Sagen & Geschichten aus Dettelbach

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Hans Bauer Sagen & Geschichten aus Dettelbach Band I J.H. Röll Verlag

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Hans Bauer

Sagen & Geschichtenaus Dettelbach

Band I

J.H. Röll Verlag

Umschlagbild: Panorama von Dettelbach. Aquarell von Franz Pracht 1998

© 2011 Verlag J.H. Röll GmbH, Dettelbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigungen aller Art, auch auszugsweise, bedürfen der Zustimmung des Verlages.Gedruckt auf chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier.Gesamtherstellung: Verlag J.H. Röll GmbHPrinted in GermanyISBN: 978-3-89754-353-9

Bibliografische Information der Deutschen NationalibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

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SAGeN & GeScHIcHteN AUS DettelBAcH

BAND I

Sagenhaftes Dettelbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Der seinen Arsch bleckende Baumeister . . . . . . . . . . . . . . 9Von den ungleichen türmen der Pfarrkirche . . . . . . . . . . . . 13Der versoffene türmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17Die Muttergottes befreit einen Übeltäter . . . . . . . . . . . . . . 22Der Hostienfrevel eines Schweden und eine zweite Wallfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27Der verschenkte Kunstschatz - Oder: Warum sich tilman Riemenschneider im Grab umdreht . . . . . . . . . . . 31 Als es noch keine antiautoritäre erziehung gab Die Dettelbacher Schulordnung von 1612 . . . . . . . . . . . . 35Der Wein erfreut des Menschen Herz Johann Wolfgang v. Goethe und der Wein aus Dettelbach . . . . . 41„Bei lebenszeichen der leiche …“ Auszüge aus der Polizeiordnung von 1902 . . . . . . . . . . . . . 47Doppelmord am Hohlweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55Sieben Köpfe – sieben Bauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57ein Raufbold und ewiger Student Michael Schmerbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60Der Meistersinger Hans Sachs und seine Hassliebe zu „Dötschelbach“ . . . . . . . . . . . . . . 64Heiß geliebt und unvergessen: Das „Schnefterle“ . . . . . . . . . . 71Die tragische Geschichte des „euerfelder Michele“ . . . . . . . . . 78Als Messer und Kannen flogen Die Neuseser Rathausordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83Zum guten Schluss: Was Schriftsteller über Dettelbach geäußert haben . . . . . . . . . 87

literatur und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

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SAGeNHAFteS DettelBAcH !

Blättert man in Sagenbüchern und ähnlichen Sammlungen, dann scheint Dettelbach ein nahezu weißer Fleck auf der Geschichten-landschaft zu sein. Doch trügt dieser eindruck, deutlicher noch: er ist falsch.

Kann es denn sein, dass eine Stadt, von deren bunter und bewegter Vergangenheit noch heute viele alte Bauwerke und Denkmäler Zeugnis ablegen, und wo zu allen Zeiten der Wein eine so dominante Rolle ge-spielt, die Menschen geprägt und die Fantasie bewegt hat, so stumm und ausdruckslos – wortlos und sagenleer ist? Das kann niemals und keinesfalls stimmen!

In der Überlieferung sind etliche Begebenheiten verankert geblie-ben, und auch die schriftlichen Quellen unseres Stadt archivs „sprechen Bände“.

Warum hat die Pfarrkirche zwei so ungleiche türme? Stimmt die er-zählung von dem seinen Arsch bleckenden Baumeister des Rathauses? Was dachte der Dichter Hans Sachs über Dettelbach? Wie kommt es, dass ein Dettelbacher einer der kuriosesten Studenten an der Universi-tät Würzburg war? Welche leiden hatten die Schulkinder Anno 1612 zu erdulden? Ganz zu schweigen von der kleinen aber feinen Sensation, dass Johann Wolfgang v. Goethe „Dettelbacher leite“ regelmäßig und in großen Mengen getrunken hat!

Höchste Zeit, diese lücke zu schließen! Die bekanntesten Dettel-bacher Geschichten, die aus der mündlichen tradition bekannt sind, wurden deshalb niedergeschrieben, aber auch einige „sagenhafte“ Be-gebenheiten hinzugefügt, die sich in den Akten und Protokollen des Stadtarchivs finden lassen.

So ist ein amüsantes und kurzweiliges lesebuch entstanden, das nicht nur kuriose Begebenheiten enthält, sondern auch viel über die Geschichte der Stadt und das Alltagsleben der Menschen in alter Zeit berichtet.

Vergnüglicher lesespaß ist garantiert!

Dettelbach, im Sommer 2010 Dr. Hans Bauer

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DeR SeINeN ARScH BlecKeNDe BAUMeISteR

Sagen, das hat man schon in der Schule gelernt, sind rätselhafte Ge-schichten. Sie klingen wie erfundene Begebenheiten, und doch soll ihnen ein wahrer Kern innewohnen. Bei aller Märchenhaftigkeit gibt es also immer historische tatsachen, die in einer solchen er zählung stecken. Beginnen wir mit einer Geschichte, die im Volksmund weit verbreitet ist, weil sie besonders kurios und unwahrscheinlich klingt:

Am westlichen Durchgang des Rathauses befindet sich im Scheitel-stein des Rundbogens ein die Zunge bleckendes Fratzengesicht. Solche Fratzen- oder Schrecksteine sind in ganz Franken verbreitet; man schreibt ihnen die Ab sicht des Hausbesitzers zu, dass das Furcht erregende Gesicht Unheil, Krankheit und Missgeschick vom Hause und seinen Bewohnern fern halten solle. In diesem Fall jedoch liegt der Sachverhalt anders, denn der Zungenblecker erinnert an eine über Jahrhunderte hinweg überliefer-te Sage, die vom Bau des Rathauses berichtet:

1484 war Dettelbach zur Stadt erhoben worden. Im stolzen Bewusst-sein eines neuen Selbstwertgefühls beschlossen Rat und Bürgerschaft, ihr altes, wohl schon von Wind und Wetter gebeugtes Fachwerk rathaus abzubrechen und an seiner Stelle ein großes, repräsentatives neues Rat-haus zu errichten. es sollte aus Steinen gemauert sein, eine Bauweise, die damals nur adeligen und kirchlichen Bauherren zustand und auch nur von ihnen finanzierbar war. Dass die Dettel bacher ihren Plan ver-wirklichten und ein prachtvolles Rathaus entstand, davon können wir uns heute noch tagtäglich mit Freude und Bewunderung überzeugen.

Als der Baumeister des Rathauses den Stadträten seine Pläne vor-legte, soll er die Behauptung aufge stellt haben: „Ich kann das Rathaus so groß und ge schickt anlegen, dass es drei Menschen zur gleichen Zeit betreten können, ohne einander zu sehen!“ Man glaubte ihm nicht und verspottete ihn. einer der Rats herren soll sogar zu ihm gesagt haben: „Das ist schlichtweg unmöglich! eher kannst du dich selbst am Arsch lecken, als dass du es schaffst, dieses Vor haben zu verwirklichen!“

Der Bau des Rathauses dauerte viele Jahre und muss wohl Anno 1512 abgeschlossen worden sein. Diese Jahreszahl über dem Stadtwappen in

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der Durchfahrt legt einen solchen Schluss nahe. Besagter Baumeister soll seine Wette gewonnen haben. Zum Spott für alle jene, die ihm damals nicht geglaubt hatten, ließ er am Westportal jenen Fratzenstein anbrin-gen. Die weit heraushängende Zunge sollte der Hinweis für seine Kritiker sein: „Ihr könnt mich alle mal kreuzweise am.....“.

Wo soll in dieser doch eher trivialen und reichlich unglaubwürdigen erzählung der historische Kern lie gen? Oder anders gefragt: Können drei leute zur gleichen Zeit das Rathaus betreten, ohne sich zu se hen?

Zweifellos steht fest: es gibt heute zwei Zugänge ins historische Rat-haus: der eine führt über die dop pel läufige Freitreppe, der andere nimmt seinen An fang innerhalb der Durchfahrt. Beide Möglichkeiten gab es wohl schon immer. Wo aber finden wir den dritten eingang, der so plat-ziert ist, dass man die beiden anderen Be sucher des Rathauses nicht sieht? Ist die pikante und reichlich derbe Sage doch nur eine Fiktion?

Alte Ansichten des Rathauses beweisen unmissver ständlich, dass es wirklich eine dritte Möglichkeit gab, ins Rathaus zu gelangen. An der

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Westseite zur Apotheke hin, schräg unterhalb des Zungenbleckers, be-fand sich einst die einfahrt zum früheren Feuer wehrgerätehaus, dort wo in jüngerer Zeit die Stadt bücherei und später das Fremdenver kehrsamt untergebracht waren. Die bis in Fensterhöhe zugemauerte türe ist heu-te noch erkennbar. Kinder, die im Bachbett spielten, behaupten sogar, dass man vom Bach aus ins Rathaus klettern könne…

Und wenn dennoch jemand an dem wahren Kern der Sage zweifeln sollte, dann kann ein weiterer Beweis nachgeliefert werden. Als in den 90er Jahren des 20. Jh. das Rathaus einer gründlichen Innen- und Au-ßenrenovierung unterzogen wurde, entdeckte man nach der Aufstellung des Baugerüsts eine eigentümli che, reichlich unanständige Sandsteinfi-gur. Von unten nicht sichtbar befindet sie sich an der Südwestecke der Dachtraufe, am Fuße einer pyramidenförmigen Fiale. Abgebildet ist ein Mann, der seine Beine nach hinten legt, sein entblößtes Hinterteil in die Gegend leuchten lässt und gerade den Versuch unternimmt, sich selbst am Allerwertesten zu lecken.

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Bedarf es eines weiteren Beweises? es könnte also wirklich stimmen, dass jener Baumeister des Rathauses seine Wette gewonnen hat – eine Sage mit wahrem Kern. Zugegebenermaßen ist das keine umwerfende historische erkenntnis, die den Fluss der Stadtgeschichte geprägt hätte oder von weit reichender Bedeutung gewesen wäre. Amüsant ist diese Geschichte umso mehr.

Ist es nicht außerdem eine verrückte Sache, dass sich ein solch ba-nales ereignis über 500 Jahre im Ge dächtnis erhalten hat und sogar noch durch bauliche Befunde nachweisen lässt?

Aber: Die Sache mit den ihren Arsch bleckenden Figuren an Rat-häusern und anderen Gebäuden ist eine seltsame erscheinung. erinnert sei an das „Kitzinger Kätherle“, eine versoffene Frauenfigur, die vom Rathaus hinüber zum landratsamt schaut, wo sich in alter Zeit das Frauenkloster befand. Historische Abbildungen der Figur beweisen, dass sie einst viel unanständiger aussah als heute, denn sie steckte ihren Finger in den Hintern, um gleichzeitig höhnisch zum Kloster hinüber zu grinsen. Das „Kätherle“ soll in jener epoche entstanden sein, als die Stadt den Nonnen zinspflichtig war und es die eine und andere Auseinandersetzung gab. Die Steinplastik sollte den hohen Damen des Klosters zeigen, was man von ihnen im Stadtrat hielt ...

Wer nun glaubt, solche Derbheiten seien nur im Kitzinger land zu finden, täuscht sich gewaltig. Ähnliche Figuren sind u.a. auch an der Gerolzhöfer Stadtmauer, im Fachwerk des Forchheimer Rathauses, am Schloss zu Külsheim im taubergrund, am Mainzer tor von Buchen im Odenwald oder am Rathaus „Grafeneckart“ in Würzburg zu sehen.

So kommt es, dass wir den Dettelbacher Arschblecker in einen grö-ßeren Sinnzusammenhang einordnen müssen und jener Sage vom Bau-meister doch nicht allzu viel Glauben schenken dürfen:

Im Altertum, so liest man in ernsthaften volkskundlichen Abhand-lungen, habe es den „Nacktzauber“ gegeben, denn das Zeigen des ent-blößten Hinterteils habe besondere Abwehrkraft ...