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§ 2: Der StaatsaufbauI. Die Verfassung der Republikb. Der Senat• Ursprünglich patrizischer Adelsrat; im interregnum

für die Staatsleitung zuständig• Später Versammlung ehemaliger Magistrate• Nachbesetzung (lectio senatus) erst durch

Höchstmagistrate, dann durch die Zensoren• Der Senat äußerte seine gewichtige Meinung durch

senatus consulta.• Beschlüsse der Volksversammlung waren nur mit

Zustimmung des Senats (auctoritas patrum) wirksam.

• Der Senat besaß weite Zuständigkeiten in der Außenpolitik.

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c. Die Volksversammlungen• Die Kuriatkomitien verlieren mit der Zeit praktisch

jede Bedeutung; nur noch für wenige Formalge-schäfte zuständig

• Die Zenturiatskomitien:- Nun eine nach Vermögen gestaffelte

Volksversammlung, die auch nach den Vermögensklassen abstimmt.

- Zuständig für die Wahl der Magistrate und die Verabschiedung von Gesetzen (leges)

• Die Volksversammlung (concilia plebis tributa):- Ursprünglich keine gesamtstaatliche Funktion- Beschlüsse (plebiscita) seit 287 v. Chr.

allgemeinverbindlich.

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d. Stadtstaat und ReichRom war ursprünglich nur eine kleine Siedlung. Ihr wach-sendes „Reich“ organisierten die Römer vielfältig. Es gab:• Bundesgenossen

- Anfangs bedeutsam: Der Latinische Bund; der Status eines Latiners (angeglichene Rechtsstellung mit commercium und conubium) blieb lange erhalten

- Im übrigen herrschte unter den Bundesgenossen eine große Vielfalt mit unterschiedlich ausgestalteten Rechten

• dediticii: Unterworfene Feinde ohne eigenes Recht• Municipia (munera capere): Städte mit Pflichten, aber

ohne Rechte• Kolonien römischer Bürger• Später auch Provinzen, die von sogenannten

Promagistraten verwaltet wurden.

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II. Die Verfassung im Kaiserreich1. Der Prinzipat• 27. v. Chr.: Augustus gibt seine Sondergewalten an den

Senat zurück.• Gleichzeitig lässt er sich ein zunächst befristetes

militärisches imperium übertragen.• Zwar übernimmt Augustus noch gelegentlich das

Konsulat, dessen Amtsgewalt lässt er sich aber auch unabhängig davon übertragen.

• Augustus erhält zudem die lebenszeitliche tribunicia potestas, dh. die Macht eines Tribuns.

• Augustus erhält von den Ämtern gelöste Amtsgewalten.• Zudem erhält er das Oberpontifikat und die Befugnisse

der Zensoren (vor allem: lectio senatus).

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• Augustus sieht sich nicht als Begründer einer neuen Staatsform, sondern als Wiederhersteller der Republik.

• Die alten republikanischen Ämter und Institutionen bleiben bestehen, verlieren aber zunehmend an Macht:– Der Senat wird zum Gesetzgebungsorgan

aufgewertet, entwickelt sich indes zum Sprachrohr des Kaisers.

– Von den Magistraten behält allein der Prätor noch lange Zeit seine Aufgaben.

– Die Konsuln werden bald zu Ehrenämtern.– Die Volksversammlungen werden Mitte des 1.

Jh. n. Chr. zuletzt einberufen.

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Der Verwaltungsapparat in der Kaiserzeit• Die Verwaltung in der Republik war für ein

Weltreich ungeeignet:- Kein organisierter Verwaltungsapparat- Die Amtsträger stützten sich auf ihre eigene

familia und Berater (consilium)• Die Provinzen wurden herkömmlich durch

ehemalige Magistrate verwaltet.• Augustus trennt befriedete senatorische Provinzen

von unbefriedeten kaiserlichen Provinzen, deren Verwaltung er selbst übernimmt.

• Eine eigene kaiserliche Bürokratie entsteht aus der Verwaltung seines eigenen domus.

• Im 2. Jh. entsteht ein ritterliches Berufsbeamtentum

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2. Der Dominat• Der Kaiser erscheint und gibt sich nun als absoluter

Herrscher.• Die alten republikanischen Organe haben keine

politische Macht mehr und sind bloßes Ehrenamt.• Das Heer gewinnt weiter an Bedeutung.• Zur Finanzierung des Heers ist eine Reform und ein

Ausbau der Bürokratie notwendig.• Diokletian schafft eine neue Verwaltungs- und

Heeresstruktur.• Nach der Spaltung des Reichs Ende des 4. Jh. bildet

sich eine neue eigenständige Verwaltung mit eigenen Ämtern im Ostteil des Reichs heraus.

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§ 3: QuellenkundeI. Einführung• Die Wissenschaft vom römischen Recht, die

Romanistik, nutzt nicht nur juristische Quellen, wie Gesetze und Bücher von Juristen.

• Die Forschung bedient sich auch aller anderen aus der Antike überlieferten Quellen, um das Wissen um das Altertum und das damals geltende Recht zu erweitern.

• Wichtig sind vor allem literarische nicht-juristische Texte.

• Daneben sonstige schriftliche Zeugnisse in Urkunden, Inschriften (Epigraphik) usw.

• Bedeutsam aber auch Münzen (Numismatik) und allgemeine archäologische Funde.

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II. Das Corpus Iuris Civilis1. Die Entstehung• Idee einer Erneuerung des römischen Reichs unter

dem oströmischen Kaiser Iustinian im 6. Jh. n. Chr.• Die Idee einer Kodifikation des Römischen Rechts

bereits seit längerer Zeit bekannt.• Der Codex: Eine Sammlung der

Kaiserkonstitutionen, 529/534 n.Chr.• Die Digesten oder Pandekten: Eine Sammlung von

Juristenschriften, 533 n. Chr.• Die Institutionen: Ein Lehrbuch, 533 n. Chr.• Die Novellen: Spätere Kaisergesetze Iustinians• Der Name „Corpus Iuris Civilis“ wurde erst von

dem Humanisten Gothofredus im 16. Jh. geprägt.

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2. Die Überlieferung• Umfangreichste Überlieferung durch eine

Handschrift aus dem 6./7. Jh. (Florentina)

• Fragmente in anderen Handschriften• Mittelalterliche Handschriften (Digestenvulgata), die

auf eine verloren gegangene Ausgabe (Codex Secundus) zurückgehen sollen

• Moderne Ausgabe von Mommsen/Krüger aus dem Jahr 1889.

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3. Interpolationen• Die im Corpus Iuris überlieferten Fragmente sind

vielfach überarbeitet („interpoliert“) worden.• Interpolationen wurden erstmals von den

Humanisten im 14./15. Jahrhundert entdeckt• Nach Erlass des BGB wurde die Romanistik zur

historisch-arbeitenden Wissenschaft und wandte sich verstärkt der Aufdeckung von Interpolationen zu („Interpolationenjagd“).

• Heute geht man grundsätzlich von der Authentizität der Quellen aus und differenziert– Nach den Gründen möglicher Interpolationen.– Nach den Urhebern möglicher Interpolationen.

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Beispiel:Dig.9.2.11pr. (Ulpianus 18 ad ed. ) Item mela scribit, si, cum pila quidam luderent, vehementius quis pila percussa in tonsoris manus eam deiecerit et sic servi, quem tonsor habebat, gula sit praecisa adiecto cultello: in quocumque eorum culpa sit, eum lege aquilia teneri. proculus in tonsore esse culpam: et sane si ibi tondebat, ubi ex consuetudine ludebatur vel ubi transitus frequens erat, est quod ei imputetur: quamvis nec illud male dicatur, si in loco periculoso sellam habenti tonsori se quis commiserit, ipsum de se queri debere.

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Dig. 9.2.11pr. (Ulpianus 18 ad ed) Ebenso schreibt Mela: Als einige Ball spielten und einer den Ball heftig in die Hände eines Barbiers warf, so dass eine Hand herabgedrückt wurde und so einem Sklaven, den der Barbier gerade rasierte, die Kehle mit den angesetzten Messer durchtrennt wurde: Derjenige unter ihnen hafte nach der Lex Aquilia, den ein Verschulden treffe. Proculus meinte, dass die Schuld beim Barbier liege: und es trifft zu, daß, wenn er dort rasierte, wo gewöhnlich gespielt wurde oder wo ein reger Verkehr war, man ihm dies vorwerfen kann; obwohl man auch nicht schlecht sagen könnte, daß man sich bei sich selbst beklagen kann, wenn man sich einem Barbier anvertraut, der seinen Sessel an einem gefährlichen Platz hat.

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Entschlüsselung des Kürzels „Dig. 9.2.11pr.“• „Dig.“ steht für die Digesten („C.“ für Codex; „Inst.“

für die Institutionen)• Die Digesten bestehen aus 50 Büchern, die ihrerseits

jeweils in Titel unterteilt sind• Die Titel enthalten eine Vielzahl von Fragmenten

auch als leges bezeichnet• Die Fragmente werden wiederum manchmal in

Paragraphen unterteilt• Der erste Paragraph wird als principium bezeichnet,

die übrigen durchnummeriert• Hier: 9. Buch, Titel 2 („ad legem Aquiliam“),

Fragment 11, principium

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Entschlüsselung des Zusatzes „(Ulpianus 18 ad ed)“• Jedes Fragment beginnt mit einer sogenannten

Inskription.• In der Inskription wird die Quelle des jeweiligen

Fragments in abgekürzter Form genannt.• Ulpianus, der Autor des Fragments: Bedeutender

spätklassischer Jurist aus dem 3. Jh. nach Chr.• 18 ad ed, die Fundstelle des Werks: Das 18. Buch

des Ediktskommentars von Ulpian

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II. Weitere überlieferte Schriften1. Juristische Schriften• Keine Schriften aus der Republik, sondern nur ab

dem 2 Jh. n. Chr.• Die Institutionen des Gaius: Klassisches Lehrbuch

aus dem 2. Jh. überliefert auf einem Palimpsest (überschriebener Papyrus)

• fragmenta Vaticana: Auf einem Palimpsest des Vatikans überlieferte Fragmente aus dem 4. Jh.

• collatio legum mosaicarum et romanarum: Rechtsvergleich mosaischen und römischen Rechts aus dem 4. oder 5. Jh.

• Weitere nachklassische und vulgarrechtliche Schriften

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2. Nichtjuristische Schriften• Erste Informationen über das römische Recht

vor allem bei den Komödiendichtern Plautus und Terenz aus dem 2. Jh. v. Chr.

• Informationen aber auch bei den Historikern (insbesondere Dionysius, Polybius, Livius, Tacitus), Dichtern (Horaz, Vergil), bei Cicero usw.

• Wichtig die Werke der Antiquare (Varro, Festus), insbesondere die „Noctes Atticae“ des Aulus Gellius

• Briefe, etwa von Cicero und Plinius d. J.• Bedeutsam für die Spätantike wird die

christliche Literatur der Kirchenväter

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III. UrkundenUrkunden auf vergänglichen Materialien wie Holz oder Papyrus haben sich nur ausnahmsweise unter besonderen Umständen erhalten:• Massen ägyptischer Papyrii von 300 v. Chr. bis

300 n. Chr. geben Aufschluss über römisch-hellenistisches Recht.

• Holztäfelchen aus Pompeii und Herculaneum durch den Ausbruch des Vesuv 79 n. Chr. konserviert.

• Weitere Urkundenfunde in einem rumänischen Bergwerk sowie in der Nähe des Toten Meers bieten Informationen über die Provinzialrechte.

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Urkunde über einen Sklavenkauf aus Pompeii v. 21.8.38 n.Chr.:

(1) Solutum eSSE FUGitivUM (2) erroneM non esse et CETERA (3) in EDICTO AEd CUR qUAE HUIuSQUE (4) ANNi SCRIPTA CONPREH-ENSAque (5) SUNt RECTE PREASTARi et dUPLAM (6) pECuniaM EX FORMula ITA (7) uTI adSOLET RECTE dari STIPUL (8) eST T VESTORIUS ARPOCRA MINOR (9) spOPONDIT T VESTORIUS PHOENIX (10) ACTUM PUTEOL XII K SEPT (11) Ser aSinio SEX NONIO COS

(1) ... daß <er von Haftung wegen Diebstahls und Schadenszufügung> entbunden ist, (2) daß er kein entlaufener Sklave und Herumtreiber ist und daß das Übrige, (3/4) das im Edikt der aediles curules dieses Jahres geschrieben und enthalten ist, (5) in gehöriger Weise gewährt wird und daß der doppelte (6/8) Kauf-preis, wie es das Formular vorsieht, und so wie üblich in gehöriger Weise gezahlt wird, hat sich versprechen lassen Titus Vestorius Arpocra Minor, (9) hat versprochen Titus Vestorius Phoenix. (10) Geschehen zu Puteoli am 12. Tag vor den September-Kalenden (11) unter den Konsuln Servius Asinius und Sextus Nonius.

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III. Epigraphik („Inschriftenkunde“)In- und Aufschriften auf Holz, Stein, Metall, Leder usw.1. Juristische Quellen

Beispiel: Die lex Irnitana

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2. Nichtjuristische Quellen

Beispiel: Grabinschrift

(Walser, Römische Inschriften in der Schweiz. 1. Teil: Westschweiz,Bern 1979, Nr. 87)

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[C(aio) I]ul(io) C(ai) f(ilio) Fab(ia) Camil/[lo s]ac(erdoti) Aug(usti)/ mag(no) / [trib(uno)] mil(itum) leg(ionis) IIII Maced(onicae) / [hast]a pura et cor(ona) aur(ea) / [dona]to a T(iberio) Claud(io) Caes(are) / [Aug(usto) ite]r(um) cum ab eo evocatus / [in Brita]nnia militasset Iul(ia) / [Ca]milli fil(ia) Festilla / ex testamen(to).

„Für Caius Iulius Camillus, Sohn des Caius, aus der Bürgertribus Fabia, Vorsteher des Kaiserkultes, Militärtribun der 4. Legion Macedonica, zweimal mit der Ehrenlanze und dem Goldkranz von Tiberius Claudius Caesar Augustus ausgezeichnet, als er von diesem (aus dem Veteranenstand) in den Dienst zurückgerufen wurde, um in Britannien zu dienen. Iulia Festilla, Tochter des Camillus, (hat) gemäß Testament (das Grabmal errichten lassen).“

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Literaturhinweise:• Gröschler, Urkunden (Römisches Recht), in:

Cancik/Schneider (Hrsg.), Der Neue Pauly, Enzyklopädie der Antike, Bd. 12/1, 2002, Sp. 1044-1049

• Kaser, Ein Jahrhundert Interpolationenforschung, in: ders., Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode, 1986, S. 112 ff.

• Rupprecht, Kleine Einführung in die Papyruskunde, 1994

• Schmidt, Einführung in die lateinische Epigraphik, 2. Aufl. 2011

• Wenger, Die Quellen des römischen Rechts, 1953