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Russland – Länderspezifische Infos Landeskunde: Staat, Geografie, Bevölkerung, Wirtschaſt, Sprache und Religion Russischer Name: Россия (sprich Rassija) Oder offiziell: Российская Федерация, Russische Föderation Staatsform Die Russische Föderation, gegründet nach der Auflösung der Sowjetunion 1990, ist ein Vielvölkerstaat mit der Staatsform ei- ner semipräsidialen Republik. Es gibt ein Staatsoberhaupt (Präsident) und einen Regierungschef (Ministerpräsident). Geografie Größe: 17.098.242 km 2 (Platz 1 weltweit) 1 . Im Vergleich: entspricht ca. 48mal der Größe Deutschlands Klima: entsprechend der territorialen Größe enorme klimatische Unterschiede: in den Steppen des Südens heiße Sommer und milde Winter, in Sibirien subarktisches Klima mit Permafrost-Böden Russland ist flächenmäßig der größte Staat der Erde und erstreckt sich über zwei Kontinente: Europa (ca. ¼ der Flä- che) und Asien (ca. ¾ der Fläche). Durch die enorme Größe gibt es neun Zeitzonen innerhalb Russlands, so dass faktisch Russen im Westen des Landes gerade auf- stehen, während im Osten der Arbeitstag schon zu Ende geht. Bevölkerung Einwohner: (Stand Juli 2010) 139.390.205 Geburtenrate: 1,4 Kinder/Frau In Russland leben zahlreiche Völker und Stämme mit vielfach eigenen Sprachen und Traditionen. Neben den indoeuropä- ischen Völkern, zu denen auch die größte Volksgruppe der Russen (rund 80 %) ge- hört, gibt es Finno-Ugrier (zum Beispiel die Esten) und Turkvölker (zum Beispiel die Aserbaidschaner und Tataren). Weiter- hin leben Kaukasusvölker (zum Beispiel die Georgier) und Mongolen (zum Beispiel die Burjaten) in Russland. Wirtschaſt BSP in Anteilen: (Zahlen aus 2009) Landwirtschaſt: 4,7 % Industrie: 34,8 % Dienstleistung: 60,5 % Export: Platz 13, Summe aller Exporte in US-$: 303,4 Billionen Arbeitslosenrate: 8,4 % Elektrizität: 1,04 Trillionen kWh Produktion / 1,023 Trillionen kWh Verbrauch (2008 est.), Platz 4 weltweit Sprache Russisch ist Amtssprache. Die vielen Volksgruppen, die in der russischen Fö- deration leben, haben in der Regel auch eigene Sprachen. Größte Sprachgruppen sind neben Russisch Tatarisch (2 Mio. Sprecher), Baschkirisch (1,2 Mio. Spre- cher), Tschetschenisch (1 Mio. Sprecher) und Tschuwaschisch (ca. 890.000 Spre- cher). Religion Es ist wichtig zu wissen, dass in Russland durch eine über 70jährige sozialistische Regierung religiöse Strömungen jeglicher Art unterdrückt waren. Insofern lassen sich Zahlen auch heute noch schwer er- heben. Größte religiöse Gruppierung sind definitiv russisch-orthodoxe Christen (15- 20 %), es folgen Muslime (10-15 %) und andere Christen (2 %). Achtung bei diesen offiziellen Zahlen: Erfasst werden hier nur bekennend praktizierende Angehörige. Handlungshilfe für die Beratung ausländisch geführter Unternehmen Länderprofil Russland

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Russland – Länderspezifische InfosLandeskunde: Staat, Geografie, Bevölkerung, Wirtschaft, Sprache und Religion

Russischer Name: Россия (sprich Rassija) Oder offiziell: Российская Федерация,Russische Föderation

▪ StaatsformDie Russische Föderation, gegründet nach der Auflösung der Sowjetunion 1990, ist ein Vielvölkerstaat mit der Staatsform ei-ner semipräsidialen Republik. Es gibt ein Staatsoberhaupt (Präsident) und einen Regierungschef (Ministerpräsident).

▪ GeografieGröße: 17.098.242 km2 (Platz 1 weltweit)1. Im Vergleich: entspricht ca. 48mal der Größe DeutschlandsKlima: entsprechend der territorialen Größe enorme klimatische Unterschiede: in den Steppen des Südens heiße Sommer und milde Winter, in Sibirien subarktisches Klima mit Permafrost-Böden

Russland ist flächenmäßig der größte Staat der Erde und erstreckt sich über zwei Kontinente: Europa (ca. ¼ der Flä-che) und Asien (ca. ¾ der Fläche). Durch die enorme Größe gibt es neun Zeitzonen innerhalb Russlands, so dass faktisch Russen im Westen des Landes gerade auf-stehen, während im Osten der Arbeitstag schon zu Ende geht.

▪ Bevölkerung Einwohner: (Stand Juli 2010)139.390.205Geburtenrate:1,4 Kinder/Frau

In Russland leben zahlreiche Völker und Stämme mit vielfach eigenen Sprachen und Traditionen. Neben den indoeuropä-ischen Völkern, zu denen auch die größte Volksgruppe der Russen (rund 80 %) ge-hört, gibt es Finno-Ugrier (zum Beispiel die Esten) und Turkvölker (zum Beispiel die Aserbaidschaner und Tataren). Weiter-hin leben Kaukasusvölker (zum Beispiel die Georgier) und Mongolen (zum Beispiel die Burjaten) in Russland.

▪ WirtschaftBSP in Anteilen: (Zahlen aus 2009)Landwirtschaft: 4,7 % Industrie: 34,8 %Dienstleistung: 60,5 %Export: Platz 13, Summe aller Exporte in US-$: 303,4 BillionenArbeitslosenrate: 8,4 %Elektrizität: 1,04 Trillionen kWh Produktion / 1,023 Trillionen kWh Verbrauch (2008 est.), Platz 4 weltweit

▪ SpracheRussisch ist Amtssprache. Die vielen Volksgruppen, die in der russischen Fö-deration leben, haben in der Regel auch eigene Sprachen. Größte Sprachgruppen sind neben Russisch Tatarisch (2 Mio. Sprecher), Baschkirisch (1,2 Mio. Spre-cher), Tschetschenisch (1 Mio. Sprecher) und Tschuwaschisch (ca. 890.000 Spre-cher).

▪ ReligionEs ist wichtig zu wissen, dass in Russland durch eine über 70jährige sozialistische Regierung religiöse Strömungen jeglicher Art unterdrückt waren. Insofern lassen sich Zahlen auch heute noch schwer er-heben. Größte religiöse Gruppierung sind definitiv russisch-orthodoxe Christen (15-20 %), es folgen Muslime (10-15 %) und andere Christen (2 %). Achtung bei diesen offiziellen Zahlen: Erfasst werden hier nur bekennend praktizierende Angehörige.

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Kollektivorientierung – Personenorientierung

Die russische Gesellschaft ist stark kol-lektivistisch geprägt, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist sehr wichtig. Man definiert sich über die Gemeinschaft und achtet auf die Stimmigkeit von eige-nem Verhalten und eigener Meinungs-äußerung mit deren des Kollektivs. Die Familie ist eine wichtige Bezugsgruppe, man lebt in jeder Beziehung eng zusam-men. Oft wohnen mehrere Generationen in einer Wohnung oder in einem Haus, man unterstützt sich finanziell und hilft einander bei der Kinderbetreuung und Seniorenpflege. Die Kollektivorientie-rung zeigt sich auch im Berufsalltag. Das Kollegium wird als Gemeinschaft erlebt und es ist sehr wichtig, diese Gruppenorientierung zu stärken. Dies geschieht zum Beispiel durch gemein-same Feiern und Pausen. In Bewer-bungsgesprächen sind Russen eher zu-rückhaltend, denn es gilt als unhöflich, sich als Einzelperson in den Vorder-grund zu stellen. Ein von Nicht-Russen oft als negativ empfundener Aspekt des Kollektivismus ist der Nepotismus, der bei der Stellen- oder Auftragsvergabe häufig vorkommt. Personen aus der ei-genen Familie oder dem Bekanntenkreis werden bevorzugt. Hier verknüpft sich die Kollektivorientierung mit der Perso-nenorientierung. Die persönliche Ebene ist extrem wichtig, auch im Arbeitsle-ben. Nur wenn man sich persönlich gut versteht, lassen sich Geschäfte machen. Deshalb ist „Socialising“ unerlässlich. Zeit für Gespräche und gegebenenfalls gemeinsame Feiern oder Unternehmun-gen sollte man immer mitbringen, um ein Vertrauensverhältnis zu schaffen. Ein Nebeneffekt der Personenorien-tierung ist auch, dass man selten den

Russische Kulturstandards nach Yoosefi und Thomas3 sind ▪ Kollektivorientierung, Personenorientierung, Informelle Netzwerke, ▪ Hierarchieorientierung, Prestigedenken, ▪ Indirekte Kommunikation und ▪ Regel-relativierung, Arbeitserledigung nach eigenem Gutdünken und Traditionalismus. Hier finden Sie kurz nach Themenfeldern zusammengefasst, wie sich diese Kulturstandards äußern. Fallbeispiele verdeutlichen, wie es im Berufsleben durch die Kulturstandards – die ganz anders als die deutschen sind – zu Missver-ständnissen kommen kann. Im Anschluss wird aufgelöst, was der Situation zugrunde liegt. Verhalten-stipps („Dos“ und „Don‘ts“) runden die Informationen ab. Ergänzt werden die Kulturstandards durch grundlegende Informationen zu ▪ verbaler und nonverbaler Kommunikation und ▪ Gender (Frauen-/Männerrollen).

Russland – Kulturstandards und kulturelle Dimensionen2

Arbeitsplatz wechselt – denn es besteht ja bereits eine persönliche Bindung zum Arbeitgeber und den Kollegen. „Infor-melle Netzwerke“ als Kulturstandard lässt sich teilweise ebenfalls mit der starken russischen Personenorientie-rung erklären: Da persönliche Beziehun-gen über sachlichen stehen, entschei-det sich vieles informell. Der russische Ausdruck hierfür ist „blat“. Korruption

Eine traditionelle Musikgruppe sorgt für Stimmung im Restaurant Quelle: Fotolia

ist ein weit verbreitetes Problem, so-wohl in Bürokratie und Verwaltung als auch im Unternehmensbereich. Hier sind historische und gesellschaftspoliti-sche Gründe mit verantwortlich: Die Be-zahlung von Beamten ist sehr schlecht und die jahrzehntelange Unterdrückung von Religion hat in manchen Bereichen eine Relativierung moralisch-ethischer Grundsätze mit sich gebracht4.

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▪ Fallbeispiel5: In Sibirien wird eine Telekommunikati-onsstrecke verlegt. Das Material dazu wird aus Deutschland per Eisenbahn geliefert. Ein Container wurde aufgebro-chen, ausgeraubt und erneut verplombt. Herr Fischer protokolliert die fehlenden Materialien als Vertreter der deutschen Seite mit dem Chef der Telekom des si-birischen Gebietes, Herrn Gwosdik. Als das Protokoll fertig ist, ruft Herr Gwos-dik, der für einen Bereich im Umkreis von mindestens 1000 km zuständig ist und unter dessen Führung Tausende von Leuten arbeiten, den Vizepräsidenten der russischen Telekom in Moskau an. Er liest ihm das gesamte Protokoll vor und holt sich das Einverständnis, es unter-schreiben zu dürfen. Für Herrn Fischer ist dies völlig unverständlich.

▪ Hintergrund:Da in Russland Entscheidungen immer von der obersten Hierarchieebene abge-segnet werden, ist Herr Gwosdik mit sei-nem Anruf auf der sicheren Seite, auch wenn er formal eigentlich den Zustän-digkeitsbereich leitet. Zumal in diesem Fall das russische Versicherungssystem ins Spiel kommt: Herr Gwosdik befürch-tet, dass seine Firma für den Schaden aufkommen muss, da das privatisierte Versicherungssystem, das das staatli-

Hierarchieorientierung

Hierarchien spielen eine wichtige Rolle in der russischen Gesellschaft und inso-fern auch im Arbeitsleben. Der russische Staat war und ist zentralistisch und hie-rarchisch organisiert, was sich auch auf der Unternehmensebene widerspiegelt. Rangunterschiede sind groß und werden akzeptiert. Dementsprechend wird ein autoritärer Führungsstil bevorzugt, das westlich-kooperative Modell wird traditi-onell abgelehnt. Der Vorgesetzte hat das Sagen gegenüber seinen Angestellten, Anweisungen werden von oben erwartet. Er trägt als Vorgesetzter allerdings auch die komplette Verantwortung. Kritik und Vorschläge sind immer nur aus einer Richtung denkbar: Von oben nach unten. In Verhandlungen geht man nicht von ei-ner Konsensmöglichkeit aus, es gibt aus russischer Sicht immer einen Verlierer und einen Gewinner. Die deutsche Ver-handlungstaktik, die von einer Win-Win-Lösung ausgeht, ist unüblich. Status-symbole sind in Russland sehr beliebt, vor allem bei den sogenannten „neuen Russen“, die ihren Reichtum stark nach außen präsentieren – ein Fakt, der in den Sowjetzeiten, in denen die „Gleich-heit“ der Menschen angestrebt war, nicht denkbar gewesen wäre und inso-fern als Gegenbewegung zu sehen ist.

che der Sowjetunion abgelöst hat, kei-nen umfassenden Schutz bietet und auch viel Raum für Betrügereien lässt. Oftmals ist der Versicherungsschutz in russischen Firmen nicht ausreichend. Herr Gwosdik unterschreibt das Proto-koll deshalb also erst, nachdem sein Vorgesetzter in Moskau die Verantwor-tung übernommen hat.

Direkte / indirekte Kommunikation

In Russland kommuniziert man indi-rekter als in Deutschland. Um die gute persönliche Beziehung zu den Mitmen-schen nicht zu gefährden, äußert man keine direkte Kritik oder Beschwerden. In Verhandlungen legt man seine Stra-tegie nicht offen dar, oft sind sie zeitin-tensiv und langwierig. Einzelpersonen aus einer Gruppe anzusprechen wider-spricht sowohl der Kollektivorientierung als auch der indirekten Kommunika-tion. Allgemeine Formulierungen und ausschließlich positives Feedback sind üblich.

Gütertransport (Fallbeispiel Hierarchieorientierung) Quelle: Fotolia

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Zeitorientierung

(enthält Aspekte von Regelrelativierung, Arbeitserledigung nach eigenem Gut-dünken)

Das russische Zeitverständnis ist stark gegenwartsbezogen. Man lebt im Hier und Jetzt und macht sich weniger Ge-danken um die Zukunft. Das bringt auch einen gewissen Grad an – aus deutscher Sicht – mangelnder Verlässlichkeit/Instabilität im Hinblick auf Terminein-haltung und Arbeitstempo mit sich. Im Geschäftsalltag kommt hinzu, dass wäh-rend jahrzehntelanger Planwirtschaft freier Wettbewerb – und damit auch eine bestimmte Kunden- und Service-orientierung – fehlte. Konkurrenzdruck und Ausschreibungen waren unbekannt. Deshalb gibt es zum Teil heute noch die Tendenz, Termin- und Preisvereinbarun-gen flexibel zu handhaben.

▪ Fallbeispiel6:Herr Below bekommt von seinem Chef, Herrn Nagel, den Auftrag, ein Projekt zu betreuen. Herr Nagel fragt häufiger nach, ob es gelingen wird, die festge-legten Fristen einzuhalten. Herr Below sichert ihm zu, dass dies kein Problem sein wird. Der russische Kollege erarbei-tet jedoch keinen Projektplan und geht unsystematisch vor. Die Frist läuft nun bald ab. Herr Below beruft kurzfristig ein Gremium ein, dem es in der verblei-benden Zeit jedoch nicht möglich ist, die Aufgaben zu lösen. Der Termin wird nicht eingehalten. Herr Nagel ist sehr verärgert. Bis zum Ablauf der Frist wird er nicht darüber informiert, dass die Projektarbeit nicht termingerecht abge-schlossen werden kann.

▪ Hintergrund:Das in Deutschland übliche Vorauspla-nen ist den Russen fremd. Zudem dau-ern die Dinge in Russland einfach länger – vom Behördengang bis zur alltägli-chen Arbeit. Letztendlich hängt dann viel vom Improvisationstalent der Be-teiligten ab, das in Russland enorm ist und zumeist auch alles rettet. Da sich in dem riesigen Land und den dadurch lan-gen Wegen sowie der Abhängigkeit von Infrastruktur-Faktoren, Zeitzonen usw. manchmal Aufgaben auch wieder von selbst erledigen, herrscht ein lockerer Umgang mit Fristen. Hinzu kommt, dass

im vorliegenden Fall Herr Nagel nicht engmaschig und konkret genug kontrol-liert hat. Besser wäre es gewesen, wenn er sich einen Projektplan hätte vorlegen lassen, den er dann regelmäßig kontrol-liert hätte. Klare Ansagen, dass das Pro-jekt bis zu dem Tag X fertig sein muss, wären sinnvoll gewesen.

Russische Zählweise siehe Tipp Quelle: Fotolia

Körperkontakt und nonverbale Kommunikation

In Russland kann die Körperdistanz in der Öffentlichkeit geringer sein als in Deutschland, was mit der Gruppen- und Personenorientierung einhergeht. Körper-kontakt auf engem Raum, zum Beispiel in Bus und Bahn, wird im öffentlichen Kontext toleriert. Wenn man sich sehr gut kennt, ist eine Begrüßung mit (meist 3) Küsschen üblich, „man steht sich nahe“ im wahrsten Sinne des Wortes. Im Ge-schäftsalltag begrüßt man sich mit Hand-schlag. Achtung bei Frauen: Ihnen wird meist nicht die Hand gegeben. Lächeln ist im Alltag, zum Beispiel in Geschäften oder auf der Straße, weniger üblich. Wer Unbekannte offen anlächelt, fällt eher auf. Zurückhaltung ist gerade im Busi-nesskontakt erwünscht, Mimik und Ges-tik sind entsprechend spärlicher7.

Tipp: Russen zählen anders an der Hand ab. Der Daumen wird als 5. Finger hinzuge-nommen, wenn Sie also die Zahl 3 mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger zeigen, sehen Russen eine 2.

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Gender (Frauen-/Männer- rollen) – Ehre und Ansehen

Das – traditionelle – Bild der Frau ist darauf ausgerichtet, zu gefallen, auch optisch. Dass man einer Frau Kompli-mente macht, die Türe aufhält, aus dem Mantel hilft und im Restaurant bezahlt, ist für den russischen Gentleman selbst-verständlich8. Unabhängig davon sind Russinnen genauso karrierebewusst wie ihre deutschen Geschlechtsgenossin-nen und in Führungspositionen und im Management vertreten. Im Businesskon-text ist höfliche Zurückhaltung manch-mal angesagter als unangebrachte Aufmerksamkeiten. Das russische Frau-enbild ist also durchaus zwiespältig: Während auf der einen Seite das traditi-onelle – auch in der Literatur vermittelte – Bild der „schwachen“, sehr femininen Frau steht9, waren bereits im Sozialis-mus Frauen berufstätig und ökonomisch tragende Elemente der Gesellschaft.

Meeting russischer Unternehmerinnen Quelle: ILO

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• Visitenkarten sind wichtig, um sei-nen Status zu zeigen. Titel und Wür-den sind sehr beliebt und sollten da-rauf vermerkt sein. Achtung: Russi-sche Visitenkarten sind viel farbiger und auffallender gestaltet als deut-sche. Oft sind kleine Bilder und Illus-trationen darauf. Dies kann zunächst „unseriös“ erscheinen, ist aber abso-lut üblich!

• Akzeptieren Sie, dass der Kulturstan-dard „Aberglaube“ ein Teil des Le-bens ist und zum Beispiel ein Kak-tus neben dem PC gegen schädliche Strahlung aufgestellt wird

• Nehmen Sie Einladungen an. Das be-rühmt-berüchtigte „Wodkatrinken“ ist weitaus weniger exzessiv, als das ver-breitete Vorurteil. Es hat eine wichti-ge soziale und geschäftliche Funkti-on. Trinken Sie in Maßen mit – auf Ex, nicht nippen – und beachten Sie die Trinksprüche, die jedem Glas voraus-gehen. Bringen Sie selbst einen Toast (russisch: tost) auf die russische Gastfreundschaft oder ähnliches aus. Tipp: Trinken Sie Ihr Glas nie komplett aus, sonst wird immer wieder nach-geschenkt – das gilt auch beim Teller-Leer-Essen!

• Geschenke sind ein wichtiges Ele-ment, um Beziehungen zu pflegen: Empfehlenswert sind Pralinen, klas-sische Souvenirs und generell hoch-wertige Artikel. Auf Verpackung wird dabei kein großer Wert gelegt, wenn ein Geschenk eingepackt ist, wird es oft nicht in Anwesenheit des Schen-kenden ausgepackt

• Beschränken Sie sich nicht rein aufs Geschäftliche – die persönliche Ebe-ne ist wichtig

• Beim „Wodkatrinken“: Warten Sie im-mer auf den Toast, den Trinkspruch, der dem Trinken vorausgeht. Na sd-rowje ist übrigens kein üblicher Aus-druck – verzichten Sie auf diese Re-dewendung. Üblicher sind spontane Trinksprüche oder Sa wasche sdarow-je (Auf Ihre Gesundheit!)

• Tabuthema ist Negatives über Russ-land: zum Beispiel die Weltkriege, der Untergang der Kursk, die Tschet-schenien- und Georgien-Kriege

• Üben Sie keinen Zeitdruck aus und nehmen Sie Verspätungen nicht übel. In Russland ticken die Uhren anders

• Nehmen Sie keine öffentlichen Ver-kehrsmittel in Anspruch, wenn Sie ein Treffen mit russischen Partnern/Kunden haben, denn dann sinken Sie in der Hierarchie automatisch und verlieren gehörig an Respekt. Status wird durch ein entsprechendes Auto-mobil gezeigt, leihen Sie sich also ge-gebenenfalls eines inklusive Chauf-feur aus

• In privaten Wohnungen werden im-mer die Straßenschuhe ausgezogen

• Naseschnäuzen ist in der Öffentlich-keit – vor allem bei Tisch – tabu

• Fragen Sie Personen nicht direkt nach ihrem Alter, vor allem nicht Frauen

• Ein „Don‘t“, das sich auf dem Kultur-standard Aberglaube gründet: Im Türrahmen wird nie die Hand gege-ben und Gäste werden nicht auf der Schwelle begrüßt

Dont‘sDos

Ein Gläschen Wodka ist durchaus legitim, der Gastfreundschaft wegen Quelle: Fotolia

• Pflegen Sie Beziehungen und Kontak-te, nehmen Sie sich Zeit für persönli-che Gespräche; auch offizielle Termi-ne und Verhandlungen starten immer mit einer „Warm-up-Phase“, in der man sich über Befinden, Wetter, Ur-laub usw. austauscht

• Respektieren Sie Hierarchien. Das letzte Wort hat der Chef, und wenn Sie selbst der Chef sind, tragen Sie Ihre Position nach außen, zeigen Sie Statussymbole und wahren Sie Dis-tanz zu Ihren Mitarbeitern – das be-deutet nicht, dass Sie unnahbar sein sollen

• Grundsätzlich gilt: stärken und schüt-zen Sie unter allen Umständen die persönliche Beziehung. Lob und An-erkennung zu äußern, ist hilfreich: Beim Rundgang Dinge, die in Ord-nung sind, besonders loben

• Kleiden Sie sich klassisch-dezent; Geschäftliches wird ausschließlich in Business-Kleidung erledigt

• Engmaschige Kontrolle ist sinnvoll, um Arbeitsprozesse und Mitarbeiter zu überprüfen. Fragen Sie regelmäßig nach dem Stand der Dinge und zei-gen Sie Präsenz

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▪ Ergänzung: UnsicherheitsvermeidungDa das Thema „Sicherheit“ im Kontext der Arbeit der Unfallversicherungsträger be-sondere Wichtigkeit hat, ist im Folgenden die Grafik für die Kulturdimension „Unsi-cherheitsvermeidung“ nach Hofstede10 abgebildet.

Dieses offensichtlich riskante Verhalten hängt damit zusammen, dass die Perso-nenorientierung sehr viel wichtiger ist als die Sachorientierung. Unsicherheitsver-meidung auf gegenständlicher Ebene und in Bezug auf Objekte wird insofern hinge-nommen. Viel wichtiger ist es, dass jedes Individuum sich sicher in Bezug auf sein persönliches Umfeld fühlt, dass Relatio-nen und Beziehungen klar sind und man ein funktionierendes Netzwerk hat, in dem man sich aufgehoben fühlt.

Fazit: Im technischen Sinne weichen die deut-schen Sicherheitsvorstellungen von den russischen oft stark ab. Es gilt, auf Risiken hinzuweisen und Sicherheitsstandards zu verankern, bzw. zunächst ein Bewusst-sein für deren Notwendigkeit zu schaf-fen. Besonders wichtig ist in Russland die „persönliche“ Sicherheit im Hinblick auf die harmonische Stabilität von zwi-schenmenschlichen Beziehungen. Eine wertschätzende Art im Umgang und indi-rekte Kommunikation sind die Eckpfeiler hierfür.

0102030405060708090

100Unsicherheitsvermeidung

RusslandDeutschland

95 %

65 %

Unsicherheitsvermeidung Deutschland vs. Russland

Erklärung: In Russland ist die Unsicherheitsvermei-dung nach Hofstedes Untersuchungen weitaus größer als in Deutschland. Das bedeutet, dass man uneindeutigen Si-tuationen lieber aus dem Weg geht. Die Orientierung an Hierarchien und Titeln ist ein klares Zeichen für diese Unsicher-heitsvermeidung. Auch die extreme Büro-kratisierung in Form eines „Kontroll- und Sanktionsapparates“ zeigt, wie verbreitet Regeln und Gesetze sind, denn sie bilden einen „sichernden“ Rahmen. Unvereinbar damit scheinen zunächst jedoch die rus-sischen Kulturstandards Regelrelativie-rung und Arbeitserledigung nach eigenem Gutdünken11 sowie die offensichtliche Ri-sikobereitschaft im Hinblick auf konkrete Gefahren zum Beispiel im Straßenverkehr, der man in Russland im Alltag begegnet12.

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Herausgegeben von: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV)Mittelstraße 51, D-10117 Berlin

Entwicklung:Alexander Reeb Judith ReebIKUD Seminare

Dr. Ulrike BollmannInstitut für Arbeit und Gesundheit der DGUV

Gestaltung: Alexandra ShatupInstitut für Arbeit und Gesundheit der DGUV, Bereich Grafik & Layout

Quellennachweis:

1 Alle statistischen Angaben vgl. cia-worldfactbook, https://www.cia.gov

2 Definitionen siehe Anhang3 Vgl. Yoosefi, Tatjana/Thomas, Alexander (2003):

Beruflich in Russland. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte

4 Vgl. Rothlauf, Jürgen (2006): Interkulturelles Management, S. 467

5 Gekürzt nach Yoosefi, Tatjana/Thomas, Alexander (2003): Beruflich in Russland. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte, S. 28f.

6 Nach Yoosefi, Tatjana/Thomas, Alexander (2003): S. 108 f.7 Vgl. Lasch, Ines/Löw, Isabelle (2009): Business-Know-How

Russland, S. 88 8 Vgl. Boll-Palievskaya, Daria (2009): Russische Frauen.

Innen- und Außenansichten, S. 509 Vgl. Yoosefi, Tatjana/Thomas, Alexander (2003): S. 28f.10 Hofstede, Geert (2009): Lokales Denken, globales

Handeln, Interkulturelle Zusammenarbeit und globales Management. Grafik: Eigene Darstellung IKUD® Seminare

11 Nach Yoosefi /Thomas (2003)12 Täglich sterben in Russland durchschnittlich 93 Menschen

im Straßenverkehr13 VDI nachrichten, http://www.vdi-nachrichten.com,

Stand: 10.11.2010

▪ Ergänzung: Sicherheit und Gesundheitsschutz In der nationalen Strategie von 2010 „Konzept der Bevölkerungspolitik der Russischen Förderation bis 2025“ sind zwei elementare Ziele zum Thema Sicher-heit und Gesundheitsschutz in Russland klar benannt. Das erste Ziel ist die Rück-läufigkeit von Todesfällen im Arbeitskon-text und von Arbeitsunfällen allgemein. Auch Krankheiten, die im Zusammenhang mit beruflichen Tätigkeiten stehen, sollen durch die Einführung eines Risiko-Präven-tionssystems reduziert werden. Dieses Präventionssystem beinhaltet den Zugang zu Informationen über Risiken für die Arbeiter sowie den Aufbau von Risiko- Warnsystemen inklusive deren Auswer-tung und Kontrolle. Weiterhin sollen Platt-formen für die Mitarbeiter geschaffen werden (zum Beispiel Veranstaltungen), wo ein Austausch über Arbeitsbedingun-gen stattfindet. Das zweite grundlegende Ziel ist der Schutz und die Aufrechterhal-tung der öffentlichen Gesundheit und die Verlängerung der durch-schnittlichen Le-bensdauer. Es sollen die notwendigen Be-dingungen geschaffen werden, um eine gesunde Lebensführung zu ermöglichen und die Sterblichkeitsrate durch die am

weitesten verbreiteten und gefährlichsten Krankheiten zu verringern. Um beides zu erreichen, muss das Bewusstsein der Be-völkerung für Gesundheit und Sicherheit gesteigert werden und die Eigenverant-wortung der Menschen muss zunehmen. Eine Kooperation des öffentlichen Ge-sundheitssektors mit den Körperschaften des Arbeitsschutzes wird als wünschens-wert angesehen. Die Prävention soll in die sozialen Sicherungssysteme aufgenom-men werden.

Als eine Stärke der Strategie gilt die um-fassende Komplexität und die langfristige Orientierung im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz. Als negativ wird die lange Zeitspanne gesehen, die bis zur Umsetzung der Ziele erforderlich ist. Auch müssen zunächst die notwendigen ge-setzlichen Rahmenbedingungen geschaf-fen werden. Die Entstehung einer gesamt-gesellschaftlichen „Präventionskultur“ braucht ihre Zeit.

Im Bereich des Arbeitsschutzes gibt es aktuell noch erhebliche Defizite. Im Okto-ber 2010 erklärte Alexandra Caterbow von der Umwelt- und Verbraucherorganisation WECF anlässlich einer Konferenz in Mos-kau: „Arbeitsschutz ist in der russischen Bauindustrie ein Fremdwort.“ Einfache Arbeitsschutzmaßnahmen wie ein Mund-schutz seien die Ausnahme13. Während in 52 Staaten weltweit Asbest nicht mehr als Baustoff eingesetzt wird, verarbeitet die russische Bauindustrie diesen weiterhin, zudem oft ohne Sicherheitsausrüstung für die Arbeiter.

Auch gibt es bis heute kein Rauchverbot in Russland. Gesundheitsschutz in der Öf-fentlichkeit – so auch in Krankenhäusern – wird noch nicht öffentlich diskutiert, ist aber Thema in der „Strategie der nationa-len Sicherheit der Russischen Föderation bis zum Jahr 2020“ aus dem Jahr 2009.

Auf der Suche nach einem Rauchverbot wird man in Russland nicht fündig Quelle: Fotolia

Minenarbeiter mit Mundschutz Quelle: ILO

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