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Anthroposophie - Vorträge aus dem Gesamtwerk Rudolf Steiners - Der menschliche Charakter - Der Lebenslauf des Menschen im Rhythmus der Jahrsiebente - Die Lebensalter - Jüngerwerden - Älterwerden der Menschheit - Die anthroposophische Menschenkunde kennt den gegliederten Lebenslauf als einen rhythmischen Zeitorganismus, in dem der Mensch die Kräfte und Fähigkeiten der Seele von Lebensepoche zu Lebensepoche entfaltet. Danach durchschreitet der Mensch seine Inkarnation aus Impulsen seines geistigen Wesens in Stufen spezifischer Verwirklichungen. Auf diesem Hintergrund wird der Lebensgang in seinen Fortschritten und Schwierigkeiten überhaupt erst verständlich und sinnvoll.

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  • Steiner TTB-04 Vom Lebenslauf des Menschen

    RUDOLF STEINERThemen aus dem Gesamtwerk

    Band 4

    Das Werk Rudolf Steiners grndet sich methodisch und erkenntnis-wissenschaftlich auf die Darstellungen der grundlegenden Schriften. Diesebilden zusammen mit den brigen Schriften und den Aufsatzbnden dasgeschriebene Werk von berschaubarem Umfang, rund 40 Bnde. Danebenist die Flle der nachgeschriebenen Vortrge auerordentlich, in derGesamtausgabe mehr als 250 Bnde. Diese Vortrge waren alle frei gehaltenund nicht zum Druck bestimmt. Ihre Herausgabe erfolgt nach von RudolfSteiner nicht durchgesehenen Nachschriften. Sie enthalten jedoch denAusbau und die Entfaltung der in den Schriften entwickeltenGrundkonzeptionen nach den verschiedensten Richtungen undLebensbereichen. Sie stellen in ihrer thematischen Mannigfaltigkeit auchheute noch eine nicht bewltigte Aufgabe dar. So ist das Motiv dieserTaschenbuchreihe: unter den in unserer Zeit aktuellen Gesichtspunkten denZugang zu verschiedenen im Vortragswerk verstreuten und nicht zusammen-hngend ausgearbeiteten Themenkomplexen zu erffnen und damit zugleichden Ansatz der anthroposophischen Erkenntnismethode an bestimmtenProblemkreisen zu verdeutlichen; die jeweilige Zusammenstellung vonVortrgen beansprucht dabei inhaltlich keine Vollstndigkeit.

  • Steiner TTB-04 Vom Lebenslauf des Menschen

    RUDOLF STEINER

    Vom Lebenslauf des Menschen

    Vortrge, ausgewhlt und herausgegebenvon Erhard Fucke

    VERLAG FREIES GEISTESLEBEN

  • Steiner TTB-04 Vom Lebenslauf des Menschen

    Inhalt

    Vorbemerkung (Herausgeber) 6

    Die Askese und die Krankheit (11. 11. 1909) 11

    Der menschliche Charakter (14.3.1910) 39

    Der Lebenslauf des Menschen vomgeisteswissenschaftlichen Standpunkt (28.2. 1907) 66

    Das individuelle und das allgemeine Lebensalterder Menschheit (29. 5. 1917) 80

    Die Notwendigkeit neuer und beweglicher Begriffe.Kosmischer und natrlicher Geist (5. 6. 1917) 93

    Welche Impulse schaffen ein Gegengewichtgegen das Vererbungsprinzip? (8.1.1918) 113

    Jngerwerden- lterwerden der Menschheit (11.1.1918) 132

    Zweiheit der menschlichen Gestalt (12.1.1918) 151

    Erziehungskunst auf Grundlage wirklicher Erkenntnis

    des Menschenwesens (8.4.1924) 172

    Die Erziehung des Kindes im Reifealter (17.6.1921) 188

    Das Verhltnis der Menschenverschiedener Lebensalter (18. 6.1921) 207

    Die Lebensalter als Auffassungsorgane (16. 8.1924) 222

    Der Lebenslauf des Menschen als Bewutseins-entwicklung (Nachwort des Herausgebers) 230

    Quellennachweis 253

    Bibliographie 254

  • Steiner TTB-04 Vom Lebenslauf des Menschen

    Vorbemerkung

    Das bewute Erleben des eigenen Lebenslaufes wirft heute viele Fragen auf.Eine dieser Fragen wird selbst von populren Zeitschriften diskutiert: dievielseitig beobachtbare Krise der Lebensmitte. Die Bezeichnung ist wenigexakt. Die Krise stellt sich erst dann ein, wenn dem Menschen seinzunehmendes Altern nach der Lebensmitte bewut wird. Die banaleErkenntnis, da der Tod jedem Leben gewi ist, wird dann nicht nurgedacht, sondern im Schattenwurf eigenen Alterns existentiell erlebt. DieseErfahrung erzwingt Entscheidungen, wie der einzelne Mensch sein Alternpersnlich bewltigen will.

    Es gibt andere Fragen, die weniger diskutiert werden, aber genausoaufregend sind, etwa die Sptfolgen falscher Erziehung in der Kindheit oderjene Folgen durch frhe und einseitige Belastung, wie sie das arbeitsteiligeBerufsleben dem Menschen zumutet. Die dadurch ausgelstenDeformationen, die erst ber lange Zeitrume des Lebenslaufes hinwegsichtbar werden, sind noch wenig erforscht. Noch weniger wei mandeshalb um die Mittel, wie ihnen vorzubeugen wre. Das aber heit: esmangelt uns an konkreter Lebenslauf-Erkenntnis.

    Der Lebenslauf historisch bedeutender Menschen hat eine breiteLeserschaft immer interessiert. Staatsmnner und Knstler fanden stets ihreBiographen, die ihr Leben minutis nachzeichneten. So gibt es eine Fllevon Biographien und doch kaum eine Biographik. Unter der letzteren wirddie Erhellung jener Gesetzlichkeiten verstanden, die jedem Lebenslaufzugrunde liegen, gleich ob es sich um bedeutende oder unbedeutendeMenschen handelt.

    Jedem Menschen ist nicht nur ein typisches Zeitma der menschlicheChronotypus zugeordnet, der sich von dem anderer Lebewesenunterscheidet. Jeder durchschreitet die Tore von Geburt und Tod, nichtselten in einer Zeitspanne, die der des Chronotypus radikal widerspricht.Jeder erlebt den Lebenslauf in Zeitabschnitte gegliedert, die typischeMglichkeiten bieten, andere aber ausschlieen, obwohl diese schaut manauf den gesamten Lebenslauf fr andere Abschnitte dieser Lebensepochencharakteristisch sind. Der Lebenslauf erscheint der Betrachtung als eingegliedertes Zeitwesen, ohne da die Ursachen dieser Gliederunghinlnglich geklrt wren. Das mutet um so erstaunlicher an, als jederMensch seine Lebensepochen durchlebt, ihre Mglichkeiten ergreift oderihre Widerstnde erleidet.

    Eine Aufgabe der Biographik wre es also, die Bedingungen derLebensalter zu erhellen, um sie bewuter ergreifen zu knnen.

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    Eine weitere Aufgabe wre: die Beziehungen zwischen denunterschiedlichen Lebensabschnitten zu klren. Wie kommt es, daDeformationen nicht im Augenblick ihrer Verursachung manifest werden,sondern erst nach langen Zeitepochen, die bis zu dreiig Jahren dauernknnen? Gibt es Regeln, nach denen Beeinflussung durch die Umwelt denCharakter des Lebenslaufs mitbestimmen? Hat die Persnlichkeit eine gleiche jetzt bewute Einflumglichkeit auf die Gestaltung der Lebenslauf-Etappen? Was unterliegt ihrer Willkr, und wo mu sie sich vorgegebenenGesetzlichkeiten anschmiegen?

    So wie die Pflanze sich nicht in einem Erscheinungsbild offenbart,sondern man sich ihrem Wesen erst nhert, wenn man alle ihre Bilder imZeitablauf sich vergegenwrtigt, so tritt auch der individuelle Mensch erstvor das innere Auge, wenn man seine sehr unterschiedlichen uerungen imGefge des Lebenslaufes zusammenschaut.

    Rudolf Steiner hat aus der Sicht der bersinnlichen Erkenntnis diemenschliche Individualitt als Dauerwesen dargestellt. Geburt und Toderscheinen hierin als Metamorphosen ihrer Existenz. Dieses Dauerwesengeht mit der belebten und durchseelten menschlichen Organisation im Laufedes Lebens sehr unterschiedliche Verhltnisse ein. Die Wirkungen dieserVerhltnisse werden in den Lebenslauf-Stufen anschaubar.

    Das Wesen der menschlichen Organisation aber urstndet wie dieIndividualitt im Geistigen. Auch deren Bilde- und Entstehungsprozesseweisen ber die Lebenslaufmarken von Geburt und Tod hinaus.

    Mit diesen Hinweisen soll lediglich darauf aufmerksam gemacht werden,da man sehr vielfltige Gesichtspunkte einnehmen mu, will man dasPhnomen Lebenslauf erkenntnismig durchdringen. Es ist wie keinanderes mit der Erkenntnis des Menschen durch bersinnliche Erfahrung, dergesamten Anthroposophie also, verwoben. Rudolf Steiner hat das spezielleThema Lebenslauf nirgends ganz geschlossen behandelt, das gesamte Werkenthlt aber Hinweise zu diesem Thema. Das macht die Auswahl vonVortrgen zu diesem Phnomen besonders schwer. Ein Nachwort bemhtsich deshalb, die Vortragsthemen ber den Rahmen der Vortrge hinaus zuverfolgen und im freien Referat sie an Leitlinien des Gesamtwerkesanzuschlieen. Mit ihm soll der Zusammenhang der Auswahl weiterbegrndet und dem Leser Hinweise gegeben werden, wie er sein Studiumfortsetzen knnte. Hier sei nur noch ein kurzer berblick ber dievorliegende Auswahl gegeben.

    Die Erkenntniskrfte des einzelnen Menschen, die er aus der Grundlageder natrlichen Entwicklung seiner leiblichen Organisation zieht, sind heuteim Rckgang begriffen. Ihnen mu eine Entwicklung zur Seite treten, dieihren Ursprung aus der Aktivierung der seelisch-geistigen Krfte selbst nimmt.Sie wird als geisteswissenschaftliche Schulung bezeichnet.

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    Die wesentlichen Punkte einer solchen Schulung charakterisiert der ersteVortrag (11. 11. 1909) ber Die Askese und die Krankheit.

    Auch der menschliche Charakter, wie er sich im Lebenslaufeherausbildet, ist in der gegenwrtigen Zeit nur durch eine Selbsterziehungnach den Grundzgen solcher Schulung herstellbar. Dieses Urteil begrndetder zweite hier aufgenommene Vortrag (29. 10. 1909).

    Der dritte Vortrag (28. 2. 1907) stellt dar, wie der Lebenslauf als Ganzesals ein gegliedertes Zeitwesen aufgefat werden kann, das durchunterschiedliche Verhltnisse des Geistig-Seelischen einerseits und derleiblichen Organisation andererseits seine charakteristischen Prgungen inLebensalter-Epochen erfhrt.

    Die ersten drei hier wiedergegebenen Vortrge wurden ffentlich inBerlin gehalten. Ihr Duktus setzt keine speziellen geisteswissenschaftlichenKenntnisse voraus, sondern schafft die zum Verstndnis notwendigenGrundlagen in den Vortrgen selbst. Die im Quellenverzeichnisangegebenen Bnde der Gesamtausgabe, aus denen diese Vortrgeentnommen sind, enthalten nur ffentliche Vortrge. Rudolf Steiner hieltdiese, um die Ergebnisse der Geisteswissenschaft in das allgemeineKulturleben der damaligen Zeit einzubringen. Sie behandeln dieunterschiedlichsten Themen, deren Verstndnis jedem Zeitgenossen einBedrfnis sein kann.

    Der vierte und fnfte Vortrag (29. 5. und 5. 6. 1917) zeigen durch einegeschichtliche Betrachtung, da die heute geltenden Verhltnisse dieserLebensalter in den frheren Kulturepochen nicht galten, sondern anderewaren. Sie erklren die unterschiedlichen Erkenntnis- und Sozialverhltnissedieser Kulturepochen, aber auch die speziellen Aufgaben, die fr einebewute Gestaltung des Lebenslaufes in heutiger Zeit vorliegen. In diesenDarstellungen wird vor allem das Problem des menschengemen Alterns inunserer Zeit erlebbar.

    Mit diesem speziellen individuellen und sozialen Problem beschftigensich die folgenden drei Vortrge (8.-12. 1. 1918). Vor allem im letzterenVortrag (12. 1. 1918) werden einige Bedingungen aufgezeigt, die in derErziehung bis zum 21. Lebensjahr bercksichtigt werden mten, um dasmenschengeme Altern vorzubereiten und zu ermglichen.

    Die erwhnten fnf Vortrge (und der am Ende der Ausgabe abgedruckteVortragsabschnitt) sind Ausfhrungen vor den Mitgliedern derAnthroposophischen Gesellschaft. Sie setzen voraus, da den Zuhrern dieGrundelemente der Geisteswissenschaft vertraut sind. Dementsprechend istihr Duktus von jenem der ffentlichen Vortrge sehr verschieden. Die erstenbeiden Vortrge sind der Beginn eines sogenannten Vortragszyklus. RudolfSteiner fate vor der Mitgliedschaft sehr unter schiedliche Aspekte einesGeneralthemas in solchen Zyklen zusammen.

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    Er wollte dadurch in dem denkerischen Nachvollzug der Zuhrer vonvornherein eine gewisse Beweglichkeit der Betrachtung anregen, die er frjedes geisteswissenschaftliche Studium fr notwendig hielt. Der zweiteVortrag zeigt auch exemplarisch, wie sich Rudolf Steiner mitzeitgenssischen Verffentlichungen auseinandersetzte und durch solcheAuseinandersetzungen den herrschenden Zeitgeist charakterisierte. RudolfSteiner mchte helfen, ein wirkliches Verstndnis der Gegenwart zuerreichen. Nach seinem Urteil ist die damalige Gegenwart also der ersteWeltkrieg aber nur zu verstehen, wenn man auch gleichzeitig groegeschichtliche Zusammenhnge zu berblicken lernt. So sagt er imnachfolgenden Vortrag (19. 6. 1917) desselben Zyklus, der hier nichtabgedruckt ist: Nun habe ich von verschiedenen Gesichtspunkten ausversucht, ihre Aufmerksamkeit hinzulenken auf jenen groen Zeitraum,dessen Verstndnis doch ganz allein die Gegenwart wirklich auchbegreiflich machen kann, auf den groen nachatlantischen Zeitraum. Daer bei einem Begreifen nicht stehenbleiben will, zeigt eine weitere Stelle ausdem gleichen Vortrag: Es ist ja gewi rechtes, vollberechtigtes Bedrfnisder Gegenwartsmenschen, diese Zeit nicht zu verschlafen, die zahlreichenUmwandlungsimpulse, die in dieser Zeit in verhltnismig kurzen Epochenauf uns wirken, wirklich zu beachten und dann sich bekannt zu machen mitdemjenigen, was notwendig ist fr ein gedeihliches Weiterentwickeln der inunserer Zeit vorhandenen geistigen und damit auch der anderenKulturimpulse. Exemplarisch kann man das zuletzt genannte Bestrebenschon an dem Titel des dritten Vortrags dieser Gruppe von fnf Vortrgenablesen: Welche Impulse schaffen ein Gesamtgewicht gegen dasVererbungsprinzip? Es geht nicht nur um Betrachtung, sondern letztlichum Impulsierung. Will man diese aber im Einklang mit den Impulsen dergeistigen Welt durch Menschen vollziehen, mssen diese Menschen jeneImpulse erkennen. Die letzten drei Vortrge dieser Gruppe stehen in derMitte eines Vortragszyklus. Doch auch er ebenfalls 1917 begonnen kreist um die oben genannten Themen. Nur wird in ihm die geschichtlicheWirkung des Mysteriums von Golgatha in den Mittelpunkt der Betrachtunggerckt, die Interpretation des Menschen in seinen Abhngigkeiten vomWeltall durch die Mysteriengeschichte verfolgt und die Konsequenzen frdas Bewutseinsseelenzeitalter gezogen. Der erste dieser drei Vortrgenimmt eine Frage auf (S. 113), die Rudolf Steiner am Ende desvorangegangenen (hier nicht wiedergegebenen) Vortrags (6. 1. 1918)desselben Zyklus angeregt hat. Der Hinweis auf frhere Darstellungen zumThema am Beginn des zweiten Vortrags (S. 132, 2. Absatz) bezieht sich aufdie beiden hier abgedruckten Vortrge vom 29. 5. und 5. 6. 1917. Die letztendrei Vortrge (8. 4. 1924, 17. und 18. 6. 1921) ergnzen diesenGesichtspunkt auf verschiedene Weise.

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    Sie geben Ratschlge fr den Erzieher, wie er diese Aufgabe erkennen undgestalten kann. Sie zeigen aber auch, welche Krankheitssymptome inspteren Lebensepochen auftreten, wenn er diese Aufgabe bei der Erziehungnicht erfllt. Dadurch werden zustzlich Zusammenhnge erkennbar, diezwischen unterschiedlichen Lebensalter-Epochen trotz ihrerunterschiedlichen Prgung fr die Geisteswissenschaft anschaubar sind.Deren Bewutwerden gibt Anhaltspunkte fr eine soziale Gestaltung imVerkehr zwischen Menschen unterschiedlicher Altersgruppen. Umgekehrtfhren sie, werden sie nicht beachtet, zum Konflikt der Generationen, derexemplarisch an der Jugendbewegung dargestellt wird.

    Diese Gruppe von drei Vortrgen wurde vor Pdagogen gehalten. Dererste Vortrag dieser Gruppe erffnete eine Erziehungstagung derWaldorfschule in Stuttgart im April 1924, an der 1700 Menschenteilnahmen. Diese ffentliche Vortragsreihe enthlt die intimstenuerungen R. Steiners zur Pdagogik, u. a. khne Anregungen zu einerknftigen Lehrerbildung. Die beiden nchsten Vortrge wurden 1921 vonden Lehrern der Stuttgarter Waldorfschule gesprochen. Diese Vortragsreihebeginnt mit Reflexionen der bisher geleisteten Arbeit und Hinweisen, wiediese Arbeit zu verbessern und zu vertiefen sei. Der zweite Teil ist derknftigen Einrichtung der 10. Klasse und damit den Erziehungsaufgaben derOberstufe gewidmet. Es ist fr Rudolf Steiners Vorgehensweisecharakteristisch, da er auch diese konkrete und damit auch begrenzteAufgabe sofort mit Zeitphnomenen konfrontiert und die in ihnenwirksamen Gestaltungskrfte aus bergreifenden Betrachtungen erhellt.

    Als letztes wird ein in sich geschlossener Abschnitt aus einem Vortragvom 16. 8. 1924, dem letzten Jahr ffentlichen Wirkens Rudolf Steiners,abgedruckt. Er zeigt, da auch fr den Geistesforscher selbst dieGesetzlichkeiten der Lebensalter-Epochen gelten. Er benutzt sie fr dasgesteigerte Bewutsein als Erkenntnisorgane, die ihm unterschiedlicheZugnge zu Erfahrungsfeldern bersinnlicher Erkenntnis erffnen. Wieschwer es ist, ber das zentrale Thema dieses Vortragszyklus etwasauszusagen, beweist vielleicht der erste Satz aus dem Vorwort, das MarieSteiner fr diese Vortragsreihe schrieb: In diesem letzten von RudolfSteiner gehaltenen Vortragszyklus liegt schon ein Abschiednehmen von derErdenwirksamkeit vor, denn wer solches der Gegenwart verkndet, der hatzeitlich von ihr bereits sich losgelst. Fr die Gegenwart besonders aktuellist ein Thema, das diese Vortragsreihe ausfhrlich und mitauergewhnlicher Przision behandelt: die Abgrenzung geisteswissen-schaftlicher Forschungsmethoden von den unterschiedlichen Formenmedialen Wesens.

    Erhard Fucke

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    Die Askese und die Krankheit

    Des Menschen Leben pendelt hin und her zwischen Arbeit und Miggang.Diejenige Lebensbettigung, welche uns in dem heutigen Vortragebeschftigen soll und die mit dem Namen der Askese zu bezeichnen ist,wird je nach den Lebensvoraussetzungen des einen oder des anderen, dieseroder jener Partei, entweder zur Arbeit gerechnet oder aber auch zumMiggang. Eine sachliche, unparteiische Betrachtung, wie sie im Sinne derGeisteswissenschaft gehalten werden mu, ist nur mglich, wenn man inBetracht zieht, wie dasjenige, was mit Askese bezeichnet wird wenn esim hchsten Sinne des Wortes aufgefat und aller Mibrauch darausverbannt wird , eingreift in das menschliche Leben, indem es diesesmenschliche Leben entweder frdert oder auch schdigt.Zunchst ist es ja richtig, da die meisten Menschen, und zwarbegrndeterweise, sich gegenwrtig eine ziemlich falsche Vorstellung vondem machen, was eigentlich mit dem Worte Askese bezeichnet werdensollte. Nach dem griechischen Ursprung dieses Wortes knnte man nmlichebenso gut einen Athleten als einen Asketen bezeichnen. In unserer Zeit hatdas Wort Askese eine ganz bestimmte Frbung erhalten durch die Gestalt,welche die entsprechende Lebensbettigung im Laufe des Mittelaltersangenommen hat; und fr eine Reihe von Menschen hat das Wort dieFrbung bekommen, die ihm zum Beispiel im Verlaufe des 19. JahrhundertsSchopenhauer gegeben hat. Heute wiederum erlangt das Won eine gewisseFrbung durch allerlei Einflsse orientalischer Philosophie undorientalischer Religion, nmlich durch das, was im Abendlande so hufigals Buddhismus bezeichnet wird. Nun wird es sich heute fr uns darumhandeln, den wahren Ursprung dessen, was Askese ist, in der menschlichenNatur aufzusuchen; und gerade die Geisteswissenschaft, wie sie in den hierbereits gehaltenen Vortrgen charakterisiert worden ist, wird dazu berufensein, Klarheit auf diesem Gebiet zu schaffen, und zwar aus dem Grunde,weil ihre ganze Grundauffassung zusammenhngt mit etwas, was auch nochin der griechischen Wortbedeutung as-kesis zum Ausdruck kommt.

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    Geisteswissenschaft, Geistesforschung, wie sie von dieser Stelle hier schonseit Jahren vertreten wird, stellt sich auf eine ganz bestimmte Grundlage inbezug auf die Menschennatur. Die Geisteswissenschaft geht davon aus, daman auf keiner Stufe der menschlichen Entwickelung sagen darf: da oderdort liegen die Grenzen des menschlichen Erkennens. Die Frage: was kannder Mensch wissen und was kann er nicht wissen? diese Frage, die manheute in weitesten Kreisen fr so berechtigt hlt, ist fr dieGeisteswissenschaft ganz falsch gestellt. Die Geisteswissenschaft fragtnicht: Was kann man auf einer gewissen Stufe der menschlichenEntwickelung wissen? Was ergeben sich fr eine solche Stufe menschlicherEntwickelung fr Grenzen des Erkennens? Was kann man da nicht wissen?Was bleibt ein Unbekanntes, weil die menschliche Erkenntniskraft nuneinmal nicht ausreicht? Alle diese Fragen beschftigen zunchst dieGeisteswissenschaft als solche nicht. Sie steht ganz fest und sicher auf demBoden der Entwickelung, namentlich auch der Entwickelung dermenschlichen Seelenkraft. Sie sagt: Die menschliche Seele istentwickelungsfhig. Wie in dem Pflanzensamen die knftige Pflanzeschlummert und herausgeholt wird durch die Krfte, die im Innern desSamens sind und durch solche, die von auen auf den Samen wirken, soschlummern verborgene Krfte und Fhigkeiten immerfort in dermenschlichen Seele. Und was der Mensch auf einer gewissen Stufe derEntwickelung noch nicht erkennen kann, das kann er erkennen, wenn erwiederum eine Strecke in der Entwickelung seiner vorher verborgenengeistigen Fhigkeiten weitergeschritten ist.

    Welche Krfte zu immer tieferer Erkenntnis der Welt, zu einem immerweiteren Horizonte knnen wir uns aneignen? das ist die Frage derGeisteswissenschaft. Sie fragt nicht: Wo liegen die Grenzen der Erkenntnis?sondern: Wie kann der Mensch ber die jeweiligen Grenzen durch dieEntwickelung seiner Fhigkeiten hinauskommen? So umstellt die Geistes-wissenschaft den menschlichen Erkenntnis-Horizont nicht mit einer Mauer,sondern sie ist vielmehr in allen ihren Methoden, in allen ihren Idealendarauf bedacht, diesen Horizont des Erkennens immer weiter zu machen.

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    Wie wir in den folgenden Vortrgen immer mehr und mehr sehen werden. Und nicht in unbestimmten Redensarten, sondern in ganz bestimmter Weisezeigt die Geisteswissenschaft, wie der Mensch ber das hinauskommenkann, was ihm an Erkenntniskrften sozusagen ohne sein Zutun durch eineEntwickelung gegeben worden ist, an der er selbst mit seinem Bewutseinnicht beteiligt war. Denn diese Erkenntniskrfte beschftigen sich zunchstnur mit der den menschlichen Sinnen gegebenen Welt, die durch denVerstand begreifbar ist, und an welche diese Sinne sich binden. Durch die inder Seele schlummernden Krfte ist der Mensch imstande, weiter zu dringenzu jenen Welten, die zunchst den Sinnen nicht gegeben sind, die der an dieSinne sich bindende Verstand nicht erreichen kann. Und nur damit nicht vonAnfang an der Vorwurf erhoben werde, da unbestimmt gesprochen wird,soll ganz kurz einiges von dem angedeutet werden, was Sie ganz ausfhrlichber die Wege zur Erlangung hherer Erkenntnis verfolgen knnen inmeiner Schrift Wie erlangt man Erkenntnisse der hheren Welten?

    Wenn man davon spricht, da der Mensch ber das ihm gegebene Mavon Erkenntnisfhigkeiten hinausgelangen soll, so ist es notwendig, da ernicht ins Blaue, nicht ins Unbestimmte hinein seine Schritte mache, sondernda er von dem festen Boden, auf dem er steht, den Weg hinber findet ineine neue Welt. Wie kann das sein?

    In dem gewhnlichen normalen Menschenleben von heute wechseln jafr den Menschen zwei Zustnde ab, die wir bezeichnen mit Wachen undSchlafen. Ohne uns heute weiter auf die Charakteristik der beidenZustnde einzulassen, knnen wir sagen, da sie sich fr dieErkenntnisfhigkeit des Menschen dadurch unterscheiden, da der Menschwhrend des Wachens die Anregung erhlt fr seine Sinne und fr seinen andie Sinne gebundenen Verstand. An dieser Anregung entwickelt er seineuere Erkenntnis. Da ist er whrend des Wachens ganz hingegeben an dieuere Sinnenwelt. Im Schlafe ist der Mensch entrckt dieser uerenSinnenwelt. Eine einfache, ganz logische Erwgung knnte es jedemMenschen klarmachen, da es nicht so ganz unsinnig ist, wenn dieGeistesforschung sagt, da es wirklich ein Wesenhaftes in derMenschennatur gibt, was sich im Schlafe von dem, was wir sonst denphysischen Menschen nennen, trennt.

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  • Steiner TTB-04 Vom Lebenslauf des Menschen

    Es ist ja schon im Verlaufe dieser Vortrge darauf aufmerksam gemachtworden, da im Sinne der Geisteswissenschaft dasjenige, was sozusagen amMenschen mit Augen zu sehen, mit Hnden zu greifen ist, der physischeLeib, nur eines der Glieder der menschlichen Wesenheit ist. Als ein zweitesGlied dieser Menschennatur haben wir dann zu betrachten den sogenanntenther- oder Lebensleib. Physischer Leib und therleib bleiben whrend desSchlafes im Bette liegen. Von diesen Gliedern unterscheiden wir sodanndasjenige, was wir Bewutseinsleib oder stoen wir uns nicht an demAusdruck Astralleib nennen, den Trger von Lust und Leid, Freude undSchmerz, von Trieb, Begierde und Leidenschaft, und auerdem dasjenigeGlied, wodurch der Mensch die eigentliche Krone der Erdenschpfung ist:das Ich. Diese beiden letzten Glieder der menschlichen Wesenheit trennensich im Schlafe vom physischen Leib und therleib. Eine einfache logischeErwgung, sagte ich, kann den Menschen lehren, da es doch nicht so ganzunsinnig ist, was die Geistesforschung sagt, wenn es der Mensch sich nurberlegt: da dasjenige, was im Menschen vorhanden ist als Lust und Leid,Freude und Schmerz, was an Urteilskraft im Ich ist, doch nichtverschwinden kann in der Nacht und nicht jeden Morgen neu entstehen mu,sondern da es da bleibt. Betrachten Sie dieses Herausgehen des astralischenLeibes und des Ich, wenn Sie wollen, als ein bloes Bild: aber das ist nichthinwegzuleugnen, da sich Ich und astralischer Leib zurckziehen von dem,was wir physischen Leib und therleib nennen.

    Nun ist es aber das Eigentmliche, da gerade die innersten Glieder dermenschlichen Wesenheit, Astralleib und Ich, innerhalb welcher der Menschdas erlebt, was man seine seelischen Erlebnisse nennt, im Schlafehinuntersinken wie in ein unbestimmtes Dunkel. Das heit aber nichtsanderes, als da dieses Innerste der menschlichen Wesenheit (deseigentlichen menschlichen Lebens, so wie das normale Leben heute ist) derAnregung der ueren Welt bedarf, wenn es seiner selbst und derAuenwelt bewut werden soll. So knnen wir sagen, da in demAugenblick, wo mit dem Einschlafen die Anregung von auen aufhrt undauch die Kraft aufhrt, die das Bewutsein von auen rege hlt, der Menschohnmchtig ist, in sich ein Bewutsein zu entwickeln.

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    Knnte der Mensch nun im normalen Verlaufe seines Lebens diese innerenGlieder seiner Wesenheit so anregen, so durchkraften, so innerlich beleben,da er in ihnen ein Bewutsein haben knnte ohne die Anregungen derAuenwelt, ohne sinnliche Eindrcke, ohne die Arbeit des an dieSinnenwelt gebundenen Verstandes, dann wrde der Mensch durch einsolches Bewutsein, durch solche Fhigkeiten in der Lage sein, auchanderes wahrzunehmen als das, was nur durch die Anregungen der Sinnekommt. So sonderbar es klingt, paradox eigentlich: Wenn der Mensch einenZustand herstellen knnte, der dem Schlaf auf der einen Seite hnlich unddoch wiederum vom Schlaf wesentlich verschieden wre, dann wrde er zueiner bersinnlichen Erkenntnis kommen knnen. hnlich mte dieserZustand dem Schlaf dadurch sein, da der Mensch ebenso wie im Schlafekeine Anregung von auen bekommt oder wenigstens nichts darauf gibt; unhnlich mte er dem Schlaf darinnen sein, da der Mensch nicht in dieBewutlosigkeit versinkt, sondern trotz aller mangelnden Anregung derueren Sinnenwelt ein in sich belebtes Inneres entfaltet.

    Nun kann der Mensch das eben gibt die geisteswissenschaftlicheErfahrung zu einem solchen Zustand kommen; zu einem Zustand, denman, wenn das Wort nicht mibraucht wird, wie es heute hufig geschieht,einen hellseherischen Zustand nennen kann. Und es soll in Krze nur einBeispiel angegeben werden von den zahlreichen inneren bungen, durchdie der Mensch zu einem solchen Zustande kommen kann.

    Ausgehen mu der Mensch, wenn er mit Sicherheit in diesem Zustandeleben soll, von der ueren Welt. Nun liefert die Auenwelt dem MenschenVorstellungen durch seine Sinne, die er dann die Wahrheit nennt, wenn er esdahin bringt, da seine Vorstellungen den ueren Gegenstnden, derueren Wirklichkeit entsprechen. Durch eine solche Wahrheit kann aberder Mensch nicht ber die uere Sinnenwelt hinauskommen. Es handeltsich nun darum, die Brcke zu schlagen zwischen der uerenSinneswahrnehmung und dem, was davon frei sein und dennoch Wahrheitbieten soll. Zu den ersten Stufen der bungen, um eine solche Erkenntnisartsich anzueignen, gehrt das sogenannte sinnbildliche oder symbolischeVorstellen.

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    Wollen wir uns an einem Beispiel einmal ein brauchbares Sinnbild vorAugen fhren, ein fr die geistige Entwickelung brauchbares Symbol!Entwickeln wir es in der Form eines Gesprches, das etwa der Lehrer einesSchlers der Geisteswissenschaft mit diesem fhrt.

    Um den Schler zum Verstndnis einer gewissen symbolischenVorstellung zu bringen, knnte der Lehrer etwa folgendes sagen: Sieh direinmal die Pflanze an, wie sie im Boden wurzelt, wie sie heranwchst,grnes Blatt um grnes Blatt hervortreibt und sich heraufentwickelt zurBlte und zur Frucht. Ich mache darauf aufmerksam, da es dabei nichtankommt auf irgendwelche naturwissenschaftliche Vorstellungen; denn wirwerden schon sehen, da es sich nicht um den Unterschied zwischen Pflanzeund Mensch handelt, sondern um das Gewinnen brauchbarer sinnbildlicherVorstellungen. Nun knnte der Lehrer sagen: Jetzt betrachte einmal denMenschen, wie er vor dir steht im Leben. Dieser Mensch hat zweifellosmanches vor der Pflanze voraus. Er kann in sich entwickeln Triebe,Begierden, Leidenschaften, ein Vorstellungsleben, das ihn hinauffhrt dieganze Leiter von blinden Empfindungen und Trieben bis zu den hchstensittlichen Idealen. Wenn wir den Menschen mit der Pflanze vergleichen, soknnte nur eine naturwissenschaftliche Phantastik der Pflanze einenhnlichen Bewutseinsinhalt zuschreiben, wie ihn der Mensch hat. Wirsehen aber dafr an der Pflanze, man knnte sagen, gewisse Vorzge aufeiner niederen Stufe gegenber dem Menschen. Wir sehen an der Pflanzeeine gewisse Sicherheit des Wachstums ohne die Mglichkeit einerVerirrung. Wir sehen dagegen beim Menschen jeden Augenblick dieMglichkeit, da er abirren kann von dem, was seine richtige Stellung imLeben ist. Wir sehen, wie der Mensch seiner ganzen Substanz nachdurchzogen ist von Trieben, Begierden und Leidenschaften, welche ihn inIrrtum, in Lge und Tuschung hineinbringen knnen. Die Pflanze istdagegen in ihrer Substantialitt nicht von alledem durchzogen; sie ist einreines, keusches Wesen. Erst wenn der Mensch sich in seinem ganzen Trieb-und Begierdenleben lutert, kann er hoffen, da er ebenso rein und keuschsein wird auf einer hheren Stufe, wie es die Pflanze in ihrer Sicherheit undFestigkeit auf niederer Stufe ist.

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  • Steiner TTB-04 Vom Lebenslauf des Menschen

    Und so knnen wir uns weiter folgendes Bild machen: Die Pflanze wirddurchzogen von dem grnen Farbstoff, dem Chlorophyll, der die Bltter mitder grnen Farbe durchtrnkt. Der Mensch wird durchzogen von seinemTrieb- und Leidenschaftstrger, von seinem roten Blut. Das ist eine ArtEntwickelung nach oben. Dafr aber hat der Mensch zu gleicher ZeitEigenschaften mit in Kauf nehmen mssen, die in der Pflanze noch nichtsind. Nun mu der Mensch, knnte man sagen, sich das hohe Ideal, dem erzusteuert, vor Augen stellen, einmal auf einer entsprechenden Stufe dahin zukommen, jene innere Sicherheit, jene Selbstherrschaft und Reinheit zuerlangen, welche ihm in der Pflanze auf einer niederen Stufe als Vorbild vorAugen stehen. Und nun knnten wir uns fragen: Was mu der Mensch tun,wenn er zu einer solchen Stufe emporsteigen soll?

    Dazu mu er Herr und Beherrscher werden dessen, was sonst ohne seinenWillen herumwhlt in seinem Innern an Trieben, Begierden undLeidenschaften. Er mu ber sich selbst hinauswachsen; er mu dasjenige insich ertten, was ihn sonst beherrscht, und dasjenige auf eine hhere Stufeerheben, was von dem Niederen beherrscht wird. So hat sich der Menschvon der Pflanze heraufentwickelt. Was ihm zugekommen ist seit seinerPflanzenstufe, das mu er sozusagen als etwas zu Besiegendes odernehmen wir den Ausdruck etwas zu Erttendes ansehen, um ein hheresLeben aus demselben herauszuholen. Das ist des Menschen Zukunfts-proze, den Goethe mit dem schnen Wort bezeichnet:

    Und so lang du das nicht hast,Dieses: Stirb und werde!Bist du nur ein trber GastAuf der dunklen Erde.

    Nicht das etwa ist zu erreichen, da der Mensch seine Triebe, Begierdenund Leidenschaften erttet, sondern da er sie lutert und reinigt, indem erden Herrscher ber sich erttet. So kann der Mensch, hinblickend auf diePflanze, sagen: Es ist etwas in mir, was hher steht als die Pflanze, was abergerade erttet und besiegt werden mu in mir.

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    Zum Bilde dieses zu Besiegenden sei dasjenige gemacht, was an derPflanze nicht mehr lebensfhig ist, was an ihr abgestorben ist, das drreHolz. Und wir stellen als Bild zunchst das drre Holz in Form des Kreuzesals einen Teil unseres Sinnbilds hin. Dann aber mu der Mensch darangehen, den Trger seiner Triebe, Begierden und Leidenschaften, sein rotesBlut so zu reinigen und zu lutern, da es ein keuscher, gereinigterAusdruck seiner hheren Wesenheit ist, dessen, was Schiller den hherenMenschen in dem Menschen nennt; so da dieses Blut gleichsam ein Abbildwird des reinen, keuschen Pflanzensaftes, der sich durch diePflanzensubstanz ergiet.

    Und da blicken wir hin so wrde der Lehrer zum Schler weiter sagen zu jener Blte, wo dieser Pflanzensaft, sich fortwhrend von Stufe zu Stufedurch die Bltter erhebend, sich zuletzt zu der Farbe der Blte in der rotenRose ausgestaltet. Nun stelle dir die rote Rose als das hin, was dir einVorbild deines gereinigten und geluterten Blutes sein kann: DerPflanzensaft pulst durch die rote Rose so, da er trieb- und begierdenlos ist;deine Triebe und Begierden aber sollen der Ausdruck deiner reinen Ich-Wesenheit sein. So ergnzt sich das Holz des Kreuzes, das dasjenigebezeichnet, was berwunden werden mu, durch einen Kranz von rotenRosen, der an diesem Kreuze angebracht wird. Da hat man ein Bild, einSymbol, das uns nicht blo durch unseren trockenen Verstand, sondern mitAufrufung aller unserer Gefhle ein Bild des menschlichen Lebens gibt, wiees sich zu einem hheren Ideal herauf gestaltet.

    Nun kann jemand kommen und sagen: Deine Vorstellung ist eineEinbildung, die keiner Wahrheit entspricht. Was du dir da als Bildvorzauberst, dieses schwarze Kreuz mit den roten Rosen, das ist eine leereEinbildung! Gewi, darber soll auch gar kein Zweifel sein, da diesesBild, wie es sich derjenige, der hinaufsteigen will in die geistigen Welten,im Geiste vor Augen stellt, eine Einbildung ist. Es mu eine Einbildungsein! Denn dazu ist dieses Bild nicht da, da es etwa in der Art derSinneserkenntnis etwas abbildete, was auen vorhanden ist. Wrde es dastun, dann brauchten wir es nicht; dann brauchten wir uns blo allendenjenigen Eindrcken zu berlassen, die uns von auen zukommen, zudenen wir nur die Abbilder zu schaffen haben. So aber schaffen wir einBild, zu dem wir zwar die Elemente von der Auenwelt genommen haben,das wir aber zusammengestellt haben nach gewissen Empfindungen undVorstellungen unseres eigenen Innern.

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    Nur mssen wir uns bei jedem Schritt bewut sein, da wir bei dem, was wirtun, nicht den Faden der inneren Vorgnge verlieren; denn sonst wrden wirbald in die Phantastik hineinkommen. Wer in die hheren Weltenhinaufkommen will durch innere Betrachtung, Meditation und so weiter, derlebt nicht nur in abstrakten Bildern, sondern er lebt in der Gefhls- undVorstellungswelt, die sich ihm beim Aufbauen solcher Bilder ergeben hat.Diese Bilder erwecken in ihm eine Summe von inneren Seelenvorgngen,und unter Ausschlu dessen, was von auen kommt, ergibt sich derjenige,der in die hheren Welten kommen will, mit allen Krften der Betrachtungdieser Bilder. Nicht dazu sind solche Bilder da, etwa uere Zustndeabzubilden, sondern um die in dem Menschen schlummernden Krfte zuerwecken. Denn der Mensch wird bemerken, wenn er Geduld und Ausdauerhat es dauert lange Zeit, aber es tritt ein , da die ruhige Hingabe ansolche Bilder ihm etwas geben kann, was sich entwickeln soll. Er wirdsehen, da sich sein Inneres verwandelt, da tatschlich ein Zustand eintritt,der auf der einen Seite mit dem Schlafe zu vergleichen ist. Whrend abermit dem Einschlafen berhaupt hinuntersinken alle Vorstellungen und allesSeelenleben, werden durch die beschriebene Hingabe, durch Meditation,durch solche Vorstellungen innere Krfte erweckt. Der Mensch fhlt sehrbald, da eine Verwandlung mit ihm vorgeht, da er dadurch inneres Lebenhat, wenn er auch zunchst auf Eindrcke der Auenwelt verzichtet. Soerweckt der Mensch durch solche durchaus unwirklichen Symbole innereKrfte, und er wird dann schon einsehen, da er mit diesen erwecktenKrften etwas anfangen kann.

    Gewi, es kann von anderer Seite wiederum der Einwand gemachtwerden: Ja, wenn nun der Mensch solche Krfte entwickelt und wirklich indie geistige Welt eingedrungen ist, wie er meint, wie kann er denn dawissen, da das eine Wirklichkeit ist, was er da wahrnimmt? Das kann nurdurch die Erfahrung bewiesen werden, wie die uere Welt nur durch dieErfahrung bewiesen werden kann. Die bloen Vorstellungen unterscheidensich von den Wahrnehmungen auf das strengste. Nur wer in dieserBeziehung nicht auf den Grund der Dinge geht, kann die bloe Vorstellungmit der Wahrnehmung verwechseln.

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    Es ist ja heute besonders bei den philosophisch angehauchten Kreisen eingewisses Miverstndnis eingerissen. Die Schopenhauersche Philosophiegeht zum Beispiel in ihrem ersten Teile davon aus, da die Welt desMenschen Vorstellung sei. Den Unterschied zwischen Wahrnehmung undVorstellung bekommen Sie, wenn Sie hierzu Ihre Uhr betrachten. SolangeSie in Kontakt sind mit Ihrer Uhr, ist es Ihre Wahrnehmung; drehen Sie sichum, so haben Sie ein Bild der Uhr in sich; das ist Ihre Vorstellung. Impraktischen Leben werden Sie sehr bald unterscheiden lernen zwischenWahrnehmung und Vorstellung; und wer das nicht knnte, wrde in die Irregehen. Auch das andere Beispiel ist schon angefhrt worden: wenn Sie sichein noch so heies Stck Eisen vorstellen, es brennt nicht; wenn Sie aber einStck heies Eisen ergreifen, werden Sie schon merken, da dieWahrnehmung etwas anderes ist als die Vorstellung. Ebenso ist es mit jenemBeispiel, das in der Kantschen Philosophie gegeben wird, das zwar nacheiner gewissen Seite hin eine Berechtigung hat, aber nur Irrtmer in demletzten Jahrhundert hervorgerufen hat. Kant versucht, einen gewissenGottesbegriff aus den Angeln zu heben, indem er zeigt, da zwischenhundert vorgestellten und hundert wirklichen Talern gar kein Unterschiedsei dem Inhalte nach. Aber man darf sich eben darauf berhaupt nichtberufen, da in dem Inhalte kein Unterschied sei; denn man verwechseltdann leicht die Wahrnehmung und den unmittelbaren Kontakt mit derWirklichkeit mit demjenigen, was bloer Vorstellungsinhalt ist. Wer hundertTaler Schulden bezahlen soll, der wird schon den Unterschied merkenzwischen hundert wirklichen und hundert eingebildeten Talern.

    So ist es auch mit der geistigen Welt. Wenn die im Menschenschlummernden Krfte und Fhigkeiten aus seinem Innern hervortreten undeine Welt um ihn herum ist, die er vorher nicht gekannt hat, die wie auseiner dunklen geistigen Tiefe herausleuchtet, da kann derjenige, der nurlaienhaft auf diesem Gebiete ist, sagen: das kann Selbstsuggestion sein, kannirgendeine Einbildung sein. Wer aber Erlebnisse auf diesem Gebiete hat,wird wohl unterscheiden knnen zwischen dem, was Wirklichkeit ist, unddem, was bloe Einbildung ist; und zwar genau so, wie man im Physischenunterscheiden kann zwischen einem vorgestellten und einem wirklichenStck heien Stahls.

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    So sehen wir, da es eine Mglichkeit gibt, einen andernBewutseinszustand hervorzurufen. Ich habe Ihnen das nur kurz durch einBeispiel angefhrt, wie durch innere bungen aus der Seele die in ihrschlummernden Fhigkeiten herausgeholt werden. Whrend der Mensch sobt und die schlummernden Fhigkeiten herausholt, sieht er natrlich nichtsvon einer geistigen Welt; da ist er damit beschftigt, seine Fhigkeitenherauszuholen. Das dauert unter Umstnden nicht nur Jahre, sondern ganzeLeben lang. Aber alle diese Anstrengungen fhren zuletzt dazu, da derMensch diese in ihm schlummernden Erkenntniskrfte anwenden lernt aufdie geistige Welt, ebenso wie er seine Augen anwenden gelernt hat unter derEinwirkung unbekannter geistiger Mchte zur Beobachtung der uerensichtbaren Welt. Solches Arbeiten an der eigenen Seele, solches Entwickelnder Seele zu einer Welt, in der man noch nicht drinnen steht, die man geradedurch die entwickelten Fhigkeiten empfangen soll, die einem aufgehen solldurch das, was man ihr entgegenbringt, solches Arbeiten an der eigenenSeele kann man im wahren Sinne des Wortes Askese nennen. DennAskese heit im griechischen Worte sich ben, sich fhig machen zuirgend etwas, Krfte, die da schlummern, in Ttigkeit umsetzen. Das ist dieursprngliche Bedeutung des Wortes Askese, und das kann auch dieheutige Bedeutung sein, wenn man sich nicht einen Nebel vor Augen stellenund Irrtmer vorhalten will durch eine falsche Anwendung des WortesAskese, die blich geworden ist durch die Jahrhunderte. Man begreiftaber den Sinn der Askese, wie wir ihn eben charakterisiert haben, nur, wennman bercksichtigt, da der Mensch durch Entwickelung solcherFhigkeiten sich eine neue Welt erschlieen will. Und man begreift ihn ambesten, wenn wir jetzt, nachdem wir das Wort Askese allein auf diegeistige Welt angewandt haben, es einmal anwenden auf gewisse uereVerrichtungen des Lebens.

    Wird das Wort Askese so auf Entwickelung geistiger Fhigkeitenangewendet, so knnen wir es auch im Leben dann anwenden, wenngewisse Fhigkeiten und Krfte entwickelt werden, die noch nichtunmittelbar auf das, wozu sie gehren, angewendet werden, sondern dievorerst herausgeholt werden aus irgendeiner Wesenheit oder aus irgendetwas, um spter erst an dem angewendet zu werden, wozu sie eigentlichgehren.

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    So sonderbar es auch erscheinen mag, so gibt es doch ein naheliegendesBeispiel fr das, wozu man das Wort Askese in seinem wirklichen Sinnegebrauchen kann; und wir werden dann auch schon sehen, warum das WortAskese, falsch angewandt, zu einer verderblichen Wirkung fhren kann.Wenn wir das Wort Askese im ueren Leben im richtigen Sinneanwenden, so knnen wir etwa die Kriegsfhrung whrend eines Manverseine Askese nennen. Das ist durchaus richtig im griechischenSprachgebrauch. Die Art und Weise, wie da die Krfte angewendet werden,um sie zu erproben, damit sie im wirklichen Krieg einmal da sind, wenn siegebraucht werden, und um zu sehen, ob man sie auch im richtigen Maeanwenden kann, das ist Askese, das ist bung. Solange man Krfte nicht aufein unmittelbares Objekt, zu dem sie gehren, anwendet, sondern um dieTchtigkeit und Beschaffenheit vorher zu erproben, so lange bt manAskese; so da also das Kriegfhren auf dem Manverfelde sich zumwirklichen Kriegsfalle verhlt wie Askese zum Leben berhaupt.

    Das menschliche Leben, sagte ich im Anfange, pendelt hin und herzwischen Arbeit und Miggang. Aber es liegt mancherlei dazwischen. Soliegt zum Beispiel dazwischen das Spiel. Das Spiel ist berall, wo es uns alsSpiel entgegentritt, eigentlich das Gegenteil von dem, was man Askesenennen kann. An seinem Gegenteil kann man sehr gut sehen, was dasWesen der Askese ist. Das Spiel ist eine Bettigung von Krften an derAuenwelt in unmittelbarer Befriedigung. Diese Befriedigung selbst,dasjenige, womit gespielt wird, ist auch nicht sozusagen der harte Boden,der harte Untergrund der Auenwelt, wo wir unsere Arbeit verwenden.Dasjenige, womit gespielt wird, ist also unsern Krften gegenber einweiches, bildsames Material, das unsern Krften folgt. Das Spiel ist nur solange ein Spiel, als wir uns nicht stoen an dem Widerstande der uerenKrfte, wie bei der Arbeit. Im Spiel haben wir es also zu tun mit dem, wassich unmittelbar auf die Krfte bezieht, die dabei umgesetzt werden, und inder Bettigung dieser Krfte liegt selbst die Befriedigung des Spieles. DasSpiel bereitet zu nichts weiter vor; es findet in sich selbst eine Befriedigung.

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    Genau das Umgekehrte liegt vor bei dem, was im richtigen Sinne als Askeseverstanden werden mu. Da liegt nicht eine Befriedigung an irgendeinerAuenwelt vor. Was wir in der Askese kombinieren, selbst wenn wir dasKreuz mit den roten Rosen zusammensetzen, das ist etwas, was an sich nichtbedeutsam ist, sondern was als lebendiges Spiel unserer Krftehervorgerufen wird, was in uns selber geschieht und dann erst seineAnwendung finden soll, wenn es in uns selber fertig geworden ist. DieEntsagung bezieht sich also darauf, da wir eine innere Arbeit entfalten mitdem Bewutsein, uns zunchst nicht anregen zu lassen durch Auenwelt da wir an uns selber arbeiten, um unsere Krfte ins Spiel zu bringen, damitsie sich bettigen knnen in der Auenwelt. So stehen Spiel und Askeseeinander gegenber wie zwei Gegenstze.

    Wie lebt sich nun dasjenige, was wir in unserm Sinne Askese nennenknnen, in das Menschenleben ein?

    Bleiben wir dabei innerhalb des Gebietes stehen, wo die Askese sowohlin der Licht- wie in der Schattenseite zur Anwendung kommt: beimErgreifen der bersinnlichen Welten, wenn der Mensch sich das Ziel setzt,hinaufzusteigen in die geistigen Welten. Da knnen wir sagen: wenn demMenschen durch irgend etwas eine bersinnliche Welt entgegentritt, zumBeispiel durch die Mitteilungen eines andern Menschen oder durch dieMitteilungen irgendwelcher Urkunden der geschichtlichen Entwickelung, soist es zunchst mglich, da der Mensch sagt: Es gibt Behauptungen,Mitteilungen ber die bersinnlichen Welten; mir selbst sind solcheMitteilungen zunchst nicht verstndlich. Ich habe keine Kraft, sieeinzusehen. Dann gibt es wiederum Menschen, die nicht etwa sagen: Ichwill das aufnehmen, was mir da an Mitteilungen geboten wird! sondern diesagen: Ich lehne diese Mitteilungen ab; ich will kein Verhltnis zu ihnenhaben! Woher kommt das? Das kommt zunchst davon her, da ein solcherMensch im besten Sinne des Wortes die Askese ablehnt; und zwar aus demGrunde, weil er in seiner Seele nicht die Kraft empfindet, um durch dieMittel, die charakterisiert worden sind, hhere Krfte aus sichherauszuentwickeln. Er fhlt sich zu schwach dazu.

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    Es ist ja immer wieder betont worden, da es nicht einmal notwendig ist,da man selbst Hellsichtigkeit besitzen mu, um, wenn einem durch einenhellsichtigen Menschen die Ergebnisse der Geistesforschung mitgeteiltwerden, sie einzusehen. Es ist zwar zur Erforschung der geistigen TatsachenHellsichtigkeit notwendig; wenn aber die Tatsachen einmal erforscht sind,kann jeder Mensch durch seine durch nichts voreingenommene Vernunfteinsehen, was ihm der Geistesforscher mitteilt. Der unbefangene Verstandund die gesunde Vernunft sind zunchst das beste Instrument, um dasjenigezu beurteilen, was aus den geistigen Welten mitgeteilt wird. Wer auf demBoden der Geistesforschung steht, wird immer sagen knnen: Wenn erberhaupt noch vor etwas Furcht haben knnte, so htte er sie vor denen, diederartige Mitteilungen hinnehmen, ohne sie mit ihrem Verstnde genau zuprfen; nicht aber vor denen, die ihre durch nichts beirrte Vernunftanwenden. Der Vernunftgebrauch ist es, der alles verstndlich macht, wasaus der Geistesforschung heraus kommt.

    Es kann aber sein, da sich ein Mensch zu schwach fhlt, da er nicht aussich die Krfte hervorholen kann zum Verstndnis der Mitteilungen aus dergeistigen Welt. Wenn das der Fall ist, lehnt er sie ab aus einem ihm selbstangemessenen Selbsterhaltungstrieb. Er wrde sich verwirren, wenn er dieseMitteilungen aufnehmen wrde. Das versprt er. Und im Grunde genommenist es bei all denen, welche die auf dem Wege der Geistesforschungerkundeten Dinge ablehnen, der Selbsterhaltungstrieb, der diese Dingeablehnt: ein Bewutsein, das nicht imstande ist, bungen also im bestenSinne des Wortes Askese auf sich anzuwenden. Ein solcherSelbsterhaltungstrieb sagt sich: Wenn die Dinge an mich herankmen, sowrden sie mich verwirren; sie wrden, wenn sie in meinen Geisthereinkmen, meinen Geist anfllen; ich knnte nichts damit anfangen; alsolehne ich sie ab! So ist das materialistische Bewutsein, das keinen Schritthinausgehen will ber das, was die auf dem Boden der Tatsachenvermeintlich feststehende Wissenschaft bietet.

    Es kann aber auch etwas anderes der Fall sein. Und da kommen wir zueiner gefhrlichen Seite der Askese. Es kann eine gewisse Gier vorhandensein, Mitteilungen aus den geistigen Welten zu empfangen, und nicht derinnere Drang und die Verpflichtung, mit Vernunft und Logik dieMitteilungen zu prfen.

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    Es kann eine Art innerer Sensationslust vorhanden sein nach Mitteilungenaus der geistigen Welt. Dann lt man sie hinein in sich. Dann wirkt nichtdasjenige, was eben im Menschen als Selbsterhaltungstrieb bezeichnetworden ist, sondern etwas Entgegengesetztes: dann wirkt tatschlich eineArt Selbstvernichtungstrieb. Denn das berflutet den Menschen, was erunverstanden in seine Seele hineinlt und dem gegenber er nicht seineVernunft anwenden will. Dahin gehrt aller blinde Glaube, jedes auf bloeAutoritt Hingenommene an Mitteilungen aus den geistigen Welten, aus denunsichtbaren Welten. Und dieses Annehmen auf Autoritt hin entsprichteiner Askese, die nicht aus einem gesunden Selbsterhaltungstrieb entspringt,sondern aus einem krankhaften Selbstvernichtungstrieb, zu ertrinken in derFlut der erhaltenen Offenbarungen. Das hat nun fr die menschliche Seeleeine bedeutsame Schattenseite. Es ist im schlimmen Sinne eine Askese,wenn der Mensch sagt: Ich will nichts weiter, ich will auf alles verzichten,ich will glauben, im Vertrauen leben! Es ist ja diese Stimmung vielfachdurch die verschiedensten Zeiten ausgebildet gewesen. Man darf aber nichtalles anfhren, was so aussieht wie ein blinder Glaube. Wenn zum Beispielerzhlt wird, da es in den alten griechischen Mysterienschulen desPythagoras eine stndige Redensart war: Der Meister hat es gesagt!, sobedeutet das niemals: der Meister hat es gesagt, also glauben wir es!,sondern es bedeutet bei seinen Schlern etwa folgendes: Der Meister hat esgesagt; also ist es fr uns eine Aufforderung, darber nachzudenken; wirwerden sehen, wie weit wir damit kommen, wenn wir unsere Krfte inBewegung setzen! Glauben braucht nicht immer ein blinder Glaube zusein und einem Selbstvernichtungstrieb zu entspringen. Wer im Vertrauen zujemandem Mitteilungen aus der Geistesforschung entgegennimmt, brauchtdas nicht aus einem blinden Glauben zu tun; er kann zum Beispiel dahintergekommen sein, da der Mensch, der so etwas sagt, die Dinge ernst nimmt,da er die Mitteilungen in przis logische Formen bringt, da er auf andernGebieten, wo der Glubige nachzuprfen in der Lage ist, logisch ist undnicht dummes Zeug schwatzt. Deshalb kann der Schler gerade durch dieBeobachtung jener Dinge, die er verfolgen kann, den begrndeten Glaubenhaben, da der Betreffende auch, wenn er ber irgendwelche dem Glubigennoch unbekannten Dinge spricht, auf einem ebenso sicheren Boden stehe.

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    Daher kann der Glubige sagen: Ich werde arbeiten! Dasjenige, was mirgesagt wird und wozu ich Vertrauen habe, kann mir ein Leitstern sein, ummich hinaufzuranken zu jenen Fhigkeiten, die sich in mir selbst begreiflichmachen werden, wenn ich mich zu ihnen hinaufarbeite.

    Wenn aber diese gute Grundlage des Vertrauens nicht da ist, wenn derMensch Verzicht auf das Verstehen bt, wenn er sich anregen lt von denMitteilungen aus den unsichtbaren Welten, ohne sie verstehen zu wollen,dann geht das allmhlich in eine recht schlimme Eigenschaft des Menschenber. Es ist dieses ein bel, das kaum als Askese zu bezeichnen ist. Wer imblinden Vertrauen einfach etwas aufnimmt, ohne den Willen zu haben, esnach und nach zu verstehen, ohne es also zu durchdringen; wer also inseinen Willen den Willen eines andern aufnimmt, ganz blind, der verliertallmhlich jene gesunden Seelenkrfte, die ein sicheres Zentrum unseresinneren Lebens bilden und die das Gerst schaffen fr alle unserenEmpfindungen fr die Richtigkeit des Lebens. Lge und Hang zum Irrtumstellen sich bei demjenigen Menschen ein, der nicht prfen will in seinemInnern, nicht die Vernunft walten lassen will, sondern der geradezu denHang hat, zu ertrinken in dem, was er mitgeteilt bekommt zu versinken,mit seinem Selbst zu verschwinden. Wer nicht den gesunden Wahrheitssinnwalten lassen will, der wird bald sehen, wie Lge und Hang zur Tuschungihm auch in der wirklichen Welt anhaften werden. Das ist ganz ernst zubedenken, wenn man sich der geistigen Welt nhert, da man sich durchdiese Unterlassungssnde leicht einem Leben hingeben kann, das keinrechtes Gefhl mehr hat fr das, was Wahrheit, was Richtigkeit im Lebenist. Wer das ben ernst nimmt, wer seine Krfte anstrengen will, der darfnicht unterlassen, solche Erkenntnis sich vor die Seele zu fhren, wie siejetzt eben ausgesprochen worden ist.

    Nun knnen wir aber noch tiefer hineingehen in das, was wir im tieferenSinne asketisches ben der Seelenkrfte nennen knnen. Wir haben jetztden Menschen nur insofern betrachtet, als er nicht mchtig ist, in gesunderWeise innere Krfte wirklich zu entwickeln.

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    Das eine Mal lehnt er es ab, solche Krfte zu entwickeln, aus gesundemSelbsterhaltungstrieb, weil er solche Krfte nicht entwickeln will; dasandere Mal lehnt er nicht ab, solche Krfte in sich zu entwickeln, aber erlehnt ab, Vernunft und Urteil zu entwickeln. Da haben wir es immer zu tunmit der Sucht des Menschen, auf dem Standpunkt stehen zu bleiben, wo ereinmal steht. Nehmen wir aber das andere: Der Mensch schickt sich an,nun wirklich seine inneren Fhigkeiten zu entwickeln; er wendet auf seineeigene Seele solche bungen an, wie sie charakterisiert worden sind. Dakann nun wieder ein Zweifaches eintreten. Zunchst kann dasjenigeeintreten, was gerade da energisch angestrebt wird in unserer geisteswissen-schaftlichen Weltenstrmung, wo sie mit Ernst und Wrde aufgefat wird.Der Mensch kann sozusagen nur in dem Mae hingelenkt werden auf dieEntwickelung von inneren Geisteskrften, als er fhig wird, mit diesenGeisteskrften etwas anzufangen, und zwar etwas Richtiges undOrdentliches anzufangen. Das heit, es kann auf der einen Seite die Redesein was in meiner Schrift Wie erlangt man Erkenntnisse der hherenWelten? weiter ausgefhrt ist , wie der Mensch sich selber zu ben, wieer an sich zu arbeiten hat, um sich die Fhigkeiten zum Hineinschauen indie geistige Welt zu verschaffen. Und zu gleicher Zeit mu die Mglichkeitgeboten sein, an dem Vorhandenen, was die Geistesforscher zu allen Zeitenals die geistigen Tatsachen gefunden haben, selber die Krfte zu schulenund ein richtiges Gleichgewicht herzustellen zwischen dem, was man alsKraft entwickelt im Innern, und dem, was man von der Auenwelt begreifensoll. Wenn der Mensch es unterlt, die Krfte, die er in sich entwickelt,wirklich im Begreifen der Auenwelt anzuwenden; wenn er den kaum zubezhmenden Wunsch hat, recht viel innere Seelenkrfte zu entwickeln,alles mgliche in Bewegung zu bringen in der Seele, damit sie Geistes-Augen und Geistes-Ohren entwickele, und dabei zu bequem ist, sich inlangsamer und richtiger Art mit den bereits vorliegenden Tatsachen derGeistesforschung still und in vernnftiger Arbeit zu befassen, dann kann essein, da durch seine Askese etwas recht Schlimmes auftritt. Es kann sein,da der Mensch in sich allerlei Krfte und Fhigkeiten entwickelt, mitdenen er aber nichts anzufangen wei, keine Mglichkeit hat, diese Krfteauch in der Auenwelt anzuwenden.

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    Darauf luft manche Schulung hinaus, insbesondere solche, dieErkenntniskrfte entwickelt ohne die Mglichkeit, dieselben anzuwenden,und auch Schulungen, die nicht energisch darauf ausgehen, Askese zu benzunchst durch geistige Mittel, wie sie charakterisiert worden sind, damit derMensch durch seine bungen strker und immer strker werde. Es gibt auchMethoden, die darauf ausgehen, einen anderen Weg einzuschlagen; einenWeg, den man ja als einen bequemeren bezeichnen kann, der aber leicht zuUnfug fhren kann. Dieser Weg geht darauf hinaus, jene Hindernisse zubeseitigen, welche die Seele zunchst von den Eindrcken derKrperlichkeit hat, um dadurch zu einem inneren Leben zu kommen. DieseHindernisse zu beseitigen, war auch das einzige Bestreben dessen, was manim Mittelalter die Askese genannt hat und was es zum Teil in der neuerenZeit noch gibt. Statt jene wahre Askese zu ben, die darauf hinausgeht, derSeele einen immer reicheren Inhalt zu geben, geht eine falsche Askesedavon aus, die Seele zu lassen, wie sie ist, und dafr den Leib zu schwchen,die Krfte des Krperlichen in ihrer Wirksamkeit zu vermindern. So gibt esja Mittel, um diesen Leib herabzustimmen, so da er in seinen Funktionennicht mehr stark und krftig ist wie im gewhnlichen Leben, sondern da erschwcher und schwcher wird. Dadurch kann dann erreicht werden, da dieschwach gebliebene Seele eine Art Oberhand ber die schwach gewordenenkrperlichen Funktionen hat. Whrend bei einer richtigen Askese der Leibbleiben soll, wie er ist, und die Seele Sieger werden soll ber den Leib, wirdbei einer andern Askese die Seele gelassen, wie sie ist, und dagegen durchallerlei Prozeduren, Fasten, Kasteien und so weiter, der Leib sozusagen insich selber schwach gemacht, so da dann die Seele strker ist und zu einerArt von Bewutsein kommen kann, trotzdem sie ihre Krfte gar nicht erhhthat. Das ist die Stimmung mancher Asketen des Mittelalters: sie ertten dieStrke des Leibes, vermindern seine Funktion, lassen die Seele, wie sie ist,und versetzen sich in den Zustand der Erwartung, der ihnen von auen, ohneihr Zutun, dasjenige bringen soll, was Inhalt der geistigen Welt ist.

    Es ist das die bequemere Methode; es ist aber diejenige Methode, die denMenschen nicht in Wahrheit strker macht. Die wahre Methode fordert, dader Mensch sein Denken, Fhlen und Wollen lutert und reinigt, da erDenken, Fhlen und Wollen gerade strker macht, damit sie krftiger undSieger werden ber das Leibliche.

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    Die andere Methode stimmt den Leib herunter, und dann soll die Seele ohneeine Hinzufgung von neuen Fhigkeiten warten, bis die gotterfllte Welt insie einstrmt.

    Diese Stimmung Sie knnen sie in manchen Anweisungen desMittelalters als Askese finden fhrt zur Weltfremdheit und zurWeltenferne, und sie mu dazu fhren. Denn im gegenwrtigen Zustandunserer Menschheitsentwickelung besteht ein gewisses Verhltnis zwischenden Wahrnehmungskrften in uns und dem, was drauen ist. Wollen wirhinauskommen ber den gegenwrtigen Menschheitszustand, dann knnenwir es nur dadurch tun, da wir unsere Krfte in uns erhhen und dann mitden erhhten Krften die Auenwelt um so tiefer und bedeutsamer erfassen.Stimmen wir aber unsere normalen Menschenkrfte herab, machen wir unsunfhig, das normale Verhltnis zur Auenwelt zu haben, bemhen wir uns,besonders das Denken, Fhlen und Wollen herabzustimmen, und versetzenwir dann unsere Seele in den Zustand der Erwartung, dann fliet in dieseSeele etwas ein, was kein Verhltnis zu unserer heutigen Welt hat, was unszu einem Sonderling macht, zu einem Menschen, der unbrauchbar ist fr diewirkliche Arbeit in unserer Welt. Whrend echte, wahre Askese zu einemMenschen fhrt, der brauchbarer und immer brauchbarer fr die Welt wird,weil er immer tiefer hineinschaut in die Welt, fhrt die andere Askese, diemit der Unterdrckung der krperlichen Funktionen verknpft ist, dazu, denMenschen herauszuziehen aus der Welt, ihn zu einem Einsiedler, zu einemEremiten zu machen in jeglicher Beziehung. Dann mag er auf seinemeinsamen Standpunkt, auf seiner einsamen Seeleninsel mancherlei seelisch-geistige Dinge sehen das soll ihm nicht abgeleugnet werden , aberbrauchbar fr die Welt ist eine solche Askese nicht. Askese ist Arbeit,bung fr die Welt und nicht ein Sich-zurck-Ziehen in Weltenfernen.

    Damit soll nun wiederum nicht gesagt werden, da gleich bis zumExtrem gegangen werden mu. Man kann von der einen Seite der anderenentgegenkommen.

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    Wenn es auch im allgemeinen richtig ist, da im heutigenMenschheitszyklus ein gewisses normales Verhltnis besteht zwischen derAuenwelt und den Krften unserer Seele, so darf doch auf der andern Seitegesagt werden, da eine jede Zeit sozusagen das Normale ins Extrem treibtund da derjenige, welcher hhere Fhigkeiten entwickeln will, als es dienormalen sind, die Widerstnde, die von unnormalen Zeitstrmungenherkommen, nicht zu bercksichtigen braucht. Und weil die Widerstnde inihm vorhanden sind, kann er unter Umstnden auch etwas weiter gehen, alser sonst gehen mte, wenn die Zeit nicht auch ihrerseits sndigen wrde.Das mu deshalb gesagt werden, weil Sie vielleicht vernommen haben, damanche Angehrige der gegenwrtigen geisteswissenschaftlichen Strmungauf eine gewisse Dit einen groen Wert legen. Damit ist durchaus nichtgemeint, da irgend etwas fr die Erlangung oder auch nur fr dasVerstndnis hherer Welt- und Lebensverhltnisse erreicht werden solldurch gerade eine solche Lebensweise. Sie kann nur ein ueres Hilfsmittelsein und darf nur so aufgefat werden, da derjenige, der sich einVerstndnis fr die geistigen Welten erwerben will, einen gewissenWiderstand finden kann an dem, worinnen er sich hineingelebt hat: an denSitten und Gebruchen der ueren Welt. Und weil er durch diese Sitten undGebruche zu tief heruntergefhrt worden ist in die rein materielle Welt,darum mu er, um sich die bungen zu erleichtern, ber das hinausgehen,was fr die meisten Menschen das Normale ist. Wrde er aber das zu seinerAskese rechnen, zu den Mitteln, die in die geistige Welt hinauffhren, dannwrde er ganz fehl gehen. Denn niemand kann der Vegetarismus in diehheren Welten hinauffhren; er kann nur eine Untersttzung sein, die manso auffat: Ich will gewisse Arten des Verstndnisses mir erffnen fr diegeistigen Welten; da habe ich ein Hindernis an meiner dichtenKrperlichkeit, und das ist so stark, da die bungen nicht gleich in derrichtigen Weise eingreifen; also untersttze ich mich dadurch, da ichmeiner Leiblichkeit eine gewisse Erleichterung verschaffe. Eine solcheErleichterung ist zum Beispiel der Vegetarismus, der durchaus nicht als einDogma aufgestellt wird, sondern nur als etwas, was einem Menschen dasVerstndnis fr die geistigen Welten erleichtern kann. Niemand aber sollglauben, da er etwa durch eine vegetarische Lebensweise geistige Krfteentwickeln knnte. Denn die Seele bleibt, wie sie ist; nur der Krper wirdschwcher.

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    Wenn aber die Seele auf der einen Seite strker geworden ist, wird sie aufder andern Seite dadurch, da der Vegetarismus auf den Menschen wirkt,auch den schwcheren Krper von dem Zentrum der Seelenkrfte aus inentsprechender Weise strker gestalten knnen, so da ein Mensch, der sichin geistiger Art mit dem Vegetarismus entwickelt, krftiger, tchtiger undwiderstandsfhiger fr das Leben werden und es nicht nur mit jedemFleischesser aufnehmen, sondern ihn an Leistungsfhigkeit sogarbertreffen kann. Das kommt aber gerade daher, da nicht das eintritt, wasviele glauben, wenn sie von denen, die in einer geistigen Strmungdarinnen stehen und Vegetarier sind, sagen: Was sind das fr arme Kerle,die nicht einmal das bichen Fleischgenu haben!

    Solange der Mensch diese Stimmung entfalten wrde, wrde derVegetarismus ihm nicht im mindesten etwas ntzen knnen. Solange derMensch Gier und Sucht hat nach Fleisch, ntzt ihm der Vegetarismus garnichts; sondern erst, wenn er auf dem folgenden Standpunkt steht, den ichdurch eine kleine Erzhlung klarmachen will.

    Vor lngerer Zeit wurde jemand gefragt: Warum essen Sie denneigentlich kein Fleisch? Da sagte er: Ich will Sie mit einer Gegenfragebelstigen: Warum essen Sie kein Hundefleisch oder Katzenfleisch? Daskann man doch nicht essen! war die Antwort. Warum denn nicht? Nun,weil ich davor Ekel habe! Gut, ganz so habe ich Ekel vor allem Fleisch!

    Um diese Stimmung handelt es sich. Wenn der Genu an der Fleischkostaufgehrt hat, dann ist erst die Stimmung da, wo die Enthaltung von derFleischkost in bezug auf die geistigen Welten irgend etwas ntzt. Vorherkann die Entwhnung vom Fleisch nur ein Hilfsmittel sein, sich dieBegierde nach Fleisch abzugewhnen. Aber wenn man die Begierde sichnicht abgewhnen kann, dann ist es vielleicht besser, man fngt mit demFleisch wieder an; denn das fortwhrende Sich-Qulen damit ist durchausnicht der richtige Weg, um in das Verstndnis der Geisteswissenschafthineinzukommen.

    Aus alledem sehen Sie charakterisiert, was man wahre und falscheAskese nennen kann. Zur falschen Askese werden aber leicht diejenigengefhrt, die nur die Sucht haben, ihre inneren seelischen Krfte undFhigkeiten zu entwickeln, denn ihnen wird es ziemlich gleichgltig sein,die Auenwelt wirklich zu erkennen.

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    Sie wollen ja zunchst nur diese seelischen Fhigkeiten entwickeln und dannabwarten, was da kommt. Das knnte man am besten, wenn man seinen Leibso viel qult wie mglich; dann wird er schwach, dann darf die Seeleschwach bleiben und kann dann so in irgendeine geistige Welt hineinsehen,wenn sie auch noch so unbrauchbar ist zum Begreifen einer wirklichengeistigen Welt. Dies ist aber der Weg zur Tuschung; denn in demAugenblick, wo der Mensch sich den Rckweg verriegelt in die physischeWelt zurck, tritt ihm keine wahre geistige Welt entgegen, sondern nur dieTrugbilder seines eigenen Selbstes. Und sie mssen ihm aus dem Grundeentgegentreten, weil er die Seele lt, wie sie ist. Weil er sein Ich auf demStandpunkt stehen lt, auf dem es steht, entwickelt es sich nicht zu hherenKrften, und den Zusammenhang mit der Welt vermauert sich der Menschdadurch, da er die Funktionen, durch welche er mit der Welt in Beziehungtritt, herabdrckt. Er kommt durch seine Askese nicht nur dazu, weltfremdzu sein, sondern auch sich das anzuzchten, was man nennen kann: Er siehtBilder, die ihm seine eigene Seele auf der Stufe, bis zu der er gekommen ist,vorgaukeln kann, er sieht sein durch sein eigenes Selbst getrbtes Bild anStelle einer wahren geistigen Welt. Und die zweite Folge ist die, welche unsauf moralischem Gebiete entgegentritt: Wer so glaubt, gerade durch Demutund Hingabe an die geistige Welt ein richtiges Leben zu entfalten, der siehtgar nicht, da er mit aller Gewalt in sein Selbst sich hineinspinnt, ein Egoistim rgsten Sinne des Wortes wird, sich zu gar nichts hinentwickeln will alszu dem, wo er schon steht. Dieser Egoismus, der ausarten kann in einenwilden Ehrgeiz und eine wilde Eitelkeit, ist deshalb so gefhrlich, weil ihnder Betreffende, der ihn hat, selbst niemals sehen kann. Er selbst hlt sichgewhnlich fr einen Menschen, der zu den Fen seines Gottes in tiefsterDemut hinsinkt, whrend der Teufel des Grenwahns in ihm spielt. Was erin Demut entwickeln soll, das weist er ab; denn er wrde gerade dadurchdemtig sein, da er sich sagt: Nicht wo ich stehe, sind die Krfte dergeistigen Welt; sondern die mssen erst entwickelt werden; ich muhinaufsteigen; ich darf nicht mit den Krften, die ich schon habe, warten.

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    So sehen wir, wie zu Tuschung, Irrtum, Eitelkeit und Selbstsucht, ja zuallen mglichen Wahnsinnsuntergrnden gerade diese Art von Askesefhren kann, die zunchst auf Erttung des ueren ausgeht und nicht aufErstarkung des Innern. Insbesondere wrde es in unserer heutigen Zeit vondem grten bel sein, wenn jemand nicht durch Erhhung seinerSeelenkrfte, sondern durch Abttung des ueren in die geistige Welt sicherheben wollte. Er spinnt sich dadurch nur in sein eigenes Selbst ein. Daherkann auch fr den gegenwrtigen Menschen das Vorbild zur Askese nichtvon denen geholt werden, die zu ihrer Zeit vielleicht auf einer einsamenSeeleninsel den Zugang gesucht haben zu einer geistigen Welt; sondern dasheutige Ideal einer wahren Askese kann nur bei der heutigen, der modernenGeisteswissenschaft gesucht werden, die fest auf dem Boden derWirklichkeit steht; durch die der Mensch seine Krfte und Fhigkeitenentwickelt, durch die er hinaufsteigt zum Begreifen einer geistigen Welt, dieaber dennoch eine Welt der Wirklichkeit ist; nicht eine Welt, in welche derMensch sich einspinnt.

    Nun gibt es aber noch andere Schattenseiten einer solchen einseitigenAskese. Wenn Sie die ganze umliegende Natur betrachten, werden Siefinden, da, je weiter wir hinaufgehen vom Pflanzenreich zum Tierreich undMenschenreich, die Lebensverhltnisse nach und nach einen ganz anderenCharakter annehmen. Beschftigen Sie sich mit dem, was man nennenknnte Pflanzenkrankheiten, so werden Sie sehen, da diesePflanzenkrankheiten einen durchaus anderen Charakter tragen als das, wasman Krankheiten beim Tier oder gar erst beim Menschen nennt. DennKrankheiten der Pflanzen werden nur von auen bewirkt, durchirgendwelche unnormalen Verhltnisse von Wind und Wetter, Licht undSonnenschein. Diese Verhltnisse der Auenwelt knnen die Pflanzen krankmachen. Gehen Sie nun zum Tier hinauf, so knnen Sie sehen, da auch dasTier in seinen inneren Verhltnissen, wenn es sich selbst berlassen ist,einen weit greren Fonds von Gesundheit hat als der Mensch. Der Menschist eben nicht nur imstande, durch das Leben, in das er hineingestellt ist,durch die Verhltnisse, die ihm von auen entgegentreten, sich krank zumachen, sondern auch durch alles, was sich in sein Inneres oder von dortnach auen ergiet.

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    Damit hngt es nun auf der einen Seite zusammen, da, wenn die Seele nichtrichtig dem Krperlichen angepat ist, wenn dasjenige, was als geistigeAnlage aus frheren Verkrperungen herstammt, sich in seiner Innerlichkeitnicht vollstndig anpassen kann an die uere Krperlichkeit, schon dadurchinnere Ursachen der Erkrankung auftreten, die oft so falsch beurteilt werdenknnen. Da sehen wir, wie innere Krankheiten auftreten knnen alsSymptome dafr, da kein rechtes Zusammenpassen zwischen Leib undSeele da ist. Wir knnen oft sehen, da Menschen, bei denen solcheSymptome auftreten, da die Leiber nicht recht zusammenpassen, gerndarauf zielen, in die hheren Welten hinaufzukommen, indem sie dasLeibliche abzutten versuchen, weil sie durch ihre Krankheitsverhltnisseschon dazu gefhrt sind, ihre Seele abzutrennen von dem Krperlichen, dasnicht vollstndig durchdrungen ist von dem Seelischen. Bei solchenMenschen tritt uns dann entgegen, da der Leib sich in der verschiedenstenWeise in sich selber verhrtet, da er sich in sich selbst gestaltet; und da siesich in ihrer Seele nicht strker gemacht haben, sondern gerade ihreSchwche benutzt haben, um frei zu werden von den Eindrcken derLeiblichkeit, und dadurch ihre gesundenden, erstarkenden und krftigendenFhigkeiten dem Leibe entziehen, kann dann der Leib die Disposition zuallen mglichen Erkrankungen erhalten. Whrend eine gesunde Askese dieKrftigung und Strkung der Seele entwickeln wird, so da die Seele auchwieder zurckwirkt auf den Leib und ihn stark machen wird gegen jedeKrankheitseinwirkung von auen, wird eine falsche Askese den Menschenangreifbar machen fr jeden von auen kommenden Krankheitseinflu.

    Das ist der gefhrliche Zusammenhang zwischen jeder falschen Askeseund den Krankheiten gerade in unserer Zeit. Und das ist es auch, was inweiteren Kreisen, in denen man sich leicht Miverstndnissen gegenbersolchen Dingen hingibt, allerlei Irrtmer hervorrufen kann ber das, wasgeisteswissenschaftliche Weltanschauung dem Menschen bringen kann.Denn gewi werden diejenigen, die auf dem Wege einer falschen Askese zueiner Anschauung der geistigen Welt kommen wollen, ein abschreckendesBild bieten knnen fr die Auenstehenden; denn sie werden durch ihrefalsche Askese ein breites Angriffsfeld den schdlichen Einflssen derAuenwelt geben knnen; sie werden nicht gestrkt und gekrftigt seingegen die Irrtmer unserer Zeit, sondern sie werden ihnen erst rechtausgesetzt sein.

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    Das kann uns auch gerade an mancher theosophischen Geistesstrmungunserer Zeit entgegentreten. Dadurch, da mancherlei sich Theosophienennt, ist es noch nicht mit einem Freibrief versehen, um als geistigeStrmung manchen entgegengesetzten Strmungen der Gegenwartgewachsen zu sein. Wenn Materialismus in der Welt drauen herrscht, so ister ein wenig dem angemessen, was von drauen kommt, den Begriffen, dieman sich in der Sinneswelt von dem machen mu, worauf der sinnlicheBlick gerichtet ist. Daher kann man sagen, da der Materialismus derueren Welt, der nichts von einer geistigen Welt wei, in gewisser Weiseberechtigt ist. Wenn aber eine Weltanschauung auftritt, die ber die geistigeWelt etwas mitteilen will und die, weil sie nicht auf einer wirklichenErstarkung der geistigen Krfte beruht, in sich die materialistischenVorurteile der Zeit in ihren karikierten Formen hineinnimmt, dann ist dasum so schlimmer. Daher ist eine solche theosophische Weltanschauung, inwelche die Irrtmer der Zeit eingedrungen sind, unter Umstnden vielschdlicher als eine materialistische, und es darf wohl darauf hingewiesenwerden, da wirklich materialistische Vorstellungen im weitesten Umfangegerade in die theosophische Weltanschauung eingedrungen sind. Da sprichtman dann vom Geistigen nicht als von Geist, sondern als ob der Geist nureine unendlich verfeinerte nebulose Materie sei. Wenn man vom therleibspricht, stellt man sich nur das Physische ber einen gewissen Grad hinausverfeinert vor und spricht dann von ther-Schwingungen. BeimAstralischen sind dann diese Schwingungen noch feiner, im Mentalenwiederum feiner und so weiter. berall sind Vibrationen, berallSchwingungen. Man kommt eigentlich niemals in eine wirkliche geistigeWelt mit seinen Vorstellungen hinein, sondern bleibt bei solchenVorstellungen stehen, die sich auf eine materielle Welt beziehen sollten. Daerlebt man es dann, da sich die Menschen in Wahrheit einenmaterialistischen Dunst vormachen bei den allergewhnlichstenLebenserscheinungen.

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    Wenn man zum Beispiel irgendwo ist, wo man spren kann, da eine guteStimmung herrscht, wo die Seelen der Menschen zusammenklingen undeiner, der das fhlt, etwa sagt, es herrsche eine harmonische Stimmung indiesem Kreis von Menschen, so mag das alltglich ausgedrckt sein, aber esist richtig und fhrt eher zu einem richtigen Verstndnis, als wenn in einerGesellschaft von Theosophen einer sagt: O, hier sind feine Vibrationen!Dazu mu man ja erst theosophischer Materialist sein und sich einegrobklotzig gedachte Materie vorstellen, um davon sprechen zu knnen.Und dem, der ein Gefhl dafr hat, vergeht dann seine Stimmung; dasGanze vernebelt sich, wenn die Betreffenden ihre vibrations oderVibrationen herumtanzen lassen. Da sehen wir, wie auf diesem Gebietedurch das Eindringen materialistischer Vorstellungen in eine geistigeWeltanschauung ein abschreckendes Bild geschaffen werden kann fr dieAuenstehenden, die dann sagen knnen: Diese Leute haben eine geistigeWelt; aber anders ist es auch nicht als bei uns: bei uns tanzt der Lichtther,bei denen tanzt sogar der geistige ther! Das ist ein und derselbeMaterialismus. Materialismus hier, Materialismus da!

    Das sollte man durchaus im rechten Lichte sehen! Dann wrde man nichtmehr eine falsche Anschauung gewinnen knnen ber das, was diegeisteswissenschaftliche Weltanschauungs-Strmung in unserer Zeit denMenschen bringen kann. Dann wrde man einsehen, da Askese auch etwassein kann, was durch Erstarkung des Seelenlebens hinauffhrt in die geistigeWelt und dadurch auch wieder neue Krfte hineinbringen kann in unserphysisch-materielles Dasein. Diese Krfte sind dann keine krankmachendenKrfte, sondern gesund wirkende Krfte; sie fhren unserm Leiblichengesunde Lebenskrfte zu. Es ist freilich schwerer, zu konstatieren, ob eineWeltanschauung uns gesunde Lebenskrfte zufhrt oder kranke; die krankensieht man in der Regel, whrend man die gesunden gewhnlich nichtbeachtet. Wer es beobachten kann, der wird sehen, wie diejenigen, die ineiner wahren Geistesstrmung stehen und sich von ihr befruchten lassen,gesunde Krfte aus ihr ziehen, die bis in das Physische gesundendherunterwirken knnen. Und der wird auch sehen, wie dieKrankheitserscheinungen nur wirken knnen, wenn etwas von derAuenwelt, was nicht aus einer geistigen Strmung fliet, hineingetragenwird in eine geistige Strmung.

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    Das wirkt dann aber schlimmer innerhalb der geistigen Strmung, als wennes drauen bleibt, wo der Mensch durch die Konventionen davor geschtztist, da gewisse Irrtmer zu starke Wirkungen hervorbringen.

    Wenn wir diese Dinge so aufnehmen, werden wir wahre Askese auffassenals eine Vorbung zu einem hheren Leben, als eine Entwickelung vonKrften, und werden das gute alte griechische Wort wiederum so verstehen,wie es gemeint ist. Denn askein heit sich bemhen, sich starkmachen, ja sogar sich schmcken, da sich die Menschlichkeit an einemoffenbaren kann gegenber der Welt. Askese ist ein Sich-stark-Machen,wenn sie in ihrem richtigen Sinne aufgefat wird. Wenn sie aber soaufgefat wird, da der Mensch die Seele lassen will, wie sie ist, und danndurch Herabstimmen der ueren Leiblichkeit etwas erreichen will, danntrennt er die Seele von dem Leib und macht den Leib zum Angriffspunktaller mglichen schdlichen Einflsse, und dann ist Askese ein Quell allermglichen Erkrankungsverhltnisse des Leibes.

    Was die Licht- und Schattenseiten des Egoismus sind, wird sich uns inder Betrachtung des Wesens des Egoismus zeigen. Heute wird sich Ihnenaber gezeigt haben, da es bei der wahren, richtigen Askese daraufankommt, wie sie wirkt, was sie fruchtet, wie sie sich in die Welt gerade sohineinstellt, da sie niemals Selbstzweck sein kann, sondern nur Mittel zurErreichung eines hheren Menschheitszieles, zum Hineinleben in diehheren Welten. Daher mu der Mensch, wenn er zu dieser Askeseschreiten will, einen sicheren Boden der Wirklichkeit unter seinen Fenhaben. Er darf nicht fern und fremd werden in der Welt, in die erhineingestellt ist; sondern er mu jederzeit die Welt wiedererkennen. Was eraus der hchsten der Welten herunterbringen kann in diese Welt, das mu erhier in dieser Welt wiederum an seiner Arbeit bemessen und beurteilenknnen; denn sonst knnten leicht diejenigen Recht haben, welchebehaupten, Askese wre nicht Arbeit, sondern Miggang! Miggang kannallerdings sehr leicht der Anla zu einer falschen Askese werden undbesonders in unserer heutigen Zeit. Wer aber seine Verhltnisse sicher undfest macht und nicht den Boden unter den Fen verliert, der beachtetgerade einer so ernsten Sache wie unsern menschlichen Fhigkeitengegenber ein hchstes Ideal in der Askese.

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    O, es knnen unsere Ideen hoch hinaufsteigen, wenn wir uns ein Ideal fralles ben menschlicher Fhigkeiten, wie sie wirken sollen in der Welt, vorAugen fhren.

    Sehen wir uns einmal das Alte Testament in seinem Anfange an. Da heites: Und Gott sprach: Es werde Licht! ... Von Tag zu Tag lt Gott aus dergeistigen Welt die physisch-sinnliche Welt entstehen; und am Schlsse einesjeden Tages fhlt sich der Gott befriedigt, wenn er die physische Welt, dieaus der geistigen herausgeschaffen ist, ansieht, so da er sagen kann: Es istgut! Und Gott sah, da es gut war! So mssen wir von dem festenBoden der Wirklichkeit, auf dem wir zunchst stehen, uns unser gesundesDenken, unsern sicheren Charakter, unsere unbeirrten Gefhle erhalten,hineinsteigen in die geistige Welt, die Tatsachen, aus denen alle physischeWelt herausgeboren ist, erforschen, aber wir mssen uns die Mglichkeitbewahren, wenn wir die gewonnenen Krfte in der physischen Welt zurAnwendung bringen und sehen, wie sie in die Welt hineinpassen, uns dannsagen zu knnen: Wenn wir uns als Geistesforscher, als Geisteswisser undGeisterkenner zur Umwelt stellen und sehen, wie die Krfte, die wirentwickelt haben, in die Welt hineinpassen, dann zeigt sich uns, da es gutwar. Wenn wir unsere Krfte so in der wirklichen Welt erproben, die wirdurch eine richtige Askese gewinnen knnen, dann erwerben wir uns dasRecht, da wir jetzt sagen knnen, wenn wir sie gebrauchen: Siehe da, siesind gut!

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    Der menschliche Charakter

    Es kann einen tiefen Eindruck auf die menschliche Seele machen, wenn mandie Worte liest, die Goethe niedergeschrieben hat in Anknpfung an dieBetrachtung von Schillers Schdel. Diese Betrachtung konnte er anstellen,als er zugegen war beim Ausgraben von Schillers Leichnam, da dieser ausdem provisorischen Grab, in dem er war, in die weimarische Frstengrufthinbergetragen werden sollte.

    Da nahm Goethe Schillers Schdel in die Hand und glaubte an derFormung und Prgung dieses wunderbaren Gebildes das ganze Wesen vonSchillers Geist wie in einem Abdruck wiederzuerkennen. Wie da dasgeistige Wesen sich ausdrckt in den Linien und Formen der Materie, dasinspirierte Goethe zu den schnsten Worten:

    Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,Als da sich Gott-Natur ihm offenbare,Wie sie das Feste lt zu Geist verrinnen,Wie sie das Geist-Erzeugte fest bewahre!

    Wer eine solche Stimmung wie diejenige, die damals durch Goethes Seelezog, zu wrdigen versteht, der wird leicht, von ihr ausgehend, seineGedanken hinlenken knnen zu all jenen Erscheinungen im Leben, wo einInneres sich herausarbeitet, um sich in materieller Form, in plastischerGestaltung, in Linien und sonstigem uerlich zu offenbaren. Imeminentesten Sinn aber haben wir ein solches Prgen und Abdrcken, einsolches Offenbaren eines inneren Wesens in demjenigen vor uns, was wirden menschlichen Charakter nennen. In dem menschlichen Charakter drcktsich ja auf die mannigfaltigste Weise aus, was der Mensch immer wiederund wiederum darlebt; ein Einheitliches verstehen wir darunter, wenn wirvon dem menschlichen Charakter sprechen. Ja, wir haben dabei das Gefhl,da Charakter etwas ist, was sozusagen zum ganzen Wesen des Menschennotwendig gehrt, und da es sich uns als Fehler darstellt, wenn das, was derMensch denkt, empfindet und tut, sich nicht in einer gewissen Weise zueinem Einklang vereinigen lt.

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    Von einem Bruch im menschlichen Wesen, von einem Bruch in seinemCharakter sprechen wir als von etwas wirklich Fehlerhaftem in seiner Natur.Wenn sich der Mensch im Privatleben mit diesem oder jenem Grundsatzund Ideal auen und ein andermal im ffentlichen Leben in ganzentgegengesetzter oder wenigstens abweichender Weise, so sprechen wirdavon, da sein Wesen auseinanderfllt, da sein Charakter einen Bruch hat.Und man ist sich bewut, da ein solcher Bruch den Menschen berhauptim Leben in schwierige Lagen oder gar wohl in den Schiffbruchhineintreiben kann. Was eine solche Zerspaltung des menschlichen Wesensbedeutet, darauf wollte Goethe hinweisen in einem bemerkenswertenSpruch, den er seinem Faust einverleibt hat. Einen Spruch berhren wirda, der sehr hufig, sogar von Menschen, die da glauben zu wissen, wasGoethe im Innersten wollte, falsch angefhrt wird. Es ist gemeint der Spruchim Goetheschen Faust:

    Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,Die eine will sich von der andern trennen;Die eine hlt in derber LiebeslustSich an die Welt mit klammernden Organen;Die andre hebt gewaltsam sich vom DustZu den Gefilden hoher Ahnen.

    Diese Zweispaltung in der Seele wird sehr hufig so angefhrt, als ob sieetwas Erstrebenswertes fr den Menschen sei. Goethe charakterisiert siedurchaus nicht unbedingt als etwas Erstrebenswertes, sondern es zeigt sichan der Stelle ganz genau, da er den Faust in jener Epoche sagen lassenwill, wie unglckselig er sich fhlt unter dem Eindruck der zwei Triebe,von denen der eine nach idealen Hhen geht, der andere nach demIrdischen herunterstrebt. Etwas Unbefriedigendes soll damit angedeutetwerden. Gerade dasjenige, worber Faust hinaus soll, das will Goethe damitcharakterisieren. Wir drfen diesen Zwiespalt nicht anfhren als etwasBerechtigtes im menschlichen Charakter, sondern nur als etwas, was geradedurch den einheitlichen Charakter, der gewonnen werden soll, zuberwinden ist.

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    Wenn wir aber das Wesen des menschlichen Charakters vor unsere Seeletreten lassen wollen, so mssen wir auch heute wieder bercksichtigen, waswir zur Charakteristik des Wesens der Andacht skizzierten. Wir habenwiederum zu bercksichtigen, da dasjenige, was wir das eigentlichemenschliche Seelenleben, das menschliche Innere nennen, nicht einfach einChaos von durcheinanderwogenden Empfindungen, Trieben, Vorstellungen,Leidenschaften, Idealen ist; sondern wir haben uns mit aller Klarheit zusagen, da diese menschliche Seele in drei voneinander gesonderte Gliederzerfllt; da wir ganz genau unterscheiden knnen: das unterste Seelenglied,die Empfindungsseele; das mittlere Seelenglied, die Verstandes- oderGemtsseele; und das hchste Seelenglied, die Bewutseinsseele. Diese dreiGlieder sind im menschlichen Seelenleben zu unterscheiden. Sie drfen aberin dieser menschlichen Seele nicht auseinanderfallen. Die menschliche Seelemu eine Einheit sein. Was verbindet nun im Menschen diese dreiSeelenglieder zu einer Einheit? Das ist eben dasjenige, was wir imeigentlichen Sinne das menschliche Ich, den Trger des menschlichenSelbstbewutseins nennen.

    So erscheint uns denn dieses menschliche Seelenwesen so, da wir eszerspalten mssen in seine drei Glieder- das unterste Seelenglied: dieEmpfindungsseele, das mittlere Seelenglied: die Verstandesseele oderGemtsseele, und das hchste Seelenglied: die Bewutseinsseele , und eserscheint uns das Ich gleichsam als das Ttige, als der Akteur, der innerhalbunseres Seelenwesens auf den drei Seelengliedern spielt, wie ein Menschspielt auf den Saiten seines Instruments. Und jene Harmonie oderDisharmonie, welche das Ich hervorbringt aus dem Zusammenspiel der dreiSeelenglieder, ist das, was dem menschlichen Charakter zugrunde liegt.

    Das Ich ist wirklich etwas wie ein innerer Musiker, der bald dieEmpfindungsseele, bald die Verstandesseele oder Gemtsseele, bald dieBewutseinsseele mit einem krftigen Schlag in Ttigkeit versetzt; aberzusammenklingend erweisen sich die Wirkungen dieser drei Seelengliederwie eine Harmonie oder Disharmonie, die sich vom Menschen ausoffenbaren und als die eigentliche Grundlage seines Charakters erscheinen.

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    Freilich, so haben wir den Charakter nur ganz abstrakt bezeichnet, dennwenn wir ihn verstehen wollen, wie er im Menschen eigentlich auftritt, dannmssen wir etwas tiefer noch eingehen auf das ganze menschliche Lebenund Wesen; wir mssen zeigen, wie sich dieses harmonische unddisharmonische Spiel des Ich auf den Seelengliedern in der ganzenmenschlichen Persnlichkeit, wie sie vor uns steht, ausprgt, wie sie nachauen sich offenbart.

    Dieses Menschenleben das haben wir schon fter betont tritt uns ja sovor Augen, da es alltglich wechselt zwischen den Zustnden des Wachensund den Zustnden des Schlafes. Wenn der Mensch des Abends einschlft,so sinken in ein unbestimmtes Dunkel hinunter seine Empfindungen, seineLust, sein Leid, seine Freude, sein Schmerz, alle Triebe, Begierden undLeidenschaften, alle Vorstellungen und Wahrnehmungen, Ideen und Ideale;und das eigentliche Innere geht ber in einen Zustand des Unbewutseinsoder des Unterbewutseins.

    Was ist da geschehen?Nun, was da geschehen ist beim Einschlafen, das wird uns klar, wenn wir

    uns an etwas erinnern, was schon auseinandergesetzt worden ist: da derMensch ein kompliziertes Wesen ist fr die Geisteswissenschaft, da er sichberhaupt aus verschiedenen Gliedern bestehend darstellt. Was uns hierberschon bekannt ist, mu heute wieder skizziert werden, damit wir das ganzeWesen des Charakters begreifen knnen, das da dem Menschen zugrundeliegt.

    Alles das am Menschen, was uns gegenber der ueren Sinnesweltzutage tritt, was wir mit Augen sehen knnen, mit Hnden greifen knnen,was die uere Wissenschaft allein betrachten kann, das nenntGeisteswissenschaft den physischen Leib des Menschen. Das aber, wasdiesen physischen Leib des Menschen durchzieht und durchwebt, das, wasdiesen physischen Leib zwischen Geburt und Leben verhindert, einLeichnam zu sein, seinen eigenen physischen und chemischen Krften zufolgen, das nennen wir in der Geisteswissenschaft den ther- oderLebensleib. Im Grunde setzt sich der uere Mensch aus dem physischenund therleibe zusammen. Dann haben wir ein drittes Glied dermenschlichen Wesenheit; das ist der Trger von alledem, was wirhinuntersinken sehen mit dem Einschlafen in ein unbestimmtes Dunkel.

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    Dieses dritte Glied der menschlichen Wesenheit bezeichnen wir mit demAusdruck astralischer Leib. Dieser astralische Leib ist der Trger von Lustund Leid, Freude und Schmerz, von Trieben, Begierden und Leidenschaften,von alledem, was eben im Wachleben auf- und abwogt in der Seele. Und indiesem Astralleibe ist der eigentliche Mittelpunkt unseres Wesens: das Ich.Fr unseren gewhnlichen Menschen gliedert sich aber dieser Astralleibweiter, denn in ihm finden wir als Unterglieder gleichsam dasjenige, wasIhnen aufgezhlt worden ist als die Seelenglieder: die Empfindungsseele,die Verstandesseele, die Bewutseinsseele.

    Wenn nun der Mensch des Abends einschlft, so bleiben im Bette liegenphysischer Leib und therleib; heraus tritt der Astralleib mit all dem, waswir Empfindungsseele, Verstandesseele oder Gemtsseele, Bewutseins-seele nennen; heraus tritt auch das Ich. Astralleib und Ich nun, in ihrerganzen Wesenheit, sind whrend des Schlafzustandes in einer geistigenWelt. Warum kehrt der Mensch jede Nacht in diese geistige Welt ein?Warum mu er seinen physischen Leib und seinen therleib jede Nachtzurcklassen? Das hat seinen guten Sinn fr das menschliche Leben. Wirknnen diesen Sinn so recht vor unsere Seele s