Rundbrief 2-2003

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Ermutigung zum sozialen Wandel - zur Rolled er Settlements Nachbarschaftsdzentren, von Dr. Herbert Scherer, Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Landesgruppe Berlin Eine Reise nach St. Petersburg von Harald Hübner, Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum in der Ufa Fabrik, Berlin Kiez - Aktiv - Kasse in Köpenick-Dammvorstadt von Hella Pergande, Rabenhaus e.V. Aufbau eines stationären Hospizes von Stefan Schütz, Nachbarschaftsheim Schöneberg, Berlin Gewerbetreibende - Eine zu wenig genutzte Ressource von Markus Runge, Nachbarschaftsheim Urbanstr., Berlin Theater der Erfahrungen von Johanna Kaiser und Eva Bittner, Nachbarschaftsheim Schöneberg, Berlin AQUARIS - Erfolgreiches Beispiel für sozialräumlich orientierte Stadtteilarbeit in Solingen, von Anne Preuss, Stadt Solingen Integration ist, wenn ich mich verständigen kann von Maneesorn Koldehofe, Mädchenbüro, Nachbarschaftsheim Frankfurt Main-Bockenheim

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herbert
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Inhaltsverzeichnis

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• Vorwort 5

• Ermutigung zum sozialen Wandel – zur Rolle der Settlements und Nachbarschaftszentren, 7 - 10von Dr. Herbert Scherer, Verband für sozial – kulturelle Arbeit, Landesgruppe Berlin

• Eine Reise nach St. Petersburg, von Harald Hübner, Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum 10 - 15in der Ufa Fabrik, Berlin

• Kiez – Aktiv – Kasse in Köpenick – Dammvorstadt, von Hella Pergande, Rabenhaus e.V. 15 - 16

• Aufbau eines stationären Hospizes von Stefan Schütz, Nachbarschaftsheim Schöneberg, Berlin 16 - 20

• Gewerbetreibende – Eine zu wenig genutzte Ressource, 20 - 22von Markus Runge Nachbarschaftsheim Urbanstraße, Berlin

• Theater der Erfahrungen, von Johanna Kaiser und Eva Bittner, 22 - 24Nachbarschaftsheim Schöneberg, Berlin

• AQUARIS – Erfolgreiches Beispiel für sozialräumlich orientierte Stadtteilarbeit in Solingen, 24 - 26Anne Preuss, Stadt Solingen

• Integration ist, wenn ich mich verständigen kann, von Maneesorn Koldehofe, Mädchenbüro, 26 - 29Nachbarschaftsheim Frankfurt a.M.- Bockenheim

• Wohngemeinschaft für demenziell erkrankte Menschen, 29 - 30von Karen Gebert Nachbarschaftsheim Schöneberg, Berlin

• Aus dem Archiv – Zeitgeschichte der Settlementbewegung, die Dokumentation des 31 - 36IV. Kongresses des Internationalen Verbandes der Nachbarschaftshäuser„International Federation of Settlements“, der vom 16. bis 20. Juli 1932 in Berlin

• Xaga das Dorfspiel und Xaga das Stadtspiel entwickelt 37 - 38vom Netzwerk Südost e.V. Leipzig sind erschienen

• Kooperation und Vernetzung in Berlin – ein Verbund für flexible Hilfen zur Erziehung, 38 - 39von Renate Wilkening, Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum in der UFA Fabrik

• Vorankündigung CD Bürgerschaftliches Engagement 40

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Vorwort

Liebe Leser/innen,

vor Ihnen liegt der Rundbrief des Verbandes für sozial - kulturelle Arbeit. Dieser Rundbrief istder letzte, den wir von unserer Geschäftsstelle in Köln aus produzieren. Der Verband verlegtseine Geschäftsstelle zum Jahresende nach Berlin und ist zukünftig in der Tucholsky Str. 11 inBerlin-Mitte ansässig. Wir werden damit unsere Kräfte bündeln und unter einem Dach mitder Landesgruppe in Berlin alle verfügbaren Synergien und Ressourcen nutzen. So stärken wir unseren Verband und entwickeln die Arbeit kontinuierlich weiter.

Wir freuen uns, Ihnen mit diesem Rundbrief einen Einblick in die Arbeit unserer Mitgliedsein-richtungen zu geben und damit die Vielfalt in der sozial - kulturellen Arbeit zu dokumentie-ren. Die Themen sind so vielfältig wie die Arbeit vor Ort, von spielerischen Zugängen zurStadt- und Regionalentwicklung, über ein vom Netzwerk Südost entwickeltes Spiel bis hinzum Fundraising des Nachbarschaftsheimes Schöneberg zum Aufbau eines stationären Hos-pizes in Berlin. Die Suche nach und das Aktivieren von den Ressourcen und Potentialen imStadtteil bei den Bewohnern ist ein prägendes Element der sozial - kulturellen Arbeit, dasssich in vielen der Beiträge aus der Praxis für die Praxis wieder findet.

Dennoch darf und soll nicht verschwiegen werden, dass die Zeiten für Nachbarschaftsheimeund Bürgerzentren hart sind. Viele unserer Mitgliedseinrichtungen sind im Sog der kollabie-renden kommunalen Finanzen in einen bedrohlichen Existenzkampf geraten sind, dessenEnde manchmal nicht absehbar ist.

Einen Blick über den Tellerrand, wie ihn der Beitrag über eine Reise ins ferne St. Petersburgoder eine Reise in die Geschichte der Nachbarschaftsarbeit bis quasi an den Vorabend desdritten Reiches lässt zwar unsere Probleme in einem anderen Licht erscheinen. Dennoch dieLage ist angespannt. Das dabei die Lösungsansätze in Stadtteilen nicht verloren gehen, Gehörund einen Platz finden, soll unser Beitrag zu diesem Prozess sein.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen

eine schöne Adventszeit, ein fröhliches Weihnachtsfest

und ein glückliches neues Jahr 2004.

Bleiben Sie uns gewogen.

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Ermutigung zum sozialen Wandel – zur Rolle der Settle-ments und Nachbar-schaftszentrenIn Kaunaus (Litauen) fand vom 14.–17. Mai auf Einla-dung der Technischen Universität und der Stadtver-waltung von Kaunas sowie der Vereinigung der Stadt-verwaltungen Litauens (vergleichbar unserem Städte-tag) ein internationales Seminar zum Thema: „Die Rol-le der Stadtverwaltung und der Universität in derGemeinwesenentwicklung“ statt.

Die inhaltliche Verantwortung lag bei unserem inter-nationalen Dachverband IFS (International Federationof Settlements and Neighbourhood Centres) und derDekanin der sozialwissenschaftlichen Fakultät derTechnischen Universität Kaunas, Frau Viktorija Bars-auskiene.

Im Rahmen dieser Tagung, aus deren Anlass sich auchdie „Eurogroup“ des IFS in Kaunas traf, hielt HerbertScherer, Geschäftsführer der Berliner Landesgruppedes Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit und Mitgliedim Board von IFS, den im Folgenden abgedrucktenVortrag (Übersetzung aus dem englischen Originalerfolgte durch den Verfasser selbst).

Herbert Scherer

Während eines Essens mit den Organisatorinnen die-ser Konferenz stellte eine von ihnen eine Frage, diemir zu denken gab: Mit einem Blick auf die Teilneh-merliste fragte sie mich, ob ich ihr erklären könne,warum sich in unserer Delegation keine Professorender Sozialarbeit oder verwandter Disziplinen befän-den, wo es doch in dem Seminar um das Verhältnisvon Stadtverwaltung und Universität bei der Ent-wicklung des Gemeinwesens gehe.

O.K., dachte ich, eine gute Frage. Ich möchte versu-chen, sie zu beantworten:

Wo sind sie, die Professoren, die Vertreter der Univer-sitäten? Wie stehen wir, die Leute von den Nachbar-schaftszentren heute zu den Universitäten und Fach-hochschulen für Sozialarbeit, wie sah das Verhältnisfrüher aus und wie stellt es sich heute dar?

Ich möchte mit einem Beispiel beginnen: Vor circafünf Jahren ging ein Studierender der Berliner Fach-hochschule für Sozialarbeit nach Abschluss seiner

theoretischen Ausbildung nach Vancouver in Kana-da, um als Praktikant in einem der dortigen Settle-ments erste praktische Erfahrungen in der Sozialar-beit zu machen. Er war sehr beeindruckt davon, wiedie Kanadier die Freiwilligenarbeit gestalten. Als erwieder in Berlin war, legte er einen Praktikumsbe-richt vor, in dem er diesen Ansatz sehr lobte. Bei dermündlichen Prüfung stellte sich heraus, dass seinProfessor über die Schlussfolgerungen des Berichtssehr erzürnt war. Er versuchte dem Studenten klar zumachen, dass er gerade ein Grundprinzip jeder pro-fessionellen Sozialarbeit verletzt habe, das da lautet:Tue nie etwas, das deinen Job gefährdet und dichselbst überflüssig machen könnte.

Es soll hier nicht behauptet werden, dass dieses Bei-spiel sehr typisch ist, aber es ist wirklich passiert undmacht ein Problem deutlich: Wir finden keine100%ige Übereinstimmung zwischen dem Arbeits-ansatz der Nachbarschaftszentren und den Ausbil-dungsstätten der professionellen Sozialarbeit. Wirmüssen an dieser Beziehung arbeiten. Das klingtseltsam, wenn wir auf die Wurzeln unserer Bewe-gung im 19. Jahrhundert zurückblicken: Die erstenSettlements wurden in England von Leuten aus derUniversität gegründet, von Universitätslehrern, Stu-denten und Absolventen der Universitäten.

Das war 1884/85. Toynbee Hall und Oxford House, inArbeitervierteln von Ost-London gelegen, wurdenSettlements (= Siedlungen) genannt, weil die Akade-miker, die aus den oberen Gesellschaftsschichtenstammten (sie kamen aus den bestetablierten Uni-versitäten Oxford und Cambridge) und die etwasgegen Armut, Unterdrückung und Verzweiflungunternehmen wollten, tatsächlich ihren Beschlussumsetzten, unter den Armen bzw. in ihrer Nachbar-schaft zu leben. Sie „siedelten“ hier.

„Eine Ansiedlung von Universitätsleuten wird einwenig dazu beitragen, die Ungleichheiten desLebens zu beseitigen, weil die Siedler ihr Bestes mitden Armen teilen und am eigenen Leibe erfahren,wie sie leben.“ (Samuel Barnett)

Das klingt sanft, aber es war, wie Sie sich denken kön-nen, äußerst radikal, auf diese Weise die Probleme derZeit anzugehen, und ein Ansatz, der sich grundsätzlichvon den damals vorherrschenden Haltungen zur „sozi-alen Frage“ unterschied. Die Siedler lehnten einerseitsdie „laissez faire“-Position ab, die die Probleme leugne-te, welche von der unter kapitalistischen Vorzeichenvollzogenen industriellen Revolution verursacht wor-den waren, andererseits wollten sie die Wunden nichtdurch Fürsorge heilen. Das hätte ihrer Meinung nachbedeutet, die Ungerechtigkeiten der Lebensbedingun-gen als gegeben zu akzeptieren. Sie wollten nicht aufden sozialen Wandel verzichten. Aber der soziale Wan-del sollte ihrer Meinung nach durch friedliche Mittelerreicht werden. Deswegen wandten sie sich ebenfallsgegen die Idee einer sozio-ökonomischen Revolution.

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Treibende Kraft hinter diesen Vorstellungen war einstarker Glaube an christliche Werte. Barnett selbstwar ein Pfarrer und die meisten seiner Gefolgsleutewaren dem christlichen Glauben sehr stark verbun-den. In gewisser Hinsicht folgten sie dem Beispielder Missionare, aber mit einem bedeutsamen Unter-schied: Anders als z.B. die Heilsarmee versuchten sienicht, ihren Glauben den Menschen überzustülpen,die sie erreichen wollten.

Sie akzeptierten es als Realität, dass die meisten die-ser Menschen nicht wirklich interessiert an der Reli-gion waren. Aber auch sie wollten ihnen etwas brin-gen, nicht die Religion, sondern – in Samuel Barnettseigenen Worten – 'das Leben der Universität sollteeinen Einfluss auf das Leben der Armen bekommen,unabhängig von Konfession oder Glauben‘. Wissen,Bildung, Lebensfreude, das waren die Gedanken, diesie mit sich brachten, um den Menschen mehr Kraftzu geben, ihre schwierigen Lebenssituationen bewäl-tigen und sich selbst helfen zu können, sowie selbst-bewusste Partner bei sozialen Reformen zu werden.

Die soziale Frage, auf die die Siedler eine Antwort zufinden suchten, war mehr oder weniger die gleichein der ganzen kapitalistischen Welt. Dieser neueAnsatz war so faszinierend und wurde von vielen sosehr als die lang ersehnte Alternative zu Unterdrück-ung auf der einen und Revolution auf der anderenSeite gesehen, dass die ersten Settlements von fort-geschrittensten und engagiertesten Sozialreformernaus aller Welt besucht wurden.

Innerhalb weniger Jahre wurden nach diesem Vor-bild Settlements in einem Land nach dem anderenbegründet: in den Vereinigten Staaten, in Schottland,Irland, den Niederlanden, Kanada, Deutschland. Undwieder vollzogen sich diese Bewegungen aus Univer-sitäten heraus – was heute noch an ihren Namenerkenntlich ist: Man findet „University Settlements“z.B. heute noch in New York, Toronto und Edinburgh.

Interessanterweise weist auch der erste Dachver-band von Settlements in seinem Namen auf dieseTradition hin. Er wurde 1889 in Amerika als „CollegeSettlements Association“ gegründet. Das heißt, dassdie Geschichte von IFS, des Internationalen Verban-des der Settlements und Nachbarschaftszentren, derschließlich im Jahre 1926 in Paris gegründet wurde,aufs engste mit Universitäten verknüpft ist.

Wir müssen bei dieser Betrachtung bedenken, dasses damals noch keine professionelle Sozialarbeit gabund dass die Menschen, die sich dazu entschieden,für einen Zeitraum von zwei, drei oder vier Jahren ineinem Settlement zu leben, aus einer Vielzahl unter-schiedlicher Berufsrichtungen kamen und nach ihrerSettlement-Zeit wieder in ganz verschiedene Berei-che der Gesellschaft hineingingen, um sich dort inder Regel weiter für sozialen Wandel und sozialeGerechtigkeit einzusetzen. Das bedeutet, dass derEinfluss der Settlements auf das Entstehen von so

etwas wie Sozialpolitik einen enormen Einflussgehabt hat und dass die Wirkung der Settlement-arbeit nicht auf die unmittelbare Nachbarschaft derEinrichtungen beschränkt war. Loren M. Pacey hatein Buch über die Geschichte der Settlement-Arbeitgeschrieben, das 1950 in New York veröffentlichtwurde. In diesem Buch gibt sie einen sehr schönzusammengefassten knappen Überblick darüber,was mit der Bewegung von ihren Anfängen bisdamals geschehen war. Ich möchte sie gerne zitie-ren:

„Es scheint, dass viele der Missstände, die die Settle-ments in den frühen Jahren aufgedeckt haben, in Fol-ge ökonomischer, sozialer und gesetzgeberischer Ver-änderungen verschwunden sind. Vieles, für das diePioniere gekämpft haben, gilt heute als selbstver-ständlich. Anfangs waren die Settlement-Mitarbeiternur ein paar Stimmen, die sich in der Wildnis derStädte Gehör zu verschaffen suchten – die einzigenSprecher für eine ausgebeutete Bevölkerungsschicht.Jetzt gibt es eine entwickelte Vielfalt öffentlicher undprivater sozialer Dienstleistungen – und es gibt Hun-derte von Fürsprechern. ... Nichtsdestoweniger ist dasLeben in den Städten immer noch unpersönlich; dieRegierung wird korrumpiert durch Einzelinteressen;die Indikatoren für Wohnung, Bildung und Gesund-heit weisen auf Substandard hin; Vorurteile, Unge-rechtigkeit und Missverständnisse berauben Men-schen ihrer Rechte zu sprechen, zu arbeiten und eineglückliche Zukunft für ihre Kinder zu gestalten. DieProbleme der Stadt sind nicht alle gelöst, und es istunbedingt notwendig, dass die Menschen lernen, beider Bewältigung örtlicher Probleme zu kooperieren,wenn sie sich die Tatsache bewusst machen, dass siealle Bürger einer Welt sind, die sich mit großen inter-nationalen Unterschieden auseinander zu setzenhaben.“

Das wurde 1950 geschrieben, aber das Meiste klingtnoch ziemlich aktuell, insbesondere in Bezug auf dasThema Globalisierung, das im letzten Satz angedeu-tet wird.

Trotzdem bleibt die Frage, was alle diese Geschich-ten aus der Vergangenheit mit der heutigen Wir-klichkeit von Nachbarschaftszentren und ihremweltweiten Dachverband IFS zu tun haben, der Mit-gliedsorganisationen in 33 Ländern hat, die wiede-rum Tausende lokaler Zentren und Gemein-wesenorganisationen vertreten. Nur sehr wenigevon diesen tragen noch den Namen Settlement,andere Bezeichnungen sind: Nachbarschaftszentren,soziale Zentren, sozio-kulturelle Zentren, SozialeAktionszentren usw. Aber auch die, die sich mitihrem Namen zu der Tradition bekennen, sind nichtmehr Zentren, in denen Aktivisten wohnen, sondernin der Regel große Institutionen, die ein breites Spek-trum sozialer Dienste anbieten, und Orte, von denenSozialarbeit ausgeht.

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Immer wieder einmal gibt es in unserem VerbandDiskussionen darüber, ob wir den traditionellenNamen beibehalten sollen, der ja immerhin missver-ständlich ist und von kaum jemandem außerhalbunseres eigenen Umfeldes verstanden wird. Aberbisher sind wir immer zu dem Schluss gekommen,den alten Namen beizubehalten, womit wir uns zueiner Tradition bekennen, auf die wir nicht nur stolzsind, sondern die wir auch als Herausforderung be-greifen, einige Grundprinzipien nicht zu vergessen,die immer noch gültig sind und die uns in unsererArbeit als Wegweiser dienen können.

In unseren Mitgliedskriterien gibt es nur die Bedin-gung, dass die Zentren, die von IFS oder den nationa-len und regionalen Dachverbänden unter seinenMitgliedern vertreten werden, multifunktional undgemeinwesenbezogen sein sollen. Aber wenn wirüber Ziele und Aufgaben sprechen, sind viele derRichtlinien, die die Pioniere unserer Bewegung formu-liert haben, immer noch sehr lebendig – und geradeaus diesem Grund repräsentieren wir nicht x-beliebi-ge soziale Einrichtungen, sondern ganz spezielle.

Ich möchte gerne ein paar dieser Prinzipien –Prinzipien der Nachbarschaftszentren – aufzählen:

• Nachbarschaftszentren definieren Menschen inNot nicht als Klienten, sondern sie nennen sieBesucher, Nachbarn oder Teilnehmer. Sie strebenan, in ihnen Partner bei der Lösung ihrer Problemezu finden.

• Nachbarschaftszentren arbeiten für bessere Nach-barschaften. Das hat eine doppelte Bedeutung:– Zu helfen, bessere Rahmenbedingungen für die

Menschen zu schaffen, damit sie besser dafürgerüstet sind, Probleme auf die eigene Kraftgestützt zu lösen (im Gegensatz zur Abhängig-keit von fürsorglichen Helfern).

• – Brücken zwischen Menschen unterschiedlicherHautfarbe und mit unterschiedlichem sozialen,kulturellen und politischen Hintergrund zu bauen,um gute Nachbarschaftsbeziehungen als Basis fürgegenseitige Hilfeleistungen zu schaffen.

• Nachbarschaftszentren sind gegründet auf das frei-willige Engagement von Bürgern, Nachbarn undTeilnehmern. Sie schließen ein starkes Element vonfreiwilliger unbezahlter Arbeit ein und sie bietenMöglichkeiten an für Menschen, die für sich selbstund andere aktiv werden wollen.

• Auch wenn sie finanzielle Unterstützung von Regie-rungen und Stadtverwaltungen bekommen, sindNachbarschaftszentren strikt „Nicht-Regierungs-Organisationen“ (NGO's), die Verantwortung auf derBasis ihrer eigenen Wertvorstellungen und Prinzi-pien übernehmen. Sie können Vereinbarungen loyalumsetzen, aber sie nehmen keine Befehle entgegen.

• Soziale Wohlfahrt, wie sie von den Nachbarschafts-zentren befördert wird, wird als eine viel breiterangelegte Sache als die reine Erbringung sozialerDienstleistungen gesehen. Dazu gehören auch kul-turelle und Freizeitaktivitäten. Das ist es, was wirsozial-kulturelle Arbeit nennen.

• Informelle Bildung gehört ebenfalls zu den beson-ders wichtigen Angeboten eines Nachbarschafts-zentrums. Auf meinem Lieblings-Mouse-Pad,gestaltet von den „Pillsbury Neighborhood Servi-ces“ in den Vereinigten Staaten, nennt uns dieseNachbarschaftseinrichtung in ihrem 'mission state-ment' den Grund dafür: „Es geht darum, die Fähig-keiten der Individuen und der Familien in der Nach-barschaft zu stärken, ihre Möglichkeiten zu erwei-tern und die Bedingungen zu ändern, die ihreWahlmöglichkeiten für die Zukunft beschränken.“ – oder als ein guter Slogan, der die Ideen von Wahl-möglichkeit und sozialem Wandel miteinander ver-knüpft: „Wahlmöglichkeiten schaffen, Veränderungschaffen“.

• Nachbarschaftszentren sind offene Häuser fürjeden im Gemeinwesen, sie sind einladend, nichtausschließend. Die Franzosen sagen „Maison pourtous“, die Deutschen sagen „Offen für alle“.

• Solange es dafür einen Bedarf gibt, werden sichNachbarschaftszentren immer für soziale Verände-rungen einsetzen, nicht dadurch, dass sie verspre-chen, das für die anderen unter Einsatz ihrer eige-nen (beschränkten) Mittel und Ressourcen zu erle-digen, sondern indem sie Partnerschaft anbietenund zwar sowohl den Menschen, die Benachteili-gungen überwinden wollen, als auch den Behördenund Institutionen, die Verantwortung für dieLebensbedingungen einer größeren Anzahl vonMenschen haben. In dieser Hinsicht können Nach-barschaftszentren verlässliche Partner von ört-lichen Regierungen und Verwaltungen sein undauch politische Parteien beraten, wenn das gewolltist.

• Das Leben eines Nachbarschaftszentrums ist nichtzu 100% vorstrukturiert. Es gibt immer ein Elementvon Offenheit für neue Entwicklungen, Probleme,Herausforderungen und Initiativen, so dass sieschnell reagieren können, wenn es dafür einenBedarf gibt.

• Nachbarschaftszentren haben nicht im Geringstenetwas dagegen, wenn andere soziale Institutionenihre Ideen ‚stehlen‘. Im Gegenteil: Wir freuen uns,wenn das passiert, weil es gut für die Menschenist, wenn diese Ideen mehr und mehr im Bereichder sozialen Dienste zu einer Selbstverständlichkeitwerden. Wir sind große Freunde eines freund-schaftlichen Wettbewerbs.

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Und das ist es, worum es im Internationalen Dachver-band geht: voneinander lernen, gute Praxisbeispieleuntereinander austauschen – nicht nur innerhalbregionaler oder nationaler Grenzen, sondern welt-weit. Hier in Litauen zu sein, ist ein Teil davon. Ent-sprechend unseren Grundprinzipien sagen wir Euch:Ihr werdet die Lösungen für Eure Probleme und Her-ausforderungen selbst finden müssen, aber mit unshabt Ihr verlässliche Partner und gute Freunde. Und– wie Ihr wisst – das kann manchmal ganz hilfreichsein ...

Dr. Herbert Scherer, VSKA,Tucholskystr. 11, 10117 Berlin,E-Mail [email protected]. 030 - 280 96 103

Eine Reise nach St. PetersburgVom 16. bis 23. August 2003 hält sich eine Delegationdes Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit, Landes-gruppe Berlin, in St. Petersburg auf.Über die Reise berichtet

Harald Hübner

SamstagSamstag, 16.08.2003

Am Flughafen empfängt uns gegen 22.15 Uhr Orts-zeit Nadjeschda lachend wiedererkennend mit Klein-bus und Fahrer für 16 Personen, die uns beide fast biszum Schluss der Reise begleiten werden. Zwei Stun-den geht die Fahrt durch die Außenbezirke von St.Petersburg über kurze Autobahnstücke und breiteLandstraßen in die 130 km östlich gelegene StadtVolhov am breiten Fluss Wolchow. Dort empfängtuns Anna im Prophylaxe-Zentrum. Sie war wie unse-re russische Reisebetreuerin mit derselben Delega-tion im Mai 2003 in Berlin. Die Herzlichkeit und auf-merksame Begleitung durch die vielen neu und ger-ne kennen zu lernenden Menschen kontrastieren inder nachfolgenden gesamten Reisezeit mit den LowBudget Quartieren. In den Etagenduschen hat manvor langer Zeit aufgegeben, braune Wasserrück-stän-de zu entfernen, das Brauchwasser bleibt kalt unddie unklare Reinigungssituation wärmt auch nichtdas Herz.

Aber der nächtliche Empfang mit Tee begleitet vonherzlichen Worten und vorzüglichen Süßigkeitenund Keksen setzt immer wieder die richtigen Prioritäten.

Sonntag Sonntag ,17.08.2003

Das Frühstück weckt – wie auch an den folgendenTagen – nach kurzen oder mückenreichen Nächten dieLebensgeister: ein Glas Limonade, ein Teller mit Salat-gurkenscheiben und Tomaten und grüner Garnitur(Fenchel) werden serviert, dann folgen die warmenSpeisen wie Haferbrei, Omeletts, warme Hühner-schenkel oder Pfannkuchen mit Erdbeersirup (Blinis).Als Nachtisch gibt es mit Erdnüssen belegte Kekse.Dazu immer wieder: Kaffee und Tee, soviel man will.

Um 10 Uhr empfängt uns der Bürgermeister mit sei-nen Mitarbeitern in der Stadtverwaltung, um unseinen Einblick in die Jugendarbeit in der 48.000 Ein-wohner zählenden Stadt Volhov zu verschaffen. Vor70 Jahren wurde die Stadt in der Nähe des erstenrussischen Wasserkraftwerkes aus dem Jahre 1926begründet. Eisenbahnwerk und Eiscremefabrik tra-gen zur Beschäftigung wesentlich bei.

Kirche in Petersburg

Zur Jugendarbeit wird als Erstes angemerkt, dass imJahr 2002 398 Geburten zu verzeichnen waren, dass6.000 Schüler 9 Schulen einschließlich eines Gym-nasiums besuchten und darüber hinaus 2 Berufs-schulen, 2 Kollegs und 3 Pädagogische Fakultäteneiner überregional tätigen Universität zur Verfügungstehen. Die Jugendarbeit erstreckt sich nach demrussischen Verwaltungsverständnis auf die Betreu-ung der 14- bis 30-Jährigen auf ihrem Ausbildungs-weg und in ihrem Freizeitverhalten, insbesondere inden Bereichen Sport und Vereinsförderung.

Im Einzelnen werden 20 Sportarten energisch entwi-ckelt, sportliche Vergleichskämpfe finden unter ande-rem zum Beispiel zwischen Wohnquartieren statt.

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Um dem Nachwuchs zu eigenem Wohnraum zu ver-helfen, beinhaltet die Wohnraumpolitik auch die För-derung von Wohnungskäufen.

Der Vortrag schließt ab mit der Schilderung des Bür-germeisters, wie Jugendliche in „Simulations-unternehmen“ vereinfacht betriebliche Strukturenkennen lernen können und diese mit Tatkraft sowieeigenen Anregungen und Einfällen nachvollziehen.

Der 2. Besuch findet statt im Jugendclub für technischeSportarten der Pfadfinderorganisation „Wolchow“.

Täglich können sich dort von 14.00 bis 19.00 Uhr umdie 100 Jugendliche der Organisation (besonderswidmet man sich hier den ca. 17-Jährigen, die denGesetzeshütern schon aufgefallen sind) beschäfti-gen. In Alben sind Fotos gesammelt von Jugend-lichen beim Fahrrad- und Motorradfahren, Autorepa-rieren, Karting im Sommer und im Winter; auchRennboote sind zu sehen.

Ab sofort basteln wir unsere Weihnachtsgeschenke immer in Wol-chow

Wenn mit dem 31. Mai das Schuljahr zu Ende geht,nimmt der Staat in den folgenden 3 Monaten Haupt-ferienzeit die wichtige Aufgabe wahr, Beschäfti-gungsangebote für die verschiedensten Interessender Jugendlichen bereitzuhalten. Da gibt es dannPfadfindersommerlager, Ultraleichtfliegen oderGeländemotorsport.

Der 3. Besuch gilt dem Kultur- und Informations-zentrum „Puschkin“. Kinder, Jugendliche, Studentenfinden dort verschiedene Bibliotheksräume mit100.000 Büchern vor. In der Kinderabteilung tun sichliebevoll gestaltete Räume auf. Themen wie „DerBücherdoktor widmet sich der Reparatur weit her-umgekommener Bücher“, „Die märchenhaften Ge-schichten von Seefahrt und Seefahrern“ und Gegen-stände der Dichtungen des großen Puschkin werdenmit fesselnden Wandmalereien und gedanklich ein-ladenden Gegenständen davor beinahe plastischerlebbar gemacht.

Über eine riesige marmorbelegte Eingangstreppen-

anlage mit ausladendem Kronleuchter gelangen wirin die Sitzungs- und Lesesäle und in das neu geschaf-fene Computerkabinet mit 20 kompletten PC Anlagenund Internetanschluss. Einige von uns nutzen dieGelegenheit sofort zum Kontakt nach Hause ...

Zum Abschluss des Tages – nach der Besichtigungeines Kraftwerks – besuchen wir ein Rehabilitations-zentrum für Drogenabhängige. Das Haus war imJuni 2002 als gemeinsame Initiative der Stadtverwal-tung und der christlichen Kirche „Weg zu Gott“eröffnet worden. Die Betreuer der Patienten, ehema-lige Drogenabhängige, sowie die Patienten treibenunerschrocken die Renovierung eines eigentlichschon aufgegebenen Anwesens mit Saal und Bühnevoran. Der Erfolg der sehr mühevollen Arbeit istdeutlich sichtbar: Es sind Werkstätten entstanden,Aufenthaltsräume, eine Küche, Schlafsäle und einSelbstversorgergarten. Möbel und Einrichtungs-gegenstände wurden von Privatleuten gespendet,ein Fahrzeug von Baptisten aus den USA.

Nach der Analyse im Krankenhaus wird ein Kontakthergestellt zwischen jenen, die von ihrer Drogen-sucht (das modische Heroin und der traditionelleAlkohol) beherrscht werden, und dem Zentrum mitdem Namen „Der Weg zur Freiheit“. Nach derEinweisung werden die Patienten fern aller Drogen(einschließlich Zigaretten) behutsam durch den Taggeführt: vom Aufstehen um 7 Uhr, dem 15-minütigenBibelstudium, dem gemeinsamen Essen, der Arbeitan dem eigenen Haus bis zur abendlichen Versamm-lung zum Gespräch. Die ersten drei Betreuten habennach einem Erfolg versprechenden Aufenthalt dasHaus wieder verlassen. (Internetadresse des Zen-trums: www.waytogo.homestead.com)

Den ersten anstrengenden Tag beenden wir ent-spannt und fröhlich mit einem warmen volkstüm-lichen Essen und vielen, sehr vielen beflügelndenTrinksprüchen.

Montag Montag, 18.08.2003

Vor der Abreise nach St. Petersburg besuchen wirnoch das Bezirksarbeitsamt und außerplanmäßig dieSchule, in welcher unsere freundliche Dolmetscherinals Schulleiterin hauptberuflich tätig ist.

Die Leiterin des Arbeitsamtes versucht uns einenÜberblick zu vermitteln:

50% der Jugendlichen, also der Menschen zwischen14 und 30 Jahren, sind arbeitslos.

Davon sind nur 900 mit offiziellem Status erfasstund erhalten eine monatliche Unterstützung von400 bis 2000 Rubel im Jahr.

Um die Jugendlichen möglichst frühzeitig in Bezugauf ihre Berufsfindung zu beraten, geht das Arbeits-amt in die Schulen. Dabei beobachten die Berater,

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dass sich die Jugendlichen immer wieder überschät-zen bei den Beurteilungen ihrer Veranlagungen undFähigkeiten. Der Arbeitsmarkt ist sehr schwierig, sodass vom Arbeitsamt viel unternommen wird, umArbeitssuchende vom Straßenkehrer bis zum Journa-listen fit zu machen für einen Arbeitsplatz. So wer-den hausinterne Computeranlagen und die Druck-erei als „Trainingsgelände“ benutzt. Daneben wer-den Projekte vorangetrieben, wie z.B.die Förderungschwieriger Kinder mit dem Ziel, sie an Handwerks-berufe heranzuführen.

Dolmetscherin Olga fährt mit uns dann weiter zuihrer Schule. Die Renovierungsarbeiten in der Ferien-zeit vom 01.06. bis 31.08 sind noch in vollem Gange,zwei Männer sind gerade dabei ein Schild über denEingangstüren zu befestigen und wir umkurven Flie-senstapel, Mörteleimer und Farbutensilien und vieleemsige Handwerker. 1.000 Schüler zwischen 7 und 17Jahren ( davon 748 Schüler in der 5. bis 10 Klasse)passieren täglich dieses Tor zur Schule und werdenwillkommen geheißen von 52 Vollzeitlehrern und 40nichtpädagogischen Betreuern (z.B. ein Arzt, 2 Kranken-schwestern, 15 Putzfrauen, 12 Bürokräfte, 2 Sozialpäda-gogen, der Wachdienst einschließlich „Empfangschef“im Eingangsbereich der Schule, die Küchenbesatzung).Sehr viele Eisenbahnerkinder verbringen hier ihreSchulstunden von 8.30 bis 14.00 Uhr, können dann inder Kantine essen und anschließend bis 21.00 Uhreine Hausaufgabenhilfe, Freizeit- und Sportangebotewahrnehmen. Ein spezieller Fitness-Club steht gegenEntgelt Eltern und Lehrern zur Verfügung. Stolz prä-sentiert Olga die außerplanmäßigen Renovierungs-arbeiten in der Aula, wofür sie dem Staat einen Zu-schuss von zusätzlichen 500.000 Rubel abgetrotzt hat.

Wir entlocken ihr noch zwei Daten: Eine Sozialpädago-gin verdient monatlich 1.500 Rubel und gibt für eineWohnung mit 43 qm Wohn- und Schlafzimmern +Flur + Küche + Bad 600 Rubel aus. Umrechnungskurs30 Rubel = 1 Euro.

Über holprige Straßen geht es weiter vorbei an grau-en 5-stöckigen Mehrfamilienhäusern mit abweisen-den Fassaden zur breiten zweispurigen Landstraße,der Fahrer schnallt sich jetzt an, das Radarwarngerätwird in der Halterung an der Windschutzscheibe ein-geklemmt und eingeschaltet und los geht die Fahrtnach St. Petersburg.

Am Landstraßenrand fallen viele kleine und mittlerewilde Müllkippen auf, die von spontanen und flexi-blen Mitbürgern in Selbsthilfe eingerichtet wurden,um die Stadtverwaltung zu entlasten. „Ja“, seufzteeine Dolmetscherin, „in unserem Land müsste malrichtig aufgeräumt werden.“

Die Landstraße wird nunmehr gesäumt von Einfa-milienhaussiedlungen und Straßenbahnschienen,die die Vororte von St. Petersburg erschließen. Ausvielen Richtungen über Kreisel einmündende Land-straßen sind angeschlossen an achtspurige Straßenmit einem zweispurigen Gleiskörper in der Mitte.Dreizehn bis achtzehnstöckige Wohnblocks er-strecken sich tief neben unserer Fahrtstrecke in die 5 Millionen-Metropole. Erstaunt bemerken wir,wie sich die Straßenbahnen eher langsam undschwankend ihren Weg über Schienen ertasten,weil die abgenutzten verwundenen, lückenhaften,hochgebogenen, nachgebenden Gleise nur nocheinen annähernden Fahrtvorschlag machen. Im rechten Winkel zur Straße schweben in richtigerAufmerksamkeitshöhe große Plakatwände für aller-lei Konsumgüter neben den Oberleitungen für dieElektrobusse.

Nach der Unterbringung im Gästehaus der Univer-sität und dem Mittagessen der erste Spaziergangdurch die Stadt.

Peter der Große hatte in Folge seiner Siege über dienördlichen Nachbarländer jenes Sumpfgelände ander Newamündung als Grundlage für die neue russi-sche Hauptstadt auserkoren. Die Gründung, Planung

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Der Sport-Jugendclub Edelweiß in Gatschina hat 7 neue Mitglieder: vlnr: Iris Heisterkamp, Outreach, Christina Kettler, NachbarschaftstreffpunktLichtenrade, Jutta Kaddatz, Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses Tempelhof/Schöneberg, Max Wegricht, Verband für sozial-kulturelle Arbeit,Renate Wilkening, Geschäftsführerin Nachbarschafts-und Selbsthilfezentrum ufafabrik, Harald Hübner (der Berichterstatter) Helmut Kaddatz (der Fotograf, nicht im Bild) Alle Fotos sind von Helmut Kaddatz

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und der Ausbau der Stadt ab 1703 wurden gestaltetvon westeuropäischen Ingenieuren und Künstlern,die den ästhetischen Anschluss an die europäischenHauptstädte herstellten.

Unser Spaziergang vemittelt nur einen kleinen Ein-druck von dem Willen der Gestalter, eine riesigeMetropole in großen Zügen zu zeichnen und zuerschaffen. Mit breiten Kanälen in Kombination mitweiten Hauptstraßenzügen, gesäumt von fünfstöcki-gen Stuckfassaden und den kleineren gegliedertenNebenstraßenanlagen ist eine der schönsten Städteder Welt entstanden.

Dienstag Dienstag, 19.08.2003

Um 10.00 Uhr finden wir uns zum Treffen mit derVorsitzenden des Komitees für Jugendfragen, Körper-kultur, Sport und Tourismus des Leningrader Gebie-tes, Frau Raissa Kartaschowa, ein.

Anschließend das Treffen mit Vertretern gesell-schaftlicher und nichtkommerzieller Organisationen.Die deutsche Delegationsleiterin Renate Wilkeningerläutert in diesem Rahmen die Arbeitsgrundsätzedes Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum in derUfA fabrik im Bezirk Tempelhof Schöneberg und dieAufgaben der Organisationen der anderen Teilneh-mer.

Die russischen Vertreter stellen dann ihre Organisa-tionen vor und entdecken viele Gemeinsamkeitenhinsichtlich der Problemstellungen und Lösungsan-sätze.

Am Nachmittag besuchen wir die Peter- Paul-Festung, in der die im Jahr 1917 ermordete Zarenfa-milie 1998 im Beisein von Boris Jelzin beigesetztwurde. Abends unternehmen wir eine Bootsfahrtdurch die Dämmerung. Die Stadt erhebt sich majes-tätisch aus der Perspektive der schmalen Kanäle mitihren Parks, Villen, Patrizierhäusern und der bis inden Himmel reichenden riesigen Auferstehungs-kathedrale. Meisterhaft schiebt der Bootsführerunser großes flaches Schiff unter den Brücken hin-durch, wobei der Lichtraum kaum größer ist als derQuerschnitt des Schiffes und wir zum wiederholtenMale die Köpfe einziehen müssen. Wir überquerendie riesig breite Newa und bewundern die Palästeam Ufer, deren atemberaubende Baukunst nochheute sichtbar ist. Im Boot durch eine russischeNacht ...

Mittwoch Mittwoch, 20.08.2003

Endlose Menschenschlangen stehen am nächstenMorgen lange vor der Eröffnung vor der Eremitage.50 Rubel Eintritt für Bürger aus GUS-Staaten, 200Rubel für die anderen Touristen, die dann aber längstnicht so lange warten müssen.

Am Abend sitzen wir im vollbesetzten Theater undlassen uns verzaubern von einer herausragenden „Giselle“-Inszenierung des Moskauer Staatsballetts.

Donnerstag Donnerstag, 21.08.2003

Die Fahrt geht nach Wyborg. Wir werden hochoffi-ziell begrüßt von der Leiterin der Jugend- und Sport-schule, dem zweiten Bürgermeister, einem jungenDolmetscher und von Frau Kartaschowa, der Vor-sitzenden des Leningrader Gebietes. Der Vizebürger-meister würdigt die Feiern zum 600. Geburtstag derStadt und das örtliche Filmfestival als „Aufstoßender Fenster nach Europa“.

Die Stadt hat 180.000 Einwohner, davon 44.000Jugendliche zwischen 14 und 30 Jahren. 16 Jugend-clubs und 17 Jugendorganisationen widmen sich derJugendarbeit. 1.200 Eheschließungen stehen 1300Scheidungen pro Jahr gegenüber, es gibt zahlreichearbeitslose Jugendliche, Drogenabhängige und derPolizei aufgefallene Menschen; Fakten, die es sehrschwierig machen, durch Beschäftigungsprogrammesinngebend zu wirken. Nichtsdestotrotz haben dieseProgramme in diesem Jahr bereits zu 600 Arbeits-vermittlungen geführt. Ein hoffnungträchtigesAngebot sollen die neu zu schaffenden 7 Sport-stätten darstellen, so soll der Anteil der Jugendli-chen, die nach der Schule Sport treiben, von 7% auf25 % gesteigert werden. Festivals und Sportver-anstaltungen dienen der Förderung des Wettbe-werbs zwischen den Jugendlichen.

Eine wichtige Bedeutung hat das psychologischeZentrum für den sozialen Schutz der Jugendlichen.Mit dem Unicef-Programm „Zusammen ist alles bes-ser“ und der finanziellen Förderung der GUS-Staatenmit der Bezeichnung „Zukunft“ werden Jugendtreffsgefördert und betreut. Es werden Sozialarbeiter fürdie Anti-Drogenarbeit ausgebildet, die Betreuungvon Straßenkindern und die Begleitung der patrioti-schen Arbeit der Jugendlichen finanziert. Zur patrio-tischen Arbeit gehört auch die Pflege von 10.000Kriegsgräbern gefallener Russen, Finnen, Schwedenund Deutschen.

Außerdem wurde ein Jugendparlament eingerichtet,welches gute Beziehungen unterhält zum regionalsehr nahen Finnland, den baltischen Staaten und zuden deutschen Städten Hamburg und Lübeck.

Die Leiterin der Jugend- und Sportschule verweistauf wichtige Bedeutung des systematischen sport-lichen Trainings im Rahmen des Kampfes gegen dieDrogenproblematik. In der vorhandenen Einrichtungnutzen 2.000 Schüler mit guten Ergebnissen zumBeispiel die Möglichkeiten in den Sportarten Judo,Fechten, Leichtathletik, Ju-Jutzu. Die herausragendenFechter dieser Schule fuhren dieses Jahr zu den Welt-meisterschaften. Auch im Breitensport der allge-meinbildenden Schulen sind die Trainer aktiv.

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Vor dem Mittagessen besuchen wir einen weiterenJugendclub, den Club „Budokai“. Kleine Altare mit Hin-weisen auf asiatische Kampftechniken werden unsvon freundlichen, gelassenen Erziehern präsentiert,denen es gelungen ist, die Jugendlichen davon zuüberzeugen, Alkohol, Tabak und sogar Kaugummi ausihrem Leben zu verbannen und für Ordnung in ihremVerantwortungsbereich zu sorgen. „Wo die Pflanzenhingehören“ ist eine wortwörtliche Übersetzung fürdie russische Bezeichnung „Jugendclub“ – umgangs-sprachlich:„wo die Menschen gern leben würden“.

Am selben Tag besuchen wir das Sozial-psychologi-sche Zentrum für Jugendliche. Dort wird uns alsErstes ein Video gezeigt zur Erläuterung des Arbeits-spektrums dieser Institution: Die Hauptaufgabebesteht in der Betreuung eines telefonischen Bera-tungsdienstes, der insgesamt bereits 7.000 Malnachgefragt worden ist. Während früher die einzel-nen Problemklärungsgespräche, die mehr von Män-nern als von Frauen in Anspruch genommen werden,nicht länger als 15 Minuten dauerten, erscheinenheute längere Gespräche notwendig. Auch scheinendieselben Rentner häufiger anzurufen. Über den Be-ratungsdienst hinaus halten die Mitarbeiter Semi-nare an Schulen ab zur Bestimmung von Lebens-zielen und geben Zeitschriften für Lehrer und andereSchlüsselpersonen heraus.

Freitag Freitag, 22.08.2003

Fast 4 Stunden dauert die keineswegs langweiligeFahrt zurück durch St. Petersburg hindurch nachGatschina. Dort werden wir am Nachmittag ineinem großen Sitzungssaal unter dem Dach imPalast der Jugend begrüßt vom Vizebürgermeister,dem Direktor der Institution zur Vorbeugung derDrogensucht, dem Leiter eines Ausbildungszen-trums, dem Vorsitzenden des Sport- und Tourismus-Clubs, welchem gemäß Übersetzung auch dieBerufslenkung und die Jugendbeschäftigung obliegt,und von den Clubs der „Freiwilligen der Jugend-bewegung“ und der Organisation „Altersgenossenfür Altersgenossen“.

Die Stadt Gatschina hat 100.000 Einwohner, dieJugendlichen stellen einen Anteil von 20 %. 18 Schu-len, mehrere Gebietsinstitute für Wirtschafts-wissenschaften, vier Fakultäten der Universität St.Petersburg sowie die älteste Lehrerausbildungsstätteerzeugen ein erhöhtes Bildungsniveau.

Der Freizeitgestaltung widmen sich sechs Sport- undGesundheitsclubs, zwei Musikschulen, eine Tanzschulemit Sporttanzabteilung, eine Institution zur Erziehungzum künstlerischen Schaffen und ein Volkszirkus miteinem Meister für akrobatischen Sport.

Schon seit zehn Jahren führt die Russisch-deutscheGesellschaft erfolgreich einen Jugendaustausch mitEttlingen durch, gekrönt vom Sportlauf im Jahr 1995

von Gatschina nach Ettlingen. Es gibt noch den Öko-logischen Club, der das Sommerlager organisiert undeine Zeitschrift zur Schärfung des ökologischenBewusstseins im Raum Gatschina herausgibt. EineGruppe von „Erste-Hilfe-Sanitätern“ und ein techni-scher Hilfsdienst stehen auch zur Renovierung vonöffentlichen Gebäuden zur Verfügung.

Das Hauptproblem besteht darin, dass zu wenigGeld für die vielen Jugendaufgaben – vor allem inBezug auf Drogenprävention – zur Verfügung steht.20% der Jugendlichen erliegen bald nach der Schul-zeit der Drogensucht und auch oder gerade diedazugehörenden gebildeten Elternhäuser sind nichtin der Lage, die Problematik angemessen zu bearbei-ten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hat sich dieDrogenproblematik durch die Flucht vieler obdachlo-ser und entwurzelter Menschen aus den GUS-Staa-ten nach Russland noch verstärkt. Sinkende Gebur-tenraten, bei denen 25 % Rentner nun schon 20%Jugendlichen gegenüberstehen, und eine niederge-hende Wirtschaftstätigkeit engen die staatlichenFinanzierungsmöglichkeiten immer mehr ein.

Dennoch gibt es auch Silberstreifen am Horizont :Vor 10 Jahren wollten die Kinder noch Gangster wer-den, um schnell viel Geld zu machen. Heute hat sichein Lernboom eingestellt, da es vielen einsichtiggeworden ist, dass eine gute Ausbildung ihnen bes-sere Chancen im Berufsleben verschafft. Im 10.und11.Schuljahr werden den Schülern zahlreiche Infor-mationen zur Orientierung bei der Berufswahl ange-boten. Zur Erkundung des Berufslebens und der ver-schiedenen Anforderungen in den Berufen wirdFerienarbeit vermittelt. Der Staat vergibt kostenloseStudienplätze an diszipliniert lernende Jugendliche,es entstehen private Hochschulen. So kommen auf40 Gebühren-Studienplätze weitere 100, die Stipen-diaten zur Verfügung stehen.

Inzwischen gibt es Booklets mit Hinweisen für Elternund Lehrer und auch Unterweisungen der Elterndurch spezielle Pädagogen, um die Eltern in die Lagezu versetzen, die Probleme der Kinder zu erkennen –es wird also zunehmend mehr in die Richtung „Pro-phylaxe statt Reparatur“ gewirkt.

Wenig später spazieren wir nach einem Besuch des„Palasts der Jugend“ zum Sport-Tourismus-Club„Edelweiss“. In dem von den Jugendlichen selbstmitrestaurierten Gebäude werden sie ab dem 12.Lebensjahr eingestimmt auf die Grundsätze dieserSchule: des Rettens in besonderen Situationen. DerLeiter des Vereins hält uns einen Vortrag, den seineSchüler und Schülerinnen stehend in einer militäri-schen Arbeitskleidung, ohne mit der Wimper zuzucken verfolgen. Harte Arbeit, das Durchstehen vonspeziellen Krisensituationen gepaart mit ein wenigLagerfeuerromantik dienen der Förderung eines star-ken Charakters, um im Leben etwas Besonderes zuleisten. Mit dem staatlichen Jugendkommitee abge-

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stimmte Freizeitlenkungsprogramme befähigen diejungen Leute bald zu medizinischer Nothilfe, Kampf-techniken und psychologischen Einschätzungen inKrisensituationen. Mit diesen Grundlagen könnendie Heranwachsenden ohne Zugangsprüfungen dieAusbildung zum Berufsretter im Katastro-phenministerium beginnen und haben gute Aus-sichten für einen Arbeitplatz.

Samstag Samstag, 23.08.2003

Nach dem Frühstück besuchen wir noch das Schloss-museum in Gatschina; am Nachmittag erfolgt derRückflug nach Berlin. Wir nehmen dankbar Abschied ...

Harald Hübner ist ehrenamtlicher Mitarbeiter imNachbarschafts- und Selbsthilfezentrum in der UFAFabrik, Viktoria Str. 10-18, 12105 Berlin,Tel.: 030 – 755 96 92, e-mail: [email protected]

KIEZ-AKTIV-KASSE in Köpenick-Damm-vorstadtHella Pergande ...

... berichtet darüber, wie das Projekt KIEZ-AKTIV-KASSE,das dieses Jahr gemeinsam von der Jugend- und Fami-lienstiftung des Landes Berlin und der Landesgruppedes Verbandes ins Leben gerufen wurde, in ihremStadtteil umgesetzt wird:

Ich sitze hier im Einkaufszentrum Köpenick. Um michherum: jede Menge Köpenicker. Sie eilen oder schlen-dern ganz langsam von Geschäft zu Geschäft, habenEinkaufstüten an den Armen oder blicken mit ge-furchten Brauen auf ihren frisch gezogenen Konto-auszug. Ich schlürfe meinen Milchkaffee und denkebei mir: Ach, einen Text für den Rundbrief will ich janoch schreiben ...Dabei schaue ich zum Nebentisch, da sitzen zweiältere Damen und unterhalten sich angeregt. Es istzu laut, um zu hören, was sie sich erzählen. Aberman kann es sich gut vorstellen: „Sach ma, Frieda“,sagt die eine zur anderen, „hast du im Briefkastenauch diesen Zettel von der Kiez-Aktiv-Kasse gehabt?Verstehst du dit?“

„Naja“, sagt die Erna, „die ham da Jeld. Dit kann manausjeben. Oder darüba bestimmen, wie et ausjeje-ben wird.“

„Eijentlich ne jute Sache, wa?“

Also gut denke ich, wenn wir schon mal bei demThema sind, schreibe ich doch über die KIEZ-AKTIV-KASSE ...

Noch vor Sommerbeginn hatten die Jugend- undFamilienstiftung des Landes Berlin und unsere Lan-desgruppe des Verbandes zu einem Workshop einge-laden. Es ging darum, das Projekt KIEZ-AKTIV-KASSEzu entwickeln und Parameter zu benennen. Dass wirals Teilnehmer an diesem Workshop in die Entwik-klung und Modifizierung der Projektidee einbezogenwerden sollten und tatsächlich auch mit einbezogenwurden, war uns so nicht von Anfang an klar, warungewöhnlich und neu für uns. Doch es ist eine her-vorragende Idee, wie ich finde.Die gemeinsame Arbeit aller Anwesenden (16 Teil-nehmer aus sozial-kulturellen Einrichtungen) an die-sem Tag war sehr gut und konstruktiv. Es hat Spaßgemacht. Auch Lust. Man kam sich ein bisschen wieein Taufpate des Projekts vor. Nach dem Workshopwurden wir aufgefordert, eine Interessenbekundungzu formulieren, falls wir gern Gastgebereinrichtungfür eine KIEZ-AKTIV-KASSE werden wollten. Das tatenwir umgehend. Nun sind wir also eine der sechs Gast-geberorganisationen, die es mittlerweile in Berlingibt. Aus dem Flyer, den die Stiftung zu diesem Pro-jekt drucken ließ, hier ein Textauszug:

„Das Programm KIEZ-AKTIV-KASSE ist ein besonderesFörderprogramm der Jugend- und Familienstiftungdes Landes Berlin. Kerngedanke ist dabei, dass lokalegemeinwesenorientierte Aktivitäten von Bürgern/-innen für Bürger/-innen mit kleinen Förderbeträgenunterstützt werden. Ziel ist es, zunächst in sechs aus-gewählten Kiezen verschiedener Berliner Bezirke dasZusammenleben der Generationen zu fördern und dieFamilienfreundlichkeit zu verbessern.

Für das Programm KIEZ-AKTIV-KASSE stellt die Jugend-und Familienstiftung in diesem Jahr insgesamt30.000 Euro als Fördersumme zur Verfügung – jedeKIEZ-AKTIV-KASSE wird mit 5.000 Euro gefüllt. EineErhöhung durch zusätzliche, selbstbeschaffte Mittel istwünschenswert.

Gefördert werden Aktivitäten engagierter Kiezbewoh-ner/innen mit max. 750 Euro, die zum Wohlbefindenaller Kiezbewohner/-innen, insbesondere aber Fami-lien, beitragen und die Kommunikation untereinanderfördern: Aufräumaktionen, Umgestaltungen, Aufbauund Organisation von regelmäßigen Treffen, Gemein-sames Engagement mit großer Wirkung. Das, was sieschon immer machen wollten, soll nicht mehr am feh-lenden Geld scheitern.

Die Entscheidungen über die Vergabe der jeweiligenGeldsummen werden in einem transparenten Ver-

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fahren von einer ebenfalls ehrenamtlich arbeitendenFörderjury getroffen, die aus interessierten Kiezbe-wohner/-innen gebildet wird.

Die KIEZ-AKTIV-KASSE bekommt natürlich auch einDach. Sie wird zu Gast sein bei einem Nachbarschafts-oder Stadtteilzentrum oder einer ähnlichen gemein-nützigen Einrichtung und erhält dort die nötigeUnterstützung (Adresse, Raum, Büro, Telefon, Konto).

Machen Sie etwas für Ihren Kiez! Gestalten Sie dasLeben in Ihrem Kiez familienfreundlicher und wohn-licher! Engagieren Sie sich Sie mit Ihren Ideen aktiv inder KIEZ-AKTIV-KASSE!

Sie sind Kiez-aktiv! Sie haben eine gemeinnützige Pro-jekt-Idee, wollen etwas verändern oder verbessern ...?Sie wollen durch das Projekt neuen Zusammenhaltfördern, sich gegenseitig helfen ... ? Fordern Sie eineUnterstützung durch die KIEZ-AKTIV-KASSE in IhremWohnbereich!

Sie kennen sich aus in Ihrem Kiez! Sie wissen, was gutwäre und eine Verbesserung bringen könnte. Sie wol-len dafür auch Verantwortung tragen! Sie entscheidenin der Jury der KIEZ-AKTIV-KASSE mit. Sie bleiben anden Projekten dran! Sie sehen sich Ergebnisse undAbrechnungen an. Sie machen sich Gedanken, wiemehr Geld in Ihren Kiez fließen könnte – dann werdenSie Kassen-aktiv.

Zur Auswertung und Weiterentwicklung des Pro-gramms werden am Ende des Jahres die beteiligtenKassen-Aktiven und Kiez-Aktiven zu einer Kiez-Aktiv-Kassen-Werkstatt eingeladen. Geförderte Aktivitätenwerden vorgestellt, Erfahrungen ausgetauscht undausgewertet, die Themen Öffentlichkeitsarbeit undFundraising werden aus der Nähe betrachtet und ein-führendes Know-how vermittelt – und am Ende wirdgefeiert.

Für das Folgejahr ist eine Ausweitung des Programmsauf andere Stadtteile vorgesehen.“

Man glaubt gar nicht, wie schwer es ist, Geld unterdie Leute zu bringen! Und das in Zeiten, in denen esüberall fehlt! Im Gegenteil, es mehrte sich in unse-rem Fall sogar erst einmal: Unsere Hausbesitzerinhat zum Beispiel Geburtstag gefeiert und – stattGeschenke zu erhalten – für eine Spende gesam-melt. So sind zu den 5. 000 Euro aud der KIEZ-AKTIV-KASSE noch 874 Euro hinzugekommen, speziell fürKinderprojekte im Kiez.

Wir starteten verschiedene Aktionen, um die Kiez-Bewohner über das Projekt zu informieren: Wir ludenam Berliner Freiwilligentag dazu ein, beim Stadt-teilspiel Köpenicker Dammvorstadt mitzuwirken.Schrieben Pressemitteilungen für Zeitungen, zweiArtikel wurden gedruckt. Zusätzlich verteilten wirHauswurfsendungen an bisher 30% der Haushalte inunserem Kiez, brachten Plakate und Flyer in mehrereGeschäfte – auch in unser Einkaufs-Zentrum

„Forum“, welches sonst eigentlich nichts annimmt.„Aber da es ja um eine gute Sache geht ...“ Und rich-teten eine „Kiez-Aktiv-Kassen-Stunde“ ein, die bishereinmal wöchentlich stattfindet.

In unserem Schaufenster befindet sich ein riesigesPlakat, auf dessen Rückseite der Stadtplan unseresKiezes abgebildet ( und zu bearbeiten) ist.

Und dann kamen tatsächlich – und endlich – dieersten Meldungen: zwei junge Frauen, die gern inder Jury sein würden.

Die Ideen- und Vorschlags-Liste, die wir ausgelegthaben für alle Kiez-Bewohner, wird beständig länger:

• Hundespielplatz

• Freilichtkino

• Hauswand- und Straßenbegrünung

• Preiswerte Mittagessenversorgung

• Seniorenfahrten

• Flohmärkte

• Familiengarten ...

Wir sind gespannt! Was wird? Wollen die Anwohnerdas Geld? Werden sie es verwalten? Werden Ideen indie Tat umgesetzt? Oder wird es ein Flop? Wird dieChance, wird das Geld genutzt?

Das Projekt dokumentieren wir in seinem weiterenVerlauf auf unserer Homepage„www.rabenhaus.de“. Also reinsehen! Und werGedanken, Vorschläge, Ideen oder Fragen dazu hat,kann, ja, sollte sich ruhig bei uns melden!

Hella Pegrande, Rabenhaus e.V.Puchanstraße 9, 12555 BerlinTel.: 030 - 658 80 163E-Mail: [email protected]

Der Aufbau eines stationären HospizesStefan Schütz

Seit mehr als vier Jahren bemüht sich das Nachbar-schaftsheim Schöneberg e.V. um die Errichtung eines

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stationären Hospizes im Südwesten Berlins. Dort sol-len schwerstkranke Menschen, die aus sozialen odermedizinischen Gründen in ihrer häuslichen Umge-bung nicht mehr versorgt werden können, in ihrerletzten Lebensphase gepflegt und begleitet werden.

Nachdem sich ein Projekt in Kooperation mit demAuguste-Viktoria-Krankenhaus mehrfach kurz vorseiner Verwirklichung aus nicht von uns verschulde-ten Gründen zerschlagen hatte, freuen wir uns, nunin eigener Initiative ein neues Objekt gefunden underworben zu haben, das unseren Vorstellungen ent-spricht. Da eine Mitfinanzierung der Umbaumaß-nahmen aus Bundes- oder Landesmitteln nicht mehrzu realisieren war, bemühten wir uns um weitereFördermöglichkeiten.

Im Folgenden wird über die Einrichtung und über die Planungen zum Projekt Stationäres HospizSchöneberg-Steglitz in der Berlin-Steglitzer Kant-straße 16 berichtet:

1. Träger1. Träger

Träger des Hospiz Schöneberg-Steglitz ist das Nach-barschaftsheim Schöneberg e.V. Es wurde am 9. Sep-tember 1949 als sozialkulturelles Zentrum fürGemeinwesenarbeit gegründet und ist das bedeu-tendste sozialkulturelle Stadtteilzentrum Berlins.Unter seinem Dach wirken zahlreiche Projektgruppen(Kindertagesstätten mit Integration behinderter Kin-der, Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen, Famili-enbildungsangebote, Geburtsvorbereitungskurse,Frühförderung, Schülerclubs, Selbsthilfekontakt- undInformationsstelle, Seniorentagesstätte, Integra-tionsprojekte für Migranten, Betreuungs-vereine,Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekte etc.).

Die Gesundheitsselbsthilfe bildet einen wichtigenSchwerpunkt im Bereich der Selbsthilfe. Die Selbst-hilfe-gruppen für an Krebs erkrankte Menschen undfür trauernde Angehörige leisten einen wichtigenBeitrag zur psychosozialen Versorgung der durch dieKrebserkrankung betroffenen Familien. Den Selbst-hilfegruppen stehen Räume, Büros und technischeHilfsmittel zur Verfügung. Die Gruppen werden aufWunsch fachlich beraten und unterstützt, insbeson-dere beim Aufbau und bei der Organisation von Ver-anstaltungen und ihrer Darstellung in der Öffent-lichkeit.

Der Fachbereich Gesundheit und Pflege, der ab Janu-ar 2004 zu einer eigenen gGmbH zusammengefasstwerden soll und zu dem auch das Ambulante HospizSchöneberg und später die projektierte stationäreEinrichtung gehören, besteht aus einer Tagespflege-einrichtung und Wohngemeinschaften für altersde-mente Menschen, der Familienpflege und der Sozial-station Friedenau (mit zwei Standorten), die seitüber drei Jahren qualifizierte Palliativpflege mit pro-fessionellen Pflegekräften in Zusammenarbeit mit

Home-Care-Ärzten anbietet. Durch die Ansiedlungdieser unterschiedlichen Angebote unter einer Trä-gerschaft und durch ihre enge Zusammenarbeit kön-nen unterstützungsbedürftige und kranke Men-schen auf eine differenzierte Angebotspalettezurückgreifen. Das Nachbarschaftsheim Schöneberge.V. verfügt damit über ein regionales Gesundheits-und Pflegenetzwerk, das zumindest in Berlin einma-lig ist und auch bundesweit sehr selten zu findensein dürfte.

1.2 Hospiz Schöneberg1.2 Ambulantes Hospiz Schöneberg

Das Ambulante Hospiz Schöneberg nahm nacheinem Trägerwechsel im April 1999 seine Arbeit inBerlin-Friedenau auf und entwickelte sich im Laufeder folgenden Jahre zu einem für den SüdwestenBerlins wichtigen ambulanten Hospizdienst. Eineenge Kooperation mit der ebenfalls in Trägerschaftdes Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. arbeiten-den Sozialstation Friedenau, die neben den klassi-schen Dienstleistungen einer Sozialstation schwer-punktmäßig Palliativpflege anbietet, ermöglichte esin vielen Fällen, palliativ-pflegerische und hospizlicheVersorgung optimal miteinander zu vernetzen. Aufdiese Weise wird wesentlich dazu beigetragen, denSchwerstkranken und ihren Angehörigen eine wür-devolle Gestaltung dieser Lebensphase zu ermög-lichen. Das Engagement der vielen Ehrenamtlichenwurde im September 2003 mit dem Förderpreis desBezirks Tempelhof-Schöneberg honoriert.

Durch eine gute Zusammenarbeit mit der ambulan-ten palliativmedizinischen Versorgung durch HomeCare Berlin e.V., mit onkologischen Schwerpunkt-praxen für Krebskranke, mit Sozialdiensten undanderen um die Versorgung Schwerstkrankerbemühten Institutionen konnten wir unser Angebotin den letzten Jahren einer kontinuierlich wachsen-den Zahl von Menschen zugute kommen lassen.

Die von uns begleiteten Menschen sind zu nahezu100 % onkologische Patienten, die sich häufig erstsehr spät der Notwendigkeit einer Unterstützungdurch Dritte bewusst werden oder nach einer imKrankenhaus erhaltenen infausten (unheilbaren) Pro-gnose ihre letzte, nur noch Monate und Wochen zäh-lende Lebenszeit zu Hause bei ihrer Familie verbringenmöchten. Während wir zugunsten einer größeren Ver-trautheit normalerweise jeweils nur einen Ehrenamt-lichen an einen Kranken oder eine Familie vermitteln,versuchen wir in den Fällen kurzfristig zu organisie-render finaler Begleitung weitere Ehrenamtliche mithinzuzuziehen und so gemeinsam mit Pflegedienstenund Ärzten ein engmaschigeres Versorgungsnetz zuknüpfen. Im Jahr 2002 wurden von unseren etwa 30geschulten ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern 58 schwerstkranke Menschen, Angehöri-ge oder Trauernde begleitet

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1.2.1 Konzept1.2.1 Konzept

Unser Bestreben ist es, die Würde des Sterbenden zuachten und ihn dabei zu unterstützen, seine letzteLebensphase möglichst in seiner häuslichen undfamiliären Umgebung selbstbestimmt zu gestalten.Dies beinhaltet auch die Respektierung der indivi-duellen, lebensweltlichen, religiösen und spirituellenVorstellungen. Im Vordergrund steht bei unsererArbeit das direkte mitmenschliche Beziehungsange-bot, das Angebot von Zeit und Aufmerksamkeit. Daunser Ansatz systemischer Natur ist, ist uns auch dieBerücksichtigung der Bedürfnisse von Angehörigenein Anliegen.

Über die ehrenamtliche Begleitung hinaus ist es dieAufgabe des Dienstes, die beschriebene Zielgruppesowohl psychosozial und palliativpflegerisch zu be-raten als auch gegebenenfalls an andere Unterstütz-ungsangebote, etwa zu Home Care Berlin (Verbundonkologisch ausgerichteter ärztlicher Schwerpunkt-praxen), Sozialstationen, Beratungseinrichtungenoder Selbsthilfegruppen, heranzuführen.

Durch die Tätigkeit des Dienstes und über einegezielte Öffentlichkeitsarbeit will das AmbulanteHospiz Schöneberg den Hospizgedanken weiter indie Öffentlichkeit tragen und dafür sorgen, dass sichdie Mitbürgerinnen und Mitbürger mit dem Themaauseinander setzen und sich möglicherweise selbstfür ein ehrenamtliches Engagement interessieren.

Durch Vorträge und Seminare sollen medizinischeund pflegerische Einrichtungen mit den essentiellenIdeen der Sterbebegleitung vertraut gemacht wer-den, damit diese Erkenntnisse auch direkt in der Aus-bildung und der Berufspraxis der entsprechendenBereiche Berücksichtigung finden können.

1.2.2 Kooperationen1.2.2 Kooperationen

Hospizarbeit ist nur durch die Kooperation aller ander Versorgung Schwerstkranker und ihrer Ange-hörigen beteiligten Menschen und Institutionenmöglich. Daher arbeiten wir mit den im SüdwestenBerlins angesiedelten Ärzten und Krankenhäusern,vor allem dem Auguste-Viktoria-Krankenhaus, demUniversitätsklinikum Benjamin-Franklin und den zurZeit vier Palliativstationen im Krankenhaus Spandau,im Universitätsklinikum Rudolph-Virchow, imGemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe und im Mal-teser-Krankenhaus zusammen.

Weitere wichtige Kooperationspartner sind diedezentral an die onkologischen Schwerpunktpraxenangegliederten Ärztinnen und Ärzte von Home CareBerlin e.V.

Gute Kontakte bestehen zu den Behörden des Lan-des Berlin, vor allem zur Senatsverwaltung für

Gesundheit und Verbraucherschutz, die die BerlinerHospizdienste und ihre Arbeit bis 2001 mit einerAnschubfinanzierung unterstützte und im Fach-dialog auch bezüglich der Qualitätssicherung beglei-tete.

Auch zu den Bezirksämtern von Tempelhof-Schöne-berg sowie Steglitz-Zehlendorf, insbesondere denBeratungsstellen für Krebskranke und der Nach-gehenden Krankenfürsorge, bestehen verlässlicheArbeitsbeziehungen.

Das Ambulante Hospiz Schöneberg ist Mitglied inder Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz Berlin e.V., diesich in den vergangenen Jahren zur Interessen-svertretung und zum Diskussionsforum der BerlinerHospizlandschaft entwickelt hat, und arbeitete dortauch im Vorstand mit.

Durch unsere Mitgliedschaft im PalliativzentrumBerlin-Brandenburg e.V. versuchen wir, ländergren-zenübergreifend an einer Fortentwicklung und Ver-netzung ehrenamtlich-hospizlicher, palliativpflegeri-scher und -medizinischer Angebote beizutragen.

Im Zuge des Aufbaus des Stationären Hospizes wur-den erste Kontakte und Sondierungsgespräche mitden umliegenden Kirchengemeinden aufgenom-men.

Der Träger ist Mitglied im Verband für sozial kultu-relle Arbeit und im Paritätischen Wohlfahrtsverband.Insbesondere im Paritätischen Wohlfahrtsverbandund seinen Fachgremien arbeiten das AmbulanteHospiz und andere Gesundheitseinrichtungen desTrägers mit.

2. Fundraising2. Fundraising

Ohne ein entsprechendes Spendenkonzept könnenHospizeinrichtungen nicht überleben, und im Fallevon stationären Hospizen ist ein Eigenanteil in Höhevon 10 % gesetzlich verankert. Nicht außer Acht las-sen möchten wir auch die große Bedeutung desehrenamtlichen Engagements unserer Mitarbeiter-innen und Mitarbeiter.

Was den ambulanten Bereich betrifft, konnten wirdurch direkte Ansprache von Privatpersonen undBetrieben und auch mit Hilfe unseres FaltblattesSpendenmittel einwerben. Häufig zeigten sich auchFamilien durch Spenden erkenntlich, wenn sie sichdurch die Begleitung unserer Ehrenamtlichengestützt fühlten oder ihre Angehörigen liebevollbegleitet sahen.

Ein Fortbildungsinstitut für Computerdesign spen-dete den Entwurf eines einheitlichen CorporateDesign (für die Gesundheitseinrichtungen des Nach-barschaftsheims) inklusive der Entwicklung einesLogos.

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Darüber hinaus schätzen wir uns glücklich, dass eineunserer ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen dem Hos-piz im Rahmen ihrer berufsbegleitenden Ausbildungfür Fundraising-Management an einer Fundraising-Akademie die sorgfältige Entwicklung eines kom-pletten Fundraising-Konzeptes spendet.

Seitdem die Realisierung unseres Projektes „Statio-näres Hospiz“ mit dem Kauf einer geeigneten Immo-bilie in greifbare Nähe gerückt ist, sind folgendeMaßnahmen durchgeführt worden bzw. befindensich im Stadium der Realisierung:

• Beantragung von Fördermitteln für den Erwerb der Stadtvilla für das zukünftige Hospiz beim Deut-schen Hilfswerk

• Beantragung von Fördergeldern für die Ausstat-tung des zukünftigen Hospizes bei der AlfredKrupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Förderpro-gramm Hospiz

• Beantragung einer Koordinatorenstelle für dieBegleitung des Umbaus bei der Deutschen Hospiz-stiftung

• Beantragung von Fördermitteln für die Installationvon umweltfreundlichen Energietechniken zurWarmwasseraufbereitung, Brauchwassererwär-mung und Wärmedämmung beim Land Berlin

• Beantragung von Fördermitteln für den Umbau derImmobilie bei der Deutschen Krebshilfe

• Gezielte Bußgeldakquise durch persönliche Kon-taktaufnahmen in Berliner Gerichten

• Entwicklung einer Dokumentationsmappe für dieAkquise zukünftiger Sponsoren

(Die Erstellung – Entwurf und Layout – dieser Mappewurde von einer Gestalterin gespendet)

• Die Auf- und Umbauphase des Stationären Hospi-zes mit seinen unterschiedlichen Etappen soll mitHilfe eines Dokumentarfilmes festgehalten und fürspätere Öffentlichkeitsarbeits- und Spendenzweckeaufgearbeitet werden. Dieses Projekt wird uns voneiner professionellen Dokumentarfilmerin gespen-det.

• Gründung eines Arbeitskreises Öffentlichkeitsar-beit und Sponsoring

Der bereits bestehende Arbeitskreis soll gezieltdurch weitere ehrenamtliche Mitarbeiter ergänztwerden, die an einer entsprechenden unentgelt-lichen Tätigkeit Interesse haben oder beruflichbereits in entsprechender Richtung qualifiziert sind.

• Gründung eines Förderkreises/Kuratoriums

Hier sollen Menschen gewonnen werden, die in Kul-tur, Wirtschaft und Politik im öffentlichen Leben ste-hen und den Hospizgedanken unterstützen. Für die-se Aufgaben haben sich bereits Prof. Robert Gorter

(Internationales Institut für onkologische und immu-nologische Forschung, Köln) und Prof. Dr. Lutz vonWerder (Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialpä-dagogik/Sozialarbeit, Berlin) bereit erklärt. Mit wei-teren Persönlichkeiten stehen wir zur Zeit in Kontakt.

Zusätzlich zur Präsenz auf Infoständen und zur Aus-richtung von Benefizveranstaltungen, beispielsweisedurch den ebenfalls zum Nachbarschaftsheim Schö-neberg gehörenden Konzertchor Friedenau, soll zumAufbau eines Online-Spendenmarketings eineHomepage entwickelt werden.

3. Öffentlichkeitsarbeit3. Öffentlichkeitsarbeit

Als Einrichtung des Nachbarschaftsheim Schönebergsind die Angebote des Hospiz Schöneberg in dem halb-jährlich erscheinenden Programmheft (Auflage: 14.000)des Trägers vertreten. Neben einer Darstellung derAngebote des Hospizdienstes bietet dieses Mediumdie Möglichkeit, gezielt Spenden und ehrenamtlicheMitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu werben.

Die Internetseite des Trägers wird laufend über dasHospizprojekt informieren.

Unseren Informationsabend bieten wir monatlichjeweils am letzten Mittwoch an. Hier können sichalle Interessierten über Möglichkeiten der Mitarbeit,aber auch über unsere Begleitungsangebote undnatürlich über Spendenmöglichkeiten informieren.

In Berlin findet darüber hinaus einmal im Jahr dieHospizwoche statt. Während dieser Woche stellensich alle Dienste mit eigenen themenbezogenen Ver-anstaltungen vor oder kooperieren für Schwerpunkt-veranstaltungen. Über die einzelnen Veranstaltungeninformieren ein Plakat sowie ein Programmheft.

Im Jahr 2001 wurde das Hospiz Schöneberg im Rah-men einer dokumentarischen Betrachtung der Berli-ner Hospizlandschaft während eines Themenabendsim ZDF dargestellt, der sich im August 2001 auch mitden Fragen der Sterbehilfe auseinander setzte. SeitAugust strahlt der RBB einen Spot aus, der im Rah-men der Sterntaler-Reihe Ehrenamtliche für die Berli-ner Projekte interessieren möchte.

Durch die Mitgliedschaft und die Mitarbeit imParitätischen Wohlfahrtsverband hatte das HospizSchöneberg die Gelegenheit, seine Angebotegemeinsam mit anderen Projekten in einem Sonder-heft des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zum The-ma Sterben und Tod darzustellen.

Der hauptamtliche Koordinator wird außerdemimmer wieder zu Vorträgen beispielsweise insAuguste-Viktoria-Krankenhaus oder in andere Ein-richtungen gebeten, um über die Hospizarbeit unddie Angebote des Hospizdienstes zu berichten.

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Über die jährlich stattfindenden Vorbereitungskursefür ehrenamtliche Sterbebegleiter/innen hinaus bie-tet der Hospizdienst in jedem Jahr auch ein Seminar„Einführung in die Begleitung Sterbender“ an, indem sich interessierte Mitbürgerinnen und Mit-bürger mit diesem Thema auseinander setzen undüber die Anforderungen und Herausforderungen die-ser Tätigkeit informieren können.

Auf unterschiedlichen Veranstaltungen in Stadt undBezirk war das Ambulante Hospiz auf Infoständenvertreten. Während der im Sommer 2002 vom Nach-barschaftsheim Schöneberg veranstalteten Gesund-heitsmeile stellte der Hospizdienst das Projekt einesStationären Hospizes für den Südwesten Berlins mitStellwänden und einem von den Ehrenamtlichen lie-bevoll gebauten Hospizmodell der Bevölkerung auforiginelle Weise dar.

Die Öffentlichkeitsarbeit wird sich in Zukunft – nachdem Beginn des Umbaus – noch verstärken. Geplantsind unter anderem regelmäßig im öffentlichenBegegnungs- und Cafébereich des Hospizes stattfin-dende kulturelle Veranstaltungsreihen.

Stefan Schütz, Nachbarschaftsheim Schöneberg Fregestraße 52, 12161 Berlin, Telefon: 030 – 85986634,e-mail: [email protected]

Gewerbetreibende – Eine zu weniggenutzte RessourceMarkus Runge

ErfahrungenMehrjährige Erfahrungen in der Begleitungeiner Gewerbetreibenden-Initiative

Bereits in der Vergangenheit wurde das im Stadtteilansässige Gewerbe oft als Ressource für die Gemein-wesenarbeit benannt. In der Praxis allerdings wurdedas darin liegende Potenzial bisher nur unzurei-chend erkannt und genutzt. Die Gebietskenntnis vonGewerbetreibenden, ihre Kontakte und ihre Verant-wortung für den Stadtteil aus Eigeninteresse für ihr

Geschäft könnten durchaus in ein kreatives gemein-wesenorientiertes Engagement münden. Um dieseGruppe allerdings erfolgreich zu begleiten, müsseneinige notwendige Rahmenbedingungen erfüllt wer-den.

Das Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. in Berlin-Kreuzberg begleitet seit dem Jahr 2000 eine Gewer-betreibenden-Initiative in einem innerstädtischen,gründerzeitlichen Altbaugebiet. Ausgangspunkt fürdie Gründung dieser Initiative war ein hoher Gewer-beleerstand im Gebiet. Dieses Problem aufgreifendgingen die Gewerbetreibenden dazu über, sich nichtnur für ihre Belange, sondern auch für die Entwik-klung des Gebietes insgesamt einzusetzen.

Anfangs waren die Treffen der Gewerbetreibendenvon gegenseitigem Argwohn gekennzeichnet. Aufbeiden Seiten standen Befürchtungen im Raum, demjeweiligen Konkurrenten in der Nachbarschaft zu vielzu offenbaren. Mit den Jahren hat sich innerhalb desKreises aber eine Offenheit entwickelt, die sogareinen Austausch über schwierige Gewerbesituati-onen ermöglicht und zu gegenseitiger Unterstütz-ung geführt hat.

PotenzialDas besondere Potenzial

Bereits während der ersten Treffen der Gewerbetrei-benden stellte sich heraus, dass ihnen vor allem einesfehlt – freie Zeit. Das Geschäft hat immer Vorrang.Das bedeutet für viele, deutlich mehr als 40 Stundenpro Woche zu arbeiten und häufig selbst noch alsVerkäufer oder Dienstleister tätig zu sein. Nur wenndas Geschäft Erträge bringt, ist auch Motivation zuspüren, für das Gemeinwesen aktiv zu werden.Immer wieder gibt es zeitweisen Rückzug einzelnerGewerbetreibender aus dem Engagement, um sichmehr auf ihr Geschäft zu konzentrieren oder Stress-zeiten (wie die Vorweihnachtszeit) durchzustehen.

Nichtsdestotrotz scheint die Kreativität der teilneh-menden Gewerbetreibenden unerschöpflich. Ständiggibt es neue Ideen – einen Schaukasten, ein Kiezspielfür Erwachsene, eine Postkartenwerbung für denStadtteil. Außerdem verfügen sie über eine besonde-re Gebietskenntnis. Nicht zuletzt dadurch sindGewerbetreibende nach wie vor „Schlüsselpersonen“in ihrem Stadtteil. Durch den direkten Kundenkon-takt (beim Frisör, im Naturkostladen, in der Kneipeoder im Café) kennen sie nicht nur die Namen ihrerKunden, sondern oft auch den familiären und beruf-lichen Hintergrund. Sie wissen von Sorgen und Pro-blemen, besitzen in vielen Fällen das Vertrauen ihrerKunden. Sie können die Nachbarschaft persönlichansprechen, Kiezinteressen erfragen, zum Mit-machen bei Aktionen einladen. Und sie könnenInformationen in Umlauf bringen.

Vordergründig scheint aus einem gewissen Eigen-interesse heraus eine besondere Verantwortung für

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den Kiez und die Nachbarschaft zu wachsen: Wennes dem Kiez gut geht, dann profitiert auch dasGewerbe. Aber diese Sichtweise greift zu kurz. Wennder Kiez sich positiv entwickelt, ist das Geschäftnicht automatisch gesichert. Zu viele andere Fak-toren spielen eine Rolle: zum Beispiel die Gewerbe-miete, die Konkurrenz und die Kaufkraft der Kunden.Und doch ist ein Zusammenhang zwischen Kiezen-gagement und Gewerbeentwicklung zu vermuten.Im Gemeinwesen engagierte Gewerbetreibendeintensivieren Kontakte in den Kiez, finden Aner-kennung in der Nachbarschaft und können davonprofitieren: Das dabei aufgebaute Vertrauen kannauch zu einer stärkeren oder/und regelmäßigen Nut-zung der Angebote dieser Gewerbetreibenden führen.

RahmenbedingungenRahmenbedingungen der Begleitung

Das Nachbarschaftshaus bot der Initiative seineUnterstützung an. Um Kontinuität und Transparenzherzustellen, übernimmt der Verein die Vorberei-tung, Moderation und Dokumentation von Treffender Gewerbetreibenden. Das Nachbarschaftshausübernimmt viele Teilaufgaben in der Vorbereitungund Durchführung von Stadtteilaktionen. Auch dieVorbereitung von Finanzanträgen und die Abrech-nung finanzieller Mittel liegen in den Händen desVereines. Darüber hinaus stellt er seine Kontakte,Räume und andere Ressourcen zur Verfügung.

In der Begleitung kommt es darauf an, permanentzu überprüfen, was die Gewerbetreibenden selbstleisten können und was das Nachbarschaftshaus anAufgaben übernehmen muss. Diese ständige Grat-wanderung wurde in der Gemeinwesenarbeit schonoft beschrieben. Entscheidend ist aus Sicht des Nach-barschaftshauses, dass die Aktivitäten im Stadtteildurch die Initiative beschlossen werden müssen undGewerbetreibende zumindest im Bereich Konzipie-rung, Öffentlichkeitsarbeit und Durchführung derAktionen maßgeblich beteiligt sind. Die Vorberei-tung der Aktionen liegt jedoch überwiegend - ineinem Prozess der ständigen Abstimmung – in denHänden des Vereines. Das Nachbarschaftshaus gar-antiert hier eine Kontinuität, die die Gewerbetrei-benden selbst so meist nicht leisten könnten.

Ohne diese Form der Begleitung der Initiative wärenviele der in den letzten drei Jahren durchgeführtenAktionen in den Bereichen Wohnumfeld, Grünfläch-en, Müll, Verschmutzung, Gewerbeleerstand, Verkehrund Ökonomie durch die Gewerbetreibenden nichtumsetzbar gewesen.

Initiative Eine Gewerbetreibenden-Initiative braucht auchGeld

Bürgerschaftliches Engagement von Gewerbetreiben-den ist ohne finanzielle Unterstützung nicht möglich.

Die mehr als dreijährige Begleitung der Initiative hatsehr deutlich gezeigt: In den Jahren, in denen keinGeld zur Verfügung stand, erlahmte auch das Enga-gement der Gewerbetreibenden. Fehlende finanziel-le Mittel erschweren und verzögern die Umsetzungder Ideen und geplante Projekte sind nicht zu reali-sieren. Die schwierige finanzielle Lage vieler kleine-rer Gewerbebetriebe erlaubt es nicht, neben demzeitlichen Engagement noch ein finanzielles zuerwarten.

Die Rede ist hier nicht von großen Etats. Eine jährli-che Unterstützung einer solchen Initiative in Höhevon 2.500 bis 3.000 Euro kann das Entwicklungs-potenzial eines Stadtteils enorm erhöhen. Die in Berlinbereits im zweiten Jahr aufgelegte Finanzierung zurUnterstützung ehrenamtlichen Engagements bietetda einen richtigen Ansatz.

Unberücksichtigt bleibt an dieser Stelle die Finan-zierung notwendiger Begleitstrukturen, wie sieNachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. übernimmt.Wenn solche Einrichtungen zunehmend mit wenigerGeld auskommen müssen, kann die notwendigeUnterstützung solcher Initiativen auch nicht in aus-reichendem Maße realisiert werden.

SynergieeffekteSynergieeffekte für das Nachbarschaftshaus

Die Wahrnehmung des Nachbarschaftshauses alssoziale Einrichtung außerhalb des Kiezes hat sichaus Sicht der engagierten Gewerbetreibenden durchdie dreijährige Begleitung der Initiative stark verbes-sert. In den vielen Gesprächen und der gemeinsa-men Arbeit sind die Angebote des Nachbarschafts-hauses für viele Gewerbetreibende transparentergeworden. Dass sich neben der Arbeit mit sozialbenachteiligten Bevölkerungsgruppen konkreteAnsätze der Unterstützung für Gewerbetreibendeund ihr stadtteilbezogenes Engagement ergeben,war für viele eine Überraschung. Neuerdings trifftsich die Initiative direkt im Nachbarschaftshaus undbekommt damit noch mehr Einblicke in die Arbeitdes Vereines.

„Eigentum verpflichtet“ „Eigentum verpflichtet“ – ein Ausblick

Viele Wohnungsbaugesellschaften und Immobilien-firmen in Deutschland haben in den letzten Jahrenihre besondere Verantwortung für den Stadtteilerkannt und sich in vielfältigen Formen engagiert.Die Häuser des gründerzeitlichen Altbaugebiets, indem sich die Gewerbetreibenden-Initiative enga-giert, sind jedoch im Besitz einer Vielzahl von Einzel-eigentümern oder Immobilienfirmen. Ziel einer dernächsten Aktionen soll es sein, mit den einzelnenHausbesitzern ins Gespräch zu kommen, ihnen ihreVerantwortung für den Kiez über die Immobilie hin-aus deutlich zu machen und sie für verschiedenste

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kiezbezogene Ideen zu gewinnen. Das scheint inheutigen Zeiten, in denen die Hauseigentümer nichtmehr in ihrem eigenen Haus und oft nicht einmalmehr in derselben Stadt wohnen, schwieriger dennje. Und dennoch – einen Versuch ist es wert.

ResümeeResümee

Vielen Gewerbetreibenden-Initiativen fehlt eineForm der Begleitung und Unterstützung von außen,die ein erfolgreiches Engagement für den Stadtteilermöglichen kann. Die Schwachstellen dieser Initiati-ve (die fehlende Zeit, Kontinuität, Koordination) müs-sen erkannt und überbrückt werden, um dem Stadt-teil das hohe Potenzial dieser Ressource (Gebiets-kenntnis, Kreativität, Eigeninteresse) zu eröffnen.

Der Gewerbeleerstand in dem gründerzeitlichen Alt-baugebiet hat sich in den zurückliegenden Jahrendeutlich vermindert. Das ist mit Sicherheit nichtallein der Arbeit der Gewerbetreibenden-Initiativeund des Nachbarschaftshauses zuzurechnen. Unddennoch scheint es gelungen zu sein, Gewerbetrei-bende über den Tellerrand des wirtschaftlichenErfolgs hinaus für die Entwicklung des Gemein-wesens zu aktivieren und eine positive Aufbruch-stimmung im Stadtteil zu erzeugen.

Markus RungeNachbarschaftsheim UrbanstraßeUrbanstraße 2110961 BerlinTelefon 030 - 690 49 70E-Mail [email protected]

Theater der ErfahrungenJohanna Kaiser, Eva Bittner

RückblickEin Rückblick auf die „Schule des Lebens 2002“Die Theaterarbeit im Rahmen des „Theaters der Er-fahrungen“ mit Jung und Alt zog sich als themati-scher Leitfaden durch das ganze Jahr 2002. Nachdemim Herbst 2001 das Projekt „Generationsübergreifen-de Kulturarbeit gegen Rassismus, Fremdenfeindlich-keit und Intoleranz“ mit Unterstützung des Bundes-

programms Civitas in die Startlöcher geschoben wur-de, kurbelte das „Theater der Erfahrungen“ im Jahr2002 die ersten drei Partnerschaften mit BerlinerSchulen an und die praktische Zusammenarbeitkonnte beginnen. Jede Theatergruppe hatte ein eige-nes „Patenkind“ gefunden: Die „Grauen Zellen“kooperierten mit Jugendlichen der Boelsche-Ober-schule aus Friedrichshagen, der „Ostschwung“ stiegmit der Erich-Maria-Remarque-Oberschule aus Hel-lersdorf in den Theaterring und die „Spätzünder“spielten mit Schülerinnen und Schülern der Ernst-Schering-Oberschule aus dem Wedding.

Die Kooperationen zielten darauf ab, den Dialog zwi-schen Jugendlichen und Senioren spielerisch in Gangzu bringen, die Schulen mit Angeboten von außen zubereichern und gemeinsam eine Bühnenaufführungzu entwickeln. Dies sollte in Form von intergenerati-ven Workshops, Aufführungen der Altentheaterpro-duktionen in den Schulen und gemeinsamer Szenen-entwicklung vonstatten gehen. Manchmal verlief dieAnbahnungsphase in Sachen gemeinsames Theater-spiel problemlos und der kreative Funke sprangsofort über, manchmal waren die Hürden zunächstziemlich hoch und mussten mit Geduld und Durch-haltevermögen abgetragen werden. Mit den Fort-schritten, die im Laufe des Jahres erzielt wurden,waren wir auf jeden Fall sehr zufrieden.

„Spätzünder“Ein Blick auf die „Spätzünder“ in der Ernst-Sche-ring-Oberschule ...

Am 30. Mai 2002 um 19.00 Uhr fand der erste Auf-tritt der „Spätzünder“ in der Weddinger Schule statt.Um die vierzig Zuschauer waren gekommen und derverantwortliche Lehrer war in Anbetracht der Tatsa-che, dass zum ersten Mal eine Altentheatergruppezu Gast war, damit ganz zufrieden. Das Publikumsetzte sich aus Schülern, deren Eltern und Lehrern zu-sammen und war von „Wir geben Ihrer Zukunft einZuhause“ sehr angetan, was angesichts des Themas– die Zukunft der Rente – keine Selbstverständlich-keit ist. Wahrscheinlich hat sie vor allem das lebendi-ge Spiel der älteren Frauen begeistert. Nach der Auf-führung halfen alle beim Abbau der Bühne und unter-hielten sich mit den Spielerinnen. Wir konnten sichersein, die Schüler im Workshop wieder anzutreffen.

Somit hat eine exemplarische Pionierarbeit ihren Auf-takt genommen. An dieser Weddinger Schule gibt eskaum Arbeitsgemeinschaften und die kreativen Ange-bote des Stundenplans kommen wie fast überall zukurz. Von den Schülern sind 65% Ausländer, unter denEltern herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit. Für die Zeitnach der Schule bietet der Bezirk kaum Freizeitmög-lichkeiten. Die Jungs halten sich häufig in der Nähe derU-Bahn-Stationen auf, Mädchen beschäftigen sich –dem konventionellen Rollenmuster entsprechend – vielzu Hause. Wie oft an konfliktträchtigen Schulen sindwir auch hier auf sehr engagierte und offene Lehrer

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gestoßen, die das Theaterprojekt das ganze Jahr überbestens unterstützten.

„Grauen Zellen“... auf die „Grauen Zellen“ in Friedrichshagen ...

Auf die emotionale Öffnung der Schüler im Zusam-menspiel von Jung und Alt waren wir auch bei denanderen „Patenkindern“ sehr gespannt. In den erstenJunitagen 2002 machten sich die „Grauen Zellen“nach Friedrichshagen auf und begannen dort miteinem Workshop; sie zeigten am folgenden Vormit-tag ihre Produktion „Blauer Büffel“ und präsentier-ten im Anschluss einen spritzigen Beitrag für denProjekttag der gesamten Schule. Nach der Sommer-pause hatten die Mitglieder der „Grauen Zellen“durch das neue Schuljahr eine komplett neue Grup-pe vor sich, aber trotz knapper Zeit gelang es ihnenganz wunderbar, einen Beitrag für den gemeinsa-men Theatertag „Schule des Lebens“ im November2002 vorzubereiten.

Partnerschaft: Erich-Maria-Remarque-Oberschule und die Theatergrupppe „Ostschwung“

„Ostschwung ... und den „Ostschwung“ in Hellersdorf

Der „Ostschwung“ bestritt eine ganze ProjektwocheEnde Juni 2002 in Hellersdorf. Die dazugehörige Auf-führung wurde im September nachgereicht. Auchhier war der Drang zum Theaterspielen groß. Für dieProjektwoche meldeten sich mehr Schüler an, alsPlätze vorhanden waren, und im Klassenzimmerherrschte dann drangvolle Enge. Das war uns eineLehre – nach der Sommerpause zogen Jung und Altzu gemeinsamen Workshops in Räumlichkeitenaußerhalb der Schule um. Alle freuten sich über dieverbesserten Möglichkeiten zur Entfaltung.

„Schule des Lebens“ Theatertag „Schule des Lebens“ am 27. November2002 im Saalbau Neukölln

Dieser spannende, generationsübergreifende Thea-teransatz sollte nicht nur im Verborgenen blühen,sondern mit seinen verschiedenen Spielarten ins

Rampenlicht gerückt und genauer unter die Lupegenommen werden. Ende November war es soweit:60 junge wie alte Darsteller knabberten aufgeregtan den Fingernägeln und präsentierten dann vollerSchwung und Begeisterung ihre höchst unter-schiedlichen Arbeitsergebnisse. Das inhaltlicheSpektrum reichte von Jung-Alt-Konflikten über dieGewaltproblematik bis zur Thematik von Ohn-machtsgefühlen. Die Formen variierten vom Schat-tenspiel über Sketche bis hin zum Standbildtheater.Eine besondere Kooperation des Theaters der Erfah-rungen und der Jugendgeschichtswerkstatt Miph-gasch e.V. beschäftigte sich mit dem 9. November1938 und dem 9. November 1989. Eine höherkarätigeDiskussionsrunde versuchte, diese intergenerativeArbeitsweise genauer zu durchleuchten und zu be-werten. Nachmittags führten die „Fahrenden Frauen“ihre Produktion „Unterwegs“ auf. Ein musikalischesFree-Style-Programm rundete den Theatertag ab.

Ein Mammutprogramm auf einen Tag gepackt, dermit Sicherheit alle Beteiligten stark gefordert, abermit ebenso großer Sicherheit für alle ein großerErfolg war. Die Partnerschaft war geglückt, die großeBühne erobert und eine Portion Respekt füreinandersichtbar geworden.

Improvisation „Jung und Alt auf dem Weg in die Disko“

Workshop „Ich spreche Workshop immer falsch aus!“

(Persönlicher Erfahrungsbericht aus dem Workshopder „Grauen Zellen“ in der Boelsche-Oberschule inFriedrichshagen am 3. Juni 2002)

„Du trittst in ein wilhelminisch-wuchtiges Schulge-bäude, und schon sitzt dir die Kindheit im Nacken.Dieser unverwechselbare Geruch, der in den Mauernnistet, ein Gemisch aus Speisung, nasser Wolle,Gummistiefeln, Schweiß und Klo. Dir fällt gleich somanche Eskapade ein. Aber das ist ja zig Jahre her.Du steigst nachdenklich und deutlich langsamer alsdamals die Stufen hinauf zu einem „generations-übergreifenden Workshop“.

Mein Sohn lacht immer, wenn ich „Workshop“ sage, ichspreche die ‚Werkstatt’ auf Englisch wohl falsch aus.

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Empfang mit ohrenbetäubendem Lärm. Die Jugend,die hier einen ‚scharfen‘ Projekttag absolvieren will,blökt in den Raum, rempelt und fläzt. Die habenTurnschuhe an den großen Füßen, die an urzeitlicheUngetüme erinnern. Da kommt keine Liebe auf denersten Blick auf, nee, nee.

Einmarsch der Dompteure! Der Klassenlehrer unddie Theaterpädagogin schaffen es, dass sich die Hor-de zu einem großen Kreis entflechtet. Dazwischenwir, die „Grauen Zellen“ vom „Theater der Erfahrun-gen“. Vorstellungsrunde. Namen fliegen durch dengroßen Raum, wer nölt und nuschelt, muss noch malran. Und siehe da, die ersten Schülerköpfe werdenrot. Beiden, den Alten und den Jungen gleichsam,macht die Beschimpfungsrunde sichtlich Spaß. Wirsagen Sachen wie: Die Jugendlichen sind taub, weilsie immer zu laute Musik hören. Die Jugendlichensind in der Straßenbahn rücksichtslos u.s.w. DieSchüler feuern zurück: Die Alten wissen alles besser,sind starrsinnig und regen sich immer gleich auf.Wird aber nach ihren Großeltern gefragt, hören wir,dass es sich da um recht spendable Familienmit-glieder handelt. So, so: lieb, aber ein bisschen doof.

Nach der Aufwärmphase teilen sich Schüler inGrüppchen je eine „Graue Zelle“ auf. Da gibt es dannschon die ersten Sympathie-Punkte. Zum ThemaMissverständnisse zwischen Jung und Alt werdennun gemeinsam Szenen erarbeitet. Die Namen derSchüler werden vertraut, und wir machen etwasgemeinsam. Die szenischen Vorschläge sprudeln nurso aus uns heraus. Am witzigsten ist für mich dieNummer, die Gisela mit ihrer Gruppe zeigt: Schnellwar ein Schild gemalt: Disko – Kein Eintritt über 30!Die Gruppe schmuggelt die vermummte Gisela amEinlasser vorbei. Sie wollen schließlich unserer Omazeigen, was hier so abgeht.

Was, schon vier Stunden um?! Die Zeit ist wie im Flu-ge vergangen, und die jungen Geschöpfe in den gro-ßen Turnschuhen sind plötzlich irgendwie zum Lieb-haben. Abschied mit Küsschen.“

Karin FischerTheater der ErfahrungenCranachstraße 7, 12157 Berlin, Telefon 030 – 855 42 [email protected]

AQUARIS Erfolgreiches Beispiel für sozialräumlich orientierteStadtteilarbeit in Solingen

Anne Preuß

Der gewerbliche Strukturwandel in der Stadt Solingenhat für die Bewohner der Quartiere in den Gemenge-lagen und in den vormals als Arbeitersiedlungenkonzipierten Quartieren einige negative Veränderun-gen bewirkt: Die Attraktivität sowohl als Wohn- alsauch als Betriebsstandort hat stark abgenommen,sozial besser Gestellte verlassen die Quartiere nachund nach, soziale Problemsituationen häufen sichimmer mehr. Diese Entwicklung hat dazu geführt,dass die allgemeine Situation der Bewohner inzwi-schen von etlichen nachteiligen Faktoren geprägt ist.

Die sind zum Beispiel:

• eine hohe Arbeitslosigkeit,

• ein hoher Anteil an Sozialhilfeempfängern,

• ein hoher Anteil an Migranten,

• Defizite in der Infrastruktur und

• eine mindere Qualität des Wohnumfeldes.

Es fehlen ökonomische, soziale und kulturelle Ein-richtungen, die den Bewohnern im Quartier mehrLebensqualität verschaffen und dafür sorgen, dasssie sich in ihrem Bereich wohlfühlen. Daraus resul-tiert eine Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenenUmfeld und oft auch sich selbst gegenüber, dieseAuswirkungen zeigen sich inzwischen schon deut-lich: Materielle und immaterielle Werte verlierenimmer mehr an Bedeutung. Da sich die Bewohnernicht für ihr unmittelbares Wohnumfeld zuständigfühlen, werden die Quartiere nicht mehr gepflegtund wirken vernachlässigt und unfreundlich.

Diesem Zustand will die Stadt Solingen gezielt ent-gegenwirken: mit der Maßnahme AQUARIS, die dieStadtteile Fuhr, Hasseldelle und Zietenstraße umfasst.Im Rahmen dieses Projekts wird sozialräumlich orien-tierte Stadtteilarbeit gezielt mit den Angeboten Arbeit,Qualifizierung und (Re-) Integration in den Ausbil-dungs- und Arbeitsmarkt verbunden. Diese Angebotewerden unmittelbar im und für das Quartier erbracht,das heißt also, der Mehrwert der erbrachten Leistun-gen kommt dem Stadtteil direkt zugute. Das überge-ordnete Ziel der Angebote besteht darin, gleicherma-ßen Teilnehmer und Bewohner vor weiterer Ausgren-

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zung vom gesellschaftlichen Leben zu bewahren. DemProjekt liegt der Gedanke zugrunde, dass das Wirkenvor Ort einen direkten positiven Einfluss auf das Mit-einander vor Ort hat und zur nachhaltigen Förderungeines intakten Gemeinwesens führt – und zwar inter-kulturell und über Altersgrenzen hinweg.

Die Maßnahme AQUARIS ging im September 2002an den Start, das Angebot richtet sich gleicherma-ßen an männliche und weibliche Erwachsene undJugendliche. Für 20 Teilnehmer, davon 12 Erwachseneund 8 Jugendliche bzw. 12 Männer und 8 Frauen, ste-hen im Rahmen von Arbeit statt Sozialhilfe (ASS)Beschäftigungsangebote zur Verfügung; auch Teil-zeitbeschäftigung ist möglich. In einer ersten Orien-tierungsphase erhalten die Teilnehmer Informa-tionen über den Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt undihr Leistungsprofil wird ermittelt. So können ihnendann individuelle und passgenaue Stellen angebo-ten werden.

Die Beschäftigung für den einzelnen Teilnehmer ist zunächst auf jeweils ein Jahr befristet, sie wirdbegleitet von Qualifizierungsangeboten, die beiErwachsenen 25 % der Arbeitszeit umfassen und beiJugendlichen 50 %. Neben fachpraktischen Qualifi-zierungen werden vor allem auch persönliche undinterkulturelle Kompetenzen gefördert, eine wichtigeRolle spielt dabei das Üben von Akzeptanz und Ver-ständnis für die jeweils anderen Generationen. Diefachlich bezogene Qualifizierung umfasst zum Bei-spiel den Umgang mit Computern. Die Jugendlichenerhalten im Rahmen der Qualifizierung die Möglich-keit, fehlendes Schulwissen nachzuholen und bereitserste Fachkenntnisse in unterschiedlichen Arbeitsbe-reichen zu sammeln. Ein Bewerbungstraining rundetdas Angebot ab: So erhalten alle Teilnehmer dieMöglichkeit, mögliche Arbeitsfelder kennen zu ler-nen und sich vor dem Hintergrund dieser Erfahrun-gen dann erfolgreicher bei potenziellen Arbeitge-bern vorstellen zu können.

Die Tätigkeitsbereiche, in den die Teilnehmer sichengagieren können, finden sich vor allem im Rah-men von

• kleineren Maßnahmen der Wohnumfeldverbes-serung und der Schaffung von Kommunikations-räumen im Innen- und Außenbereich,

• Serviceangeboten im Bereich der haushaltsnahenDienstleistungen,

• Serviceangeboten personenbezogener Dienst-leistungen, zum Beispiel Nutzungsmöglichkeitenneuer Medien und

• Betreuungsleistungen allgemeiner Art.

In allen Bereichen gibt es für die Teilnehmer zahlreicheAufgaben, viele der Aktionen konnten bereits erfolg-reich abgeschlossen werden: So ergab sich zum Bei-spiel mit dem Projekt „K.u.Q. – Kompetenz und Qualifi-

kation junger Menschen in sozialen Brennpunkten“die Möglichkeit, in der Fuhr ein Assessment-Centereinzurichten, in dem Jugendliche beobachtet und ihreindividuellen Fähigkeiten und Neigungen festgestelltwerden, um ihnen auf dieser Basis ein größeres Be-rufswahlspektrum zu öffnen. Die Teilnehmer vonAQUARIS waren an der Einrichtung des Centers betei-ligt und können es in Zukunft dann auch selbst fürihren eigenen Berufswegeplan nutzen.

Das Programm von AQUARIS umfasste bisher zumBeispiel auch die Renovierung von Bürgerzentren,kleinere Arbeiten in einem Asylbewerberheim,Instandhaltungen von Spielplätzen und Grünan-lagen. Und haushaltsnahe Dienstleistungen, dieimmer häufiger nachgefragt werden: Hilfestel-lungen und Handreichungen wie für ältere oderkranke Nachbarn einzukaufen oder Mitmenschenzum Arzt zu begleiten gehören inzwischen zum fest-en Aufgabenrepertoire.

Für die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigun-gen werden die Teilnehmer entsprechend entlohnt:Die erwachsenen Teilnehmer erhalten 75 % des tarif-lichen Entgeltes, die Jugendlichen ein Praktikums-entgelt. Finanziert wird das Projektes aus Mitteln derBeschäftigungsförderung und des EuropäischenSozialfonds/Land Nordrhein-Westfalen.

Verantwortlich für die Umsetzung von AQUARISzeichnet der Trägerverbund, zu dem sich im Auftragder Beschäftigungsförderung die Fuhrgemeinschafte.V., der Internationale Bund e.V. und „Wir in der Has-seldelle e.V.“ zusammengeschlossen haben. Die Ideezu dem Projekt geht zurück auf eine Initiative imRahmen der AG Siedlung: Das Quartiersmanage-ment in Siedlungen sollte – auch hinsichtlich seinerMittlerfunktion zwischen Stadt, Quartier und Bürger– verstärkt werden. Damit war quasi der Anstoßgegeben für eine sozialräumlich orientierte Gemein-wesenarbeit. Und diese lohnt sich: Das ProjektAQUARIS kommt in den Stadtteilen gut an. Nicht nurdie Teilnehmer profitieren davon, sondern auch dieBürger erkennen, dass sich in ihrem Stadtteil ganzkonkrete Änderungen ergeben. Ob es nun die Bür-gerzentren betrifft, die mit der Hilfe von AQUARISfertig gestellt werden konnten, die Mithilfe bei Som-merfesten oder die unzähligen Hilfestellungen: DieBewohner stellen positive Entwicklungen in denQuartieren fest. Und hier entsteht eine Wechsel-wirkung: Die Bürger selbst können immer mehr ein-gebunden werden, sie beteiligen sich selbst zuneh-mend an der Verbesserung ihres Umfelds und gehenmit immer mehr Engagement die gemeinsameUmsetzung von Projekten an, die dem eigenen Quar-tier zugute kommen.

Unbedingt hervorzuheben ist im Rahmen des Projek-tes die enge Kooperation der Arbeitsmarktakteure: DieVernetzung von Bewohnern, Schulen und Kindergärtenwird immer enger. Die Wohnungsbaugesellschaften in

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den Quartieren unterstützen das Quartiersmanage-ment in großem Umfang – das Engagement reicht voneinem gesponserten Fahrzeug bis hin zur kostenfreienBereitstellung von Räumen für die Bürgervereine. Auchdie Zusammenarbeit mit einzelnen Unternehmengestaltet sich als sehr intensiv. So können zum BeispielPraktika bei Firmen angeboten werden, die neue Mit-arbeiter suchen und einstellen wollen – so ergebensich für die Teilnehmer konkrete Möglichkeiten, dorteinen festen Arbeitsplatz zu finden.

Im Schulterschluss arbeiten die unterschiedlichenEinrichtungen zusammen an der Wohnumfeldver-besserung und erleichtern Teilnehmern des Projektesgleichzeitig den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Unddies offensichtlich mit Erfolg: Bereits zwei Teilneh-mer konnten in den Arbeitsmarkt vermittelt werden,zwei Teilnehmer in schulische Ausbildungsverhältnis-se, zwei weitere Vermittlungen in Ausbildung bzw. Ar-beit stehen an. Diese Erfolge sind das Ergebnis derkonstruktiven Zusammenarbeit aller Beteiligten in-nerhalb des Projektes – vor allem sind sie aber auchdem Einsatz der Mitarbeiter des Projektes zuzuschrei-ben, die die Teilnehmer begleiten, Auswegberatungbieten und darüber hinaus intensiv an der Zusam-menarbeit mit den Bürgen arbeiten. Alle Beteiligtenhoffen auf eine Fortführung des Projektes, die fürden Zeitraum nach dem 30.11.2003 beantragt wurde.

Stadt Solingen, Anne PreußGrünewalder Str. 29-31, 42657 Solingen,Tel.: 0212 – 2494370, e-mail: [email protected]

„Integration ist,wenn ich mich verständigen kann“Ein Integrationsprojekt des NachbarschaftsheimsFrankfurt a.M.-Bockenheim e.V. – Mädchenbüro

Maneesorn Koldehofe

„Integration ist, wenn ich mich verständigen kann“:Diesen Leitsatz hat sich das Mädchenbüro des Nach-barschaftsheims Frankfurt a. M.-Bockenheim e.V.

(NBH) zum Maßstab gesetzt und in diesem Sinne dasProjekt „Bockenheimer Mädchentisch“ entwickelt.

Das Mädchenbüro bietet seit 1997 Bildungsmöglich-keiten für Mädchen im Alter von 11-16 Jahren an. Zuden Arbeitsschwerpunkten zählen Hausaufgaben-hilfe, Gruppen- und Kursangebote sowie Freizeitakti-vitäten.Neben den Bildungsangeboten ist die Integrationunsere wichtigste Aufgabe. Wir fördern die Kommu-nikation zwischen Migranten und Deutschen undleisten mit unseren Angeboten und Projekten einennachhaltigen Beitrag zur Integration. Das Projekt„Integration in Bockenheim“ des Mädchenbürossetzt insbesondere auf die Förderung der sprach-lichen (und damit auch der emotionalen) Kompetenzals Grundlage für gelingende soziale Integration.

Die AnfängeDie Anfänge

Im Spätsommer 1997 stand die Mädchenarbeit desVereins vor einem Neubeginn: Das NBH erhielt dieRäumlichkeiten im Erdgeschoss der Sozialstation amRohmerplatz, die ehemals den Frankfurter Mittags-tisch beherbergten, im Tausch gegen Räume im 7.Stock des Gebäudes der Sozialstation Bockenheim.Die Räumlichkeiten umfassten nun einen großenSaal, eine Küche, ein Büro und eine Abstellkammer.Für den Arbeitsbereich standen personell eine haupt-amtliche Sozialarbeiterin und eine Honorarkraft zurVerfügung, die die neu konzipierte Mädchenarbeitumsetzten. Die inhaltlichen Schwerpunkte lagen inder Gruppen- und Kursarbeit und in der begleitendenSchulsozialarbeit an der Georg-Büchner-Schule in derCity West. In den ersten zwei Jahren schwankte dietägliche Besucherinnenzahl zwischen 7 und 10 Mäd-chen im Alter von 14-15 Jahren.

Mit Beginn der zweiten Jahreshälfte 1998 verändertesich die Besucherinnenstruktur; es kamen überwie-gend Mädchen im Alter von 11-15 Jahren und dieGruppen- und Kursangebote wurden ausgeweitet:Mädchen bauten Schmuckkästchen, gestaltetenMasken in Bewegung, lernten Inline-Skaten, model-lierten mit Ton, führten Improvisationstheater auf,nahmen an einer Wandbild-AG teil, produzierten einMädchen-TV, das im Offenen Kanal Frankfurt/ Offen-bach gezeigt wurde und einen Tanzvideoclip.

Im Jahr 1999 beteiligte sich das Mädchenbüro erst-mals an der Ausschreibung des Jugend- und Sozial-amtes der Stadt Frankfurt am Main zur „Förderungvon innovativen und trägerübergreifenden Projekten“und verzeichnete einen Erfolg mit seinem Projekt

Mädchenhomepage „ffm-junetz.de/MaedchenKlick“

Die Jahre 1999-2001 dienten der konzeptionellenund personellen Konsolidierung: Das Mädchenbüro

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beteiligte sich an Projektausschreibungen, es erhieltFördermittel, der Stellenplan wurde auf zwei haupt-amtliche Kräfte aufgestockt, das Programm ausge-weitet.

Durchschnittlich wurden in jedem Jahr zehn Grup-pen- und Kursangebote durchgeführt. Die Zahl derMädchen stieg im Laufe der Jahre 1999-2001 auf 25regelmäßige Besucherinnen täglich an.

Neben den Gruppen- und Kursangeboten traten dieHausaufgabenhilfe, Beratung, Elternarbeit, Freizeit-aktivitäten und Ferienprogramme als eigene Arbeits-schwerpunkte in den Vordergrund.

In der Fortschreibung der Konzeption wurden so-wohl die gestiegene Besucherinnenzahl als auch dieveränderte Besucherinnenstruktur, die sowohl jün-gere (11-13 Jahre) als auch ältere Mädchen (14-16 Jah-re) umfasst, gesondert bewertet. Selbstverständlichberücksichtigten die Angebote die nationale Her-kunft und die aktuellen Bedürfnissen der Mädchen.

Das Mädchenbüro hatte sich im Jahr 2002 zu einerEinrichtung entwickelt, die

• stabile Gruppe von Besucherinnen,

• eine wachsende Nachfrage nach Hausaufgabenbe-treuung,

• eine enge Zusammenarbeit mit Eltern und Schulensowie

• eine einmalige Angebotsstruktur im Stadtteil auf-weisen konnte.

Nach wie vor fanden alle Angebote in Räumlichkeitenstatt, die bis 1997 nicht für die Jugendarbeit vorgese-hen und entsprechend räumlich unterteilt waren.

Hier mussten dringend bauliche Veränderungen her-beigeführt werden, die eine qualifizierte Kleingruppen-arbeit und differenzierte Kursangebote ermöglichten.

„Mädchentisch“Das Projekt „Bockenheimer Mädchentisch“

Die wachsende Nachfrage der Mädchen führte trotzeines konstanten Personalschlüssels von zwei haupt-amtlichen Mitarbeiterinnen zu veränderten Betreu-ungsbedingungen und steigender Arbeitsbelastung.Insbesondere die sozialpädagogische Hausaufga-benbetreuung wurde verstärkt nachgefragt und alsAngebot ausgeweitet. Vor diesem Hintergrund ent-stand das Projekt „Bockenheimer Mädchentisch“ –ein ganzheitliches Betreuungskonzept, das auf derGrundlage des interkulturellen Lernens beruht.

Das Konzept wurde im Frühjahr 2002 als so genann-tes „Teenie-Club-Projekt“ (Betreuungsangebote für12-15-Jährige) bei dem Jugend- und Sozialamt derStadt Frankfurt a.M. eingereicht, im FachausschussKinder- und Jugendförderung vorgestellt und als för-derungswürdig befunden. Das Projekt war für 20

Mädchen konzipiert und hatte ursprünglich einFinanzvolumen von 90.000,00 Euro (55.000,00 Eurolaufender und 35.000,00 Euro einmaliger Zuschuss).Während der Verfahrensdauer verhängte der Hessi-sche Innenminister eine Haushaltssperre über dieKommune, so dass der Jugendhilfeausschuss nichtmehr der Empfehlung des Fachausschusses folgenkonnte.

Das Projekt stand also plötzlich kurz vor dem Aus; dasSignal, das von dieser Entscheidung ausging, war ver-heerend: Eltern und Mädchen konnten die plötzlicheKehrtwende nicht nachvollziehen und fühlten sich inihrer Erfahrung bestätigt, dass ihre Bedürfnisse undInteressen nicht ernst genommen werden. Die Mitar-beiterinnen fürchteten um den Fortbestand ihrererfolgreichen Arbeit und der Verein stand vor derschwierigen Herausforderung, zusätzliche Geldquel-len zu akquirieren und um die Unterstützung vongroßzügigen Sponsoren zu werben.Es galt zunächst einmal, den Glauben an die eigeneSache und deren Machbarkeit zurückzugewinnen.Der Verein entwickelte ein Sponsorenkonzept undbezog in seine nächsten Schritte die Mädchen undihre Eltern mit ein. Elternbriefe an Behörden undÄmter waren ein erstes Ergebnis mehrerer gutbesuchter Elternabende. Die Mädchen entwarfenStrategien, in welcher Form sich das MädchenbüroGeld und Gehör bei den zuständigen Personen ver-schaffen könnte. Alterstypische Initiativen wie z.B.Demonstrationen, monatliche Beiträge, den Bürger-meister aufsuchen etc. waren Ausdruck der Wertig-keit und des Identifikationsgrades, die das Mädchen-büro für die Besucherinnen hatte. Insbesondere dieBegeisterung und Empathie der Mädchen waren aus-schlaggebende Gründe dafür, dass der Verein denWeg des „social sponsoring“ – trotz zahlreicher Absa-gen von Firmen und Stiftungen – weiterhin verfolgte.Briefe an Ämter und Behörden, Vorsprechen vor Gre-mien, Parteien und dem Ortsbeirat bescherten Wech-selbäder aus Hoffen und Bangen, die Ungewissheitblieb erst einmal bestehen.

Anfang Dezember – der Sozialdezernent hatte ineinem Rundschreiben weitere Haushaltskürzungenfür das Wirtschaftsjahr 2003 angekündigt und dasProjekt stand vor seinem endgültigen Aus – trat dieBHF-BANK-Stiftung auf den Plan und teilte dem Ver-ein mit, dass sie das Projekt mit 30.000,00 Eurounterstützen würde.

Rechtzeitig vor Weihnachten wurde somit ein „kleinesMärchen“ Wirklichkeit und setzte neue Kräfte frei.

Der UmbauDer Umbau

In der zweiten Januarwoche 2003 begann der Um-bau im Mädchenbüro, eine feste Wand wurde einge-zogen und zwei mobile Trennwände installiert. Zweineue Räume für Hausaufgabenhilfe und Beratung

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wurden dazugewonnen. Die älteren Mädchen erhiel-ten darüber hinaus ihren Musikraum, die jüngerenMädchen ihren Spielbereich und alle den langer-sehnten Mittagstisch.

Die „groben“ Umbauarbeiten waren Anfang Februar2003 abgeschlossen. Die Einweihungsfeier in den„halbfertigen“ Räumlichkeiten folgte am 21. Februar2003, knapp zwei Monate nach der schriftlichenZusage der BHF-BANK-Stiftung.Die Mädchen gestalteten das Programm für dieFeier, indem sie zwischen Hausaufgaben, Umbauund Renovieren probt und ihre Parts einstudierten.Die Eltern richteten das Buffet aus.

Die Mädchen und ihre Eltern konnten gemeinsammit dem NBH zahlreiche Vertreter aus der Verwal-tung (u.a. Herrn Staymann als Leiter des Jugend- undSozialamtes der Stadt Frankfurt am Main), der Presseund aus dem Stadtteil begrüßen, wobei allerdingsein Mann im Mittelpunkt stand – der Ehrengast HerrDr. Gust als Vertreter der BHF-BANK-Stiftung.

In den folgenden Tagen leisteten die Mädchen undihre Familien einen wesentlichen Eigenbeitrag inForm von aktiver Mitarbeit bei den weiteren Reno-vierungsarbeiten. Mittlerweile türmten sich injedem Raum die Sachspenden in Form von Klein-möbeln, Büchern, Pflanzen, Geschirr, Töpfen, Pfannen,Laminat u.a.m. Sie mussten ausgepackt, aufgebautund auf ihren Platz gestellt werden.

Den Laminat-Fußboden verlegten die Mitarbeiter-innen an zwei Wochenenden und während der regu-lären Öffnungszeiten des Mädchenbüros.

Am 01.03.2003 konnte der „Bockenheimer Mädchen-tisch“ offiziell beginnen.

Der AlltagDer Alltag

Bis zum 01.03.2003 hatte das Mädchenbüro täglichzwischen 20-25 Besucherinnen. Mit Beginn des Pro-jektes hatten sich 36 Mädchen angemeldet, erheb-lich mehr als ursprünglich geplant. Diese Zahl ist biszum heutigen Tag konstant geblieben.

36 Mädchen fordern täglich die volle Aufmerksam-keit von drei Betreuerinnen und erwarten von ihnenAntworten auf ihre Alltags-, Familien- und Schul-sorgen. Zu den Aufgaben der Betreuerinnen gehörtes auch, in ständigem Kontakt mit den Eltern der 36Mädchen zu bleiben und zu versuchen, diese in denAlltagsbetrieb mit einzubeziehen. Dieser Spagaterfordert von allen Beteiligten ein hohes Maß anDisziplin, Organisation und Geduld.

Das tägliche Mittagessen wird zwischen 10.00 und12.00 Uhr vorbereitet. Ab 12.00 Uhr kommen dieersten Mädchen aus der Schule, ab 14.00 Uhrbeginnt die Hausaufgabenhilfe und ab 16.00 Uhrfinden die Gruppen- und Kursangebote statt.

Montags werden gemeinsam mit den Mädchen dieLebensmittelspenden abgeholt. Da der Esstisch nichtfür 36 Mädchen ausgerichtet ist, wird in „drei Schich-ten“ zu Mittag gegessen. Die Mädchen sind in denAblauf mit einbezogen, es gibt einen Küchendienst,einen Ordnungsdienst, einen Pflanzendienst undklare Regeln für den Hausaufgaben- und den Inter-netraum. Der Kontakt zu den Eltern ist intensiv,deren Unterstützung breit gefächert: Mütterwaschen regelmäßig die Küchenhandtücher, siekochen wöchentlich oder sie helfen beim Aufräumen.

20 Eltern der insgesamt 36 Mädchen nehmen anden halbjährlichen Elternabenden teil. Erfolge undMisserfolge in der schulischen Entwicklung der Mäd-chen werden gemeinsam von Eltern und Päda-goginnen diskutiert, reflektiert und in neue Kon-zepte umgesetzt. Die gemeinsamen Erfahrungenstärken das Vertrauen und verändern den Umganguntereinander, es entsteht zunehmend eine großfa-miliäre Atmosphäre.

AusblickAusblick

Die Zwischenbilanz des Projektes „BockenheimerMädchentisch“ stellen wir mit großer Freude, mitDankbarkeit und auch mit Stolz vor:

• Zeitnahe und punktgenaue Durchführung

• Überproportionale Auslastung

• Maximale Kostendämpfung

• Eigenbeiträge der Eltern (finanzieller Art und inForm aktiver Mitarbeit)

• Ganzheitlicher Betreuungsansatz (Mittagessen,Hausaufgabenhilfe, Gruppen- und Kursangebote,Freizeitaktivitäten)

Damit leistet das Mädchenbüro einen wesentlichenBeitrag zur Bildung und zur Integration der Jugend-lichen und vermittelt ihren Eltern das Gefühl vonHeimat und lokaler Identifikation.

36 Mädchen und ihre Eltern sind im Begriff, auseinem „Teenie-Projekt“ ein beispielhaftes „Integra-tionsprojekt“ entstehen zu lassen, in dem sie ihreUnsicherheit und Perspektivlosigkeit überwindenund zu verstehen beginnen, was es heißt, mitzuwir-ken und mitzugestalten, zu fordern und zu fördern,Hilfe anzunehmen und selbst zu helfen sowie imRahmen ihrer Möglichkeiten gesellschaftliche Mit-verantwortung zu tragen.

Die Mädchen und die Eltern wissen, dass „ihr Pro-jekt“ auf wackeligen Füßen steht und die Gefahrgroß ist, dass es ab April 2004 zu keiner Fortsetzungkommt. Im Augenblick hoffen sie auf „ein zweitesWunder“…

Für das Nachbarschaftsheim endet mit dieserZwischenbilanz „die Atempause“: Es steht eine wei-

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tere Kraftanstrengung bevor, um Finanzierungs-quellen zu erschließen. Eine Einstellung des Projektskönnen wir uns nicht vorstellen, da wir sicher sind,dass das Projekt „Bockenheimer Mädchentisch“einen wesentlichen Erziehungs- und Bildungsauftragerfüllt:

• Die Mädchen werden ganzheitlich betreut,

• sie werden langfristig gefördert,

• ihnen werden exemplarisch Rechte und Pflichtenvermittelt,

• ihre Unterstützung erfolgt eng angekoppelt anihren sozialen Kontext und ihre jeweilige Lebens-welt,

• die Mädchen werden in ihren individuellen Lern-und Bildungschancen ernst genommen.

Wir hoffen mit der frühzeitigen Vorlage einesZwischenberichtes darauf, zu erreichen, dass sichVerantwortliche aus Politik, Verwaltung und Wirt-schaft finden, denen die gesellschaftliche Relevanzund Tragweite dieses Integrationsprojektes wichtiggenug ist, um es finanziell abzusichern.

Maneesorn Koldehofe, Mädchenbüro, Nachbar-schaftsheim Frankfurt a.M.-BockenheimRohmerplatz 15, 60486 Frankfurt,Tel. 069 / 77 40 40, [email protected]

Wohngemeinschaftenfür demenziellerkrankte MenschenKaren Gebert

Das Alter bringt es mit sich, dass der Mensch nichtmehr so flexibel ist, dass er sich neuen Situationenimmer schwerer anpassen kann. Der Wunsch vieleralter Menschen ist es, auch wenn Krankheiten undGebrechen den Alltag erschweren, so lange wiemöglich zu Hause in der vertrauten Umgebung zubleiben. Das ist zunächst auch durchaus realisierbar.Die Sozialstationen können im Rahmen der ambu-

lanten Haus- und Krankenpflege eine Versorgung inder eigenen Häuslichkeit sicherstellen. Problema-tisch wird es allerdings, wenn der alte Mensch einerRund-um-die-Uhr-Betreuung bedarf, wenn er nichtmehr alleine sein kann, ohne dass Gefahr besteht,dass er sich oder andere gefährdet.

Diese Situation tritt häufig dann auf, wenn einedemenzielle Erkrankung im fortgeschrittenen Sta-dium vorliegt. Hier gerät die ambulante Pflege anihre Grenzen, denn sie erfolgt in Einsätzen undgewährt keine 24-stündige Präsenz einer Pflegekraft.Immer öfter gab es Anfragen von Angehörigen undBetreuern nach einer Wohnform, die den Bedürfnis-sen des demenziell Erkrankten entgegenkommt.

Ein Pflegeheim, durch seine Vielzahl von Bewohnernauf einen streng durchstrukturierten Tagesablaufangewiesen, ist für den demenziell erkrankten altenMenschen nicht die geeignete Wohnform. Er kannsich der festgelegten Tagesstruktur nicht mehr an-passen. Lange, gleich aussehende Flure mit zahlrei-chen davon abgehenden Türen tragen noch zu seinerOrientierungslosigkeit bei. In Wohngemeinschaftenhingegen lebt der alte Mensch in einer kleinenWohngruppe mit familienähnlichen Strukturen,einem festen Pflegeteam, welches eng mit den An-gehörigen und Betreuern kooperiert und die Biogra-phie der Bewohner beim gemeinsamen Leben desAlltags berücksichtigt. Durch die Möglichkeit der in-dividuellen Betreuung entsteht eine würdevolle, demKrankheitsbild gerecht werdende Lebenssituation.

Da das Nachbarschaftsheim Schöneberg es sich zurAufgabe gemacht hat, den Bedürfnissen aller im Kiezlebenden Menschen gerecht zu werden, war dasAngebot einer Rund-um-die-Uhr-Versorgung im Rah-men der ambulanten Pflege für demenziell erkrank-te alte Menschen die logische Konsequenz einerimmer größer werdenden Nachfrage. Diese 24-stün-dige Präsenz von Pflegekräften (dabei sind drei Mit-arbeiter pro Schicht bei sechs Bewohnern eher dieRegel als die Ausnahme) ist möglich, wenn mindes-tens sechs demenziell erkrankte Bewohner ihrenhohen Pflege- und Betreuungsbedarf zusammenschließen.

Das Leben in der Wohn-gemeinschaftDas Leben in der Wohngemeinschaft

Der Hausarzt von Frau W., 86 Jahre alt, teilte unsererSozialstation mit, dass seine Patientin in der letztenZeit zunehmend vergesslich und desorientiert seiund nicht mehr in der Lage, ihren Alltag selbststän-dig zu gestalten. Frau W. lernten wir bei einem Haus-besuch als sehr freundliche alte Dame kennen. IhrErscheinungsbild wies darauf hin, dass sie die Kör-perpflege stark vernachlässigte. Auch ihre Kleidungwar schmutzig und teilweise zerrissen. Die Wohnung

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war sehr unordentlich und verdreckt, ein starker Urin-geruch ließ Inkontinenz vermuten. Im Kühlschranktürmten sich Lebensmittel mit abgelaufenem Ver-falldatum, teilweise bereits stark verschimmelt.

Im Verlauf des Gespräches stellte sich heraus, dassFrau W. zu ihrer finanziellen Situation keinerlei Anga-ben machen konnte. Eine Nachbarin (Angehörigehatte Frau W. nicht mehr), die sich ein wenig umFrau W. kümmerte, teilte mit, dass regelmäßige Aus-gaben, wie Miete, Strom und Telefon, per Dauer-auftrag vom Konto abgebucht wurden und sie abund zu mit Frau W. zur Bank ging, um Geld abzuhe-ben. Beim Amtsgericht regten wir eine Betreuungfür Frau W. an und beantragten Leistungen der Pfle-geversicherung bei der Pflegekasse.

Frau W. bekam die Pflegestufe eins, es wurde eineBetreuerin für die Bereiche Vermögenssorge, Ver-tretung gegenüber Ämtern und Behörden und Öff-nen der Post eingesetzt.

Unsere Sozialstation versorgte Frau W. mit täglichdrei Einsätzen. Nach einem Jahr war die Demenz soweit fortgeschritten, dass ein Verbleiben in der eige-nen Wohnung für Frau W. nicht mehr möglich war.Inzwischen hatte sie die Pflegestufe zwei. Frau W.war körperlich noch sehr mobil, packte mindestenszweimal in der Woche ihren Koffer, um ihre Mutterzu besuchen und verschwand. Immer wieder wurdesie von Nachbarn, Mitarbeitern der Sozialstationoder der Polizei nach Hause gebracht, alleine fand sienicht mehr zurück. Dabei war sie nicht angemessengekleidet, teilweise nur im Nachthemd und mitHausschuhen. Nachdem Frau W. ihre Kartoffeln ohneWasser kochte und nur durch das Einschreiten eineraufmerksamen Nachbarin ein Brand verhindert wer-den konnte, entfernten wir die Sicherung aus demHerd. Frau W. war darüber sehr ungehalten, denn siekochte leidenschaftlich gerne. Ihr Verhalten wurdezunehmend aggressiv. Sie begann, in kurzen Ab-ständen – teilweise alle zehn Minuten – bei Nach-barn zu klingeln, auch mitten in der Nacht. Sie fragtenach ihrer Mutter, wollte zu ihr nach Hause und warsehr ungehalten, wenn sie die Antwort bekam, dassihre Mutter doch längst verstorben sei.

Nach Absprache mit der Betreuerin zog Frau W. in dieWohngemeinschaft, die von einem festen Pflegeteamunserer Sozialstation rund um die Uhr betreut wird.Frau W. bezog ihr Zimmer, welches mit ihren Möbeln,die ihr vertraut waren (und ihr Sicherheit in derzunehmenden Orientierungslosigkeit gaben), ausge-stattet wurde. Mit Hilfe und Unterstützung des Pfle-geteams begann Frau W. wieder verschiedene Haus-haltstätigkeiten, wie Staubwischen und Saugen,Wäschezusammenlegen, Abwaschen und Abtrocknen,zu übernehmen. Vor allem das Kochen war Frau W.noch sehr vertraut und mit Hilfe und Anleitung derPflegekräfte beteiligte sie sich hier mit großem Enga-gement. Da tagsüber immer etwas zu tun war und

sich auch immer jemand fand, mit dem Frau W. sichunterhalten konnte, stellte sich nach und nach derTag-und-Nacht-Rhythmus wieder ein, denn nacheinem ausgefüllten Tag war Frau W. am Abend müde.So ergibt sich die Tagesstruktur in der Wohngemein-schaft aus dem gemeinsam gelebten Alltag undimmer sehr sensibel auf die Bedürfnisse und Fähig-keiten der Bewohner abgestimmt. Durch das gemein-same Einkaufen wurde auch die Weglauftendenz beiFrau W. zunehmend geringer. Natürlich suchte sieauch in der neuen Umgebung weiter nach ihrer Mut-ter, aber oft ließ sich Frau W. durch Gespräche oderandere Tätigkeiten ablenken. Manchmal gelang diesnicht – dann ging sie weg, unauffällig gefolgt voneiner Pflegekraft, die sie nach einiger Zeit „zufällig“traf und Frau W. in die Wohngemeinschaft zurückbe-gleitete. Frau W. fühlte sich überwiegend als Gast inder Wohngemeinschaft. Die Pflegekräfte stellten sichauf die Realität von Frau W. ein. Da sie ernst genom-men wurde, reagierte Frau W. immer weniger aggres-siv – sie fühlte sich auch wahrgenommen ...

Frau W. ist inzwischen verstorben. Ein schwererSchlaganfall machte sie bettlägerig. Sie war nichtmehr ansprechbar, konnte sich nicht mehr mitteilen.Die Pflegekräfte kannten sie nach zwei Jahren inten-siven Miteinanderumgehens sehr genau. Sie kann-ten ihre Gewohnheiten, ihre Bedürfnisse und ihreVorlieben und so lebte Frau W. ihre letzten Wochenvom Pflegeteam liebevoll umsorgt. Frau W. musstenicht mehr in das Krankenhaus. Sie konnte zu Hausesterben.

Inzwischen gibt es in Berlin ca. vierzig Wohngemein-schaften. Da es sich nicht um Einrichtungen, sondernum ganz normale private Wohnungen handelt, kannhier nur ein Schätzwert angegeben werden. DasNachbarschaftsheim Schöneberg e. V. kann inzwi-schen auf drei Jahre Pflege in einer Wohngemein-schaft – seit Oktober 2002 auch in einer weiterenWohngemeinschaft – zurückblicken, die uns davonüberzeugt haben, mit dieser Form der Betreuung fürden Personenkreis demenziell erkrankter Menschenden richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Natür-lich stehen wir immer wieder vor neuen und sehrvielschichtigen Herausforderungen: Das können Pro-bleme mit einem Bewohner oder einer Bewohnerinsein, die das Zusammenleben der Gruppe erschwe-ren und sich auch belastend auf das Team auswir-ken. Nicht zu vergessen sind auch die externen Pro-bleme zum Beispiel mit Kostenträgern, insbesondereden Krankenkassen.

All das kann uns aber nicht abschrecken – im Gegen-teil: Wir wachsen daran!

Wohngemeinschaften für demenziell erkrankteMenschen, Nachbarschaftsheim SchönebergKaren Gebert, Telefon 85 07 399 16,[email protected]

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Die politische Radikalisierung

Teil 1 Neu! Die Archiv-Serie!

Wieder entdeckt: ein spannendes Dokument aus derGeschichte der internationalen Settlement-Bewegung– die Dokumentation des IV. Kongresses des Interna-tionalen Verbandes der Nachbarschaftshäuser „Inter-national Federation of Settlements“, der vom 16. bis20. Juli 1932 in Berlin stattgefunden hat.

Unser internationaler Dachverband IFS hat sich vorge-nommen, ein Archiv mit wichtigen Dokumenten ausder weltweiten Geschichte der „Settlements“ und sozio-kulturellen Nachbarschaftshäuser zusammenzustellen.Wir werden im Rundbrief in loser Folge Ausschnitte ausden dabei gemachten Entdeckungen veröffentlichen.Den Anfang macht der hier präsentierte Ausschnitt ausder Dokumentation der 1932er-Tagung, die deutlich imZeichen der heraufziehenden faschistischen Gefahr inDeutschland, aber auch in anderen europäischen Län-dern steht. Mit Klarsicht, Engagement und Mut setzensich die Delegierten aus 12 Ländern mit der aktuellenSituation auseinander und versuchen, die Aufgaben derNachbarschaftsheime angesichts der absehbarenGefahren neu zu bestimmen.

Wie konkret die Gefahr ist, wird den Teilnehmern desKongresses unmittelbar erfahrbar, als am letzten Tag,dem 20. Juli, in Preussen die demokratisch gewählteRegierung durch einen Staatsstreich gestürzt wird unddamit einige Gesprächspartner, mit denen man gera-de noch gemeinsam gearbeitet und geplant hatte,entmachtet werden.

Präsidium und Teilnehmerliste des Kongresses lesensich wie ein Who is Who der besten Köpfe der Interna-tionalen Settlementbewegung dieser Zeit.

Im Präsidium (aber aus Gesundheitsgründen nichtpersönlich anwesend): Henrietta Barnett, die mitihrem Mann Samuel zusammen im Jahre 1884 in Lon-don Toynbee Hall das erste Settlement gegründet hat-te, und Jane Adems, die Gründerin des ersten amerika-nischen Settlements (Hull House in Chicago), die gera-de ein Jahr zuvor - 1931 – mit dem Friedensnobelpreisausgezeichnet worden war. Außerdem im Präsidiumund in einer zentralen Rolle bei Vorbereitung undDurchführung des Kongresses: Prof. Friedrich Sieg-mund-Schultze, Gründer der Sozialen Arbeitsgemein-schaft Berlin Ost (1911), der deutschen Adaption derSettlement-Idee.

Mitglieder der deutschen Delegation waren u.a.: Prof.Walther Classen (Volksheim Hamburg), Elisabeth vonHarnack (Berlin), Wenzel Holek (Arbeiterschriftstellerund Mitarbeiter der SAG Berlin Ost), Karl Meyer-Spel-brink (Nettelstedt), Käte Radke (Köln).

Ein Jahr nach dem Kongress wurden die wichtigstenVertreter der deutschen Nachbarschaftsheimbewe-gung in die Emigration gezwungen. Viele kamen nach1945 zurück und halfen dabei, die Grundlage für dasWiedererstehen der Nachbarschaftsheimbewegung zuschaffen.

Der Bericht von der 1932er-Tagung wurde (o.J.) vomfranzösischen Verband der sozio-kulturellen Zentren infranzösischer Sprache veröffentlicht. Die Übersetzungdes Kapitels „Die politische Radikalisierung“ besorgteEllen Scherer, die Übersetzung wurde bearbeitet vonHerbert Scherer und Christoph Kloesel.

Bericht von der 1932er-Tagung

Was die Deutschen die ‚politische Radikalisierung‘nennen, ist ein Phänomen, das hier entstanden istund sich ausgebreitet hat, das aber auch die benach-barten Länder betrifft, die in ähnlicher Weise vonden Nachwirkungen des Krieges und der ökonomi-schen Krise betroffen sind.

Man darf dieses Phänomen nicht mit dem Radikalis-mus älterer Tradition verwechseln, der in anderenLändern zu finden ist und der Parteien betrifft,denen eine doktrinäre Strenge zu eigen ist, die sichKompromissen verweigert. Die Radikalisierung, umdie es hier geht, hat wenig mit Prinzipien zu tun, esgeht vielmehr um Taktik und Disziplin. Sie bedeutetdas Bemühen einer Partei, die nach Macht strebt, diefür ihre Zwecke alle möglichen Truppen anwerbenund ihnen den Befehl aufzwingen will, sich in kei-nem Fall mit den Vertretern der feindlichen Parteieneinzulassen, sondern sie auf allen Gebieten und mitallen Mitteln zu bekämpfen.

Diese Radikalisierung, die das diametrale Gegenteildes Liberalismus darstellt, widerspricht der Tätigkeitder Settlements auf allen Ebenen. Aus diesem Grundhatten die deutschen Settlements, die davon ammeisten betroffen waren, dieses Thema auf dieTagesordnung des Kongresses gesetzt. Auch wenndie Vertreter der englischen, französischen und ame-rikanischen Settlements bislang davon ausgegangenwaren, dass dieses Problem nicht ihres sei, verfolgtensie doch mit lebhaftem Interesse eine Debatte, in dersich nach den Vertretern Deutschlands auch dieDelegierten aus Österreich, Ungarn, Holland, Finn-land und den skandinavischen Ländern zu Wort mel-deten. Auch wenn sie sich nicht selbst explizit zuWort meldeten, hatten sie doch allen Grund, denSchlussfolgerungen zuzustimmen, die in bester Sett-lement-Tradition darin bestanden, dass der Geist,wenn er die brutalen Kräfte, die ihn bekämpfen,besiegen und unschädlich machen will, diese zuerstkennen und verstehen muss.

Die Delegierten wurden in die Problematik zuerstvon Professor Siegmund-Schultze und Herrn WenzelHolek eingeführt, die in zwei parallelen Berichtenvon den Anfängen der Sozialen Arbeitsgemeinschaft

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Berlin-Ost erzählten und sich mit dem auseinandersetzten, was sie die „linke Radikalisierung“ inDeutschland nannten.

„Als die Soziale Arbeitsgemeinschaft ihre Arbeitbegann“, sagte Professor Siegmund-Schultze, „tat siedas in einem sozialdemokratischen Milieu, das zwarauf der einen Seite an den Klassenkampf glaubte,aber auf der anderen Seite einer Zusammenarbeitmit den anderen Klassen zustimmte.“

Herr Holek machte deutlich, dass es diese Zustim-mung nicht von Anfang an gegeben hatte. Er kannals ausgesprochen glaubwürdiger Zeuge gelten, weiler selbst ein führendes Mitglied der sozial-demokra-tischen Partei gewesen ist und sich nur nach undnach für die Gedanken von Professor Siegmund-Schultze hatte gewinnen lassen, um schließlich des-sen engagierter Mitstreiter zu werden. „Die Arbeiter-klasse“, sagte er, „hatte in dieser Zeit Gründe, mis-strauisch zu sein.

Und mit einer mitreißenden Intensität, die an denehemaligen kämpferischen Redner in großen öffent-lichen Versammlungen erinnerte, beschrieb HerrHolek die Bedingungen des Arbeiterlebens vor 1910mit all seiner Armut und Unsicherheit, die auch eineFolge der Versuche war, die Arbeiterbewegungniederzuschlagen – durch Verhaftung ihrer Führer,durch Aufenthaltsverbote für Tausende von Akti-visten, durch das Verbot von 300 Zeitungen und Zeit-schriften und die Auflösung ebenso vieler Vereine.Kein Mitleid hatten in dieser Situation die bürger-lichen Parteien, im Gegenteil: mit ihrer Mehrheithatten sie im Parlament die Ausnahmegesetze be-schlossen. Von den Kirchen gab es Tadel, die Arbeit-geber gründeten ‚gelbe (Streikbrecher-) Gewerk-schaften‘, um eine Gegenwehr der Arbeiter zu ver-hindern.

„Das war die Situation vor 22 Jahren“, sagte HerrHolek, „als einige Studenten und Studentinnen sichdazu entschieden, Professor Siegmund-Schultze zubegleiten, ihr heimatliches Ufer zu verlassen und amanderen Ufer anzulegen, um dort ihre Zelte aufzu-schlagen, um die Welt der Arbeit kennen zu lernenund das Schicksal der Arbeiter zu teilen. Von einemTag auf den anderen lernten sie gründlich dasGeheimnis der Existenzen kennen, die von den zweiArten der Entlohnung gelenkt wurden, von der ‚Zeit-arbeit’, die mehr als heute mit unerträglicher Über-wachung und Kontrolle verbunden war, und von der‚Akkordarbeit‘, die zu dieser Zeit sehr häufig von denArbeitgebern dazu benutzt wurde, den Lohn unterVerweis auf die Übereinstimmung zwischen Ange-bot und Nachfrage zu drücken.

Der gesetzliche Schutz für die Arbeiter und ihreFamilien bestand lediglich in einer begrenzten Kran-kenversicherung und in einer sehr unzureichendenInvaliditätsrente, auf die man erst ab 70 einenAnspruch geltend machen konnten.

Der Staat mischte sich ansonsten in das Arbeiter-leben nur insofern ein, dass er Steuern erhob, dieSchulpflicht verordnete und schwere oder leichteVergehen bestrafte. Niemals ging es darum, sichnach den Arbeitsbedingungen zu erkundigen oderfür eine Anpassung der Löhne an die Lebensbedürf-nisse der Familien zu sorgen. Ebenso wenig ging esum die anderen Bedürfnisse der Menschen, z.B. aucheinmal Muße zu haben und einmal einen anderenWeg zu gehen, als den, der zur Fabrik führt. Und derStaat kümmerte sich auch nicht um die alltäglichenSorgen darum, wie es am nächsten Tag weitergehenwürde, die auf den Arbeitern und ihren Familienlasteten.“

All das hatte nach Meinung von W. Holek zu einergewissen „Radikalisierung des Geistes“ geführt, dieerklärt, warum die Arbeiter von Berlin-Ost erst ein-mal mit erheblicher Reserve auf die Annäherungs-versuche der Vorkämpfer einer anderen Haltung rea-gierten, die Freundschaft zwischen den Menschenanstelle von Klassenhass verkündeten und die kon-kurrierende Eigeninteressen durch die Idee dergegenseitigen Dienstleistungen ersetzen wollten. Sietraten dafür ein, dass die Menschen nicht durchBefehle und Ordnungsrufe gegängelt würden, son-dern das Recht dazu haben sollten, eine eigene Mei-nung durch Auswahl aus verschiedenen Möglichkei-ten zu bilden. Auch Lenkung müsse den MenschenFreiheit lassen.

Dass die Vorkämpfer es trotz aller Widerstände dochgeschafft haben, ihr Ideal zu verwirklichen und, wieHolek es nennt, „eine Keimzelle“ von dem zu errich-ten, was ihnen als Ziel vor Augen schwebte, „diewahrhaft menschliche Gemeinschaft“, lässt sich andem erkennen, was er selbst und Professor Sieg-mund-Schultze über das berichtet haben, was sichdavon bis in die heutige Zeit erhalten hat. Allerdingsgibt es jetzt einen höheren Anteil an Mitgliedern ausder Arbeiterschaft, die zum Teil die Sympathie undUnterstützung aus dem Bürgertum ausgleichen, dassich zurückzieht. Aber wenn die Soziale Arbeitsge-meinschaft trotz ihrer zurückgegangenen Mitglied-schaft treue Freunde behält, wird sie wieder wach-sen, wenn die Radikalisierung in allen Milieus, aufder Rechten wie auf der Linken zunimmt und mäch-tig Sturm läuft gegen die öffentliche Ordnung unddie aktuelle Verfassung. ((Anm. der Übersetzerin: Essei daran erinnert, dass diese Einschätzung aus demSommer 1932 stammt!)),

Auf der Linken sind es bekanntlich die Kommunisten,die die Position eingenommen haben, auf der sichvorher die Sozialdemokraten befanden. Diese beidenParteien stehen sich unversöhnlich gegenüber.Außerdem behandeln die Kommunisten, die in naherZukunft die Herrschaft des Proletariats erwarten,jeden als Feind, der diesen Zeitpunkt hinauszögert,ungeachtet dessen, ob es sich um einen Proletarieroder einen Bürgerlichen handelt.

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Auf der Rechten sind es die National-Sozialisten,deren zwitterhaftes Werben ihren Erfolg begünstigt.So bekommen sie auf der einen Seite Unterstützungvon den Unternehmern, die sich dadurch erhoffen,ihre Autorität wiederherzustellen, die in dem Maßezurückgegangen, wie ihr Umsatz gesunken ist. Aufder anderen Seite finden sich bei ihnen alle – ruinier-te Bürgerliche, entmachtete Fürsten –´, die ihre ehe-maligen Privilegien vermissen, aber auch Angestellte,Studierende bis hin zu jenen „anarchistischen undverzweifelten Elementen der Straße“, wie ProfessorSiegmund-Schultze den verkommensten Typ derUnzufriedenen charakterisiert.

Was die sichtbaren oder verborgenen Ursachen derUnzufriedenheit betrifft, so erinnern die Berichter-statter natürlich an das unendliche Elend, dem so vieleausgesetzt waren. Sie weisen auch auf den Vorwurfhin, den das Land seinen Regierenden machte, weil diees weder verstanden hatten, durch ein standhafteresVerhalten das deutsche Ansehen wieder herzustellennoch die Ökonomie in den Griff zu bekommen und sodie gefährdeten Industrien wieder flott zu machen.Insbesondere stellten sie die Auswirkungen dar, die dieAufstachelung zur Gewalt auf die Mittelklasse und diestudentische Jugend hatte. Die Mittelklasse hatte nichtmehr wie früher Lust,„sich den Kopf über die Politik zuzerbrechen“, aber was soll man tun, wenn man sichzugleich allein von der Politik die Rückkehr zu den„guten alten Zeiten“ erhofft, denen man nachtrauert?Wenn die Schüler und Studenten andere Sorgen imKopf haben, als sich um das Lernen zu kümmern, liegtdas auch daran, dass selbst die brillantesten Studien-ergebnisse keine Garantie für ihre Zukunft darstellen.Deswegen sind viele selbstorganisierte Diskussions-zirkel von Studenten, in denen es ihnen zuerst um ihreberufliche Zukunft ging, unter dem Einfluss massiverpolitischer Propaganda zu Kampfgruppen der Parteiengeworden.

Bei den Arbeitern schließlich, der Bevölkerungs-gruppe, die im Mittelpunkt des Interesses der Sozia-len Arbeitsgemeinschaft steht, zu der sie den inten-sivsten Kontakt und die größte Sympathie hat, hatdie gleiche Propaganda leichtes Spiel gehabt, weil sienur die Wut über die Notverordnungen aufgreifenmusste, von denen eine nach der anderen entwederSteuern und Abgaben erhöht oder Hilfeleistungenabbaut.

Allerdings wäre es nach Meinung von W. Holek, des-sen Position in dieser Hinsicht von M. Leisten ausGörlitz vehement unterstützt wurde, ein Irrtum, zuglauben, dass die Radikalisierung nur eine Reaktionauf materielle Verschlechterungen sei. Zwei Jahrelang hatten die Arbeiter zur allgemeinen Überra-schung Entbehrungen aller Art mit erstaunlicherGeduld ertragen. Aber was sie wütend macht – dasmachte M. Gramm am Beispiel der Revolte einesArbeitslosen gegen die Wohlfahrtsverwaltung deut-lich –, ist das Bewusstsein ihrer Abhängigkeit und

ihrer Isolation. Dieses Bewusstsein bedrückt nachDarstellung von M. Leisten Millionen von Arbeitern,die noch einen Arbeitsplatz haben, den sie aberdurch neue technische Fertigungsverfahren oderRationalisierungsmaßnahmen bedroht sehen. Wel-cher Mann weiß nicht, wenn er sieht, wie eine neueMaschine montiert wird, dass sie entweder ihnselbst oder einen seiner Kollegen den Arbeitsplatzkosten wird? Auch wenn er zu denen gehört, die dieMaschine bedienen werden, kann er sich seines Brot-verdienstes nicht sicher sein, weil seine Fähigkeitennicht länger gefragt sind, wenn es nur noch darumgeht, mit vorgeschriebenen mechanischen Handlun-gen ein Räderwerk zu bedienen.

„Es ist seine soziale Isolierung, vor der der Arbeiterflieht“, schlussfolgerte M. Leisten: „An dem Tag, andem er die Uniform einer Partei anzieht. Wenn er inder Gesellschaft anderer mitmarschiert, glaubt er,wieder etwas geworden zu sein.“

Der Radikalisierung, diesem falschen Hilfsmittelgegen ein Übel, unter dem die ganze Arbeiterklasseleidet, stellt M. Leisten eine Alternative entgegen,von der es nach seinen Worten schon längst eineunterbewusste Ahnung gibt: die Befreiung aus demGefängnis des bloßen Materialismus. In dieser Hin-sicht, denkt M. Leisten, haben die Sozialdemokratenin den Jahren, in denen sie an der Macht waren,einen großen Fehler gemacht, indem sie sich aus-schließlich um das materielle Wohlergehen geküm-mert haben, um Lohn- und Wohnungspolitik, undnicht um die geistigen Bedürfnisse, die „ein Volk hat,dem die Götter fehlen“.

Diese Betrachtungsweise, die noch grundsätzlichereFragen berührt als die gegenwärtige Lage, von derDeutschland am meisten betroffen ist, fand eine ver-stärkende Resonanz durch Beiträge aus anderen Län-dern, die im Krieg neutral gewesen waren und vonder gegenwärtigen Depression weniger hart betrof-fen sind.

So gibt es z.B. in Schweden und in den anderen Skan-dinavischen Ländern, in denen die Settlements einenstarken protestantischen Bezug haben – d.h. dassdiese Konfession und ihre Vorstellungen vom Gött-lichen in der Gründungsphase einen bestimmendenEinfluss auf ihre Anhänger hatten –, heute Zeichender Verwirrung, über die D. Beskow Folgendes sagte:„Der Materialismus verbreitet sich und die geistigenGedanken scheinen den meisten eine Verschwen-dung von Zeit und Kraft zu sein. Dieser Widerstandgegen die Religion ist der markanteste Ausdruck derRadikalisierung. Gleichgültigkeit oder Verneinung,das sind die Haltungen, die einem am häufigstenbegegnen. Allein die Eliten sind interessiert an Fra-gen im Zusammenhang von Psychologie, Moral undReligion.“

Bezogen auf Beobachtungen in Holland, aber ver-gleichbar auch in anderen europäischen Ländern,

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erklärte der holländische Berichterstatter M. de Koe,dass die politischen Parteien und die Arbeiterge-werkschaften das Erbe der Kirche angetreten hätten,die einen großen Einfluss gehabt habe, solange siedas tatsächliche Zentrum des geistigen Lebens unddie führende Kraft der ethischen und moralischenAktivitäten gewesen sei. „Unglücklicherweise aberhaben weder die Parteien noch die Gewerkschaftenweitergehende Ziele formuliert als praktische Vor-teile und Wahlerfolge. Das hat zur Folge, dass derArbeiterpartei das fehlt, was am notwendigstengewesen wäre, eine erzieherische Ideologie, die dasIndividuum mit dem Universum, wie sie es sich vor-stellt, verbindet.“

In der Tat kann man nach Ansicht von Dr. de Koe inganz Europa feststellen, dass es eine Lähmung desdemokratischen Systems gibt, weil das Wahlrecht,das die Freiheit des Bürgers in Staat und Gesell-schaft garantieren sollte, nicht tatsächlich ausgeübtwird und weil die persönliche Freiheit der Wahldurch die Parteidisziplin ersetzt wird. In der gegen-wärtigen Verwirrung gibt es einen neuen Gedanken,den man erkennen und fürchten muss, und der demim russischen Marxismus, im deutschen National-sozialismus und im italienischen Faschismus gleich-ermaßen enthalten ist, nämlich dass der Staat dasZentrum aller kosmischen Kräfte ist und dass dieserStaat, der seine Beamten als Priester hat, Herr überalle Herzen und über jeden Willen sein soll.

Es ist interessant festzustellen, dass der gleicheGedanke, fast mit denselben Begriffen, von Abt Viol-let vorgetragen wurde, dessen Beitrag nicht im Pro-gramm vorgesehen war, der sich aber kompetent inder allgemeinen Debatte zu Wort meldete, umetwas über die Kommunisten aus Vitry-sur-Seine,seine Nachbarn, zu sagen:

„Man sagt nicht mehr ‚Gott ist gerecht’, sondern ‚derStaat ist gerecht’. Man sagt nicht mehr ‚Gott ist all-mächtig’, sondern ‚Der Staat ist allmächtig.’ Mansagt nicht mehr ‚Gott kümmert sich um unsereBedürfnisse’, sondern ‚Der Staat kümmert sich umsie’.“ Und weiter: „Ich bin der Meinung, dass es dasreligiöse Sehnen des Volkes ist, das nach etwassucht, das es an Stelle der verloren gegangenen Reli-gion setzen kann. Das ist es, was diese Illusion einesStaates, der Gott sein möge, schafft. Aber der Staat,dessen Aufgabe es ist zu verwalten, hat keine Machtüber das ewige Leben.“

Nach Ansicht aller im Berlin/Ulmenhof versammel-ten Mitarbeiter von Settlements sollte der Staat,selbst wo es um seine Kernfunktionen geht, nichtnach im Voraus festgelegten Formeln regieren, wiesie schon allzu sehr die industrielle Produktions-weise bestimmen. Aber damit sich der Staat vomEinfluss der Cliquen befreit und von der über diePresse organisierten öffentlichen Meinung, benötigter die aktive und beständige Mitarbeit der denken-

den Bürger. „Beim Settlement“, liest man in den letz-ten Zeilen des holländischen Berichtes, „schulen sichdie Leute in dem Sinne, dass sie die Fähigkeit erlan-gen, die Richtlinien und Entscheidungen ihrer Partei-en selbst zu prüfen. Von kleinen Einzelentscheidun-gen können sie dann weiter fortschreiten bis zu denBeziehungen zwischen dem individuellen und demallgemeinen Sinn des Lebens, der Gesellschaft unddem Universum.“

Da es in diesem Punkt Übereinstimmung gab, ist esnicht notwendig, aus jedem Bericht die Entwicklunggesondert herauszuziehen, die dort jeweils darge-stellt wird. Statt dessen ist es sinnvoll, das Augen-merk auf die Frage zu richten, welche Antworten dieDelegierten aus den verschiedenen Ländern gegenü-ber den politischen Parteien, gegenüber den Men-schen aus der Nachbarschaft, die ihnen nahe stehen,auf die wesentliche Frage hätten: Welche Haltungsollten die Settlements gegenüber diesen Entwik-klungen einnehmen?

Hier mussten, in der Tat, die Meinungen notwendi-gerweise auseinandergehen, je nachdem in wel-chem Maße das Settlement unter seinen BesuchernAnsehen genießt oder wieweit freundschaftlicheBeziehungen zwischen seinen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern <Bewohnerinnen und Bewohnern> undden Arbeitern in der Nachbarschaft charakterisiertsind durch gemeinsame Studien, gemeinsameGeselligkeiten, durch Berichte über das Alter unterjungen und alten Menschen, durch alte Erinne-rungen an früher erbetene Ratschläge oder vertrauli-che Mitteilungen. Vor allem, wenn eine Nationbesonders stark gelitten hat und die Radikalisierungdadurch auf einen besonders fruchtbaren Nähr-boden trifft, sind die Settlements zu besonderer Auf-merksamkeit verpflichtet – und das kann auch mehran Zugeständnissen bedeuten.

Die skandinavischen Länder scheinen, so legen es dieBerichte aller Delegierten aus diesen Ländern, diesich zu dieser Frage zu Wort meldeten, nahe, schei-nen am wenigsten von einer intensiven Radikalisie-rung geschädigt zu sein. Frau Michelet beschrieb indem Hauptbericht, den sie über die drei skandinavi-schen Länder in Ergänzung dessen abgab, was sie zuNorwegen gesagt hatte, die Motive, durch die sie indieser Hinsicht eine privilegierte Stellung einneh-men. Nachdem sie während des Krieges neutralgewesen waren und sich während dieser Zeit einesaußerordentlichen Wohlstandes erfreut hatten, spür-ten sie 1920 die ersten Erschütterungen der Krise, diedazu geführt hat, dass gegenwärtig in den drei Län-dern insgesamt 250.000 Menschen arbeitslos sind.Glücklicherweise kann dieses Übel nicht so schwerwiegende Auswirkungen haben wie in Ländern mitSchwerindustrie, weil die skandinavischen Ländervor allem Landwirtschaft betreiben, wodurch siezwar in Zeiten, in denen der Warenaustausch regeist, weniger Gewinn erzielen, aber in Zeiten der öko-

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nomischen Depression weniger Katastrophen unter-worfen sind.

Außerdem erinnerte Frau Michelet daran, dass dieVolksbildung durch die Schule in diesen Ländernbesonders weit entwickelt wurde. Wenn es wenigerreligiösen Eifer gebe als in der Vergangenheit, habedas auch damit zu tun, dass viele der üblichen Reibe-reien dadurch vermieden worden seien, dass alle dreiVölker in ihrer übergroßen Mehrheit der gleichen Kir-che treu geblieben seien. Was die Radikalisierung aufder Linken angeht, bezeichnete Frau Michelet denSozialismus in Schweden und Dänemark als denältesten und stärksten, während seine Erscheinungs-formen in Norwegen am jüngsten und am revolutio-närsten seien. Um das Bild zu vervollständigen,nannte sie auch die beiden zahlenmäßig kleinenkommunistischen Gruppen „Charta“ in Schwedenund „Mot kay“ in Norwegen – die ihre Anhänger-schaft unter den Studenten rekrutieren. Welche Ge-fahren bedrohen nun ihrer Meinung nach die Neu-tralität, auf die Settlements achten müssen? Auf derLinken ist es die Anwerbung durch die Arbeiterpar-teien, deren Zielgruppe eine Jugend ist, die sich bis-lang nicht mit Politik beschäftigt hat und die überdie Sportvereine erreicht wird. Auf der Rechten ist es,auch wenn es nichts gibt, das im Entferntesten anden deutschen Nationalsozialismus heranreicht, einebürgerliche Starrköpfigkeit, die sich seit einiger Zeitherausgebildet hat, die eine Propaganda mit faschis-tischen Elementen entfaltet und die Anhänger unterHochschülern und Schülern sucht.

Alles in allem ist nichts wichtiger als dass die Settle-ments nicht in ihren Bemühungen nachlassen,Anhänger zu gewinnen: So wie in Birkagarden inStockholm ganze Scharen von Kindern, Jugendlichenund Erwachsenen in die Kurse und Clubs drängen, sowie auf dem Lande die allereinfachsten Zentren sichhervorragend entwickeln, ohne auf Opposition zustoßen, so wie schließlich die drei Universitäts-Sett-lements Fuß gefasst haben in Kopenhagen, Stok-kholm und Oslo. Ist das nicht eine wunderbareErmutigung für die Mitarbeiter/innen, konsequentan ihrem Ansatz festzuhalten und, wenn sie ihreFreunde aus allen gesellschaftlichen Richtungenwillkommen heißen, darauf zu bestehen, dass diePolitik vor der Schwelle des Settlements Halt macht?

Auch wenn Herr de Koe die Politik der Parteien in sei-nem Land aufs Heftigste kritisiert, können in Hollanddie „Volkshäuser“, jedenfalls zur Stunde noch, Zu-fluchtsorte für Toleranz und freie Meinungsbildungsein. Außerdem findet der Nationalsozialismus inseiner holländischen Form, die ziemlich gemäßigtist, kaum ein Gebiet, auf dem er sich entfalten kann,und der Radikalismus der extremen Linken, der seineMitstreiter beim 5. Stand rekrutiert – das heißt beiden nicht qualifizierten Arbeitern und den jungenLeuten, die noch nicht gearbeitet haben –, hat sichnicht der Arbeiterelite bemächtigt, die vielmehr das

Settlement besucht und etwas von seinem Geistaufnimmt. Wie müssen sich die Intellektuellen die-ser Elite gegenüber verhalten? „Sicherlich nicht wieLehrmeister“, sagt Herr de Koe, „eher wie Forscher:Denn wir müssen in der Unordnung der heutigenZeit, belastet mit unseren eigenen Bürden unddenen der anderen, als Kameraden gemeinsam mitden Arbeitern nach den besten Lösungen suchen.“

Man sieht in jedem Fall, dass die Neutralität in Hol-land nicht bedeutet, dass man sich der Aufgabeeiner bürgerschaftlichen Bildungsarbeit entzieht,ganz im Gegenteil: Die Settlements bemühen sichdarum, in ihren Studienzirkeln und in ihren schrift-lichen Veröffentlichungen, Kenntnisse zu verbreitenund Diskussionen zu begünstigen, die jedem dabeihelfen, seinen Platz zu finden und seine Rolle in derNation zu erfüllen.

Die beiden finnischen Berichterstatter, Herr PastorSirenius und Herr Heikki Waris, kommen fast zu dengleichen Schlussfolgerungen. Es muss allerdingsangemerkt werden, dass Ersterer sich besorgt darü-ber äußert, dass die Settlements, die einmal von derGeistlichkeit ins Leben gerufen wurden und in derZeit zwischen 1917 und 1920 von bürgerlichen Kräf-ten getragen worden sind, die aus ihnen einenSchutzwall machten, sich heute darum bemühen,Zentren des freien Denkens zu werden, die von denStudenten dirigiert werden.

Herr Heikki Waris, von großem Optimismus beflügelt,vertrat eine andere Meinung. Er pries eine Haltung,die sich seiner Meinung nach in einer vernünftigenAtmosphäre gewaltig ausdehnen könnte und diewährend des ganzen Bürgerkrieges das älteste finni-sche Settlement, Kalliola, an den Tag gelegt habe unddie dazu geführt habe, dass es sich sowohl bei denWeißen wie bei den Roten hohen Respekt erworbenhabe, die ansonsten in allen Fragen völlig gegensätz-liche Positionen vertreten hätten. Auch wenn dieSettlements heute, aus politischen Gründen, nichtlänger die Unterstützung der Unternehmerschafthaben, entwickeln sie sich doch gut voran in dreiRichtungen: in der Gesundheitsförderung, bei derKinderbetreuung im Kindergarten, welche ihnen Nut-zerkreise zuführt, die ihnen früher feindlich gegenü-ber gestanden haben, und in den offenen Foren, indenen Studenten und Arbeiter die politischen undsozialen Probleme sachlich miteinander diskutieren.Neben diesen politischen Diskussionen finden vorallem jene Studienzirkel einen ständig wachsendenZulauf, in denen Jugendliche unterschiedlichster Her-kunft „Zivilisationsstunden“ nehmen wollen.

Wenn man bedenkt, dass Finnland, diese jungeNation, unmittelbar ans bolschewistische Russlandangrenzt, dann kann man sich angesichts dererreichten Resultate nur freuen über die Glaub-würdigkeit und Begeisterungsfähigkeit des HerrnHeikki Waris.

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Man muss jedoch auch den heldenhaften Kampf ver-stehen und achten, den in anderen Ländern die altenSettlements führen, die von allen Seiten von feind-lichen Parteien umzingelt sind. Im Namen der österrei-chischen Settlements wies Frau Löhr, die bereits vonder Verrohung berichtet hatte, die eine Folge der Ar-beitslosigkeit sei, auf die Verrohung durch die Radika-lisierung hin. Sie berichtete dann noch von einer Aktionder Settlement-Mitarbeiter/innen (Bewohnerinnen),die die Ferienzeit dazu benutzt hatten, um auf demLande städtische und ländliche Mütter zusammenzu-bringen; sehr viel Misstrauen und Vorurteile ver-schwanden auf beiden Seiten durch die gemeinsameingenommenen Mahlzeiten und die geteilten Haus-arbeiten; selbst die Väter hörten auf, sich gegenseitigfür die jeweils besseren zu halten und sich gegen dieanderen abzugrenzen, Bauern gegen Arbeiter undArbeiter gegen Bauern. Ein anderes Beispiel war dasjenes jungen Mannes, eines eifrigen Besuchers der Stu-dienzirkel in der Lienfeldergasse, der einer der aktivstenAgitatoren des radikalisierten Sozialismus gewesenwar. „Wissen Sie“, sagte er eines Tages,„dass das Sett-lement daran schuld ist, dass ich nicht mehr für diepolitische Propaganda tauge?“

Natürlich hatten die Settlement-Mitarbeiter/innendieses halb verzweifelte Eingeständnis als eineEhrung empfunden, da es bewies, dass ihr jungerFreund beim Settlement gelernt hatte, jede Ideeunter mehreren Aspekten zu betrachten. Jedochbewerteten sie einen solchen Erfolg als Ausnahme.Sie stellten die unzähligen Beispiele von jungen Leu-ten und Kindern dagegen, die seit ihrer Schulzeit,angestiftet von ihren Lehrern und Lehrerinnen, nurdanach strebten, sich bei einer der radikalen Grup-pierungen einzureihen.

„Angesichts eines dermaßen generellen Problems“,sagte Frau Löhr, „müssen wir unsere eigene Haltunggegenüber den Parteien festlegen.“

Sie schlussfolgerte, dass es vergebens sein würde,vorzugeben, diese nicht zu kennen. Die Neutralitätder Settlements bedeute immer, dass es einen Ortdarstelle, „wo sich die unterschiedlichen Menschentreffen können“. Aber die Neutralität könne zum Bei-spiel nicht verhindern, dass das Settlement sich mitder benachbarten Arbeiterschaft zusammen um dieVerteidigung von – unter schwierigen Bedingungenerkämpften – Errungenschaften bemüht wie z.B. dieGesetze zur Hilfeleistung für Alte, Invalide undArbeitslose. Das Settlement wahrt seine Rolle, wennes die Regierungen im Namen der Gerechtigkeitwachrüttelt und sie daran erinnert, „dass es keinennationalen Wohlstand gibt, der mit dem Elend einesTeils der Bevölkerung erkauft ist“.

Mit erheblich mehr Nachdruck bestand ein VertreterUngarns auf der Notwendigkeit, dass die Settle-ments mit den Funktionsträgern des Staates bei derGestaltung sozialer Reformen zusammenarbeiten

müssten, was auch bedeute, zu den politischen Par-teien Kontakt zu halten. In der Tat ist in Ungarn dieSituation so, dass die Parteien alles durchdringen,dass sie vorgeben, die ganze Nation zu umfassen –Männer, Frauen, Alte, Kinder – alle, die Stimmrechthaben oder auch nicht. Also, wenn die Settlementsdie Bildungsprogramme nicht kennen, die die Par-teien für ihre Anhänger entwerfen, wie können ihreMitarbeiter/innen dann wirkungsvolle eigene Pro-gramme durchführen? Als Überlebende veralteterHerangehensweisen und Methoden könnten sie alsPrediger in der Wüste enden.

Der Kreis schloss sich da, wo er begonnen hatte, inBerlin-Ost, bei den Repräsentanten der SozialenArbeitsgemeinschaft, die man nicht mehr nach ihrenPrioritäten oder ihren Idealen fragen muss, sondernnach den Mitteln, mit denen sie hoffen, ihre Isolationüberwinden und ihre Arbeit fortsetzen zu können.

Herr Wenzel Holek sprach sich dagegen aus, denrelativ bequemen Ausweg zu wählen, das Settle-ment in ein einfaches Gesundheits- oder Wohltätig-keitszentrum umzuwandeln. „Wir dürfen uns nichtdamit zufrieden geben, Schwestern der Barmherzig-keit zu sein, die über kranke Körper wachen, da unse-re Aufgabe darin besteht, unseren Freunden zueinem neuen Leben zu verhelfen.“

Professor Siegmund Schulze berichtete darüber, dassdie von der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ostangebotenen technischen Kurse noch immer auchMitglieder der kommunistischen Jugendorganisationzu ihren Hörern zählten. Aber um diese Jugendlichenan sich zu binden und mit den Jungen und Mädchenwieder solche Beziehungen herzustellen, wie sie dasSettlement 20 Jahre lang mit ihren Eltern aufrechterhalten hat, muss das Settlement ihnen vielleichtentgegengehen. Prof. Siegmund Schulze meint, dassin den Unterhaltungen der Mitarbeiter/innen mitden jungen Kommunisten die Hypothese einer kom-munistischen Rekonstruktion der Gesellschaft nichtvöllig ausgeschlossen werden dürfe.

U.a. auf diese Anregung hin zitierte Frau Kuppert, dieden Vorsitz der Sitzung führte und die Debattenzusammenfasste, einen Spruch aus dem neunzehn-ten Jahrhundert zur Zeit des Untergangs einer altenund des Beginns einer neuen Welt: „Wir müssen einJude sein unter den Juden, ein Grieche unter denGriechen und ein Römer unter den Römern.“

Wer Interesse an einer intensiveren Beschäftigungmit diesem und anderen historischen Dokumentenaus der Settlementbewegung hat, kann Material aufder Website des Internationalen Verbandes finden(www.ifsnetwork.org), sich aber auch an unsereGeschäftsstelle in Berlin wenden ([email protected],Tel. 030 8610191).

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„XAGA - Spiele“Spielspaß Kneten und Gewinnen!Spielend zu neuen Perspektiven!

Am 3. Oktober erscheinen „XAGA - Das Stadtspiel“und „XAGA - Das Dorfspiel“ zum „Leipziger Spiele-fest“.

Ob in der Familie und mit Freunden gespielt oder alsWerkzeuge für Kommunikations- und Beteiligungs-förderung eingesetzt:

XAGA - Spiele machen vor allem Spaß!

Diese Stadt ist bunt! Neben dem roten Solar-Wohn-turm gibt es eine blaue Liegewiese und die öffentli-che Toilette daneben ist ein alternatives Regenwas-serklo in Gelb. Rot, blau, gelb? Diese Stadt ist ausbunter Knete, viel Kreativität und steht auf demSpielbrett von „XAGA - Das Stadtspiel“.

"XAGA - Das Stadtspiel" und „XAGA - Das Dorfspiel“sind kreativ-strategische Brettspiele. Im Spiel ent-steht mit bunter Knete aus Ideen, Wünschen undStrategien der 4 bis 6 Spieler ein Ort ihrer Bedarfeund Vorstellungen. Vielfalt ist erwünscht, denn stattum Quantität geht es um Qualität des gemeinsa-men Lebensraumes. Auf der Grundplatte einer fikti-ven Stadt (bzw. einer Dörfergemeinschaft) knetendie Spieler Gebäude, Grünflächen, u.a. und werben

um Gunst und Besuch der Bewohner und -gäste.Werden für einen lebendigen Ort mehr Geschäftegebraucht oder ein origineller Spielplatz, alternativeWohnprojekte oder eine neue Marktgestaltung?Allein der Bau aus Knete reicht nicht aus, um dieMitspieler in die eigenen Bauten zu locken. DurchWerbung füllen die Spieler ihre Kreationen auch mitInhalten.

Im ständigen Rollenwechsel zwischen Investorenund Bewohner schaffen die Spieler gemeinsam ihreneigenen Ort aus Phantasie und Strategie! Assoziativentwickeln sie Bauten und Nutzungen, die ihnen fürein lebendiges Viertel/Dorf wünschenswert erschei-nen. Erlebt wird das vielgestaltige Beziehungsgefügeeiner Stadt oder Dorfgemeinschaft sowie der Aus-tausch der Spieler zu ihren unterschiedlichen Sicht-weisen zu Wohn- und Lebensqualität. Kommu-nikation wird hier groß geschrieben. Ganz „neben-bei“ lernen die Mitspieler so auch gegenseitig ihreverschiedenen Blickwinkel und Interessen kennen.

Am Ende entscheidet die Ehrenbürgerwahl über denSpielsieg. Für den Gewinn des Ehrenbürgertitels zäh-len jedoch nicht nur Wahlkarten wie “Die meistenBauten” sondern auch „Das schönste Haus“ oder„Der störendsten Nachbar“. In jedem Fall gewinntdie ganze Spielerrunde neue Ideen und eine neueQualität des Miteinanders.

KommunikationEin Spiel als Instrument zur Förderung vonKommunikation und Beteiligung

Partizipation spielt in allen Bereichen eine zuneh-mende Rolle. Wie aber erreicht man das „Zusammen-spiel“ unterschiedlicher Interessen und eine Kon-sensfindung für gemeinsame Projekte in einemlebendigen Lernprozess? Kreative Methoden sinddafür gefragt! Vor dieser Fragestellung entwickelteNetzwerk Südost e.V. als Leipziger Fachverein fürGemeinwesenarbeit, Stadtteilmanagement undRegionalentwicklung die XAGA-Spiele. spielerischZugänge für Motivation und Kommunikation in derStadt- und Regionalentwicklung schafft. XAGA-Spielesind in unterschiedlichen Feldern einsetzbar. Ihr kre-ativer und kommunikativer Spielansatz macht sieauch zu idealen Werkzeugen in den BereichenKommunikationstraining, Teambildung, Personalent-wicklung und vielen mehr.

Miteinander Instrumente für ein kreatives Miteinander

Um nachhaltig bundesweit die Fachlichkeit fürInstrumente in der Stadt- und Regio-nalentwicklungzu profilieren, hat sich am 7. Juli 2003 die „StiftungAgens. Initiative zur Förderung von Bildung undKommunikation für ein gemeinwesen-orientiertesHandeln in Stadt, Dorf und Region“ gegründet.Ansatz des Stiftungsgründer Netzwerk Südost e.V.

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war es, die neue Stiftung von Anfang an durch Pro-jekte lebendig zu gestalten. Der Verein hat daher„XAGA - Das Stadtspiel“ und „XAGA - Das Dorfspiel“in die neue Stiftung eingebracht. Nicht nur inhalt-lich, auch finanziell erfährt „Stiftung Agens“ damiteine Unterstützung. Die verbleibenden Erlöse derSpiele fließen in den Stiftungsfonds und stärken sodas weitere Stiftungsengagement.

InfosMehr Infos zu den „XAGA - Spielen“:

www.xagaspiele.de, www.stiftung-agens.deoderTel. unter 0341/9902309

Ansprechpartner:Ulrike Kopsch, Georg Pohl, Annette Ullrich

* Projekt „Management für regionale Lernkultur“innerhalb des Programms „Lernkultur Kompetenz-entwicklung“ /Programm-bereich „Lernen im sozia-len Umfeld“ des ABWF e.V., Arbeitsgemeinschaft fürbetriebliche Weiterbildungsforschung, Berlin,(www.abwf.de), gefördert durch das Bundesministe-rium für Bildung und Forschung und den Europä-ischen Sozialfonds.

Partnerschaft stattKonkurrenzKooperation und Vernetzung in Berlin

In Berlin im Stadtteil Tempelhof/Mariendorf habensich vier Träger zu einem ein Verbund für flexibleHilfen zur Erziehung zusammengeschlossen.Warum?

Hintergrund ist die geplante und in großen Teilenschon vollzogene Umstrukturierung in der BerlinerJugendhilfe. So hat sich die Leitung des JugendamtesTempelhof/Schöneberg entschlossen, die Jugendhilfeim Bezirk nach den Prinzipien der Sozialraumorien-tierung weiter zu entwickeln. Hauptaspekt ist dabei,die Jugendhilfe an den Interessen und Bdürfnissenderjenigen auszurichten, die sie in erster Linie be-trifft: den Jugendlichen, den Kindern und ihrer Fami-

lien. Dezentralisierung und Regionalisierung sind dieStichworte unter denen künftig Jugendhilfe undJugendförderung geschehen sollen.

Im letzten Rundbrief haben wir ausführlich zurSozialraumorientierung und dem Modell das in Tem-pelhof/ Schöneberg praktiziert wird berichtet. Deshalbverzichte ich hier auf die detaillierte Begriffserläute-rung und Auseinandersetzung mit dem Thema "Sozialraumorientierung".

Bestandteil dieser Neuorientierung ist eine Evalu-ation der Hilfen zur Erziehung, die in den letzten Jah-ren einen riesigem Umfang erreicht hatten. Es gab inBerlin Tausende von Anbietern (auschließlich freieund private Träger) von Hilfen zur Erziehung.

Neben der schlichten Tatsache, dass der BerlinerFinanzsenator ein Kürzung der Mittel um bis zu 40%in diesem Jugendhilfebereich vorgesehen hat, hatder Bezirk T/S entschieden in allen SozialräumenSchwerpunktträger auszuwählen, mit denen er künf-tig im Bereich Hilfen zur Erziehung zusammenarbei-ten will. Der Bezirk hat Kriterien entwickelt, anhandderer die Schwerpunkträger ausgewählt wurden.(Z.B. Verankerung im Stadtteil, bisherige gute Koope-ration mit dem Jugendamt, langjährige Erfahrung inder Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien,Wirtschaftliche Standfestigkeit)

In den Sozialräumen Tempelhof und Mariendorfwurden als Schwerpunktträger ausgewählt:

Nachbarschafts-und Selbsthilfezentrum in der ufafabrik e.V.

K*ID*S e.V., Hilfe für Familien in Krisensituationen

Diakonisches Werk Tempelhof-Schöneberg e.V.

Verein für betreuten Umgang e.V.

Zwei Träger (K.I.D.S. & VbU) haben bisher ausschließ-lich ambulante Hilfen zur Erziehung angeboten. DasNUSZ und das Diakonische Werk haben neben diesenArbeitsfeldern viele weitere Tätigkeitsgebiete. So wer-den die Partner zum einen von der weiten Fächerungder Angebote als auch von der hohen fachlichen Kom-petenz der bisherigen Solitärträger profitieren können.

Die Träger bieten für die Sozialräume Tempelhof undMariendorf sozialraumbezogene und an der Lebens-welt von Kindern, Jugendlichen und ihren Familienorientierte, flexible Hilfen zur Erziehung an.

Leitgedanke unserer Arbeit ist die Idee der Selbst-hilfe. Mit den Angeboten werden die vorhandenenFähigkeiten und Ressourcen der Familien, Kinder undJugendlichen gefördert unterstützt und gestärkt.Ein respektvoller und wertschätzender Umgang mit-einander ist selbstverständlich . Wir möchten dazubeitragen, Akzeptanz und Toleranz für unterschiedli-che Lebensweisen zu praktizieren.

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LeitsätzeGemeinsame Leitsätze

>> Hilfe zur Selbsthilfe

>> Sozialraumorientierung

>> Vernetzung und Kooperation

Zielsetzung Zielsetzung des Verbundes

Die Träger stellen die sach- und fachgerechte Durch-führung von Hilfen zur Erziehung in den Sozialräumensicher. Innovative Gestaltung und Umsetzung vonHilfen zur Erziehung - unter Einbeziehung ihrer prä-ventiven Angebote - aktiv zu initiieren und kontinu-ierlich fortzusetzen. Kinder, Jugendliche und ihreFamilien werden aktiv an diesem Prozess beteiligt.

Die Träger tauschen sich dazu regelmäßig aus undinformieren sich gegenseitig über die gesamte Paletteihrer Angebote.

Die Weiterentwicklung von bestehenden Hilfeange-boten, sowie die Entwicklung von neuen Hilfeange-boten geschieht in enger Abstimmung der Verbund-träger untereinander. Über den Aufbau neuer Hilfe-angebote eines Trägers werden die übrigen Verbund-träger informiert.

Der Verbund verpflichtet sich, flexible Hilfen zurErziehung sicherzustellen und mit anderen Trägernund Einrichtungen des Bezirks zu kooperieren.

Es ist dabei das Ziel, gemeinsam auf der Basis ver-trauensvoller Zusammenarbeit untereinander undmit dem Jugendamt eine flexible Gestaltung undUmsetzung der Hilfen zur Erziehung zu erreichensowie flexible, präventive, Förder-, Unterstützungs-,und Hilfeangebote zu entwickeln.

Arbeitsweise Arbeitsweise des Verbundes

Der Verbund hat eine Geschäftsstelle eingerichtet. DieGeschäftsstelle vertritt die gemeinsamen Interessendes Verbundes nach außen. Die Federführung wech-selt zwischen den Trägern in jährlichem Rhythmus.

Die Träger des Verbundes entwickeln ein Modell zurAufteilung der flexiblen Hilfen zur Erziehung unter-einander.

QualitätssicherungQualitätssicherung

Die Träger gewährleisten die Entwicklung einesbedarfsgerechten, wirksamen Leistungsspektrums

flexibler Erziehungshilfen im Bezirk unter Sicherungder Durchführungs- und Ergebnisqualität der Leistungen.

Die Träger erarbeiten gemeinsame Qualitätsstan-dards für die von ihnen erbrachten flexiblen Hilfenzur Erziehung.

Es gibt allerdings Voraussetzungen und Bedingun-gen dafür, dass die Orientierung daran, was Kinder,Jugendliche und ihre Familien wirklich brauchengelingt:

Eine wesentliche Voraussetzung ist neben demhohen Engagement aller Beteiligten, der Partizipa-tion der Adressaten, die Veränderung der Finanzie-rungsstruktur im Bereich der Hilfen zur Erziehung.

Das heißt, die vorgesehenen Sozialraumbudgetsmüssen zügig zur Verfügung gestellt werden. Damitauch tatsächlich Veränderungen stattfinden könnenund „maßgeschneiderte Hilfen“ nicht daran schei-tern, dass es zwar eine Finanzierung für eine Para-grafen gestützte und mit Rechtsanspruch verseheneHilfe gibt, keinerlei Finanzierung jedoch für präventi-ve und angemessene Unterstützung und Förderung.

Renate Wilkening, Geschäftsführerin Nachbarschafts-und Selbsthilfezentrum in der Ufafabrik und Verbundpartnerin

ImpressumImpressum:

Der Rundbrief wir herausgegeben vom Verband fürsozial- kulturelle Arbeit e.V., Slabystr. 11, 50735 Köln

Telefon: 0221 – 760 69 59Fax: 0221 – 77 87 095

Email: [email protected]: www.vska.de

Ab 15. DezemberTucholskystr. 11, 10117 BerlinTelefon: 030 – 280 91 03Fax: 030 – 862 11 55

Redaktion: Renate da Rin / Monika SchneiderGestaltung: Zitrus Werbeagentur, KölnDruck: Druckerei Alte Feuerwache GbR, Berlin

Der Rundbrief erscheint halbjährlichEinzelheft: 5,00 Euro inkl. Versand

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Neuerscheinung – Erhältlich ab Februar 2004

EntdeckenEntdecken wir es neu! Die CD-Rom zum bürgerschaftlichen Engagement in sozialkulturellen Einrichtungen mit praktischen Hilfen, guten Bei-spielen und nützlichen Tipps aus der Praxis für die Praxis