Rotieren in - Nürnberg · Langwasser. 1971 übernimmt die Schickedanz Holding Maul + Co., stößt...

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G eschwindigkeit ist der erste Eindruck, den der Betrieb in den Produk- tionshallen von maul-belser vermittelt. Menschen und Maschinen sind in steter Bewegung.Verschiedenste Transportsysteme – Gabelstapler,kleine Schie- nenfahrzeuge, hydraulische Schubwagen, Fließbänder – befördern Drucker- zeugnisse aller Stadien des Produktionsprozesses – einzeln,gestapelt,gebündelt, auf Paletten verschweißt. Selbst im Luftraum herrscht keine Ruhe: Über den Köpfen rattern,an gewundene Bänder geklammert,Werbebeilagen,Broschüren, Magazine wie an bewegten Wäscheleinen durch die Gänge und Hallen. Unter- wegs trocknen die bunten Papierbündel und können am Ziel ihrer Reise sofort weiterverarbeitet werden.Noch bevor sich die Welt des Tiefdrucks mit seinen technischen Superlativen erschließt, beeindruckt schon eines: die gewaltige logistische Leistung,mit der täglich an die 1 000 Tonnen Papier mit 50 Tonnen Farbe bedruckt, geschnitten, sortiert, gestapelt und abtransportiert werden. Das „ADAC-Magazin“,den „Quelle-Katalog“,die Computerzeitschrift „c’t“,die englische Lifestyle-Zeitschrift „Glamour“,Telefonbücher, die Fernsehbeilage „rtv“ und viele Printerzeugnisse mehr eint ihre Herkunft. Sie entstammen den riesigen Druckmaschinen des maul-belser Medienverbunds im Südosten Nürn- bergs.Er ist einer der beiden Gründe dafür,dass Nürnberg als Zentrum des eu- ropäischen Tiefdrucks gilt. (Der zweite Grund ist die u. e. sebald druck GmbH, nach dem Wegzug aus der Innenstadt am Nürnberger Hafen ansässig.) Seit 1947 rotieren bei Maul + Co., damals als Druckerei der Porst-Gruppe gegründet, die Druckmaschinen, seit 1956 auf dem Firmengelände an der Breslauer Straße in Langwasser. 1971 übernimmt die Schickedanz Holding Maul + Co., stößt aber kurz darauf 75 Prozent ab. Bertelsmann kauft 1976 diese Anteile und zeitgleich auch die Mehrheit an Verlag und Druckerei Chr. Belser in Stuttgart. Beide Unternehmen werden 1982 zusammengeführt zu maul-belser, die Produk- tionsstätten ganz nach Nürnberg verlegt. Der Medienverbund gehört zu drei Vierteln der Bertelsmann-Tochter arvato AG, ein Viertel hält Karstadt-Quelle. Ungeachtet der Besitzverhältnisse wird das operative Geschäft komplett in Nürnberg geleitet, versichert der technische Geschäftsführer Dr. Winfried Marquardt, der mit dem Vorsitzenden Stephan Krauss, zugleich Vorstandsmit- glied der arvato AG, und dem kaufmännischen Geschäftsführer Dieter Simon dem Medienverbund vorsteht. Stetige technische Innovationen, die jeweils mit gewaltigen Investitionssummen einhergehen, haben maul-belser an die europä- ische Spitze der Branche gebracht. Entscheidend dafür sei, so Dr. Marquardt, neben Schnelligkeit und dem guten Preis-Leistungs-Verhältnis vor allem die garantierte, gleichbleibend hohe Qualität der Druckerzeugnisse. Rotieren in XXL Europas modernste Tiefdruckerei steht in Langwasser: der maul-belser Medienverbund Rohrleitungen ver- sorgen das gesamte maul-belser-Betriebs- gelände mit Dampf und temperierter Luft (oben). Ein kompliziertes Stangensystem wendet frisch bedruckte Papier- bahnen im Inneren der Druckmaschinen. | NH 76 36

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  • Geschwindigkeit ist der erste Eindruck, den der Betrieb in den Produk-tionshallen von maul-belser vermittelt. Menschen und Maschinen sind insteter Bewegung.Verschiedenste Transportsysteme – Gabelstapler,kleine Schie-nenfahrzeuge, hydraulische Schubwagen, Fließbänder – befördern Drucker-zeugnisse aller Stadien des Produktionsprozesses – einzeln,gestapelt, gebündelt,auf Paletten verschweißt. Selbst im Luftraum herrscht keine Ruhe: Über denKöpfen rattern,an gewundene Bänder geklammert,Werbebeilagen,Broschüren,Magazine wie an bewegten Wäscheleinen durch die Gänge und Hallen. Unter-wegs trocknen die bunten Papierbündel und können am Ziel ihrer Reise sofortweiterverarbeitet werden. Noch bevor sich die Welt des Tiefdrucks mit seinentechnischen Superlativen erschließt, beeindruckt schon eines: die gewaltige logistische Leistung, mit der täglich an die 1 000 Tonnen Papier mit 50 TonnenFarbe bedruckt, geschnitten, sortiert, gestapelt und abtransportiert werden.

    Das „ADAC-Magazin“, den „Quelle-Katalog“, die Computerzeitschrift „c’t“, dieenglische Lifestyle-Zeitschrift „Glamour“, Telefonbücher, die Fernsehbeilage„rtv“ und viele Printerzeugnisse mehr eint ihre Herkunft. Sie entstammen denriesigen Druckmaschinen des maul-belser Medienverbunds im Südosten Nürn-bergs. Er ist einer der beiden Gründe dafür, dass Nürnberg als Zentrum des eu-ropäischen Tiefdrucks gilt. (Der zweite Grund ist die u. e. sebald druck GmbH,nach dem Wegzug aus der Innenstadt am Nürnberger Hafen ansässig.) Seit 1947rotieren bei Maul + Co., damals als Druckerei der Porst-Gruppe gegründet, dieDruckmaschinen, seit 1956 auf dem Firmengelände an der Breslauer Straße inLangwasser. 1971 übernimmt die Schickedanz Holding Maul + Co., stößt aberkurz darauf 75 Prozent ab. Bertelsmann kauft 1976 diese Anteile und zeitgleichauch die Mehrheit an Verlag und Druckerei Chr. Belser in Stuttgart. BeideUnternehmen werden 1982 zusammengeführt zu maul-belser, die Produk-tionsstätten ganz nach Nürnberg verlegt. Der Medienverbund gehört zu dreiVierteln der Bertelsmann-Tochter arvato AG, ein Viertel hält Karstadt-Quelle.

    Ungeachtet der Besitzverhältnisse wird das operative Geschäft komplett inNürnberg geleitet, versichert der technische Geschäftsführer Dr. Winfried Marquardt, der mit dem Vorsitzenden Stephan Krauss, zugleich Vorstandsmit-glied der arvato AG, und dem kaufmännischen Geschäftsführer Dieter Simondem Medienverbund vorsteht. Stetige technische Innovationen, die jeweils mitgewaltigen Investitionssummen einhergehen, haben maul-belser an die europä-ische Spitze der Branche gebracht. Entscheidend dafür sei, so Dr. Marquardt,neben Schnelligkeit und dem guten Preis-Leistungs-Verhältnis vor allem die garantierte, gleichbleibend hohe Qualität der Druckerzeugnisse.

    Rotieren in XXLEuropas modernste Tiefdruckerei steht in Langwasser: der maul-belser Medienverbund

    Rohrleitungen ver-sorgen das gesamtemaul-belser-Betriebs-gelände mit Dampf und temperierter Luft(oben).

    Ein kompliziertes Stangensystem wendetfrisch bedruckte Papier-bahnen im Inneren derDruckmaschinen.

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  • |Elisabeth Ries Text |Christine Dierenbach Fotos

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  • Wenn die Papier-bahnen auf volle Druckgeschwindigkeitbeschleunigt sind,nimmt das Auge nur bewegte Farbstreifenwahr.

    Vollautomatisch werden die Druckzylinder in die Maschine eingesetzt.

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    Die simple Bezeichnung als „Druckerei“, selbst mitAttributen wie „gigantisch“ oder „europaweit füh-rend“ geschmückt, wird dem Anspruch von maul-belser nicht gerecht. Der Medienverbund umfasstneben dem Tiefdruck den Bereich Klebebindung,denDeutschen Supplement Verlag und die maul-belserStudios, die zu den größten Fotoateliers in Europagehören und eine eigene Werbeagentur beinhalten.„Wir bieten die komplette Produktionskette an“,er-läutert Dr. Marquardt: „Von der Modefotografie inden Studios auf dem Betriebsgelände über redak-tionelle Bearbeitung, Druckvorbereitung, Korrekturund Druck bis hin zur Klebebindung und Verpackungwickeln wir Aufträge so weitreichend ab, wie derKunde es wünscht.“

    So viele Arbeitsschritte wie möglich werden direktam Standort erledigt, denn so können Kosten undQualität durchgängig kontrolliert werden. DasUnternehmen beschäftigt 1 200 Stammmitarbeiter,hinzu kommt Personal von externen Dienstleis-tungsfirmen und zu Spitzenzeiten, wenn beispiels-weise große Warenhauskataloge produziert werden,bis zu 350 Aushilfen. Ingenieure und Drucker gehö-

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    Fortdrucküberwachungheißt die elektronischeSchaltzentrale, an derDrucker Stefan Fischer(rechts) den Produk-tionsprozess steuertund kontrolliert.

    Oberirdisch, auf dem dicht mit Werkshallen, Büro-und Lagerräumen, Gängen, Rohrleitungen und Zu-fahrten überbauten Betriebsgelände, rotieren dieMaschinen. Zunächst stimmen Mitarbeiter der Re-produktionsabteilung die digital übermittelten Datenauf die technischen Anforderungen ab, dann werdensie auf kupferbeschichtete Walzen übertragen. Mitbis zu 8 000 Schwingungen pro Sekunde gravieren diamantbesetzte Stichel Vertiefungen ein. Im Tief-druck sind es Einkerbungen auf der zylindrischenDruckplatte, so genannte Näpfchen, die Farbe auf-nehmen und an die vorbeigeführten Papierbahnenabgeben. Durch die unterschiedliche Tiefe der Näpf-chen kann die Farbe präzise dosiert werden. Dasweiche Kupfer wird nach der Gravur im Chrombadbeschichtet, bevor die ersten Probebögen an den –vergleichsweise – kleinen Testmaschinen gedrucktwerden.

    Mit geübtem Blick prüfen Korrektoren, wo mehr Farbe – das heißt: tiefere Näpfchen – oder wenigerFarbe – flachere Vertiefungen – erforderlich sind.Manuell wird an den betroffenen Stellen das Näpf-chenvolumen verändert. Hat ein Zylinder schließlich

    ren ebenso zum Personal wie Kraftwerkstechniker,Journalisten, Fotografen und EDV-Spezialisten.

    Der Transport bedruckter Bogen ins Ausland zur Fal-zung und Bindung, wie er bei anderen Großdrucke-reien üblich ist, entfällt bei maul-belser. Man hat sichbewusst gegen die Auslagerung dieser personalin-tensiven Teilbereiche ins Ausland entschieden. Stromund den für die Abluftreinigung erforderlichenDampf liefert das betriebseigene Blockheizkraft-werk. Der direkte Gleisanschluss ermöglicht Papier-lieferungen per Bahn bis auf das Werksgelände.Wür-den die 360 000 Tonnen Papier, die im Jahr bedrucktwerden – pro Tag bis zu 300 jeweils mehrere Tonnenschwere Rollen –, per Lkw herbeigeschafft, brächtedies eine enorme zusätzliche Verkehrsbelastung aufden Zufahrtsstraßen mit sich. Gerade einmal für 24Stunden Produktion reichen die Papierrollen,die sichim Lager stapeln – „Just-in-Time“-Lieferung ist ange-sichts des gewaltigen Papiervolumens ein Muss.Unterirdisch und vollautomatisch werden die großenDruckmaschinen mit Papier versorgt.

  • Computergesteuert gravieren winzige Diamantstichel Vertiefungen in dasweiche Kupfer desDruckzylinders. Azubi Stefan Kolb überprüft den Arbeits-fortschritt.

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    Schön- und Widerdruck, wie die Fachleute sagen –sind so alle acht Druckwerke nötig. Das kompli-zierte Stangensystem, das die geschnittenen Papier-bahnen wendet,wäre für den Laien allenfalls im Still-stand nachzuvollziehen. Wenn die bunten Papier-bahnen hindurchfließen, bleibt nur der faszinierteBlick auf bewegte Farbstreifen.

    Leichter nachzuvollziehen ist der Ablauf der Klebe-bindung. Vollautomatisch sortieren Maschinen diegedruckten Rohbögen,pressen,kleben, trocknen dasPaket und schneiden drei Seiten ordentlich zu,bevordie fertigen Hefte auf Paletten gebündelt werden.Et-wa 12 000 Exemplare pro Stunde können so gefer-tigt werden. Preisgünstiger und schneller geht es,wenn das Druckerzeugnis nur geheftet werden soll,denn dann entfällt der aufwändige Klebevorgang unddie Trocknung.

    Die Zigarette zwischendurch ist auf dem Betriebs-gelände strikt verboten. Das leicht entzündliche Lö-sungsmittel Toluol, das den Farben beigemengt unddem Druckerzeugnis später wieder entzogen wird,macht das gesamte Werksgelände zur Nichtrau-

    die Druckreife-Prüfung bestanden, laufen die großenRotationen an, sechs Tage in der Woche, 24 Stundenlang. Zusätzliche Sonderschichten am Sonntag sindkeine Seltenheit.

    Der moderne Tiefdruck, in der Theorie ein einfachesVerfahren, nimmt in der Praxis enorme Ausmaße an.Über 50 Milliarden Quadratmeter bedrucktes Papierverlassen jährlich das Unternehmen. Ab 500 000Stück und 32 Seiten Umfang lohnt sich die Herstel-lung im Tiefdruck, aber beim Minimum bleibt kaumein Produkt stehen. Allein der Quelle-Katalog er-reicht die kaum vorstellbare Auflagenhöhe von über10 Millionen Exemplaren. Mit 15 Metern pro Sekun-de saust das Papier in Bahnen von derzeit bis zu 3,52Meter Breite über die acht Druckwerke, aus denensich eine Druckmaschine zusammensetzt. Um Be-triebsgeräusche einzudämmen, sind die Maschinenrundum schallverkapselt. Der Wechsel der Papier-rollen geschieht bei voller Geschwindigkeit vollauto-matisch.Maximal 168 Seiten im Katalogformat ergibteine Umdrehung des Druckzylinders. Vier Farbenwerden einzeln aufgetragen, gelb, blau (cyan), ma-genta und schwarz. Für Vorder- und Rückseite –

  • Nach dem Probedruckwerden die Zylindermanuell auf die Korrek-tur vorbereitet (obenlinks).

    Fließbänder stellen diebedruckten Bögen zufertigen Produkten zusammen, die danngeheftet werden (untenlinks).

    Platzsparende Aufbewahrung: Die fertig geheftetenProdukte lagern in Rollen (links).

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    größten Tiefdruckhäuser Europas, als sie vor kurzemgemeinsame Farbstandards definierten, die bei maul-belser verwendeten Werte zur Grundlage ihrer Eini-gung wählten.

    Standards setzt das Druckhaus an der BreslauerStraße auch für die Zukunft. Mit einer Investitions-summe von 55 Millionen Euro treibt das Unterneh-men den Tiefdruck in neue Dimensionen voran. En-de 2004 geht eine neue Rotation mit einer Bahn-breite von weltweit einmaligen 4,32 Metern in Be-trieb, die zweite folgt 2005. Pro Zylinderumdrehungkönnen dann 192 Katalogseiten gedruckt werden.Weitere technische Modernisierungen und Baumaß-nahmen gehen damit einher. Bei der Grundsteinle-gung für die neue Produktionshalle im Januar 2004machte Stephan Krauss die Zielrichtung klar: „WennMitte 2005 alle Baumaßnahmen abgeschlossen sind,wird maul-belser in Nürnberg die modernste Tief-druckerei Europas sein.“ Diese Investitionen sind einklares Bekenntnis zum Standort Nürnberg und einoptimistischer Schritt in Richtung weitere Expan-sion.Tiefstapeln wollen die Vorreiter im NürnbergerSüdosten auch künftig nicht.

    cherzone. Im Drucksaal garantiert eine Vielzahl tech-nischer Warnsysteme die Sicherheit der Mitarbeiter.Alle Transportsysteme im explosionsgefährdeten Bereich funktionieren mit Luftdruck, hoch empfind-liche Warnsysteme registrieren jede Störung. Schoneine Bohrmaschine, das Blitzlicht einer Kamera oderein klingelndes Handy werden als Gefahr angesehenund dürfen deshalb bei laufendem Betrieb nicht be-nutzt werden. Gesundheitsgefährdend sei das Toluolbei den überwachten Arbeitsplatzkonzentrationenaber nicht, sagt Dr. Marquardt. In einem patentiertenVerfahren der Abluftreinigung werden Lösungsmit-telrückstände der Luft nahezu komplett entzogen,verflüssigt und wieder verwendet. Die gereinigtetemperierte Umluft dient sofort wieder zur Klimati-sierung der Druckmaschinen.

    Europäischer Standard aus Nürnberg

    Die genauen Mischverhältnisse von Farbe und Lö-sungsmittel, die in Verbindung mit der richtigen Papiersorte das gewünschte Druckerzeugnis her-vorbringen, wahren die Drucker wie Küchenchefsein Familienrezept. Stolz ist man darauf, dass die