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62 unterwegs XX/2001 MOTORRAD Welche Geheimnisse bergen die 49,6 Kilometer zwischen Bielefeld und Barntrup? Und warum widmet Mieter Bohlen seinen neuen Song einer Straße? Detektiv K.T. Karlow gerät auf seiner Wild Star in den Strudel mysteriöser Ereignisse. Von Rolf Henniges; Fotos: Klaus H. Daams E s war einer von diesen maus- grauen Novembertagen, die man am besten in den Tiefen der Badewanne verbringt. Ich war gerade abgetaucht, als das Telefon klingelte. Am Ende der Leitung war Mieter Bohlen, erster Stock geradeaus. Ein lederbejackter Komponist mit Skandal- neigung und einem Mercedes SL vor der Tür. „Ich schreibe einen Song über die deutsche Route 66“, sagte er in diesem Ton, in den man verfällt, kurz bevor man einen Delinquenten bestraft. „Was ich brauche, sind exakte Informationen über diese Straße und die Menschen dort. Sie sind doch Detektiv, oder?“ „Warum reisen Sie nicht selbst?“ entgegnete ich eiskalt. „Ich habe permanentes Party- fieber.“ Nun, ich bin kein Typ, der sich vor Aufträgen drückt. Und wenn einer krank ist, dann sollte man ihm helfen. Zwei Tage später parkte meine Yamaha 1600 Wild Star unter einem Tiefdruckgebiet namens Waldemar und direkt neben dem Ortsschild von Barntrup in Westfalen. Hier beginnt die Bundesstraße B 66 und schlängelt sich durch das Lippische Bergland, bis sie irgendwo in Bielefeld ihr Ende findet. Was könnte am deutschen Pendant zur amerikanischen Route 66 anders sein? Sicher, es sind exakt 4939 Kilometer weniger. Okay, es gibt auch keine Ozeane an jedem Ende. Aber dieses alle Sinne aufwühlende Gefühl, unterwegs zu sein sei besser, als ein Ziel zu haben, würde die Reisenden hier ebenfalls überfallen. So viel war klar. Quietschend bahnte sich die Eingangstür der Tanke Mittelgöker ihren Weg nach innen. In den Augen der rotblonden Kassiererin spiegelten sich alle Fragen der letzten hundert Jahre gleichzeitig. „Mein Name ist Karlow“, sonorte meine Stimme. „Ist Ihnen hier auf der deutschen Route 66 schon mal etwas Aufregendes passiert?“ Alles Leben schien aus ihrem Gesicht zu weichen. „Ich heiße Doris, nicht Ruth und war mal schwanger in Göttentrup gleich hinter Dörentrup. Bis ins Krankenhaus zu Detmold habe ich es damals nicht geschafft und musste in Dehlentrup ent- binden.“ Eine Tragödie, so viel war klar. ROUTE 66 DEUTSCHLAND B66

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Welche Geheimnisse bergen die 49,6 Kilometer zwischen Bielefeld

und Barntrup? Und warum widmet Mieter Bohlen seinen neuen Song

einer Straße? Detektiv K. T. Karlow gerät auf seiner Wild Star in den

Strudel mysteriöser Ereignisse.

Vo n R o l f H e n n i g e s ; F o t o s : K l a u s H . D a a m s

E s war einer von diesen maus-grauen Novembertagen, dieman am besten in den Tiefen der Badewanne verbringt. Ich

war gerade abgetaucht, als das Telefonklingelte. Am Ende der Leitung war MieterBohlen, erster Stock geradeaus. Ein lederbejackter Komponist mit Skandal-neigung und einem Mercedes SL vor der Tür. „Ich schreibe einen Song über diedeutsche Route 66“, sagte er in diesemTon, in den man verfällt, kurz bevor maneinen Delinquenten bestraft. „Was ichbrauche, sind exakte Informationen überdiese Straße und die Menschen dort. Sie sind doch Detektiv, oder?“ „Warumreisen Sie nicht selbst?“ entgegnete icheiskalt. „Ich habe permanentes Party-fieber.“ Nun, ich bin kein Typ, der sich vorAufträgen drückt. Und wenn einer krankist, dann sollte man ihm helfen. Zwei Tage später parkte meine Yamaha1600 Wild Star unter einem Tiefdruckgebietnamens Waldemar und direkt neben demOrtsschild von Barntrup in Westfalen. Hier beginnt die Bundesstraße B 66 undschlängelt sich durch das LippischeBergland, bis sie irgendwo in Bielefeld ihrEnde findet. Was könnte am deutschenPendant zur amerikanischen Route 66anders sein? Sicher, es sind exakt 4939Kilometer weniger. Okay, es gibt auchkeine Ozeane an jedem Ende. Aber dieses alle Sinne aufwühlende Gefühl,unterwegs zu sein sei besser, als ein Zielzu haben, würde die Reisenden hierebenfalls überfallen. So viel war klar.

Quietschend bahnte sich die Eingangstürder Tanke Mittelgöker ihren Weg nachinnen. In den Augen der rotblondenKassiererin spiegelten sich alle Fragen derletzten hundert Jahre gleichzeitig. „MeinName ist Karlow“, sonorte meine Stimme.„Ist Ihnen hier auf der deutschen Route 66schon mal etwas Aufregendes passiert?“Alles Leben schien aus ihrem Gesicht zuweichen. „Ich heiße Doris, nicht Ruth undwar mal schwanger in Göttentrup gleichhinter Dörentrup. Bis ins Krankenhaus zu Detmold habe ich es damals nicht geschafft und musste in Dehlentrup ent-binden.“ Eine Tragödie, so viel war klar.

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Aber warum endeten alle Ortsnamen mitTrup, und wer war der Vater des Kindes?Entschlossen entriss ich dem Hauptständerdie Wild Star. Sturm zerrte an meinemKörper, auf der anderen Straßenseitekämpften zwei Rentner mit ihrem Regen-schirm. Völlig relaxt floss der Asphalt untermir entlang, ich folgte meinem Vorderradgen Westen. Rechts des Highways bedrängten Grün-flächen einen Bach, uralte Steinmauernumzingelten marode Einsiedlerhöfe, derWind zerriss die weißen Rauchfahnen der Schornsteine, als wären sie Todfeinde.Die Wolken schienen schwer wie Blei undreichten bis zum Boden. Zwei Kurvenzerbrachen die Eintönigkeit der Geraden,knapp dahinter wuchs das Ortsschild von Dörentrup aus der Erde. 167 Backstein-gebäude vereinten sich hier mit vier Imbissständen und drei Dönerbuden.Schnauzbärte zierten die Gesichter soselbstverständlich wie Schuhe die Füße.Die außergewöhnlichste Stelle schien der Schrottplatz zu sein.

A m Ende des verschlammtenWeges verbiss sich gerade ein stählerner Arm in ein unschul-

diges Autowrack. Garantiert sollten hierSpuren beseitigt werden. „Was machenSie hier?“ Die vier Worte sprudeltenbehände durch zwei Zahnlücken. ImSchlepptau von Zahnlücke befand sich ein übel riechender schwarzer Hund undeine massige Frau. Gelassen sah ich derGefahr ins Auge. „Bin auf der Suche nachder großen Freiheit.“ Die drei schauteneinander an. Beim Blick auf seine Lebens-gefährtin war mir sofort klar, dass für ihndas Wort von Lebensgefahr abgeleitetwar. In ihrer Frage spiegelte sich Verständ-nis. „Die große Freiheit? Die is’ doch inHamburch. Da ham Se sich ganz schönverfranst.“ Völlig klar, beide mussten blindsein. Deshalb auch der Hund. Nie trug ich Fransen an der Jacke. Es war nicht fest-zustellen, ob Zahnlücke der Besitzer desSchrottplatzes war. Ebenso wenig, ob er je von der Route 66 gehört hatte. Aber ergab mir eine Minute, um „hier zu ver-duften“. Angesichts des Wendekreisesmeiner Wild Star auf dem knapp zwei Meter breiten, völlig verschlammten Wegechte Arbeit. Ich ließ die Melancholie des Industrialis-mus hinter mir und folgte dem Gesangder Straße. Dem bassigen Bollern derLkw, dem Wehklagen vom Teer malträtier-ter Reifen, dem rhythmischen Nageln der Dieselmotoren. Hielt den japanischenDampfer streng auf Kurs Nordwest, B 66.Neuenkamp, Lemgo, Hörstmar, Lage – 29 Kilometer schienen eine Ewigkeit undhatten mein Barthaar forsch aus der Hautgelockt. Es schrie nach Rasur.

Coiffeur Ewald Westerbarkej schwang die blitzende Klinge theatralisch und setztegezielt zum Schnitt an. Die schwarzenStoppeln hatten keine Chance. Die Tat-sache, dass er mich auf Anhieb als Frem-den outete, sprach für seinen Spürsinn.Oder dafür, dass er seinen Frisörsalonschon seit 56 Jahren betrieb. „Sie suchenalso den Geist der B 66?“ Westerbarkejverteilte sich und seine 68 Jahre auf 158Zentimeter und hatte verhältnismäßig riesige Füße und Ohren. „Herbert Drögehat in den sechziger Jahren nur von Biergelebt, hat zwölf Jahre nix gegessen. Alsdie Polizei ihn auf seinem Trecker stoppteund das Röhrchen 4,9 Promille anzeigte,haben sie ihn weiterfahren lassen. Dennab 3,8 ist man klinisch tot. Die Ordnungs-hüter gingen von einem technischen Defekt aus.“ Ein erster Anhaltspunkt, soviel war klar. Die Straße trat meiner spie-gelglatten Haut entgegen. Westerbarkejschritt hinterher. „Was’n datt?“ Eigentlich

war ich derjenige, der die Fragen stellte.Aber was soll’s. „Yamaha Wild Star. 63 PS,1600 Kubik, 322 Kilogramm, fünf Gänge.“„Kriegste ja’n Mercedes für, oder?“ Oderumgekehrt. Ich schwor mir, irgendwanndas SL-Cabrio von Mieter Bohlen gegeneine weitere Wild Star einzutauschen. Werweiß, wozu es gut ist.

D unkelheit senkte sich wie eine filzige Wolldecke über Lage. Dichter, süßlicher, modriger Nebel

quoll aus rötlichen Schornsteinen undzwängte sich zwischen die Lichter derStadt. Hilflos zeigte sich die Straße denRüben gegenüber, die von ihren Transpor-tern sprangen. Die Spuren liefen vor einerZuckerfabrik zusammen. Fahrer EckardPape wurde gerade aus dem Führerhausseines MAN-Truck A356 gespuckt. Pape,einer der wenigen, die wissen, wohin sieihr Leben führt, kam meinen Fragen zuvor:„Rübentransporte, klar. Pro Tour 43 Ton-

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Ein stählerner Armverbiss sich in dasWrack. Garantiertsollten hier Spurenverwischt werden

„Sie ließen ihn weiterfahren, denn ab 3,8 Promilleist man klinisch tot“ Ewald Westerbarkej, Frisör

Schrottplatz in Dörentrup

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nen, viermal am Tag, sieben Tage die Woche, sechs Wochen lang.“ Das durch-schnittliche Rübengewicht von einem Kilogramm als Berechnungsgrundlage,chauffierte Pape in der Zeit zwischen 1.November und 10. Dezember 7 224 000Stück über die Asphaltbänder. In Mathehatte ich irgendwann mal eine Eins. Dochwie immer brachte mich das auch nichtviel weiter. Nebulös schälte sich der nächste Tag ausder Nacht. Mein Eisengebirge folgte brav seinem Scheinwerferkegel. DasSchild Maßbruch Grill wurde von meinemMagen als Nötigung empfunden, Italo-western-like betrat ich den Raum. SiebenAugenpaare musterten mich. Ich mustertezurück. Drei Männer, vier Frauen. Tarnjackeaus dem US-Shop, Daunenjacke von Aldi,Turnschuhe von Tengelmann, Dreitage-bärte, Schiffermützen, Netzstrumpfhosen,Pumps, eine aufgeschlagene Bild amSonntag. Ein höchst verdächtiges Kon-glomerat. Bis auf einen beleibten Mann mitHaarinsel auf der Stirn verließen sie nach-einander den Raum. Unser Schweigenzerbrach wie eine Salzstange. „Kalt, was?“„Geht so. Ham’ Sie irgend ’ne Anekdo-te?“ „Ich hab’ hier nur Pommes, Salat oderBurger.“ Zwei Ripmäc’s zwängten sichdurch meine Speiseröhre, eine vertrauens-bildende Maßnahme. In Besitzer DennisBentrupp erwachte der Plauderer. Bereit-willig sprudelten die Informationen. Lagewiese die höchste Bordelldichte imBundesgebiet auf, sei eine Hochburg desTelefonsex und trotzdem so lebendig wieeine Filmkulisse nach den Dreharbeiten.Hauptgesprächsthemen seiner Kundschaftwären Hausärzte und Kochrezepte. „Koch-rezepte?“ „Ja, schon mal was vom Lippi-schen Picker gehört? Ein Reibekuchen ausKartoffeln, Mehl, Eiern, Rosinen, Hefe undRübenkraut.“ Das klang unverdaulich undhöchst verdächtig. So viel war klar.

S chnaufend inhalierten 1600 Kubiknasskalten Sauerstoff. Widerspen-stig sprang der erste Gang in

seine Verzahnung. Die Hochburg des Pickers lag zehn Kilometer von der Route66 entfernt in Hörste, und ich war fest entschlossen, den Tatort aufzusuchen. TiefQuax hatte Waldemar verdrängt und warnicht weniger aktiv. Die Ebene ließ sichvom Hagel peitschen, tiefe Pfützen spran-gen vor das Vorderrad. Der Gasthof „Bienen-Schmitt“ hatte sich 30 Jahre langerfolgreich gegen den Wildwuchs desWaldes zur Wehr gesetzt. Besitzer HerwigSchmitt tischte in zweiter Generation auf.Sein Lippischer Picker verkroch sich untereiner dicken Schicht Leberwurst. Für Versteckspielen hatte ich noch nie etwasüber. Schmitt begann auszupacken. Sinnierte über zwanzig Jahre Kneipen-

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„Ne Anekdote?Hier gibt’s nur Pommes, Salatund Burger“

„Sechs Wochen Rübenfahrt langweilig? Jede Rübeist doch anders“ Eckard Pape, Trucker

Dennis Bentrupp, Maßbruch Grill

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leben und kam schließlich zur Erkenntnis,dass selbst Biker sich geändert hätten: „In den sechziger Jahren sind sie direktvor die Theke gefahren, haben im Wintermitten in der Kneipe ihre Böcke gewartet.Heute sind sie braver als so mancher Wandersmann.“ Brave Biker? Ein Täu-schungsmanöver, so viel war klar. Aberwas war das Ziel?

K aum wieder auf der Route 66,lockte mich ein ebensolchesSchild in das Landgasthaus Nie-

mann in Kachtenhausen. Drinnen saßensie. Sechs an der Zahl. Ureinwohner vonechtem Schrot und Korn. Philosophiertenüber das Weltgeschehen und charakteri-sierten sich selbst. Der Urlipper an sichhätte durch ständiges Umdrehen des letzten Pfennigs den Kupferdraht erfundenund in der Regel zwei Sportarten gleich-zeitig betrieben: Trink- und Angelsport.Konservativ wie er sei, bliebe man beiWippermann Wacholder, 32 Prozent Alkohol. Dieser wirke gegen taube Ohren,gäbe warme Füße und sei darüber hinausdazu geeignet, Schränke abzubeizen. Bauern hätten ihn früher warm getrunken.Logisch, früher gab’s schließlich keineKühlschränke, so viel war klar. Aber wiesohatten alle überlebt, und wo waren dieAngelseen?Vielleicht hätte auch ich ihn warm schlu-cken sollen, den Wippermann. Denn das,worauf ich keine zehn Kilometer entfernttraf, registrierten meine Sinne zuerst alsHalluzination. Doch Gert aus Sachsen warecht. Wohnte seit neun Jahren in Detmoldund war der Letzte seiner Art. Ich war stolz, ihn aufgespürt zu haben. Den letztenechten Biker. Einer, der die ungerauchtenTabakkrümel der Selbstgedrehten wiederzurück in den Beutel bröselt und für denDauerregen so abschreckend ist wie dieWüste für ein Kamel. Als überzeugterVegetarier hatte er seiner MZ ETZ 250 aufden vergangenen 60 000 KilometernSalatöl verordnet, und es gab nichts, waser dem Zufall überließ: zwei übereinandermontierte Topcases, doppelt mitgeführteErsatzteile, Bowdenzug-Repair-Kit, Kom-pass um den Hals, zwei schützendeNierengurte übereinander, Fahrrad-Rück-strahler an allen Taschen, eine ausge-waschene Jogginghose als Stulpen für dieNVA-Stiefel. „Doppelt ist doppelt sicher,macht doppelt Spaß.“ Hatte Gert Recht?Und ich war das Opfer jahrzehntelangertrügerischer Sicherheit? Mit nur einemguten Gewissen, nur einer Unterhose undnur einer Flasche Bier daheim? MeinLeben musste sich ändern, so viel war klar.Aber vielleicht besaß ich ja schon baldzwei Wild Stars.Dumpf jonglierten die Pleuel mit ihrenKolben, der Fahrtwind stemmte sich

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„Wir sind der Club derDurchtrinker –das kann’ste ruhig soschreiben“

„Keine Ersatzteile dabei? Warte, ich zeige dir schnellmal, wie man Bowdenzüge lötet“ Gert aus Detmold

Zecher im Gasthaus Niemann

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� A L L G E M E I N E SDie Bundesstraße B 66 ist Teil einer ehe-maligen Handelsstraße zwischen Bielefeld,Hameln und Hildesheim, auf der Pferdefuhr-werke kostbare Güter transportierten. VieleOrtsnamen lassen sich aus dieser Zeitableiten. Der Name Helpup stammt beispiels-weise vom Ausruf „Help up“ (Plattdeutsch:Hilf runter) an den Stationen, an denen diePferde gewechselt wurden. Die Ortsnamen mitEndung -trup entstanden dadurch, dass alleAnsammlungen von mehreren Menschen alsTruppen (Trup) bezeichnet wurden.

� A N R E I S EDie Bundesstraße 66 liegt im Dreieck zwischenKassel, Bielefeld und Hannover. Von Südenund Norden kommend, erreicht man sie ambesten über die A 33, die Verbindungsauto-bahn zwischen der A 44 und A 2. Von Ostenüber die B 1 von Hildesheim, Hameln nachBielefeld.

� A D R E S S E NWaldgaststätte Bienen-Schmitt, Kalkreute 100,32791 Lage-Hörste, Telefon 0 52 32/99 02 02.

Besitzer Herwig Schmitt serviert in urigerAtmosphäre in seiner Holzhütte im Teuto-burger Wald deftige westfälische Leckereien.Maßbruch Grill, Lemgoer Straße 80, 32791Lage, Telefon 0 52 32/6 27 72. Der Kultimbissdirekt an der B 66 – sogar sonntags durch-gehend geöffnet.Lemgoer Automuseum, Industrieweg 4,32657 Lemgo-Hörstmar, Telefon montags bisfreitags 0 52 61/1 55 02, sonntags 0 52 61/7 81 60. Neben diversen vierrädrigen Raritäten(Porsche Spider Alu Nr. 56) wollen auch einigehistorische Zweiräder begutachtet werden.

� Ü B E R N A C H T E NLandgasthaus Niemann, Haferbachstraße 45,32791 Kachtenhausen, Telefon 0 52 32/7 11 60.Hausherr Axel Delater bietet gute heimischeKüche und günstige Tarife fürs Übernachten;ab 22 Euro pro Person inklusive Frühstück. Im Sommer wird im Biergarten serviert. ZumAngebot von Motorradfan Axel Delatergehören darüber hinaus geführte Touren durch das Weserbergland, in die er vier alteBergrennstrecken integriert hat. Kurven-spaß garantiert.

I N F O SDas deutsche Pendant zurRoute 66 ist zwar 4939 Kilo-meter kürzer, aber dennochspannend. Rundherum gibt’seine Menge Spaß für Biker.

Z e i t a u f w a n d : e i n T a g S t r e c k e n l ä n g e : 4 9 , 6 K i l o m e t e r

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6 unbeirrbar gegen das Windschild. Suizid-gefährdet schmiss sich die Route 66 untereinigen Hochspannungsleitungen und einer Autobahnbrücke hindurch. Ich konn-te weiter nichts mehr tun, als ihr zu folgen.Amerikas Atem hauchte mir entgegen.Vierspurig ausgebaut, bevölkert von Drive-Ins, Fast-Food-Ketten und Billig-Hotels,brach die B 66 in Bielefeld ein. Aber wogenau fand sie ihr Ende? Sirenengeheulschwappte durch den eiskalten Abend.Ebbte auf und ab. Chicago ließ grüßen.Ich stieg in einem dieser billigen Motelsab. „Bielefeld hat mal wieder verloren“,nuschelte der Mann an der Rezeption.„Klar“, sagte ich, „täglich.“ War mir jedochunsicher, ob wir tatsächlich dasselbe meinen. Heute war der erste Tag vom Restmeines Lebens. Und ich sollte ihn hier verbringen.

B ielefeld war sehenswert. Beton-graue Häuser, mehrere Milliardenfestgetretener Kaugummis,

117 griechische Imbisse und ein Bratwurst-rondell am Pressehaus. Die Wurst hatteWeltklasse und sprang mir gierig in denRachen. Weitere folgten. „Wenn Se Sonnewollen, müssen Se 80 Kilometer weiter inden Süden fahren. Hier regnet’s nämlichimmer.“ Rentner Hermann Kurze warStammgast am Rondell, aß jeden Morgenum zehn Uhr Currywurst und verteilte Ratschläge. Wo die B 66 ihr Ende fand, warihm fremd. „Frag’n Se doch mal diePolizei.“ Zehn Minuten später stemmtesich der Klingelknopf des Polizeipräsidi-ums Nordrhein-Westfalens gegen meinenFinger. Da stand ich nun. Ein Thermoboyder Größe XL wellte über meine 168Zentimeter, mein Kopf steckte in einer von diesen Rapper-Mützen, die riesigenGummi-Überziehstiefel hinterließen bei jedem Schritt das Geräusch eines Walros-ses auf Museumsrundgang. Bedingungs-los vertrauenswürdig. Wachtmeister Arno B. nahm mich mitdurch das Präsidium, gemeinsam beäug-ten wir eine riesige Karte. „Hier“, sagte er, „am Jahnplatz.“ Mein Auftrag war damit beendet. Ich wählte die Nummervon Mieter Bohlen und nannte Namenund Fakten. „Das reicht locker für einenguten Song“, frohlockte Bohlen. Ich ließmir den genauen Standort seines SL mitteilen. Unauffällig und diskret. Schließ-lich war ich Detektiv.

„Sonne woll’n Se? Fahren Se docheinfach 80 Kilometer weiter nach

Süden. Hier regnet’s immer“Hermann Kurze, Frührentner

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