gut („wir“) und böse („die

Gegenseite“) aufzuteilen, platte Schuldzuweisungen vorzuneh-

men, überzogene Katastrophenmeldungen auszugeben und

sich als heroische Retter zu stilisieren.

Zum dritten besteht bei Protestgruppen vielfach die Neigung

sich als eine ständig aktive, vorwärtstreibende und Hoffnung

weckende Kraft darzustellen, zumal sie eine Außenseiter-

position einnehmen und gegen den Strom anzuschwimmen

haben. Jedoch verfügen sie nur über begrenzte Kapazitäten.

Mögliche Reaktionen sind dann die ruhelose, aber richtungs-

lose Hyperaktivität in einer Art Hamsterrad, der schnelle, jede

Kontinuität zunichte machende Sprung auf das jeweils aktu-

ellste und attraktivste Protestthema, schließlich der individuelle

oder kollektive burn out mit dem wahrscheinlichen Ergebnis

eines vollständigen Rückzugs aus der Protestpolitik.

Aus all dem folgt, dass sich Protestpolitik immer wieder neu

ihrer Voraussetzungen, Inhalte und Formen vergewissern muss.

Dafür gibt es keine Rezepte.

Dieter Rucht ist Ko-Leiter der Forschungsgruppe „Zivil-

gesellschaft, Citizenship und politische

Mobilisierung in Europa“ des Wissenschaftszentrums

Berlin für Sozialforschung (WZB)

Reichpietschufer 50, 10785 Berlin, [email protected]

Wie können Protestbewegungen Aufmerk-samkeit erregen? Zum Beispiel durch Masse, Kreativität und starke Bilder

Page 16: Robin Wood Magazin 3/2008

strömungen

Nr. 98/3.0816

Agro-Gentechnik unter Druck

30. März: Am Nachmittag rücken vier

Personen in den Wald am östlichen

Stadtrand Gießens ein. Getarnt als

Forstarbeiter wählen sie vom Orkan

„Emma“ umgewehte Bäume aus,

sägen sie auf die gewünschte 12

Meter Länge und entasten sie. Als es

dämmert, nähert sich ein Traktor. Auf

seinem Hänger: Ein 600 Kilogramm

schwerer Betonblock mit Erdanker,

Ketten, Seile und drei schwere Holzele-

mente, die als Straße für den eben-

falls mitgeführten Hubwagen dienen

werden. Drei Gestalten huschen am

Zaun des Gen-Gerstenfeldes entlang,

bücken sich hinter die Böschung und

schneiden den Zaun auf. Mit Spaten

graben sie die Böschung ab, so dass

eine senkrechte Kante entstehen.

Dann verschwinden sie.

Kurze Zeit später fährt der Traktor

heran. Abladen. Dann greift der Front-

lader den Betonblock und senkt ihn die

Böschung hinab auf den Hubwagen,

der dort auf den dicken Bohlen steht,

die ihn Stück für Stück zur Mitte des

Feldes bringen sollen. Der erste Schritt

ist geschafft. Weitere folgen: Die

Stämme werden zum Feld gebracht,

zur Mitte gezogen, passgenau hinge-

legt und verknotet. Löcher entstehen

für Stämme und Erdanker. Dann

stehen alle 20 Personen auf dem Feld:

Der Turm wird aufgerichtet – allein

mit Menschenkraft. Alles ist viele Male

geübt in den Wochen davor - und

klappt nun perfekt. Es ist noch immer

stockduster, als Turm und Betonblock

stehen. Polizei und Wachschutz haben

das Treiben nicht bemerkt. Erst als es

hell wird, rollen Streifenwagen heran.

Die ersten Zelte stehen, Transparente

verkünden die Gründe für die Aktion.

Nach vielen Jahren Pause ist wieder

ein Genfeld besetzt!

Sieben in einem Frühjahr

Vier Tage nach dem Start in Gießen

besetzten AktivistInnen ein Feld für

Maissortenprüfungen in Oberboihin-

gen. Mit schnellem Erfolg: Schon eine

Woche später sagte die FH Nürtingen

den Versuch ab und verkündete

ein fünfjähriges Moratorium. Dann

Northeim: Ökolandbau-StudentInnen

und UnterstützerInnen besetzten ein

Rübenfeld der KWS Saat AG.

Die Gentechniklobby wurde nervös.

Welt, FAZ und biosicherheit.de pro-

klamierten das Ende der Forschungs-

freiheit und des Gentechnikstandortes

Deutschland. Das motivierte zu mehr:

Während auch die Uni Gießen ihren

Gerstenversuch wegen der Besetzung

stoppte, entstanden neue Pläne: Zwei

weitere Maisfelder in Forchheim und

Groß Gerau wurden besetzt. Ersteres

wurde allerdings schnell polizeilich

geräumt – die Premiere für dieses

Jahr. Ein Patzer der BesetzerInnen

erleichterte den Uniformierten die

Arbeit, denn der Turm konnte nicht

rechtzeitig erklettert werden. Anders

in Groß Gerau: Die Besetzung wurde

von der örtlichen Bevölkerung und

sogar den sonst gegenüber direkten

Aktionen meist skeptischen Parteien,

Umweltverbände und Kirchen stark

unterstützt. Das wirkte: Die Uni Gießen

gab auf. Die BesetzerInnen jubelten:

Hessen war gentechnikfrei – alle vier

Felder konnten im Frühjahr durch

Bürgerinitiativen und Feldbesetzungen

verhindert werden.

Derweil versuchten weitere Aktivis-

tInnen die Besetzung eines BASF-

Kartoffelfeldes bei Dambeck. Doch

leider wurde die Fläche verfehlt. Der

kompliziert geplante Turmaufbau auf

zwei Stockwerken gelang durch den

nötigen Umzug nicht – die Polizei

räumte schnell und rüpelhaft. Genützt

hat es jedoch wenig: Einige Wochen

später machte eine Gegensaat den

Versuch unbrauchbar.

Besetzen, befreien, Gegen-saaten!

Feldbesetzungen sind eine schon früh

im Jahr passende und sehr kommuni-

kative Form der direkten Aktion. Aber

nicht die einzige. Schon vor der ersten

Besetzung hatten Gentechnikgegne-

rInnen in Falkenberg ein Kartoffelfeld

durch die Gegensaat anderer Kartof-

feln unschädlich gemacht. In Gaters-

leben gelang dann die erste Feldbe-

freiung des Jahres: Das umstrittene

Genweizenfeld wurde zu zwei Dritteln

umgehackt. Die AktivistInnen zeigten

sich öffentlich und begründeten ihr

Handeln offensiv. Währenddessen

Mitte der 90er Jahre hatten Feldbesetzungen das Thema Gentechnik in die Öffentlichkeit gespült. Dann trat eine lange Pause ein bis zum April 2007. Die erste Neuauflage, eine in-tensiv vorbereitete Besetzung des Genkartoffelfeldes bei Groß Lüsewitz, konnte die Polizei gerade noch verhindern. Nicht jedoch, dass das knappe Scheitern Lust auf mehr machte. Das Frühjahr 2008 brachte ein spektakuläres Comeback dieser kommunikativen Aktions-form: Sieben Besetzungen fanden zwischen dem 30. März und dem 15. Juni statt. Hinzu kamen Gegensaaten und Feldbefreiungen. Im sonst an direkten Aktionen eher armen Deutschland wehte der Wind von Widerstand - Ende nicht absehbar!

Page 17: Robin Wood Magazin 3/2008

verkehr

entwickelte sich aus einer Mahnwache

im Wendland eine kleine und dann

wachsende Feldbesetzung. Das Maisfeld

in Laase wurde zum Endpunkt der Beset-

zungsserie – und zum Ort spektakulärer

Auseinandersetzungen und weiterer

Aktionen.

Ein Räumungs- und zwei Aussaatver-

suche später einigten sich BesetzerInnen,

örtliche LandwirtInnen und der Gen-

tech-Anbauer auf ein Ende des mehr-

wöchigen Saatgutkrimis: Gentechnik-

kritische Bauern säten konventionellen

Mais ein und gaben das Feld Mitte Juni

dem Besitzer zurück. Das Widerstands-

frühjahr war zu Ende.

Viele angemeldete Felder blieben gen-

technikfrei. Auf den anderen begann die

Zeit der Feldbefreiungen. Die BASF verlor

ihre gut beschützten Kartoffelanlagen in

ihrem Agrarzentrum bei Ludwigshafen

– Unbekannte hatten sich nachts in die

Höhle des Löwen geschlichen und 4000

Genpflanzen herausgerissen. Auch die

große Gendreck-weg-Aktion gelang

Nr. 98/3.08

wieder. Das jährliche Treffen vieler

FeldbefreierInnen zu einer gemeinsamen

Aktion überlistete die ständig höher

aufgerüstete Polizei, die BefreierInnen

gelangten schon früh morgens am 29.

Juni über Umwege auf eines der ausge-

wählten Felder.

Die Idee direkter Aktion zielt über das

jeweilige Feld hinaus. Debatten sollen

angezettelt, Kommunikation aufgebaut

und Wissen vermittelt werden. „Hunger

ist nicht die Folge von Nahrungsmittel-

knappheit, sondern dieser Mangel wird

künstlich erzeugt“, formulierte ein Feld-

besetzer auf der Maikundgebung des

DGB Groß Gerau. Patente auf Leben und

die damit verbundene Kontrolle der Le-

bensmittelproduktion würde diese Lage

verschlimmern: „Durch die künstliche

Verknappung sollen höhere Preise erzielt

werden. Konzerne gehen über Leichen,

um Profite zu erzielen. Die Forscher sind

dabei willige Helfer.“

Die Aktionen des Frühjahrs 2008 waren

ein ungewöhnlicher Anfang - die Aktivis-

17

Jörg Bergstedt, Reiskirchen-Saasen

tInnen hoffen nun auf mehr. Genfelder

gibt es noch in vielen Bundesländern.

Mehr Informationen:

www.gentech-weg.de.vu

AktivistInnen, die an den Feldbeset-

zungen und –befreiungen im Frühjahr

2008 teilgenommen haben, bieten

an, für einen Informationsabend oder

Workshop zu euch zu kommen. Sie

werden eine CD mit Bildern und kurzen

Filmsequenzen von den sieben Beset-

zungen und weiteren Aktionen zeigen.

In rund einer Stunde lässt sich so der

Flair direkter Aktion auf den Äckern in

eure Stadt tragen. Danach ist Zeit für

Diskussion – und je nach Interesse auch

weitergehender Informationsaustausch

über konkrete Handlungsmöglichkeiten

für 2009.

Kontakt: Projektwerkstatt

Tel.: 06401/90328-3, Fax –5

[email protected]

Foto: Jörg Bergstedt

Besetztes Feld in Groß Gerau: Schon nach drei Tagen sagte die Uni Gießen den Versuch ab

Page 18: Robin Wood Magazin 3/2008

tropenwald

Nr. 98/3.0818

Schmierige Geschäfte mit Palmöl

Page 19: Robin Wood Magazin 3/2008

19Nr. 98/3.08

tropenwald

Hamburg: Am 29. April 2008 hin-gen ROBIN WOOD-AktivistInnen an einem Speicher der Palmöl-Raf-finerie des Agrar-Konzerns Archer Daniels Midland (ADM) im Ham-burger Hafen und protestierten mit einem 300 m² - Transparent gegen die Zerstörung von Regenwäldern für die Rohstoffversorgung Europas mit Palmöl.

Noch vor nicht all zu langer Zeit, war beim

Anflug auf den Flughafen Medan in

Sumatra, immergrüner, tausend Jahre alter

Regenwald zu sehen - so weit das Auge

reichte. Mittlerweile ist der Wald nicht mehr

da und das schachbrettartige Mosaik der

Ölpalmen-Plantagen prägt die Landschaft.

Vertrieben sind Menschen und Tiere, die den

Wald als Lebensgrundlage genutzt haben.

Kaum ein anderes Land hat seine Natur-

schätze in einem derart rasanten Tempo ge-

opfert wie Indonesien. Die letzten größeren

Tropenwaldflächen in Indonesien, die sich

zurzeit noch auf Kalimantan (Borneo) und

Westpapua befinden, geraten zunehmend

unter Druck. Auch sie sollen demnächst für

neue Monokulturen weichen.

Die schmierige Spur der Vernichtung führt

bis vor unsere Haustür. Die europäische

Lebensmittelindustrie ist Großkunde bei den

indonesischen Palmöl-Konzernen, zuneh-

mend wird das tropische Fett aber auch

in Blockheizkraftwerken für „Ökostrom“

verbrannt.

ROBIN WOOD ist den Profiteuren dieser

Entwicklung auf der Spur. Gemeinsam mit

indonesischen Partner-Organisationen wie

Walhi, Save our Borneo oder JASOIL wollen

wir diesen Wahnsinn stoppen. Branchengrö-

ßen wie ADM und Wilmar haben das jetzt zu

spüren bekommen, als ROBIN WOOD ihnen

aufs Dach gestiegen ist. Lesen Sie dazu auch

unter der Rubrik Tatorte auf Seite 35. Es wird

nicht der letzte ungebetene Besuch bei der

Palmölindustrie gewesen sein. ROBIN WOOD

wird seine Kampagne verstärkt vorantrei-

ben - in Solidarität mit den Menschen aus

Indonesien, Kolumbien und anderswo, die

den Preis für unseren Rohstoffhunger zahlen

müssen.

Peter Gerhardt ist ROBIN WOOD-

Tropenwaldreferent in Hamburg

Tel.: 040/38089218,

[email protected]: Jan Becker

Page 20: Robin Wood Magazin 3/2008

tropenwald

Nr. 98/3.0820

Regenwald aufs Brot

Es ist schwer geworden verarbeitete Lebensmittel ohne Palmöl zu finden, auch in Bio-Produkte taucht auf der Zutatenliste immer häufiger Palmöl auf. Olaf Bartels hat Frau Manon Haccius von Alnatura gefragt, ob die VerbraucherInnen Bio-Produkte, die Palmöl enthalten, noch mit gutem Gewissen kaufen können.

? In vielen Lebensmitteln ist Palmöl zu finden. Warum ist Palmöl in der Le-bensmittelindustrie so weit verbreitet?

! Palmöl ist bei normalen Temperaturen

geschmeidig. Das ist günstig für die

Verarbeitung von Lebensmitteln. Es

ist nicht flüssig und nicht so hart wie

Kokosfett, denn das ergibt ein nicht

so angenehmes Mundgefühl und stört

den Geschmack. Deswegen ist Palmfett

das verarbeitungsfreundlichere und

geschmacklich angenehmere Fett.

? In welchen Produkten von Alnatura ist Palmöl zu finden?

! In verschiedenen Produkten in unter-

schiedlichen Anteilen. Wenn ich mich

auf die konzentriere, in denen etwas

mehr Palmöl enthalten ist, sind das die

vegetarischen Brotaufstriche.

Auch süße Aufstriche, wie der Schoko-

Nuss-Aufstrich, enthalten Palmöl,

damit er eine schöne cremige Konsis-

tenz erhält. Und in den Crunchies ist

Palmfett enthalten. Es wird zusätzlich

zu Getreide und Zucker gebraucht,

damit man die Crunchies backen kann.

Ansonsten halten sie nicht zusammen.

Das wären die wichtigsten. Dann

gibt es noch Palmfett in würzenden

Komponenten, die in geringer Menge in

Produkte kommen.

? Welche anderen Fette wurden früher für Lebensmittel genutzt?

! Das kann ich Ihnen nicht genau sagen.

Ich bin jetzt gut acht Jahre in diesem Be-

reich tätig und beschäftige mich mit der

Frage, was für Zutaten in Bio-Lebensmit-

teln enthalten sind. In der Zeit hat sich

beispielsweise die Palette der herzhaften

vegetarischen Brotaufstriche deutlich

ausgeweitet. Verschiedene süße Aufstri-

che gab es schon, aber das Sortiment an

Nussmus, Schokomus oder Mischungen

ist gewachsen. Darin war schon immer

Palmfett enthalten. Butter wird nicht

verwendet, weil sie leichter ranzig wird

als Palmfett. Außerdem versuchen wir

tierische Fette zu vermeiden, um Vegeta-

riern eine größere Palette verschiedener

Produkte anbieten zu können.

? Also ist es richtig, dass die Lebensmit-telindustrie nicht mehr ohne Palmfett auskommt?

! Ja, wenn ich die Vielfalt der Produkte

im Bio-Lebensmittelbereich anschaue,

insbesondere die, die keine tierischen

Komponenten enthalten. Dort ist Palm-

fett ein wichtiger Bestandteil.

? Woher kommt das bei Alnatura verar-beitete Palmfett?

! Alnatura ist ein Handelsunternehmen.

Wir verarbeiten unsere Produkte nicht

selbst, sondern arbeiten mit Bio-Her-

stellern zusammen, die die Rohwaren

einkaufen und uns die Rezepturen

vorschlagen. Sie kennen sich am

besten damit aus, was technisch und

geschmacklich geht. Unsere Hersteller

wiederum kaufen bei Vorlieferanten,

von denen wir wissen, dass sie entwe-

der durch Pro Rainforest zertifizert oder

im RSPO (Round Table for Sustainable

Palmoil) Mitglied sind. Die meisten Palm-

öllieferanten gehören diesem runden

Tisch an. Wir fragen das in regelmäßigen

Abständen ab. Zwei oder drei nennen

plausible Gründe, weshalb sie ihr Palmöl

aus anderen Quellen beziehen.

Für alle Zutaten, die Alnatura verwendet,

ist es Voraussetzung, dass sie ökologisch

erzeugt sind. Ich kann Ihnen die Länder,

aus denen das von unseren Herstellern

verarbeitete Palmöl stammt, nicht im

einzelnen nennen. Die Händler sind nicht

verpflichtet, uns das offen zu legen. Es

muss aber immer Bio sein.

? Der Anbau vor allem von konventio-nellem Palmöl führt zu katastrophalen

Foto: Jens Wieting

Page 21: Robin Wood Magazin 3/2008

Nr. 98/3.08

Für Manon Haccius von Alnatura ist Bio-Palmöl zur Zeit die beste Alternative

Entwicklungen, wie Vertreibung und Zerstörung des Regenwaldes in den Anbauregionen. Kann sich ein Käufer von biologisch zertifiziertem Palmöl sicher sein, diese Entwicklung nicht zu unterstützen?

! Nach allem, was wir über die biolo-

gische Palmölgewinnung wissen, ja. Wir

haben keine gegenteiligen Auskünfte

und wissen, dass unsere Hersteller an

dieser Stelle ganz engagiert und wach

sind und ihre Vorlieferanten entspre-

chend verpflichten.

? Nach meinem Wissen garantiert die EG-Öko-Verordnung, für die das sechs-eckige Biosiegel steht, nicht, dass für Produkte, die mit diesem Siegel gekenn-zeichnet sind, kein Regenwald gerodet oder Menschen von ihrem Land vertrie-ben wurden.

! Das stimmt. Diese Verordnung regelt

die Anbauweise. Da geht es darum,

welche Betriebsmittel, welches Saatgut,

welcher Dünger und welcher Pflanzen-

schutz angewendet werden dürfen. Das

wird durch unabhängige Sachverstän-

dige zertifiziert. Die Produktion muss

nachhaltig sein. Dafür steht auch der

Round table for Sustainable Palmoil.

? Aber es existiert derzeit noch kein vom Round Table zertifiziertes Palmöl.

! Wir haben von unseren Herstellern

entsprechende Zertifikate und Berichte

erbeten. Daraus habe ich entnommen,

dass sich die Lieferanten von Palmöl auf

Regeln verständigt haben und darauf

achten, dass sie eingehalten werden.

? ROBIN WOOD recherchiert gerade zum Thema und wird sich, so wie es zur Zeit aussieht, bald sehr kritisch zum Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl äußern.

! Kritik ist wichtig. Wenn die Kritikpunkte

bekannt sind, können wir die richtigen

Fragen stellen. Daher interessiert mich Ihre

Kritik sehr. Die Frage, die sich dann stellt,

ist, was denn alternativ empfohlen wird?

Wir wollen ja unsere Alnatura Produkte

weiter anbieten können.

? Hat Alnatura Standards, die über die EG-Öko-Kriterien hinausgehen?

! Ja, wir haben interne Richtlinien, die wir

bei der Produktentwicklung anwenden.

Ein Expertengremium, dem wir unsere

Produktprojekte und Rezepturen vorstel-

len, überprüft die Zutaten, Hilfsstoffe und

Verarbeitungsverfahren kritisch, und dann

sagen die Experten, ob das Produkt in

Ordnung ist. Wenn dies nicht der Fall ist,

dann gibt es das Produkt nicht.

? Welche Verantwortung haben Le-bensmittelproduzenten bezüglich ihrer Rohstoffe, die sie beziehen?

! Die Lebensmittelproduzenten sind nach

meiner Auffassung für die Qualität der

Produkte, die sie den Kunden anbieten,

verantwortlich. Sie sollten sich, so weit

es möglich ist, Gedanken machen und

anspruchsvolle Standards umsetzen.

Das Unternehmen Alnatura hat seit

24 Jahren Standards und es kommen

immer mehr Aspekte dazu. Produkte

und Rezepturen werden immer umfas-

sender geprüft. Es ist ein kontinuierlicher

Verbesserungsprozess.

? Was können Sie VerbraucherInnen raten, die kein Palmöl kaufen wollen, für das Regenwald vernichtet wurde?

! Nach meiner festen Überzeugung ist

ein Bioprodukt, das biologisch erzeugtes

und zertifiziertes Palmöl oder Palmfett

als Zutat enthält, die beste im Moment

verfügbare Alternative. Ich bin sehr

daran interessiert, was Sie uns zusätzlich

an Informationen zum Thema zukom-

men lassen können.

Olaf Bartels hat ein Praktikum bei

ROBIN WOOD in Hamburg absolviert,

[email protected]

tropenwald

21

Page 22: Robin Wood Magazin 3/2008

tropenwald

Nr. 98/3.0822

Der brasilianische Präsident Lula da Silva glaubt mit Agrotreibstoffen die wachsenden Energie-probleme lösen zu können. Der Anbau von Zuckerrohr für „Bio“-Kraftstoffe helfe dem Klima, sei nachhaltig und es stünden genügend Flächen zur Verfügung, so dass kein Regenwald für Plantagen zerstört werden müsse. Die Ausweitung der Flächen wäre sogar in dem Maße möglich, dass auch für den deutschen Markt genügend Agrarrohstoffe erwirtschaftet werden könnten.

Vor diesem Hintergrund unterzeichneten Präsident Lula

und Bundeskanzlerin Merkel am 14. Mai in Brasilia ein

bilaterales Energieabkommen mit dem Schwerpunkt Agro-

kraftstoffe. Das Abkommen weist allerdings gravierende

Mängel auf: Die von Umweltminister Sigmar Gabriel und

Bundeskanzlerin Angela Merkel viel gepriesenen ökolo-

gischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien sollen von

der EU-Kommission entwickelt und ein Zertifizierungsystem

entworfen werden. Dabei sind sich die Umweltverbände

einig: Ein funktionierendes Zertifizierungssystem wird es

nicht geben. Das haben andere Beispiele aus dem Holzbereich

bereits gezeigt. Auch ist es utopisch in Brasilien dafür sor-

gen zu wollen, dass im großflächigen Energiepflanzenanbau

ökologische und soziale Standards eingehalten werden. In

einem Land, in dem Korruption und Sklavenarbeit, besonders

im Zuckerrohranbau, an der Tagesordnung sind. Aufgrund der

vielen Bedenken gab es im Vorfeld des Energieabkommens

eine Protestflut von Nichtregierungsorganisationen aus Brasi-

lien und Deutschland, an der sich auch ROBIN WOOD beteiligt

hat. Nicht nur in Brasilien wird Agrosprit als Patentlösung

gehandelt, auch Gabriel und Merkel reden den Anbau von

Agrarkraftstoffen in Brasilien für den Import nach Deutschland

schön.

Ein Blick hinter die Kulissen der Zuckerrohrindustrie zeigt je-

doch, dass die Realität anders aussieht. Derzeit wird in Brasilien

auf ca. sieben Millionen Hektar Zuckerrohr angebaut, etwa die

Hälfte davon wird für die Herstellung von Ethanol verwendet.

Der Import von Agrarprodukten zur Herstellung von Energie

und Kraftstoffen nach Deutschland stachelt die ohnehin ehr-

geizigen Pläne der brasilianischen Regierung weiter an. Insge-

samt sollen die Zuckerrohrplantagen in Brasilien auf bis zu 30

Millionen Hektar ausgeweitet werden. Für die Ausweitung der

Agrarflächen in Brasilien werden nicht nur die Umwelt sondern

auch die Menschen vor Ort bezahlen.

Die Behauptung von Lula, der Anbau von Agroenergieplan-

tagen habe keinen Einfluss auf die nationale Nahrungsmit-

telproduktion, wird von Vertretern der Wirtschaftsseite gerne

übernommen. Jedoch sagen die Zahlen der Landesuniversität

in Sao Paulo etwas anderes: Die Anbauflächen von Grundnah-

rungsmitteln wie Reis, Bohnen, Maniok und Kartoffeln sind im

Zeitraum zwischen 2006 und 2007 um jeweils über 10 Prozent

zurückgegangen.

Die Energiepflanzen werden auf den fruchtbarsten Flächen in

pestizidintensiver Monokultur angebaut, während die Bohnen-

und Reisanbauflächen zwischen 1990 und 2006 landesweit

um 261.000 bzw. 340.000 Hektar verringert wurden – insbe-

sondere in den Gemeinden, die die größte Ausweitung der

Zuckerrohrflächen aufweisen. Brasilien ist eines der produk-

tivsten Länder der Welt. Trotzdem leiden 44 Millionen Men-

schen Hunger und sind von extremer Armut betroffen. Diese

Situation wird sich aufgrund des explodierenden Marktes für

Agrartreibstoffe immer weiter verschärfen.

Abgesehen von den Folgen des Anbaus von Monokulturen

für die Biodiversität und die lokale Bevölkerung kann bei den

Zuckerrohr in den Tank

Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Lula da Silva haben beschlossen, dass mehr brasilianisches Zu-ckerrohr in deutschen Autotanks landen soll...

Foto: pixelio/Frank Hüfner

Page 23: Robin Wood Magazin 3/2008

23

tropenwald

vermeintlichen „Bio“-Kraftstoffen von

CO2-Neutralität keine Rede sein. Durch

Landnutzungsänderungen und Brandro-

dungen werden bei der Herstellung von

Ethanol mehr Treibhausgase freigesetzt,

als durch den Ersatz von herkömmlichen

Kraftstoffen eingespart werden können.

Der Anbau von Zuckerrohrplantagen

bedeutet besonders in trockenen Re-

gionen einen massiven Eingriff in den

Wasserhaushalt. Zur Herstellung eines

Liters Ethanol werden im Produktions-

prozess rund 13 Liter Wasser verbraucht:

im bewässerten Zuckerrohranbau steigt

der Wasserverbrauch auf ca. 600 Liter.

Zusätzlich entstehen mit jedem Liter

Ethanol 12 bis 13 Liter giftiges Abwasser.

Die Preise für „unproduktives“ Land

steigen aufgrund der erhöhten Nach-

frage nach Agrarrohstoffen an, wodurch

der Staat kaum noch den Landankauf

für Kleinbauern finanzieren kann.

Darüber hinaus pachten Inhaber von

Zuckerfabriken gezielt Landflächen, um

sie der Umverteilung im Rahmen der

Agrarreform zu entziehen. Dadurch wird

nicht nur eine Agrarreform verhindert,

sondern die Situation der kleinen Bauern

und der Landlosen erheblich verschlech-

tert. Die hohen und kontinuierlich

weiter ansteigenden Weltagrarpreise

wirken sich nicht nur negativ auf die

Ernährungssicherheit der Menschen

aus, sondern liefern zudem Anreize für

Landnutzungsänderungen.

In Brasilien wird von der Regierung und

der Zuckerrohrindustrie nur allzu gerne

betont, dass 100 Millionen Hektar Land

frei zur Verfügung stehen würden. Diese

könnten in industrielle Agrarflächen um-

gewandelt werden, ohne dass dafür Re-

genwald gerodet werden müsse. Daher

sei es kein Problem, die Agrarproduktion

für Kraftstoffe auszuweiten, betonte Luiz

Eduardo Goncalves, Botschaftssekretär

und Leiter der Wirtschaftsabteilung

der brasilianischen Botschaft, bei einer

Podiumsdiskussion zu dem Thema „Tank

UND Teller“, die Mitte Juni von Berlinpo-

lis veranstaltet wurde. In der Diskussion

ging es um neue Herausforderungen

für die globale Nahrungs- und Ener-

giesicherheit. Leider vertraten vier von

fünf der geladenen Gäste eindeutig die

Profitinteressen der EU, während sie die

Nahrungssicherheit der Bevölkerung und

Menschenrechte in Brasilien weniger

interessierte.

Die Vorträge bewiesen einmal mehr,

wie kurzsichtig der Blick aus der Wirt-

schaftsperspektive ist. Auch wenn die

Zuckerrohrplantagen nicht im Regen-

wald, sondern auf früheren Weideflä-

chen angebaut werden, tragen sie doch

indirekt zur Regenwaldvernichtung bei.

Denn die Bauern, die gewaltsam von

ihrem Land vertrieben wurden, ebenso

wie die Viehzüchter, die ihr Weideland

weggeben müssen, wandern in den

Regenwald hinein, um sich neues Land

zu erschließen.

Wirtschaftsvertreter sehen offensichtlich

nur den Profit. Denn sonst hätte Herr

Goncalves eine Antwort auf die Frage

gewusst, warum in Brasilien jedes Jahr

etliche Menschen aufgrund von Land-

rechtskonflikten ermordet werden, wenn

es angeblich soviel frei verfügbare Fläche

gibt. Der Indiandermissionsrat CIMI teilte

mit, dass der Bundesstaat Mato Grosso

do Sul die meisten Morde an Ureinwoh-

nerInnen zu verzeichnen hat. Im vergan-

genen Jahr wurden dort 53 Indigene er-

mordet und gerade hier die Anbaufläche

für Zuckerrohr stark erweitert. Gewalt

und Vertreibung gehen mit der Konver-

tierung von Weideland oder Savannen in

Agrarflächen einher. Aber es geht nicht

nur um die Menschenrechte.

Wenn Herr Goncalves oder die Zu-

ckerrohrindustrie von 100 Millio-

nen Hektar verfügbarer Fläche sprechen,

dann meinen sie auch wertvolle Öko-

systeme wie den Cerrado, auf den die

lokale Bevölkerung als Weideland oder

zum Sammeln von Nahrung, Medizinal-

pflanzen oder Brennholz angewiesen ist.

Diese Savannenlandschaften befinden

sich vor allem im zentralen Westen und

Nordosten Brasiliens. Die bisher beste-

henden Zuckerrohrplantagen haben

bereits zur Zerstörung dieser Ökosysteme

beigetragen. Und durch den steigenden

landwirtschaftlichen Wert dieser Regi-

onen nimmt auch hier die Gewalt zu.

Innerhalb des letzten Jahres hat sich

die Zahl der Menschen, die gewaltsam

vertrieben wurden, mehr als verdoppelt.

Die Ausweitung der Energiepflanzen-

Monokulturen bzw. die Verdrängung

Nr. 98/3.08

von Nahrungsproduktion und Vieh-

zucht in Wald- und Savannengebiete

verursacht gewaltige klimaschädliche

CO2-Emissionen. Das Forschungsinstitut

Imazon gab aktuelle Entwaldungszahlen

für die Bundesstaaten Mato Grosso und

Pará bekannt. So wurden allein von

Januar bis März 2008 trotz der Regenzeit

mindestens 21.400 Hektar Regenwald

zerstört, dreimal so viel wie im ersten

Quartal 2007. Doch bei der Diskussion

um Agrarenergien wird von Wirtschafts-

seite kein Wort darüber verloren.

Diese indirekten Folgen der Auswei-

tung von Agrarflächen, deren Produkte

für den Import nach Europa bestimmt

sind, werden gerne unter den Teppich

gekehrt. Es bleibt nur zu hoffen, dass

Lula das Zeichen der Umweltministe-

rin Marina Silva, die kurz vor Merkels

Besuch zurückgetreten ist, zum Anlass

nimmt, sich wieder für die Umwelt und

die lokale Bevölkerung einzusetzen.

Steph Grella ist in der ROBIN WOOD-

Tropenwaldgruppe akiv

[email protected]

... die gravierenden ökologischen

und sozialen Folgen für die Men-

schen in Brasilien werden unter

den Teppich gekehrt

Fo

to: p

ixelio

/Cla

ud

io L

ion

e

Page 24: Robin Wood Magazin 3/2008

tropenwald

Nr. 98/3.0824

Einen blutigen Kleinkrieg trugen mittellose Fischer bis vor kurzem in der kambodschanischen Bucht von Kampong Som aus – ein Konflikt um Ressourcen und um den Zugang zum Meer. Durch die Vermittlung von Nicht-Regierungsorganisationen haben einheimische Fischer und solche, die von außerhalb kommen, ihren Konflikt vorerst beigelegt – doch noch immer herrscht Misstrauen.

Über einen schmalen, klapprigen

Steg balanciert Fischer San Yaung

zu seinem Holzboot. Der junge Mann

hält einen Moment inne und schaut

sich um: Vor ihm öffnet sich das Meer,

hinter ihm, keine hundert Meter ent-

fernt, duckt sich das Fischerdorf An Chi

Eut unter Kokosnuss- und Bananenpal-

men. In einer der schlichten Holzhütten

wohnt San Yaung mit seiner Ehefrau

und den beiden Kindern. Das ewige

Grün des Dschungels versorgt die Fa-

milie mit exotischen Früchten. Und das

Meer bietet ihnen ein schier endloses

Reservoir an frischem Fisch, an Mu-

scheln und Krabben. Es wirkt bald so,

als lebten San Yaung und die anderen

Dorfbewohner im Paradies auf Erden.

Ein Eldorado mitten im Nirgendwo.

Doch das Paradies weckt Begehrlich-

keiten und zieht immer wieder fremde

Fischer an, die in den Gewässern vor

der Küste fischen. Auch an diesem Tag.

Am gegenüberliegenden Steg machen

Fischer von außerhalb ihre Boote fertig.

Argwöhnisch schaut San Yaung hin-

über. „Sie kommen aus einem weiter

entfernt liegenden Dorf – aus Stung

Hav“, vermutet er.

Bis 2003 trugen die Fischer aus An Chi

Eut einen blutigen Kleinkrieg ge-

gen Eindringlinge aus. Immer mehr

Schiffskutter drangen damals mit ihren

Fangnetzen in die Bucht von Kampong

Som vor und überfischten die Gewäs-

ser. Es kamen nicht nur Kutter aus den

Nachbardörfern, sondern auch aus der

Küstenregion um die nahe gelegene

Tourismus-Hochburg Sihanoukville. An

Bord der Kutter heuerten mittellose

Menschen aus dem Landesinneren an:

Vertriebene, die ihren Grund und Bo-

den verloren haben, weil Investoren ein

Interesse an einem Stück Land anmel-

deten – bis heute ein typischer Vorgang

in Kambodscha, einem Land, in dem

Willkür, Korruption und Gewalt an der

Tagesordnung sind.

Die Konkurrenz um Ressourcen in der

Küstenregion verschärfte sich zu-

sätzlich, als Menschen aus dem nahe

gelegenen Mangrovendschungel in

die Küstenregion zogen – aus der Not

heraus. Sie hatten bis dato von der

Waldwirtschaft gelebt: von Früchten,

Honig und Einnahmen aus dem Verkauf

von Tropenholz. Als die kambodscha-

nische Regierung 1999 jedoch die

Abholzung untersagte, verloren die

Menschen einen wichtigen Teil ihres

Einkommens. Aus Mangel an Alter-

nativen wandten sie sich der Fischerei

zu – sehr zum Ärger von traditionellen

Fischern wie San Yaung. „Die Gewässer

vor unserer Küste waren nach kurzer

Zeit völlig überfischt, wir mussten in die

Mangroven ziehen, um dort Fisch und

Shrimps zu fangen.“

Um den zunehmenden Fischfang zu

stoppen, wandten sich die rund 600

Bewohner aus An Chi Eut an die kom-

munale Regierung in der nahe gele-

Kampf ums Paradies

Jetzt herrscht wieder Frieden in

dem Fischerdorf An Chi Eut ...

Fotos: Thomas Becker

Page 25: Robin Wood Magazin 3/2008

25

tropenwald

genen Kleinstadt Sre Ambel. Vergeblich.

Polizei und Militär griffen nicht ein. Und

der Konflikt eskalierte: Beim Versuch, die

Fremdfischer von der Küste fernzuhal-

ten, starben um die Jahrtausendwende

mindestens 25 Menschen bei Kämpfen

in der Bucht von Kampong Som. Die

Folge eines Konflikts, in dem mittellose

Menschen untereinander einen blu-

tigen Kampf um Ressourcen austrugen.

Manche Fischer wagten sich damals

überhaupt nicht mehr in ihre Gewässer

vor. „Aus Angst kenterten Fischer aus

unserem Dorf ihre eigenen Boote und

suchten darunter Schutz, sobald sich

ihnen ein feindlicher Kutter näherte“,

erzählt San Yaung, der die blutigen

Kämpfe von damals noch allzu gut in

Erinnerung hat.

Es dauerte einige Jahre, bis sich die

Fischer organisiert und zu einem

friedlichen Umgang im Ressourcenstreit

formiert hatten. Die Bewohner aus An

Chi Eut richteten zunächst ein Schreiben

an Premierminister Hun Sen und wiesen

auf ihre hoffnungslose Lage hin. Eine

Antwort erhielten sie nie. Das verwun-

dert kaum: Denn Hun Sen steht laut

Transparency International an der Spitze

einer der korruptesten Regierungen

weltweit und schürt eher Konflikte als

sie zu entschärfen. Mehr Unterstützung

erhielten San Yaung und die Bewohner

aus An Chi Eut von Nicht-Regierungs-

organisationen, die sich seit 2000 in

der Küstenregion engagieren. American

Friends Service Committee (AFSC) und

Khmer Ahimsa werden vom Deutschen

Evangelischen Entwicklungsdienst unter-

stützt und haben sich den Zielen einer

aktiven Friedensarbeit verschrieben.

Auf ihr Anraten hin nutzten die Bewoh-

ner aus An Chi Eut schließlich ein offizi-

elles Rechtskonstrukt. Sie stellten einen

Antrag, in dem sie den Küstenstreifen

vor dem Fischerdorf als geschützte Zone

deklarierten, in der nur sie fischen dür-

fen. Das Ministerium für Landwirtschaft,

Wald und Fischerei in der kambod-

schanischen Hauptstadt Phnom Penh

erkannte den Küstenstreifen 2003 an.

Anspruch darauf hätten die Küstenbe-

wohner schon viel früher gehabt. Doch

für ihr Recht einzustehen, es aktiv zu

fordern und offiziell bestätigen zu lassen

– das war für den so abgeschieden le-

benden Fischer in An Chi Eut fremd. Die

meisten wussten lange gar nicht, dass

es solche Schutzgebiete überhaupt gibt.

Viele Einwohner aus An Chi Eut können

weder lesen noch schreiben und haben

ihr Dorf nur selten verlassen.

„Community protected area“ – dieser

Titel schützt die Fischer aus An Chi Eut

nunmehr seit fünf Jahren. Doch nur auf

dem Papier. Denn die Machthaber des

Distrikts scherten sich weiterhin nicht

darum, Vergehen gegen den offiziellen

Rechtsstatus zu ahnden. Die Bewohner

aus An Chi Eut schlossen sich deswegen

mit den umliegenden Fischerdörfern

zusammen. Sie richteten einen Patrouil-

ledienst ein – und schufen damit ihren

eigenen Schutzdienst. „Eindringlinge

wagen sich seitdem weitaus weniger

in unsere Gefilde vor. Sie wissen, dass

wir mit Nachbardörfern kooperieren“,

sagt San Yaung, der heute Sprecher der

Fischergemeinschaft in seinem Dorf ist.

„Der illegale Fischfang ist mittlerweile

um 70 bis 80 Prozent gesunken.“

Zudem haben die Dorfbewohner eine

verbindliche Satzung aufgestellt: Konfis-

zieren sie etwa das Boot eines illegalen

Fischers, erhält dieser es zurück, wenn

er einen festgesetzten Preis bezahlt.

„Wir könnten die Boote auch für einen

langen Zeitraum einkassieren, aber das

würde Unmut nach sich ziehen und

zu Gewalt führen“, sagt San Yaung.

In Zukunft werde die Patrouille illegale

Fischkutter deswegen mit friedlichen

Mitteln stoppen und sich an die Statuten

ihrer eigenen Satzung halten, versichert

Fischer Yaung.

Mittlerweile hat sich der Fischbe-

stand in der Bucht von Kampong

Som erholt. Krabben, Muscheln und

leckere Katzenfische gibt zur Genüge.

Das allerdings macht die Küstenregion

erneut interessant für Fremdfischer – ein

Teufelskreis, der im Februar 2005 dazu

führte, dass ein Konflikt mit Fischern

aus dem nahe gelegenen Fischerdorf

Stung Hav eskalierte: Deren Schiffskutter

fischten mit nicht zugelassenen Netzen

zum wiederholten Mal in den Gewässern

vor An Chi Eut. Eine Patrouille konfis-

zierte die Kutter. In der folgenden Nacht

drangen Fischer aus Stung Hav ins Ge-

meindehaus ein und brannten Häuser im

Nr. 98/3.08

Dorf nieder. So ist klar: Die Bemühungen

derjenigen, die Frieden unter den verfein-

deten Fischers schaffen wollen, stehen auf

labilem Fundament.

Immerhin: Seit jenem Zwischenfall vor drei

Jahren hat sich die Lage stabilisiert. Keine

offenen Kämpfe, kein Blutbad mehr. Auch

am heutigen Tag kehren Fischer aus An

Chi Eut mit vollen Netzen vom offenen

Meer zurück. Und auf dem Dorfplatz von

An Chi Eut präsentieren gut gelaunte und

gut genährte Fischer später ihre Beute. Sie

lachen. Sie wollen fotografiert werden.

Solch herzhaft lachende Gesichter sieht

man selten in Kambodscha, dem Land

des Lächelns, das vielerorts sein Lächeln

verloren hat – auch wegen der unzähligen

Konflikte um Ressourcen.

Wie die anderen Fischer im Dorf schaut

auch San Yaung zufrieden drein, als er

sein Boot am Steg anlegt. Er packt das

Fischernetz zusammen – und schaut noch

einmal argwöhnisch auf den benachbar-

ten Steg, als wolle er sagen: Die Zukunft

ist ungewiss und der letzte Kampf ums

Paradies noch nicht ausgetragen. Klar ist

für den jungen Mann nur: „Ich bin Fischer,

das ist mein Leben.“

Thomas Becker ist Journalist und

lebt in Düsseldorf

[email protected]

... und die Fischer kehren mit

vollen Netzen ins Dorf zurück

Page 26: Robin Wood Magazin 3/2008

tropenwald

Nr. 98/3.0826

Die letzte Hand, die den Tabak einer Zigarette berührt hat, könnte die Hand eines Kindes oder einer Frau aus Malawi gewesen sein. Raphael Sandramu, Gewerkschafter aus Malawi, berichtet, dass es lebensgefährlich ist, sich für die Rechte der Arbeiter im Tabakanbau einzusetzen.

Sein Engagement gegen die Tabakbarone hätte Raphael

Sandramu beinahe mit dem Leben bezahlt. „Ja, das ist

sehr gefährlich. Schon zweimal wollte man mich töten“,

sagt Raphael. Wir fahren im Zug von Hamburg nach

Bremen und die Norddeutsche Tiefebene rauscht mit 200

Stundenkilometern an uns vorbei. „Die Landbesitzer sehen

es nicht gerne, wenn ich als Gewerkschafter zu den Arbei-

tern und landlosen Pächtern komme und diese über ihre

Rechte aufkläre. Einmal wartete ein aufgebrachter Eigen-

tümer mit einer Machete am Eingang seines Grundstücks

auf mich, ein anderes Mal wurde ich von drei Männern mit

einem Messer verfolgt.“

Raphael Sandramu ist Generalsekretär der Tobacco Tenants

and Allied Workers Union of Malawi (TOTAWUM). Das ist

die Gewerkschaft der landlosen Pächter und Arbeiter in

der Tabakindustrie Malawis. Die Organisation hat sich zum

Ziel gesetzt, für etwas mehr Gerechtigkeit in der Tabak-

produktion in dem ostafrikanischen Land zu sorgen. Das

ist schwer genug, denn die internationalen Tabakkonzerne

und die Grundbesitzer verdienen gut an der Ausbeutung

ihrer Arbeitskräfte. Die Grundsteine dafür wurden in der

britischen Kolonialzeit gelegt. „Die Briten installierten ein

Ausbeutungssystem in Malawi“, erklärt Raphael, „das in

erster Linie dazu dienen sollte, den Export von Tabak nach

Europa zu etablieren. Nach den Briten regierte Diktator

Banda das Land, mit dem die US-Tabakmultis glänzende

Geschäfte machten.“ Tabak ist nach wie vor das wich-

tigste Exportgut Malawis, das seit dem wirtschaftlichen

Zusammenbruch Zimbabwes zum zweitgrößten Tabakpro-

duzenten der Welt aufgestiegen ist.

In der Regel heuert ein landloser Pächter für eine Saison

bei einem Grundbesitzer an. Dieser räumt der Familie

Wohnrecht ein und teilt ihnen ein kleines Stück Land für

den Tabakanbau zu. Pflanzen, Dünger und Lebensmittel

gibt es dann auf Kredit vom Landbesitzer und wenn die

Pächter ihre Tabakernte an Ende der Saison abgeliefert

haben, wird abgerechnet. „Dabei werden die Menschen

oft um ihren gerechten Anteil gebracht“, klagt Raphael,

„denn Kredite gibt es oft nur zu Wucherzinsen. Und da

die meisten Arbeiter und Pächter Analphabeten sind, exis-

tieren auch keine schriftlichen Verträge, was die Menschen

vollkommen der Willkür der Grundbesitzer ausliefert. Für

uns als Gewerkschaften ist es ohne schriftliche Dokumente

sehr schwer, den Landeigentümern Betrug nachzuweisen.

Nicht selten werden die entrechteten Pächterfamilien

nach der Ernte zum sofortigen Verlassen des Grundstücks

aufgefordert.“

Eine Familie kann pro Saison auf drei Hektar den Tabak

für 100.000 Packungen pflücken, von den Gewinnen der

Tabakindustrie können sie nur träumen. Oftmals reicht es

nicht mal fürs nackte Überleben, selbst wenn die Kin-

der nicht zur Schule gehen und sich bei der Tabakernte

kaputt schuften. Manche Grundbesitzer verbieten gar den

Schulbesuch der Kinder, um auch noch das Letzte aus den

Familien herauszupressen. „Wer das Land hat, hat die

Macht“, fasst Raphael zusammen.

Der Tabakanbau ist aber auch eine ökologische Katastro-

phe. Um den Tabak in den gewünschten Exportqualitäten

Ausbeutung für Glimmstängel

Schon fünfjährige Kinder müssen zur

Erntezeit gesundheitsschädigende

Arbeiten verrichtenFoto: Marty Otanez, 2003

Page 27: Robin Wood Magazin 3/2008

27

tropenwald

herzustellen, werden die letzten Wälder

Malawis dem Erdboden gleich gemacht.

Um Tabakblätter für ein Kilogramm

Tabak zu trocknen, werden mehr als

100 Kilogramm Feuerholz benötigt.

Nr. 98/3.08

Mittlerweile muss dieses Holz Hunderte

Kilometer weit heran geschafft werden.

Die ökologischen Folgen des Raubaus

sind überall sichtbar. „Erosion ist weit

verbreitet“, berichtet Raphael, „und

überall klagen die Menschen, dass die

Bodenfeuchtigkeit zurückgegangen ist.“

Und was soll jetzt geschehen? Wir sind

in Hamburg angekommen. Heute Abend

ist Raphael Sandramu wieder Haupt-

redner einer Veranstaltung. Das Publi-

kum wird mit Entsetzen zur Kenntnis

nehmen, wo und vor allem unter welch

unmenschlichen Bedingungen der Tabak

für Zigaretten eigentlich wächst. „Wir

könnten eure Unterstützung bei einer

Gesetzesinitiative gebrauchen. 1995

tauchte der erste Entwurf eines Gesetzes

zum Schutz der Pächter und Arbeiter

in der Tabakproduktion auf. Dann ist es

gleich wieder in der Schublade ver-

schwunden. Ein solches Gesetz wäre ein

echter Fortschritt“, sagt Raphael. „Es

wäre toll, wenn viele Menschen unsere

Fo

to: K

am

pag

ne R

au

chzeic

hen

Malawi ist eines der ärmsten Länder

der Welt. Von 1891-1964 war Malawi

britische Kolonie. Nach der Unabhän-

gigkeit schlidderte das Land in eine

Diktatur. 1994 kam es zu ersten freien

Wahlen. Malawi exportiert neben Tabak

vor allem Tee und Zuckerrohr. In den

Jahren 2001 und 2002 wurde das Land

von einer schrecklichen Hungersnot

heimgesucht, bei der Tausende Men-

schen ums Leben kamen.

Petition unterstützen würden, die noch

bis zum 1. September läuft.“

Online-Petition und viele Infos gegen die

Ausbeutung der ArbeiterInnen in der

Tabakproduktion Malawis unter:

www.unfairtabacco.org

Website des amerikanischen Anthropolo-

gen Marty Otanez mit vielen Filmen und

Hintergrundinfos:

www.sidewalkradio.net

Peter Gerhardt ist Tropenwaldrefe-

rent bei ROBIN WOOD in Hamburg

[email protected]

Raphael Sandramu in Deutschland vor der Firmenzentrale von Philip Morris©: Wikipedia

Die Tabakbauern werden oft um

ihren gerechten Anteil an der

Ernte gebrachtFoto: Marty Otanez, 2003

Page 28: Robin Wood Magazin 3/2008

tropenwald

Nr. 98/3.0828

Den Schutz der Wälder gerecht gestalten!

Im Rahmen des Klimaschutzabkommens kommt der Waldschutz endlich voran. Doch falsch eingeleitet, birgt dies enorme Risiken für den Klimaschutz, die biologische Vielfalt und vor allem für die lokale Bevölkerung. So demonstrierten während der Klimakonferenz in Bali zweitausend Menschen, um auf die Risiken aufmerksam zu machen. Gleichzeitig hoffen Waldbesitzer und waldreiche Staaten auf hohe Gewinne für den Schutz des Waldes.

Die Zerstörung der Wälder trägt mit ca. 20 Prozent

zu den weltweiten Treibhausgas-Emissionen bei.

Rodungen schreiten vor allen in den Entwicklungsländern

rapide voran. Mit dem Wald werden unzählige Tier- und

Pflanzenarten vernichtet. Doch Wald ist nicht nur ein

Holzreservoir, eine Kohlenstoffsenke oder Ökosystem,

sondern auch Lebens- und Wirtschaftsraum für viele

Menschen in den Entwicklungsländern. Sie sammeln hier

Früchte, Pilze oder Medizinalpflanzen. Bewaldung schützt

vor den Folgen extremer Wetterereignisse: sie nimmt

den Stürmen die Kraft, sichert Berghänge bei extremen

Regenfällen. Ein vielfältiges Ökosystem kann sich besser

an veränderte Umweltbedingungen anpassen - in Zeiten

des Klimawandels wird Wald damit wichtiger denn je.

Wenn Wälder gerodet und in Viehweiden oder Plantagen

umgewandelt werden, leidet vor allem die lokal ansässige

Bevölkerung. In vielen Fällen verlieren sie ihre Heimat und

ihren Lebensunterhalt. Wehren sie sich mit friedlichen

Mitteln gegen die Zerstörung ihrer Umwelt, werden sie

oft verfolgt, willkürlich verhaftet oder gar von Groß-

grundbesitzern umgebracht.

Internationaler Waldschutz

Trotz der großen Bedeutung der tropischen Wälder

für Klima, Mensch und die Vielfalt gibt es bisher kein

wirksames internationales Abkommen zum Schutz

des Waldes. Derzeit liegen alle Hoffnungen auf einem

effektiven Waldschutz innerhalb der internationalen Kli-

maschutzpolitik. Bisher sind hier lediglich Aufforstungen

sowie Wiederaufforstungen innerhalb des CDM (Clean

Development Mechanism) vorgesehen. Dieser ermöglicht

es den Industrienationen ihre Klimaschutz-Verpflich-

tungen auch in Entwicklungs- und Schwellenländern zu

erfüllen.

Seit der Klimakonferenz 2005 diskuieren die Regierungen

der Welt über den Schutz der Wälder. Im Verhandlungs-

fahrplan für die nächsten Jahre stellt die Vermeidung von

Entwaldung einen der großen Eckpfeiler dar. Derzeit wird

ausgelotet, ob der Waldschutz über einen Markt-Mecha-

nismus wie z.B. dem globalen Emissionshandel, finanziert

werden kann. Eine Alternative zu marktorientierten Me-

chanismen wäre der Aufbau eines neuen internationalen

Fonds zur Finanzierung von Waldschutzmaßnahmen.

Risiken

Werden nur vereinzelte Waldschutzgebiete finanziert,

nationale Waldschutzprogramme aber nicht umgesetzt,

besteht die Gefahr von Leck-Effekten (Leakage): Der

Wald wird einfach in anderen benachbarten Regionen

oder Nachbarländern abgeholzt. Dem Klima wäre nicht

geholfen. Aus diesen Gründen wurde auch der Wald-

schutz unter dem CDM nicht erlaubt. Im Rahmen eines

neuen Mechanismus ließen sich diese Risiken begrenzen,

wenn nicht einzelne Schutzgebiete honoriert, sondern

nationale Veränderungen berechnet würden.

Noch wird Wald im Rahmen des Klimaschutzabkommens

als eine zu 15 Prozent baumbestandene Fläche definiert,

weil auch die Wälder des hohen Norden darunter gefasst

werden sollen. Damit fallen Ölpalmplantagen, die den

artenreichen tropischen Regenwald verdrängen, in die

gleiche Kategorie wie intakter Regenwald. Eine neue,

nach Regionen differenzierte Definition ist vonnöten, die

verschiedene Standorte weltweit erfasst.

Konfliktfall Schutzgebiet

Die Menschen, die in Bali demonstrierten, befürchten,

dass der Waldschutz innerhalb des Klimaschutzabkom-

mens nicht als Lebens- und Wirtschaftsraum für die

lokale Bevölkerung angesehen wird, sondern als reiner

Kohlenstoffspeicher. Bisher wurden mit dem Schutz

von Wäldern und Aufforstungen sehr schlechte Erfah-

rungen gemacht. Aus Schutzgebieten werden Menschen

verdrängt, oft entstehen gewalttätige Konflikte. Einige

CDM-Projekte gefährden die Lebensgrundlagen der lo-

kalen Bevölkerung, obwohl sie eigentlich der nachhaltige

Entwicklung vor Ort dienen sollen.

Konfliktfall Schutzgebiet: Von einem besonders dras-

tischen Fall berichtet der MISEREOR-Partner BARCIC.

Der Nationalpark Modhupur Eco-Park Project im Netra-

Foto: Jens Wieting

Page 29: Robin Wood Magazin 3/2008

Nr. 98/3.08

tropenwald

kona District Bangladesh wurde ohne Einbeziehung der

Lokalbevölkerung ausgerufen. Ein Teil der ansässigen

Bevölkerung, vor allem aus dem Volk der Garo, wurden

vertrieben, ein anderer durfte weiterhin in dem ummau-

erten Park wohnen. Allerdings gingen nachts die Tore zu.

Bei Protesten 2004 gegen den Nationalpark wurden 25

Personen verletzt, ein Mann getötet.

Konfliktfall CDM-Projekt: Rund um den Vulkan Mount

Elgon im östlichen Uganda an der Grenze zu Kenia

wurde ein Schutzgebiet errichtet. Über 10.000 Menschen

wurden für dieses Projekt vertrieben. Sie hatten den Wald

zur Jagd genutzt, weideten dort Vieh, sammelten Pilze,

Kräuter und Heilpflanzen - der Wald war Grundlage des

ländlichen Überlebens. Immer wieder entbrennen hier

gewalttätige Konflike. Rund um den Nationalpark wurde

ein Ring aus Eukalyptusplantagen errichtet, um den Wald

vor „Eindringlingen“ zu schützen. Diese als CDM-Projekt

umgesetzte Plantage, befeuert die Konflikte vor Ort,

obwohl CDM doch Nachhaltigkeit fördern soll.

Die internationale Gemeinschaft wird beim Schutz der

Wälder, wie beim CDM, auf Nachhaltigkeitskriterien

setzen. Projekte müssten der sozialen und ökonomischen

Entwicklung des Landes dienen und keine negativen

Umweltauswirkungen mit sich bringen. Doch die Verhält-

nisse vor Ort können so nur bedingt verändert werden,

da Nachhaltigkeitsstandards nach dem Souveränitätsprin-

zip durch die nationalen Regierungen festgelegt werden.

In Ländern mit ungeklärten Landrechtsverhältnissen

verhält sich die lokale Bevölkerung illegal, wenn sie sich

gegen die Errichtung von Schutzgebieten zur Wehr

setzt, und nicht diejenigen, die sie für Aufforstung oder

Waldschutzmaßnahmen von ihrem angestammten Land

vertreiben.

Gerechte Verteilung der Gewinne

Erhalten Landbesitzer und Konzerne mit der Lizenz

zum Abholzen Kompensationszahlungen, wenn sie ihre

Entwaldung einstellen, können weitere Gerechtigkeitslü-

cken entstehen. So könnte eine Firma finanzielle Anreize

erhalten, eine Kommunen, deren Bewohner keine Land-

rechte besitzen oder sowieso nachhaltige Waldnutzung

betreiben, hingegen keine.

Soll Entwaldung dauerhaft verringert werden, müssen

die Ursachen der Abholzung genau analysiert werden. In

Brasilien verdrängt der Ausbau von Infrastruktur und die

Rinderzucht den Wald. In Indonesien überwiegt hingegen

die Umwandlung von Wald in Plantagen für Papier sowie

der Anbau von Palmöl für Kosmetika, Nahrungsmittel

und Biokraftstoffe. Großkonzerne, Hand in Hand mit

lokalen Entscheidungsträgern, profitieren jeweils vom

Raubbau. Die Rolle der Kleinbauern bei der Entwaldung

ist regional sehr unterschiedlich. Armut und fehlender

Zugang zu Land sowie gezielte Umsiedlung oder Ver-

drängung durch Konzerne treiben die Menschen in die

Wälder und in neue Anbauzonen. Eine umweltgerechte

Landnutzung ist ihnen so kaum möglich. Zudem fehlen

diesen Menschen meist Landrechtstitel. Nur die geben

Anreize zu langfristig umweltgerechter Landwirtschaft.

Der britische Ökonom Sir Nicolas Stern, der einen der

meist beachteten Berichte zum Klimaschutz für die

britische Regierung verfasst hat, betont, dass Land-

rechtsreformen und die Errichtung und Stärkung von

Landrechtstiteln für bewaldetes Land entscheidend für

dessen Schutz seien. Auch die Pflichten und Rechte von

Gemeinden und Konzessionären sowie deren effektive

Umsetzung und Kontrolle nennt er als wirkungsvolle

Mittel zum Waldschutz.

Waldschutz unter dem Klimaschutzabkommen ist derzeit

der einzig sichtbare Weg zu einer internationalen Ver-

einbarung. Eine falsch eingeleitete Politik birgt allerdings

enorme Risiken - für das Weltklima, die lokale Bevölke-

rung und den Erhalt der biologischen Vielfalt.

Statt Menschen aus ihrer Heimat zu verdrängen, sollte

der Waldschutz den Menschen bessere Lebensbedin-

gungen und Rechte bringen und Entwicklungsländer da-

bei unterstützen, ihren Wald für die kommenden Genera-

tionen zu bewahren. Langfristige Waldschutzpolitik sollte

darauf zielen, dass keine Konzessionen zur Zerstörung

wertvoller Waldgebiete mehr vergeben werden und das

Land denen zugesprochen wird, die Gewohnheitsrechte

haben. Diese Menschen müssen darin unterstützt wer-

den, ihr Land umweltgerecht und ertragsreich zu nutzen.

Dies würde auch verhindern, dass einfach an anderer

Stelle abgeholzt wird. Die lokale Bevölkerung muss Mit-

spracherechte erhalten und voll informiert sein. Allerdings

darf nicht vergessen werden, dass der große Druck auf

den Wald besonders dem Konsum der globalen Konsu-

menten geschuldet ist. Dazu gehört insbesondere unser

hohe Fleischkonsum, sowie in zunehmendem Maße der

Anbau von „Bio“-Energie. Zudem forciert die Staatsver-

schuldung vieler Entwicklungsländer eine nicht-nachhal-

tige, exportorientierte Landwirtschaft, die zum Abholzen

der Wälder führt. In diesem Sinne sollte auch die Frage

nach Entschuldung neu gestellt werden.

Anika Schroeder ist Referentin für Klimawandel und

Entwicklung von MISEREOR, www.misereror.de.

Dr. Alexander Popp ist Mitarbeiter am Potsdam-Insti-

tut für Klimafolgenforschung (PIK) im Bereich „Ver-

änderung von Landnutzung“. Dr. Katrin Vohland

arbeitet ebenfalls am PIK im Bereich Klimawandel,

Biodiversität und nachhaltige Entwicklung,

www.pik-potsdam.de.

29

Page 30: Robin Wood Magazin 3/2008

Nr. 98/3.0830

„Sie schon wieder!“ seufzte ein Polizist, als er die Umweltak-tivistin Cécile Lecomte, auch genannt „das Eichhörnchen“, bei der Blockade des Urantransportes von Gronau nach Russland in einer Seilkonstruktion über den Bahngleisen entdeckte. Céciles Leidenschaft ist das Klettern und sie stellt ihr Können seit vielen Jahren in den Dienst von sozialen und Umweltbewegungen.

Störfaktor Eichhörnchen

„Ich setze Sachen nicht so ein, wie

ich sie studiert habe,“ resümiert die

26-jährige Französin, die seit 2005 in

Deutschlands Norden, in Lüneburg,

lebt und arbeitet. Das Klettern zum

Beispiel: Ihre Mutter begeisterte die

Tochter so sehr für ihr Hobby Klettern,

dass Cécile es zur französischen Meis-

terin im Sportklettern brachte. Dass

„das Eichhörnchen“ seine besonde-

ren Fähigkeiten heute dazu einsetzt,

Bäume oder Strommasten zu besetzen,

Atomkonzernen aufs Dach zu steigen

oder in Seilkonstruktionen gefährliche

Atomfracht stundenlang zu blockieren,

war ursprünglich nicht vorgesehen.

Ähnlich erging es Cécile mit ihrem BWL-

Studium. Statt als diplomierte Betriebs-

wirtin dazu beizutragen, das System rei-

bungslos am Laufen zu halten, entschied

sie sich dafür, Sand im Getriebe zu sein.

Das Studium förderte Céciles konsum-

kritische Haltung. Worin liegt der Sinn,

dass die Wirtschaft ständig wächst, und

dieses Wachstum dann zwangsläufig

zum Krieg um Rohstoffe, zum Krieg um

Ressourcen führt? Eine Alternative dazu

stellt das antikapitalistische Konzept der

Décroissance (Schrumpfung) dar, mit

dem sie sich stattdessen beschäftigte.

Gleichzeitig wurde Cécile bewusst, wie

sehr Wirtschaft und Ökologie vernetzt

sind. 1999 engagierte sie sich daher in

der ökolibertären Gruppe Chiche. Das

war der Einstieg zu vielfältigen Aktivi-

Cécile Lecomte war franzö-sische Meisterin im Sport-klettern. Heute besetzt sie Strommasten und steigt den Atomkonzernen aufs Dach

Das Eichhörnchen blockiert den Urantransport von Gro-nau nach RusslandFoto: aaa-West

Foto: Sortir du Nucléaire

Page 31: Robin Wood Magazin 3/2008

Nr. 98/3.08

grü

ne b

eru

fe

täten in unterschiedlichen sozial und

ökologisch bewegten Gruppen. Cécile

ist zur Zeit nicht nur bei ROBIN WOOD

aktiv, sondern unter anderem auch

bei Gendreck weg, Sortir du Nucléaire

(Netzwerk Atomausstieg), bei der LIgA,

einer Lüneburger Initiative gegen Atom-

anlagen und in weiteren informellen

Gruppen, z.B. gegen Rechtsextremismus.

Beruflich musste die Aktivistin wegen

ihrer politischen Arbeit zurückstecken.

Im Schuljahr 2005/2006 unterrichtete

sie in einer Lüneburger Waldorfschule

Französisch. Castorblockaden, Baumbe-

setzungen und andere Aktionen fanden

zwar nicht während der Arbeitszeit statt,

riefen aber trotzdem den Unmut der

Obrigkeit hervor. Eine – noch dazu relativ

neue – Lehrerin, über die häufiger in

der Zeitung zu lesen ist, wegen der die

Polizei in der Schule nachfragt oder die

sogar „präventiv“ von Spezialeinheiten

auf Schritt und Tritt begleitet wird,

entsprach so gar nicht den Vorstellungen

der zuständigen Behörden.

Obwohl die Eltern der SchülerInnen

keine Probleme mit Céciles Engagement

hatten, legte ihr der Vorstand der Schule

nahe, entweder den Beruf aufzuge-

ben oder die Politik.„Ich habe mich für

Selbstbestimmung und Politik entschie-

den“, erklärt Cécile und setzte fortan

auch dieses Studium anders als geplant

ein. Als Dolmetscherin und Übersetzerin

für Initiativen und Bewegungen sowie

als Journalistin ist sie nun regelmäßig

im Einsatz, denn internationale Vernet-

zung liegt ihr am Herzen. „Die Probleme

machen keinen Halt an der Grenze.“ Sie

unterhält und koordiniert Kontakte nicht

nur zwischen Deutschland und Frank-

reich, sondern auch in andere Länder,

wie z.B. Russland.

Cécile Lecomte leidet an einer schmerz-

haften chronischen Krankheit, Polyarth-

ritis, und ist zu 30 Prozent schwerbehin-

dert. Inzwischen, so meint sie, kann sie

manchmal besser Klettern als Laufen.

Eine Therapie bremst die Versteifung der

Gelenke, so dass die Hoffnung besteht,

dass das Eichhörnchen noch viele Jahre

klettern kann. Die Begeisterung dafür

wird von Cécile in Kletterkursen in Frank-

reich weitergegeben, um Erfahrungen zu

vermitteln und Multiplikatoren auszu-

bilden, denn diese Aktionsform ist im

Nachbarland längst nicht so etabliert wie

bei uns.

„Ich mag zivilen Ungehorsam, die

direkten Aktionen. Bilder und Öffentlich-

keit zu erzeugen ist sehr gut, aber der

Störfaktor ist auch wichtig. Man muss

Sand im Getriebe sein und den Verursa-

chern Probleme bereiten“, meint Cécile.

„Aber der Mensch steht im Mittelpunkt,

die Aktionen müssen gewaltfrei sein.“

Gerichtsverhandlungen nutzt die Akti-

vistin dazu, ihre Position noch einmal

unmissverständlich klar zu machen, das

ist Teil ihres politischen Konzepts. Für

RichterInnen ist das zu viel Systemkritik,

Cécile gilt als uneinsichtig und unbe-

lehrbar. Aber wie kann man ‚Einsicht’

und ‚Reue’ zeigen, wenn man von dem,

was man tut überzeugt ist? Weil Cécile

ihre Aktionen richtig findet, zahlt sie

keine Strafen: „Ich nehme auch Erzwin-

gungshaft in Kauf. Ich bezahle nicht oder

kreativ. Wenn viele Freunde je 2 Cent

überweisen, macht das eine Menge Pro-

bleme.“ Aus einer Gerichtsverhandlung

stammt übrigens auch ihr Spitzname: Als

sie wegen einer Baumbesetzung vor dem

Richter stand, forderte ein Freund im Saal

per Transparent „Freiheit für das Eichhörn-

chen!“

Eingeschüchtert ist Cécile Lecomte bisher

nicht. So können wir gespannt sein auf

weitere luftige Aktionen des Eichhörn-

chens für eine gerechtere Welt.

Mehr erfahren über das Eichörnchen

kann man hier:

www.bewegungsstiftung.de/lecomte.html

Sabine Genz lebt und arbeitet in

Berlin, [email protected]

perspektiven

31

„Ich mag zivilen Ungehorsam und direkte Aktionen“

Foto: O. Samain

Page 32: Robin Wood Magazin 3/2008

tatorte

Nr. 98/3.0832

Zum ersten Mal organisierte dieses Jahr auch in Köln ein Ak-

tionsbündnis aus ADFC, VCD, pro Bahn, ÖDP Köln/Bonn, den

Kölner GRÜNEN, KVB und ROBIN WOOD unter dem Motto

„Autofrei-Spaß dabei“ eine Sternfahrt in die Innenstadt. Trotz

sehr kurzer Vorlauf- und Werbephase nahmen über 300 Rad-

lerInnen teil, die von den fünf Startpunkten aus - mit verschie-

denfarbigen Luftballons gekennzeichnet - den Roncalliplatz am

Dom erreichten. Bei wunderschönem Sommerwetter hatten

die RadlerInnen großen Spaß daran, die Straßen ganz für sich

zu haben.

Mobil ohne Auto in Hamburg und Köln

Hamburg

Köln

15.06.08: Einmal im Jahr heißt es auch offiziell „Mobil ohne

Auto (MoA)“. Die dazugehörigen großen Fahrradsternfahr-

ten wurden in den 90er in Hamburg aufgegeben, da immer

weniger Menschen teilnahmen. Vor drei Jahren wurde die

Fahrradsternfahrt dann wieder ins Leben gerufen. Seit dem

radeln jährlich mehr als 10.000 Menschen in Hamburg mit und

demonstrieren damit eindrücklich ihr Engagement für eine an-

dere Mobilität. Buchstäblicher Höhepunkt war wieder die Fahrt

über die Köhlbrandbrücke, die den Rest des Jahres für Fahrrä-

der gesperrt ist. In der Nähe des Dammtorbahnhofs trafen sich

die kilometerlangen Strahlen des Sterns zur Abschlusskundge-

bung. Dort kritisierte ROBIN WOOD das Feigenblatt Agrosprit,

wie der angebliche „Biosprit“ eigentlich heißen müsste.

Foto: I. Kahl

Foto: J. Mumme

Bremen

Bremen,17.06.08: „Ick mog keen Salz“, verkündet die Krabbe

auf einem der Schilder. Auf einer Plane voller Salz winden sich

menschliche Fischskelette. ROBIN WOOD-AktivistInnen und

Unterstützer protestierten auf diese Weise in Bremen gegen die

hohe Salzeinleitung in die Flüsse Werra und Weser. Anlass war

die „Salzstaffel“, eine von Verbänden und Kommunen ins Leben

gerufene Schifffahrt gegen die Versalzung durch den Kasseler

Düngemittelhersteller K+S AG. Am 17. Juni kam die Salzstaffel

bei ihrer letzten Station in Bremen an, um dem Bremer Umweltse-

nator Loske (Grüne) symbolisch den „Stein des Anstoßes“, eine

Flasche Quellwasser, ein Salzfass und die Erklärung „Für eine

lebendige Werra, Fulda und Weser“ zu überreichen.

Salz in der Suppe

Page 33: Robin Wood Magazin 3/2008

33Nr. 98/3.08

Lang lebe der

Stuttgarter Kopfbahnhof!Fo

to: M

ark

us

Karl 12. Juli

Stuttgart, 13.07.08: Der Hauptbahnhof feierte seinen 80. Geburts-

tag. Zur Feier des Tages seilten sich drei ROBIN WOOD-Aktivisten vom

Bahnhofsturm ab und spannten ein etwa 80 Quadratmeter großes

Transparent mit der Aufschrift „K21 statt S21“. Der Protest richtet sich

gegen das Bauvorhaben „Stuttgart 21“. Mit milliardenschweren Investi-

tionen soll ein neuer Hauptbahnhof entstehen, der leistungsschwächer,

unkomfortabler und nicht einmal behindertengerecht sein wird. Das

„Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21“ setzt sich für ein Alternativkon-

zept „Kopfbahnhof 21“ ein, bei dem der heutige Kopfbahnhof beste-

hen bleibt und durch Modernisierungen dem Zugverkehr der Zukunft

gerecht wird.

Vom 13.06. bis 15.06.08 hatten bereits 10 AktivistInnen mehrere

Bäume im Schlossgarten, dem benachbarten Stadtpark, besetzt. „Gebt

auf eure Bäume acht, sonst wird der Park platt gemacht – Stoppt Stutt-

gart 21“, war auf einem der Transparente zu lesen. Für das Bauvorha-

ben sollen über 250 Bäume im Stadtpark gefällt werden. Aufgrund der

Kessellage der Stadt haben die Bäume eine enorme Bedeutung für das

Stadtklima. Der Stadtmeteorologe Baumüller warnt bereits vor einer

Zunahme des Hitzestress für die Menschen in Stuttgart im Hochsommer.

Stuttgart, 13. JuniFoto: ROBIN WOOD/Lege

Planet Diversity Foto: S. Topp

Bonn, 12.05.08: Auftaktveranstaltung des internationalen Kongresses,

der begleitend zur Vertragsstaatenkonferenz „Biologischen Vielfalt

und Biologischen Sicherheit“ stattfand, war eine Demo in der Rhein-

aue unter dem Motto „Planet Diversity - lokal, vielfältig, gentechnik-

frei“. ROBIN WOOD hatte sich für diesen Tag ein besonderes Mit-

bringsel überlegt - die AktivistInnen verteilten Saatgut-Tütchen mit der

Aufschrift: „Gentechnik ist völlig ungefährlich“. Wer dieses Tütchen

neugierig öffnete, bekam schon mal einen Vorgeschmack auf die

Mogelpackung gentechnisch veränderten Saatgutes, die uns die Agro-

industrie unterschieben möchte. In dem Tütchen befand sich lediglich

ein Zettel mit der Aufschrift „Alles nur leere Versprechungen“.

tatorte

Page 34: Robin Wood Magazin 3/2008

tatorte

Nr. 98/3.0834

Protest vorm Schacht

Wolfenbüttel, 24.6.08: Vor der Schachtanlage Asse 2 bei

Wolfenbüttel protestierten AktivistInnen von ROBIN WOOD

gegen die dortige verantwortungslose Lagerung von Atom-

müll. In dem weltweit ersten unterirdischen Atommülllager

droht eine Katastrophe. Das im Salzstock aufgefangene Wasser

ist schon jetzt weit über den erlaubten Grenzwerten radioak-

tiv verseucht. Der Betreiber der Asse, das Helmholtz Zentrum

München (HZM), hatte für den Tag MedienvertreterInnen zur

Schachtanlage eingeladen, um sein Konzept zur Schließung

des Bergwerks zu präsentieren.

Eine Million Jahre muss - nach Vorgaben der Internationalen

Atomenergie-Organisation IAEO - der radioaktive Atommüll

sicher gelagert werden. Doch in dem so genannten Versuchs-

endlager Asse, in dem rund 130.000 Fässer mit leicht- und mit-

telradioaktiv verseuchtem Müll liegen, ist es mit der Sicherheit

schon nach knapp 40 Jahren vorbei. In der Salzlauge, die auf

einer Sohle in der Nähe einer mit Atommüll gefüllten Kam-

mer aufgefangen wurde, haben sich Cäsium, Strontium und

sogar das hochgefährliche Plutonium gelöst. Laut Bundesamt

für Strahlenschutz könnte es bereits in 150 Jahren zu einer

radioaktiven Verstrahlung der oberirdischen Gewässer rund um

die Asse kommen, bei der die heute geltenden Strahlenschutz-

werte um das Vielfache überschritten würden.

Seitdem der Skandal um radioaktiv belastetes Wasser in der

Asse öffentlich bekannt wurde, ergehen sich das nieder-

sächsische Umweltministerium, das Landesbergbauamt in

Clausthal-Zellerfeld und das Helmholtz Zentrum darin, sich

gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ein parla-

mentarischer Untersuchungsausschuss des niedersächsischen

Landtages soll demnächst Licht in diesen Dschungel der Unver-

anwortlichkeiten bringen.

Das Helmholtz Zentrum aber arbeitet daran, für immer zu

vertuschen, was in der Asse gelaufen ist. Es will den Schacht

fluten und ihn bis 2017 endgültig schließen. Die ROBIN

WOOD-Aktivisten hielten dagegen und forderten, dass in der

Asse nur noch Tätigkeiten durchgeführt werden, die

der akuten Gefahrenabwehr dienen. Die Rückholung des ge-

samten Atommülls müsse jetzt vorbereitet werden. Es sei keine

Zeit mehr zu verlieren!

Dabei sollte die Asse ein Vorzeigeprojekt für den Umgang mit

Atommüll werden. Das Ergebnis ist eindeutig. Es gibt keine

sichere Endlagerung des Atommülls.

Fotos: ROBIN WOOD

Page 35: Robin Wood Magazin 3/2008

35

tatorte

Nr. 98/3.08

Brake,17.07.08: AktivistInnen von ROBIN

WOOD protestierten gegen den Ausbau der

Fettraffinerie des Wilmar-Konzerns im nie-

dersächsischen Brake an der Unterweser. Sie

kletterten auf ein Gebäude auf dem Werks-

gelände und entrollten dort ein Transparent

mit der Aufschrift: „Wenn Brake Palmöl

raffiniert, wird Regenwald zerstört“. ROBIN

WOOD fordert Wilmar auf, ab sofort auf

den Einsatz von Palmöl in seiner Raffinerie zu

verzichten, da für diesen Rohstoff die letzten

Wälder Südostasiens vernichtet werden.

Wilmar ist nach eigenen Angaben der

größte Palmölhändler der Welt und beliefert

zahlreiche bekannte Kunden in der Lebens-

mittelindustrie. Die Reaktion des Konzerns

ließ nicht lange auf sich warten. Wilmar hat

ROBIN WOOD zu Verhandlungen im Sep-

tember nach Rotterdam in die Europazent-

rale eingeladen. Über die Ergebnisse dieser

Gespräche werden wir im nächsten ROBIN

WOOD-Magazin berichten.

Schmierige Geschäfte mit Palmöl

Keine Kohle für Klimakiller...

... lautete das Motto der Demo gegen den geplanten Ausbau

des Mannheimer Kohlekraftwerks, zu der am 24.05.08 die Ini-

tiative ikema - Klima und Energie Mannheim aufrief, in der sich

lokale Gruppen wie ROBIN WOOD-Rhein-Neckar engagieren.

Über 500 Menschen zeigten durch bunte Vielfalt, was sie vom

neuen Block 9, der eine Leistung von 900 Megawatt haben soll,

halten. Nicht nur die TeilnehmerInnen, auch die Redebeiträge

waren vielfältig: Lokale Initiativen wie ikema, metropolsolar

und der BUND sprachen, sowie ein Mannheimer Arzt von der

lokalen Ärzteinitiative gegen das Kohlekraftwerk.

Ziel der Demonstration war die Mannheimer BürgerInnen zu in-

formieren, was vor ihrer Haustür geplant ist. Nicht nur Unmen-

gen an CO2 würden in die Luft geblasen, auch giftige Stoffe

wie Quecksilber und Stick- und Schwefeloxide sollen durch

einen hohen Schornstein möglichst weit verbreitet werden. Die

Argumente auf der anderen Seite sind die üblichen: Der neue

Kraftwerksblock sei viel effizienter als die alten, die Alternativen

seien noch nicht so weit und es müssten Arbeitsplätze abge-

baut werden, wenn kein neuer Block käme.

Am 11.06.08 hatte der Mannheimer Oberbürgermeister zu

einer Bürgerversammlung eingeladen, die teilweise eher an eine

Betriebsversammlung erinnerte. Dennoch behaupteten sich die

KritikerInnen des Projektes sehr gut. Nachdem nun auch der

Gemeinderat für das Projekt stimmte, obwohl viele Fakten noch

gar nicht vorliegen, organisiert das stetig wachsende Bündnis

gegen den Bau des Kohlekraftwerks ein Bürgerbegehren.

Page 36: Robin Wood Magazin 3/2008

Nr. 98/3.08

internes

Bayreuth

Johannes Krug, 0921/5087165

[email protected]

Berlin

Donnerstag, 20 Uhr (14-tägig)

im „Verwaltungsgebäude“ des RAW-

Tempels, Revaler Str. 99, 10245 Berlin-

Friedrichshain

[email protected]

Braunschweig

Donnerstag, 20 Uhr

Ort bitte erfragen bei

Thomas Erbe: 0531/2505865

[email protected]

Treffpunkte

Hier erfahren Sie, wann und wo die Aktiven von ROBIN

WOOD sich treffen. Schauen Sie doch mal bei uns vorbei!

Bremen

Geschäftsstelle: 0421/598288

Dienstag, 19 Uhr, (14-tägig,

gerade Wochen)

[email protected]

Freiburg

Bei uns können sich alle Interessierten

aus Baden-Württemberg melden: c/o

Erik Mohr: 0162/7162536

[email protected]

Greifswald

Birger Buhl, Tel.: 03834/513138

[email protected]

Hamburg-Lüneburg

jeden 2. und 4. Mittwoch,

18.30 Uhr in der Pressestelle,

Nernstweg 32, 22765 Hamburg-Altona

Kathrin Scherer: 04131/206160

[email protected]

[email protected]

Kassel

jeden 1. Donnerstag im Monat, 17 bis

19 Uhr im Umwelthaus Kassel, Infos bei

Klaus Schotte: 0561/878384

[email protected]

Köln

Montag, 20.30 Uhr

Alte Feuerwache, Melchiorstr. 3

[email protected]

Leipzig

Sebastian Vollnhals, c/o Infoladen Libelle,

Kolonnadenstr. 19, 04109 Leipzig

Tel.: 0341/2246650

[email protected]

Rhein-Main

Termine erfragen bei:

[email protected]

Rhein-Neckar

jeden 2. und 4. Dienstag um 19 Uhr

im ASV, Beilstraße 12, Mannheim

Juliane Boß: 06221/589251

[email protected]

München

jeden 2. und 4. Mittwoch, 20 Uhr

„Im Werkhaus“, Leonrodstr. 19

Tel.: 089/168117

[email protected]

36

Am 6. Juni 2008 sprach das Amtsge-richt Berlin-Tiergarten eine ROBIN WOOD-Aktivistin vom Vorwurf frei, sie hätte eine nicht angemeldete Protestveranstaltung gegen den Energiekonzern Vattenfall geleitet. Die Aktivistin war von der Polizei willkürlich herausgegriffen und zur Leiterin der Aktion erklärt worden. In der Polizeiakte wird als angeb-licher Beleg für die Versammlungs-leitung u.a. aufgeführt, es handle sich bei der Beschuldigten nicht um eine Mitläuferin, sondern um eine „engagierte Umweltschützerin“.

Page 37: Robin Wood Magazin 3/2008

Nr. 98/3.08

Str

om

sp

are

n f

ür

Fo

rtg

esc

hri

tten

e

energie

Spülmaschinen

Nach einem guten Essen stapeln sich oft große Mengen

Geschirr in der Küche und warten darauf gespült zu werden

– und gerade jetzt hat niemand dazu Lust. Da benutzt man

gerne eine Geschirrspülmaschine. Der Abwasch wird einfach

hineingestapelt, der Rest geht automatisch. Aber wie sieht der

Energieverbrauch aus?

Spülmaschinennutzer können mittlerweile ein gutes Gewissen

haben. Moderne Spülmaschinen gehen deutlich sparsamer mit

Energie und Wasser um, als es bei einer Handwäsche möglich

ist. Die Einsparungen liegen bei rund 40%. Ein paar Tipps

helfen, diese Vorteile auch zu nutzen:

Warmwasser-Boiler

Warmwasser-Boiler gehen ins Geld. Sie stellen die ungüns-

tigste Variante zur Warmwasserbereitung dar, weil sie im

Betrieb am teuersten und am wenigsten umweltfreundlich

sind. Warmwasser-Boiler halten permanent eine bestimmte

Menge Wasser auf eine vorgewählte Temperatur. Diese

Wärme geht aber ständig aus dem Speicherbehälter verlo-

ren und muss über die Heizstäbe ersetzt werden. Gerade in

Mietwohnungen findet man häufig alte, schlecht isolierte

Geräte vor. Hier kann man mit einigen einfachen Tricks

versuchen, die Verluste zu minimieren.

Oft ist die Temperatur des Boilers viel zu hoch eingestellt.

Niedrigere Temperaturen führen zu geringeren Verlusten.

Stellen Sie darum die Wassertemperatur des Boilers so

niedrig wie möglich ein. Optimal wäre es z.B. wenn das

Wasser warm genug ist, wenn Sie beim Duschen nur heiß

aufdrehen. Sie brauchen dann auch nicht lange nach der

optimalen Mischtemperatur suchen und auch verbrühen

können Sie sich nicht mehr.

> Achten Sie beim Kauf einer Spülmaschine auf den Energie-

verbrauch und kaufen Sie nur Geräte der Klasse A.

> Spülen Sie das Geschirr nur, wenn die Maschine ganz gefüllt

ist, denn halb gefüllte Maschinen verbrauchen genau so viel

Strom und Wasser wie volle.

> Benutzen Sie Kurz- und Sparprogramme, wenn das Geschirr

nur wenig verschmutzt ist. Je kürzer das Programm läuft und je

niedriger die Waschtemperatur ist, desto sparsamer läuft Ihre

Maschine.

> Verzichten Sie auf Vorspülen von Hand und auch auf die Vor-

spülprogramme Ihrer Maschine, so oft wie möglich.

> Die meiste Energie verbrauchen Spülmaschinen zum Erwär-

men des Spülwassers. Wenn Ihr Warmwasser nicht elektrisch

erwärmt wird und schnell aus dem

Wasserhahn kommt, ist es sinnvoll, die

Spülmaschine an die Warmwasserleitung

anzuschließen. Auf alle Fälle sollten Sie

dies tun, wenn Sie Ihr Warmwasser solar

erzeugen. Aber auch Öl und Gas sind

als Energiequellen für warmes Wasser

deutlich billiger als Strom.

Das größere Problem von Spülmaschi-

nen aber sind immer noch oft umwelt-

schädliche Spülmittel, die das Abwasser

belasten können. Erst unlängst wurden

in einem Test in der Schweiz Phosphate

in Geschirrspülmitteln gefunden, die

dort schon lange verboten sind. Wer

umweltfreundlich spülen will, sollte auf

Phosphate verzichten und das Spülmittel

nicht zu hoch dosieren.

Foto: Miele

Stellen Sie den Boiler ab, wenn sie in der nächsten Zeit kein

warmes Wasser brauchen. Es genügt, das Wasser z.B. kurz

vor dem Duschen zu erwärmen und den Boiler nach dem

Duschen wieder auszuschalten. Falls Sie zu festen Zeiten

Duschen, kann Ihnen dabei eine Zeitschaltuhr gute Dienste

leisten.

Moderne Boiler sind wesentlich besser isoliert als ältere

Modelle und haben darum auch weniger Wärmeverluste.

Wenn Sie mit Ihrem Vermieter über einen Austausch der

Geräte sprechen, sollten Sie aber besser vorschlagen, dass

ein Durchlauferhitzer eingebaut wird, denn diese sind

deutlich sparsamer als Boiler. Und wenn Sie dann den

Durchlauferhitzer noch mit Gas anstatt mit Strom betreiben

können, haben Sie schon fast eine optimale Warmwasser-

versorgung.

Werner Brinker, Darmstadt

37

Page 38: Robin Wood Magazin 3/2008

energie

Nr. 98/3.0838

Atomkraft – Klimaschutz: Der Richtungskampf

Der G 8–Gipfel in Tokio deklariert die Atomenergie zur Ökoenergie. Die Medien puschen die angebliche Renaissance der Atomkraft. Das Thema ist heiß, in etwa so heiß, wie der Atommüll der zwischen dem 7. und 9. November in den Castoren nach Gorleben transpor-tiert werden soll. Es erhitzt die Gemüter.

Krebsfälle im Umkreis von Atomkraftwerken, radioaktive

Suppe im Endlager Asse II und einstürzende Salzstollen

im Endlager Morsleben, frei erfundene Rechenparameter

und Sicherheitsmängel bei den Castorbehältern. Pleiten,

Pech und Pannen in den AKWs Brunsbüttel und Krümmel

– an Blamagen und Negativschlagzeilen fehlte es der Atom-

kraft noch nie. Trotz der schlechten Nachrichten wittert die

Atomlobby Morgenluft. Steigende Energiepreise, vor allem

die galoppierenden Öl- und Gaspreise und das mediale

Echo auf die Klimaveränderungen, sind in aller Munde. Die

Atomkraftbefürworter spielen mal die eine, mal die andere

Karte: abschmelzende Polkappen, steigender Meeresspie-

gel, steigende Benzinpreise, Klimaschützer, Kostendämpfer.

Wenn an der Tanke heute 1,60 Euro für einen Liter Benzin

abkassiert werden, dann liegt es am staatlich verordneten

Atomausstieg, oder? In dieser Legislaturperiode müssten

nämlich vier AKW´s vom Netz gehen: Biblis A und B, Neckar-

westheim und Brunsbüttel. Vattenfall und Co. schielen dar-

auf, dass sie die gesetzlich verankerten Laufzeiten über die

Bundestagswahl für ihre Pannen-AKW´s hinaus schieben,

um die Stilllegung zu blocken.

Der deutsche „Sonderweg“, der faule Atomkompromiss,

die Laufzeiten so zu dehnen, dass die Profitinteressen der

Betreiber nicht tangiert werden, reicht heute der Industrie

nicht mehr. CDU/CSU und die FDP setzen deshalb auf die

völlige Deregulierung, sprich unbegrenzte Laufzeiten. Welt-

weit fühlen sie sich bestätigt durch die Pro-Atom-Haltung

von Regierungschefs wie Berlusconi, Sarkozy oder ganz

aktuell, George W. Bush. Gefahr der Weiterverbreitung von

atomwaffenfähigem Material? Atomwaffensperrvertrag,

das Beispiel Iran? Kein Thema.

Noch sind es Absichtserklärungen, Verträge und Regie-

rungserklärungen. Die Renaissance der Atomkraft blieb bis-

her ein Medienhype. Rund um den Globus gibt es derzeit

439 Atomkraftwerke. Übrigens sind das fünf weniger als

2002! 34 Atommeiler, 15 davon in Asien, sind in Bau, aber

12 Kraftwerke sind schon seit 20 Jahren Dauerbaustelle

und werden von der Lobby mitgezählt… Von der anhal-

tenden Debatte um den Klimaschutz hat sich die Atom-

lobby sicher mehr Rückenwind versprochen. Die hohen

und langen Baukosten - nicht die Risiken- stehen gegen

den prognostizierten Run. Lutz Mez, Geschäftsführer der

Berliner Forschungsstelle für Umweltpolitik, hat gerechnet:

Die sog. Lead-Time, also der Zeitraum von der Planung bis

zur kommerziellen Inbetriebnahme eines Atomkraftwerks,

dauert 17 Jahre. Würden jährlich 32 Atomkraftwerke

gebaut, wäre nach 17 Jahren das Uran verbraucht. Der

Uranabbau würde sich zunehmend verteuern und die

komplizierte Gewinnung des Uran ließe die CO2 Belastung

für den Abbau, die Transportwege, die Anreicherung und

Brennelementfertigung hochschnellen. Schon heute ist eine

Kilowattstunde Atomstrom mit südafrikanischem Uran mit

126 Gramm CO2 belastet – ein modernes Gaskraftwerk mit

Kraft-Wärme-Koppelung bringt es auf 150 Gramm CO2

pro Kilowattstunde. Stephan Kohler, Geschäftsführer der

Deutschen Energieagentur, sagt deshalb bis zum Jahr 2030

einen weltweiten Rückgang der Stromproduktion durch

Atomkraft von 16 auf 10 Prozent voraus.

Die Debatte um das Atom wird äußerst aggressiv geführt

und äußerst einseitig. Das Profitinteresse wird notdürftig

verkleistert, das Atommülldesaster bleibt außen vor. Die

absaufende Atommülldeponie Asse II bei Wolfenbüttel

blamiert die Protagonisten des Atom bis auf die Knochen.

Jahrelang galt die „Asse“ als Prototyp für Gorleben, jetzt

kämpfen AnwohnerInnen der havarierten Atommüllde-

ponie dafür, den Strahlenmüll herauszuholen, bevor es

zu spät ist. Denn täglich fließen 12 Kubikmeter Wasser in

die Schachtanlage. Unkontrollierbar. Der Schacht droht

abzusaufen. Es gibt keine durchgehende Tonschicht im

Deckgebirge. Das gleiche Problem kann sich irgendwann

in Gorleben auftun, denn auch dort hat der Salzstock Was-

serkontakt. Die Asse wäre, sollte Gorleben nicht gekippt

werden, auch in diesem Punkt zweifelhafter „Prototyp“.

Das Wasser wird bisher aufgefangen und in den Gruben-

sumpf der Asse abgepumpt. Doch nun flog auf, die Laugen

sind kontaminiert. Die Gesellschaft für Strahlenforschung

(GSF) stapelte zwischen 1967 bis 1978 in den Stollen des

stillgelegten Salzbergwerks nahe Wolfenbüttel 124.494

schwachradioaktive Fässer und 1.293 mit mittelradioaktiven

Abfällen. Ein Großteil der Fässer wurde einfach abgekippt

und schon bei der Einlagerung beschädigt. Lauge sickert

seit 1988 in die Salzstöcke ein. Sollte die Schachtanlage

Page 39: Robin Wood Magazin 3/2008

energie

Nr. 98/3.08

und damit die Atommüllfässer tatsächlich geflutet wer-

den, verrosten sie in wenigen Jahrzehnten. Kontaminierte

Salzlösungen würden ins Erdreich sickern. 1 Million Jahre

Sicherheit wird suggeriert, wenn Atommüll in Salz, Ton,

Erzgestein verbuddelt wird. Nach nur 40 Jahren Betriebszeit

steht die Asse vor dem GAU.

Überstürzt verfüllt und für den Weiterbetrieb geschlos-

sen wurde schon die DDR-Atommülldeponie Morsleben.

Angela Merkel, CDU-Umweltministerin in den 90er Jahren,

befand: „Die Standsicherheit des Endlagers und betrof-

fenen Versturzkammern, aber auch der Hohlräume darüber

und darunter, ist für die nächsten Jahrzehnte gegeben.“

Das war 1997, und am 6. April 1998 änderte die Ministerin

das Atomgesetz und verlängerte die Betriebszeit mit einem

Federstrich nochmals um fünf Jahre bis zum 30. Juni 2005.

In Morsleben krachte es 2001, doch auch dort lagern aus

DDR-Zeiten 14.430 Kubikmeter Nuklearmüll, und nach der

Wende kamen noch einmal 22.320 Kubikmeter gesamt-

deutscher Müll hinzu.

Ziel der Gorleben-AktivistInnen ist, die Fäden dieser

zerfaserten Debatte um den Klimaschutz, die angebliche

Renaissance der Atomkraft bzw. die Laufzeitverlängerung

der Reaktoren und das Atommülldilemma zu bündeln.

Wenn 11 Castorbehälter aus der französischen Plutonium-

fabrik Cap de la Hague nach einem Jahr Pause wieder nach

Gorleben rollen, dann verweist dieser – an und für sich

schon risikobehaftete – Transport auf andere Risiken: Ohne

Wiederaufbereitungsanlagen und deren massivem Ausbau

ist eine Renaissance der Atomkraft nicht denkbar. Ebenso

wenig wie ohne Weiterverbreitungsgefahr (Proliferation)

und die militärische Nutzbarkeit. Atommüll fällt unter Rot-

Grün, Schwarz-Rot und weltweit unvermindert an, ohne

39

Wolfgang Ehmke ist Vorstandsmitglied der BI Um-

weltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. Bitte vormerken:

Bundesweite Demonstration gegen Atomkraft

am 8. November in Gorleben. Aktuelle Informationen

unter: www.bi-luechow-dannenberg.de

dass es belastbare und überzeugende Lagerkonzepte gäbe.

In Gorleben werden die hochradioaktiven Abfälle in einer

Lagerhalle abgestellt. Das ist keine Lösung, das ist verant-

wortungslos.

Die Endlagerbaustelle in Gorleben ist noch verwaist, seit

Oktober 2000 greift das Moratorium. Doch statt offen

einzugestehen, dass es massive Sicherheitsbedenken

auch hinsichtlich der Eignung des Salzstocks Gorleben als

Endlager gab – sonst wäre es nie zum Moratorium gekom-

men, geschah nichts, um eine vergleichende Endlagersuche

auf den Weg zu bringen. Ende Oktober lädt nun Sigmar

Gabriel in die Hauptstadt zu einem Endlagersymposium. Er

will neue Sicherheitskriterien für die Endlagerung präsentie-

ren. 2010 läuft das Moratorium aus, mangels Alternativen

wächst die Gefahr, dass Gorleben zu Asse II mutiert. Die

Gretchenfrage ist: Hält er an der Barriere Deckgebirge fest

oder weicht er die Sicherheitsbestimmungen auf? Sigmar

Gabriel lockt die CDU-Ministerpräsidenten mit dem Ange-

bot, in Gorleben ein Versuchslabor einzurichten, um dann

auch andere Endlagerstätten auszugucken… Zwei Altlas-

ten, Asse II und Morsleben, gibt es in Deutschland schon.

Das reicht – Atomkraft, nein danke!

Vor den Fenstern der Jahrestagung Kerntech-nik Ende Mai in Hamburg kommentierte ROBIN WOOD die Pläne der Atomlobby die Laufzeiten der AKW zu verlängern

Page 40: Robin Wood Magazin 3/2008

40 Nr. 98/3.08

EIB: Schatztruhe der AtomindustrieWer hat die Atomkraftwerke Biblis, Brunsbüttel, Gundremmingen, Mülheim-Kärlich, Neckar-westheim und Philipsburg mitfinanziert? Die Europäische Investitionsbank. Wer hat 2007 einen Kredit an den Uranbrennstoffhersteller Urenco gegeben? Die Europäische Investitionsbank. Wer rechnet damit, für die Finanzierung des bulgarischen Atomkraftwerks Belene angefragt zu wer-den? Die Europäische Investitionsbank. Wer kennt die Europäische Investitionsbank? Niemand.

Die Bekanntheit der Europäischen

Investitionsbank verhält sich umge-

kehrt proportional zu ihrer wirtschaft-

lichen Bedeutung, denn kaum jemand

kennt die europäische Hausbank, ob-

wohl sie jährlich Kredite über 45 bis 50

Mrd. Euro vergibt. Das ist etwa doppelt

so viel wie die Weltbank. Damit soll die

EIB die Ziele der EU durch langfristige

Finanzierungen für solide Investitionen

fördern. Zu den Prioritäten, die die EIB

selbst formuliert hat, gehören zum Bei-

spiel die Förderung kleiner und mittlerer

Unternehmen, ökologische Nachhaltig-

keit, der Ausbau der transeuropäischen

Verkehrs- und Energienetze, wie auch

die Energieversorgung. Idealerweise soll

die EIB ihre Mittel für solche Projekte

verwenden, die zwar finanziell und sozial

tragfähig sind, aber aufgrund ihrer Ri-

siken für kommerzielle Kreditgeber nicht

attraktiv sind.

Tatsächlich stand und steht die EIB je-

doch immer wieder in der Kritik für ihre

Baustelle des AKW Belene: Protestieren Sie gegen die Kreditpläne der EIB!

energie

Finanzierung von Autobahnprojekten

durch Naturschutzgebiete in den neuen

EU-Mitgliedsländern oder umstrittener

Großstaudämme weltweit. Zwar schreibt

sich die Bank den Klimaschutz groß

auf die Fahnen, gleichzeitig finanziert

sie massiv den Ausbau des Flug- und

Autoverkehrs. Innerhalb der EU muss

sich die EIB an EU-Recht halten, bei ihren

Finanzierungen außerhalb der EU jedoch

fehlen ihr verbindliche Umwelt- und

Sozialstandards. Das führt immer wieder

dazu, dass sie sich an kontroversen und

problematischen Projekten beteiligt,

wie der Tschad-Kamerun Ölpipeline,

dem Bujagali Staudamm in Uganda und

Bergbauprojekten in der Demokratischen

Republik Kongo oder in Sambia.

Seit einem Jahr diskutiert die Bank

außerdem den Wiedereinstieg in die

Finanzierung von Atomkraftwerken, ein

Bereich, aus dem sie sich etwa zwanzig

Jahre herausgehalten hat. In der Ver-

gangenheit war sie bereits sehr aktiv in

dem Sektor: in den 60er, 70er und 80er

Jahren hat sie massiv bei der Finanzie-

rung von AKW in Deutschland, Italien,

Belgien, Frankreich und Großbritannien

geholfen. Im Jahr 2008 rechnet die EIB

damit, dass aus Bulgarien Kredite für den

Bau des AKW Belene beantragt werden.

Dieses AKW soll in einer Erdbebengegend

gebaut werden und wurde wegen öko-

logischen und wirtschaftlichen Bedenken

immer wieder gestoppt.

Sollte die Atomindustrie mit Belene wie-

der Zugang zur Schatztruhe EIB erhalten,

öffnet das gleich eine ganze Pandora-

büchse, wenn man bedenkt wie viel Geld

die EIB vergibt. Und viel Geld ist genau

das, was die Betreiber von Atomkraft-

werken für ihre Neubaupläne brauchen

und so schwer finden: Die Finanzierung

von Belene zum Beispiel ist bereits von

12 internationalen Banken abgelehnt

worden. Die bulgarischen, französischen,

finnischen, britischen und litauischen

Pläne für neue Atomkraftwerke sind nicht

zu realisieren ohne neue Subventionen

und ohne neue Geldquellen.

Ob Belene finanziert wird und die EIB da-

mit wieder in die Atomfinanzierung ein-

steigt, ist jedoch noch nicht entschieden.

In der EIB entscheiden die Anteilseigner

– die 27 Mitgliedsstaaten der Europä-

ischen Union sowie die Europäische Kom-

mission. Damit sitzen auch atomkritische

Länder wie Deutschland und Österreich

im Verwaltungsrat. Deshalb liegt diesem

Heft ein Flyer mit Postkarten bei: an den

deutschen Finanzminister, der für die

Bundesregierung im Verwaltungsrat sitzt

und an den Präsident der Europäischen

Investitionsbank. Wir bitten alle Lese-

rInnen die Postkarten abzuschicken, um

die EIB als Schatztruhe für die Atomindus-

trie verschlossen zu lassen.

Regine Richter arbeitet für urgewald

e.V. in Berlin, [email protected]: Jan Haverkamp/Greenpeace

Page 41: Robin Wood Magazin 3/2008

41

ben zu retten zu viel für einen zweistün-

digen Kurs in der Woche. Dafür wurde

mit viel Engagement und Kraft ein be-

nachbarter Stichgraben aufgeweitet, um

mehr Lebensraum und Aufzuchtmöglich-

keiten für Wasserbewohner zu schaffen.

Ein brütendes Teichhuhn konnte die

Fortschritte des Projektes kontinuierlich

beobachten.

Bei Regenwetter musste der Compu-

terraum herhalten. Denn das Projekt

„www. freeyourriver.net“ bietet ein

umfangreiches Internetportal. Hier kön-

nen sich Schüler- und LehrerInnen unter

anderem informieren, an welchen Schu-

len in Österreich, Deutschland, Belgien,

Slowenien und Italien ähnliche Projekt

durchgeführt werden.

Zum intensiveren interaktiven Arbeiten

können die Schulen eine Zugangsberech-

tigung bekommen. So ist es möglich,

eine Zusammenarbeit zwischen zwei

oder mehreren Schulen per Internet zu

organisieren und länderübergreifend

Nr. 98/3.08

jug

en

dse

ite

mit Jugendlichen zu kooperieren. Eben

ein wahrhaft europäisches Projekt.

Und nahe an der Realität vieler Flüsse

in Europa, deren Wirklichkeit durch

grenzüberschreitende Einflussnahme der

Menschen in den jeweiligen Ländern der

EU geprägt ist. Viele Dokumente liegen

in deutscher Übersetzung vor, einige

sind nur englischsprachig, so dass eine

Klassenstufe mit guten Englischsprach-

kenntnissen sinnvoll ist.

Die SchülerInnen können auf der Inter-

netseite ein „book of the river“ anlegen,

also alle Ergebnisse ins Internet stellen,

Formblätter für Untersuchungsprotokolle

herunterladen und vieles mehr. Eine

Sammlung guter Ideen kann abgerufen

werden, falls sich die Klasse überlegt, mit

ihren gewonnenen Informationen und

Wünschen für „ihren“ Fluss oder Graben

öffentlich zu werden und andere dafür

zu interessieren: „get active“ heißt der

Weg im Internet dorthin. Einen Wasser-

generationen-Vertrag mit der Gemeinde

abzuschließen, ist eine Möglichkeit. Er

verpflichtet dazu, sorgfältig mit Trink-

wasser oder dem Fluss umzugehen. Eine

andere Idee gibt Tipps für das Gelingen

eines Wasser-Straßentheaters.

Mehr unter www. freeyourriver.net

Annegret Reinecke ist Gewässer-

schutzreferentin in der Geschäftstelle

in Bremen, Tel.: 0421/5982894. Anna

Bernardt hat Anfang Juli in der

Magazinredaktion in Schwedt ein

Praktikum absolviert

Free Your River

Ein Graben in der Nähe der Schule

war ganz offensichtlich in einem

desolaten Zustand: Wasser war kaum

zu sehen, eher eine dünne Wasser-

schicht über einer verrottenden dicken

Laubschicht, die alles Leben zu ersticken

drohte. Leider war die Aufgabe den Gra-

Das Schul- und Internetprojekt „Free your River“ in fünf verschiedenen europäischen

Ländern veranlasst zu Phantasien mit wilden und rauschenden Flüssen. Ein schönes

Bild, aber wie häufig im Leben: Wir müssen etwas kleiner anfangen. Genau das tat

die Klasse 7c der Wilhelm-Kaisen-Schule in Bremen. Sie erkundete ganz verschiedene

Fluss- und Bachabschnitte in der Schulumgebung und lernte zu beurteilen, wie es

dem Gewässer gerade geht. Der Bewuchs am Ufer, die Tierbesiedlung und die che-

mischen Bestandteile spielten dabei eine wichtige Rolle.

Schulen für „Free Your River“Im Mai 2003 begann der WWF Öster-

reich nach Partnern für ein Projekt über

natürliche Flüsse und ihre Bedeutung zu

suchen. Das erste Treffen mit den zu-

künftigen Partnern fand im September

2003 in Innsbruck statt. Danach wurden

Vorschläge für das Projekt „Free Your

River“ bei der Europäischen Union ein-

gereicht. Im November 2004 konnte das

Projekt mit einem Treffen in Innsbruck

starten. Alle Projektpartner arbeiten seit

dem an einer gemeinsamen Website,

auf der sie ihre Flussprojekte vorstellen.

Das Projekt ist für Schüler von 10 bis 12

bzw. von 15 bis 17 Jahren vorgesehen

und möchte dazu anregen sich aktiv für

Flüsse einzusetzen.

Schüler der Bremer Wilhelm-Kai-sen-Schule schaffen mehr Lebens-raum für Wasserbewohner ...

... und müssen dabei sehr behut-sam vorgehen, um das brütende Teichhuhn nicht zu stören

Page 42: Robin Wood Magazin 3/2008

42

Stoffgeschichten heißt die Serie, in der der

oekom Verlag das Buch von Joachim Radkau

zum Naturstoff Holz herausgebraucht hat - und

das ist in diesem Falle fast wörtlich zu nehmen.

Denn Radkau führt uns vor Augen, wie sehr

die Menschheitsgeschichte von der Nutzung

des Holzes geprägt ist und das tut er auf so

anschauliche und leicht lesbare Weise, dass

dieses Sachbuch durchaus zum Schmökern

einlädt. Interessant ist das Buch auch deshalb,

weil Holz als Vorläufer der fossilen Energieträ-

ger die Grundlage für die wirtschaftliche Pro-

duktion war und viele Parallelen zur heutigen

Energiediskussion bereits in der Geschichte der

Holznutzung zu finden sind.

Der wesentliche Teil des Buches beschäftigt

sich mit der Geschichte von Mensch und Holz

im Mittelalter. Damals fand das wirtschaftliche

Leben zum Großteil direkt im Wald statt, weil

Holz für viele Zwecke genutzt wurde und der

Transport schwierig und zeitraubend war. Im

Wald wurden die Schweine gemästet, Viehfut-

ter und Streu gesammelt, Brenn- und Bauholz

geschlagen, Eisen verhüttet, Salz hergestellt.

Viele Gewerbe, die auf Brennholz für die Pro-

duktion von Glas, Pottasche, Pech, Holzkohle

angewiesen waren, siedelten in der Nähe des

Waldes. Und wo viele Nutzergruppen auftre-

ten, gibt es auch viele, zum Teil konkurrierende

Interessen. So ist es nicht verwunderlich, dass

schon damals mit den ersten Forstordnungen

- die übrigens Teile der Bergordnungen waren

- die Bevölkerung zum Holz-, sprich Energiespa-

ren aufgefordert wurde, damit für die Großver-

braucher kein Engpass entstand.

Gerade das Verdeutlichen dieser Zusammen-

hänge macht das Buch spannend. So erfährt

die LeserIn beispielsweise, dass krumm gewach-

sene Bäume so lange als Bauholz v.a. für Schiffe

bevorzugt waren, wie die Biegetechnik noch

nicht erfunden war. Mit dem wirtschaftlichen

Wachstum und der allgemeinen Ökonomisie-

rung zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde es

wichtig, den Holzvorrat der Wälder zu berech-

nen - krumme Bäume waren „der Horror der

Forstmathematiker“ - ein Grund, warum man

nun gerade gewachsene Bäume haben wollte.

Radkau führt uns aber auch durch die Ge-

schichte der Bau- und Sägetechnik und macht

die Schwierigkeiten und Gefahren des Holz-

transportes deutlich. Auch den Blick auf aktu-

elle Diskussionen wie Waldsterben, nachhaltige

Waldnutzung und globaler Holzhandel vergisst

er nicht. Ein Glossar wäre allerdings hilfreich,

v.a. weil Radkau nicht alle Begriffe gleich bei

der ersten Erwähnung erklärt.

Amtsschweine wurden die Schweine der Be-

amten genannt. Auch ihnen stand der Wald zur

Fütterung zur Verfügung.

Riesenflöße: Holz wurde zu Flößen zusam-

mengebunden und so auf Flüssen transportiert:

Die Flöße waren bis zu 400 Meter lang.

Rutschbahnen: Für den Holztransport an Land

wurden Rutschbahnen gebaut.

Nr. 98/3.08

bücher

Von Amtsschweinen, Riesenflößen und Rutschbahnen

Joachim RadkauHolz – wie ein Naturstoff Geschichte schreibt Stoffgeschichten Band 3 oekom Verlag 2007 München 350 Seiten, 24,90 EuroISBN: 978-3-86581-049-6

Annette Littmeier, Berlin

anzeige

Page 43: Robin Wood Magazin 3/2008

anzeige

Nr. 98/3.08

Ulrich Brand, Bettina Lösch und Stefan ThimmelABC der AlternativenVon „Ästhetik des Wider-stands“ bis „Ziviler Unge-horsam“ VSA-Verlag, 2007272 Seiten, 12,- Euro ISBN: 978-3-89965-247-5

Christiane Weitzel, Schwedt

Ästhetik des Widerstands und ziviler Ungehorsam

Welche gesellschaftlichen Alternativen gibt es? Fängt man erst einmal an

gemeinsam darüber nachzudenken, fallen einem im Nu zahlreiche his-

torische und aktuelle Projekte, Bewegungen, Institutionen und Forderungen

ein. Die HerausgeberInnen von „ABC der Alternativen“ hatten schnell mehr

als 250 Begriffe gesammelt. So finden sich in dem Band vertraute Begriffe

wie Emanzipation, Globalisierungskritik, Mindestlöhne und soziale Bewe-

gungen, aber auch Begriffe wie Multitude, Neo-Desarrollismo und Wissens-

allmende, die vielen LeserInnen erst einmal unbekannt sein werden.

Schließlich veröffentlichten die HerausgeberInnen in dem Nachschlagewerk

126 Begriffe, die 133 AutorInnen kritischer linker und internationaler Poli-

tik und Bewegungen beisteuerten. Diese standen vor der Herausforderung

die komplexen Begriffe auf nur zwei Buchseiten abhandeln zu müssen. Die

LeserInnen, denen das zu wenig ist, finden unter jedem Beitrag Literatur-

hinweise zum Weiterlesen.

Die Herausgeber wollten im „ABC der Alternativen“ vor allem Begriffe auf-

nehmen, die alternative Weltsichten eröffnen und für emanzipatorisches

Denken und Handeln wichtig sind. Dafür wurden die AutorInnen gebeten

in ihren Beiträgen auch den historischen Zusammenhang zu analysieren

und wichtige gesellschaftliche Widersprüche, auf die die Begriffe hinwei-

sen, zu beleuchten. So sind konkrete Bewegungen wie Attac, Via Campe-

sina und z.B. Tauschringe aus dem ABC herausgefallen.

Der Band ist ein lexikalischer Fundus der alternativen Bewegungen. Den

LeserInnen werden sicher viele Begriffe einfallen, die fehlen, aber aus ihrer

Sicht auch wichtig wären. Im Vorwort machen die HerausgeberInnen gleich

klar, dass sie nicht den Anspruch erheben mit dem ABC erschöpfend zu

sein, sondern dass sie vielmehr zu Diskussionen über alternative Perspekti-

ven an Küchentischen und Kneipenrunden anregen möchten.

Das ABC der Alternativen ist in Kooperation mit dem Wissenschaftlichen

Beirat von Attac, der tageszeitung und der Rosa Luxemburg Stiftung ent-

standen.

43

Page 44: Robin Wood Magazin 3/2008

44

Soziale Bewegungen sind zu einem festen Bestandteil der politischen

Kultur in Deutschland geworden. In Reportagen, Interviews und Analysen

wird am Beispiel einiger Organisationen – darunter Urgewald, FoeBud und

LobbyControl – und BewegungsarbeiterInnen beschrieben, „wie soziale Be-

wegungen arbeiten und wirken.“ So erläutert z.B. Dieter Rucht „soziale Be-

wegungen als demokratische Produktivkraft.“ StifterInnen geben Aufschluss

über ihre Motive, Proteste zu finanzieren. Eine Einführung in progressive

Philanthropie und eine Kurzvorstellung der Bewegungsstiftung runden den

Band ab.

Nr. 98/3.08

bücher

Wie soziale Bewegungen und Protest Gesellschaft verändern

Felix Kolb/Bewegungsstif-

tung (Hrsg.)

Damit sich was bewegt - Wie

soziale Bewegungen und

Protest Gesellschaft verän-

dern

VSA Verlag, 2007

128 Seiten, 9,80 Euro

ISBN: 978-3-89965-252-9

Die Sonne geht immer von unten auf

Der praktische Protest-Ratgeber „Wir sind überall“ ist ein

inspirierendes Handbuch des neuen weltweiten Protests,

der dezentral für Deglobalisierung, Pluralismus und direkte

Demokratie eintritt. Subjektive Berichte, praktische Tipps und

zusammenführende Analysen machen dieses Buch zu einer

alternativen Weltreise. AktivistInnen aus aller Welt berichten

über die neue, kreative „Bewegung der Bewegungen“: Stra-

ßenkarnevalisten aus England, G-8-Protestierer aus Seattle und

Genua, gegen genmanipuliertes Saatgut kämpfende Bauern

aus Indien, die „Wasserkrieger“ aus Bolivien, Landbesetzer aus

Brasilien, afrikanische Sans-Papiers aus Frankreich, Gartengue-

rilleros aus New York ...

Das Buch fordert zum Mitmachen auf, es erklärt zum Beispiel

wie man eine Straßenblockade organisiert, wie man sich bei

Verhaftungen verhält und dass man Menschen in Abschie-

bungslagern mit internationalen Telefonkarten einen Gefallen

tun kann. Jeder kann etwas tun, lautet die Botschaft. Dieses

Buch ist eine Protestchronik gegen die „neue Weltordnung“,

gegen die Marktglobalisierung. Seine bestechenden Argu-

mente sind Humor, Fantasie, Hartnäckigkeit und eine gute

Portion Mut. „Notes from Nowhere“ ist ein Redaktionskollektiv

aus englischsprachigen AktivistInnen und AutorInnen, Künstle-

rInnen, FotografInnen, Indymedia-MitarbeiterInnen, die schon

viele Jahre in der Bewegung aktiv sind, viel umher reisen und

ihre Ausgangsbasis in England haben.

Das Buch, das in Pflastersteinformat eine Fundgrube an

Aktionsideen bietet, hat nur den einen Schönheitsfehler, dass

seine sehr kleine Schrift eher zum ausführlichen Nachschla-

gen als zum stundenlangen Schmöckern einlädt.

Notes from Nowhere (Hrsg.)

Wir sind überall

weltweit. unwiderstehlich.

Antikapitalistisch

Aus dem Englischen über-

setzt von Sonja Hartwig

Edition Nautilus, 2007

544 Seiten, 19,90 Euro

ISBN: 978-3-89401-536-7

Page 45: Robin Wood Magazin 3/2008

merk-würdiges

Nr. 98/3.08

Anmeldung und Anregungen zum Film unter:

[email protected]

Pirkko Bell, Berlin

Was passiert in Australien, damit bei uns das Licht angeht?

Jugendinitiative „Strahlendes Klima“ dreht Dokumentarfilm über Atomkraft und Uranabbau

Am Anfang des Atomstroms steht nicht etwa die Steck-

dose oder das Atomkraftwerk, sondern Uran. Bevor wir

Atomstrom nutzen können, ist viel passiert. Ohne Uran kein

funktionierendes Atomkraftwerk und die Steckdose können

wir uns dann auch gleich schenken. Doch woher kommt Uran?

Unsere Jugendinitiative „Strahlendes Klima“ hat sich aufge-

macht, um Licht ins Dunkel zu bringen. Unser Film zeigt den

allerersten Schritt der Atomwirtschaft, nämlich den Uranab-

bau. Wir berichten über seine verheerenden Folgen und

dokumentieren, was hierzulande kaum jemand weiß, weil wir

davon nicht direkt betroffen sind.

Seit mehr als einem Jahr arbeiten 15 Leute zwischen 20 und

30 Jahren an der Erstellung des Films. Er wird derzeit in un-

serem Projektbüro in Berlin fertig geschnitten und ab Herbst

2008 von uns verbreitet werden.

Anfang dieses Jahres ist ein kleines Team nach Australien

geflogen, um dort die Auswirkungen des Uranabbaus zu

dokumentieren. Wir haben uns die vom Minengiganten BHP

Billiton betriebene Uranmine „Olympic Dam“ angeschaut. In

wenigen Jahren soll sie die größte Uranmine der Welt sein.

Das beliebte Reiseland Australien ist dicht gefolgt von Kanada

bereits heute einer der größten Exporteure der strahlenden

Ressource, die unsere Atomkraftwerke am Laufen hält.

2007 exportierte der rote Kontinent 10.145 Tonnen Uran

(U308), sogenanntes Yellow Cake. Abnehmerländer wa-

ren vor allem die USA, Korea, Japan und Staaten innerhalb

der Europäischen Union. Australische Wirtschaftsvertrete-

rInnen sind stolz auf diese Exportzahlen. In ihren Augen

hilft australisches Uran der Welt beim Klimaschutz. Das Bild

vom sauberen Kernkraftwerk wird auch von der deutschen

Atomlobby gerne gezeichnet. Anders als im atomstrom-

freien Australien wissen wir hierzulande über die Risiken der

Atomkraft weitestgehend Bescheid. Viele von uns haben sich

arrangiert, mit dem Risiko Atomkraft direkt vor der Haustür

zu leben und hoffen, dass größere Unfälle ausbleiben.

Unsere Jugendinitiative „Strahlendes Klima“ hat den glo-

balen Produktionsweg von Atomstrom zurückverfolgt. Wie

funktioniert Uranabbau wirklich? Was sind die Folgen? Wer

ist verantwortlich? Wie kann ich mich selbst einmischen und

etwas verändern? Das gibt es ab Herbst diesen Jahres in

unserem Film zu sehen!

45

FilmpatInnen gesucht!

Da der Film ein nicht kommerzielles Projekt ist, sind wir auf

deine Hilfe angewiesen. Du kannst FilmpatIn werden und

den Film in deiner Stadt öffentlich zeigen. Lokale Netzwerke,

Privatpersonen und Gruppierungen, das sind die Menschen

die FilmpatInnen werden können.

Also, melde dich bei uns, wenn du uns helfen willst, den

Film zu verbreiten, egal ob im Kino oder bei dir zu Hause im

Wohnzimmer.

Dreharbeiten in der australischen Wüste, nahe der Uranmine Olympic Dam ...

... und am Atomkraftwerk Tricastin, Frankreich

Page 46: Robin Wood Magazin 3/2008

impressum

post

Nr. 98/3.0846

Nummer 98/3.08

Magazin

Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

Erscheinungsweise vierteljährlich

Redaktion: Sabine Genz, Angelika Krumm, Annette

Littmeier, Christian Offer, Regine Richter,

Dr. Christiane Weitzel (V.i.S.d.P.)

Verantwortlich für Layout, Satz, Fotos und Anzeigen

ist die Redaktion

Verlag: ROBIN WOOD-Magazin

Lindenallee 32, 16303 Schwedt

Postfach 10 04 03, 16294 Schwedt

Tel.: 03332/2520-10, Fax: -11

[email protected]

Jahresabonnement: 12,- Euro inkl. Versand

zu beziehen über: ROBIN WOOD e.V.,

Geschäftsstelle, Postfach 10 21 22, 28021 Bremen,

Tel.: 0421/59828-8, Fax: -72

[email protected], www.robinwood.de

Der Bezug des ROBIN WOOD-Magazins ist

im Mitgliedsbeitrag enthalten

Gesamtherstellung: Druckhaus Bayreuth,

www.druckhaus-bayreuth.de

Rollenoffsetdruck, Auflage: 10.000

Das ROBIN WOOD-Magazin erscheint auf 100% Altpapier

augezeichnet mit dem Blauen Engel

Titelbild: Bilderberg/Tobias Gerber

Art Direction: www.tangram-design.de

Spendenkonto: ROBIN WOOD e.V., Postbank Hamburg,

BLZ: 20010020, Konto: 1573-208

Kompliment!

97/2.08, Computerschrott & Energie

Liebe Redaktion!

Das Layout hat sich ja seit einiger Zeit positiv verän-

dert, aber auch die Inhalte sind wirklich hochinter-

essant geworden. Ich lese gerade die Nr. 97/2.2008

und tue hiermit das, was ich schon seit einiger Zeit

tun wollte : Kompliment!

Machen Sie weiter so!

Ralf Bremermann

anzeige

Unterschriften für den Regenwald

Die SchülerInnen der Klasse 4 a der Grundschule „Am Pappelhain“ in

Potsdam haben am Wettbewerb „Tesalino und Tesalina im Regen-

wald“ teilgenommen und sich während des Projekts intensiv mit tro-

pischen Regenwäldern beschäftigt. Der Höhepunkt war die Gestaltung

des Klassenraumes als Regenwald. Die Schulleitung und alle anderen

Klassen wurden eingeladen, um die Schönheit und die Zerstörung der

Regenwälder zu erleben. Auf selbst gestalteten Plakaten wurde gezeigt,

warum es wichtig ist, die Wälder zu schützen. Auf 15 Listen sammel-

ten die engagierten SchülerInnen von 186 Kindern und LehrerInnen

Unterschriften, die von der Naturschutzjugend Brandenburg und ROBIN

WOOD an den Papiergroßhändler Papier Union übergeben wurden, mit

der Forderung, kein Papier mehr aus Raubbau anzubieten.

Page 47: Robin Wood Magazin 3/2008

Gute Aktionen brauchen neue Gesichter!

Neue Aktionen wie das „Pantomimen-Walk-In“ im Hamburger Hauptbahnhof waren nötig, um den Bahnraub an der Börse zu verhindern. Neue Aktivistinnen und Aktivisten, neue Ideen, neue Kräfte, neue Erfahrungen und Erfahrungsschätze waren nötig, um in Deutschland so viel Aufmerk-samkeit und Bewusstsein für unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erzeugen.

Unsere Erfolge sind das Ergebnis jahrelanger Arbeit aller Beteiligten: der ehrenamtlichen AktivistInnen, der hauptamtlichen Fachleute und der Förderinnen und Förderer!

Was uns derzeit am meisten fehlt, um auch in Zukunft so erfolgreich zu sein, sind neue Förderinnen und Förderer.

Wir können noch mehr erreichen, wenn wir mehr Unterstützung gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir Ihre Spende für genau diesen Zweck.

Bitte nutzen Sie den Überweisungsträger in diesem Magazin für dieses bedeutende Ziel. Für noch mehr Kreativität und noch mehr Erfolge!

Nr. 98/3.08 47

Page 48: Robin Wood Magazin 3/2008

www.robinwood.de

Gute Aktionenfür den Schutz unserer Umwelt

brauchen immer wieder

neue Gesichter!Bitte blättern Sie um!