Rundbrief 37 | November 2015 -...

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Rundbrief 37 | November 2015 Mischa, 4 Jahre alt Dima, 3 Jahre alt Partnerschaft für leukämiekranke Kinder „Wir sind glücklich, dass das Moskau-Berlin-Protokoll ständig weiter- entwickelt wird und in Zukunft eine maximal individualisierte Therapie möglich werden soll.“ W. A. Jekowez, Chefärztin der onkologischen Station in der Gebietskinderklinik Mogiljow, Weißrussland

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Rundbrief 37 | November 2015

Mischa, 4 Jahre alt Dima, 3 Jahre alt

Partnerschaftfür leukämiekranke Kinder

„Wir sind glücklich, dass das Moskau-Berlin-Protokoll ständig weiter-entwickelt wird und in Zukunft eine maximal individualisierte Therapie möglich werden soll.“ W. A. Jekowez, Chefärztin der onkologischen Station

in der Gebietskinderklinik Mogiljow, Weißrussland

Liebe Leserin, lieber Leser,

der dem Rundbrief vorangestellte Ausruf einer Kinderärztin aus Mogiljow / Weißrussland erinnert mich an den Anfang unseres Engagements für leukämiekranke Kinder. Vier Jahre nach dem Unglück von Tschernobyl kam eine der weißrussischen Gastärztinnen aus Mogil-jow zur Station von Professor Henze. Damals überlebte in Mogiljow und in der ganzen Sowjetunion nur etwa jedes zehnte Leukämiekind. (Eine genaue Statistik gab es nicht.) Heute werden in Belarus alle an akuter Leukämie (ALL) erkrankten Kinder nach dem „Moskau-Berlin-Protokoll“ behandelt, in Russland sind es etwa zwei Drittel. Überlebens-wahrscheinlichkeit: Mehr als 80 Prozent – welch ein Fortschritt! Im November 2014 beschlossen die Mitglieder der multizentrischen MB-Studiengruppe, die uns oben freundlich zuwinken, die weitere Therapieoptimierung unter dem Namen „ALL-MB 2015“. Seither wurden in der Moskauer Studienzentrale schon 790 Patienten nach dem neuen Protokoll registriert. Darüber ist die Ärztin aus Mogiljow glücklich: Es sind drei Kategorien, nach denen diese ALL-Patienten behandelt werden – „Standard-risiko“, „mittleres Risiko“, „Hochrisiko“. Jetzt sind viele Untergruppen zu den Kategorien beschrieben und zu jeder die angemessenen Therapieschritte. Der Anspruch heißt: „Individualisierung der Therapie“.

Das neue Protokoll ALL-MB 2015 sieht eine Zentralisierung der diagnostischen Untersu-chungen vor, in denen Spezialisten nach festen Standards arbeiten. Eine genauere Diagnostik der Patienten in Risikogruppen hilft, die Überlebensrate von Kindern mit ALL weiter zu steigern. Auch junge Erwachsene wurden ins Protokoll aufgenommen. Der MB-Studienleiter Alexander I. Karachunskiy empfi ehlt die Aufnahme eines neuen MB-Gruppenmitglieds: des Kinderkrebs-Zentrums in Bischkek, der Hauptstadt von Kirgistan. Deren Direktorin Dinara Aljajewa beschrieb in einem Brief an KOHTAKTbI ihre Arbeit. Herzlich willkommen! Wir zahlten ihre Reisekosten nach Moskau zur MB-Konferenz am 27. und 28. November 2015. In dieser Ausgabe stellen wir zwei Patienten aus dem Republiks-Kinderkrankenhaus in Moskau vor. Irina und Imin werden nach ALL-MB 2015 in unserer ersten Partnerstation behandelt, die wir vor 14 Jahren aus Spendengeld sanieren ließen. Jetzt ermöglichte die Chefärztin Natalia Ponomarewa aus eigener Kraft und staatlichen Mitteln eine Komplett-renovierung dieser MB-Referenzstation.

Eberhard Radczuweit

▲ „1990 knüpften wir die ersten Kontakte mit dem Republiks-Kinderkrankenhaus (RDKB) in Moskau. Wir hatten einen Behand-lungsplan entworfen, der auf die Bedingungen und Möglichkeiten in Russland zugeschnitten war. Er sollte die Kinder nicht mit un-beherrschbaren Nebenwirkungen der ,westlichen‘ Behandlungspro-tokolle belasten oder gar daran sterben lassen, trotzdem aber gute Behandlungsergebnisse ermögli-chen. Im kommenden Jahr wer-den wir das 25-jährige Jubiläum unserer Zusammenarbeit feiern. Auf dem Bild sind die Vertreter der teilnehmenden Kliniken zu sehen, die sich zweimal im Jahr zur Besprechung und lebhaften Diskussion der Ergebnisse, der Probleme und auch zur Planung weiterer Aktivitäten treffen. Es sind Mitglieder einer kooperativen, multizentrischen Gruppe, die nach ,westlichem‘ Muster arbeitet. Alle neuen Patienten werden gemeldet und in die Studie aufgenommen. Seit der Gründung sind über 7 000Patienten behandelt worden, und über 80 % von ihnen werden ge-heilt. KONTAKTE-KOHTAKTbI hat wesentlich zum Erreichen dieses großen Erfolges beigetragen, und die Hilfe des Vereins wird auch in Zukunft noch benötigt.“

Univ.-Prof. (em.) Dr. med. Dr. h.c. Günter Henze

Irina S., zweieinhalb Jahre alt, aus der Republik Mari-El

„Das Mädchen kam zu uns aus der Abteilung für Kiefer- und Gesicht-schirurgie mit einer Schwellung, die sein Gesicht stark verändert hatte. Der Grund für diese Schwellung war der unge-wöhnlicher Verlauf einer Myeloblastenleukämie. Nach einem erfolgreichen Therapiebeginn ging die entstellende Schwellung im Gesicht zurück. Auch die Krankheit selbst ging zurück, aber es liegt noch ein langer und schwie-riger Behandlungsweg vor uns. Vielleicht wird eine Knochenmarktrans-plantation nötig werden. Trotz ihrer Erkrankung ist Irina ein sehr lebensfrohes Kind.“ N. Ponomarewa

Imin I., ein Jahr alt, aus der Republik Kabardino-Balkarien (Kaukasus)

„Er kam aus der Kinder-klinik in Naltschik zu uns (siehe Rundbrief Nr. 29). Imin hatte eine in seinem Alter seltene Diagnose, ein lymphoblastisches Lymphom. Erst in Natalja Ponomarewas Abteilung war man bereit, Imin zu behandeln. In den ersten drei Wochen der Therapie ging die Schwellung, die genau wie bei Irina im Gesicht aufgetreten war, dank der Erfahrung der Ärzte ganz zurück. Laut den Ärzten geht es dem Kleinen „von Tag zu Tag besser, er spielt mit seiner Mama und rauft mit uns Krankenschwestern“. N. N.

„Beste Ärzte Russlands“: So wird ein Preis tituliert, mit dem jährlich in Russland eine innovative Entwicklung auf medizinischem Gebiet auszeichnet wird. Dieses Jahr wur-den Alexander I. Karachunskiy (Moskau, ganz rechts) und Günter Henze (Berlin, mit Pokal) für das Moskau-Berlin-Protokoll geehrt – und mit ihnen das Moskauer Team der MB-Studienzentrale: Swetlana Lagojko, Ludmila Scharikowa, Alexander Popow, Xenia Romanowa und Julja Rumjantsewa (von links nach rechts). Wir gratulieren!

AUS DER MITGLIEDERLISTE von ALL-MB 2015 – alle beteiligten onko-hämatoloischen Zentren in Kinderkliniken folgender Städte und Regionen:

Archangelsk (am Weißen Meer)Astrachan (am Kaspischen Meer)Balaschicha (Moskauer Region)Blagoweschtschensk (am Amur) Brjansk (Zentralrussland)Wladiwostok (am Japanischen Meer)Wologda (Nordwestrussland)Woronesh (Zentralrussland)Gomel (Weißrussland)Jekaterinburg (Ural)Jerewan (Armenien)Iwanowo (Zentralrussland)Irkutsk (am Baikalsee)Kirow (an der Wolga)Krasnodar (Südrussland)Krasnojarsk (Sibirien)Kursk (Zentralrussland)Lipezk (Westrussland)Machatschkala (Dagestan)Minsk (Weißrussland)Mogiljow (Weißrussland)Moskau (zwei Kliniken)Naltschik (Kabardino-Balkarien)Nischnewartowsk (am Ob, Sibirien)Nischni Nowgorod (an der Wolga)

Nowokusnezk (Sibirien)Nowosibirsk (größte Stadt Sibiriens)Orjol (Westrussland)Orenburg (nahe Kasachstan)Perm (am Ural)Rjasan (Zentralrussland)Rostow am Don (zwei Kliniken)Samara (an der Wolga)St. Petersburg (drei Kliniken)Saratow (an der Wolga)Simferopol (Krim)Stawropol (Nordkaukasus)Surgut (am Ob, Sibirien)Syktywfkar (Republik Komi)Taschkent (Usbekistan)Tomsk (Westsibirien)Tula (Zentralrussland)Ulan-Ude (Burjatien, Ostsibirien)Uljanowsk (an der Wolga)Chabarowsk (Grenzstadt zu China)Tscheboksary (Tschuwaschien)Tscheljabinsk (Südural)Yakutsk (Fernost)Jaroslawl (Zentralrussland)

Partnerschaft für leukämiekranke Kinder KONTAKTE-KOHTAKTbI e.V.

KONTAKTE-KOHTAKTbI e.V.10827 BerlinFeurigstraße 68Telefon 0 30/78 70 52 88 Telefax 0 30/78 70 52 [email protected]

www.kontakte-kontakty.de

Vorstand: Dr. Gottfried Eberle (Vorsitzender), Ehrenamtlicher Geschäftsführer: Eberhard Radczuweit, RA Bernhard Blankenhorn, Gisela Hanssen, Dr. Peter Plieninger, Ingrid Schmidt M.A., Dr. med. Arend von Stackelberg

Beirat: Dr. Helmut Domke, Prof. Dr. Günter Henze, Dr. Peter Jahn Prof. Dr. Alexander Karachunsky, Prof. Dr. Jutta Limbach, RA Lothar C. Poll, Dr. Hilde Schramm, Prof. Dr. Wolfram Wette

Spendenkonto: 306 55 99 006 Berliner Volksbank, BLZ 100 900 00Ausland / BIC: BEVODEBB IBAN: DE 48 1009 0000 3065 5990 06Kennwort: „Kinderleukämie“

Zum Weiterverteilen kann dieser Rundbrief nachbestellt werden.

Für die freundliche Unterstützung danken wir der Werbeagentur „frank & frei“ in Wiesbaden, www.frankundfrei.de

Spendeneinnahmen und -ausgaben (1.1. bis 30.10.2015) Spendeneinnahmen gesamt: 37.781,25 €

Ausgaben gesamt: 57.674,83 € - Moskauer ALL-MB-Studienzentrale, Referenzlabor, Arzt-Dienstreisen 53.174,83 € - Stipendien (gedeckt durch Spendeneingang Dezember 2014) 4.500,00 €

Charlotte-Steppuhn-Stiftung Kinderhilfswerk:Förderung 10.000,00 €Medikamente für einzelne Kinder (gedeckt durch Förderung 2014) 14.848,31 €

Der vollständige Rechenschaftsbericht für 2015 erscheint Mitte 2016 auf unserer Homepage.

Wir danken allen Spenderinnenund Spendern,den Partnerinnen und Partnern der leukämiekranken Kinder in Russland und Belarus

Die Zustimmung der leitenden Ärztinnen und Ärzte aus den verbundenen Zentren wird in Briefen an die ALL-MB-Studien-zentrale deutlich. Hier einige Zitate:N. A. Grigorjewa, Archangelsk: „Es ist sehr wichtig für mich, Teamgeist im Kampf um das Leben jedes einzelnen leukämiekranken Kindes zu spüren. Vor der Teilnahme an den MB-Projekten, in den Jahren 1982–1990, lag die Überlebensrate bei 8,9 % ... Meine Auswertung zeigt, dass die rückfallfreie Überlebensrate unter dem Protokoll MB-2002, das im April 2003 bei uns eingeführt wurde, bei 63,3 % lag, und seit dem Protokoll MB-2008 sogar bei 82,2 %. Möge unserem Protokoll-leiter Alexander Isaakowitsch Karachunskiy und seinem Team Gesund-heit und Kraft gegeben werden für die mehr als schwierige Arbeit und die Gewährleistung der zu Tag- und Nachtzeit laufenden Koordination dieses einzigartigen Projekts.“

Das Ärzteteam in Gomel / Weißrussland:„Heute können wir die infektiös und toxisch begründeten Komplikati-onen besser regulieren. Wir sehen eine deutliche Verbesserung der Le-bensqualität unserer Patienten, die der relativ geringen Toxizität dieses Protokolls zu verdanken ist. Die jährlichen Treffen der MB-Gruppe geben uns Antworten auf viele Fragen zu fi nden, die im Verlauf einer Chemo-therapie aufkommen.“

O. P. Tolmatschjowa, Irkutsk: „Überaus wichtig ist die Verringerung der Toxizität der Behandlung.“

Aus Jerewan, Armenien:„Die Patienten haben weniger Nebenwirkungen, ihr psycho-emotionaler Zustand trägt keinen größeren Schaden davon. Aus meiner Sicht ist auch für uns Ärzte die Arbeit leichter, wenn die Patienten uns mit einem Lächeln im Gesicht empfangen.“

Aus Blagoweschtschensk, Amurgebiet:„Man kann den ständigen Austausch und das Klären von Problemen und Fragen in Echtzeit gar nicht genug würdigen.“ (6 000 km entfernt von der Moskauer MB-Zentrale.)

Aus Chabarowsk:„Obwohl wir uns weit entfernt von den Zentren der Föderation befi n-den, nämlich im Fernen Osten, möchten wir die Kinder bei uns Zuhause genauso erfolgreich behandeln. Das ermöglicht uns allein die multizen-trische MB-Studie. Unsere jährlichen Treffen zeigen uns, dass wir alle, zwischen Wladiwostok und Kaliningrad, eine Einheit sind.“

Aus Naltschik, Nord-Kaukasus:„Meiner Ansicht nach ist die multizentrische MB-Studie für ALL ein realer Durchbruch, der ganz Russland betrifft. Wir haben eine Systemati-sierung der Arbeit mit ALL-Patienten, die Vernetzung von medizinischen Zentren und die Möglichkeit der gegenseitigen konsultativen wie prak-tischen Unterstützung erreicht.“

A. Besnoschtschenko, Rjasan:„Die wichtigste Veränderung ist das Gefühl, ein Team zu sein, eine starke Schulter zu spüren, auf die man sich stützen kann.“

Die Fotos in dieser Ausgabe verdanken wir dem Arzt Alexej Slinin, Mitarbeiter der MB-Studienzentrale.

Die Ärztinnen Swetlana, Julja und Xenia in der ALL-MB-Studien-zentrale in Moskau bei der Sichtung von Patientendaten, die rund um die Uhr aus allen 53 angeschlossenen Kinderkrebs-Zentren ankommen.