Rundbrief 2-2004

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Rundbrief 2 In dieser Ausgabe: Vorschnelle Schlüsse - Gedanken zur Diskussion um die soziale Stadtentwicklung Weder Ghetto noch Slum - der Soldiner Kiez Die KiezAktivKassen - neue Impulse für bürgerschaftliches Engagement HartzIV und die MAE-Jobs Leben in Nachbarschaft bis ins hohe Alter - Community Care Eine Reise nach Wien Die IFS-Konferenz in Toronto Toynbee Hall und die deutsche Nachbarschaftsbewegung Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. ISSN 0940-8665 40. Jahrgang / Dezember 2004 5,00 • Nachbarschaftsheime • Bürgerzentren • Soziale Arbeit • • Erfahrungen • Berichte • Stellungnahmen • 2004

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• Vorschnelle Schlüsse - Gedanken zur Diskussion um die soziale Stadtentwicklung (Georg Zinner) • Weder Ghetto noch Slum - der Soldiner Kiez in Berlin(Thomas Kilian) • Partizipationsprojekt im Soldiner Kiez (Studentengruppe der Technischen Universität Berlin) • Fragestellungen und potentielle Standards zu den „MAE“-Jobs nach Hartz IV (ad-hoc-Arbeitsgruppe Hartz IV der Berliner Landesgruppe) • Die KiezAktivKassen - neue Impulse für bürgerschaftliches Engagement (Michael Seberich, Oliver Ginsberg) • Projektskizze: Leben in Nachbarschaft bis ins hohe Alter - Community Care (VskA und Freunde alter Menschen e.V.) • Eine (Chor-)Reise nach Wien im Mai 2004 (Renate Wilkening und Harald Hübner) • Die internationale IFS-Konferenz Toronto 2004 (Renate Wilkening) Impressionen von der IFS-Konferenz (Fotoseite) • Toynbee Hall und die deutsche Nachbarschaftsbewegung (Herbert Scherer)

Transcript of Rundbrief 2-2004

  • Rundbrief 2

    In dieser Ausgabe:

    Vorschnelle Schlsse - Gedanken zur Diskussion um die soziale Stadtentwicklung Weder Ghetto noch Slum - der Soldiner Kiez Die KiezAktivKassen - neue Impulse fr brgerschaftliches Engagement HartzIV und die MAE-Jobs Leben in Nachbarschaft bis ins hohe Alter - Community Care Eine Reise nach Wien Die IFS-Konferenz in Toronto Toynbee Hall und die deutsche Nachbarschaftsbewegung

    Verband fr sozial-kulturelle Arbeit e.V.

    ISSN 0940-866540. Jahrgang / Dezember 20045,00

    Nachbarschaftsheime Brgerzentren Soziale Arbeit Erfahrungen Berichte Stellungnahmen

    2004

  • Der Rundbrief wird herausgegeben vomVerband fr sozial-kulturelle Arbeit e.V.Tucholskystr. 11, 10117 Berlin

    Telefon: 030 280 961 03Fax: 030 862 11 55email: [email protected]: www.vska.de

    Redaktion: Herbert SchererGestaltung: newsign Werbeagentur GmbHDruck: Druckerei Alte Feuerwache GbR, Berlin

    Der Rundbrief erscheint halbjhrlichEinzelheft: 5 inkl. Versand

    Das Titelbild zeigt eine Szene aus Stell Dir vor ...,Prsentation der Arbeitsergebnisse des ersten Jahrgangsder Bhnenkunstschule ACADEMY im StadtteilzentrumAlte Feuerwache in Berlin.

    Mehr unter:http://www.alte-feuerwache.de/academy/http://datenbank.spinnenwerk.de/vska/academy.htm

  • Inhalt

    Vorschnelle Schlsse 4

    Weder Ghetto noch Slum 5

    Partizipationsprojekt im Soldiner Kiez 7 Fragestellungen und potentielle Standards 10

    Die Kiezaktivkassen 12

    Leben in Nachbarschaft bis ins hohe Alter 16

    Eine Reise nach WIEN im Mai 2004 20

    Internationale IFS-Konferenz Toronto 2004 23

    Toronto - IFS -Konferenz 24

    Die Auswirkungen von Besuchen deutscher sozialer Aktivisten im Londoner Settlement Toynbee Hall auf Entstehung und Konzeption der deutschen Nachbarschaftsheimbewegung 25

  • Entsprechend den Ergebnissen des Sozialstrukturatlasses sollen in Berlin die Finanzmittel von den reichen Bezirken zu den armen Bezirken umverteilt werden. Der eben ermittelte Sozialindex der Bezirke soll dafr die Messgren liefern. Ein erstrebenswertes Ziel, ein vernnftiges Vorhaben! Auf den ersten Blick jedenfalls. Auf den zweiten auch noch? Der wievielte Sozialstrukturatlas im Lande Berlin mit dem wievielten Umverteilungsprogramm ist der gerade vorgelegte? Ist denn berhaupt bekannt, wie viele Personal und Finanzmittel in welchen Bezirk oder in welche Kieze derzeit flieen? Woher wei die Politik dann, dass umverteilt wer-den muss? Gibt es nicht seit Jahren Programme, die benachteilig-ten Stadtgebieten Untersttzung anbieten, etwa das Programm Soziale Stadt, das daraus entwickelte Quartiersmanagement und zahlreiche EU-Programme und Berlin-Sonderprogramme. Haben die wohl nach Hunderten zu zhlenden speziellen Projekte fr Kreuzberg diesem Bezirk und seinen Bewohnern geholfen und entscheidende strukturelle Verbesserungen bewirkt? Oder haben sie vor allem zahlreiche Stellen fr Soziologen, Stadtplaner, Archi-tekten, Sozialplaner und Projekttrger geschaffen und sind an-sonsten weitgehend wirkungslos verpufft? Und die Mittelschicht ist in derweil in die grnen Nachbarbezirke und in das Umland gezogen, weil ihr beispielsweise die Schulen fr ihre Kinder nicht gefallen haben.

    Wie wre es, wenn statt tausenderlei verschiedener Anstze und Programme pragmatisch nachvollziehbare, konkrete und unmittelbaren Nutzen stiftende Vorhaben verwirklicht werden wrden und zwar in jedem Bezirk dem Bedarf entsprechend und flexibilisiert?

    Also:

    ausreichend viele und gut ausgestattete, stadtteilorien- tierte Kindertagessttten in allen Bezirken, Schulen, von denen man das gleiche sagen kann, Nachbarschaftszentren als Treffpunkte und zur Frde- rung des brgerschaftlichen Engagements u.a. mit Selbsthilfe und Familienbildungsangeboten Kinder- und Jugendfreizeitzentren, die bedarfsgerecht attraktiv und interessant sind flexible Betreuungs- und Hilfeformen und eine effektive und zielgerichtete Zusammenarbeit aller Institutionen vor allem mit Schulen und Kindertagessttten, die soziale, gesundheitliche und erzieherische Hilfen anbie- ten oder Angebote gemeinsam mit diesen vorhalten

    Vorschnelle Schlsse?

    Quartiersmanagement + Sozialstrukturatlas + Umverteilung = Soziale Stadt?

    ffentliche Dienste mit brgerfreundlichen ffnungs zeiten,, die gerne aufgesucht und vom Brger um Rat gefragt werden, wenn sie Probleme haben.

    Das ist keine abschlieende, lediglich eine beispielhafte Aufzh-lung. Aber die oben genannten Institutionen und Einrichtungen knnten sozialrumlich zusammenwirken und lokale Prozesse in Gang setzen, die dazu beitragen, dass in den jeweiligen Stadttei-len ein soziales Gleichgewicht entsteht oder erhalten(!) werden kann.

    In dieser Stadt kann es solange nicht um Umverteilung von rei-chen zu armen Bezirken gehen, solange auch nicht ansatzweise erfasst ist, wie viel Finanzmittel zu welchem Zweck in welchen Bezirk flieen. Erst wenn diese Transparenz hergestellt ist, kann die Debatte beginnen. Es mutet schon merkwrdig an, dass diese Erstellung einer Bilanz bis heute nicht erfolgt ist und auch nie ernsthaft gefordert wurde.

    Zwar identifizieren wir mit dem Sozialstrukturatlas die soge-nannten Problemgebiete, aber damit wissen wir weder, wie viel Ressourcen die Stadt in diesem Problemgebiet (was fr ein Wort!) einsetzt, noch wissen wir, wie effektiv der Einsatz dieser Mittel ist! Woher aber, verdammt noch mal, wei die Politik, dass dort Geld fehlt und anderswo zuviel Geld vorhanden ist?

    Bescheidenheit und Zielstrebigkeit

    Ich wnsche mir in der Politik (und bei manchen Stadt- und Sozialplanern) mehr Bescheidenheit einerseits und Zielstrebigkeit andererseits: Bescheiden und zielstrebig wre, sicher zu stellen, dass jedes Kind, jeder Jugendliche, jeder Junge, jedes Mdchen in Berlin - in jedem Bezirk, in jedem Kiez - unter bestmglichen Voraussetzungen aufwachsen kann: der Jugendliche in Sch-neberg und in Steglitz hat das gleiche Anrecht auf ein fr ihn angemessenes und frderndes Kindertagessttten- und Jugend-freizeitangebot wie der Jugendliche in Neuklln und in Lichten-berg. Alle Eltern in allen Bezirken haben das gleiche Anrecht auf gute Schulen fr ihre Kinder und ein Familienbildungsangebot fr ihre Erziehungsfragen in ihrer Nachbarschaft, in ihrer Region. Die Mittel dafr sind in dieser Stadt ohne jeglichen Zwang zur Umver-teilung vorhanden: Sie liegen aber teilweise brach, etwa

    - in einem exorbitanten Stellenberhang, der z.B. im Bezirk Lich-tenberg bei ber 900 und in Pankow bei 800 Mitarbeitern liegt, whrend beispielsweise Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Sch-neberg so gut wie keine Stellen im berhang aufweisen

    - in einer aufgeblhten Verwaltung mit Doppelstrukturen auf Senats- und Bezirksebene

    - in den hochsubventionierten, zum Teil fragwrdigen Vorhaben und in nicht gerade effizient arbeitenden ffentlichen Betrieben in dieser Stadt.

    Ungelste Hausaufgaben

    Ungelste Hausaufgaben zuhauf fr Berliner Politiker auf allen Ebenen, oft entstanden nach dem Grundsatz: viel hilft viel. Soll das jetzt auch das Motto fr neue Umverteilungen sein? Strot-zen unsere Bezirke im Sdwesten so vor Kraft, dass wir abgeben knnen? Und wenn ja: was und wie viel und vor allem: an wen

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  • und auf welcher Grundlage? Es gibt genug freie Trger im Bezirk, die enorme Krfte mobilisiert haben, um die Infrastruktur in der Region zu erhalten oder sogar zu strken. Sie arbeiten allzu oft am Rande ihrer Kraft. Aber mit dem festen Willen, fehlende oder verbesserungsbedrftige soziale Infrastruktur in diesem Bezirk zu strken. Wie mssen sie sich fhlen, wenn ihnen nach Jahren von Krzungen und immer neuen Krzungen bedeutet wird, dass sie von ihren knappen Mitteln nun an sozialstrukturell benachteiligte Bezirke abgeben sollen? Wie sollen sie dies denen erklren, die auf ihre Angebote zurckgreifen und sie dankbar nutzen, ja sogar ehrenamtlich mitgestalten? Wie sollen sie knftig daran mitwir-ken, die bezirklichen Umstrukturierungen mitzugestalten, wenn sie selbst kaum noch Atem schpfen knnen? Was sagen wir freie Trger den Familien, die hier wohnen geblieben und nicht ins grne Umland gezogen sind, weil die soziale Infrastruktur fr ihre Kinder und fr sie selbst stimmt?

    Die Vorsitzende des Sozialausschusses im Abgeordnetenhaus, Frau Dr. Schulze (PDS), hat davor gewarnt aus den vorliegenden Daten vorschnelle Schlsse aus hchst komplizierten Sachver-halten und Prozessen zu ziehen. Dies wre unseris. Sie pldiert dafr, dass sich die Politik in den nchsten Monaten damit be-

    schftigt, die vorhandenen Angebote und Manahmen sinnvoll miteinander zu verknpfen und sie auf diese Weise zu effektivieren.

    Frau Dr. Schulze drckt damit aus, wozu sich auch Fachleute in Berlin bekennen: wir haben in Berlin eher zuviel, als zuwenig soziale Manahmen und Projekte, die nebeneinander her und uneffektiv arbeiten. Steglitz-Zehlendorf, beispielsweise, gehrt aber nicht gerade zu den bevorzugten Heimatbezirken dieser Manahmen und Projekte, was ja auch nicht unbedingt ein Nachteil sein muss.

    Wir Nachbarschaftsheime und Stadtteilzentren

    sind seit Jahren diejenigen, die versuchen, soziale Dienste und Angebote regional und fachlich zu koordinieren, sie brgernah zu gestalten und wir sind diejenigen die auch die Brger einla-den mitzuwirken und mitzugestalten. Widmen wir uns jenseits mancher Aufgeregtheiten also beharrlich und gemeinsam den Aufgaben, die sich in unserer Region stellen.

    Georg ZinnerGeschftsfhrer Nachbarschaftsheim Schneberg, Berlin

    Weder Ghetto noch SlumSchlechtes Image als Belastung fr den Soldiner Kiez, ein Berliner QM-Gebiet

    Glaubt man den Berliner Boulevardzeitungen, dann ist der Soldiner Kiez ein Ghetto oder gar ein Slum, in den man besser nicht seine Nase steckt. Viele Menschen im Kiez fhlen sich aber ganz wohl hier und einige von ihnen wollten nun wissen, wie das ihre Nachbarn sehen. So taten sich einige Bewohner und ein paar Studenten im Juli 2003 zusammen, um eine kleine Untersuchung ber den Stadtteil durchzufhren. Sie wollten keine ellenlangen Statistiken sondern den Orginalton der Bewohner. Also interview-ten sie von Oktober 2003 bis Mrz 2004 24 Menschen beiderlei Geschlechts aus verschiedenen Schichten, Altersgruppen und Na-tionen und trugen so zusammen, welches Bild sich die Einheimi-schen von ihrem Kiez machen. Die Interviews wurden mit einem halbstrukturierten Fragebogen mit 28 offenen Fragen gefhrt und dauerten im Schnitt etwa eine Stunde. Von Mrz bis Juni 2004 dauerte die Auswertung, wobei nach einem Verfahren von Prof. Dr. Gerhard Kleining auf Gemeinsamkeiten analysiert wurde. (Kleining, Gerhard, Umriss zu einer Methodologie qualitativer Sozial-forschung, in: Klner Zeitschrift fr Sozialpsychologie und Soziologie, Heft 34, 1982, S.224ff.)

    Viele arme Menschen

    Sicher, im Soldiner Kiez leben viele arme Menschen, d.h. sie leben von der Sozialhilfe. Da wei ich manchmal nicht, ob ich mei-

    nem Kind ein Eis kaufen kann, erzhlt Erkan, ein 25jhriger, der mit Frau und Kind vom Amt lebt. Auch die Demtigungen am Sozialamt setzen ihm zu. Dabei ist er kein passiver Bezieher von Almosen, sondern ein aktiver junger Mann, der seine Arbeits-kraft immer wieder anbietet und der mit der Untersttzung der weitlufigen Verwandtschaft und vieler Freunde gut beschftigt ist. Nur die haben ebenfalls meist wenig, was sie ihm abgeben knnten. Mehmet gehrt zu denjenigen, die aus dem Kiez prak-tisch nicht wegknnten, weil sie anderswo keine Wohnung finden wrden.

    Mir macht der Kiez keine Angst.

    Es leben aber auch noch Menschen aus der Mittelschicht im Kiez. So z.B. die Lehrerin Jutta (38), eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern. Die Behauptung, man knne als Frau im Soldiner Kiez nachts nicht auf die Strae, weist sie prompt zurck: Mir macht der Kiez keine Angst. Sie ist vielmehr bewusst hierher gezogen, weil sie den ansprechenden Altbaubestand, das grne Panketal, die niedrigen Mieten und die gute Verkehrsanbindung zum Zoo und zum Alexanderplatz schtzt. Die Mehrzahl der Be-fragten will aus solchen Grnden im Kiez bleiben.

    Auch die verschiedenen Nationen kommen im Soldiner Kiez leid-lich miteinander aus. Etwa 40 Prozent haben einen auslndischen Pass und auch mancher mit deutschem Pass hatte vor nicht allzu langer Zeit einen aus Jamaika, Libanon oder der Trkei. Die gr-ten Schwierigkeiten damit haben die Kinder, weil die Schulanfn-ger bis zu 80 Prozent auslndischer Herkunft sind und manche von ihnen nicht richtig Deutsch sprechen. Die meisten lernen das zwar noch spielerisch im Kindergarten. Aber wegen der hohen Gebhren lassen immer mehr Arme ihre Kinder zuhause. Deshalb ist man sich im Soldiner Kiez bei der Forderung nach einer kos-tenlosen Vorschule und einer besseren Ausstattung der Schulen einig. Mancher glaubt auch, dass der Wedding dabei gegenber anderen Stadtteilen benachteiligt werde. In Steglitz fllt bestimmt nicht so viel Schule aus wie hier, schimpft beispielsweise die dreifache Mutter Aya(35).

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    Thema Auslnder

    Mancher Journalist lsst sich zum Thema Auslnder von einigen Deutschen einen Bren aufbinden. Im Bus muss man nur mal oben sitzen und durch die Soldiner fahren, da kann man was sehen. Da kann man von oben in die verhngten Fenster von Spielhllen sehen und wie da dicke Geldrollen auf den Tischen liegen., erzhlt da etwa ein Aufschneider einem Schreiberling von der Berliner Zeitung. Das kann schon deshalb nicht stimmen, weil in der Soldiner Strae nur ein Gelenkbus verkehrt, aber keine Dop-pelstcker. Auch die Legenden vom auslndischen Bandenkrieg verraten meist mehr ber die auslnderfeindliche Gesinnung des Sprechers als ber die Auslnder im Soldiner Kiez. Wenn im Soldiner Kiez die Wellen hoch schlagen und die Nachbarschaft aufhorcht, dann meist wegen einem Familienstreit. Allerdings wnschen auch die meisten Auslnder nicht, dass noch mehr Nicht-Deutsche in das Viertel ziehen. Die meisten trumen wie die Deutschen von einer gesunden Mischung der Nationen, Berufe und Altersgruppen. Doch damit tut sich eine Grostadt wie Berlin schwer, denn der Wohnungsmarkt bertrgt die Ungleichheit der wirtschaftlichen Verhltnisse in den Raum. Also gibt es rmere und reichere Viertel. Und da Auslnder meist arm sind, konzentrie-ren sie sich in den armen Vierteln. Und der normale Mittelschichts-deutsche und seine Medien assoziieren Armut immer noch mit Schmutz, Gewalt und Verbrechen, bis es die Einheimischen selber glauben. Vor allem der Hundekot ist beliebter Aufreger. Den gibt es nur in Prenzlauer Berg oder Kreuzberg genauso.

    Die Kolonie-Boys

    Am schlimmen Ruf des Soldiner Kiezes sind auch die Kolonie-Boys mit Schuld. Das ist eine Jugendgang, die im letzten Jahr-zehnt von sich Rede machte. Was man von ihnen hrt, mssen sie unangenehme Burschen gewesen sein. Von Drogen und Gewalt ist die Rede. Auch heute gibt es wieder eine Jugendgruppe, die sich nach den schlimmen Schlgern benennt. Als Spiegel-tv sie aber vorzufhren trachtete, konnten sie nicht verhindern, dass einzelne ihrem Wunsch nach einer brgerlichen Karriere Ausdruck gaben, weil sie aus dem Armenviertel raus wollten. Was sie nicht sagten, war, dass sie von einem Huschen im Grnen trumen wie Millionen Deutsche auch. Drogen und Gewalt sind bei der Mehr-zahl der Jugendlichen im Soldiner Kiez out. Die ehemals rebelli-sche Jugend trumt von materiellem Konsum und bescheidenem Wohlstand. Manchem sind sie eher zu brav. Selbst Drogenhandel fi ndet im Soldiner Kiez nur in kleinem Umfang statt. Der Polizei ist das bekannt und sie sagt, sie htte die Szene unter Kontrolle.

    Die Politiker haben doch eh keine Ahnung von der Lage vor Ort.

    Neben der Armut der Bewohner, die selbst auf die billigen Lden und Dnerbuden abfrbt, die sich stndig im Preis unterbieten oder gebrauchten Ramsch verkaufen, ist das grte Problem das schlechte Image des Kiezes. Das fngt damit an, dass viele Freunde nicht in das verrufene Viertel kommen wollen. Stndig mssen die Soldiner in andere Viertel fahren, wenn sie ihre Freunde von auerhalb treffen wollen. Das ist aber nur eine Unbequemlich-keit. Ernster ist, dass der unberechtigt schlechte Ruf bereits das Umzugsverhalten beeinfl usst. Menschen aus der Mittelschicht beginnen deswegen und wegen der schwierigen Lage der Schule wegzuziehen, und es kommen auch neu kaum Bessergestellte hinzu. Das Image, so die Feststellung der Forschergruppe, wird zu einem eigenstndigen Faktor beim Auseinanderdividieren der Schichten im Raum. Durch die schlechte Propaganda, die Kieze wie der Soldiner haben, wird sowohl der Verelendung der rund ums Stadtzentrum liegenden Slums wie auch dem Auswei-chen der Wohlhabenderen in den Speckgrtel das Wort geredet. Deshalb waren manche auch enttuscht, als sich im Herbst letzten Jahres ausgerechnet der Brgermeister von Mitte, Joachim Zeller (CDU), fr diese Propaganda benutzen lie. Aber die meisten winkten schon damals ab. Die Politiker haben doch eh keine Ahnung von der Lage vor Ort.

    Hinweis: Smtliche Namen sind gendert.

    Thomas Kilian, AG Kiezforschung im Soldiner Kiez e.V.

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    1.1 Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an unse-rem Projekt -Entwicklung einer Konzeption

    1.1.1 Einleitung

    Ein wichtiges Ziel unseres Projektes ist die Zusammenarbeit mit den im Soldiner Kiez lebenden Menschen. Allerdings ist die Durch-fhrung von herkmmlichen Beteiligungsverfahren in einem Gebiet wie dem Soldiner Kiez nicht unproblematisch, da der das Gebiet charakterisierende Mix von Kulturen und Sprachen zum Entstehen von Kommunikationsbarrieren zwischen Planerinnen und Bewohnerinnen fhren kann. Auch wenn keiner der Beteilig-ten einen Ausschluss bestimmter Bewohnergruppen intendiert, so ist dieser doch hufig das Ergebnis einer Form von Beteiligung, welche lediglich Mitbestimmungsrechte einrumt, ohne die Men-schen ausreichend auf die Inanspruchnahme solcher Mglichkei-ten vorzubereiten.

    Unabhngig von der besonderen Problematik der Integration von Migrantinnen in Planungsprozesse sind Kinder und Jugendliche eine Gruppe, deren Beteiligung schwierig ist und auch heute noch hufig vernachlssigt wird. Die Entscheidung unserer Gruppe, sich in Form einer Partizipationswerkstatt auf Kinder und Jugendli-che mit Migrationshintergrund zu konzentrieren, hat aber nicht allein mit der Tatsache zu tun, dass die Interessen dieser Gruppe aufgrund des Zusammenfallens beider Benachteilungsmerkmale ganz besonders hufig unter den Tisch fallen. In unserer Bestands-aufnahme wurden Jugendliche als eine Gruppe identifiziert, fr die attraktive Angebote ganz besonders fehlen. Daneben spielten aber auch pragmatische Grnde bei der Festlegung der Ziel-gruppe eine Rolle: Aufgrund geringerer Sprachbarrieren und der Einbindung auslndischer Jugendlicher in Schulen und Einrich-tungen der Jugendpflege erschien es uns einfacher, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zu erreichen als deren Eltern.

    1.1.2 Reale Beteiligung vs. fiktive Beteiligung

    Die Idee, Kinder und Jugendliche in Planungsprozesse einzubin-den, wurde zunchst in den Niederlanden praktiziert. Viele der dort entwickelten Instrumente und Methoden wurden spter auch in einigen deutschen Stdten eingesetzt. Im Rahmen unserer theoretischen Vorbereitung auf den Workshop haben wir auch einige Berichte ber die hierbei gemachtenErfahrungen studiert. Allerdings stellte sich schnell die Frage, inwieweit sich die Erfahrungen dieser Workshops tatschlich auf unser Projekt bertragen lassen. Dies hat vor allem mit einem zentralen Unterschied zwischen den von uns studierten Beteili-gungsprojekten und unserem eigenen Projekt zu tun: Whrend es sich bei diesen ausnahmslos um Vorbereitungen fr tatschlich

    geplante gestalterische oder stdtebauliche Manahmen handelt, ist unser Projekt zunchst einmal nicht mehr als eine fiktive studentische bung. Natrlich wrden wir uns freuen, wenn von den Verantwortlichen in der Stadtverwaltung einige der von uns entwickelten Ideen aufgegriffen wrden - letzten Endes liegt dies jedoch jenseits unseres Einflussbereichs.

    Dieser Unterschied ist fr die Durchfhrung eines Workshops von zentraler Bedeutung: Im Gegensatz zu tatschlichen Planungspro-zessen knnen wir fr unser Projekt nicht in Anspruch nehmen, dass die Beteiligung der Bewohner zu einer Bercksichtigung ihrer Interessen fhren wrde. Dies dennoch zu suggerieren, hiee die Beteiligten nicht ernst zu nehmen und wrde bei den beteilig-ten Jugendlichen wohl nur die evtl. ohnehin vorhandene Skepsis gegenber Brgerbeteiligung und Politik (Am Ende kommt eh nichts bei raus) strken.

    Aus diesem Grunde war fr uns schnell klar, dass wir gegenber den zu beteiligenden Kindern und Jugendlichen auf keinen Fall der Eindruck erwecken wollen, dass das Einbringen ihrer Meinung zu realen Vernderungen im Kiez fhren wird. Damit stellte sich die Frage, wie wir die Jugendlichen zum Mitmachen bewegen knnen wrden ohne zu groe Erwartungen zu erwecken.

    1.1.3 Konzeption unseres Partizipationsworkshops Kids im Kiez

    Unser Projekt hat aus dem in 1.2 skizzierten Dilemma vor allem den Schluss gezogen, dass der Workshop den zu beteiligenden Ju-gendlichen Spa bereiten muss. Wir haben gleichzeitig beschlos-sen, alles zu vermeiden, was bei den Jugendlichen den Eindruck erwecken knnte, dass die von ihnen geuerten Meinungen bzw. die von uns entwickelten Konzeptionen irgendwelche Konsequenzen fr die Situation im Soldiner Kiez mit sich bringen knnten. Hierdurch stellte sich jedoch zugleich die Frage, wie aus der Durchfhrung eines solchen lern- und spaorientierten Workshops Erkenntnisse fr unsere eigenen Arbeit gewonnen werden knnen.

    Da wir selbst wenig Erfahrungen im Umgang mit Kindern und Ju-gendlichen haben, haben wir uns von Anfang an bemht, unsere Ideen mit Kooperationspartnern abzustimmen, die Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Kiez haben. Die Nut-zung von vorhandenen Strukturen und Netzwerken war zugleich die einzige realistische Mglichkeit, in kurzer Zeit eine grere An-zahl von Kindern und Jugendlichen zum Mitmachen zu bewegen. Auch wenn die Ergebnisse unserer eigenen Bestandsaufnahme eigentlich eine Konzentration auf ltere Jugendliche nahegelegt htten, hat uns unsere Abhngigkeit von existierenden Strukturen zu der pragmatischen Entscheidung gefhrt, uns auf Kinder im

    Partizipationsprojekt im Soldiner Kiez

    Konzept und Umsetzung

    Einleitung

    Soldiner Kiez - Projektbeschreibung

    13 Studierende der Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universitt Berlin fhrten Ende 2003/Anfang 2004 eine Studie mit Kindern aus dem Soldiner Kiez durch, um herauszufinden, wie diese ihr Lebensumfeld wahrnehmen und welche Mglichkeiten der Beteiligung an Vernderungsprozessen im Kiez sinnvoll sein knnten. ber das Quartiermanagement wurde Kontakt zum arabischen Elternverein, Knstlern der Kolonie Wedding und dem Nachbarschaftshaus Prinzenallee aufgenommen, wo schlielich mit 25 Kindern ein Doppel-Workshop stattfand, ber den die Studenten hier berichten.

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    Alter von 8 - 14 zu konzentrie-ren. Im Gegensatz zu lteren Jugendlichen waren diese durch Schulen und Jugendein-richtungen relativ gut fr uns erreichbar. Nach einer recht umfangreichen Recherche nach mglichen Partnern, hat sich das Nachbarschaftshaus in der Prinzenallee 58 als am besten geeignetster Partner herausge-stellt. Dies lag nicht nur an der sich hier regelmig treffenden multiethnischen Kinder-Break-dance-Gruppe, sondern auch an der Aufgeschlossenheit der im Nachbarschaftshaus arbeiten-den Erzieherinnen fr unser Projekt.

    Im Verlauf des ersten Teils des eigentlichen Workshops sollten die Jugendlichen eine Dokumentation der Wahrnehmung ihres Kiezes erstellen. Hierbei werden die Workshopteilnehmer von uns dazu animiert, ihre Freunde vor Pltzen zu fotografi eren, die diese besonders gerne, bzw. besonders ungern haben. Eine Woche spter sollen dann die Grnde fr diese Bewertung sowie andere Meinungen zu ihrem Kiez dokumentiert werden. An beiden Tagen ist die Motivation zum Mitmachen das Selbermachen: Nicht nur das Fotografi eren am ersten Tag des Workshops, sondern auch das Dokumentieren der Bewertung (Interview-Spiel) wird von den Kindern selbst durchgefhrt. Ein zustzlicher Anreiz ist der Einsatz von Medien (Fotoapparate, Tonbandgerte) und die Aussicht fr jedes Kind, sich am zweiten Termin durch einen professionellen Fotografen (von der Kolonie Wedding) portraitieren zu lassen. Diese Bilder sollen dann spter, zusammen mit den anderen Workshopergebnissen (Fotos der Pltze, von der Kindern angefer-tigte Plakate) im Kiez ffentlich ausgestellt werden. Gleichzeitig sollen die Ergebnisse des Workshops unserer Gruppe helfen, die Nutzungsansprche von Jugendlichen am ffentlichen Raum zu begreifen. Zustzlich soll als Projektabschluss, basierend auf den Workshopergebnissen, einerseits eine Mental Map, anderseits ein stdtebaulicher Entwurf entstehen.

    1.2 Durchfhrung des Workshops

    Der Workshop Kids im Kiez wurde in zwei Etappen in den Rumen des Nachbarschaftshauses an der Prinzenallee durch-gefhrt. Der erste Workshoptermin wurde auf Donnerstag, den 4. Dezember 2003, festgelegt. Bei der Bestimmung der Uhrzeit fr den Workshopsbeginn spielte in erster Linie eine Rolle, wann an dem betreffenden Tag fr die beteiligten Kinder die Schule enden wrde. Bei der Zeitgestaltung waren wir fl exibel, da man vermute-te, dass die beteiligten Kinder nicht zeitgleich ankommen werden.Der Workshop wurde mit einer Begrung der Kinder durch einen der Studenten sowie einer Vorstellung unserer bisherigen Ergeb-nisse und bevorstehenden Ziele begonnen. Es wurden ebenfalls unsere Erwartungen hinsichtlich der zwei bevorstehenden Work-shoptermines genannt und die Aufgaben defi niert.

    Danach wurden Arbeitsgruppen mit jeweils zwei Kindern und zwei Projektteilnehmerinnen (in Ausnahmefllen drei Kinder) ausgelost. Jeder Workshopteilnehmer hat ein eigenes Namen-schild erhalten. Jede Kleingruppe hat einen Kiezplan, ein Plus- und Minus-Zeichen sowie eine Fotokamera bekommen. Jedes Kind sollte jeweils zwei gute und schlechte Orte aufsuchen und sich dort mit einem Plus- oder Minus-Zeichen in der Hand von dem anderen Kind photographieren lassen. Die studentischen Betreuer sollten den zurckgelegten Weg zu den von den Kindern gewhl-ten Standorten und die photographierten Orte in den Kiezplan einzeichnen. Danach sollte der Ort ein zweites Mal ohne das Kind photographiert werden. Nebenbei haben die Studenten den

    Kindern ein paar Fragen zum Aufent-halt im ffentlichen Raum gestellt. Fr diese Aufgabe war maximal eine Stunde vorgesehen. Nach dem Rckkehr der Kleingruppen gab es im Nachbarschafts-haus Kuchen und Cola. An dem ersten Workshoptermin haben etwa 20 Kinder teilgenommen.

    Der zweite Workshop fand am Don-nerstag, den 11. Dezember 2003, statt. Der Termin wurde mit einem Rckblick auf den ersten Aktionstag begonnen. Danach setzten sich die, vom ersten Termin beibehaltenen, Arbeitsgruppen an einem Tisch zusammen, um ber die bereits entwickelten Fotos zu sprechen. Die Studenten sind einen erarbeiteten Fragebogen zum ffentlichen Raum

    mit den Kindern durchgegangen und haben die Antworten der Kinder mit Diktiergerten aufgenommen. Danach haben die Kinder, gemeinsam mit ihren studentischen Betreuern, Plakate mit Fotos und Erluterungen angefertigt. Anschlieend wurden alle Plakate prsentiert. Parallel dazu wurde jedes Kind von dem Fotograf Daniel Sandorowski in einem separaten Raum fotogra-fi ert. Wie beim ersten Termin wurde der Aktionstag mit Kuchen und Cola abgeschlossen. An dem zweiten Termin haben 18 Kinder teilgenommen.

    1.3 Analyse des Partizipationsworkshops

    1.3.1 Methodische Analyse

    Es ist ein groer Erfolg, dass es gelungen ist, diesen Partizipations-workshop erfolgreich durchzufhren. Viele der Kinder stammten aus Familien mit Migrationshintergrund, welche sich erfahrungs-gem wenig an Partizipationsveranstaltungen der Stadtentwick-lung beteiligen bzw. an solchen beteiligt werden. Diese arbeiteten angeregt mit und erzielten vorzeigbare Ergebnisse, die alle betei-ligten Seiten zufrieden stellten. Weiterhin ist zu erwhnen, dass es gelungen ist, lokale Akteure, insbesondere das Nachbarschafts-haus, einen Knstler und die lokale Presse in die Durchfhrung des Partizipationsworkshops einzubinden.Diese erfreulichen Ergebnisse sind umso bemerkenswerter, als whrend der Planung Befrchtungen laut geworden waren, dass der Ablauf des Workshops im Chaos enden knnte. Dieses Chaos ist trotz einer Beteiligung von ca. 20 Kindern ausgeblieben. Gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass es nicht mglich ist, dem befrchteten Chaos dadurch entgegenzuwirken, dass im vorhinein jede Eventualitt in der Planung bercksichtigt wird. Stattdessen ist es vor allem wichtig, fl exibel und prozessorientiert vorzugehen und immer eine Alternative fr den Fall parat haben, dass etwas nicht so abluft wie geplant. Im Falle unseres Work-shops hie das zum Beispiel: Diktiergerte bentzen statt groer Reportergerte, Kinder zu fotografi eren statt sie malen zu lassen ... Planungstheoretisch gesprochen wurde also perspektivischer Inkrementalismus betrieben.

    Empfehlungen

    Des weiteren lassen sich fr die organisatorische Seite des Work-shops folgende Empfehlungen ableiten:

    Die Partizipanten akzeptieren und ernst nehmen und eine gute Stim-mung bzw. persnliche Beziehungen (wenn auch locker) aufbauen.

    Nach anfnglicher Scheu herrschte schon bald Sympathie und Aufgeschlossenheit zwischen Betreuern und den Kindern. Es gab viel Neugierde und kaum Kontaktschwierigkeiten

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    gegenber den Studenten. Eingeschrnkt wurde diese gute Arbeitsatmosphre allenfalls durch vereinzelte Demonstratio-nen von Coolness durch Kinder und Jugendliche mnnlichen Geschlechts. Auch war in einem Fall die Gruppenzusammen-stellung etwas unglcklich, da sich die Kinder gegenseitig beharkten. Dies war jedoch durch das von uns durchgefhrte Losverfahren zur Gruppenzusammenstellung nicht beein-fl ussbar. Eventuell mssten hier Strategien entwickelt werden, wie solche Gruppenzusammenstellungen verhindert werden knnten

    Die zu Partizipierenden dort aufsuchen, wo sie sichbefi nden.

    In unserem Fall hie das: Hingehen ins Nachbarschaftshaus und die Betreuer und Kinder aufsuchen, nicht etwa, Artikel in die Zeitung zu setzen oder einen Aushang zu machen.

    Erkenntnisziel, Motivation und der Workshopablauf ms-sen sich nach der jeweiligen Zielgruppe richten.

    In unserem Fall bedeutete das die Schaffung eines niedrig-schwelligen Angebotes, welches den Kindern Spa und Abwechslung bot und zudem mit Kuchen und Getrnken als Belohnung endete. Sicher war fr die Kinder auch unser Wunsch, etwas ber das Leben der Kinder allgemein und insbesondere ber ihre Nutzung der ffentlichen Rume zu erfahren, eine Motivation, da sie in dieser Rolle zu den Experten wurden, die selbst auch etwas anzubieten ha-ben. Unserer Erfahrung nach sind Workshops, die etwas anzubieten haben, erfolgreicher als solche, die nur auf Engagement fr die Sache oder Idealismus setzen.

    Die Methodik und Kommu-nikationsform anpassen:

    In unserem Fall : Einfache Sprache, Malen, span-nende Fotoserien. Lange Erklrungen, Fachausdrcke und komplizierte Ablufe wre den Kindern nicht gerecht geworden. Einige Kleingruppen machten dennoch die Erfahrung, dass nicht alle Fragen fr die Kinder verstndlich waren. Hier wre es bei einer Wiederho-lung eines Workshops notwendig, darber nachzudenken, wie sich einige Fragen noch anschaulicher formulieren lieen.

    Darber hinaus lassen sich einige Lehren und Anregungen, aber auch offene Fragen fr sptere Workshops und Beteiligungsver-fahren formulieren:

    Der Arbeite- und Zeitaufwand fr Konzeptionierung, Kontakt-aufnahme, das Besorgen von Materialien und die Durchfh-rung und Nachbereitung selbst ist nicht zu unterschtzen.Es besttigte sich, dass vor Ort vorhandene Organisationen (lokale Akteure) unbedingt einbezogen werden sollten. Bei uns half besonders das Nachbarschaftshaus, das dem Vorhaben positiv gegenberstand, den Aufwand fr Kontakt-aufnahme erheblich reduzierte und spezifi sche Informationen ber die Bevlkerung vor Ort (notwendiges Vorwissen fr Konzeptionierung) lieferte.

    Versuchen, andere Mitwirkende frhzeitig festzulegen: Grund-stzliches Interesse bekunden viele der Angesprochenen,

    aber Knstler und andere mssen zu einem gewissen Termin fest zusagen, damit einige feste Eckpunkte des Workshops stehen.

    1,3.2 Inhaltliche Analyse

    Ziel unseres Partizipationsworkshops war es, weitere Informati-onen ber die Zielgruppe, ihr Leben, ihre Wnsche und Priorit-ten zu erhalten. Dies ist gelungen und wir sollten die erzielten Ergebnisse in unserer weiteren Planung ernst nehmen. Allerdings mssen die Ergebnisse des Workshops auch gewichtet werden, da die von uns Befragten - Kinder im Alter von 8-14 Jahren, grtenteils aus arabischen Familien - nur eine kleine Gruppe der Bevlkerung im Soldiner Kiez darstellen. Mglicherweise decken sich die Wnsche und Vorstellungen dieser Gruppe nicht mit den Wnschen und Vorstellung anderer Gruppen (z.B. Alte, erwach-sene Arbeitnehmer, Gewerbetreibende, Alkoholiker, Kinder und Jugendliche trkischer Herkunft). Daher sind unsere Ergebnisse, wenn berhaupt, nur fr die von uns befragte Gruppe als repr-sentativ zu bezeichnen.

    Die Gebietekenntnis der Kinder ist sehr unterschiedlich. So kennen einige nur den Block, in welchem sie wohnen, den Block, in welchem sich das Nachbarschaftshaus befi ndet sowie den Schulweg. Andere wiederum kennen sich im gesamten Kiez gut aus; ltere berichteten gar, dass sie bis zum Alexanderplatz oder nach Kreuzberg fahren wrden. Im Allgemeinen hngt die Orts-

    kenntnis mit der Erlaubnis der Eltern zusammen, wie weit sich ihre Kinder von der eigenen Wohnung in ihrer Freizeit entfernen drfen. Neben der Festlegung von Aktionsradien, verbotenen oder gefhrlichen Gebie-ten (Pankeufer, Stellen mit Drogenabhngigen und -dealern bzw. Alkoholikern, verkehrsreiche Kreuzung Osloer Strae/Prinzenallee) sowie zeitlichen Grenzen durch die Eltern zeigt sich die groe Rolle der Familie auch an den Antworten zur Frage ber Kenntnisse von auerhalb des Soldiner Kiez liegenden Bereichen der

    Stadt. Sind solche vorhanden, handelt es sich hierbei in der Regel um die Wohnorte von Verwandten.

    Die Kinder, welche sich im gesamten Kiez gut auskennen, konnten den Studierenden viel ber nicht sichtbare Nutzungsbarrieren der ffentlichen Rume berichten. Diese hngen in erster Linie mit der ethnischen Zugehrigkeit der Bewohner und einer fr Ausstehen-de kaum erkennbaren Segregation zusammen: Da geh ich nicht so gern hin, das ist die Strae der Trken / Strae der Albaner. Probleme gibt es auch mit lteren Bewohnern, die den Spiel-Lrm der Kinder nicht haben wollen. Auf der anderen Seite wurde fest-gestellt, dass bestimmte physische Barrieren wie Zune und Mau-ern unter Umstnden keine Barrieren fr die Kinder darstellen, weil diese ber Zune klettern, Durchschlupfmglichkeiten ken-nen usw. Auf diese Weise entstehen inoffi zielle Wege, welche ohne genaue Gebietskenntnis fr Auenstehende nicht ersichtlich sind. Die meisten Kinder mgen Bume. Allerdings wird der baum-reichste Ort, der Pankegrnzug, aufgrund der dort vorhandenen Probleme mit Alkoholikern als negativer Ort wahrgenommen. Dies hngt mit den dort wahrgenommenen Problemen (Drogen-konsum, Alkoholismus) zusammen. Der Konsum von legalen und illegalen Drogen und die potenziellen Konsumfolgeerscheinun-gen (z.B. Verschmutzung ffentlicher Rume, Gewaltbereitschaft der Drogenkonsumenten) im ffentlichen Raum werden von den

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    Von den verschiedenen Instrumenten, die bei der sog. Arbeits-marktreform eingesetzt werden knnen, findet zur Zeit eines be-sondere Aufmerksamkeit: in der ffentlichen Debatte und in der Trgerlandschaft. Es handelt sich um die Arbeitsgelegenheiten, die nach dem Willen der Reformer mit 1-2 Euro pro Arbeitsstunde Mehraufwandsentschdigung entgolten werden sollen.

    500.000 Arbeitsgelegenheiten

    Der Bundeswirtschaftsminister mchte im nchsten Jahr bundes-weit 500.000 solcher Arbeitsgelegenheiten schaffen (und finan-zieren), groe Verbnde wie Caritas und Rotes Kreuz haben ihre Bereitschaft erklrt, Tausende von Arbeitslosen in entsprechenden Manahmen zu beschftigen.

    Im Vorgriff auf die zuknftigen Regelungen wird derzeit von der Bundesagentur fr Arbeit ein Sofortprogramm aufgelegt, mit dem zum Stichtag 1. Oktober schon 100.000 solche Arbeitsgelegenhei-ten bundesweit geschaffen werden.

    Zielgruppe des Sofortprogramms sind Menschen, die zur Zeit noch Arbeitslosenhilfe beziehen und ab Januar zu den Empfn-gern von Arbeitslosengeld II gehren werden.

    Die Nachbarschaftsheime/Stadtteilzentren sind in den letzten Tagen in unterschiedlichen Rollen angesprochen worden, sich an dem Programm zu beteiligen:

    entweder von Beschftigungsgesellschaften, die sich bei den Arbeitsagenturen als Vertragspartner zur Pro- grammumsetzung beworben haben und die jetzt auf der Suche nach konkreten Einsatzmglichkeiten sind, oder von den Arbeitsagenturen als potentielle Vertrags- partner (Bedingung: Einsatzmglichkeiten fr mindes tens 50 Beschftigte anmelden) oder von Bezirksmtern, die als Zwischeninstanz zwi- schen Arbeitsagenturen und Beschftigungstrgern die Umsetzung des Programms beeinflussen wollen.

    In einem ersten Schritt richtete sich die Ansprache insbesondere an Trger, die in der Vergangenheit schon Beschftigungsmanah-men fr Arbeitslose oder Sozialhilfeempfnger angeboten haben (ABM, SAM, LKZ, AfL, Hilfe zur Arbeit etc.).

    Kleine Unterschiede mit groen Nebenwirkungen

    Oberflchlich betrachtet unterscheiden sich die neu zu schaffen-den Arbeitsgelegenheiten nicht allzu sehr von den bisherigen gemeinntzigen Ttigkeiten fr Sozialhilfe-Empfnger. Allerdings gibt es kleine Unterschiede, die schwerwiegende Nebenwirkun-gen haben knnen, wenn sie nicht mit bedacht werden!

    Zum einen ist es der Personenkreis, fr den diese Arbeitsgelegen-heiten angeboten werden, zum andern ist es die damit verbunde-ne (potentielle) Perspektive:

    Fragestellungen und potentielle Standards

    Betr. Mehraufwandsentschdigung

    Kindern auch an anderer Stelle wahrgenommen und als negativ bewertet. Er fhrt auch dazu, dass die Kinder bestimmte Orte zu bestimmten Zeiten nicht aufsuchen oder generell meiden. Dane-ben wurde auch die Verwahrlosung von Husern und Hinterhfen, von Straen und Spielpltzen (z. B. Hundekot und kaputtes Gert auf Spielpltzen), Leerstand und das Kaputtmachen von Orten durch Besoffene als negativ empfunden. Die meisten der Kinder nehmen ungepflegte/verwahrloste Huser als unschn, moderne oder modernisierte Huser mit farbiger oder heller Fassade hinge-gen als schn wahr. Dem Charme brckligen Putzes an Grnder-zeitbauten scheinen die Kinder also nicht erlegen zu sein.

    Die Wahrnehmung funktioniert anders, als wir das vorausgesetzt hatten: So wird z. B. die Qualitt von Rumen und Orten durch persnliche, auch zufllige Erlebnisse entscheidend definiert und nicht durch (vordergrndig) objektive Kriterien wie Gre, Materi-alqualitt, Proportionen, Zustand. Kinder, welche bereits einmal in die Panke gefallen sind, betrachten diese auch aus diesem Grund als negativen Ort, Weitere Grnde sind die Verschmutzung von Teilen des Pankeufers und die schlechte Wasserqualitt, welche sich in dem von den Kindern beklagten Gestank bemerkbar macht. Dabei ist die Charakterisierung als positiver oder negativer Ort jedoch nicht statisch, sondern kann sich auch ndern, wenn sich der Charakter des Ortes ndert. Beispielsweise war das Pkw-Wrack im dritten Hinterhof der Prinzenallee 58 frher fr einige Kinder ein beliebter Spielplatz. Seit jedoch die Fensterscheiben des Wracks zerstrt sind, wird der Ort als negativ bewertet.Das Nachbarschaftshaus mit seinen Freizeitangeboten wird von allen als positiver Ort gesehen. Seine Umgebung, die Hinterhfe der Prinzenallee 58, zeigt, dass es bei einem Makroort (hier die Prinzenallee 58) mehrere Mikroorte(hier die einzelnen Hinter-hfe und sogar einzelne Bereiche in denselben Hof ) gibt, welche entgegengesetzt bewertet werden.

    Neben dem Nachbarschaftshaus werden auch andere soziale Ein-richtungen wie die Remise und auch die Fabrik in der Osloer Stra-e gern und intensiv genutzt. Daneben spielen Sport, die Schule, Computer, Fernsehen und Spiel mit Freunden eine groe Rolle. Spielorte sind zum einen die Spielpltze, deren Bewertung durch die Kinder oft ohne ersichtliche Systematik auseinander geht und sich hufig deutlich von der der Studierenden unterscheidet. Daneben werden aber auch Schulhfe, Hfe von Wohnhusern, Orte wie Bibliotheken, sowie, seltener, die Strae (zum Fahrrad-fahren oder Fuballspielen), als Spiel-und Aufenthaltsort genutzt. Der motorisierte Individualverkehr strt die Kinder in erster Linie als Sicherheitsrisiko beim berqueren der Straen, weniger als Lrmquelle. Unklar blieb, ob das eine Folge von Gewhnung oder Akzeptanz des Unabnderlichen war oder ob die Empfindlichkeit von Kindern woanders liegt.

    1.4 Fazit

    Zusammenfassend gesagt war der Partizipationsworkshop ein Erfolg fr die beteiligten Akteure. Methodisch lsst sich durch das Untersuchen des Ablaufes und daraus ableitbaren Vernderungen eine Verbesserung fr einen nchsten Workshop dieser Art errei-chen, auch wenn bei jedem Partizipationsworkshop die Rahmen-bedingungen und Zielsetzungen neu untersucht werden mssen und die Vorgehensweise daran angepasst werden muss.

    Inhaltlich diente der Workshop mit dazu, eine wichtige Zielgruppe der Planung im Soldiner Kiez kennen zu lernen und einen rumli-chen und gestalterischen Rahmen fr den Entwurf zu finden.Und nicht zuletzt war der Workshop auch fr alle Beteiligten eine interessante persnliche Erfahrung.

    Verfasser: Aimo, Beata, Garsten, Jakob

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    Fr die meisten Sozialhilfe-Empfnger war mit der Annahme einer gemeinntzigen zustzlichen Beschftigung die Mglichkeit verbunden, sich Schritt fr Schritt (in der Regel ber eine Ma-nahmen-Kette) aus der Sozialhilfe herausarbeiten zu knnen, die Ttigkeit hatte also eine Aufstiegsperspektive. Eine Reihe der o.g. Frdermglichkeiten scheint zur Zeit abgebaut zu werden. Die Beschftigung im Rahmen der 1-2 Euro Jobs, die auch wieder nur auf 6-12 Monate befristet sein soll, verharrt insofern in einer Sackgasse.Fr diejenigen unter den Arbeitslosenhilfebeziehern, fr die das Arbeitslosengeld II eine massive Krzung ihre Bezge bedeutet, ist diese Art von Beschftigungsangeboten neu, weil ihnen bisher das Arbeitsamt Beschftigungsangebote nur in Form sozialver-sicherungspflichtiger Beschftigungsverhltnisse gemacht hat (abgesehen von Fortbildungs- und Umschulungsmanahmen.) Dabei gab es wenigstens theoretisch immer einen Bezug zur bis-herigen Qualifikation und angedachten mglichen Beschftigun-gen auf dem 1. Arbeitsmarkt. Dieser Zusammenhang entfllt bei den neuen Beschftigungsmglichkeiten. Es ist anzunehmen, dass das von vielen Arbeitslosen als eine Deklassierung empfunden wird, die auf sie (ausgerechnet) im gleichen Augenblick zukommt, in denen sich fr viele auch ihre materielle Situation massiv zum Schlechteren verndert.

    In einem Punkt unterscheidet sich allerdings das aktuelle Sofort-programm noch von den Regelungen, die ab 1.1.2005 gelten sollen: die Arbeitslosenhilfe-Empfnger, denen jetzt eine entspre-chende Arbeitsgelegenheit angeboten wird, drfen das Angebot ablehnen, ohne dass das zu Sanktionen (wie Krzung der Bezge) fhrt. Dafr gibt es zur Zeit nmlich keine Rechtsgrundlage, die wird erst mit dem Arbeitslosengeld II geschaffen.

    Prinzip Freiwilligkeit

    Damit ist in diesem Sofortprogramm noch ein Prinzip praktisch gewahrt, das fr die Nachbarschaftseinrichtungen, die in diesem Feld ttig sind, von entscheidender Bedeutung ist, nmlich, dass eine freiwillige Entscheidung zur Aufnahme der Ttigkeit vorliegt.

    Anders als fr manche anderen sozialen Institutionen ist Freiwil-ligkeit der Beziehungen auf allen Ebenen das Grundprinzip der Arbeit der Nachbarschaftseinrichtungen. Bei der Beteiligung an den jetzt anlaufenden Programmen zur Schaffung von Arbeitsge-legenheiten mssen die Einrichtungen dafr eintreten, dass dies Prinzip gewahrt bleibt.

    Viele der bisher angedachten Ttigkeitsfelder liegen im Bereich der im weitesten Sinne sozialen Dienste, wo es vor allem um die Gestaltung von Beziehungen zu anderen Menschen geht. Das lsst sich mit Zwang nicht vereinbaren, insbesondere wenn solche Ttigkeiten in der Verantwortung von Nachbarschaftseinrichtun-gen stattfinden, deren Ansatz immer wieder einen Perspektiven-wechsel erfordert: d.h. die Dinge aus der Sicht der Nutzer und ihrer subjektiven wie objektiven Interessen zu betrachten. Bezogen auf die Kunden von ALG II bedeutet das, die subjektive Wahr-nehmung des Zwangscharakters entsprechender Zuweisungen auch dann ernst zu nehmen, wenn sie objektiv nicht die ganze Wahrheit widerspiegelt. Diejenigen, die vom ALG II betroffen sind, sind u.a. auch Zielgruppe der Nachbarschaftseinrichtungen, Diese mssen mit ihnen gemeinsam Wege aus dem Dilemma finden, die fr sie subjektiv und objektiv akzeptabel sind.

    Standards beachten

    Das ist mglich, wenn in der konkreten Gestaltung einige Stan-dards beachtet werden:

    keine Beschftigung von irgendjemand gegen seinen/ ihren Willen das Recht des Trgers zur Auswahl der Beschftigten bleibt gewahrt

    wer eine der angebotenen Beschftigungsmglichkei- ten nicht will, passt aus konzeptionellen Grnden nicht in eine Nachbarschaftseinrichtung. Deswegen ist die konzeptionelle Nicht-bereinstimmung, die nicht zu Lasten des Bewerbers geht, ein ausreichender Grund fr die evtl. Ablehnung einer Zuweisung. Klrung der individuellen Perspektiven (welchen Nutzen kann jemand aus der Beschftigung ziehen ?) Qualifizierungsanteile festlegen und garantieren (Be- werbungstraining wird nicht als Qualifizierung gewertet) Sprachsensibilitt (wir melden keinen Bedarf an son- dern wir stellen Beschftigungsmglichkeiten zur Verfgung)

    Fr Einrichtungen, die nicht selber Beschftigungstrger und damit Vertragspartner einer Arbeitsagentur sind, sind diese Prinzipien leicht durchzuhalten. Sie sollten aber auch fr Einrich-tungen gelten, die Beschftigte direkt von der Arbeitsagentur zugewiesen bekommen und durch die fallbezogene Frderung der Trgerkosten (immerhin bis zu 300 Euro pro Teilnehmer und Monat) leicht unter Druck geraten knnen.

    Wenn wir hier eine klare Haltung beziehen, ist das nicht nur eine Gewissensfrage sondern wird uns auf mittlere Sicht auch gegen-ber Politik, Verwaltung und Arbeitsagenturen fr den Fall ntzen, dass die anvisierten groen Zahlen bei dem zu erwartenden Widerstandspotential der (subjektiv) deklassierten Arbeitslosenhilfeempfnger/innen gegen alle Formen von Zwangsarbeit nicht zu erreichen sind.

    Ohne Vermittlungsprozesse, die ein hohes Ma an Freiwilligkeit (auf beiden Seiten) zur Grundlage haben, wird es nicht gehen.

    Vorschlge zur Diskussion gestellt

    Dafr sollten wir eigene Vorschlge machen, wie sie z.B. vom Nachbarschaftshaus KiekIn zur Diskussion gestellt worden sind:

    Es wre denkbar, dass zuweisungsberechtigte Erwerbs- lose einen Gutschein erhalten, auf dem der Frderzeit- raum sowie eventuelle Stundenvorgaben vermerkt sind. Trger, die Arbeitsgelegenheiten anbieten wollen, mssten diese in Form eines Angebotskataloges prsentieren, der im Vorfeld mit der ARGE abgestimmt wird. Der Gutscheininhaber knnte nunmehr inner- halb einer kurzen Frist selbstndig das Angebot bei dem Trger auswhlen, das ihn am meisten anspricht. Nach Kontaktaufnahme mit dem Trger knnte dann die individuelle Frdervereinbarung abgeschlossen werden.

    Ein Ansatz, der auf diese oder hnliche Weise auf zweiseitige Vereinbarungen statt auf einseitig ausgebten Zwang setzt, hat gegenber den bislang im Gesprch befindlichen Ablufen folgende Vorteile:

    Die Arbeit entspricht dem Interesse der Erwerbslosen Diese bernehmen Verantwortung fr sich selbst, eine Vorbedingung fr die berwindung jener Resignation, die jede Beschftigungschance verhindert Die Trger treten in einen Wettbewerb untereinander ein, sie mssen die Arbeitsgelegenheiten mglichst attraktiv gestalten

    Den offiziellen Zielsetzungen des Programms

    wre damit besser gedient als mit der Vermittlung ungewollter Beschftigungen: geht es doch darum, bei Langzeitarbeitslosen die Beschftigungsfhigkeit zu erhalten, bzw. Jugendliche und junge Erwachsene an eine regulre Beschftigung heranzufhren. Dafr ist alles von Vorteil, was Motivationen weckt und potentielle Strken einbezieht.

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    Die Brgergesellschaft wird stndig in Reden, Auf-stzen und Debatten beschworen. Was verbirgt sich hinter diesem Verstndnis von Gemeinwesen? Wie sieht die Brgergesellschaft im lokalen Raum aus? Was fr Projekte knnen dazu beitragen diese zu aktivieren?

    Diese Fragen sind der Ausgangspunkt fr die KiezAk-tivKassen gewesen. In einem Hotel im Berliner Bezirk Kpenick sind sie im Jahr 2002 intensiv von Praktikern aus ganz Europa diskutiert worden. Die europischen Gste prsentierten im Rahmen dieser Veranstaltung Projekte, mit denen sie in ihren Heimatlndern Brgerinnen und Brger fr gesellschaftliches Engagement gewinnen. Die best-practice Beispiele reichten von Moderationsmetho-den zur Engagementfrderung bis zur Ausbildung von Jugendlichen als Organisationsberatern, die Vereine auf Jugendtauglichkeit prfen.

    Eines der Projekte, die Youthbank aus Grobritannien, fas-zinierte durch Einfachheit und einen hohen Wirkungsgrad. In Grobritannien hat sich ein Netzwerk lokaler Youth-banks etabliert. Die Banken, die von Jugendlichen selber getragen werden, vergeben Geldbetrge an Gleichaltrige, die damit Projekte verfolgen, die jungen Menschen vor Ort zu Gute kommen.

    Die zu vergebenen Gelder werben die Jugendlichen bei Stiftungen oder der ffentlichen Hand ein.

    Dieses Projekt ging verschiedenen Teilnehmern der Tagung in Berlin nicht mehr aus dem Kopf. Es bildete die Grundlage fr die KiezAktivKassen der Jugend- und Familienstiftung.

    In Kooperation mit der Landesgruppe Berlin des Verbandes fr sozial-kulturelle Arbeit und der Bertelsmann Stiftung entstand ein Konzept, das die Zielgruppe der Bank auf alle Menschen in einem Kiez erweiterte, aber ansonsten die Verantwortung fr das Kassengeld an die Mitglieder der KiezAktivKassen bertrug - auer der Geldbeschaffung, denn das stellte die Jugend- und Familienstiftung bereit: mit 30.000 Euro wurden sechs KiezAktivKassen in sechs verschiedenen Berliner Bezirken gefllt.

    Wie sie Ihre Arbeit organisiert haben und was fr Projekte sie frderten, wird im Folgenden geschildert. Die KiezAk-tivKassen sind ein Beispiel dafr, wie mit einfachen Mitteln und dem Vertrauen in Brgerinnen und Brger im lokalen Raum Brgergesellschaft entstehen kann.

    Es zeigt sich, dass die Menschen vor Ort sehr gut die Pro-bleme Ihres Kiezes kennen und auch Ideen fr deren L-sung haben. Wir hoffen, dass diese Beschreibung Interesse fr KiezAktivKassen in anderen Teilen Deutschlands weckt. Wir wrden uns freuen, wenn das Berliner Beispiel Schule macht und somit die Brgergesellschaft um einen weiteren Aktivierungsbaustein bereichert werden kann.

    Michael SeberichBertelsmann Stiftung - Projekt Erziehung zu Gemeinsinn und Gemeinschaftsfhigkeit

    Die Kiezaktivkassen - Beschreibung und erste Auswertung eines Pilotprojektes

    Standorte finden

    Jede KiezAktivKasse bentigt ein Dach. Sie wird deshalb Gast bei einem Nachbarschafts- oder Stadtteilzentrum oder einer hn-lichen gemeinntzigen Einrichtung und erhlt dort die ntige Untersttzung.Die Strukturen fr einen reibungslosen und unbrokratischen Ablauf vom Programmstart bis zur Abrechnung wurden von der Jugend- und Familienstiftung in Zusammenarbeit mit entspre-chenden Einrichtungen entwickelt.Bei einem Startworkshop wurden die Vorberlegungen der Jugend- und Familienstiftung mit den Erfahrungen und Anregun-gen der Mitarbeiter/-innen von Nachbarschafts- und Stadtteilein-richtungen verbunden.Interessierte Einrichtungen konnten sich dann innerhalb eines Monats als Gastorganisationen bewerben. Daraus wurden 6 Trger fr die Pilotphase der KiezAktivKasse ausgewhlt.Leitbild war dabei, eine groe Vielfalt zu erreichen. Groe und klei-ne Trger sollten vertreten sein, innerstdtische ebenso wie solche mit Sitz auerhalb des Zentrums.Fr die umfangreichen Aufgaben stand den Gastgeberorganisati-onen jeweils ein Etat von 300.- Euro zur Verfgung. Dies erscheint auf den ersten Blick vielleicht unangemessen. Allerdings mssen die Kosten in einem akzeptablen Verhltnis zum Umfang der Frdermittel stehen und die Gastgeberorganisationen profitieren auch auf andere Weise von ihrem Engagement:

    Die KiezaktivkassenNeue impulse fr brgerschaftliches Engagement

    Was ist das besondere an der KiezAktivkasse?

    Das Programm KiezAktivKasse wurde als ein spezielles Frderprogramm der Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung und dem Verband fr sozial-kulturelle Arbeit entwickelt. Kerngedanke dabei war, dass lokale gemeinwesenorien-tierte Aktivitten von Brger/-innen fr Brger/-innen mit kleinen Frderbetrgen untersttzt werden. Ziel war es, anfnglich in sechs Kiezen verschiedener Berli-ner Bezirke das Zusammenleben der Generationen zu frdern und die Familienfreundlichkeit zu verbessern.In der KiezAktivKasse sollten Bewohnerinnen und Be-wohner eines bestimmten Wohngebietes nach einem ffentlichen Aufruf eine Frderjury bilden. Die Jury sollte vor Ort nach eigenen Vergabekriterien einen Frderfond verwalten, an den alle Bewohnerinnen Frderantrge in einem Umfang bis maximal 750.- Euro richten knnen.Die Jury verfgte dabei zunchst jeweils ber eine von der Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin be-reitgestellte Frdersumme von 5.000.- Euro, die sie jedoch durch zustzliche Einwerbung lokaler Mittel erweitern konnte. Eine Frderung durch die KiezAktivKasse sollte die Funktion einer Initialzndung haben fr weitere finanzielle und persnliche Untersttzung durch Dritte.Die Brgerinnen und Brger sollten somit als Kassenaktive oder Kiezaktive Verantwortung fr ihr Wohngebiet ber-nehmen und auf der Grundlage ihrer rtlichen Sachkenntnis unbrokratisch ber die Verwendung der Mittel entscheiden.

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    Die Einrichtungen gewinnen an Bekanntheit und errei- chen eine bessere Auslastung ihrer Angebote Sie knnen sich gegenber ffentlichen Zuwendungs- gebern als innovative Partner profilieren Sie gewinnen Zugang zu potenziellen Sponsoren auch fr die eigene Einrichtung

    In der Auftaktveranstaltung zur Einrichtung der Kiez-AktivKassen wurden folgende Vorschlge fr die ffentlichkeitsarbeit der Gast- bzw. Trgerorganisationen gesammelt:

    ffentliche Einladung zur Start- Veranstaltung durch Plakataushang sowie Verteilung und Auslage von Pro- grammflyern im Stadtteil Gezielte Ansprache von Einzelpersonen Gezielte Information von Multiplikatoren in rtlichen Gremien wie Elternvertretungen, Mieterberatungen, Interessensverbnden von Gewerbetreibenden Nutzung ffentlicher Veranstaltungen (Podiums- diskussionen, Straenfeste etc.)

    Die Kiezaktivkasse bekannt machen

    Interessierte Brgerinnen und Brger bekommen vor allem ber persnliche Ansprache den entscheidenden Ansto zur Mitarbeit in der KiezAktivKasse. Dennoch macht eine breite ffentlichkeits-arbeit zur Werbung fr die Mitarbeit Sinn, denn dadurch wird gleichzeitig ber die Mglichkeit informiert, dass Frderantrge bei der Jury gestellt werden knnen.Auerdem zeigen Erfahrungen aus dem professionellen PR-Ge-schft, dass eine Ansprache ber mehrere Kanle und Medien insgesamt immer den besten Erfolg bringt.

    Die Jury zusammenstellen

    Die Zusammenstellung der Frderjury ist eine besonders sensible Phase bei der Einrichtung der KiezAktivKasse. Einerseits sollten die Kassenaktiven mglichst den Querschnitt der Bevlkerung im Einzugsgebiet abbilden.Andererseits muss auch auf eine arbeitsfhige Gre geachtet werden, bei der vielleicht nicht jede Interessensgruppe Berck-sichtigung findet. Insbesondere in multikulturell geprgten Stadt-teilen ist dies nicht immer eine leichte Aufgabe. Sie setzt voraus, dass die Verantwortlichen der Trgerorganisation mit den sozialen Netzwerken und Organisationen im Stadtteil vertraut sind. In benachteiligten Quartieren kann es vorkommen, dass Anwohner zgern, Verantwortung fr die Verteilung von aus ihrer Sicht gro-en Summen zu bernehmen. Hier knnen Finanzerfahrene dazu beitragen, die Hemmschwellen zu senken.Die meisten Kiezaktivkassen haben mit einer Gre von 5-7 Jury-mitgliedern gute Erfahrungen gemacht. Weniger sollten es nicht sein, weil immer damit gerechnet werden muss, dass einzelne Jurymitglieder nicht alle Entscheidungstermine wahrnehmen knnen. Auch hat es sich als sinnvoll erwiesen, dass sowohl loka-les Urgestein als auch mehr und weniger frisch Zugezogene in der Jury vertreten sind.Grundstzlich hat es sich als problematisch erwiesen, wenn Jurymitglieder selber auch Frderantrge stellen. Um Interessens-konflikte oder gar eine dauerhaft belastete Arbeitsatmosphre zu vermeiden haben einzelne KiezAktivKassen sich von vornherein einstimmig fr eine Geschftsordnung entschieden, die Stimm-enthaltung vorsieht, wenn persnliche Interessen mit Vorhaben verknpft sind, fr die ein Frderantrag gestellt wurde.Am meisten Erfolg bei der Drittmittelakquise hatten solche Ak-teure, die nicht nur von einem konkreten Projekt berzeugt waren und dies auch mit Selbstbewusstsein nach auen vertreten konn-ten, sondern fr die Projekte auch Rckendeckung von rtlichen Entscheidungstrgern aus Politik und Verwaltung bekamen.Entscheidend war aber vor allem, dass die gefrderten Vorhaben, fr den Stadtteil eine besondere Bedeutung hatten und von vielen Akteuren mitgetragen wurden Werbung zur Verstrkung

    einer anonymen KiezAktivkasse hatte meist weniger Erfolg als die Werbung zur Ko-Finanzierung eines konkreten Vorhabens, wie beispielsweise die Finanzierung von Bodenschwellen zur Verkehrsberuhigung einer Wohnstrae.

    Drittmittel akquirieren

    Auch die begrenzten Mittel einer KiezAktivKasse knnen nach sorgfltiger Prfung und Vergabe groe Wirkungen im Stadtteil entfalten. Insbesondere dann, wenn es gelingt, das vorhandene Kapital der KiezAktivKasse durch Einwerbung von Drittmitteln aufzustocken. Erfahrungsgem ist die Bereitschaft zu ergnzen-der Frderung besonders gro, weil durch die bereits vorhandene Kapitalbasis ein gewisser Erfolg bereits garantiert ist, an dem Spendenwillige auch mit kleinen zustzlichen Betrgen in vollem Umfang beteiligt sind.Im brigen gelten fr Drittmittelakquise die gleichen Prinzipien wie fr jede erfolgreiche Werbung um Untersttzung und Spen-den: Es gilt vom Kleinen ins Groe zu gehen, vom Bekannten zum Unbekannten. Von der Werbung im Freundes- und Bekanntenkreis ber die Ansprache lokaler Gewerbetreibender bis hin zur Unter-sttzung durch Presse und Medien.

    Frderkriterien entwickeln

    Soll eine KiezAktivKasse als Frderinstanz dauerhaft etabliert werden, ist eine Festlegung von Frderkriterien unabdingbar. Je strker sich die Antrge hufen, desto deutlicher wird das allen Beteiligten: Wird jeweils erst im Nachhinein oder im Einzelfall entschieden, so kann es zum Eindruck von Intransparenz oder gar Willkr kommen.Deshalb macht es Sinn, frhzeitig wenigstens einen Kriterienkata-log oder eine Priorittenliste zu erstellen, die zumindest eine gro-be Orientierung fr Entscheidungen bieten, ohne eine inhaltliche Diskussion im Einzelfall ersetzen zu knnen.Kriterien knne beispielsweise sein:

    Das Vorhaben soll generationsbergreifenden Charakter haben Das Vorhaben soll einen hohen Beteilungseffekt haben Die Ergebnisse des Vorhabens sollen allgemein ffent- lich zugnglich sein Es soll erkennbar sein, dass Eigenarbeit bzw. Eigenmittel in das Vorhaben einflieen

    Aus grundstzlichen Erwgungen wird empfohlen, auf die Frderung von Vorhaben zu verzichten, bei denen der Eindruck berwiegt, dass es sich um eine Ersatzfinanzierung nach Mittel-krzungen fr eine ffentliche oder ffentlich gefrderte Einrich-tung handelt.Vor Beginn der Antragsprfung stellten die meisten Frderrjurys eine Geschftsordnung auf, die nur wenige Punkte umfasst. So wurden beispielsweise Beschlsse zu Antragsrecht und Grund-stze beim Abstimmungsverhalten der Jury-Mitglieder festgelegt oder Termine fr die Abstimmung ber Antrge verabredet. Diffe-renzierte Frderkriterien wurden zunchst von den wenigsten Ju-rys aufgestellt. In der ersten Frderperiode war die KiezAktivKasse nur wenig bekannt und es gab deshalb oft gerade genug Antrge, ber die berhaupt entschieden werden konnte. Entsprechend drehten sich die Diskussionen in der Jury dann meist eher um die Frage der Frderhhe, als um die grundstzliche Frderwrdigkeit der beantragten Vorhaben.

    Wie weit geht mein Kiez?

    Im Zusammenhang mit Frderkriterien stellt sich auch die Frage, in welchem rumlichen Wirkungsbereich sich die KiezAktivKasse bewegen soll.Die Diskussion um die Wahrnehmung von Grenzen des Stadtteils hat jedoch nicht nur die Funktion, ein weiteres Frderkriterium aufzustellen, sondern auch: unterschiedliche Sichtweisen auf

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    den Kiez offen zu legen und Erfahrungswissen der Kassenaktiven auszutauschen und fr andere verfgbar zu machen.Die Erstellung einer Kiezkarte hat sich in unterschiedlichen Zu-sammenhngen als sehr wirkungsvolles Instrument der Mobilisie-rung und Beteiligung erwiesen. Als Medium der ffentlichkeits-arbeit - ergnzt durch Fotomaterial oder Spielgeld - sorgte die Kiezkarte im Schaufenster oder auf ffentlichen Veranstaltungen fr Aufsehen und machte plastisch, um was es bei der KiezAktiv-Kasse geht. Nicht zuletzt lernten sich die Kassenaktiven bei der Erarbeitung auch ein bisschen besser kennen.Gute Erfahrungen haben die Berliner KiezAktivKassen mit der Aus-lage und Verteilung von einfachen Antragsformularen gemacht. Die Nutzung dieser Formulierungshilfen war aber nie Frdervo-raussetzung. Um das Risiko der Sprachbarriere zu vermindern wurden in einem Fall sowohl Informationen als auch Antragsfor-mulare in die von MigrantInnen am hufigsten genutzten Mutter-sprachen bersetzt

    Um den Arbeitsaufwand mglichst gering zu halten, haben sich viele KiezAktivKassen dazu entschieden, den Antrag inklusive Projektbeschreibung auf 1-2 Seiten zu begrenzen und mehrere Antrge zu sammeln, bis darber in einer gemeinsamen Sitzung entschieden wurde. Es wurde auch in den meisten Fllen auf eine persnliche Vorstellung des Vorhabens durch die Antrag-stellenden verzichtet. Einige haben sich jedoch auch viel Zeit fr persnliche Gesprche und Vor-Ort-Besuche genommen. ffentli-che Beratungstermine haben, wenn alle Antragsteller eingeladen wurden, zu hilfreichen Kontakten unter Kiezaktiven beigetragen.

    Antragstellung und Mittelvergabe organisieren

    Auch wenn im Stadtteil intensiv fr die Antragstellung gewor-ben wird, dauert es in der Regel mehrere Wochen, bis die ersten Antrge bei der KiezAktivKasse eingehen. Deshalb sollte mit der Werbung und Ankndigung eines ersten Entscheidungstermins nicht gewartet werden, bis alle Details der Frderkriterien oder der Kiezgrenzen entschieden sind.Das Verfahren der Antragstellung soll keine brokratischen Hrden aufbauen und die Mittelvergabe sollte zeitnah erfolgen. So kann gewhrleistet werden, dass der Kreis der Antragsteller/-innen nicht nur aus den blichen Akquisitionsprofis besteht.Eine klare Trennung zwischen Entscheidungsverfahren (durch die Kassenaktiven) und formaler Abwicklung der Frderung (Aus-zahlung, Abrechnung und Dokumentation durch die Gastorga-nisation) ist fr das Funktionieren der KiezAktivKasse besonders hilfreich..

    Erfahrungen austauschen

    Zur Weiterentwicklung der KiezAktivKasse sollten nach ei-ner angemessenen Laufzeit die am Programm beteiligten Kiezbewohner/-innen zu einem Erfahrungsaustausch eingeladen werden. Hier knnen gefrderte Aktivitten vorgestellt, bisher Erlebtes ausgetauscht und ausgewertet werden.Bestimmte Themen, zum Beispiel ffentlichkeitsarbeit und Fundraising, knnen aus der Nhe betrachtet und bei Bedarf Fragen geklrt, bentigtes Wissen vermittelt und Tipps gegeben werden - und auch das gemeinsame Feiern sollte nicht zu kurz kommen.

    Erfolge feiern

    Sehr positiv haben die Beteiligten in Berlin das Angebot zum Erfahrungsaustausch aufgegriffen. Nach einigen Erfahrungen mit Antragstellungen und Mittelvergabe wurde dazu im Mai 2004 eine weitere KiezAktivKassen - Werkstatt durchgefhrt.Der Schwerpunkt lag bei Erfahrungen und Anregungen der Kassenaktiven. Auerdem wurden von einer PR-Fachkraft Infor-mationen und Empfehlungen zur ffentlichkeitsarbeit und zur Werbung von Partnern und Frderern vermittelt.Der von Michael Seberich moderierte Austausch machte folgen-

    des deutlich: Die Etablierung der Idee bentigt in der Regel ein halbes Jahr Vorlauf bis zur Umsetzung der ersten Projekte. Ein Start im Winterhalbjahr ist deshalb gnstiger als im Sommer In der Anfangsphase macht es Sinn auch bereits be- stehende Initiativen zu frdern, um die Frdermglich- keit bekannt zu machen. Spter ist es sinnvoller neue Initiativen anzuregen Wird der Kiez zu weitlufig definiert steigt der Organisa- tionsaufwand berproportional an und es besteht die Gefahr sich zu verzetteln. In multikulturell geprgten Stadtteilen ist es sinnvoll, In- fomaterialien in verschiedenen Sprachen zur Verfgung zu haben Je mehr Menschen von einem Thema betroffen sind und sich bei einem Vorhaben einbringen knnen, desto leichter ist es zustzliche Mittel fr die Verwirklichung zu akquirieren Aktivitten zur Verkehrsberuhigung und zur Gestaltung bzw. Pflege ffentlicher Rume bzw. Freiflchen haben sich als besonders wirkungsvoll erwiesen Unerfahrene Kassenaktive bentigen Coaching, um die Balance zwischen Autonomie der Jury und vorgegebe- nen Frderzielen zu entwickeln Die Mitarbeit in der Jury bedarf der besonderen Aner- kennung

    Die Einladung aller Beteiligten zu einem schmackhaften und reichhaltigen Buffet bildete einen angemessenen und gern ange-nommenen Abschluss der Pilotphase.

    Perspektiven

    Als wichtigste Erkenntnis aus der Arbeit der KiezAktivKassen wur-de immer wieder formuliert, dass schon mit wenig Mitteln viel in Bewegung gebracht werden kann. So bekam bei einer Befragung der Kassenaktiven das Verhltnis zwischen Aufwand und Nutzen sehr gute Noten.Die Befragung ergab auch, dass niemand die Teilnahme bereut hat und fast alle sich erneut daran beteiligen wrden. Auch wenn in Bezug auf spezifische Wirkungen der gefrderten Aktivitten noch nicht viel ausgesagt werden konnte, auer, dass mit Sicher-heit bestehendes Engagement gestrkt wurde, so waren sich die Beteiligten doch mehrheitlich darber einig, dass die Wirkungen fr den Stadtteil dauerhafter Natur sein werden.Neben der Motivation, sich fr den Kiez zu engagieren spielt auch das Knpfen neuer Kontakte im Stadtteil eine wichtige Rolle beim Engagement in der KiezAktivKasse. Das von den Jurybeteiligten selbst entwickelte Vergabeverfahren wurde einheitlich von allen als sinnvoll bezeichnet. Dies besttigt die Herangehensweise der Jugend- und Familienstiftung, diesbezglich mglichst wenige Vorgaben zu machen.Interessant war die uerst ausgewogene Mischung von Altein-gesessenen und neu oder erst vor wenigen Jahren Zugezogenen in den Jurien. Rund die Hlfte der Beteiligten Kassenaktiven htte sich etwas mehr Untersttzung erhofft, vor allem im Bereich Information und ffentlichkeitsarbeit sowie bei der Akquisition von weiteren Mitteln.In Einzelinterviews mit Kassenaktiven wurde aber auch deutlich, dass durch den Erfahrungsaustausch bereits viele Anregungen in die weitere Arbeit der Kiezaktivkassen eingeflossen sind oder zu weitergehenden Versuchen angeregt wurde.Als Konsequenz aus den guten Erfahrungen mit der Pilotphase hat die Jugend- und Familienstiftung beschlossen, das Frderpro-gramm zu verlngern und auf weitere Standorte auszudehnen. Die Bertelsmann-Stiftung hat sich darber hinaus fr eine Initiati-ve zur bertragung in andere Stdte entschieden.

    Oliver Ginsberg(Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung der Jugend- und Familienstiftung einer ausfhrlicheren Projektdokumentation entnommen, die bei der JFSB - Kontaktadresse s.o. - zu beziehen ist)

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    Kontakt

    Jugend- und Familienstiftungdes Landes BerlinStiftung des ffentlichen RechtsObentrautstrae 55 / 10963 BerlinFon: 030-2175 1370 / Fax: [email protected] / www.jfsb.de

    Bertelsmann StiftungCarl-Bertelsmann-Strae 256PF 103 / 33311 GterslohFon: 05241-810 / Fax: -81 81 [email protected]

    Daten und Fakten

    Programmumfang:

    30.000.- EuroFrdermittel je KiezAktivKasse: 5.000.- EuroAnzahl gefrderter Aktivitten: 82Durchschnittliche Frdersumme: 365.- Euro

    Trger der KiezaktivKassen:

    Frei-Zeit-Haus in Weiensee e.V. Kiez-Spinne FAS e.V. Nachbarschaftshaus Urbanstrae e.V. N.U.S.Z. - Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum ufafabrik e.V. Rabenhaus e.V. Verein fr eine billige Prachtstrae - Lehrter Strae e.V.

    In der KiezAktivKasse bilden Bewohnerinnen und Bewohner eines bestimmten Wohngebietes nach einem ffentlichen Aufruf eine Frderjury. Alle die im Wohngebiet leben knnen bei der Jury Frder-antrge bis maximal 750 Euro stellen fr Vorhaben, die eine Verbesserung des Zusammenlebens der Generationen und der Familienfreundlichkeit zum Ziel haben. Anhand selbst aufgestellter Kriterien entscheidet die Jury ber die Antrge, vergibt die Mittel und informiert sich spter ber die Ergebnisse.

    Kiez-Aktiv-Kasse wird wieder geflltStiftung frdert Aktionen in Weiensee

    Weiensee. Mit Mitteln aus der Kiez-Aktiv-Kasse wurden in diesem Jahr 13 Projekte gefrdert. Im kommenden Jahr steht erneut Geld zur Verfgung.

    Bei der Kiez-Aktiv-Kasse handelt es sich um ein Frderprogramm der Jugend- und Familienstif-tung des Landes Berlin, das in diesem Jahr zu-nchst in sechs Kiezen getestet wurde. 5000 Euro standen in Weiensee zur Verfgung.Im Kern geht es darum, dass lokale Aktivitten zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualitt mit kleinen Frderbetrgen untersttzt werden. Fr jedes Projekt konnten 2004 bis zu 750 Euro beantragt werden. ber die Vergabe entschied eine achtkpfi ge Brger-Jury Unter anderem erhielten die Organisatoren der Afrika-Woche Untersttzung, eine Kita-Kunstaktion wurde gefrdert, und ein Jugendklub bekam Geld fr ein Gewaltprventionsprojekt, bericht Christof Lewek, der Geschftsfhrer des Frei-Zeit-Hauses.Vorschlge willkommenDie Kiez-Aktiv-Kasse gibt es auch im kommenden Jahr. Bereits jetzt knnen Projekte fr eine Fr-derung vorgeschlagen werden. Insgesamt 3500 Euro: stehen zur Verfgung. Wer ein Kiezprojekt umsetzen will kann sich im Frei-Zeit-Haus, Pisto-riusstrae 23, informieren, ein Antragsformular abholen und einen Antrag stellen.Weitere Informationen gibt es unter 92 79 94 63.

    Berliner Woche, 13. Oktober 2004

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    bersicht:

    I. Problembeschreibung

    II. Ziele, Prinzipien und Essentials

    III. Bausteine

    IV. Organisation und Kooperation

    I. Problembeschreibung

    I.1. Die Situation lterer Menschen in urbanen Gemeinwesen

    Immer mehr Menschen wollen dort alt werden, wo sie schon lange wohnen.

    Obwohl wnschenswert und nachvollziehbar, birgt der Wunsch, im vertrauten Wohnquartier alt zu werden, eine Reihe von Risiken. Bereits heute erhlt ein groer Teil der lteren keine Unterstt-zungsleistungen (mehr) von Familie, Freunden oder nachbar-schaftlichem Umfeld - ein Trend, der durch die Zunahme von Single-Haushalten in die Zukunft verlngert und verstrkt wird.Durch den Ausbau ambulanter Pflegedienste konnte zwar die Zeit zu Hause erheblich verlngert werden, bei komplexen Problem-lagen (z.B. einer demenziellen Erkrankung des alten Menschen) bleibt jedoch oft als scheinbar einzige Mglichkeit die bersied-lung in ein Pflegeheim.

    Kurzfassung des Projekts:

    Die Gesellschaften in allen westlichen Industrienationen werden lter.Die hier vorgelegte Projektskizze beschreibt eine humane Strategie, wie ein Gemeinwesen durch die Nutzung nachbarschaftlicher Netze und ein intelligentes Care - Management in die Lage versetzt wird, seine lteren Mitbrger - auch in existenziell schwierigen Lebensla-gen - zu integrieren und die bersiedlung in Pflegeeinrichtungen zu verhindern. Nachbar-schaftliche Netze bedeuten die Einbeziehung unentgeltlicher und geringfgig bezahlter nachbarschaftlicher Hilfeleistungen, Care - Management bedeutet in diesem Projekt die Vernetzung vorhandener Ressourcen und die Entwicklung neuer selbst organisierter Hilfe- und Pflegeeinheiten.Das Projekt ist so angelegt, dass alle Altersgruppen von diesem Prozess profitieren knnen und dass sich letztendlich ein neues Bewusstsein von Altern und Nachbarschaft entwickeln kann. Last but not least wird deutlich werden, wie Community Care Selbstorganisation und brgerschaftliches Engagement innerhalb eines Gemeinwesens befrdern kann.Zukunftsweisend ist dabei die enge Kooperation mit einer Wohnungsbaugesellschaft und einer Vielzahl von Services.

    Geplanter Projektbeginn: Frhjahr 2005Projektende: Frhjahr 2008, erste Evaluation Mitte 2006

    Projektpartner: Verband fr sozial-kulturelle Arbeit e.V. - Freunde alter Menschen e.V.

    Leben in Nachbarschaft bis ins hohe Alter

    Community Care in einem urbanen Wohnquartier

    - Projektskizze -

    I.2. Die Infrastruktur ist nicht altenfreundlich

    Die Ursachen fr diesen vermeintlichen Automatismus liegen auf vielen Ebenen:Wohnungen, die nicht (mehr) bedarfsgerecht sind, ein ausge-dnntes Dienstleistungsangebot und eine zunehmend anonyme Nachbarschaftsstruktur verstrken Tendenzen zur Abhngigkeit von professionellen Hilfesystemen bei gleichzeitigem Verlust von Mglichkeiten der selbst bestimmten Lebensfhrung. Der betrof-fene alte Mensch und sein Umfeld sehen unter diesen Umstnden hufig keine andere Lsung als den Umzug in eine Institution. Gewnscht ist dieser Umzug in den meisten Fllen nicht. I.3. Die Nachbarschaft ist berfordert

    Nachbarschaftliche und familiale Hilfeleistungen, die durchaus hufiger vorkommen als gemeinhin angenommen, knnen auf Dauer nur tragfhig bleiben, wenn keine Abhngigkeiten entste-hen und die Last der Verantwortung nicht allein auf den Schultern einiger weniger ruht. Das gilt sowohl fr die Familienmitglieder (meist Ehepartner oder Tchter/Schwiegertchter) als auch fr die Nachbarschaft. In Kombination mit einem verlsslichen professionellen Hinter-grundsystem ist und bleibt familiale und nachbarschaftliche Hilfe (nicht nur) fr alte Menschen eine tragende Sule im Gemeinwe-sen.

    I.4. Neue Akteure sind gefragtBis in die Gegenwart gelten Problemlagen alter Menschen als eine Sache, um die sich die Familie oder die Wohlfahrt kmmert. Wir haben schon festgestellt, dass beide damit lngst berfordert sind. Die Wohnungswirtschaft - die den grten Teil der alten

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    Menschen beherbergt - wird zunehmend mit der Situation ihrer alten Mieter konfrontiert und ist gefordert, Aufgaben zu berneh-men, die nicht im Bereich ihrer Kernkompetenzen liegen. Aus der Verantwortung gegenber den Mietern heraus aber auch zunehmend aufgrund wirtschaftlicher Zwnge (aktueller oder drohender Leerstand) mssen auch Wohnungswirtschaftsun-ternehmen nach Lsungen suchen, alt gewordenen Mietern das Weiterleben in ihrem Quartier zu ermglichen. Sie werden damit zu neuen Akteuren/Partnern in einem Handlungsfeld, das bislang Wohlfahrtsorganisationen vorbehalten war.

    I.5. Ein bedarfsgerechtes und barrierefreies Umfeld tut Not

    Unsere stdtebaulichen Strukturen sind nicht fr alte Menschen konzipiert. Einkaufsmglichkeiten sind hufig nur mit dem Auto zu erreichen, Zugangswege sind nicht barrierefrei oder schlecht beleuchtet, Be-wegungsflchen und Ausstattung der Wohnungen (vor allem der Bder) sind nicht funktionsgerecht. Abhilfe ist mit relativ geringen Mitteln zu schaffen und es lassen sich Effekte erzielen, die durch-aus auch fr jngere Mieter attraktiv sein knnen. Ein lebendiges und sorgendes Gemeinwesen ist und bleibt ein Standortvorteil fr jedes Wohnquartier. Ein barrierefreier Zugang zum Haus gefllt nicht nur dem gehbehinderten alten Menschen, sondern auch der Mutter mit Kinderwagen.

    I.6. Die alten Nachbarn

    I.6.1. Die Go-gos

    Die lteren Menschen selbst sind eine uerst heterogene Gruppe. Je lnger die dritte Lebensphase dauert, desto strker differenzieren sich Unterschiede aus.Die agilen (die sog. Jungen Alten oder go-gos) suchen Chan-cen, den dritten Lebensabschnitt sinnvoll zu gestalten - und dies durchaus im Dialog mit jngeren Generationen. Sie sind keine Adressaten von Angeboten, die einen Sozialtouch haben, aber durchaus zugnglich fr Service- und Wellness-Angebote. Wie bei den nachfolgend genannten auch, ist dieser Status nicht zwangslufig an ein bestimmtes Lebensalter gebunden, findet sich naturgem aber hufiger bei jngeren Alten.

    I.6.2. Die Slow-gos

    Alte Menschen mit eingeschrnktem Aktionsradius aufgrund kr-perlicher Gebrechen (die slow-gos) laufen Gefahr zunehmend isoliert zu werden und haben hufig alltagspraktische Probleme. Vor allem die adquate Versorgung mit Dienstleistungen (Einkauf, Reinigung von Wohnung und Kleidung, Arzt- und Frisrbesuch etc.) und Freizeitangeboten gestaltet sich hufig schwierig. Bei dieser Gruppe muss vor allem die Versorgung mit niedrigschwel-ligen Service- und Untersttzungsleistungen organisiert werden. In dem Lebensabschnitt, in dem solche Gebrechen drohen, sind besonders Frauen zudem hufig vom Verlust des Lebenspartners - und damit der wichtigsten Kontaktperson - betroffen. Damit drohen Isolation, Vereinsamung und entsprechende psychische Folgeerscheinungen (Depressionen). Bei diesen Menschen erlangt die (Re-) Aktivierung von familialen und nachbarschaftlichen Kon-takten hohe Prioritt. Auch hier gilt, dass dieser krperliche Status nicht automatisch an ein bestimmtes Labensalter gebunden ist, aber hufig bei den mittleren Alten, also den 70 - 80jhrigen eintritt.

    I.6.3. Die No-gos

    Eine dritte Gruppe schlielich, die von Pflegebedrftigkeit betrof-fenen oder bedrohten alten Menscheni, sind in besonderer Weise existenziell gefhrdet. Ihnen drohen Rckzug von Freunden und Nachbarschaft (und damit Kontaktverlust und Isolation), Verlust

    von Autonomie, Abhngigkeit und psychische Folgeerscheinun-gen wie Depressionen etc. Hiervon sind besonders die Hochbe-tagten oder solche alten Menschen betroffen, die einen Schlagan-fall (Apoplex) hatten.

    I.6.4. Die No-knows

    Eine zahlenmig immer grer werdende Gruppe in allen westli-chen Industrienationen sind die von demenziellen Erkrankungen betroffenen alten Menschen. Dieses Risiko betrifft vornehmlich Hochaltrige, ist aber nicht auf diesen Personenkreis beschrnkt. Bei dieser Gruppe ist die Gefahr des Verlusts der eigenen Woh-nung und der Institutionalisierung am hchsten. Das traditionelle ambulante Hilfesystem mit seinen sporadischen Einstzen ist nicht in der Lage, diese Menschen adquat zu versorgen. Mit Ihrem hohen Potential an Selbst- und Fremdgefhrdung sind diese alten Menschen auch fr Familie und Nachbarschaft eine berforderung und nicht selten auch eine latente Bedrohung.

    I.6.5. Die bedrohten Alten

    Dieses grobe Raster der Einteilung der lteren Generation wird deren Vielfltigkeit und ihren unterschiedlichsten Bedrfnissen nur annhernd gerecht. Es soll an dieser Stelle auch lediglich dazu dienen, die mglichen Zielgruppen gemeinwesenorientierter Interventionen zu identifizieren.Es liegt nahe, primr die beiden letztgenannten Gruppen (die no-gos und die no-knows) in den Mittelpunkt der Aufmerk-samkeit zu rcken. Sie sind es, die am ehesten davon bedroht sind, ihre vertraute Nachbarschaft verlassen zu mssen. Die einen, weil Wohnung und Umfeld nicht mehr funktionsgerecht sind, die anderen, weil konventionelle Manahmen des ambulanten Ver-sorgungssystems nicht mehr ausreichen, um eine verantwortbare und angemessene Versorgung zu gewhrleisten.Beide Gruppen wren mit einer intelligenten und vernetzten (am-bulanten) Versorgungsstruktur in der Lage (bzw. zu motivieren), in ihrem Quartier zu bleiben.

    Das nachfolgend beschriebene Konzept versucht, die Bausteine dieses Konzepts zu beschreiben und die Systemvoraussetzungen zu benennen, unter denen es erfolgreich intervenieren kann.

    II. Ziel, Prinzipien und Essentials des Projekts

    II.1. Ziel des Projekts

    Ziel des Projekts Community Care ist es, die verschiedenen De-terminanten eines befriedigenden und selbst bestimmten Alterns in einem quartierbezogenen Ansatz unter einen Hut zu bringen. Abhngigkeiten sollen vermieden bzw. reduziert werden, Auto-nomie soll gestrkt, Mobilitt gefrdert und die Unterbringung in einer Institution verhindert werden. Quartierbezogen heit auch, alle anderen Altersgruppen an diesem Konzept zu beteiligen. Ohnehin profitieren alle Gene-rationen von den im Folgenden beschriebenen Prinzipien und Manahmen.

    II.2. Prinzipien des Projekts

    II.2.1. Integration

    Oberstes Prinzip des Projekts ist der integrative Ansatz, d.h. alle an-fallenden Bedarfslagen lterer Menschen am Wohnort zu befriedi-gen. Integrativ heit auch, alle - auch nur am Rande - betroffenen anderen Mitbewohner an diesem Prozess zu beteiligen. Das sind in erster Linie Familien und Nachbarn, aber auch rzte, ambulante

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    Pflegedienste, Therapeuten, Frisre, Wschereien, Bckereien etc. mssen mit einbezogen werden, wenn integrative Versorgung funktionieren soll.

    Es soll mglich werden:

    * Mglichst viele Bedrfnisse vor Ort befriedigen zu knnen* Bei Hilfebedarf ein wohnortnahes Angebot zur Verf- gung zur Verfgung zu haben

    Diese Ziele einer altenfreundlichen Gestaltung des Wohnumfel-des kommen auch allen anderen Generationen zu Gute. Es gilt der Grundsatz:

    Plane (sorge) fr die Jungen - und du schliet die Alten ausPlane (sorge) fr die Alten - und du schliet die Jungen ein

    II.2.2. Kleinrumigkeit

    Gemeinsam mit ansssigen Mietern, Angehrigen der lteren und kooperierenden Dienstleistern und Institutionen sollen Wohnungsbaugesellschaft und Nachbarschaftseinrichtungen Infrastrukturbedingungen schaffen, die ein Verbleiben im Wohn-quartier in (fast) jeder Lebenslage ermglichen.

    Dazu gehren:

    * berblick verschaffen ber Bedrfnis- und Problemla- gen (besonders) der lteren Mieter. Hierbei ist die kos- tenneutrale Beteiligung von Universitten und Fach- hochschulen zu prfen* Unkomplizierte Erreichbarkeit eines Hilfelotsen bei aktuellen Problemen* Etablierung/Intensivierung von Nachbarschaftshilfe und hierfr notwendiger Strukturen* Sensibilisierung der Nachbarschaft fr Problemlagen lterer* Werbung und Begleitung von Freiwilligen/Ehren- amtlichen* Generationsbergreifende Mieterbeteiligung* Verfgbarkeit von Dienstleistungen, die geringere Mobi- litt und Untersttzungsbedarf von Mietern bercksich- tigen. Dies sind vorrangig ltere Menschen, aber auch Behinderte, Akutkranke, Mtter mit Kleinkindern, Grund- schulkinder etc.* Barrierefreie, kommunikationsfrdernde Gestaltung des Umfeldes.* Einrichtung einer Beratungsstelle in der Nachbarschafts- einrichtung* Realisierung von barrierefreien Wohnungen durch kost- entrgerfinanzierte Manahmen - auch jenseits von DIN 18025.

    Ein sorgendes Gemeinwesen kommt ber kurz oder lang an die-sen Komponenten nicht vorbei. Welche der genannten Manah-men vordringlich realisiert werden sollen, sollte sich zum einen an den Bedrfnissen (vor allem) der lteren Mieter orientieren.

    II.2.3. Selbstorganisation

    Wie die voran gegangenen Kapitel schon anzeigten, sollen die meisten Manahmen von Betroffenen, Familienmitgliedern und Nachbarn (mit) getragen werden. Wir haben (aus Erfahrung!) gro-es Vertrauen in das Selbsthilfe- und Selbstorganisationspotenzial. Es bedarf aber hufig einer ordnenden Instanz, die das Engage-ment in Erfolg versprechende Aktionen fhrt. Dies ist die vorran-gige Aufgabe der Projektpartner. Begleitend braucht es eine gute ffentlichkeitsarbeit und Nachbarschaft stiftende Events. Wie dies im Einzelnen geschehen soll, ist im nchsten Kapitel beschrie-ben, in dem die einzelnen Bausteine vorgestellt werden.

    III. Bausteine von Community Care

    III.1. Zentrale Anlaufstelle (Hilfelotse) und Treffpunkt fr ltere

    Die zentrale Komponente der altenfreundlichen Gestaltung eines Wohnquartiers ist eine zentrale Anlaufstelle, die sich grundstzlich erst einmal fr Alles zustndig fhlt, d.h. jeden Untersttzungsbe-darf erfasst, bei Bedarf weitervermittelt und jeden eingeleiteten Prozess bis zur Lsung im Auge behlt und begleitet. Es ist sinn-voll, dass diese Anlaufstelle an eine bestehende Nachbarschafts-einrichtung angedockt wird, weil diese alle Bewohner/innen des Stadtteils im Blick hat und deswegen in besonderem Mae dafr geeignet ist, integrativ zu wirken.

    Die Nachbarschaftseinrichtung kann die Bedingungen erfllen, dass die Anlaufstelle* wohnortnah angelegt ist, so dass sie von Ratsuchenden, Nachbarn und Angehrigen schnell erreicht werden kann* Vertrautheit ausstrahlt und Sicherheit vermittelt* niedrigschwellig ist, d.h. auch von Menschen in An- spruch genommen werden kann, die keine speziellen Zugangsvoraussetzungen haben.

    Die Nachbarschaftseinrichtung ist als kiezbezogener Treffpunkt besonders fr mobilittseingeschrnkte Menschen eine Mglich-keit, unter Menschen zu kommen. Die Einrichtung muss sich auf die besonderen Bedrfnisse dieser lteren Menschen einstellen und in ihrer ffentlichkeitsarbeit um diese Besuchergruppe besonders werben, um ihrer neuen Zusatzfunktion gerecht zu werden. Die Gestaltung von Events, die der Einbeziehung dieser Zielgruppe in nachbarschaftliche Bezge dienen, ist ein wichtiger Bestandteil der Werbestrategie. Solche Veranstaltungen, die ne-ben ihrer Funktion als Kommunikationsgelegenheit auch als Frh-warnsystem fr sich anbahnende Problemlagen genutzt werden knnen, brauchen eine sorgfltige Planung und eine durchdachte Transportlogistik. Nachbarschaftseinrichtungen und die Freunde alter Menschen e.V. knnen ihre langjhrigen Erfahrungen auf diesem Gebiet einbringen und bringen gute Voraussetzungen fr einen erfolgreichen Verlauf des Vorhabens mit.

    Zusammengefasst bernimmt die Anlaufstelle folgende Funktionen:

    * Koordinierungsstelle fr Untersttzungs- und Sorgebe- darf* Grundstzliche Zustndigkeit fr Alles* Kommunikationsort fr alle Menschen im Wohnumfeld* Sttzpunkt fr beteiligte (Pflege-)Dienstleister* Whrend der Dienstzeiten Zielort fr Notrufe, eventuell Schlsseldepot* Koordinierungsstelle fr freiwillige (nachbarschaftliche) Hilfeleistungen

    III.2. Einbindung externer Services

    Die Fortfhrung eines autonomen Daseins in der eigenen Woh-nung scheitert bei vielen lteren Menschen an der Nicht-Erreich-barkeit alltglicher Dienstleistungen.Ob Einkauf, Wschepflege oder notwendige Behrdengnge: es sind hufig die Kleinigkeiten, die in ihrer Summe den Entschluss zum Verlassen des vertrauten Wohnumfeldes herbeifhren.Eine bewhrte Strategie, diesen Prozess zu verhindern oder zu-mindest zu verzgern, ist die Einbindung verschiedenster Services, die die bentigten Leistungen am Wohnort erbringen.

    Beispiele hierfr sind:

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    * Einkaufsdienste, Wscheservice etc.* Wochenmrkte* Vermittlung von Reinigungskrften (evtl. als bezahlte Nachbarschaftshilfe)* Behrdensprechstunden vor Ort* Begleit- und Rollstuhlschiebedienste* Handwerkerdienste* Umzugshilfen ( z. B. bei Wohnungstausch)* Ambulante Pflegedienste (bei Bedarf )

    Es hat sich gezeigt, dass bei einer entsprechenden Schwerpunkt-setzung im Wohnfeld die Anwerbung/Ansiedlung solcher Dienste mglich ist, weil sie sich rechnen, zumindest ist eine gezielte Vermittlung zu den Angeboten externer (auch auerhalb des Bereiches sozialer Dienste) fr alle Beteiligten von Vorteil.

    III.3. Etablierung/Intensivierung von Nachbarschaftshilfe

    Grundstzlich gilt: Nachbarschaft ist besser als ihr Ruf!Die Erfahrungen mit nachbarschaftlichen Untersttzungsleistun-gen zeigen, dass die Bereitschaft zur Hilfeleistung zunimmt, wenn die Last der Verantwortung berschaubar bleibt und im Hinter-grund eine Instanz zur Verfgung steht, die mit Rat und Tat die Nachbarschaftshilfe koordiniert und untersttzt. Nachbarschaftshilfe kann und will nicht Dienstleistungen erset-zen, ist aber hufig eine wichtige Ergnzung um Vertrautheit und Sicherheitsgefhl bei alten Mietern zu erhalten. Neben der vollstndig freiwilligen und unentgeltlichen Nach-barschaftshilfe kann es auch kleine nachbarschaftliche Hilfeleis-tungen geben, die sich auszahlen; sei es, dass einzelne Hilfen (z.B. Wohnungsreinigung) mit Geld honoriert werden oder dass eine Leistung eine Gegenleistung (z.B. Baby - Sitting) nach sich zieht. Hier ergnzen sich der Wunsch der lteren Mitbrger nach sinnvoller Ttigkeit (gebraucht werden) und dem Wunsch junger Familien nach einem zuverlssigen Menschen zum Hten von Kind, Wohnung oder Haustier.

    III.4. Wohnraumanpassung

    Eine funktionsgerechte Wohnung kann entscheidend zur Auto-nomie und damit zum Verbleib in derselben beitragen.Die Anlaufstelle braucht Kompetenz auf diesem Feld, um ber die richtigen Manahmen beraten zu knnen und als Schnittstelle zu mglichen Kostentrgern zu fungieren. Es geht darum, im Inter-esse aller Beteiligten, den Zeitraum zwischen Planung, Finanzie-rungsklrung und Realisierung mglichst kurz zu gestalten. Jede dieser Manahmen bedarf einer engen Begleitung des betrof-fenen lteren Menschen, da die Angst vor Schmutz, Lrm und be