Samstag, 12. November 2011 17 Meter Baustahl Später ... · Inge Deutschkron, Lala Süsskind, die...

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Der Künstler: Ulrich Klages entwarf das Denkzeichen für Georg Elser Der Mann, der das Denk- zeichen an der Berliner Wil- helmstraße für den schwä- bischen Hitler-Attentäter Georg Elser geschaffen hat, ist ebenfalls Schwabe: Ulrich Klages (57) stammt aus Biberach. Klages ist gelernter Kerami- kermeister. Nach seiner Be- rufsausbildung studierte er an der Universität Kassel Bildhauerei. Vor 15 Jahren zog Klages dann nach Ber- lin, wo er seither als selbst- ständiger Designer und Künstler arbeitet. „Elser ist nicht hoch genug zu schätzen“ Herr Klages, die Bezeichnungen für ihr Werk gingen schon vor seiner feierlichen Übergabe weit auseinander: Denkmal, Mahnmal, Denkzeichen – wo- mit haben wir es denn wirklich zu tun? Es ist gut, dass Sie diese Frage stellen. Die Stadt Berlin hatte in ihrem Wettbewerb ausdrücklich ein Denkzeichen ausgeschrieben. Diesen Begriff finden Sie im Du- den nicht, aber er ist raffiniert ge- wählt, weil er den Betrachter auf- fordert, eine klare Position zu be- ziehen. Damit ist keine Ausein- andersetzung auf der sachlichen Ebene gemeint, denn die Fakten stehen längst zweifelsfrei fest. Es geht darum, eine ethische Posi- tion einzunehmen. Und diese Diskussion kann natürlich nie abgeschlossen sein. Ihre Haltung ist die, dass . . . . . . Elsers Tat ihre Rechtfertigung hatte in der damaligen histori- schen Situation. Weshalb haben Sie sich ent- schlossen, im Unterschied zu einer klassischen Büste Elsers Porträt auf seine Silhouette zu reduzieren? Wir erkennen Formen, die uns nahe stehen, sofort. Etwa ein menschliches Profil. Wer die Wil- helmstraße entlang geht, wird in Zukunft entweder sagen: Das ist Georg Elser. Oder aber er kann das Profil keinem konkreten Menschen zuordnen und infor- miert sich dann vor Ort, um wen es sich handelt. Dafür gibt es eine Tafel mit einem Abriss von Elsers Leben und in den Gehweg einge- lassene Zitate. Dort steht . . . . . . zum einen seine zentrale Aus- sage: „Ich habe den Krieg verhin- dern wollen.“ Zum anderen die ethische Begründung seines Handelns: „Ich wollte ja auch durch meine Tat ein noch größe- res Blutvergießen verhindern.“ Und dann die Beschreibung, wie er sein Ziel erreichen wollte, dass nämlich „die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Be- teiligung der augenblicklichen Führung geändert werden könn- ten“. Wie haben Sie sich inhaltlich auf Ihre Arbeit vorbereitet? Viele Informationen habe ich über den Elser-Arbeitskreis in Heidenheim bezogen. Eine wei- tere wichtige Quelle war die Ge- denkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Außerdem hat Rolf Hochhuth sehr viel erzählt. Hatten Sie sich schon vor dem Wettbewerb mit Elser beschäf- tigt? Oh ja. Ich bin in Biberach aufge- wachsen und habe dort schon um das Jahr 1970 in der Schule viel über Elser erfahren. In Heidenheim und Königs- bronn sah das anders aus. Nun, viele der Referendare an unserer Schule kamen in diesen unruhigen Zeiten aus Tübingen, und dort hat man sich damals sicher stärker und entschiedener als anderswo mit dem Tun der Elterngeneration auseinanderge- setzt. Wie stark war Ihre Arbeit von der persönlichen Beschäftigung mit der Geschichte des Wider- stands beeinflusst? Die Möglichkeit, mich künstle- risch über Georg Elser zu äußern, empfand ich als sensationell. Ich habe mich deshalb sehr sorgfältig vorbereitet, im Computer ein räumliches Modell von der Wil- helmstraße entworfen, das Denk- zeichen hineingestellt und des- halb auch schon früh gewusst, wie es aussehen wird. Und, zufrieden? Ich bin platt, wie sehr es mit dem Entwurf übereinstimmt. Und es ist absolut gut so, wie es ist. Um Elsers Profil möglichst exakt zu treffen, habe ich Bildmaterial ver- messen, gezeichnet, im Compu- ter räumlich gedreht und dann überprüft, ob es sich mit Foto- grafien deckt. Weshalb haben sie ausschließ- lich Baustahl als Werkstoff ver- wendet? Elser war ein sehr guter Hand- werker, der Dinge so gemacht hat, dass sie vernünftig und sinn- voll waren. Deshalb wollte auch ich ein nüchternes Material ein- setzen. Liegt auch der von Ihnen ge- troffenen Wahl des Standorts eine nüchterne Überlegung zu- grunde? Natürlich. Schauen Sie: Das Ob- jekt zeichnet sich nur gegen den Himmel ab und nicht gegen diese gesichtslosen Plattenbauten, die hier in der Endphase der DDR noch gebaut wurden. Es ist also so singulär, wie Elser als Einzel- person in Erscheinung trat. Au- ßerdem steckt eine ungeheure symbolische Bedeutung dahinter, dass jetzt genau an der Stelle an Elser erinnert wird, an der Hitlers Reichskanzlei stand. Das Denk- zeichen befindet sich im ehema- ligen Zentrum der Macht. Ich empfinde schon eine große Be- friedigung, dass wir gerade hier diesen Menschen würdigen, der sich einem verbrecherischen Re- gime mit all seiner Kraft ent- gegenstellte. Elser ist nicht hoch genug zu schätzen. Interview: Michael Brendel Zahlreiche geladene Gäste aus Politik, Kultur und Wirtschaft sowie mehrere Hundert interessierte Menschen von nah und fern nahmen an der Feierstunde in Berlin-Mitte teil. Eröffnet wurde sie von Kulturstaatssekretär Andr ´ e Schmitz (am Rednerpult). Gefragter Interviewpartner: der Dramatiker Rolf Hochhuth, Initiator des vorgeschalteten Kunstwettbewerbs (kleines Bild links). Zum Denkzeichen gehören auch in den Gehweg eingelassene Zitate Elsers, die seine Motivation und ethische Haltung verdeutlichen. Fotos: Brendel Später Triumph eines mutigen Menschen Nach europaweitem Wettbewerb: An der Berliner Wilhelmstraße erinnert jetzt ein Denkzeichen an Georg Elser Georg Elser hat den Versuch, Adolf Hitler im Münchner Bür- gerbräukeller zu töten, mit dem Leben bezahlt. Jetzt, 72 Jahre nach dem gescheiterten Attentat vom 8. November 1939, erinnert in Berlin ein Denkzeichen an ihn. Ironie des Schicksals: Es steht dort, wo sich einst die Machtzentrale des nationalsozialistischen Terrorregimes befand. MICHAEL BRENDEL Die größte Ehrerbietung zeigt sich manchmal in einer kleinen Geste: Mit zitternden Händen legt ein vom Alter gebeugter Mann eine weiße Rose am Fuße der stähler- nen Skulptur nieder, die seit eini- gen Tagen an der Wilhelmstraße in Berlin steht. Der Greis hält mit ge- senktem Kopf einige Sekunden inne und drückt damit schwei- gend aus, was wenig später meh- rere Redner an diesem geschichts- trächtigen Ort in Worte fassen werden: eine Verneigung vor ei- nem Mann, dessen aus politischer Überzeugung resultierende Tat viele Jahre lang nicht die ihr ge- bührende Würdigung erfahren hatte – Georg Elser. Im Berliner Bezirk Neukölln ist zwar bereits eine Schule nach Elser benannt, und an der Straße der Erinnerung vor dem Bundes- innenministerium steht eine Büs- te Elsers, der einst nach seiner Festnahme nur wenige Meter ent- fernt in Gestapohaft misshandelt wurde. Weitaus symbolträchtiger ist freilich das Denkzeichen, das jetzt am 72. Jahrestag des Attentats auf Hitler offiziell eingeweiht wird. Denn: Es befindet sich auf dem Gelände der früheren Reichskanz- lei und damit „im Vorhof der Macht des Dritten Reiches“, wie der Künstler Ulrich Klages wäh- rend der Feierstunde sagte. Gegenstück zum Führerbunker „Absolut passend“ findet der Dra- matiker Rolf Hochhuth (80), der sich jahrzehntelang für die nun er- reichte Würdigung Elsers stark ge- macht und einen Kunstwettbe- werb angeregt hatte, den Standort. Er stelle ein Gegenstück zum ehe- maligen Führerbunker dar, dessen Reste sich jenseits eines gesichts- losen und noch kurz vor der Wen- de für prominente SED-Mitglieder errichteten Plattenbaus im Boden befinden. „Täglich sehe ich dort 40 Reise- busse aus aller Welt anhalten, da- mit Schaulustige eine Schautafel betrachten können, auf der außer dem Grundriss der von Stalin zu- geschütteten Anlage nichts zu se- hen ist“, ereiferte sich Hochhuth. Die Nachwelt sei „so ekelhaft, an- statt der Opfer zu gedenken.“ Dem Denkzeichen attestierte Hochhuth, „absolut geglückt und von einsamer Größe“ zu sein. Es werde Elser gerecht, der es ver- dient habe, als Person und nicht durch ein gegenstandsloses Kunst- werk dargestellt zu werden. Hochhuth las aus seiner vor 40 Jahren verfassten Ballade, in der er Elser als „Einsamsten in seinem Volk“ und als „Tell totalitärer Zei- ten“ bezeichnet hatte. Dass Elser – in Hermaringen geboren, lange in Königsbronn zu Hause, nach sei- ner Verhaftung mit Blick auf einen möglichen Schauprozess jahrelang inhaftiert und wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs im Konzentrationslager Dachau er- mordet – im Nachkriegsdeutsch- land lange die ihm zustehende Ehrerbietung versagt geblieben sei, beweise: „Dies Volk liebt zwar die Freiheit, doch nicht die, die sich für sie geopfert.“ Anders werde es sich nun an der Gedenkstelle in Berlin-Mitte ver- halten, zeigte sich Hochhuth über- zeugt: „Das Denkzeichen wird ste- hen, solange es Berlin gibt. Und Elser ist ein Vorbild, solange je- mand deutsch spricht.“ Der Berliner Kulturstaatssekre- tär Andr´ e Schmitz bezeichnete El- ser als „Lichtgestalt in dunklen Zeiten, weil er wie wenige im Drit- ten Reich Recht und Unrecht un- terscheiden konnte“. Zudem habe er in seinem Aufbegehren gegen die nationalsozialistische Führung gezeigt, wie viel ein Einzelner be- wegen könne. Unter großem Bei- fall der Zuhörer wies Schmitz da- rauf hin, dass ein Privatmann, der ungenannt bleiben wolle, mit ei- ner Spende in Höhe von 50 000 Euro zur Finanzierung des rund viermal so teuren Denkzeichens beigetragen habe. Rund 150 geladene Gäste und ein Mehrfaches an Interessierten, darunter einige Zeitzeugen, nah- men an der Feierstunde unweit des Denkmals für die ermordeten Juden Europas teil. Zu ihnen zähl- ten Klaus Schütz, ehemals Regie- render Bürgermeister Berlins, Bundestagsvizepräsident Wolf- gang Thierse, die Schriftstellerin Inge Deutschkron, Lala Süsskind, die Vorsitzende der Jüdischen Ge- meinde zu Berlin, und Klaus Sta- eck, Präsident der Berliner Akade- mie der Künste. Viele Gäste aus dem Kreis Heidenheim Auch aus dem Brenztal hatten sich zahlreiche Personen auf den Weg in die Bundeshauptstadt gemacht. Landrat Hermann Mader zeigte sich dort begeistert von dem die Baumreihe entlang der Wilhelm- straße überragenden Zeichen: „Das weithin sichtbare Profil eines Menschen, der genau dieses ge- habt hat – das ist großartig.“ Ähn- lich äußerte sich Joachim Ziller von der Elser-Gedenkstätte in Kö- nigsbronn. Er bezeichnete das Kunstwerk als „würdig und außer- gewöhnlich“. Seitens des Heidenheimer Ge- org-Elser-Arbeitskreises sprach Manfred Maier von einem großen Tag für alle, die Elser wertschätz- ten. Diesem werde nun ein „später Triumph über das NS-Regime“ zu- teil. Regierungspräsident Johannes Schmalzl betrachtete seine Teil- nahme an der Veranstaltung als „ehrenvolle Aufgabe“. Wenngleich lange Zeit bis zu dieser denk- würdigen Stunde vergangen sei, so gelte doch: „Besser spät als nie.“ Bei einem Empfang in der ba- den-württembergischen Landes- vertretung war anschließend ein Zyklus aus Radierungen des ver- storbenen Göppinger Künstlers Kurt Grabert über Georg Elser zu sehen. Peter Friedrich, Minister für Bundesrat, Europa und Internatio- nale Angelegenheiten des Landes Baden-Württemberg, nannte Ge- org Elser bei dieser Gelegenheit den „schwäbischsten aller Atten- täter: durchaus das, was man eigen nennt, aber auch ein Schaf- fer und Tüftler“, den sich nach- folgende Generationen als Beispiel nehmen könnten. Auch in dieser Hinsicht scheint der Standort des Denkzeichens gut gewählt: Nur wenige Schritte ent- fernt liegen ein Jugendzentrum und die Grundschule am Bran- denburger Tor. 17 Meter Baustahl Werk zeigt Elsers Gesichtsprofil Lange Jahre setzte sich der Dra- matiker Rolf Hochhuth für eine angemessene Würdigung Georg Elsers in Berlin ein. Sein Wunsch, zum 70. Jahrestag des fehlgeschla- genen Bombenattentats am 8. No- vember 2009 ein Denkmal zu ent- hüllen, blieb unerfüllt. Allerdings lief damals bereits ein von Hochhuth initiierter und vom Berliner Senat ausgerufener, europaweiter Kunstwettbewerb. Aus 207 eingereichten Entwürfen wählte eine Jury zunächst zwölf zur weiteren Überarbeitung aus. Das Preisgericht entschied sich schließlich einstimmig für den Wettbewerbsbeitrag von Ulrich Klages. Die 17 Meter hohe Stahl- skulptur zeigt das gleichsam in den Himmel gezeichnete Ge- sichtsprofil Elsers, das bei Dun- kelheit durch ein Band aus LED- Leuchten erhellt wird. Hinzu kommen drei des Nachts ebenfalls leuchtende Zitate Elsers, die in den Gehweg eingelassen sind. Auf dem zweiten Platz landete ein Entwurf des Künstlers Thomas Eller. Bemerkenswerterweise war Elser vor seiner Ermordung unter diesem Decknamen als sogenann- ter Schutzhäftling im KZ Dachau gefangen gehalten worden. bren DAS BESONDERE THEMA Samstag, 12. November 2011 28 Weithin sichtbares Zeichen der Erinnerung: die Silhouette von Georg Elsers Gesicht als fein ge- schwungene Linie vor dem Him- mel über Berlin.

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Page 1: Samstag, 12. November 2011 17 Meter Baustahl Später ... · Inge Deutschkron, Lala Süsskind, die Vorsitzende der Jüdischen Ge-meinde zu Berlin, und Klaus Sta-eck, Präsident der

Der Künstler: Ulrich Klages entwarf das Denkzeichen für Georg Elser

Der Mann, der das Denk-zeichen an der Berliner Wil-helmstraße für den schwä-bischen Hitler-AttentäterGeorg Elser geschaffen hat,ist ebenfalls Schwabe:Ulrich Klages (57) stammtaus Biberach.

Klages ist gelernter Kerami-kermeister. Nach seiner Be-rufsausbildung studierte eran der Universität KasselBildhauerei. Vor 15 Jahrenzog Klages dann nach Ber-lin, wo er seither als selbst-ständiger Designer undKünstler arbeitet.

„Elser ist nicht hoch genug zu schätzen“Herr Klages, die Bezeichnungenfür ihr Werk gingen schon vorseiner feierlichen Übergabeweit auseinander: Denkmal,Mahnmal, Denkzeichen – wo-mit haben wir es denn wirklichzu tun?

Es ist gut, dass Sie diese Fragestellen. Die Stadt Berlin hatte inihrem Wettbewerb ausdrücklichein Denkzeichen ausgeschrieben.Diesen Begriff finden Sie im Du-den nicht, aber er ist raffiniert ge-wählt, weil er den Betrachter auf-fordert, eine klare Position zu be-ziehen. Damit ist keine Ausein-andersetzung auf der sachlichenEbene gemeint, denn die Faktenstehen längst zweifelsfrei fest. Esgeht darum, eine ethische Posi-tion einzunehmen. Und dieseDiskussion kann natürlich nieabgeschlossen sein.

Ihre Haltung ist die, dass . . .

. . . Elsers Tat ihre Rechtfertigunghatte in der damaligen histori-schen Situation.

Weshalb haben Sie sich ent-schlossen, im Unterschied zueiner klassischen Büste ElsersPorträt auf seine Silhouette zureduzieren?

Wir erkennen Formen, die unsnahe stehen, sofort. Etwa ein

menschliches Profil. Wer die Wil-helmstraße entlang geht, wird inZukunft entweder sagen: Das istGeorg Elser. Oder aber er kanndas Profil keinem konkretenMenschen zuordnen und infor-miert sich dann vor Ort, um wenes sich handelt. Dafür gibt es eineTafel mit einem Abriss von ElsersLeben und in den Gehweg einge-lassene Zitate.

Dort steht . . .

. . . zum einen seine zentrale Aus-sage: „Ich habe den Krieg verhin-dern wollen.“ Zum anderen dieethische Begründung seinesHandelns: „Ich wollte ja auchdurch meine Tat ein noch größe-res Blutvergießen verhindern.“Und dann die Beschreibung, wieer sein Ziel erreichen wollte, dassnämlich „die Verhältnisse inDeutschland nur durch eine Be-teiligung der augenblicklichenFührung geändert werden könn-ten“.

Wie haben Sie sich inhaltlichauf Ihre Arbeit vorbereitet?

Viele Informationen habe ichüber den Elser-Arbeitskreis inHeidenheim bezogen. Eine wei-tere wichtige Quelle war die Ge-denkstätte Deutscher Widerstandin Berlin. Außerdem hat RolfHochhuth sehr viel erzählt.

Hatten Sie sich schon vor demWettbewerb mit Elser beschäf-tigt?

Oh ja. Ich bin in Biberach aufge-wachsen und habe dort schonum das Jahr 1970 in der Schuleviel über Elser erfahren.

In Heidenheim und Königs-bronn sah das anders aus.

Nun, viele der Referendare anunserer Schule kamen in diesenunruhigen Zeiten aus Tübingen,und dort hat man sich damals

sicher stärker und entschiedenerals anderswo mit dem Tun derElterngeneration auseinanderge-setzt.

Wie stark war Ihre Arbeit vonder persönlichen Beschäftigungmit der Geschichte des Wider-stands beeinflusst?

Die Möglichkeit, mich künstle-risch über Georg Elser zu äußern,empfand ich als sensationell. Ichhabe mich deshalb sehr sorgfältigvorbereitet, im Computer einräumliches Modell von der Wil-

helmstraße entworfen, das Denk-zeichen hineingestellt und des-halb auch schon früh gewusst,wie es aussehen wird.

Und, zufrieden?

Ich bin platt, wie sehr es mit demEntwurf übereinstimmt. Und esist absolut gut so, wie es ist. UmElsers Profil möglichst exakt zutreffen, habe ich Bildmaterial ver-messen, gezeichnet, im Compu-ter räumlich gedreht und dannüberprüft, ob es sich mit Foto-grafien deckt.

Weshalb haben sie ausschließ-lich Baustahl als Werkstoff ver-wendet?

Elser war ein sehr guter Hand-werker, der Dinge so gemachthat, dass sie vernünftig und sinn-voll waren. Deshalb wollte auchich ein nüchternes Material ein-setzen.

Liegt auch der von Ihnen ge-troffenen Wahl des Standortseine nüchterne Überlegung zu-grunde?

Natürlich. Schauen Sie: Das Ob-jekt zeichnet sich nur gegen denHimmel ab und nicht gegen diesegesichtslosen Plattenbauten, diehier in der Endphase der DDRnoch gebaut wurden. Es ist alsoso singulär, wie Elser als Einzel-person in Erscheinung trat. Au-ßerdem steckt eine ungeheuresymbolische Bedeutung dahinter,dass jetzt genau an der Stelle anElser erinnert wird, an der HitlersReichskanzlei stand. Das Denk-zeichen befindet sich im ehema-ligen Zentrum der Macht. Ichempfinde schon eine große Be-friedigung, dass wir gerade hierdiesen Menschen würdigen, dersich einem verbrecherischen Re-gime mit all seiner Kraft ent-gegenstellte. Elser ist nicht hochgenug zu schätzen.

Interview: Michael Brendel

Zahlreiche geladene Gäste aus Politik, Kultur und Wirtschaft sowie mehrere Hundert interessierte Menschen von nah und fern nahmen ander Feierstunde in Berlin-Mitte teil. Eröffnet wurde sie von Kulturstaatssekretär Andre Schmitz (am Rednerpult). Gefragter Interviewpartner:der Dramatiker Rolf Hochhuth, Initiator des vorgeschalteten Kunstwettbewerbs (kleines Bild links). Zum Denkzeichen gehören auch in denGehweg eingelassene Zitate Elsers, die seine Motivation und ethische Haltung verdeutlichen. Fotos: Brendel

Später Triumph eines mutigen MenschenNach europaweitem Wettbewerb: An der Berliner Wilhelmstraße erinnert jetzt ein Denkzeichen an Georg Elser

Georg Elser hat den Versuch,Adolf Hitler im Münchner Bür-gerbräukeller zu töten, mitdem Leben bezahlt. Jetzt, 72Jahre nach dem gescheitertenAttentat vom 8. November1939, erinnert in Berlin einDenkzeichen an ihn. Ironie desSchicksals: Es steht dort, wosich einst die Machtzentraledes nationalsozialistischenTerrorregimes befand.

MICHAEL BRENDEL

Die größte Ehrerbietung zeigt sichmanchmal in einer kleinen Geste:Mit zitternden Händen legt einvom Alter gebeugter Mann eineweiße Rose am Fuße der stähler-nen Skulptur nieder, die seit eini-gen Tagen an der Wilhelmstraße inBerlin steht. Der Greis hält mit ge-senktem Kopf einige Sekundeninne und drückt damit schwei-gend aus, was wenig später meh-rere Redner an diesem geschichts-trächtigen Ort in Worte fassenwerden: eine Verneigung vor ei-nem Mann, dessen aus politischerÜberzeugung resultierende Tatviele Jahre lang nicht die ihr ge-bührende Würdigung erfahrenhatte – Georg Elser.

Im Berliner Bezirk Neukölln istzwar bereits eine Schule nachElser benannt, und an der Straßeder Erinnerung vor dem Bundes-innenministerium steht eine Büs-te Elsers, der einst nach seinerFestnahme nur wenige Meter ent-fernt in Gestapohaft misshandeltwurde.

Weitaus symbolträchtiger istfreilich das Denkzeichen, das jetztam 72. Jahrestag des Attentats aufHitler offiziell eingeweiht wird.Denn: Es befindet sich auf demGelände der früheren Reichskanz-lei und damit „im Vorhof derMacht des Dritten Reiches“, wieder Künstler Ulrich Klages wäh-rend der Feierstunde sagte.

Gegenstückzum Führerbunker

„Absolut passend“ findet der Dra-matiker Rolf Hochhuth (80), dersich jahrzehntelang für die nun er-reichte Würdigung Elsers stark ge-macht und einen Kunstwettbe-werb angeregt hatte, den Standort.Er stelle ein Gegenstück zum ehe-maligen Führerbunker dar, dessenReste sich jenseits eines gesichts-losen und noch kurz vor der Wen-de für prominente SED-Mitgliedererrichteten Plattenbaus im Bodenbefinden.

„Täglich sehe ich dort 40 Reise-busse aus aller Welt anhalten, da-mit Schaulustige eine Schautafelbetrachten können, auf der außerdem Grundriss der von Stalin zu-geschütteten Anlage nichts zu se-

hen ist“, ereiferte sich Hochhuth.Die Nachwelt sei „so ekelhaft, an-statt der Opfer zu gedenken.“

Dem Denkzeichen attestierteHochhuth, „absolut geglückt undvon einsamer Größe“ zu sein. Eswerde Elser gerecht, der es ver-dient habe, als Person und nichtdurch ein gegenstandsloses Kunst-werk dargestellt zu werden.

Hochhuth las aus seiner vor 40Jahren verfassten Ballade, in der erElser als „Einsamsten in seinemVolk“ und als „Tell totalitärer Zei-ten“ bezeichnet hatte. Dass Elser –in Hermaringen geboren, lange inKönigsbronn zu Hause, nach sei-ner Verhaftung mit Blick auf einenmöglichen Schauprozess jahrelanginhaftiert und wenige Tage vorEnde des Zweiten Weltkriegs imKonzentrationslager Dachau er-mordet – im Nachkriegsdeutsch-land lange die ihm zustehendeEhrerbietung versagt geblieben sei,beweise: „Dies Volk liebt zwar dieFreiheit, doch nicht die, die sichfür sie geopfert.“

Anders werde es sich nun an derGedenkstelle in Berlin-Mitte ver-halten, zeigte sich Hochhuth über-

zeugt: „Das Denkzeichen wird ste-hen, solange es Berlin gibt. UndElser ist ein Vorbild, solange je-mand deutsch spricht.“

Der Berliner Kulturstaatssekre-tär Andre Schmitz bezeichnete El-ser als „Lichtgestalt in dunklenZeiten, weil er wie wenige im Drit-ten Reich Recht und Unrecht un-terscheiden konnte“. Zudem habeer in seinem Aufbegehren gegendie nationalsozialistische Führunggezeigt, wie viel ein Einzelner be-wegen könne. Unter großem Bei-fall der Zuhörer wies Schmitz da-rauf hin, dass ein Privatmann, derungenannt bleiben wolle, mit ei-ner Spende in Höhe von 50 000Euro zur Finanzierung des rundviermal so teuren Denkzeichensbeigetragen habe.

Rund 150 geladene Gäste undein Mehrfaches an Interessierten,darunter einige Zeitzeugen, nah-men an der Feierstunde unweitdes Denkmals für die ermordetenJuden Europas teil. Zu ihnen zähl-ten Klaus Schütz, ehemals Regie-render Bürgermeister Berlins,Bundestagsvizepräsident Wolf-gang Thierse, die Schriftstellerin

Inge Deutschkron, Lala Süsskind,die Vorsitzende der Jüdischen Ge-meinde zu Berlin, und Klaus Sta-eck, Präsident der Berliner Akade-mie der Künste.

Viele Gäste aus demKreis Heidenheim

Auch aus dem Brenztal hatten sichzahlreiche Personen auf den Wegin die Bundeshauptstadt gemacht.Landrat Hermann Mader zeigtesich dort begeistert von dem dieBaumreihe entlang der Wilhelm-straße überragenden Zeichen:„Das weithin sichtbare Profil einesMenschen, der genau dieses ge-habt hat – das ist großartig.“ Ähn-lich äußerte sich Joachim Zillervon der Elser-Gedenkstätte in Kö-nigsbronn. Er bezeichnete dasKunstwerk als „würdig und außer-gewöhnlich“.

Seitens des Heidenheimer Ge-org-Elser-Arbeitskreises sprachManfred Maier von einem großenTag für alle, die Elser wertschätz-ten. Diesem werde nun ein „späterTriumph über das NS-Regime“ zu-

teil. Regierungspräsident JohannesSchmalzl betrachtete seine Teil-nahme an der Veranstaltung als„ehrenvolle Aufgabe“. Wenngleichlange Zeit bis zu dieser denk-würdigen Stunde vergangen sei, sogelte doch: „Besser spät als nie.“

Bei einem Empfang in der ba-den-württembergischen Landes-vertretung war anschließend einZyklus aus Radierungen des ver-storbenen Göppinger KünstlersKurt Grabert über Georg Elser zusehen.

Peter Friedrich, Minister fürBundesrat, Europa und Internatio-nale Angelegenheiten des LandesBaden-Württemberg, nannte Ge-org Elser bei dieser Gelegenheitden „schwäbischsten aller Atten-täter: durchaus das, was maneigen nennt, aber auch ein Schaf-fer und Tüftler“, den sich nach-folgende Generationen als Beispielnehmen könnten.

Auch in dieser Hinsicht scheintder Standort des Denkzeichens gutgewählt: Nur wenige Schritte ent-fernt liegen ein Jugendzentrumund die Grundschule am Bran-denburger Tor.

17 MeterBaustahlWerk zeigt Elsers GesichtsprofilLange Jahre setzte sich der Dra-matiker Rolf Hochhuth für eineangemessene Würdigung GeorgElsers in Berlin ein. Sein Wunsch,zum 70. Jahrestag des fehlgeschla-genen Bombenattentats am 8. No-vember 2009 ein Denkmal zu ent-hüllen, blieb unerfüllt.

Allerdings lief damals bereitsein von Hochhuth initiierter undvom Berliner Senat ausgerufener,europaweiter Kunstwettbewerb.Aus 207 eingereichten Entwürfenwählte eine Jury zunächst zwölfzur weiteren Überarbeitung aus.Das Preisgericht entschied sichschließlich einstimmig für denWettbewerbsbeitrag von UlrichKlages. Die 17 Meter hohe Stahl-skulptur zeigt das gleichsam inden Himmel gezeichnete Ge-sichtsprofil Elsers, das bei Dun-kelheit durch ein Band aus LED-Leuchten erhellt wird. Hinzukommen drei des Nachts ebenfallsleuchtende Zitate Elsers, die inden Gehweg eingelassen sind.

Auf dem zweiten Platz landeteein Entwurf des Künstlers ThomasEller. Bemerkenswerterweise warElser vor seiner Ermordung unterdiesem Decknamen als sogenann-ter Schutzhäftling im KZ Dachaugefangen gehalten worden. bren

DAS BESONDERE THEMA Samstag, 12. November 2011 28

Weithin sichtbares Zeichen derErinnerung: die Silhouette vonGeorg Elsers Gesicht als fein ge-schwungene Linie vor dem Him-mel über Berlin.