Sachar - König Dame Joker

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9 1 Mein Lieblingsonkel Seit ich ein kleiner Junge war, wurde mir eingetrichtert, dass mein Onkel Lester mein Lieblingsonkel sei. Meine Mutter hielt mir das Telefon hin und sagte: »Onkel Les- ter möchte mit dir reden.« Dabei war ihre Stimme so vol- ler falscher Begeisterung, als wollte sie mir weismachen, Dosenerbsen wären das Köstlichste auf der Welt. »Sag ihm, dass du ihn lieb hast.« »Ich hab dich lieb, Onkel Lester«, sagte ich. »Sag ihm, er ist dein Lieblingsonkel.« »Du bist mein Lieblingsonkel.« Es wurde schlimmer, je älter ich wurde. Ich wusste nie, was ich sagen sollte, und er schien absolut kein Interesse daran zu haben, sich mit mir zu unterhalten. Als Teenager dann wurde es mir zu dumm, ihm zu sagen, dass er mein Lieblingsonkel sei, wenn mich meine Mutter auch im- mer noch dazu drängte. Ich sagte Sachen wie »Hallo, wie geht’s?«, und er brummte irgendeine Antwort. Manch- mal fragte er was wegen der Schule. Ich glaube, es war für uns beide immer eine große Erleichterung, wenn mir mei- ne Mutter am Ende den Hörer wieder abnahm. Unsere kurzen Gespräche machten mich verlegen, und sie hatten auch etwas Unheimliches.

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Leseprobe zum Roman von Louis Sachar.

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mein Lieblingsonkel

Seit ich ein kleiner Junge war, wurde mir eingetrichtert, dass mein Onkel Lester mein Lieblingsonkel sei. Meine Mutter hielt mir das Telefon hin und sagte: »Onkel Les-ter möchte mit dir reden.« Dabei war ihre Stimme so vol-ler falscher Begeisterung, als wollte sie mir weismachen, Dosenerbsen wären das Köstlichste auf der Welt. »Sag ihm, dass du ihn lieb hast.«

»Ich hab dich lieb, Onkel Lester«, sagte ich.»Sag ihm, er ist dein Lieblingsonkel.«»Du bist mein Lieblingsonkel.«Es wurde schlimmer, je älter ich wurde. Ich wusste nie,

was ich sagen sollte, und er schien absolut kein Interesse daran zu haben, sich mit mir zu unterhalten. Als Teenager dann wurde es mir zu dumm, ihm zu sagen, dass er mein Lieblingsonkel sei, wenn mich meine Mutter auch im-mer noch dazu drängte. Ich sagte Sachen wie » Hallo, wie geht’s?«, und er brummte irgendeine Antwort. Manch-mal fragte er was wegen der Schule. Ich glaube, es war für uns beide immer eine große Erleichterung, wenn mir mei-ne Mutter am Ende den Hörer wieder abnahm. Un sere kurzen Gespräche machten mich verlegen, und sie hatten auch etwas Unheimliches.

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Eigentlich war er ja mein Großonkel und schon der Lieblingsonkel meiner Mutter gewesen, als es mich noch gar nicht gab.

Ich wusste nicht, wie viel Geld er hatte, jedenfalls war er reich genug, um zu niemandem mehr nett sein zu müs-sen. Unser Lieblingsonkel besuchte uns nie, und ich glau-be, es war allein meine Mutter, die den Kontakt aufrech-terhielt. Später, als er richtig krank wurde, wollte er nicht mal mehr mit ihr reden. Meine Mutter rief fast täglich an, kam aber nie an seiner Haushälterin vorbei.

Ich hatte Onkel Lester nur einmal persönlich erlebt, beim Fest zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag. Ich war damals sechs, und sein Haus kam mir vor wie eine Burg hoch oben auf einem Berg. Ich sagte das unvermeid-liche »Alles Gute zum Geburtstag« und »Ich hab dich lieb« und »Du bist mein Lieblingsonkel« und hielt mich im Übrigen von ihm fern.

»Sein Herz ist kalt wie ein Ziegel«, schimpfte mein Vater auf der Fahrt nach Hause.

Der Satz blieb in mir haften, ich glaube, weil er kalt statt hart sagte.

Meine Grundschule war in einem Ziegelbau unter-gebracht. Jeden Tag auf dem Weg nach Hause fuhr ich mit den Fingern über die harte und, ja, auch kalte Außen-mauer.

Jetzt bin ich in der Highschool, aber wenn ich an einer Ziegelmauer vorbeikomme, spüre ich immer noch den Drang, sie zu berühren. Selbst jetzt, während ich das hier schreibe, kann ich die harte Kälte fast fühlen, die schar-fen Ecken und den rauen Zement zwischen den Ziegeln.

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eine Wende zum schlechteren

Onkel Lesters Zustand hat »eine Wende zum Schlech-teren« genommen. Genau der Ausdruck fiel bei uns am ersten Tag dieses Jahres, und dazu hieß es immer wieder, dass es sich »um Komplikationen aufgrund seiner Diabe-tes« handele.

Ich wünschte, ich könnte sagen, die Worte hätten unser Haus mit Besorgnis und Traurigkeit erfüllt. Sicher, wenn meine Mutter von der unglücklichen Wende sprach, die der Zustand meines Lieblingsonkels genommen hatte, klang ihre Stimme düster und sie legte sich eine Hand aufs Herz, aber ganz allgemein, würde ich sagen, war sie von gespannter Erwartung erfüllt. Einmal habe ich sogar gesehen, wie mein Vater sich die Hände rieb, als er sagte, Onkel Lester werde wohl nicht mehr lange in dieser Welt weilen. Weihnachten mochte ja längst vorbei sein, trotz-dem lag etwas von einer bevorstehenden Bescherung in der Luft.

Um fair zu sein, sollte ich sagen, dass mein Vater für eine Firma arbeitete, die Isoliermaterial herstellte und verbaute, und er beklagte sich oft, dass die Chemiefasern an seinen Händen juckten. Vielleicht hat er sie sich ja des-wegen gerieben.

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Die einzige Person bei uns, die sich ernsthaft um unse-ren Lieblingsonkel zu sorgen schien, war meine Schwes-ter Leslie. Dabei war sie die Einzige, die ihn nie wirklich erlebt hatte. Als wir zu seinem fünfundsechzigsten Ge-burtstag hoch in seine dunkle Burg auf dem Berg fuh-ren, war sie erst vier Monate alt. Meine Mutter betonte damals die erste Silbe ihres Namens mit besonderem Nachdruck, als sie Onkel Lester seine neue Großnichte Leslie vorstellte.

Leslie war elf, als Onkel Lesters Zustand eine Wende zum Schlechteren nahm.

»Was ist Diabetes?«, fragte sie mich.»Eine Art Krankheit«, antwortete ich. »Sie hat damit

zu tun, dass dein Körper nicht fähig ist, Zucker in Insulin zu verwandeln.«

»Wofür brauchst du Insulin?«Das wusste ich nicht.»Hat Onkel Lester Schmerzen?«Was die »Komplikationen aufgrund seiner Diabetes«

im Einzelnen bedeuteten, darüber hatte ich mir bisher kei-ne größeren Gedanken gemacht. Leslie dagegen spürte Leiden hinter den Worten.

Eine Woche später fand ich heraus, wie weit die Kom-plikationen mittlerweile gingen. Onkel Lester war erblin-det.

»Da wird er wohl mit dem Kartenspielen aufhören müssen«, sagte mein Vater, und ich fand seine Worte ziem-lich gefühllos.

Es war das erste Mal, dass im Zusammenhang mit mei-nem Onkel von Kartenspielen die Rede war.

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Nach allem, was meine Mutter sagte, waren wir Onkel Lesters nächste Verwandte. Womit sie, glaube ich, mein-te, dass wir ihm am nächsten wohnten, was ich rechtlich nicht unbedingt für maßgeblich hielt, aber sie schien zu denken, das sei wichtig – falls, Gott behüte, dem Onkel etwas zustoßen sollte.

Eigene Kinder hatte er nicht, nur einen Bruder und zwei Schwestern, aber die hatten alle Kinder (einschließ-lich meiner Mutter), die dann ebenfalls Kinder bekamen (zum Beispiel Leslie und mich).

Das waren eine Menge Leute, so groß die Erbschaft auch sein mochte. Meine Mutter schien sich jedoch be-sonders wegen Mrs Mahoney Gedanken zu machen, die seit ewigen Zeiten schon Onkel Lesters Haushälterin war. »Ich glaube, da geht’s nicht nur um den Haushalt, wenn ihr versteht, was ich meine«, sagte sie eines Abends beim Essen.

Sie drückte sich etwas kryptisch aus, weil Leslie mit am Tisch saß. Ich wusste natürlich, was sie meinte, und bin mir ziemlich sicher, dass Leslie es ebenfalls tat, aber ich wollte beim Essen wirklich nicht an meinen Onkel und seine alternde Haushälterin denken.

Und es gab noch jemanden, wegen dem sich meine Mutter sorgte, mehr noch als wegen Mrs Mahoney, würde ich sagen, und dieser Jemand war Sophie Casta-neda.

Mein ganzes Leben lang hatte ich von den Castanedas gehört, »den verrückten Castanedas«, ohne ganz zu ver-stehen, in welcher Beziehung sie zu meinem Onkel stan-den. Ihr Verhältnis zu ihm schien, vorsichtig ausgedrückt, kompliziert.

Wenn ich nicht ganz falsch lag, war Sophie Castaneda

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die Tochter der verrückten Schwester von Onkel Lesters Ex-Frau.

Onkel Lester war in seinen Zwanzigern kurz verhei-ratet gewesen, weniger als ein Jahr lang, und seine Frau hatte eine Schwester, die irgendwann durchdrehte. Diese Schwester wiederum hatte eine Tochter namens Sophie King, die ihren Namen später zu Sophie Finnick änderte und, als sie heiratete, Sophie Castaneda wurde.

Verstehst du, was ich meine?Nach allem, was meine Mutter über sie zu erzählen

wusste, waren die Castanedas samt und sonders irre. Ich selbst lernte Toni Castaneda, Sophies Tochter, auf dem fünfundsechzigsten Geburtstag von Onkel Lester kennen. Toni war damals ungefähr sechs Jahre alt, und ich weiß noch, wie ich mich freute, jemanden zum Spielen zu fin-den. Aber Toni rannte auf mich zu, drückte die Hände auf die Ohren, dass die Ellbogen zu beiden Seiten wegstan-den, und schrie: »Halt die Klappe! Lass mich in Ruhe!«, und drehte auch schon wieder ab.

Das machte sie nicht nur mit mir so. Sie schrie alle möglichen Leute an, sie sollten die Klappe halten und sie in Ruhe lassen. Ich fand das lustig, aber als ich es ihr nachmachen wollte, bekam ich Ärger. »Halt die Klappe!«, sagte man nicht.

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Übrigens

Es ist superpeinlich.Warst du je in der Situation, dass du mit jemandem eine

Weile gesprochen hast, ohne seinen Namen zu kennen? Es ist zu spät, danach zu fragen, aber du weißt, je länger du damit wartest, desto misslicher wird die Sache. Und so blöd du dir auch vorkommen magst, am Ende geht’s nicht anders und du musst fragen: »Übrigens, wie heißt du eigentlich?«

So fühle ich mich im Moment, nur umgedreht.Übrigens, ich heiße Alton Richards.Ein talentierter Autor hätte das schon früher geschickt

eingestreut, wahrscheinlich gleich auf der ersten Seite. »Alton, komm, sag deinem Lieblingsonkel, wie sehr du ihn magst.« So in etwa.

Teil meines Problems, das wirst du zugeben müssen, ist mein Name. Hätte ich Alton in die Unterhaltung ein-gestreut, hättest du vielleicht gar nicht kapiert, dass das mein Name ist, sondern dich womöglich gefragt, was das nun wieder bedeuten soll.

Und hätte ich meinen Nachnamen gleich mit genannt, hättest du wahrscheinlich gedacht, ich heiße Richard Alton. Bei meinen Lehrern war das oft so.

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Also nochmal: Mein Vorname ist Alton, ich bin sieb-zehn Jahre alt, einsneunundsiebzig groß und wiege acht-undsechzig Kilo. Mein Haar ist braun und eher flauschig als lockig, und ich habe dunkle, »intuitive« Augen und ein »warmes« Lächeln.

Meine Ex-Freundin Katie hat das gesagt. Das war, be-vor sie mit mir Schluss gemacht hat. Heute würde sie wahrscheinlich sagen, ich habe Kuhaugen und grinse wie ein Trottel, aber da ich hier der Autor bin, bleiben wir bei intuitiv und warm.

Ich habe Katie mal gefragt, was sie mit »intuitiven Augen« meint, worauf sie antwortete, ich würde sie nun mal völlig durchschauen und immer genau wissen, was in ihrem Herzen vorgeht.

Die Wahrheit war, dass ich keine Ahnung hatte.Vielleicht hatte ich mich ja deswegen in sie verliebt.

Das Geheimnisvolle zieht die Menschen an. Zweifellos bin ich für sie auch erst geheimnisvoll gewesen, aber als Schluss war, da war ich für sie, genau wie für dich jetzt, ein offenes Buch.

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und, und, und …

Bis Mitte März hatte Onkel Lesters Zustand eine neue Wende genommen, ob nun zum Besseren oder Schlechte-ren, hängt vom Standpunkt ab. Sophie Castaneda hatte eine Art New-Age-Schwester ins Haus des Onkels ge-bracht. Diese Schwester, sie hieß Teodora, verordnete ihm eine vegetarische Diät, Yoga und Meditation.

»Sie verlängert nur sein Leiden«, sagte meine Mutter, und vielleicht glaubte sie es ja wirklich.

Mrs Mahoney mochte die neue Schwester auch nicht und beschwerte sich bei meiner Mutter, Teodora stolziere halbnackt durchs Haus.

»Welche Hälfte?«, fragte ich.Meine Mutter ging auf meine Frage nicht ein. »Als

Mrs Mahoney ihr sagte, sie solle sich doch bitte etwas an-gemessener kleiden, weißt du, was Teodora da geantwor-tet hat? ›Was macht es schon? Er kann mich doch sowie-so nicht sehen.‹«

»Was macht es denn?«, fragte Leslie.»Es ist einfach widerwärtig, Punktum«, erklärte meine

Mutter.Etwas weiter vorne habe ich gesagt, dass meine Mut-

ter Mrs Mahoney nicht traute, was dir bei einem der täg-

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lichen Telefongespräche der beiden aber nicht aufgefallen wäre. Da schwatzte sie und lachte und sagte Dinge wie: »Ist das nicht wieder mal typisch Mann?«

Mrs Mahoney war ihre einzige Informationsquelle, und erst, nachdem sie aufgelegt hatte, schwand das Lächeln aus ihrem Gesicht. Dann fragte sie sich laut, ob Mrs Mahoney Onkel Lester wohl erzählte, wie oft sie anrief, und ob sie ihm auch nur eine unserer Essensein-ladungen überbracht hatte.

Mein Vater täuschte sich, als er sagte, Onkel Lester könn-te nicht mehr Karten spielen.

»Er spielt vier Tage die Woche mit Toni Castaneda«, informierte uns unsere Mutter eines Abends voller Bitter-keit.

Ich kapierte nicht, wie das gehen sollte.»Was können sie schon spielen«, fragte mich Leslie spä-

ter in meinem Zimmer. »Quartett? Sie fragt: Hast du die Karo-Sieben?, und was dann? Toni guckt in seine Karten, ob er sie hat, und kann dabei so leicht mogeln!«

»Warum sollte sie einen blinden alten Mann betrügen, der nicht mehr lange zu leben hat?«, fragte ich. »Wahr-scheinlich geht es genau andersrum. Er fragt sie, ob sie die Karo-Sieben hat, und sie sagt: Verflixt, da hast du mich schon wieder erwischt, und gibt ihm den Pik-König.«

»Und dann ändert er sein Testament und hinterlässt ihr sein ganzes Geld«, sagte Leslie.

Leslie war in mein Zimmer gekommen, weil sie an den Computer wollte, aber ich benutzte ihn noch. Ich hatte Vorrang, nicht einfach weil ich älter war und der Computer in meinem Zimmer stand, sondern weil ich

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für gewöhnlich mit meinen Hausaufgaben bis zur letzten Minute wartete und es deshalb eiliger hatte. Leslie mach-te ihre Hausaufgaben immer an dem Tag, an dem sie auf-gegeben wurden, und konnte deshalb warten.

Ich weiß, das war nicht fair. Ich wurde für meine Faul-heit belohnt und sie für ihren Fleiß bestraft, aber so war es nun mal.

»Nun, ich denke, wir können uns bald schon einen zweiten Computer leisten«, sagte ich.

»Das denke ich auch«, stimmte mir Leslie zu.Keiner von uns wollte zu erwartungsvoll klingen, was

unsere Aussichten betraf.»Und wahrscheinlich können wir uns alle Musik und

alle Filme herunterladen, die wir wollen«, fügte Leslie hinzu.

»Wahrscheinlich«, sagte ich.»Wie viel Geld, glaubst du, hat Onkel Lester?«»Keine Ahnung.«»Mehr als eine Million?«»Bestimmt.«»Mehr als fünfzig Millionen?«Ich zuckte mit den Schultern. »Wir brauchen ja nicht

so viel. Trotzdem, es wäre schon gut, wenn wir den Pool fertig bekämen.«

Leslie stimmte mir auch darin zu.Im Moment hatten wir ein großes Loch hinten im Gar-

ten, mit ein paar Absperrungen und Warnhinweisen rund-herum, und unsere Eltern befanden sich in einer gericht-lichen Auseinandersetzung mit der Pool-Firma, wobei mir nie ganz klar war, wer eigentlich wen verklagt hatte.

»Und ich krieg mein eigenes Telefon«, sagte Leslie, »ohne SMS-Begrenzung!«

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»Und ich kann mein Auto reparieren lassen«, sagte ich. »Oder bekomme vielleicht sogar ein neues.«

»Und vielleicht kriegen wir auch gleich ein neues Haus, das schon einen Swimmingpool hat«, sagte Leslie.

»Und einen Whirlpool.«»Und ein Spielzimmer und einen Billardtisch.«»Und einen Großfernseher mit Dolby-Surround und

allen möglichen Videospielen.«Und, und, und … Das ist das Problem mit dem Geld.

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cliff

Was immer Teodora für meinen Onkel tat, musste funk-tionieren, jedenfalls war das Loch im Garten auch zu Ende des Schuljahres kein Stück näher daran, ein Swim-mingpool zu werden. Cliff, mein bester Freund, ergat-terte einen Job als Rettungsschwimmer im Country Club, und so dachte ich mir, dass ich vielleicht da schwimmen gehen könnte.

Der Grund, warum ich Cliff bisher noch nicht genannt habe, ist der, dass wir zwar seit der dritten Klasse die bes-ten Freunde waren, in letzter Zeit aber nicht mehr so viel Zeit miteinander verbrachten. Er hatte eine neue Freun-din.

Sie hieß Katie.Falls dir der Name bekannt vorkommt, ja, es ist diesel-

be Katie, die meinte, ich hätte ungeheuer intuitive Augen.Ich weiß nicht, warum es weher tat, mir Katie mit Cliff

und nicht mit irgendeinem anderen vorzustellen, aber es hat mich, vorsichtig ausgedrückt, innerlich geradezu zer-rissen.

Ich wusste, das war mein Problem, nicht Cliffs. Es war schließlich nicht seine Schuld, dass sie mit mir Schluss gemacht hatte.

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Cliff fragte mich um Erlaubnis, als er das erste Mal zu ihr nach Hause ging. »Dir macht es doch nichts aus, wenn ich zu Katie gehe, um für die Französischarbeit zu lernen, oder?«

Was sollte ich darauf schon sagen? »Nein, du kannst nicht mit ihr lernen, selbst wenn es bedeutet, dass du am Ende die Abschlussprüfung nicht bestehst«?

Ich habe Katie einige ganz schön fiese Sachen an den Kopf geworfen, als sie Schluss machte. Beschimpft habe ich sie und sie dann angebettelt, mich zurückzunehmen. Anschließend habe ich sie noch ein bisschen beschimpft und noch mal gebettelt.

Es war nicht unbedingt eine Sternstunde von mir.Ich habe mich oft gefragt, ob sie Cliff davon erzählt

hat. Hat sie ihm gesagt, dass ich geheult habe?Falls ja, war Cliff ein zu guter Freund, um es mir gegen-

über zu erwähnen.

Jetzt habe ich ernsthaft den Faden verloren, dabei wollte ich zu Anfang dieses Kapitels nur meine Verfassung am Ende der elften Klasse erläutern, und schon bin ich wie-der auf Katie gekommen. Ich nehme an, sie wird mir auf ewig im Kopf herumgeistern.

Es war der zweitletzte Schultag. Ich hatte keine Pläne für den Sommer, nur die vage Idee, mir einen Job zu suchen. Nachmittags fuhr ich Leslie zu ihrer Freundin Marissa, und als ich zurück ins Haus kam, hörte ich meine Mutter sagen: »Alton würde ausnehmend gerne Zeit mit seinem Lieblingsonkel verbringen!«

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Ich erstarrte.»Ja, er ist ein ausgezeichneter Fahrer«, sagte meine

Mutter.Dazu sollte ich vielleicht anmerken, dass sich meine

Mutter, wann immer sie mit mir fährt, an der Armlehne festklammert und den Fuß aufs Bodenblech stemmt, als hätte sie auf der Beifahrerseite auch eine Bremse.

»Oh, ich glaube, ich habe ihn gerade hereinkommen hören. Alton, bist du das?«

Sie kam zu mir in die Küche. Ihre Augen leuchteten vor Entzücken, sie legte eine Hand auf die Sprechmuschel und flüsterte: »Es ist Mrs Mahoney. Sie möchte, dass du am Samstag mit Onkel Lester Karten spielst. Er und Toni Castaneda haben sich fürchterlich zerstritten!«

Ich hielt mir das Telefon ans Ohr. »Hallo?«»Kennst du den Unterschied zwischen einem König

und einem Buben?«, fragte eine schroffe Stimme, die ein-deutig nicht die von Mrs Mahoney war.

»Ähm, ja, Sir«, sagte ich.Die Augen meiner Mutter wurden ganz groß, als sie

begriff, mit wem ich da sprach. »Sag ihm, er ist dein Lieb-lingsonkel«, drängte sie mich.

»Weißt du, wie man Bridge spielt?«, fragte mein Onkel.Das wusste ich nicht, dachte aber, dass ich vielleicht so

tun könnte, als ob.»Sag ihm, dass du ihn lieb hast«, sagte meine Mutter.»Nein«, sagte ich zu meinem Onkel (und zu meiner

Mutter).»Gut!«, bellte mein Onkel. »Das ist das Beste!«»Wahrscheinlich kann ich bis Sams…«, fing ich an,

aber da war Mrs Mahoney schon wieder am anderen Ende.

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»Hallo, Alton?« Sie erklärte mir, dass Mr Trapp um eins in seinem Club sein müsse und ich ihn bis spätestens Viertel nach zwölf abholen solle. Ich würde sein Karten-leger sein, was, soweit ich es begriff, bedeutete, dass er mir sagen würde, was für eine Karte ich spielen sollte, und ich sie dann spielte. Das ergab keinen großen Sinn, aber ich hatte Schwierigkeiten, mich auf Mrs Mahoney zu konzentrieren, weil mir meine Mutter, die dachte, ich würde immer noch mit Onkel Lester reden, ständig sagte, was ich sagen sollte.

»Und?«, sagte meine Mutter, als ich aufgelegt hatte.»Ich soll ihn am Samstag in seinen Club fahren und

mit ihm Bridge spielen.«Da legte mir meine Mutter die Hände auf die Schultern,

sah mir tief in die Augen und gab mir ihren besten müt-terlichen Rat.

»Verpatz es nicht, Alton.«

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Bist du sicher?

Ich wusste, dass Bridge ein Kartenspiel war, mehr aber auch nicht. Bestimmt war es langweilig und altmodisch. Früher mochte den Leuten so was ja mal Spaß gemacht haben, aber da hatte es auch noch keine Computer und Videospiele gegeben.

Ich rief Cliff an und hoffte, dass Katie nicht gerade bei ihm war. Ich staune immer, was Cliff alles weiß, und wenn mir einer bis Samstag beibringen konnte, wie man Bridge spielte, dann er.

Aber er war keine Hilfe. Laut Cliff war Bridge etwas, das kleine alte Damen spielten, während sie in Schoko-lade gehüllte Rosinen aßen.

»Dein Onkel ist doch sowieso blind«, sagte Cliff. »Also wird er nicht sehen können, ob du weißt, wie man es spielt, oder nicht.«

Da war ich nicht so sicher. Ich schaltete den Computer ein und fand eine Website, die Bridge-Bücher verkaufte. Es gab Hunderte, vielleicht sogar tausend Bücher für An-fänger, Fortgeschrittene und Spitzenspieler. Schon das ein-fache Wie-spiele-ich-Bridge-Buch war über zweihundert Seiten lang, aber selbst wenn ich es hätte lesen wollen, bis Samstag wäre es nicht mehr rechtzeitig gekommen.

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Ehrlich, die ganze Sache kam mir schon sehr komisch vor. Warum sollte es so viele Bücher über ein Spiel geben?

Ich fand eine andere Website, mit den Bridge-Regeln, und dort erfuhr ich, dass es ein Spiel für vier Personen war. Alle Karten wurden verteilt, was hieß, dass jeder dreizehn bekam, und die Leute, die sich gegenübersaßen, spielten zusammen.

Mehr kapierte ich eigentlich nicht. Jedes Bridge-Spiel hatte zwei Teile, die Reizung und das Spiel, ohne dass ich hätte sagen können, was man da jeweils machte. Dazu gab es Dinge wie Kontrakte, Trümpfe und Dummys, und auch die vier Himmelsrichtungen, Nord, Süd, Ost und West, schienen irgendwie wichtig zu sein.

»Hat Onkel Lester nicht gesagt, es ist gut, dass du nicht weißt, wie man es spielt?«, fragte mich Leslie, die mir über die Schulter sah.

»Schon«, murmelte ich, aber das wollte mir keinen Sinn ergeben. »Wie sollen wir dann Partner sein?«, be-schwerte ich mich. »Er kann die Karten nicht sehen, und ich kenne die Regeln nicht!«

»Mich musst du deswegen nicht anschreien«, sagte Leslie.

Am Samstag zwang mich meine Mutter, eine Anzugjacke und eine Krawatte zu tragen, und das, obwohl es draußen knapp dreißig Grad heiß war.

»Er kann doch gar nicht sehen, was ich anhabe!«, pro-testierte ich.

»Du bringst ihn in seinen Club«, antwortete meine Mutter.

Gott sei Dank ließ sie mich ihren Wagen nehmen, weil

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meiner nicht mehr so verlässlich war, aber erst musste ich ihn waschen. Was für mich noch unsinniger war, als eine Jacke und eine Krawatte zu tragen. Würden die Leu-te im Club etwa alle aus dem Fenster sehen, um sich zu vergewissern, dass mein Onkel in einem sauberen Wagen gekommen war?

Laut Internet sollte es dreiundvierzig Minuten zu sei-nem Haus dauern, aber ich brauchte mehr als eine Stun-de. Nachdem ich links vom Cross Canyon Boulevard abgebogen war, ging es bergauf durch ein Labyrinth sich windender Straßen, und die meisten Schilder waren hin-ter Bäumen oder blühenden Büschen versteckt. Ich folg-te der einfachen Regel, im Zweifel die Straße zu nehmen, die bergauf führte. Schließlich wohnte mein Onkel ganz oben auf der Erhebung.

Das Haus war nicht die Burg, an die ich mich erinnerte, und doch konnte ich sehen, warum es mich als Sechsjäh-rigen so beeindruckt hatte. Alles war aus Stein, Schmie-deeisen und mächtigen Holzbalken. Und auf einem Berg lag es auch nicht, obwohl es rundum beeindruckende Aus blicke gab.

Wobei er davon jetzt auch nichts mehr hat, dachte ich leicht düster.

An der massiven Eingangstür hing ein eiserner Klopfer in Form eines Ziegenkopfes, komplett mit Hörnern. Ich war kurz versucht, ihn zu benutzen, klingelte dann aber. Drinnen bellte ein Hund.

Mrs Mahoney öffnete die Tür. »Schau an, was für ein adretter junger Mann«, sagte sie und spielte damit zwei-fellos auf meine Jacke und die Krawatte an. »Kusch, Cap-tain!«, sagte sie zu dem Hund, der aber gar nicht daran dachte zu kuschen.

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»Du musst Captain entschuldigen. Er ist weit auf-merksamer, seit Mr Trapp sein Augenlicht verloren hat.«

Mrs Mahoney trug einen pfirsichfarbenen Hosen-anzug und eine Jadekette. Auf den ersten Blick wirkte sie sehr kultiviert und geziert, aber als sie Captain beim Halsband packte, erwies sie sich als Frau mit muskulösen Armen und festem Griff.

Sie bat mich herein.Captain war ein Mischling, allerdings mit genug

Dobermann-Ähnlichkeit, um mich skeptisch zu machen. Meine Hoffnung, die halbnackte Teodora zu Gesicht zu bekommen, war jedoch größer als die Angst vor dem Hund meines Onkels.

»Er weiß, dass ich kein Bridge kann, oder?«, fragte ich.»Mach dir da mal keine Sorgen«, beruhigte mich Mrs

Mahoney. »Er wird dir sagen, welche Karte du spielen sollst.«

»Und genau die Karte wirst du spielen!«, erklärte mein Onkel, der in diesem Moment durch einen Tor bogen trat. »Ohne zu zögern und ohne ›Bist du sicher?‹ zu fra-gen.«

Für jemanden, der dem Tod nahe war, hatte er eine laute, kräftige Stimme. Er war ein großer, schwerer Mann mit kurzem, grauem Haar, in dem noch einige schwarze Sprenkel zu sehen waren. Nur seine dunkle Brille deute-te darauf hin, dass mit ihm womöglich was nicht stimm-te.

»Und du wartest, bis ich dir sage, welche Karte du spielen sollst, bevor du sie spielst«, fuhr er fort. »Selbst wenn du sicher bist, welche es sein wird. Selbst wenn Karo gefordert ist und du außer der Karo-Zehn kein Karo

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in der Hand hast, wartest du, bis ich sage: ›Karo-Zehn‹, bevor du sie auf den Tisch legst. Wenn du die Karte spielst, bevor ich es sage, wissen alle, dass es mein einziges Karo war, kapiert?«

Ich zuckte mit den Schultern, was für ihn, wie mir bewusst wurde, genauso bedeutungslos war, wie es seine Worte für mich waren.

»Mr Trapp nimmt Bridge sehr ernst«, sagte Mrs Ma-honey.

Captain starrte mich immer noch drohend an, auch als mein Onkel ihn hinter den Ohren kraulte. »Wie heißt du?«

»Alton, Sir. Alton Richards.«»Der Sohn Ihrer Nichte«, sagte Mrs Mahoney.»Kennt er Toni?«, fragte mein Onkel.»Fragen Sie ihn selbst.«Er fragte nicht. Stattdessen ließ er einen ganzen Wort-

schwall Bridge-Kauderwelsch hören.»Der Dummy hat Pik-König, Pik-Dame und Pik-

Zehn, und ich sitze mit dem Ass und der Vier hinten. Der Alleinspieler kommt mit der Zwei, mein Partner spielt die Sieben und der Alleinspieler den König vom Dummy. ›Pik-Vier‹, sage ich ohne das kleinste Zögern. Und was macht Toni? Spielt sie die Vier? Nein. Sie zögert. Sie fragt: ›Bist du sicher?‹ Ein paar Stunden, und schon denkt sie, sie weiß mehr als ich.«

»Das denkt Toni nicht«, sagte Mrs Mahoney.»Nun, auf jeden Fall hat sie dem ganzen Tisch ver-

raten, wo das Ass steckte, oder etwa nicht?«Ich hoffte, die Frage sei nicht an mich gerichtet, weil

ich keine Ahnung hatte, wovon er sprach.»Wie heißt du?«, fragte er noch einmal.

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»Alton Richards«, sagte ich.»Bist du sicher?«Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.»Blöde Frage, was? Ha!«