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Ein Weg hin zu Liebe, Sex und Spiritualität: die persönliche Geschichte einer sanften Revolution durch die Erfahrung des tantrischen Yoga, die eine Sexualität jenseits von alten Erwartungen ermöglicht TEXT n IRIS DISSE FOTOS n ARJAN NAMDEV Eros trifft auf KAULA-TANTRA YOGA 58 Yoga Aktuell Juni | Juli 2017

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Ein Weg hin zu Liebe, Sex und

Spiritualität: die persönliche Geschichte einer sanften Revolution

durch die Erfahrung des tantrischen Yoga, die eine Sexualität jenseits von alten

Erwartungen ermöglicht

TEXT n IRIS DISSEFOTOS n ARJAN NAMDEV

Erostrifft auf

KAULA-TANTRAYOGA

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as Yoga mit Sexualität zu tun haben sollte, war mir nie ganz klar. Mich in-teressierte das Wissen um Liebe, Sex und Spiritualität. Ich meinte, in unserer Tantra-Praxis auch ohne das Üben der Asanas auszukommen. „Wenn ich mich bewegen will, tanze ich lieber“, sagte ich zu meinen Yogini-Freundinnen. „Das ist ekstatischer, und das Tango-tanzen mit meinem Liebsten verbindet uns immer wieder aufs Neue.“ Aber Eros verlor scheinbar das Interesse an uns. Die Liebespfeile, die uns zu Reisenden in allen Himmeln gemacht hatten, wurden immer seltener. Eros schien anderweitig beschäftigt zu sein.

Liebe und Freiheit

Bewusstsein in die Sexualität zu brin-gen, ist ein nie endendes Thema.

Wie Disziplin und Sex verbinden? Und wie kann man dies hinbekommen, wenn der Partner daran nur mäßig interessiert ist? Es ist schwer, immer ganz präsent im Körper zu bleiben, wenn wir uns berühren. Die Ängste zu kommunizieren. Damit umzuge-hen, dass ich „mehr“ will als er. Trotz der Tantra-Ausbildung blieb vieles im Unbewussten, und ich fühlte mich hilflos, wenn ich erkannte, dass wir einfach das Liebeswerkzeug, das wir gelernt hatten, oft nicht anwendeten.

Wir entfernten uns immer mehr voneinander, arbeiteten auf ver-

schiedenen Kontinenten, waren frei auf allen Ebenen, aber kaum noch zusammen. Es war klar: Ich war auf einem spirituellen Weg, der die Sexu-alität mit einschloss, aber irgendetwas in mir fühlte sich davon abhängig, die-sen Weg mit einem Mann gemeinsam zu gehen. Aber dann ist es doch kein eigenständiger spiritueller Weg? Ist meine Seele nicht androgyn?

Sat-Chit-Ananda, also Seele, Be-wusstsein und Glückseligkeit, sind meine innerste Natur – wozu brauche ich dann den anderen so doll, dass es wehtut?

Bewusstsein in der Sexualität

So machte ich mich denn allein auf und schloss mich in Indien fünf

Monate lang in einen Tantra-Ashram ein, um mehr über den klassischen tantrischen Weg zu erfahren. Ich lernte über die Veden und machte morgens und nachmittags je drei Stunden Tan-tra-Yoga. Mehr gab es nicht zu tun. „Über Sexualität lerne ich hier nichts“, dachte ich erst mal und wollte bald wieder abreisen.

Kaula-Tantra-Yoga

Der Kaula-Tantra-Yoga ist eine der ältesten überlieferten Yogatech-

niken. Er ist eine lange Meditation in Bewegung – ich fließe in die Asanas aus der Tiefenentspannung des Shava-sana. Auch während ich die Asanas halte, bleibe ich entspannt. Der Atem fließt tief und regelmäßig. Die Augen sind während der zweieinhalb- bis dreistündigen Session geschlossen.

Ich liege auf der Yogamatte auf dem Betonfußboden der mit Wellblech

überdachten Terrasse. Hunde bellen auf der Straße, ein Motorrad tuckert vorbei. Kinder rufen, lachen. Die Palm-wedel rascheln leise in einer leichten Brise. „Fließ in dein Chakrasana“, sagt Bhagavan Shanmukha, der Lehrer. Und heute klappt es.

Aus dem Shavasana fließe ich mü-helos in Chakrasana, das Rad.

Eine Woge von Freude – es geht ganz von allein, ich strenge mich nicht an. Wow. Verrückt. Wie habe ich das ge-macht? Ich weiß es nicht. Irgendwie habe ich es mir einfach vorgestellt, und schon war ich da.

Dazu muss ich sagen, dass ich die-ses Asana bis dahin nur mit heftigen Anstrengungen hinbekommen hatte ... den Scheitel auf den Boden stellen, dann drücken ... und ächzen, und wei-ter, und hopp ... Ich dachte, ich habe einfach nicht die Muckis im Arm, die ich brauche, um mich elegant hoch-zudrücken.

Und jetzt war ich einfach da. „Ent-spann den Kopf, das Gesicht“ – und auch das kann ich spielend umsetzen.

Das Nicht-Tun im Tun

Plötzlich weiß ich, dass ich eine Spur gefunden habe, wie ich auf

dem tantrischen Yogaweg weiterfor-schen kann: meinen eigenen Körper entdecken, den Fluss meiner eigenen Energie. Zu sehen, wie meine Gedan-ken und meine Weltsicht meinen Kör-per formen und beeinflussen. Was ist Arbeit, Anstrengung? Was ist Freude? Wenn ich davon ausgehe, dass meine Muskeln es lieben, sich zu bewegen, wird mir bewusst, dass meine dikta-torische Anweisung „Jetzt hopp ins Asana, streng dich an!“ die Freude meiner Muskeln überlagert, dass sie sich bewegen dürfen – dafür sind sie ja da. Wenn ich bewusst mein inneres Kind einlade, bekomme ich Zugang zu dieser Freude – und es strengt nicht an. Plötzlich kann ich die absurde For-derung „Bleib entspannt in deinem Asana“ umsetzen. Meine Körperintelli-genz übernimmt. Keiner muss mir von außen sagen, wie das Asana aufgebaut wird. Jeden Tag versteht mein Körper

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auf einer tieferen Ebene, worum es geht – das schafft Vertrauen in mich selbst. Ich weiß jetzt mit jeder Zelle, dass ich meine Wahrheit leben kann. Die gesellschaftlichen Anforderungen, meine Prägungen mit ihren Zerrspie-geln „Du solltest ... du müsstest ... so nicht ...“ weicht.

Atem ist Klang ist Leben

In Makarasana, dem Krokodil, liege ich auf dem Bauch, die Arme nach

vorn gestreckt, Handflächen zusam-men. „Du bist wach und entspannt wie das Krokodil“, höre ich die Anweisung des Lehrers. Ich kann ganz tief in mir sein und mir gleichzeitig dessen be-wusst bleiben, was um mich herum

vorgeht, wer noch im Raum ist. Die Geräusche meines Atems, der Atem der anderen.

Atem ist Leben – das ist ja wohl klar, denkt es in mir, aber kann ich es auch wirklich wahrnehmen?

Ich beginne, wieder neu daran zu forschen, was es zum Thema Atem zu lernen gibt, jetzt ohne den Zusammen-hang mit Sexualität. Einfach nur für mich. Ich nehme es ernst: Ich brauche keinen Partner, um auf dem tantri-schen Weg weiterzukommen. Merke, dass ich so mich selbst ernst nehme.

In der Nadabrahma-Meditation töne ich leise ein O beim Ausatmen. Spüre die Vibration im Körper. Atem ist Klang ist Körper.

Durgas Tiger reiten

Ich stehe noch im Dunkeln auf, gehe zum Strand. Ich gestalte einen Altar,

dann setze ich mich einfach hin, tau-che in mich ein. Morgendämmerung. Die tägliche Meditation mit meinem Atem als Gefährt. Ich und ich, wir sind auf einer Abenteuerreise hinein in unsere innerste Natur. Unendlich und gleichzeitig präsent im Hier und Jetzt. Wer bin ich? Durga hebt mich auf ihren Tiger, und zusammen rasen wir durch Steppen, verstecken uns im Dschungel, bekämpfen meine Dämo-nen: die Resignation und die Abhän-gigkeit vom Geliebten in scheinbarer Freiheit, um nur einige zu nennen.

»Ich bin Teil von allem, das große Mysterium lebt auch durch mich. Wahnsinn – zu

sitzen, zu atmen, zu sein, und orgastische Wellen durchströmen mich.«

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Die tiefe Dankbarkeit, einfach da zu sein, lebendig. So viel Süße im Herzen, das überfließt – nur so, ohne sichtba-ren Anlass. Ich bin Teil von allem, das große Mysterium lebt auch durch mich. Wahnsinn – zu sitzen, zu atmen, zu sein, und orgastische Wellen durchströmen mich. Licht. Wer oder was sitzt? Mich mit der Natur um mich herum erotisch zu verbinden, ist unsagbar befriedigend. Ich tanze Tango mit mir allein.

Ich weiß, ich weiß, es klingt kitschig – es ist schwer, für so einen luftig-leich-ten und doch tiefen Zustand Worte zu finden.

Das Krokodil und der Sex

Wieder zu Hause. Meine neu ge-wonnene Gelassenheit verändert

unsere Liebe. Ich bin jetzt freier in mir, zu Hause in meinem Körper.

Mein alter Liebesfilm, der meinen freien Forschergeist umnebelt, sobald ich meinen Partner begehre, wird schwächer. Ich brauche unsere Liebe nicht mehr daran zu messen, wie ich sein sollte, wenn ich liebe. Wie er sein sollte, wenn er mich liebt. Wie Leiden-schaft sein sollte ... eine sanfte Revolu-tion hat stattgefunden. Wir tanzen noch immer Tango, und das tut gut. Aber es ist klar, dass es die Zweisamkeit mit dem „Ich und Ich“ nicht ersetzen kann, die ich in der Yogapraxis erfahre.

Wenn wir uns früher sexuell begeg-neten, fiel ich oft einfach in ihn hinein mit meinem Sein, wobei ich den Kontakt zu mir selbst verlor.

Heute denke ich an das, was ich im Krokodil gelernt habe, in Makrasana: Ich bin erst mal ganz bei mir, und dann erst und doch gleichzeitig bei ihm. Ich kann jetzt präsent bleiben in dem, was wirklich gerade abläuft zwischen uns. Und das ist einfach stark.

Orgasmus im Shavasana

Er und ich, wir liegen vor unserem Kamin eng umschlungen, das Feuer

brennt, Wärme auf unserer Haut. Er hat seinen Linga in meiner Yoni. Wir bewe-gen uns kaum. Atmen zusammen. Wir schauen uns in die Augen, ohne etwas zu wollen, einfach das Seelenfenster öffnen, präsent sein. Sich entspannen, meditieren beim Liebemachen.

Alles, was ich beim Kaula-Tantra-Yoga gelernt habe, fließt jetzt mit unserem tantrischen Wissen ineinander: So wie ich mich entscheiden kann, zu medi-tieren oder Yoga zu machen, kann ich mich entscheiden, mit dem Geliebten jeden Tag zusammen zu sein und im Liebesakt gemeinsam zu meditieren. Ich bin nicht davon abhängig, dass „es“ spontan passiert. Der Mythos der Spon-taneität ist in unserem liebesfeindlichen Alltag, wo alles, aber auch jede Minute geplant wird, meist ein Liebestöter – da ist einfach keine Zeit mehr übrig, da-mit sich das entspannte Liebemachen entfalten kann.

Er legt die Hand auf meinen Busen, Körper erzittern. Mit dem Atem wer-den wir durchlässig, es strömt. Ich und er, wir tönen beim Ausatmen, langer, weicher, gemeinsamer Klang. Wie sexy. Da ist es wieder, das Licht. Durch die Tantra-Yoga-Praxis kann mein Körper auch in der sexuellen Spannung ent-spannt bleiben. So spüre ich mehr. Ich kann ganz in mir sein und von dort aus dem Geliebten begegnen.

Es schafft eine tiefe Intimität – nichts tun, einfach nur mit mir selbst und dann miteinander sein. „Ich bin wach und entspannt wie ein Krokodil“, sage ich, und mein Liebster muss lachen bei der Vorstellung, mit einem Krokodil Liebe zu machen.

Keine Zeit für Erklärungen – jetzt. n

Iris Disse ist Meister-Yogaleh-rerin sowie Theater- und Filme-macherin. Sie ist Gründerin der Durga´s Tiger School for Tantra, Yoga & Shamanism, die eine YA- und YAI-zertifizierte, in-

ternational anerkannte Yogalehrerausbildung anbietet: 200, 300, 500 Stunden. Hier wird yo-gisch-tantrisches und schamanistisches Wissen zusammengebracht. Iris Disse unterrichtet seit 20 Jahren Tantra in Workshops, auf Festivals und an der Universidad Andina, Quito.

Termine: Durga´s Tiger School in Deutschland: 3.–24. Juli 2017: Yogalehrerausbildung im ZEGG in Bad Belzig / Brandenburg

www.durgas-tiger-school.com

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