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SAR BACHAN Der Yoga des Tonstromes Eine Zusammenfassung der Lehre von Soami Ji Maharaj über die Praxis des Surat Shabd Yoga

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SAR BACHAN

Der Yoga des Tonstromes

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Eine Zusammenfassung der

Lehre von Soami Ji Maharaj

über die

Praxis des

Surat Shabd Yoga

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Soami Seth Shiv Dayal Singh

“Soami Ji“

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Einführung der englischen Erstausgabe

Geschichte und Lebensläufe

Der Verfasser [Julian Johnson] dieser Einführung ist von dem geliebten Meister [Sawan Singh], der diese Übersetzung unterstützt, gebeten worden, ein paar erklärende Worte zu diesem Text zu verfassen, damit der Leser darauf vorbereitet ist, seinen Inhalt zu verstehen.

Gleichzeitig überlegte man, daß es angebracht sei, einen kurzen biographischen Bericht über das Leben jener Meister zu erstellen, die wesentlich zu der Entwicklung des Satsang beitrugen. Diese Darstellung hat nur mit dem Aufblühen der Spiritualität im Pandschab und den drei Meistern1 zu tun, die sie bewirkt haben.

Param Sant Soami Ji Maharaj: Wie alle Schüler dieses Glaubens wissen, wurde die Radha Swami Lehre2 zu allererst formuliert und der Welt bekanntgegeben von Param Sant Soami Ji Maharaj, dessen richtiger Name Seth Shiv Dayal Singh war. Er wurde am 25. August 1818 um ca. 4.00 Uhr morgens in Agra, in den Vereinigten Provinzen Indiens geboren. Seine Familie stammte von den Baikal Seth Kschatriyas3. Der Name seines Vaters war Seth Dilwali Singh und der Name seiner Mutter Maha Maya. Seit frühster Kindheit erläuterte er tiefe geistige Lehren. Viele versammelten sich und lauschten seinen Worten der Weisheit. Später schrieb er die Hauptgrundsätze seiner Botschaft nieder. 1 Mit diesen drei Meistern sind Tulsi Sahib, Soamiji und Hazur Sawan Singh gemeint. Soamiji war ein Schüler von Tulsi Sahib von Hathras (50 km nördlich von Agra gelegen), der das Licht der Spiritualität von Poona brachte, also von Guru Gobind Singh über Ratnagar Rao. Für Einzelheiten wird auf „Leben und Lehren eines großen Heiligen - Baba Jaimal Singh“ von Kirpal Singh verwiesen. 2 Hier wird für die Lehre von Sant Mat der Begriff „Radha Soami Lehre“ gebraucht. 3 Eine der vier indischen Kasten; und zwar die der Krieger und weltlichen Machthaber.

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Seine Lehre ist in zwei Bänden dargestellt, dem Sar Bachan4 in Prosa und dem Sar Bachan der Gedichte. Die Prosa-Ausgabe wird hiermit zum ersten Mal der Welt auf Englisch angeboten. Soami Ji schrieb seine Lehre nieder und begann im Januar 1861 öffentlich Satsang zu halten, nachdem er in einem dunklen Hinterzimmer 17 Jahre in Meditation verbracht hatte.

Die Lehre Soamijis war nicht vollkommen neu, sie ist von vielen früheren Heiligen, wie Kabir Sahib, Guru Nanak, Tulsi Sahib und anderen verkündet worden. Fast alle alten religiösen Schriften weisen auf den Tonstrom hin, natürlich mit unterschiedlichen Bezeichnungen. Die Veden nennen ihn Nad, die Mohammedaner nennen ihn Kalma oder Ism-i-Azam, die Bibel bezeichnet ihn im 1. Kapitel des Johannesevangeliums als das Wort, und die modernen Heiligen in Indien nennen ihn Shabd. Doch der einmalige Dienst, den Soami Ji der Menschheit erwiesen hat, war die einfache und verständliche Art, in der er die Praxis des Tonstromes lehrte. So machte er dessen unschätzbare Vorteile allen zugänglich und zugleich alle alten Yogaarten unmodern und überflüssig. Die Übung des Tonstromes, die Soami Ji lehrt, bringt dem Liebenden5 alle Vorteile ein, die die Anhänger der alten Yogaarten jemals anhäuften. Er trägt den Schüler sicherer und viel schneller zu Höhen, von denen die alten Yogis nicht einmal zu träumen wagten. Die spirituelle Übung beginnt am Tisra Til oder Dritten Auge, das ist ein Zentrum in der Mitte hinter den Augen (die Zirbeldrüse), und von diesem Punkt aus geht es aufwärts. Folglich beginnt sie an einer Stelle, an der die meisten der alten Methoden enden, und führt dann zu unendlich hohen Regionen. Die erste Station, die der Liebende durch diese Methode erreicht, schenkt ihm ein Überbewußtsein und eine Kraft, die jener gleicht, die die alten Yogis oder Mahatmas besaßen, denen der Pfad der Heiligen nicht bekannt war. Wenn ein Schüler des Radha Soami das endgültige Ziel erreicht hat, befindet er sich in der rein geistigen Region, im ersten großen Bereich der Schöpfung, weit über all den

4 Sar Bachan bedeutet: wahre oder offenbarte Worte (Sar = Wesen, Kern einer Sache; Bachan = Wort). 5 Die Worte „Liebender“ oder „Geliebter“ beziehen sich auf eine rein spirituelle Art von Liebe.

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Himmel, die den meisten Menschen des Altertums bekannt waren. Auf diesen Pfad, der zu unvergleichlichen Höhen führt, hinzuweisen, war ein Teil der Mission des großen Heiligen aus Agra. Er soll während seines Lebens über viertausend Menschen eingeweiht haben. Er beendete dieses Leben am 15. Juni 1878.

Einer der hingebungsvollsten Schüler von Soami Ji war Baba Jaimal Singh Ji Maharaj.

Baba Jaimal Singh Ji Maharaj wurde im Juli 1839 geboren. Der Name seines Vaters war Sardar Jodh Singh, und seine Mutter hieß Shrimati Daya Kaur. Als Kind von nur sieben Jahren las er die Gurmukhi-Schriften6 von Baba Khem Das, der ein Vedantist und ein Mahatma war. Durch den Einfluß dieses guten Mannes und durch das Lesen der heiligen Schriften der Sikh-Gurus wuchs in Baba Jaimal Singh ein großes Verlangen nach spiritueller Verwirklichung. Schon in dieser Zeit sah er ein geistiges Licht im Innern. Während er den heiligen Granth Sahib studierte, entdeckte er den Hinweis auf Fünf Melodien, die ständig im Menschen widerhallen und bei richtiger Übung gehört werden können. Er besprach diese Angelegenheit mit seinem Freund Baba Khem Das, doch dieser konnte ihm die Sache nicht erklären. Auf der Suche nach einer Lösung dieses Problems reiste er - noch als Junge - zu verschiedenen Mahatmas. Keiner konnte ihm helfen. Schließlich stimmte ihm ein Weiser - ein Studierender des Granth Sahib - bezüglich der Fünf Melodien im Menschen zu, doch er hatte persönlich nur zwei dieser Melodien erfahren und konnte ihm hinsichtlich der anderen nicht helfen. Er bat andere spirituelle Lehrer um Rat, jedoch vergeblich, um schließlich heimzukehren. Er war nun sechzehn Jahre alt. Als er Beas im Pandschab erreichte, traf er eine Gruppe von Sadhus, die nach Rishikesh wollten, und begleitete sie. In Rishikesh nahm er am Satsang eines jeden Mahatmas dort teil, ständig auf der Suche nach der Einen Wahrheit. Niemand von ihnen konnte ihm helfen. 6 Gurmukhi ist eine indische Schrift, die der Devanagari-Schrift ähnelt, in der man Sanskrit und Hindi schreibt; sie wird im Pandschab für die Sprache Pandschabi (dem Hindi nahe verwandt) gebraucht Auch der Guru Granth Sahib ist in dieser Schrift geschrieben. Mit „Gurmukhi-Schriften“ wird der Guru Granth Sahib bezeichnet.

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Schließlich hörte er von einem Sadhu, der in einem weit entfernten Dschungel lebte. Er ging zu ihm. Als der Sadhu ihm sagte, es sei wegen der Tiger und Bären gefährlich, im Dschungel zu leben, erwiderte er, wenn die wilden Tiere ihm nichts antäten, bestünde kein Grund für jemand anderen, Angst zu haben. Dies gefiel dem Sadhu sehr, und er sagte ihm, er solle nach Agra gehen, wo ein perfekter Mahatma lebte, der ihn in die Fünf Melodien einweisen könne.

Baba Jaimal Singh ging nach Agra und war voller Freude und Hoffnung, eine endgültige Lösung seines Problems zu finden. Er hatte einige Schwierigkeiten, diesen Mahatma zu finden; doch schließlich hörte er zufällig wie zwei Männer, die im Yamuna-Fluß badeten, über den Satsang des großen Mahatmas sprachen; und nachdem er sich erkundigt hatte, wo dieser Mahatma lebte, fand er ihn schließlich. Somit endete seine lange Suche. Soami Ji weihte ihn nach ein paar Vorträgen ein; und von dieser Zeit an war die spirituelle Praxis seine Hauptbeschäftigung. Er machte raschen Fortschritt. Eines Tages fragte Soami Ji Baba Jaimal Singh, ob der Pfad Guru Nanaks der richtige sei. Er antwortete: "Der Pfad ist schon richtig; doch obwohl ich aufsteigen möchte, stößt meine Seele auf Hindernisse." Soami Ji erwiderte: "Du hast diese Übung schon vollbracht7; es ist nur eine scheinbare Blockierung." Baba Ji fragte: "Was ist der Beweis dafür, daß ich die Übung schon vollbracht habe?" Soami Ji antwortete: "Wenn du einen Beweis haben möchtest, dann setze dich zum Bhajan nieder und schließe deine Augen." Danach zog Soami Ji seine Seele hinauf zu Daswan Dwar; der Sarup (die Strahlengestalt des Meisters) war den ganzen Weg über bei ihm. Dann brachte er die Seele zurück. Baba Ji sagte: "Mit Hilfe Eurer Gnade habt Ihr mich durch all die Regionen von Maya geführt. Nun sind die höheren Regionen (Ebenen) leichter zu durchqueren. Nun sagt mir, welchen heiligen Ort soll ich aufsuchen, damit ich mich den Übungen ganz hingeben kann?" Soami Ji lächelte und sagte: "Wenn du ein Leben wie ein Einsiedler führst, wirst du, was deine Nahrung angeht, von anderen abhängig sein, was deinen Bhajan

7 Damit ist sicher gemeint, daß er diese Übung in seiner letzten Geburt schon zur Vollendung gebracht hat.

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beeinträchtigen wird. Du solltest deinen Lebensunterhalt besser selbst verdienen." Baba Ji sagte: "Ich bin in die Kaste der Bauern geboren, und wenn ich als Bauer arbeite, werde ich heiraten müssen, wozu mir aber jede Neigung fehlt." Soami Ji antwortete: "Melde dich freiwillig zur Armee." So trat er am 14. Juli 1856 in das 24. Sikh Regiment ein. Obwohl er einen anstrengenden Dienst hatte, sah man ihn oftmals arbeiten, nachdem er die ganze Nacht mit spiritueller Übung verbracht hatte. Und selbst als er nach Beas zurückkehrte, verbrachte er viele Stunden des Tages und der Nacht mit solcher Übung. Wenn er manchmal auf Urlaub kam, lebte er von altgebackenem Fladenbrot, das er in Wasser tränkte und aß, wonach er sich sofort wieder seinen Übungen zuwandte. Wann immer er die Zeit hatte, verbrachte er sie beim Satsang und Darshan von Soami Ji Maharaj. Im Oktober 1877, als Baba Ji auf Urlaub kam, sagte Soami Ji Maharaj zu ihm:

"Dies ist unser letztes Zusammentreffen. Nun werde ich, nachdem meine Pilgerfahrt in diesem Leben vollendet ist, nach Param Dham (die ewige Heimat) gehen. Ich habe dich zu meinem Geliebten8 gemacht, zu meinem eigenen "Rup" (meinem Selbst oder meiner Gestalt)." Bhai Chanda Singh bat dann darum, daß im Punjab mit dem Satsang begonnen werden sollte. Soami Ji Maharaj entgegnete: "Der Akal Purush9 hat diese Bitte akzeptiert, und diese Aufgabe wurde Baba Jaimal Singh übertragen." Dann gab Soami Ji Maharaj seinen eigenen Turban Baba Ji als Parshad und beauftragte ihn, im Pandschab Naam zu predigen.

Nach einer Dienstzeit von 34 Jahren - zwei davon wurden nicht angerechnet, da er bei seinem Eintritt minderjährig war - ging Baba Ji am 18. August 1889 in Pension. Nach einem kurzen Aufenthalt zu Hause und in Dhaliwal10 ging er 1891 nach Beas und begann Satsang zu halten. Zu dieser Zeit bestand die Dera11 nur

8 Damit ist nicht ein Geliebter im weltlichen Sinn gemeint; diese Liebe ist rein spirituell - von Seele zu Seele. 9 „akal“ heißt „jenseits von Zeit und Raum, Tod und Vergänglichkeit„ - der Akal Purush ist der zeitlose Herr, der Schöpfer des Universums, auch Sat Purush genannt. 10 Ein kleiner Ort in der Nähe von Jalandhar im Pandschab, Indien. 11 Dera heißt Siedlung

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aus einer etwas besseren Lehmhütte in der Wüste, die weder vor der unerträglichen Hitze im Sommer noch vor den kühlen Winden des Winters schützte. Der Platz, der von Baba Jaimal Singh für die zukünftige Dera ausgewählt wurde, befindet sich in der Nähe von Amritsar, am westlichen Ufer des Beas-Flusses, drei Meilen nördlich der Stelle, wo die West Eisenbahn über den Fluß führt und wo der Bahnhof von Beas liegt. Dieser Platz ist fünfzigtausend Satsangis heilig. So wurde das Werk im Pandschab von Baba Jaimal Singh gegründet, und hier führte er die Arbeit elf Jahre weiter. Am 29. Dezember 1903 verließ er diese Welt und übergab sein Werk an Hazur Maharaj Sawan Singh Ji, den er etwa sechs Monate vor dem Ableben zu seinem Nachfolger ernannte.

Hazur Maharaj Sawan Singh Ji wurde in der Nacht des 19. auf den 20. Juli 185812 in dem Ort Jatana in der Nähe von Mehmansingwala, im Bezirk von Ludhiana, im Pandschab geboren. Er hat jede ausführliche und weitschweifige Beschreibung über seine eigene Person verboten. Darum wird vieles, was wir gerne sagen würden, nicht erwähnt. Als junger Mann trat er in den Staatsdienst ein, in die Abteilung für das Militäringenieurwesen, nachdem er seine Ausbildung im Thompson Civil Engineering College (staatliche Ingenieur-Schule) von Roorkee im Staat Uttar Pradesh beendet hatte. Sein Vater war Offizier im 14. Sikh Regiment. Als er starb, trat der Sohn in dasselbe Regiment ein, und das Offiziers-Patent wurde ihm nach drei Jahren erteilt. Nach seiner Ingenieurs-Ausbildung kehrte er zu seiner Kompanie zurück und wurde in den Militärdienst übernommen, wo er achtundzwanzig Jahre diente, bevor er 1911 in Pension ging. Von dieser Zeit an widmete er sich völlig dem Dienst für die Menschen. 12 Früher wurde der 27. Juli als Geburtsdatum angegeben, da an diesem Tag normalerweise der Geburtstag in der Dera gefeiert wurde, denn Hazur Maharaj Ji war an seinem Geburtstag gewöhnlich auf Satsang-Reise in den Bergen. Sein eigentlicher Geburtstag ist gemäß dem indischen Kalender der 5. Sawan (ein Monat des indischen Kalenders) 1915 Bikrami (indischer Kalender), der dem 19./20 Juli 1858 entspricht.

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Ein Ereignis bildete das bindende Glied zwischen seinem Leben als normaler Bürger und seiner spirituellen Arbeit. Daher scheint es angebracht, diese Begebenheit hier zu erwähnen. Er hatte lange einen wirklichen Meister gesucht. Er hatte die heiligen Schriften der Sikhs ernsthaft studiert und viele Mahatmas auf der Suche nach dem inneren Licht aufgesucht. Als er schließlich in den Murree-Bergen im Dienst war, besuchte Baba Jaimal Singh, der zu dieser Zeit für seine Heiligkeit und für sein tiefes spirituelles Verständnis bekannt war, diese Berge. Dieser Heilige sagte eines Tages zu einem seiner Schüler, während der junge Offizier an ihnen vorbei ging: "Das ist der junge Herr, für dessen Einweihung wir gekommen sind." Der Schüler antwortete: "Wie kann das sein, wenn er Euch noch nicht einmal bemerkt hat?" Doch der Heilige sagte: "Am vierten Tag wird er zu uns kommen." Und so hörte der junge Offizier Sawan Singh Sahib am vierten Tag, daß ein heiliger Mann in der Nähe Satsang hielt, und er kam, um ihn zu sehen und zu hören. Er war tief beeindruckt und fühlte sich sehr zu diesem Mahatma hingezogen, und nach einigen Unterredungen wurde er am 15. Oktober 1894 von Baba Jaimal Singh eingeweiht. Daraufhin widmete er sich unablässig der Arbeit des Meisters, und Baba Jaimal Singh übergab ihm im Juni 1903 sein Werk in Beas. Als im folgenden Dezember Baba Jaimal die irdische Ebene verließ, führte der neue Meister das große Werk im Pandschab fort.

Wir können sagen, daß die Dera, die einst ein Fleck in der Wüste war, zu einer kleinen Stadt von fast 100 Häusern herangewachsen ist, und die Zahl der Eingeweihten stieg von ungefähr viertausend auf fünfzigtausend.13

Die ganze Zeit über ist die Konstruktion ausgezeichneter Gebäude in Planung, und in Kürze werden die Arbeiten für das neue Satsanghalle beginnen, die über zehntausend Menschen einen Platz bieten wird.

13 Im Jahre 1934.

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Gegenwärtig beläuft sich die Teilnehmerzahl der monatlichen und der Bhandara14-Satsangs auf einige hunderttausend, und die Anzahl der Einweihungen, die jährlich gewährt werden, auf hunderttausend. Die Dera entwickelte sich zu einem modernen Stadtbezirk mit einer einzigartigen Struktur in einer angenehmen Lage. Breite Straßen, verschiedene Baumalleen, Wiesen, Parks und besonders die in der Luft liegende Stille und Ruhe tragen sehr zu ihrem Zauber bei.

Der Meister reist in alle Teile des Pandschabs und darüber hinaus, damit er so oft wie möglich Satsang halten kann. Alle kommen zu ihm, die Hoch- und Niedriggestellten der Welt, die Gebildeten und die Ungebildeten - sie alle empfangen seine Botschaft mit Freude und geben ihm als Schüler ihre Liebe und Hingabe.

Die Arbeit dieses großen Meisters breitet sich nun auch im weit entfernten Amerika aus, wo mittlerweile eine große Zahl seine Hilfe bei ihren Anstrengungen um Befreiung (von der Mühsal der irdischen Welt) empfängt. Das ist ihre Gelegenheit. Das Große Licht beginnt nun im Westen aufzuleuchten. Um dieses Werk zu unterstützen, wurde dieses schmale Buch als persönliche Botschaft für jene verfaßt, die das Licht auf dem Pfad suchen.

II. Grundsatz und Erläuterung

Der hier vorliegende Text des Sar Bachan basiert auf Notizen aus Vorträgen von Soami Ji Maharaj. Sie wurden weder bei einer einzigen Sitzung notiert, noch war es immer dasselbe Publikum. Deshalb kommt es zu einigen Wiederholungen, die von einem rein literarischen Standpunkt aus betrachtet, störend wirken mögen, jedoch für den Schüler von wirklichem Nutzen sind. Jede große Wahrheit, besonders wenn sie recht neu für den Leser ist, muß mehrmals wiederholt werden, damit sie im Gedächtnis haften bleibt. Darum sollte man hoffen, daß jene, die dieses Buch lesen, es nicht als Unterhaltung lesen, sondern um eine Lebenswahrheit zu entdecken.

14 Religiöses Fest an einem Gedenktag für einen früheren Meister.

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Das gesamte Buch wurde von einem ausgebildeten Übersetzer ins Englische übersetzt, doch sollte es irgendwelche Abweichungen von den genauen Formulierungen des Originaltextes geben, so ist allein der Schreiber dafür verantwortlich. Einige Änderungen waren jedoch notwendig, um den Erfordernissen der englischen Sprache gerecht zu werden. Doch wir sind überzeugt, daß die wirkliche Bedeutung und der Sinn des Original-Textes in keinem Fall verloren gingen.

Ein Glossar von Fachausdrücken wurde am Ende des Buches hinzugefügt.15 Das erschien nötig, da die Fachausdrücke nicht immer übersetzt werden können. Fachausdrücke sind in dieser Wissenschaft sicher genauso notwendig, wie in der Chemie, Astronomie oder Medizin. Man muß berücksichtigen, daß - während diese Art Lehre für den westlichen Verstand verhältnismäßig neu ist - der Osten und besonders Indien, gut in geistiger Philosophie und Wissenschaft ausgebildet war, lange bevor die Römer oder Alexander der Große je von einer Weltmacht geträumt hatten; zu einer Zeit, in der nichts als Wilde durch die riesigen Prärien und tiefen Wälder des heute so stolzen Amerikas wanderten. Diese Wissenschaft war den großen Lehrern Indiens wohl vertraut, lange bevor Ägypten als die Quelle geheimnisvollen Wissens angesehen wurde. Eigentlich erhielten die Ägypter ihre ersten Lehrstunden dieses Wissens von den großen Mahatmas (große Seelen) Indiens.

Liebes altes Indien! Die ganze Welt schuldet dir Dankbarkeit und muß sie langsam zurückzahlen. Die ganze Welt hat zu deinen Füßen gesessen und die uralte Weisheit gelernt. Aber nicht die ganze Welt kennt die Seele Indiens. Der Westen versteht sie noch nicht. Viele betrachten Indien als das Land der Geheimnisse oder der Armut und Unwissenheit. Sie schauen nur auf die Gezeiten des menschlichen Lebens, die in vielen hunderttausend Inkarnationen die unglücklichen Länder durchströmen. Sie kennen nicht das wahre Indien. Sie kennen nicht seine großen Lehrer, die seine Seele sind. Von ihnen sind Ströme des Lebens

15 Man möge auf das „Lexikon des Surat Shabd Yoga“ zurückgreifen; zudem werden alle indischen Fachausdrücke in Fußnoten erklärt.

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ausgegangen, die die Nationen durch undenkliche Zeiten geheilt haben. Sie sind immer die Überbringer des Lichtes der Welt gewesen. Der aufgehende spirituelle Glanz Indiens erobert gerade jetzt die Welt. Dieser Glanz ist keine Sache vergangener Zeiten. Er besteht weder aus der Weisheit ihrer geistigen Veden, noch aus dem Leben und den Worten ihres verehrten Buddhas. Er ist im Lebenden Meister verkörpert. In diesen Lehrern nimmt die Weisheit der Zeiten eine lebendige Form an, die heute lebensnotwendiger denn je ist. In ihnen wird das Wort oder die Wahrheit zu Fleisch, und sie wohnen unter den Menschen. Dieses Buch ist die Denkschrift von einem dieser großen Meister. Sie enthält die wichtigsten Grundsätze seiner Lehre. Die lebenden Meister, die die Arbeit weiterführen, sind der moderne Christus, die älteren Brüder, die Erlöser der Menschheit. Die stetige Dankbarkeit einiger Schüler in Amerika strömt nun einem dieser noblen Söhne Gottes zu, dessen liebende Güte schon Ost mit West durch einen Strom lebendigen Lichtes vereint hat.

Mit dem Versand dieses kleinen Bandes an alle englischsprachigen Sucher überall in der Welt - aber besonders in Amerika - hofft der Meister auf Resonanz bei allen, die auf eine Veröffentlichung zu diesem Thema gewartet haben. Dieses Buch ist nicht nur das Werk eines großen Meisters, sondern es wird von einem der größten Meister der heutigen Zeit gefördert. Die darin enthaltene Lehre ist daher maßgebend. Es enthält keine Spekulationen und es handelt sich nicht um einen weiteren Band von Glaubensbekenntnissen. Es beschreibt die tatsächliche Wahrheit, die auf der wirklichen Erfahrung des Lehrers beruht. Es gibt nur das bekannt, was er selbst gesehen und gehört hat, und wovon er weiß, daß es wahr ist.

Manche der Lehren in diesem Buch sind für den Suchenden aus dem Westen so neuartig und überraschend, daß er beim ersten Lesen ziemliche Schwierigkeiten haben wird, ihre tiefere Bedeutung zu verstehen.16 Ohne Erklärung würden viele es lesen,

16 Bei diesen Hinweisen muß man bedenken, daß die Spiritualität im Sinne von Sant Mat im Westen (USA und Europa) damals etwas völlig

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ohne wirklich zu wissen, was damit gemeint ist. In dieser Einführung wird der Versuch unternommen, den Verstand des Suchenden vorzubereiten, indem ihm eine Art Blick aus der Vogelperspektive auf den Inhalt des Buches gewährt wird. Aber wir befürchten sehr, daß der "Vogel" in diesem Fall über ein ziemlich unvollkommenes Sehvermögen verfügt. Die Sicht ist vielleicht nicht so klar, wie sie sein sollte. Es wird nicht schwer zu verstehen sein, daß es überaus schwierig ist, das Wesen eines so weitläufigen und allumfassenden, wissenschaftlichen Systems in wenige, kurze Sätze zusammenzufassen. Aber der Versuch wurde unternommen, und der Verfasser hofft nun, daß der Leser wenigstens einen ungefähren Einblick in die vollendete Wirklichkeit erhält.

Während die Lehre dieser modernen Meister weit über alle vorhandenen Religionen hinausgeht, ist der Widerspruch zwischen ihren grundlegenden Lehren dennoch gering. Der Suchende sollte dies berücksichtigen und keinen vorgefaßten, dogmatischen Meinungen erlauben, sein Urteil zu trüben. Diese Wissenschaft wird als eine Ergänzung zu dem dargeboten, was der Suchende schon wissen mag, ganz gleich, woher er kommt. Sie trachtet nicht danach, das fortzunehmen, was er bereits hat, sondern möchten ihm ein zusätzliches Licht geben. Sollte jemals im Leben eines Suchers die Zeit kommen, in der er fühlt, etwas entdeckt zu haben, was ihn einen Schritt weiter zu dem Licht führt, dann kann er das Alte loslassen und das Neue aufnehmen. Aber er sollte das nicht so tun, als werfe er etwas Falsches und Wertloses weg, sondern er sollte es ehrfurchtsvoll als etwas, was seinem Zweck gut gedient hat, beiseite legen. Das Licht des Verstehens muß immer zunehmen, wenn Völker und Individuen zu höheren geistigen Ebenen des Bewußtseins aufsteigen.

Die Heiligen lehren, daß der ganze Plan der Schöpfung wie folgt in drei große Stufen eingeteilt ist:

Neues war. Es gab auch kaum allgemein zugängliche Literatur über Yoga und wahre Spiritualität.

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I. SAT DESH, die höchste und vollkommen reine Region. Sie ist das Reich vollkommen reinen Geistes, unvermischt mit irgendeiner Art Materie. Ihre Hauptmerkmale sind Weisheit, Liebe und Kraft oder wie manche Orientalen sie zu nennen pflegen: Reiner Geist, Freude und Energie. Dies ist der Wohnsitz des Höchsten Schöpfers und unzähliger Scharen reiner, geistiger Wesen, die unvorstellbare gottähnliche Größe und Glanz besitzen und sehr tiefes Glück genießen. Diese Region ist praktisch unbegrenzt oder grenzenlos in ihrer Ausdehnung. Sie kennt weder Tod noch Wandlung noch irgendeine Unvollkommenheit. Von ihr stammen alle unterhalb liegenden Regionen ab und werden von ihr erhalten. Der Höchste Herr jener Region ist der gütige Schöpfer und Erhalter all dieser Leben, sogar bis zu den entferntesten Grenzen der Schöpfung.

II. BRAHMAND ist die nächste große Region. Sie ist überwiegend geistig, aber mit einem gewissen Maß an feiner Materie vermischt. Aus diesem Grund wird sie die "geistig-materielle Region" genannt. Ihre Bewohner sind glücklich, so wie wir es uns nicht vorstellen können, doch sie sind nicht unsterblich, wie viele glauben. Sie leben über äußerst lange Zeitspannen und machen schließlich einen auf gewisse Art dem Tod entsprechenden Wandel durch, wenn die gesamte Region Brahmand nach einem äußerst langen Zeitturnus zur Stufe vor dessen Schöpfung zurückkehrt. Es ist die Region des Paradieses und der Himmel der meisten bestehenden Religionen. Sie ist von sehr weiter Ausdehnung, was über unser Denkvermögen hinausgeht, aber sie ist sehr klein im Vergleich zu der ersten Stufe.

ANDA wird manchmal eine Region genannt, aber es ist eine Unterteilung von Brahmand.

III. PINDA ist die dritte große Region. Sie ist die grobstoffliche Ebene mit einer begrenzten Beimischung von Geistigkeit, die für ihr Leben notwendig ist. Denn das ganze Leben hängt von der Geistigkeit ab. Hier herrscht die Materie vor. Sie wird daher die materiell-spirituelle Ebene genannt. Diese Ebene schließt alle materiellen Sonnen und ihre Planeten ein, wozu auch unsere Erde zählt. Alle zahllosen Millionen von Universen, die unseren

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Astronomen bekannt sind, sind nur ein sehr kleiner Teil der gesamten Pinda-Ebene. Und die ganze Pinda-Ebene ist wenig mehr als ein treibender Fleck im Himmel der Ebene von Brahmand. All diese physischen Universen bewegen sich in unendlicher Prozession um die größere Ebene von Brahmand und werden von ihr erhalten, so wie Brahmand von der höheren Region erhalten wird.

Es wird dem Studierenden helfen, vieles von den Radha-Soami-Lehren zu verstehen, wenn er bedenkt, daß die Schöpfung, die Regierung und Aufrechterhaltung des ganzen Universums der Universen in den Händen einer großen, spirituellen Hierarchie liegt, in Rang und Macht in einer Linie vom Höchsten Zentralen Geist bis hinunter zum Menschen. Deshalb werden in der ganzen Radha-Soami-Literatur so oft die vorstehenden Gottheiten der verschiedenen Regionen erwähnt. Alle sind in ihrem eigenen Bereich das göttliche Zentrum für die Verteilung der schöpferischen Lebenskräfte. Sie alle führen ihre Arbeit in Harmonie mit dem Höchsten Willen durch. Diese Gottheit oder Macht - gewöhnlich als negative Macht bezeichnet - ist Kal oder der Universelle Geist, der mit übertragenen und begrenzten Machtbefugnissen der ganzen Schöpfung unterhalb von Daswan Dwar vorsteht. Er ist ebenfalls eine Offenbarung der Höchsten Macht, und er führt in seiner Region den Höchsten Willen aus. Die positive Macht ist Sat Purush oder Sat Naam, der geistige und Höchste Herr von allem, was darunter liegt. Sein Thron befindet sich in Sach Khand.

Diese physischen Universen und Welten sind weit mehr dem Tod und der Wandlung unterworfen, als es Brahmand ist. Am Ende eines jeden Lebenszyklus, der viel kürzer als der Lebenszyklus von Brahmand ist, machen sie eine völlige Auflösung durch. Nach diesen Auflösungen folgen neue Schöpfungen, und ihre Bewohner erscheinen erneut unter veränderten Bedingungen, die für sie eine Verbesserung darstellen. Wie wir alle wissen, ist dies die Region, die aufgrund ihrer unaufhörlichen Wandlung und vielen Unvollkommenheiten hervorragt. Dieser Zustand besteht in all den unermeßlichen Zahlen von Planeten, die in der sternenhellen Tiefe des Raumes zerstreut sind.

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In der Tat wären unsere Aussichten in diesen niedrigen Regionen mehr als düster, gäbe es nicht eine Tatsache: Der Große Vater hat uns nicht vergessen, obwohl wir Ihn vergessen haben. Er hat uns wohl gestattet, für den Zweck unserer Entwicklung, Läuterung und Erlösung in diese Welt hinunterzugehen.17 Wenn wir rein und stark, mutig und gottähnlich geworden sind, sorgt der Vater für unsere Heimkehr. Um diese Heimkehr zu erleichtern, sendet Er Seine geliebten Söhne, die wir Heilige nennen, und die Welt ist nie ohne wenigstens einen von ihnen. Ihre Aufgabe ist es, uns nach Hause zu bringen, und alle, die zu ihren heiligen Füßen Schutz suchen, können der völligen Befreiung vom Rad des Lebens sicher sein.

Einer dieser heiligen Persönlichkeiten war der Autor dieses Buches. Andere mit gleichen Wesenszügen führen auch jetzt das große Werk der Befreiung fort.

Sofern einige unserer westlichen Suchenden sich von dieser Sichtweise gestört fühlen und denken, daß sie die allgemein anerkannte Evolutionsdoktrin verdrängt, mögen sie sich zweierlei Dinge ins Gedächtnis rufen:

(i) Sie widerspricht dem Evolutionsgesetz in keiner Hinsicht, sondern geschieht von einem weit höheren und viel umfassenderen Standpunkt aus, auf die Entwicklung des Lebens hinab. Sie trägt der menschlichen Geschichte durch Millionen von Jahren hindurch Rechnung, während das Gebiet des gewöhnlichen Wissenschaftlers nur wenige Jahrtausende umfaßt. Die Naturwissenschaftler beschäftigen sich nur mit ein paar Bruchstücken der Menschheit, die schriftliche Aufzeichnungen und Beispiele hinterlassen haben. Alte Rassen und Sippen sterben aus und unter neuen Bedingungen entstehen neue Rassen, die sich durch die Wirkung desselben allgemeinen Entwicklungsgesetzes eine Zeitlang zu höheren Zivilisationen erheben. Andere folgen ihnen nach und so geht es bis zum Ende

17 Zum Verständnis solcher Sätze muß man wissen, daß Dr. Johnson, lange bevor er zu Meister Sawan Singh kam, viele Jahre als christlicher Missionar in Asien gewirkt hat.

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weiter. Dieser Vorgang dauert seit Millionen von Jahren - seit Beginn des Sat Yuga - an. Diese Ebbe und Flut der Zivilisationen, der Aufstieg und Fall großer Rassen, das Vorrücken und der Rückgang großer Teile der Menschheit sind Erscheinungen, die vom begrenzten Blickwinkel des modernen Physikers nicht erfaßt werden. Und man kann ihm für seine Beschränkungen keinen Vorwurf machen.

(ii) Der Studierende muß berücksichtigen, daß die Entwicklung schlicht die Verfahrensweise der Natur aufzeigt. Es ist ein Prozeß der Natur, mit dem sie die Arten der Lebewesen und Individuen zu vervollkommnen sucht.

Wenn diese Lehre auf einen allgemeinen Verfall der Rassen und der Welt im Ganzen hinweist, bezieht sich das nicht auf Individuen. Das Individuum ist das vollendete Ergebnis, auf das alle Entwicklungsprozesse hinzielen, wobei das Individuum keine Verfallserscheinungen aufzeigt, außer aufgrund seines eigenen freiwilligen Verhaltens. Eine Rasse kann niedergehen, während die Individuen dieser Rasse zu anderen Welten übergehen können, um ihre Entwicklung zu vervollständigen. Jeder erscheint auf diesem Schauplatz im Verhältnis nur einen Moment lang und verschwindet dann. Die Individuen einer Rasse steigen von niedrigen Lebensstufen auf, um den Forderungen ihrer eigenen Entwicklung zu entsprechen. Wenn sie sterben, kommen sie nicht unbedingt in das gleiche Land oder zur gleichen Rasse wieder. Sie gehen dorthin, wo ihr eigenes Karma sie hinführt. Die Tatsache, daß eine Rasse oder eine ganze Welt ihre Zeit der Jugend, des Mannesalters und des Verfalls erlebt, widerspricht dem allgemeinen Entwicklungsgesetz nicht mehr als die gleichen Erscheinungen im individuellen Leben. Tatsächlich sind solche Zeitabschnitte für Rassen und Welten ebenso notwendig wie für Individuen. Die Welt löst sich auf, um einer anderen Platz zu machen. Dies gewährt ihren Bewohnern neue und bessere Bedingungen, unter denen sie die eigene höhere Entwicklung fortsetzen können. Dieser Vorgang muß sich deshalb durch unzählige Zeitalter fortsetzten, bis jedes Individuum die wahre Heimat erreicht hat. Erst dann hat das große Entwicklungsschema sein höchstes Ziel erreicht.

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Jetzt müssen nur noch die wesentlichen Punkte der Lehre der Heiligen und ihre Methode der Befreiung der Seele verdeutlicht werden. Es muß mit Nachdruck betont werden, daß die Lehre der Heiligen völlig auf persönlicher Erfahrung und Beweis beruht. Dieses System hat keinen Platz für Vermutungen und bloßen Glauben. In dieser Hinsicht unterscheidet es sich von allen vorherrschenden Religionen. Die Heiligen, die diesen Weg gewandert sind, können sich, was die Wirksamkeit ihrer Methoden betrifft, nicht im Irrtum befinden. In jedem Fall sind sie fähig, ihre Schüler so zu leiten, daß sie denselben Beweis antreten und die gleichen Resultate erzielen können. Es ist daher eine exakte Wissenschaft. Sie wurde von einem Großen Heiligen "Die Wissenschaft, die Seele mit ihrem Schöpfer zu verbinden " genannt. Der Kern dieser Wissenschaft und die Grundlage des Sar Bachan kann wie folgt dargelegt werden:

1. DIE HILFLOSE STELLUNG DER SEELE: Die Menschheit ist hoffnungslos im Netz des menschlichen Geistes und der Materie verstrickt. Das Individuum kann sich selbst nicht befreien und seine Flucht bewirken. Es kann nur kämpfen, und nach dem Kampf ist es gewöhnlich schlechter dran als vorher. Keine Methode oder religiöse Zeremonie, Studium, Riten, Wallfahrten oder Gebete können es befreien. Nicht einmal die guten Taten der Nächstenliebe können es retten. Nichts, das es aus sich selbst tun könnte, vermag es zu befreien. Darüber hinaus sollte es daran denken, daß selbst Gott es nicht retten kann, wenn es denn auf Gottes direkten Eingriff hofft. Gott wendet ein ganz bestimmtes Verfahren an, um Sein Werk durchzuführen. Dieses göttliche und natürliche Verfahren läßt sich nicht ändern. Die hilflose und notleidende Lage der einzelnen Seelen zu verstehen ist die allererste Lektion, die gelernt werden muß. Wir müssen uns ihrer völlig bewußt werden. Dies führt uns dann zu der zweiten, großen Wahrheit, die ein natürliches Ergebnis der ersten ist:

2. DIE LEBENSWICHTIGE NOTWENDIGKEIT EINES LEBENDEN MEISTERS: Um Rettung zu erlangen, um Befreiung vom Rad des Lebens und von der Tyrannei der fünf Todfeinde (die fünf Sinne) zu erreichen; und um das Gemüt unter Kontrolle zu bringen, muß die Seele einen Guru oder Meister

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finden. Das ist der göttliche Plan. Dieses Werk kann auf keine andere Art und Weise vollendet werden. Das ist nicht einfach eine Angelegenheit korrekter Wissensübermittlung. Zweifelsohne muß sich der Suchende Wissen aneignen, aber weit wichtiger ist, daß er den persönlichen und individuellen Beistand des Meisters erlangt. Die nach unten gerichteten Strömungen des menschlichen Geistes und der Materie, die ungestümen Ströme, die die menschliche Rasse überschwemmen - angetrieben von den fünf Todfeinden des Menschen - kann man nicht allein überwinden. Die Seele wird geschwind stromabwärts getragen, den verschlingenden Fluß von Tod und Wiedergeburt ständig in den Ohren tönend, während sie trotz all ihrer Anstrengungen, sich zu retten, fortgetragen wird. An diesem kritischen Punkt streckt der gütige Meister seine starke Hand aus - und niemand kann ihm entgegentreten. Er ist der Herr über Leben und Tod, und er herrscht über den Herrn dieser Region. Er ist der Retter, und ohne ihn gibt es kein Entkommen. Diese grundlegende Wahrheit wird in den Seiten des folgenden Buches sorgsam ausgearbeitet.

3. DER TONSTROM: Die nächste große Wahrheit dieser Botschaft ist der Tonstrom. Diese erstaunliche und lebensnotwendige Naturkraft ist im Westen kaum bekannt. In der westlichen Literatur oder Philosophie erscheint er nicht. Jedoch ist er die grundlegende und lebenserhaltende Kraft in der ganzen Natur. Er ist das wesentlichste Mittel zur Befreiung der Seele. Ohne ihn sind jede Religion und alle Philosophien nichts als leere Worte. Die Schöpfung aller Welten und des Menschen wurde durch den Tonstrom bewirkt; und durch ihn allein kann der Mensch der Knechtschaft der weltlichen Übel entrinnen. Das Leben des Universums wird durch ihn erhalten, und durch ihn kehrt der Mensch zu seiner spirituellen Heimat zurück.

Zum Zeitpunkt seiner Einweihung werden dem Schüler durch den Meister gewisse unerläßliche Geheimnisse anvertraut, die zu seinem Erfolg nötig sind, und er wird unmißverständlich in die beste Art der Konzentration und Meditation, durch die er das innere Sehen und Hören entwickeln und seine Reise nach oben beginnen kann, eingewiesen. Am Ende ist er fähig, den physischen Körper zu verlassen und mit seinem Guru in jene höheren

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Regionen zu reisen. Bei der Einweihung verbindet der Guru den Schüler mit dem Tonstrom und begleitet ihn auf dem ganzen Weg durch die Regionen des Lichtes, bis er sein endgültiges Zuhause erreicht hat.

Es ist nicht einfach, den Tonstrom zu beschreiben. Er ist der Schöpfer selbst, der in einem ununterbrochenen Strom seiner eigenen, göttlichen Spiritualität die Bereiche von Menschengeist und Materie durchdringt. Die Heilige Dreieinigkeit der Kirche wird vom Heiligen Geist der Bibel, vom Meister als Sohn und dem Höchsten Herrn als Vater gebildet. Sie wird in der religiösen und philosophischen Literatur der alten Zeit häufig erwähnt. Sie ist der Logos, das Wort der Bibel, das Nad der Hindus, Kalma oder das Ism-i-Azam der Mohammedaner und der Shabd der modernen Heiligen. Dieser Tonstrom kann von allen Schülern, die von einem Heiligen die Einweihung erhalten haben und die den Instruktionen ihres Meisters folgen, gehört werden. Sicher, er wird nicht mit den physischen Ohren gehört, sondern von einem feineren Sinn, der erst entwickelt werden muß. Zuerst ist er schwach und veränderlich im Klang, aber während man fortschreitet, wird er klarer und melodischerer, bis er zum Schluß wohlklingender als alle irdischen Töne ist. Er zieht die Seele dann aufwärts. Er reinigt und erhebt die Seele, wodurch er sie auf höhere Aufenthaltsorte vorbereitet.

Die Seele beginnt ihre aufwärtsführende Reise unter seiner liebevollen Führung, immer mit dem Beistand des Meisters. Bald erwacht sie zu einem höheren Bewußtsein und entfaltet vorher nie gekannte Kräfte. Mit ihrem geliebten Meister als Führer durchquert sie alle himmlischen Regionen von Brahmand und steht zuletzt an den strahlenden Küsten des rein spirituellen Reiches. Sie schreitet durch unzählige und verzückende Welten, nun frei und mit Freude erfüllt. Endlich zu Hause angelangt, ist ihre lange und ermüdende Pilgerfahrt vorüber. Sie hat sich nun über alle Himmelreiche der vorherrschenden Weltreligionen erhoben. Sie steht nun auf der Höchsten Schöpfungsstufe. Sie befindet sich in der Region des Höchsten Vaters, der sie schnell nach Radha Swami Dham, der Region der Unsterblichkeit, weiterführt. Unsterblich und unveränderlich wird sie für immer in

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dem Heim der Gesegneten - weit entfernt in den Tiefen des Unendlichen Lichtes - wo alle Erklärungsversuche und Beschreibungen unzulänglich werden, verweilen. Nur wer selbst zu jenen Regionen gelangt, vermag dies zu begreifen.

All dies kann zu jener Zeit erreicht werden, in der der Schüler und sein Meister beide im physischen Körper leben. Dies wird im Licht vollen Bewußtseins und vollkommener Erinnerung vollbracht Das ist das Ziel eines jeden Yoga, einer jeden Philosophie, jeder Religion und jeder Wissenschaft. Es ist die Verwirklichung aller menschlichen Hoffnungen.

Diese begeisternde Geschichte ist zweifelsohne unvollkommen erzählt. Doch das Übrige bleibt dem Studierenden überlassen, der nun wählen kann, ob er diesen Pfad betreten möchte oder nicht. Aber wenn er sich entscheidet, den heiligen Weg zu beschreiten, sollte er sich erinnern, daß sein allererster Schritt ist, einen lebenden Meister zu finden und ihn zu bitten, ihn einzuweihen. Alles übrige wird ihm dann erklärt, und die endgültige Verwirklichung ist ihm gewiß.

Euer dem Meister ergebener

Julian P. Johnson

Dera Baba Jaimal Singh, Beas, Pandschab, Indien, 1. März 1934

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DIE LETZTEN GEBOTE VON SOAMI JI MAHARAJ

Die Worte, die Soami Ji Maharaj mit eigener, heiliger Zunge am letzten Tag sprach, bevor er für immer nach innen ging, widmete er den Sadhus und Satsangis zur Orientierung. Das war an einem frühen Samstagmorgen, am 15. Juni 1878 unserer Zeit, was dem Asarh, Badi Parwa, Sambat 1935 (Bezeichnungen des indischen Kalenders) entspricht.

1. Soami Ji Maharaj rief Chandarsen, einen Satsangi, der gewöhnlich bei jedem Vollmond zum Erhalt des Darshans von Soami Ji Maharaj aus dem Ort Kursande kam, zu sich heran und sagte: "Setze dich, schaue mit voller Aufmerksamkeit und lasse diese Gestalt in deinem Herzen wohnen, denn du wirst beim nächsten Vollmond keinen Darshan empfangen. Deine Hingabe ist vollkommen."

2. Um 8 Uhr morgens sagte Soami Ji Maharaj: "Ich bereite mich nun auf meinen Weggang vor." Danach sammelte Soami Ji Maharaj sein Bewußtsein und zog es vollständig zurück. Nur das Weiße der Augen war sichtbar, und der Körper fing zu zittern an. Nach 15 Minuten brachte er seine Seele zurück und sagte dann: "Der Mauj18 wurde geändert, es bleibt noch etwas Zeit." Dann fragte Lala Sem Partap Singh (Chacha Ji): "Wann wird Sein Wille geschehen?" Darauf erwiderte er: "Irgendwann heute nachmittag."

3. Dann fingen Sadhu Bhara Singh und die Satsangis zu spenden an und ihre Ergebenheit zu bezeugen. Daraufhin sagte Lala Jaganath Khatri, ein Nachbar: "Laßt die Aufmerksamkeit (Dhyan) von Maharaj nach innen gerichtet sein. Dies ist nicht die Zeit für solche Opfer." Dann wandte sich Soami Ji ihm zu und sagte: „Die Fähigkeit, die Seele durch den Willen aufsteigen zu lassen, wann immer man möchte, und sie wieder hinunterzubringen, wann immer man möchte, wird Dhyan genannt. Was mich betrifft, so hatte ich mich bereits letzte Nacht erhoben und meine Seele in

18 Mauj = der göttliche Wille.

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den Schoß des SAT PURUSH gebracht, bin aber noch einmal hier heruntergekommen, um einige Worte zu euch zu sprechen.“

4. Dann sagte er: "Ihr wißt, daß ich sechs Jahre alt war, als ich mich dem spirituellen Leben (Parmarth) zuwandte, und dadurch war ich imstande, die geistige Übungen (Abhyas) zu vervollkommnen." Und er gab folgendes Beispiel zur Bekräftigung: "Sage einem Nichtschwimmer, er möge schwimmen, während er ertrinkt. Er wird nicht schwimmen können, sondern er wird ertrinken. Wirft man aber jemand ins Wasser, der in der Kindheit das Schwimmen gelernt hat, so wird er nicht ertrinken. Was den Körper betrifft, so ist er nur eine Hülle aus Haut und in keinem Fall beständig. Lebenslanger Bhajan und Simran hat nur dieses Ziel: Ihn in der Sterbestunde nicht zu vergessen. Daher praktiziere Naam auf eine Weise, daß du es nie vergißt, selbst wenn du umhergehst und dich unterhältst.“

5. Dann wandte sich Soami Ji Maharaj an Rai Saligram19 und an alle Sadhus und Satsangis - männlich wie weiblich - und sagte: "Achtet Radha Ji (Soamijis Frau) genauso, wie ihr mich achtet, und behandelt Radha Ji und Choti Mata Ji auf gleiche Weise."

6. Dann bat er Radha Ji (seine Frau), sie möge Sibbo, Bukki und Vishno nicht vernachlässigen.

7. In Bezug auf Sanmuk Das sagte er, daß dieser zum Mahant oder Haupt aller Sadhus ernannt worden sei, und erklärte dann: "Ich meine nicht jene Art von Mahanti (Führerschaft), die in der Welt üblich ist; sondern Sanmukh Das und Birmal Das sollten wie Offiziere sein, die den Sadhus vorstehen und sich um ihre Unterkunft und ihre Bedürfnisse sorgen. Sie werden im Bagh (Garten) wohnen, und Partapa (Seth Partap Singh) wird der Eigentümer des Gartens sein."

19 Ein ergebener Schüler von Soami Ji Maharaj.

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8. Dann sagte er, daß Personen mit Familien (Eheleute) keine Zuwendung von den Sadhus erwarten sollten.

9. Dann fragte Radhi Bibi, wer sich um jene sorgen solle. Soami Ji erwiderte: "Radha Ji für die Grihasthis (Eheleute) und Sanmuk Das für die Sadhus."

10. Soami Ji Maharaj sagte, daß die Grihasthi-Frauen (Ehefrauen) nicht in den Bagh gehen sollten, um irgendwelchen Sadhus zu dienen oder sie zu verehren. Sie sollten alle zu Radha Ji gehen, um den Darshan zu erhalten und Hingabe zu erweisen. Er fügte dann hinzu: "Ich habe dafür gesorgt, daß der Tiger und die Ziege aus der gleichen Wasserstelle trinken. Kein anderer ist dazu in der Lage."

11. Dann flehte Bibi Bukki, Soami Ji möge sie doch auch mitnehmen. Worauf er sagte: "Sorge dich nicht. Ich werde dich bald rufen. Richte deine Aufmerksamkeit auf die Strahlengestalt im Inneren."

12. Dann ersuchte Lala Partap Singh, ihn auch mitzunehmen, worauf Soami Ji Maharaj erwiderte: "Du mußt noch einiges für mich erledigen. Du wirst im Garten (Bagh) leben, Satsang halten und andere Satsang halten lassen."

13. Dann fragte Sudarshan Singh (Soami Jis Neffe): "Wen sollen wir fragen, wenn es irgend etwas zu fragen gibt (wenn irgendwelche Fragen beantwortet werden müssen)?" Darauf erwiderte er: "Wenn irgend jemand etwas fragen möchte (etwas erklärt haben will), sollte er sich an Saligram wenden."

14. Er wandte sich an Lala Partap Singh und sagte: "Mein Mat (Ideal oder Lehre) war Sat Naam und Anami. Radha Soami Mat wurde von Saligram begonnen. Laßt dies fortfahren. Der Satsang sollte fortgesetzt werden, und er wird mehr als je zuvor gedeihen."

15. Danach sagte er: "Kein Satsangi, weder ein Grihasthi (Haushälter) noch ein Bhekh (Sadhu) sollte auf irgendeine Weise betrübt sein. Ich bin bei jedem von ihnen, und in der Zukunft werden sie sogar noch mehr umsorgt als je zuvor."

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16. Er fuhr fort: "Keine andere Karni (Anstrengung) wird im Kaliyuga erfolgreich sein. Nur der Dhyan oder die Kontemplation auf den Sarup (Gestalt) des Satguru und der Simran von Naam werden erfolgreich sein."

17. Lala Partap Singh ersuchte dann, daß der Shabd enthüllt werden möge. Soami Ji erwiderte: "Den Dhun (Klang) zu hören und sich seiner Seligkeit zu erfreuen, ist der Enthüllung des Shabd gleichzusetzen."

18. Dann wandte sich Soami Ji Maharaj an Radha Ji und sagte: "Ich habe beides beachtet, Swart (die Gesetze der Welt) und Parmarth (spirituelle Disziplin). Beachtet also auch die weltlichen Gesetze, und laßt auch die Sadhus ihre eigenen Bräuche beachten."

Soami Ji ging dann vom Innenhof in sein Zimmer und verschied etwa um 13:45 Uhr.

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Buch I

Sar Bachan

oder

Die Lehren von Radha Soami20

„Gnädiger Radha Soami, gewähre uns Deine Gnade und Deinen Schutz.“

Abriß der Lehren von Radha Soami Sahib, dem Gründer des Radha-Soami-Systems,

über die Praxis des Tonstroms

Diese Welt ist vergänglich, wie alle weltlichen Dinge vergänglich sind. Ein weiser Mann ist, wer die vergängliche und illusorische Natur dieser Welt und aller ihr angehörenden Dinge erkennt und so den besten Gebrauch von diesem Körper durch die Verehrung des Höchsten Wesens mittels Bhajan und Simran macht. Somit erlangt er Gewinn aus allem, was der Schöpfer durch seine Gnade dem Körper eingegeben hat, und er bringt das unbezahlbare Juwel - die Essenz von allem - den Surat21 (die Seele) zu ihrer wirklichen Heimstatt.

1. Jivatma22 und Surat sind andere Namen für die Seele. Sie stieg von Sat Naam und Radha Soami - den höchsten Ebenen - in den

20 Aus dem Hindi übersetzt von Sardar Sewa Singh mit der Hilfe von Dr. Julian P. Johnson; Radha = Seele; Soami = Herr; zusammen: Herr der Seele. 21 Die eigentliche Bedeutung von „Surat“ ist „Aufmerksamkeit“, welche die Essenz der Seele bildet. 22 Die verkörperte Seele.

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Körper herab. Aber hier hat sie sich mit den drei Gunas (Eigenschaften), den fünf Tattwas (den Elementen), den zehn Indriyas (den Sinnesorganen), dem Verstand usw. verstrickt und ist mit derartig starken Fesseln an den Körper und die damit zusammenhängenden Dinge gebunden, daß sie es als außerordentlich schwierig empfindet, sich von diesen Bindungen zu befreien. Die Freiheit von diesen Fesseln wird Erlösung genannt. Die Sinnesorgane, die Tattwas, der Verstand usw. sind die inneren Fesseln, wohingegen weltliche Dinge, wie die Familie und andere Verbindungen, die äußeren Fesseln ausmachen. Der Jivatma (die verkörperte Seele) ist durch diese Fesseln so gefangen, daß sie sich nicht einmal an ihr wahres Zuhause erinnert. Sie hat sich von jener Heimat so weit entfernt, daß sie ohne die Gnade eines vollkommenen Sat Guru kaum mehr zurückkehren kann.

Der Mensch sollte nun den Surat zu seiner Quelle und wahren Schatzkammer - zu Sat Naam und Radha Soami - zurückbringen. Bis dahin ist er an die Freuden und Leiden dieser Welt gebunden.

2. Es war das Ziel und der Gegenstand aller Religionen und aller vergangenen Seher, die Seele auf die eine oder andere Weise zu ihrem Ursprung zurückzubringen. Vollkommen ist nur einer, der durch Übung und Meditation seine Seele in ihre wahre Heimstatt erhebt, sie von allen Fesseln, den inneren wie den äußeren, den groben, feinen und kausalen befreit und somit seinen Geist von der Welt und ihren Erscheinungen loslöst. Vollkommene Sadhus, tatsächliche Gyanis (Wissende), wahre Liebende oder dem Herrn Ergebene sind nur jene, die diese letzte Stufe erreichen. Wer nur über die Vollkommenen redet oder ihre Lehren anderen vorliest, ohne ihre Stufe erreicht zu haben oder dieses Ziel anzustreben, ist nur ein Intellektueller und Theoretiker.

3. Alle Lehrer, Weisen, Inkarnationen (Avatare23) oder Propheten aus der Vergangenheit jeder Religion versuchten, die wahre Heimat im Inneren mit Hilfe geistiger Übungen zu betreten, aber nicht alle haben die letzte Stufe erreicht. Die meisten kamen nur

23 Menschliche Verkörperungen einer Gottheit.

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bis zur ersten Ebene, einige bis zur zweiten und einige wenige Sadhus und Verehrer erreichten die dritte Ebene. Nur die Heiligen erreichten die fünfte Ebene - Sat Naam - und nur ein paar von ihnen gelangten zur achten Ebene - Radha Soami Dham. Von diesem Ort stieg der Surat (die Seele) ursprünglich herab. Auf ihrer absteigenden Reise erscheint es jedoch so, als ob die Seele von den dazwischen liegenden Stufen abstamme, wie z.B. Sat Lok usw. Jenen, die nicht einmal diese Stufe erreichten und ihre aufsteigende Reise in den niederen Ebenen beendeten, erschien es so, als ob die Seele ursprünglich von diesen niederen Bereichen herabgestiegen sei. Da sie nicht von einem vollkommenen Guru unterwiesen worden waren, betrachteten sie natürlich diese niederen Ebenen als den Ursprung der Seele. Gleichermaßen sahen sie den Herrscher des jeweiligen Bereiches als Gott und Schöpfer der gesamten Schöpfung an. Daher lehrten sie ihre Schüler, den Herrn der jeweiligen Regionen anzubeten und ihn als das Höchste Wesen anzusehen.

4. Man sollte wissen, daß der Pfad von Radha Soami der höchste von allen ist. Dieses ist auch der Name des Allerhöchsten Wesens, des wahren Herrn, Gott. Zwei Stufen darunter befindet sich die Region von Sat Nam. Die Heiligen haben sie mit verschiedenen Namen benannt, wie Sat Lok, Sach Khand, Sar Shabd, Sat Shabd, Sat Naam und Sat Purush. Von dort aus erscheint es, als sei diese Region der Ruheplatz der Heiligen und Höchsten Heiligen. Daher nehmen die Heiligen den höchsten Rang ein. Verstand und Maya (Illusion) existieren nicht in dieser Region. Sie umhüllt all die niederen Regionen der Schöpfung, das heißt, die gesamte Schöpfung befindet sich in ihrem Bereich.

Der Radha-Soami-Pfad wird auch Akal (Ungesprochen oder Unbeschreiblich) oder Anami (Namenlos) genannt, da diese Region nicht meßbar, ohne Ende und ohne Anfang ist. Sie ist DAS, was alle anderen Regionen geschaffen und offenbart hat. Dieses ist das wahre Lamakan (ohne jegliche örtliche Festlegung) und Lamuqan (etwas, das nicht einmal eine Region genannt werden kann).

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5. Sadhs, Gyanis, Bhagats, Inkarnationen, Propheten und andere heilige Persönlichkeiten, welche die wirkliche Heimat nicht erreichten, nehmen einen viel niedrigeren Rang ein als die Heiligen, da sie während ihrer aufsteigenden Reise auf verschiedenen Ebenen Halt machten und gemäß dem, was sie jeweils erreichten, unterschiedliche Religionen gründeten. Die von dem einen oder anderen erreichte Ebene wurde als die endgültige und höchste Region betrachtet, und die führende Gottheit dieser Region wurde als der Höchste und Allmächtige Gott angesehen und angebetet. Dies geschah gemäß der Tatsache, nach der all die verschiedenen Regionen vom Höchsten Gott als eine Reflexion der wahren Region geschaffen wurden, so daß die niederen Regionen bis zu einem gewissen Grad an den Eigenschaften und Bedingungen der höchsten teilhaben, aber es besteht ein großer Unterschied in bezug auf die Dauer und andere Bedingungen. Jede Region hat ihre eigene, unverkennbare Schöpfung, gekennzeichnet durch verschiedene Grade von Reinheit und Feinheit. Nur wer all diese Regionen gesehen hat, kann diesen Unterschied richtig einschätzen. Die Gestalt und der Glanz des Herrn der jeweils erreichten Region wurden zudem als endlos und grenzenlos betrachtet, und diese Gottheit wurde als die Allerhöchste verehrt. Die Ekstase dieses Momentes der Erkenntnis brachte den Verehrer dazu, in einem unbeschreiblichen Zustand von heftigem Verlangen und segensreicher Verzückung aufzugehen.

6. Die Seele erlangt mit jeder Ebene, die sie erreicht, einen anderen Status. Auf jeder Ebene erscheint es ihr, als ob sie nun alles, was sich darunter befindet, beherrscht und durchdringt. Wenn zum Beispiel die erste oder zweite Stufe erreicht ist, scheint die Seele oder der Gott dieser Ebene alle darunter liegenden Welten zu erschaffen und zu beherrschen, als ob sie ihr Schöpfer und Erhalter sei. Und da diese Lehrer keine Kenntnisse von den höheren Regionen hatten, lehrten sie ihre Schüler, den Herrn der jeweiligen Ebene als den Höchsten Gott anzusehen. Nur der Sant Sat Guru weiß von den höheren Regionen. Wären diese Lehrer durch einen Sant Sat Guru unterwiesen worden, hätte er ihnen diese höheren Regionen offenbart. Man hätte ihnen den Weg gezeigt und auf dem weiteren Pfad geholfen.

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Gleichermaßen wurde jemand als vollkommen angesehen, wenn er im Laufe seiner aufsteigenden Reise die erste, zweite oder dritte Ebene durchquerte. Tatsache ist, daß der Verehrer große Kräfte erlangt, wenn er die erste Ebene erreicht, und aufgrund dessen hält man ihn für ein vollkommenes Wesen oder einen Mahatma. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die erste Region viel erhabener als die Bereiche des niederen Bewußtseins ist, und jemand, der diese Stufe erreicht hat, ist absolut frei von persönlichem und weltlichem Unrat.

7. Es wurde zuvor erwähnt, daß Sat Naam, auch Sat Lok oder Sach Khand genannt, eine sehr hohe Region und der Hof der Heiligen ist. Am Anfang stieg die Seele von dieser Region hinab, und alle darunter liegenden Regionen kennzeichnen nur Stufen beim Abstieg der Seele. Sie befindet sich nun im Körper unterhalb von Sahasdal Kamal (dem tausendblättrigen Lotus). Ihr Licht strahlt von diesem Ort aus in den Körper und treibt den Geist und die verschiedenen Organe des physischen, feinstofflichen und mentalen Körpers an.

8. Es gibt zwei Arten des Verstandes: Brahmandi (universal) und Pindi (individuell). Der erstere hat seinen Sitz in Trikuti und Sahasdal Kamal und wird Brahm, Paramatma und Khuda genannt. Der zweite befindet sich hinter den Augen und im Herzen. Er ist Pindi, der individuelle Verstand, der die weltlichen Angelegenheiten mit Hilfe der Seele ausführt, die mit ihm so verbunden wurde, daß sie mit ihm zusammen eine nach unten gerichtete Neigung in die niederen physischen Regionen angenommen hat. Der Verstand und die Sinnesorgane erhalten ihre Handlungsfähigkeit von der Seele. Wenn Jivatma24, Surat25 oder die Seele sich ihrer wahren Heimat zuwendet und ihre Bindungen an die physische Welt vermindern würde, fände sie den Weg zur Erlösung. Erreicht die Seele ihr wahres Zuhause in Sat Lok, jenseits der Regionen des universalen Geistes, wird sie alle Fesseln, ob kausal, fein oder grob, physisch, sinnlich oder mental, zerbrechen. Ihre Aktivitäten in der Welt werden nur

24 Die verkörperte Seele. 25 Die Aufmerksamkeit.

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namentlich geschehen, sie sind auf ein Minimum reduziert und werden willentlich beendet. Kurz gesagt, bevor die Seele oder der Jivatma nicht erfolgreich die Sukshmund oder Karan26-Fesseln, die sie mit dem Verstand und den Sinnen entwickelt hat, zerreißt oder zumindest zu lockern beginnt, sie sich nicht von den unreinen Regionen von Pind abwendet, sich der wahren Heimat zuwendet und den Geist von Brahmand durchquert, sich der Knoten zwischen Jar (dem Unterbewußtsein) und Chaitanya (dem Bewußtsein) nicht lösen wird. Das Gemüt, die Sinne, der Körper, die weltlichen Handlungen und Vergnügungen bilden den Bereich des Unbewußten. Die Seele ist subtil und bewußt, wobei die Verbindung zwischen der Seele und dem Unbewußten den Knoten darstellt. Solange dieser nicht gelöst wird, ist die Verbindung der Seele mit Maya noch nicht beendet, und es findet keine Befreiung oder Moksha, keine Zerstörung der Saat aus Wünschen und Hoffnungen statt.

9. Als Ergebnis der spirituellen Übungen und des Voranschreitens auf dem aufwärtsführenden Pfad verringert sich die Kraft der Wünsche. Da diese zeitweilig unterdrückt wurden, könnte man annehmen, daß sie ausgelöscht sind; aber solange die Seele Sat Lok nicht erreicht, können die Wünsche nicht vollständig ausgerottet sein. Daher mag ein Verehrer, der nur die erste oder zweite Region (Sahasdal Kamal oder Trikuti), aber noch nicht Sat Lok erreicht hat, nicht fähig sein, den Einflüssen des Brahmandi-Gemüts (des Universalen Geistes) und von Maya, sowie starken Impulsen sinnlichen Begehrens zu widerstehen, und es sollte nicht verwundern, wenn er fällt. Er mag seinen Fehler bald erkennen und durch das Verschmähen von Vergnügungen und dem Durchführen geistiger Übungen und durch die Gnade des Gurus den verlorenen Boden wieder gewinnen, doch es besteht kein Zweifel, daß ihm ein Makel bleibt. Ein Verehrer sollte daher seine Seele zu solch einer hohen Ebene erheben, wo nicht einmal mehr die Spur eines Wunsches (weltlich oder parmathik) verbleibt und er nur die Seligkeit erfährt, in der Gegenwart des allerhöchsten und allmächtigen Radha Soami Dayal zu leben. Nachdem diese Stufe erreicht wurde, entkommt man allen Versuchungen, und

26 Karan = Ursachen.

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man hat keine abwärts gerichteten Neigungen mehr, denn man befindet sich nun außerhalb der Bereiche von Maya und kann nun zu recht als Heiliger bezeichnet werden.

Der Grund dafür, daß viele Avatare, Rishis, Munis, Mystiker und Propheten irgendwann einmal erfolgreich von Maya verführt worden sind, liegt darin, daß sie nicht diese hohe Ebene ereichten und für eine gewisse Zeit ihren erhabenen Status vergaßen, wie es Narad, Vyasa, Shringi, Parshar, Brahma, Mahadeo und manchen Avataren geschah. Da sie mehr oder weniger bekannt sind, ist es nicht nötig, weiter darüber zu berichten.

10. Die oben angeführten Beispiele sollen nicht annehmen lassen, daß die genannten Weisen total von Maya eingefangen waren oder sie sich sehr schwerwiegende spirituelle Verluste zugezogen haben. Der Sinn liegt darin, zu verdeutlichen, daß Maya sie mit verschiedenen Mitteln erfolgreich täuschen konnte. Der Grund dafür ist klar: Obwohl sie in ihrer Entwicklung eine hohe Ebene erreicht hatten, gelangten sie jedoch nicht in jene Region, die außerhalb von Mayas Wirkungskreis liegt und das letzte Stadium von Sat Naam und Radha Soami bildet.

Es folgt eine Beschreibung des Abstieges der Seele. Sie macht deutlich, wie hoch und wie weit entfernt ihre Ursprüngliche Heimat ist. Außerdem wird erklärt, von welchen Regionen die Manifestation der Avatare, Propheten, Auliyas und der Devatas (Götter) herrührt und wie groß ihr Zuständigkeitsbereich ist.

11. Die erste und erhabenste Region, die auch die höchste und größte ist, ist die von Radha Soami, Anami (Namenlos) oder Akal (Unbeschreibbar). Eigentlich kann sie nicht einmal ein Stadium oder eine Region genannt werden, denn sie ist Anfang und Ende von allem und umfaßt alles. Die Liebe und Energie dieser Region schwingt an jedem Ort in Ansharoop (Teil des Ganzen).

Am Anfang strömte der Mauj (göttlicher Wille) von dieser Region aus und stieg in der Form von Shabd herab. Dies ist die Region der Param Sants. Nur wenige Sants (Heilige) haben diese Region erreicht; und jene, die sie erreichen, werden Param Sants genannt.

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12. Zwei Ebenen unterhalb der Radha-Soami-Region befindet sich die Ebene von Sat Naam oder Sat Lok. Sie ist die Region des reinen Geistes und des Bewußtseins, strahlend hell und rein. Sie stellt Anfang und Ende der gesamten darunterliegenden Schöpfung dar. Von dieser Region gehen zwei spirituelle Ströme aus und durchdringen alle darunterliegenden Regionen. Nach den Lehren der Heiligen ist der Herrscher dieser Region der wirkliche Herr und Schöpfer.

Weil sich Sat Shabd von dieser Ebene aus manifestiert, wird er auch Maha Nad, Sar Shabd, Sat Purush oder auch Adi Purush genannt. Er unterliegt weder der Zerstörung noch dem Wandel und ist folglich immer gleichbleibend. Heilige sind die Verkörperung oder Inkarnation des Herrn der Region von Dayal Purusha (Barmherziger Herr), wo Liebe, Gnade und Seligkeit auf ewig herrschen. In dieser Region leben unzählige Hansas (liebende Seelen) auf verschiedenen Dweeps (Inseln) und genießen die Seligkeit der Gegenwart von Sat Purusha. Sie leben von Ameen (Ambrosia). Dort gibt es nicht einmal ein Anzeichen von Tod, Karma, Ärger, Strafe, Tugend, Sünde, Schmerz und Leid.

Der Herrscher dieser Ebene wird von echten, perfekten Fakiren (den Moslem-Heiligen) Hoot genannt und heißt Dayal oder Rahman (der Gütige). Am Anfang kam der Surat während des Abstieges aus der Radha-Soami-Region zuerst für einen vorübergehenden Aufenthalt hierher, bevor er in die unteren Ebenen abstieg. Wer immer sich das Ideal von Radha Soami vor Augen hält und festen Glauben in Seine Strahlengestalt hat, alle Stadien durchläuft und Sat Lok erreicht, kann auch die Radha-Soami-Region erreichen, aber nur auf diese Weise. Deshalb legen die Heiligen besonderen Wert auf die Verehrung von Sat Purush Radha Soami, der ihr Herr und Gott ist. Nur wer diese Region erreicht, ist ein Sant (Heiliger) oder ein Sat Guru, und niemand sonst.

13. Zwei Ebenen unterhalb von Sat Lok befindet sich die Region von Sunna oder Daswan Dwar, wo sich die Seele während Ihres Abstieges von Sat Lok zuerst aufhält. Von dort aus stieg sie nach Brahmand und Pinda hinab. Daswan Dwar ist das Atma Pad der

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Heiligen und die Region von Hahoot für die Fakire (Moslem-Heilige). Wenn die Seele sich von den fünf Tattwas, den drei Gunas (Qualitäten oder Eigenschaften) und den drei Körpern (physisch, feinstofflich und kausal) befreit hat und danach diese Region erreicht, wird sie für die Bhakti (Hingabe, Verehrung) des Herrn tauglich, und durch die Kraft der göttlichen Liebe steigt sie von hier aus weiter auf nach Sat Lok und dann zur Radha-Soami-Region. Jemand, der Daswan Dwar erreicht, wird nach den Lehren von Radha Soami oder Sant Mat ein vollkommener Sadh genannt. In dieser Region leben auch Gruppen von Hansas oder ergebenen Seelen. Sie sind voller Glückseligkeit und Freude und leben vom Wasser der Unsterblichkeit.

Purusha (Schöpferkraft) und Prakriti (Natur) gingen aus dieser Region hervor. Sie wird auch Par Brahm genannt.

14. Unterhalb von Sunna oder Daswan Dwar befindet sich die Region von Trikuti, die man auch Gagan (Himmel) nennt. Dies ist die Region von Pranava, Brahm oder Onkar. Wahrhafte moslemische Fakire nennen sie Arsh-i-Azeem (der Große Himmel) oder Alam-i-Lahoot. Diese Ebene erreichen Yogishwars und vollkommene Gyanis. Aus dieser Region strömt Ishwari-Maya oder Shakti, das feinstoffliche Material für die ganze darunter liegende Schöpfung, die drei Gunas und die fünf Tattwas in ihrer hochgradig subtilen Form. Sie wird in allen Offenbarungsbüchern, wie z.B. in den Veden, im Koran, im Adi Puran der Saraogis und in anderen heiligen Büchern als der Ursprung für das "Wort" genannt. Avatare einer hohen Ordnung wie z.B. Rama und Krishna, Yogishwars wie z.B. Vyas, Vashisht und Rikhab Dev der Saraogis stammen aus dieser Region. Sie wird auch Maha Akash (der große Himmel) genannt.

Der Chaitanya Prana (die bewußte Lebensenergie) stammt ursprünglich auch aus dieser Region. Der Herr dieser Region wird Pran Purush oder Khuda-i-Azeem genannt. Die Heiligen nennen ihn den Brahmandi-Geist.

15. Darunter liegt die Region von Sahasdal Kamal (tausendblättriger Lotus). Niranjan Jyoti, Shiv Shakti, Lakshmi

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Narayan, Narayan Jyoti Saroop, Shyam Sundar, Arsh (Himmel) und Khuda sind ebenfalls Namen dieser Region. Alle Avatare des zweiten Grades, Propheten, Auliyas und Yogis einer höheren Art stammen aus dieser Region und kehren zu ihr zurück. Fakire und Heilige nennen sie Nij-Mana (den wahren Geist). Die Tanmatras27 der Tattwas wurden in dieser Region geschaffen. Danach folgte die Erschaffung der grobstofflichen Tattwas, und zwar sind das die Sinne mit ihren Organen, Pran und Prakritis. Die Spiegelung oder der Schatten dieser Region erscheint erst im Nuqta-i-swaida (schwarzer Punkt) oder Til hinter den Augen und wieder in den zwei Augen selbst. Der Jivatma befindet sich während des Wachzustandes genau in diesem Til. Chidakash oder Chetan Akash28, von einigen Gyanis Brahm genannt, stammt aus der Region von Sahasdal Kamal und durchdringt den Körper oder Pinda und die gesamte Schöpfung darunter. Die gesamte Schöpfung unterhalb von Sahasdal Kamal verdankt ihr Leben und ihre Vitalität der manifestierten Kraft von Chetan Akash dieser Region, d.h. dieser Chetan Akash belebt die gesamte darunterliegende Schöpfung.

Hiermit ist die Beschreibung der himmlischen bzw. höheren Regionen beendet. Darunter liegen die Sphären von Brahma, Vishnu, Mahadeva oder Shiva, woran die wirkliche Art dieser Devatas29 erkannt werden kann. Die Heiligen und die Fakire erheben den Jivatma oder Surat vom Augenzentrum zuallererst zu eben dieser Region. Es gibt keinen anderen Weg des Aufstiegs als diesen.

16. Dort befinden sich Ebenen von Shabd oder Nad, die den fünf Regionen von Sat Lok hinunter bis Sahasdal Kamal entsprechen, d.h. dort existieren fünf Melodien oder Klänge, die wir durch einen Sat Guru oder vollkommenen Meister erfahren können. Jede Region hat ihren eigenen, unverwechselbaren Klang und ihre eigenen, charakteristischen Geheimnisse. Der fünfte Klang ertönt in Sat Lok. Es ist unmöglich, den jenseits davon existierenden

27 Die Objekte für die Sinne der Wahrnehmung. 28 Auch „Chitakash“ geschrieben. 29 Götter.

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Shabd weder mündlich noch schriftlich zu beschreiben. In dieser Welt gibt es für einen solchen Klang keinerlei Vergleichsmöglichkeiten. Die Adepten erkennen den Shabd, wenn sie jene Regionen erreichen. Die fünf Shabds sind die fünf Erkennungszeichen für die fünf Regionen. Mit Hilfe des Klanges kann die Seele allmählich vor einer Region zur nächsten aufsteigen, bis hin zur höchsten Ebene. Für die Seele ist es unmöglich, auf eine andere Weise aufzusteigen, besonders in diesem Zeitalter des Kali Yuga.

17. Man sollte wissen, daß in der höchsten Region von Radha Soami keine Form, Farbe oder Abgrenzung, so wie wir sie kennen, existiert, selbst der Shabd ist dort nicht manifestiert. Es ist unmöglich, diese Region mündlich oder schriftlich zu beschreiben. Dies ist der endgültige Rastplatz der Param Sants und der vollkommenen Fakire.

18. Neben den sechs oberen oder himmlischen Regionen von Sat Lok hinunter bis zu Sahasdal Kamal, gibt es darunter weitere sechs niedere oder physische Regionen in Pinda, welche in Wirklichkeit Spiegelungen der himmlischen sind. Deren Namen und deren Standorte werden separat genannt. Obwohl dies den Lehren von Hazur Radha Soami Dayal und dem verhältnismäßig einfachen und natürlichen System entspricht, das er uns in seiner unendlichen Gnade zukommen ließ, ist es für den Eingeweihten nicht länger notwendig, diese niederen Regionen zu durchqueren30. Es wird jedoch als korrekt und notwendig erachtet, einige Beschreibungen dieser Regionen - um der Information und des rechten Verständnisses willen - zu geben, auch um Mißverständnisse und Fehler zu beseitigen, die durch rein intellektuelle Diskussionen über dieses Thema entstanden sind. Diese sechs Regionen werden Khat Chakras (sechs Zentren oder Ganglien) genannt. Alle sind mit Pinda bzw. mit dem 30 Damit ist gemeint, daß der Schüler nicht mehr die niederen Chakras wie im Kundalini- oder Ashtang-Yoga durchqueren muß, bevor er zu zum höchsten Chakra gelangt; der Surat-Shabd-Yoga beginnt also dort, wo die anderen Yogas enden: direkt am Dritten Auge oder Tisra Til, von wo aus sich der Schüler zu den höheren Bereichen erhebt, vom Tonstrom oder Naam getragen.

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physischen Körper verbunden, während die höheren Regionen zu Brahmand und dem, was jenseits davon liegt, gehören.

19. Das erste Ganglion befindet sich genau hinter den Augen und ist der Aufenthaltsort von Surat oder Ruh31 (der Seele). Von diesem Zentrum aus gelangt sie in Etappen in die unteren fünf Zentren des Körpers. Es ist das Paramatma oder Brahm oder Bhagwan vieler Religionen. Hier existiert der Jiva im Wachzustand. Von dieser Region stiegen auch Avatare, Yogis und Sadhus herab.

20. Das zweite Ganglion befindet sich im Hals. In diesem Zentrum entsteht die Traumschöpfung durch die Spiegelung von Jivatma. Es stellt das Virat Sarup Bhagwan und Atma Pad (den spirituellen Pol) einiger Religionen dar. Dies ist die Region von Prana oder der Lebenskraft des physischen Körpers.

21. Das dritte Ganglion befindet sich im Herzen. Hier sitzt der Pindi-Geist, und auch das Abbild von Shiv Shakti spiegelt sich hier wieder. Es steuert den Ablauf des gesamten Pind. Was Pinda oder den Körper anbetrifft, so handelt es sich um den feinstofflichen Körper. In dieser Region der Empfindungen und des Verlangens wird die Wirkung von Trauer, Freude, Angst, Hoffnung, Schmerz und Frieden empfunden.

22. Das vierte Ganglion befindet sich am Nabel. Es ist der Sitz von Vishnu und Lakshmi. Dieses Zentrum führt dem Körper die Nahrung zu. Hier befinden sich auch die Vorräte des grob-stofflichen Prana (der Lebenskraft) oder des grobstofflichen Pawan (der Luft).

23. Das fünfte Ganglion befindet sich im Fortpflanzungsorgan. Es ist der Sitz von Brahma und Savitri32 und stellt den Ursprung der physischen Form, dessen Energie und der fleischlichen Gelüste dar.

31 Von dem arabischen Wort „Ruh“ = Seele, leitet sich das Wort „Ruhani“ (spirituell oder der Seele angehörend) ab. 32 Der Sonnengott.

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24. Das sechste Ganglion befindet sich am Mastdarm. Dort ist der Sitz von Ganesha33. Wenn man in früheren Zeiten Pranayama34- oder Ashtang-Yoga35 praktizierte, begann man gewöhnlich in diesem Zentrum. Daraus entstand die Verehrung von Ganesha (Gottheit der sechsten Region).

25. Man sollte sich daran erinnern, daß all die Ebenen - die unteren sowie die oberen - im menschlichen Körper liegen. Wir befassen uns nicht mit dem äußeren physischen Aspekt des Körpers.

Die unteren Regionen beginnen im Ganglion am Mastdarm und führen hoch bis zum Zentrum hinter den Augen, welches die Grenze von Pinda36 darstellt. Der Körper wird auch die Welt der neun Tore genannt. Dazu gehören die Öffnungen der zwei Augen, der zwei Ohren, die zwei der Nase, dann die des Mundes und des Fortpflanzungsorganes sowie des Ausscheidungsorganes.

26. Die Region von Sahasdal Kamal beginnt oberhalb der Augen, was den Anfang von Brahmand darstellt. Sie endet unterhalb der Ebene von Daswan Dwar, d.h. sie reicht bis nach Pranava. Die Region darüber wird Par Brahmand genannt. Nach den Lehren der Heiligen formen die unteren Regionen einen Teil des groben Sarguna37, während die zwei Regionen von Sahasdal Kamal und Trikuti reines Sarguna genannt werden, und danach kommt Sunna, das man als reines Nirguna38 bezeichnet. Die Region der Heiligen beginnt dahinter. Deshalb wird gesagt, daß das Heim der Heiligen jenseits von Sarguna und Nirguna liegt. Das würde auch erklären, warum Lord Krishna Arjuna riet, die Grenzen der Veden

33 Gott mit menschlicher Gestalt und Elefantenkopf; Gott der Weisheit und des Glücks. 34 Konzentrationsübungen, die mit der Atmung verbunden sind. 35 Der Achtfältige Pfad des Pantanjali. 36 Der physische Körper, das physische Universum. 37 Die grundlegenden Eigenschaften. 38 Ohne jede (materielle oder feinstoffliche) Eigenschaft - der Gegenpol zu Sarguna.

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zu überschreiten, die sich, um die Wirklichkeit zu erreichen, nur mit den Gunas39 oder Sargunas befassen.

Die Natur und das Geheimnis der Schöpfung, die spirituellen Energien und die Pracht, mit der diese Regionen ausgestattet sind, sind enorm. Ein wahrhaftig Liebender lernt all diese Dinge von einem vollkommenen Sat Guru und wird sie während seiner spirituellen Entwicklung selbst erkennen.

27. Es ist wichtig zu bemerken, daß Sadhus, Yogishwars40 und Heilige aus alten Zeiten (überzeugt, daß die Geheimnisse der höheren spirituellen Regionen zu subtil und kompliziert waren, um mit den Fähigkeiten gewöhnlichen Verständnisses erfaßt zu werden und daß ihre Verwirklichung durch die Praxis von Pranayama - vor allem in alten Zeiten, in denen es nur Brahmanen erlaubt war, religiöse Bücher zu lesen - sehr schwierig war) ihren Schülern anfangs nur die Geheimnisse der unteren Regionen lehrten und nicht jene der höheren spirituellen Ebenen. Der dahintersteckende Gedanke war, dem Schüler nach dem Beherrschen der unteren Regionen, allmählich die Geheimnisse der höheren Regionen zur Kenntnis zu bringen. Aber dieser Pfad erwies sich als so schwierig und anstrengend, daß es selbst im Bereich unteren Ebenen nur sehr wenig Übende gab.

Die spirituellen Führer jener Zeiten - angesichts der krassen Unwissenheit der einfachen Leute - hielten es für zweckmäßig, die Verehrung äußerer Formen von Inkarnationen, Göttern usw. zu fördern, um schließlich die Menschen zur inneren Verehrung jener Regionen und deren Herrscher zu bringen, indem sie sie erst mit ihren äußeren Formen und Namen vertraut machten. Selbst dies korrekt auszuführen, mißlang den einfachen Menschen. Dann, um die spirituelle Praxis zu erleichtern, begannen einige Premis (liebevoll Übende) mit der Verehrung von Abbildern höherer Inkarnationen als ein Hilfsmittel zur Kontemplation und Konzentration zur Entwicklung seelischen Gleichgewichtes. Aber 39 Die drei Eigenschaften der Materie: tamas, rajas, satva - Trägheit, Tätigkeit, Reinheit. 40 Ein Yogi, der durch spirituelle Übungen den Höhepunkt der zweiten spirituellen Ebene erreicht.

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die Priesterklasse überredete reiche Leute, Tempel und Abbilder von Göttern und wichtigen Inkarnationen zu bauen, wobei sie nur ihre eigenen Ziele im Auge hatte. Um ihr Gewerbe auszubauen, unterstützten sie eine Kampagne der äußeren Gottesverehrung bei gleichzeitiger Unterdrückung der alten Bücher, die Unterweisungen über spirituelle Übungen enthielten. All dies führte zur allmählichen Billigung des Systems der Verehrung von Figuren der eigentlichen Götter und Inkarnationen. Bei dieser Art Verehrung tauchen keine Schwierigkeiten auf, und jedermann kann sie mit Leichtigkeit ausführen. Folglich wandten alle diese Art von Verehrung an, mit dem Ergebnis, daß die inneren Geheimnisse schrittweise verloren gingen und sich alle Formen von unechtem Parmarth (von falschen spirituellen Übungen) über die ganze Welt verbreiteten. Bei weltlich orientierten Menschen war diese Art der Verehrung sehr beliebt, weil sie, den Neigungen ihres Gemüts entsprechend, ihre Übungen verrichteten, und sie konnten sie sogar als Mittel benutzen, um Freude und Vergnügen zu empfinden.

28. Als er wahrnahm, daß in diesem dunklen Zeitalter des Kali Yuga die Menschheit von tausend Übeln (z.B. Armut, Krankheit, Seuchen, Streit - verursacht durch Eifersucht - gequält wurde, sie außerdem weit vom Pfad der Wahrheit abgekommen war, bewegte dies den Sat Purush Radha Swami dazu, sich als Sant Sat Guru zu inkarnieren und den wahren Pfad der Erlösung in einfacher und leicht verständlicher Sprache zu predigen. Da die Priesterklassen, um deren eigenen Lebensunterhalt zu sichern, die wichtigen und echten religiösen Bücher beseitigt hatten, erklärte der Sat Guru die spirituellen Mysterien in der Sprache der Leute. Er fertigte auch heilige Schriften für sie an und weihte Schüler in seine Lehren ein. Es war nicht einfach das Netz, das von der Priesterklasse ausgeworfen war, zu zerreißen. Dennoch kam es vielen Menschen, die mit einer nachdenklichen und umsichtigen Veranlagung ausgestattet waren, zugute, und sie nahmen die Lehren solcher Heiligen, wie Kabir Sahib, Guru Nanak, Jag Jiwan Sahib, Paltu Sahib und Gharib Das Ji an, die gekommen waren und die Lehren zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten während der letzten sieben Jahrhunderte bekannt machten.

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29. Die priesterlichen Klassen und Orden haben zu Lebzeiten eines jeden Heiligen kräftig opponiert und haben ihr Bestes versucht, um die Verbreitung der wahren Lehre der Heiligen zu verhindern - die sich in Übereinstimmung mit der vedischen Religion bis hinauf zu Pranava41 befindet - denn sie befürchteten, daß ihre Lebensgrundlage dadurch zerstört werden könnte. Deshalb ängstigten sie die weltlichen Leute und hetzten sie auf verschiedenste Art und Weise auf, so daß die Lehren der Heiligen nicht so erfolgreich sein konnten, wie sie es sollten.

30. Allgemein gesprochen stimmt es, daß nicht alle Menschen für die Einweihung in die Lehre der Heiligen geeignet sind. Menschen, die sich sinnlichen Vergnügungen hingeben und kein Verlangen haben, an ihrer eigenen Erlösung mitzuarbeiten und Gotterkenntnis zu erlangen, sind verwirrt und unfähig, diese Lehren zu verstehen. Weil die Pandits42 und die Priester sie irreführten und ängstigten, können sie nicht fest an diese Lehren glauben und das Verehren alter Gottheiten nicht aufgeben bzw. das neue Ideal (Isht), das die Heiligen auferlegen, annehmen. Die Heiligen wollen auch nicht, daß Menschen ihnen in großer Anzahl folgen, ohne die Wahrheit gründlich zu verstehen, weil blinder Glaube zur gleichen Entartung der Religion führt, wie wir sie heute in der Verehrung von Inkarnationen und Göttern vorfinden. Äußerlich verehren die Menschen Rama, Krishna, Mahadev, Vishnu, Shakti und Brahma; aber in Wirklichkeit sind ihre Herzen auf Reichtum, Ruhm, Sinnesfreuden und Familie ausgerichtet. Sie beachten nicht die Gebote ihres Isht und empfinden auch keine Ehrfurcht oder Liebe dafür. Derartige Hingabe bringt keinen spirituellen Nutzen, egal ob sie für eine Inkarnation, einen Gott oder für Sant Sat Purush, dem Höchsten und über alle Maßen gnadenreichen Herrn Radha Soami ist.

31. Ein Glaube, der auf Wunder oder das Vorführen von übernatürlichen Kräften aufgebaut ist, wird nicht von Dauer sein. Wenn eine Lehre oder Doktrin nicht durch intellektuelle und theologische Einsicht vollkommen verstanden wird, ist es

41 Ein anderer Name für Omkar, die zweite spirituelle Ebene. 42 Schriftgelehrten.

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unwahrscheinlich, daß der Verstand davon stark beeindruckt ist. Heutzutage ist es ganz offensichtlich, daß viele Leute sich zum Islam oder zum Hinduismus bekennen, ohne wirklich an die Religion zu glauben. Dieser Verlust des Glaubens entsteht durch Unkenntnis der eigenen Schriften, denn die Menschen machen sich weder die Mühe, diese ordentlich zu lesen und zu verstehen, noch suchen sie einen Adepten für Erklärungen auf. Deshalb glauben sie nicht an ihre eigenen Schriften, ganz gleich, ob sie Liebe erwecken oder Ehrfurcht einflößen. Sie bemühen sich auch nicht, so viel Zeit in religiöse Nachforschungen wie für die weltlichen Angelegenheiten zu investieren. Jeder folgt seinen eigenen Neigungen oder den Beispielen seiner Vorfahren in religiösen Dingen, ohne die geringste Anstrengung zu machen, für sich selbst die Wahrheit herauszufinden. Solch religiöser Glaube existiert nur dem Namen nach, und das ist der Grund, warum das Böse in der Welt konstant zunimmt. Weil keine (Abschreckung) Furcht vorhanden ist und sich niemand um seine Mitmenschen kümmert, werden die Menschen nach unten gezogen43.

32. Pandits, Sanyasis44, Sadhus45 und Maulvis46, all jene Führer und Glaubensstifter der Veden47 und des Korans sind jetzt selbst ohne geistigen Reichtum und überwältigt von weltlichen Wünschen wie Habgier und Verlangen nach Ruhm und Ehre, mehr noch als andere. Wer aber weißt sie - einschließlich solcher Religionslehrer und der einfachen Menschen - auf all ihre Fehler hin und führt sie auf den richtigen Pfad? Das ist allein das Werk der Heiligen. Wer auch immer ihre Lehren versteht und praktiziert, wird zweifellos vor den Fallen von Gemüt und Maya48 geschützt sein. Andererseits hat jeder die Freiheit, seinen Neigungen zu folgen. In diesen Angelegenheiten können keine Gewalt und kein Zwang angewandt werden.

43 Das heißt in den Bereich der Sinneswelt. 44 Entsagende. 45 Ein heiliger Mann; einer, der die zweite oder dritte Stufe auf der inneren Reise erreicht hat. 46 Ein mohammedanische Geistlicher, der mit dem islamischen Recht vertraut ist. 47 Die heiligen Schriften der Hindus. 48 Illusion oder Täuschung.

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33. Die Gnade und Liebe, mit denen uns die Heiligen überschütten, stehen außer Frage; deshalb haben sie die Grundlagen des wahren Glaubens enthüllt und zeigen einen leichten und einfachen Weg zur Gotterkenntnis auf. Früher begannen die Eingeweihten ihre geistigen Übungen vom Mul Chakra49 aus, bekannt auch als Guda Chakra oder dem Nervenknoten am Rektum. Mit großer Anstrengung und nach langer Zeit erreichten einige von ihnen das sechste Chakra oder Sahasdal Kamal oder Trikuti und erhielten somit den Status eines Yogi oder Yogishwar. Die Heiligen haben jedoch nun das Konzentrieren der Aufmerksamkeit auf Sahasdal Kamal oder Trikuti von Anfang an eingeführt, anstatt mit Ashtang-Yoga zu beginnen, der Atemkontrolle und Pranayama einschließt. Sie lehren den Sahaj-Yoga, auch Surat-Shabd-Yoga genannt, der von jedermann leicht praktiziert werden kann. Der geistige Gewinn ist dabei viel höher als der durch das Praktizieren von Mudra50-, Hatha51-Yoga usw. Außerdem fällt dem Übenden des Surat-Shabd-Yoga bei seinem Aufstieg der Gewinn von allen anderen Methoden automatisch zu. Das wird später noch ausführlich erklärt.

34. Nun stelle man sich vor, wie weit entfernt vom wahren Wohnsitz jene sind, die sich auf das Nabel- oder Herzzentrum konzentrieren, die ja nur Widerspiegelungen der Wahrheit sind. Selbst wenn es ihnen gelingt, diese Zentren zu beherrschen, werden sie nur eine Widerspiegelung der Wahrheit erfahren. Heutzutage ist es schon sehr schwierig geworden, Zugang zum Herz- oder Nabelzentrum zu finden, da niemand mehr richtig und genau Pranayama oder Mudra(-Übungen) ausführen kann. Wie können sie die Endstufe oder die Region der Höchsten Wesenheit erreichen, wenn sie kein Wissen über die höheren Regionen haben und noch dazu die niedrigeren mit den höheren Regionen und dem Ziel durcheinanderbringen? Darum sagen die Heiligen, die die höchsten und reinsten Regionen von Sat Nam und Radha

49 Nervenzentren im Körper. 50 Mudra sind bestimmte Stellungen der Hände, die bei der Konzentration helfen. 51 Yoga-Art, die mit bestimmten Stellungen und Reinigungsübungen arbeitet.

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Soami erreicht haben, den Leuten, daß sie irregeführt und getäuscht werden, weil sie Gott dort suchen, wo man Ihn nicht finden kann. Das betrifft jene, die versuchen, die sechs Chakren zu durchdringen oder sich in einige Formen der inneren Anbetung zu vertiefen. Jene, die ihre Zeit nur äußeren Formen der Anbetung widmen - wie Wallfahrten zu heiligen Stätten oder Fasten und Götzenanbetung - befinden sich in absoluter Dunkelheit und sind ohne Bedeutung. Wenn sie damit fortfahren und nicht den wahren Herrn suchen, werden sie Ihn niemals erkennen.

35. Die Khat Chakras (sechs Zentren) reichen vom Guda Chakra am Rektum aufwärts bis nach Sahasdal Kamal52. Es ist schade, daß man glaubt, den Höchsten Herrn und Barmherzigen Schöpfer, der die Welt mit all ihren schönen Formen erschaffen hat und den Menschen mit diesem überlegenen Körper beschenkt hat, in Metall und Steinen, im Wasser der Flüsse Ganga, Yamuna und Narbada, in Bäumen und Pflanzen der Art Pipal53 und Tulsi54 oder in Kühen, Affen oder Schlangen anbeten zu können. Es ist offensichtlich, daß die Sonne, der Mond und der Mensch selbst diesen Dingen überlegen sind. Wie sehr spricht doch das nicht erfolgte Suchen nach dem wahren Gott und das Anbeten Seiner Schöpfung, als wäre sie Gott selbst, bzw. das Anbeten von Dingen, die der Mensch selbst geschaffen hat, für die Nachlässigkeit, Unwissenheit und Unachtsamkeit dieser Menschen? Wie sündhaft ist es für einen, der mit einem so kostbaren Körper ausgestattet wurde, sich selbst so zu erniedrigen, daß er nur noch in die Hölle oder in eine niedere Lebensform absteigen kann, statt von diesem Körper Gebrauch zu machen, um zu Gott selbst aufzusteigen? Hätte er Kenntnis vom wahren Herrn, wäre er mit Ehrfurcht und Liebe zu Ihm erfüllt. Dinge, die von Menschen erschaffen wurden, können weder Ehrfurcht noch Liebe hervorrufen.

36. Wenn es einem bestimmt ist, einen perfekten Sat Guru - das ist einer, der den wahren Gott erkannt hat, ein wahrer Sadhu oder

52 Die Ebene des Tausendfältigen Lichts, die über dem Ajna-Chakra (zwischen den Augen) liegt. 53 Heiliger Baum der Hindus. 54 Basilikum.

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Fakir - zu treffen und dessen Gnade - seinen gnädigen Blick - erlangt, wird dieser einen leichten Einstieg in den Pfad finden. Allerdings gibt es auch hier eine Schwierigkeit. Die Leute stellen den Sat Guru mit anderen, die nach dem Selbst suchen, gleich und halten ihn für einen Betrüger und gierigen Hochstapler und können sich ihm deshalb nicht unterwerfen. Andererseits ernennen sich einige, die sinnliche Freuden genießen, Sklaven der Welt sind und Vorteile aus der Dummheit und Ignoranz der Leute ziehen, selbst zum Guru und betrachten das Ganze als geldbringendes Geschäft. Sie leiten die armen und unwissenden Menschen in die Irre und verführen sie mit der Aussicht auf Reichtum, Frauen und Kinder, Gesundheit und Ruhm, was ja eigentlich das ist, was diese unwissenden Leute erstreben. Deswegen verleiten die falschen Gurus die Leute dazu, Steine und Gewässer, Bäume und Tiere zu verehren, Pilgerreisen zu unternehmen, zu fasten, Opfer darzubringen usw., und das alles nur um ihres eigenen Vorteils willen! Es gipfelt in der Verkündigung, daß durch ein einmaliges Fasten oder eine einzige Pilgerreise Befreiung erreicht werden kann.

Wenn sie es auch zu ihrem Beruf gemacht haben, sollten sie den armen, unwissenden Leuten wenigstens den richtigen Weg zeigen, damit auch sie einen Vorteil davon haben. Aber sie (die falschen Gurus) sind selbst unwissend und kennen weder den Pfad noch dessen Technik. Jedenfalls sind sie tüchtig im Bücherlesen, Rezitieren und in theoretischen Darlegungen.

Aus dem, was Shri Krishna Maharaj zu Udho Ji sagte, geht klar hervor, daß er ihn nicht nach Param Pad (Krishnas höchste Region) bringen konnte, obschon Udho Ji Jahre in Krishnas Diensten und in seiner Gemeinschaft verbracht hatte. Er bat ihn, zuerst Yoga zu praktizieren, weil er nur dadurch fähig würde, zu jener Region Zugang zu erlangen. Nun bedenke, wenn ein hingebungsvoller Schüler wie Udho Ji, trotzdem er in der Gesellschaft von Shri Krishna Maharaj weilte und ihm persönliche Dienste leistete, ohne Abhyas (geistige Übungen) die Region von Param Pad nicht erreichen konnte; wie wollen dann jene, die Bildnisse von Krishna Maharaj aus Stein und Metall anbeten, ihre Zeit mit diesem Dienst verschwenden und absolut nichts von

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Sahaj-Yoga und Sat Guru Bhakti wissen, jemals jene Region erreichen? Damit nicht genug, zeigt von allen Götzenanbetern - von Gosain55 und den Priestern bis hinab zu den Saligram56-Anbetern - kaum einer wahren Glauben, nicht einmal an ein Bild oder Idol. Alle verehren tatsächlich die Welt und verlieren sich in der Anbetung der Welt, die aus Maya und ihren Auswüchsen besteht.

37. Dasselbe gilt auch für die vielen Wallfahrtsstätten. Ursprünglich waren sie von früheren Heiligen als Plätze für den Satsang gedacht und um sich dort der Wohltätigkeit zu widmen. Sie dienten außerdem als zeitweilige Möglichkeit, sich von der Zwietracht der Welt zurückziehen zu können. Aber sie sind zu Jahrmärkten und Festlichkeiten ausgeartet. Jedermann sucht dort Vergnügen und Abwechslung, nimmt an allgemeinen Besichtigungen teil, hofft dort Freunde zu treffen und möchte Andenken kaufen. Es herrscht nicht die Spur von Andacht und Gebet. Solche Leute sollten sich einmal fragen, wie sie je erwarten können, daß solche Pilgerreisen zur Befreiung führen. Dasselbe trifft mehr oder weniger für das Fasten zu, das in Feste ausgeartet ist. Diese Fastentage waren von den früheren Heiligen dazu bestimmt, Gemüt und Sinne unter Kontrolle zu bringen und wach zu sein, auch für Anbetung und Satsang. Diese Fastentage werden nun mit Schach- und Damespiel verbracht, mit Schlafen und dem Verzehr von schmackhaften Speisen und Früchten beim Abbruch der Fastenzeit.

38. Die Bilderverehrung war ursprünglich als Hilfe zur Meditation und Konzentration gedacht. Aber dieser Aspekt ging später verloren. Besuche der Tempel, Spenden von Blumengebinden und Wasser für die Götzenbilder ersetzen den ursprünglichen Zweck. Die Priester funktionierten das alles zur eigenen Einnahmequelle um und ließen Tänze und Spiele in den eigens dafür geschmückten Tempeln aufführen. Der wirkliche Zweck wie

55 Ein brahmanischer Priester des Vaishnava-Ordens. 56 Ein schwarzer Stein, der zur Konzentration und zur Anbetung verwendet wird. Dieser Name ist nicht mit der Person von Rai Saligram, dem Schüler von Soamiji, zu verwechseln.

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Satsang oder religiöse Vorträge, ist vollkommen verlorengegangen. Um die Besucher im Tempel zufriedenzustellen, ist eine Vielfalt von Unterhaltungen und die Tempelausschmückung eingeführt worden. So bewirken Fastentage und Pilgerreisen nun das genaue Gegenteil - ja, es geht soweit, daß jemand, der diese Plätze nicht aufsucht und zu Hause die Namen der Gottheit nicht wiederholt, viele Sünden und Übel vermeidet. Er ist viel besser dran als jene, die zu solchen Orten gehen, anregende Speisen und Getränke zu sich nehmen und sich Vergnügungen hingeben, ihre Zeit mit sinnlosem Treiben verschwenden und dann damit prahlen, an einem Wallfahrtsort gewesen zu sein.

Die Heiligen waren von Mitleid und Erbarmen über die Entartung dieser Zeiten und über diesen traurigen Zustand der Menschen erfüllt. Obwohl es nur sehr wenige wahre Sucher gab, weihten sie jene wenigen in die Geheimnisse der Höchsten Region ein, und zwar durch gesprochene und geschriebene Worte. All jene, die an sie glaubten, die Lehre verstanden und sich der Praxis der geistigen Übungen hingaben, gelehrt von den Heiligen ihrer Zeit, stiegen zur Höchsten Region auf. Dem Rest ließen die Heiligen ihr Bani (niedergeschriebene Lehren), so daß jeder, der sie sorgfältig studiert, die Notwendigkeit der Heiligen erkennt und einen vollkommenen Sat Guru sucht, mit dem Ziel, völlige Gotterkenntnis zu erlangen. Solche Leute würden dann alles Karma57 und Bharam58 aufgeben, d.h. sie würden die Verehrung von Idolen, Gewässern, Tieren, Bäumen, Göttern und Inkarnationen fallenlassen und festen Glauben und Hingabe an das Höchste Sein entwickeln, das der über allem stehende Schöpfer ist, und würden versuchen, Seinen Darshan (Blick) zu erhaschen.

39. Die Namen einiger dieser vollkommenen und wahren Heiligen, Sadhs und Fakire, die sich während der letzten sieben Jahrhunderte offenbarten, lauten wie folgt: Kabir Sahib, Tulsi Sahib, Jagjiwan Sahib, Gharib Das Ji, Paltu Sahib, Guru Nanak,

57 Hier ist mit Karma eine rituelle Handlung gemeint. 58 Täuschung, Illusion.

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Dadu Ji, Tulsi Das Ji, Nabha Ji, Swami Hardas Ji, Surdas Ji, Raidas Ji, dazu die Mohammedaner: Shamas-i-Tabrez, Maulana Rumi, Hafiz, Sarmad und Mujaddid Alif Sani. Ihre Schriften enthüllen ihre geistigen Kenntnisse.

40. Wahre Heilige und Fakire wird man immer an folgendem erkennen. Sie lehren immer, daß die Gotterkenntnis nur in jedem einzelnen erfahren werden kann und dulden keine Zeitverschwendung durch Götzenanbetung, Pilgerreisen oder das Lesen von religiösen Büchern59. Auch verurteilen sie die Anbetung von Göttern, Inkarnationen und Propheten. Sie lehren ausschließlich die Methode des Sahaj-Yoga oder die Surat-Shabd-Methode und weisen darauf hin, daß es keinen anderen Weg zur wahren Gotterkenntnis gibt. Sie betonen eindringlich die Notwendigkeit, dem wahren Sat Guru der jeweiligen Zeit mit Liebe und Hingabe zu dienen. Sie entwickeln in den Suchern und Verehrern Liebe für den Höchsten Herrn und lösen die Bindungen an Weib, Kinder, Reichtum, Ehre und Ruhm. Sie selbst verbringen die meiste Zeit mit Bhajan und Dhyan und verlangen von ihren Schülern, dasselbe zu tun. Sie zerstreuen alle Zweifel, führen ihre Ergebenen allmählich dahin, die religiösen und geistigen Praktiken früherer Zeiten sowie Isht (die Verehrung) von allem anderen aufzugeben, außer dem Einen Wahren Gott. Durch Loslösung von allen inneren und äußeren Bindungen befähigen sie den Schüler, Gott in diesem Körper und in dieser Lebenszeit zu erkennen. Aber es gibt eine Bedingung: Der Schüler sollte Satsang und Seva nicht aufgegeben. Seine Liebe und seinen Glauben sollte er Tag für Tag mehr und mehr wachsen lassen, und er sollte sich an die entsprechenden Übungen nach den Anweisungen des Sat Gurus halten.

41. Laut Vashisht60 gibt es acht Arten von Bindungen wie folgt:

1. Stolz auf Familie, Rang und Ansehen

59 Damit ist wohl gemeint, daß dieses Studium kein Selbstzweck sein sollte - das Wissen der Theorie von Sant Mat ist an sich eine Grundlage oder Vorbedingung für die Aufnahme des Pfades. 60 Ein Rishi (Seher) des alten Indien, der Lehrer von Lord Rama (aus dem Mahabharata-Epos der Hindus).

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2. Stolz auf eine höhere Kaste

3. Stolz auf einen höheren Dienstrang

4. Furcht vor öffentlicher Kritik

5. Bindung an Ehefrau, Kindern, Reichtum und Besitz

6. Schwäche für falschen und seichten Glauben

7. Hoffnungen und Wünsche sowie Liebe für die Vergnügungen der Welt

8. Eitelkeit oder Egoismus

42. Wenn die Gemeinschaft mit einem Mahatma und der Dienst an ihm zur allmählichen Loslösung der oben genannten Bindungen führt und die Liebe für und Hingabe an den Höchsten Einen fördert, darf man sicher sein, nach und nach Befreiung von diesen Fesseln zu erfahren und in die Höchste Region gebracht zu werden. Es gibt keinen anderen verläßlichen Weg, einen Heiligen oder Sadh zu erkennen. Es wäre ein großer Fehler und eine große Torheit, die Heiligen nach dem Grad der Übereinstimmung ihres Verhaltens mit den Darstellungen in alten Schriften zu vergleichen, Wunder von ihnen zu erwarten oder sie auf irgendeine andere Art prüfen zu wollen. Es ist einem gewöhnlichen Sterblichen mit seinem begrenzten Verstand nicht möglich, das Verhalten und das geistige Wissen eines Heiligen zu beurteilen.

Jeder sollte zuerst an seine eigenen persönlichen Bedürfnisse denken und prüfen, wie weit die Gesellschaft und die Worte der Heiligen Sehnsucht nach Gotterkenntnis in ihm erwecken. Man sollte im Geiste wahrer Demut zu den Heiligen gehen und sollte niemals seine Klugheit vor ihnen zur Schau stellen, noch sollte man mit seinem unvollständigen Wissen ihre Wege und ihr Verhalten beurteilen oder sich darin einmischen. Auch wenn die Werke der Heiligen einfältig erscheinen mögen, liegen ihnen doch Absichten für das Wohl der Menschheit zugrunde. Unser Verstand kann nicht den hohen Zustand erreichen, von dem aus er sicher beurteilen kann, was für uns gut oder schlecht ist. Deshalb kritisieren viele Leute aus Ignoranz und Mangel an Verständnis

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die Wege der Heiligen und schaden sich unnötigerweise, indem sie sich von ihnen fernhalten.

43. Heilige wünschen nicht, daß weltliche Leute in großer Anzahl zu ihren Versammlungen kommen. Sie verlangen nur, daß jene kommen, die eifrig bestrebt sind, Gott zu verwirklichen. Sie verabscheuen die Gesellschaft von Personen, die nur nach der Welt verlangen. Im allgemeinen wirken sie keine großen Wunder oder offenbaren übernatürliche Kräfte, denn das würde viele weltliche Menschen anziehen und viel Ungemach für die Heiligen und ihre wahren Schüler bedeuten. Glaubt einer wirklich an sie, zeigen sich ihm wahre Wunder im Inneren; das heißt, ihm wird das Licht und der Glanz des Herrn gezeigt, in dessen heilige Gegenwart er geleitet wurde. Die Heiligen schenken allen inneren Angelegenheiten des Schülers besondere Beachtung. So wird er allmählich die übernatürlichen Kräfte der Heiligen ganz erkennen; und seine Liebe und sein Vertrauen wachsen von Tag zu Tag.

44. Hauptsächlich sind es die Armen und Notleidenden, die die Orte aufsuchen, wo der Sant Sat Guru Satsang hält. Das wird begrüßt, weil die Spenden der reichen Schüler dazu benutzt werden, um solchen Leuten zu helfen. Die Heilige behalten solche Spenden nicht für sich selbst.

45. Wenn ein Sant Sat Guru nach seinem Mauj (Willen) an irgendeinem Ort Satsang hält, benimmt er sich weltlich eingestellten Leuten gegenüber bewußt auf eine Art und Weise, daß sie daran Anstoß nehmen, und veranlaßt sie zu Beschwerde und Kritik. Der Grund dafür ist, selbstsüchtige Leute davon abzuhalten, zu ihrem Satsang zu kommen und sich dort einzumischen. Heilige haben keine Türsteher oder Pförtner, um unwillkommene Personen fernzuhalten. Ihre barschen Bemerkungen und ihre Kritik Eingebildeten und weltlich Gesinnten gegenüber dienen dem Zweck, diese Leute aus Angst vor öffentlichem Spott und Sticheleien fernzuhalten. Ein wahrhaft Suchender gibt nichts auf die Meinung der Welt und geht eifrig zum Heiligen, ungeachtet dessen, was die Welt dazu sagt.

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Öffentliche Kritik ist eine Art von Prüfung, um herauszufinden, ob jemand wirkliche Befreiung sucht. Es zeigt sich sofort, ob jemand ein aufrichtiger Sucher ist oder nicht. Eine aufrichtige Person läßt sich nicht durch die Sticheleien der Ignoranten und die Kritik der Welt abhalten. Diese Person geht zu den Heiligen, um ihr Ziel zu erreichen, was wiederum die Unaufrichtigen nicht tun.

46. Betrachte den weltlichen Menschen: Weil er die Welt wirklich liebt, wird er nicht zögern, irgendwohin oder zu irgendeiner Person zu gehen, wie niedrig sie auch sei, oder sich irgendeiner Art von Demütigung zu unterziehen61. Zum Beispiel wird ein Brahmane aus einer hohen Kaste anderen Kasten dienen oder sogar an die Tür eines Straßenfegers klopfen, wenn dieser seine Kinder heilen kann. Entgegen seiner eigenen Überzeugung wird er die Grabstätten von Sayyads, von Sheikh Saddu und anderen besuchen und verehren. Er wird sogar Gespenster oder böse Geister anbeten62.

Wenn die Menschen, um ihre weltlichen Ziele zu verfolgen, willentlich gegen ihre Religion und die üblichen Gepflogenheiten handeln und sogar spirituellen Verlust hinnehmen, können dann Sucher nach Gottverwirklichung als aufrichtig gelten, wenn sie aus Angst vor etwas Spott und Verleumdung durch Unwissende versäumen, zu den Heiligen zu gehen? Das zeigt, daß sie nicht aufrichtig sind und noch nicht genug in der Welt gelitten haben und sie nicht als feindselig genug empfinden, um nach einem Ausweg zu suchen. Das Verlangen nach Gotterkenntnis ist nicht intensiv genug, daß sie die Meinung der Öffentlichkeit und den Tadel der Gesellschaft ignorieren können. Solche Menschen sind nicht bereit für den Satsang der Heiligen, weil sie nicht aufrichtig genug sind, in aller Bescheidenheit zu den Heiligen zu gehen, um die Medizin gegen ihre Krankheiten von Ihnen zu erhalten.

47. Es ist bekannt, daß Verleumdung und Kritik das Vertrauen der Schüler der Heiligen stärken und sie festigen. Wäre da keine Verleumdung und keine Kritik, würden sie das bleiben, was sie

61 … wenn es zu seinem Nutzen ist 62 … wenn es seinen Interessen dient

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waren - unbewährt. Das Weitermachen trotz Verleumdung und Beleidigung ist ein Zeichen wahrer Liebe. Nur wahrhaft Liebende sind fähig, sich über die Meinung der Welt zu erheben. Ein persisches Sprichwort sagt: Mißbilligung und Tadel der Welt wirken, wie ein Kotwal (Polizeibeamter) auf dem Markt der Liebe. Er entfernt allen Rost und Schmutz.

Die Gurus, die die Welt lieben, pflegen einen freundlichen Umgang mit der Welt und den weltlichen Menschen, lassen ihnen stets ihren Willen und fördern ihre Ehre und ihr Weiterkommen und achten darauf, die Schüler nicht zu kränken, damit ihr eigenes Einkommen und Geschäft nicht beeinträchtigt wird. Andererseits mögen es die Heiligen, die wahre und glühende Liebende des Höchsten Einen sind, nicht, daß weltliche Menschen ihren Satsang besuchen und ihren Schatten auf die Schüler werfen. Aus diesem Grund lieben sie Verleumdung und Beleidigung, da diese die Rolle eines Wächters spielen und somit solche Menschen fernhalten.

48. Auch sollte man, wenn man zu ihnen kommt, wissen, daß man mit den Heiligen nur über Sat Vastu (die Ewige Realität), nämlich den Sat Purush Radha Soami sprechen soll, alles andere ist untergeordnet und nicht von Dauer. Die Dummen und Unwissenden betrachten diese Haltung als Kritik an den Göttern, Inkarnationen und Propheten und nennen die Heiligen Verleumder. Sie fragen sich unaufhörlich, wen die Heiligen verehren und als Höchsten achten, wenn sie Brahma, Vishnu, Mahadeva und andere nicht rühmen? Wenn sie Sat Purush und den Param Purush Puran Dhani Radha Soami lobpreisen, dann ist das richtig und wahr.

Es gebührt sich, Ihn, den Höchsten und Erhabensten Herrn, zu preisen und den Glauben und das Vertrauen in Ihn und die Verehrung Seiner Füße63 zu festigen; denn ohne dies ist das Erheben und die Erlösung des Jiva (der verkörperten Seele) nicht möglich. Wie beschämend ist es doch, sich angegriffen zu fühlen,

63 Mit den Füßen der Heiligen ist das innere Licht gemeint, in das sich der Ergebene vertiefen soll.

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wenn der Höchste Herr gepriesen wird, und - aufgrund von Unwissenheit und Mißverständnissen - die Worte der Heiligen zu verhöhnen, anstatt sie zu preisen, und sie als Verleumder zu bezeichnen!

49. Die Lebenszeit von Brahma, Vishnu, Shiva und anderen wird in den Veden, Shastras, im Bhagwat64 und in den anderen Puranas angegeben. Selbst diese Inkarnationen65 haben die Welt verlassen. Das beweist eindeutig die sterbliche Natur ihrer körperlichen Formen und damit auch die Sterblichkeit der Körper von Brahma, Vishnu und Shiva. Wenn sich diese Körper als vergänglich erwiesen haben, wie kann es da recht und gut sein, die Nachbildungen dieser Formen zu verehren und sie als unsterblich anzusehen? Hätten die Anbeter solcher Imitationen Nij Rup (die wahre Gestalt) der Inkarnationen oder Gottes gefunden, darüber meditiert und sie zum Vorbild genommen, dann hätten sie vielleicht bis zu einem gewissen Grade davon profitiert; aber es ist natürlich völlig falsch, wenn die Leute die Imitationen dieser Formen, dieser Körper anbeten. Das nützt ihnen gar nichts. Wenn die Heiligen nun diese Praktiken abzuschaffen versuchen, werden sie besonders von denen verurteilt, die aus der Religion ein Geschäft machen, wie z.B. die Pandits und Bhikhs66, welche die Heiligen durch ihren Egoismus und Unwissenheit verdammen!

50. Sollte jemand behaupten, daß die Leute jene Gestalt und jenen Ort verehren, wo die wahre Gestalt zu finden ist, also jene Region, von der die Inkarnationen herabgestiegen sind, so wäre dies ganz korrekt. Aber trotzdem sollte man dann bedenken: Warum nicht gleich - statt jener Form oder Region - die Höchste Kraft anbeten und zum Vorbild nehmen? Denn aus ihr ging die Region hervor, in der die Inkarnationen entstanden sind. Die Methode ist in beiden Fällen gleich - sowie die damit verbundene Anstrengung - doch die Endergebnisse sind grundverschieden. Daher sollten wir

64 Eine der achtzehn Puranas (heilige Bücher der Hindus). 65 Mit Inkarnationen sind Verkörperungen von Göttern gemeint. 66 Mitglieder eines Hindu-Ordens; an einer besonderen Kleidung erkennbar.

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immer die Höchste Region und das Höchste Ideal verehren. Das ist das Isht oder Ideal der Heiligen, das ist es, was sie uns lehren.

Das bedeutet nicht, daß wir gegenüber den herrschenden Gottheiten der niederen Regionen mißgünstige oder feindliche Gefühle hegen sollten. Denn auch jene, deren Ziel der Sat Purush Radha Soami ist, müssen über alle Regionen, die davor liegen, meditieren, denn ohne dies kann man sie nicht durchqueren. Bevor man die Reise beginnt, sollte man jedoch das letzte Ziel, die Region der Höchsten Wirklichkeit, und die Verehrung des Höchsten Herrn deutlich verstehen. Auch sollten wir uns der unterschiedlichen Eigenschaften jeder Region bewußt sein, weil es in der Welt viele Menschen gibt, die andere irreführen und den Verstand verwirren.

Ebenso gibt es viele, die von Gott, Parmeshwar67, Paramatma, Brahma, Parbrahm, Shuddha68 Brahma und Sat Nam69 reden, aber noch nicht einmal über detaillierte, theoretische Kenntnisse jener Regionen und deren Zwischenstufen verfügen, die sie unterwegs durchlaufen müssen. Solche Leute sind immer verwirrt, da sie nicht wissen, welche vorherrschende Gottheit welcher Region sie Brahm, Gott oder Sat Nam nennen. Die Heiligen dagegen erklären ihren Schülern zuerst die unterschiedlichen Kennzeichen jeder Region, setzen ihnen dann die Höchste Region von Sat Purush Radha Soami zum Ziel und geben ihnen praktische Anweisungen, um diesen Pfad zu durchschreiten. Auf diese Weise kann der Gottliebende sein Ziel erreichen und gleichzeitig alles über die Umstände erfahren, die in den verschiedenen Ebenen herrschen. Ohne dieses Wissen und das richtige Verständnis (dieser Mysterien), wird der Schüler weder fähig sein, wahre Liebe für die Füße des Herrn zu entwickeln, noch wird es ihm möglich sein, stetig fortzuschreiten. Er wird nicht genügend Kraft haben, um das letzte Ziel zu erreichen und sehr wahrscheinlich an

67 Großer Schöpfer; Gott. 68 Shuddha heißt „rein“; Brahma ist der Schöpfer (Parbrahm ist eine Ebene über dem Schöpfer der Welt), mit „Shuddha Brahma“ benennt man also die höchste feinstoffliche Ebene aus reinem Brahma-Stoff. 69 Die Schöpfungskraft.

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irgendeinem Ort auf dem Pfad einer Täuschung erliegen und dort bleiben.

51. Da die Inkarnationen und Götter nicht die Höchsten Kraft selbst verkörpern, genügt es zu sagen, daß sie erst nach der Evolution der Schöpfung auftauchten, und zwar während des zweiten und dritten Yugas70 (Zeitalter). Sie waren im Sat Yuga, dem ersten großen Zyklus, unbekannt. Man kann also fragen, wer in diesem Zyklus verehrt wurde und mit wessen Hilfe die Menschen die Höchste Region erreichten. Damals wurde vornehmlich Hiranyagarbha, auch als Pranava71 oder Onkar72 bekannt, verehrt. Diese Tatsache wird in den Veden und Upanischaden erwähnt. Warum nun begannen die Menschen, an Seiner Stelle Bilder und heilige Orte anzubeten? Welche heilige Stätte wurde in der Zeit des Bhagiratha73 vor Entstehung des Ganges verehrt? Kurz gesagt, all diese neuen Formen der Verehrung, die heute üblich sind, hatten ihren Ursprung im zweiten, dritten und vierten Yuga. Die wahre Verehrung ist die des Höchsten Herrn, und kann - gemäß der Lehre der Heiligen - von jedem ausgeübt werden. Die Anbetung der Inkarnationen und Propheten begann in den Ländern, in denen sie geboren wurden. In anderen Ländern sind sie im allgemeinen nicht bekannt und werden nicht verehrt.

52. Wenn die Inkarnationen und Propheten zu ihren Lebzeiten den Gott der Region, aus der sie gekommen sind, zum Höchsten Wesen erklären, sich selbst als dessen Boten oder Liebenden bezeichnen, die Menschen anhalten sie zu verehren und zu ihrem Isht74 zu erheben, so ist daran nichts falsch. Aber dies erfüllte seinen Zweck nur für diejenigen Menschen, die zur gleichen Zeit

70 Ein Yuga, Zeitalter der Weltgeschichte, dauert mindestens 400000 Jahre; wir befinden uns im Kali-Yuga, im Eisenzeitalter, wo die Menschen schwach an Körper und Geist sind und das Laster über die Tugend herrscht. 71 Ein anderer Name für Onkar, gleichbeutend mit der Silbe Om. 72 Brahma, der Herr der zweiten Region. 73 Der Sohn von König Ansuman der Epischen Zeit, der den Fluß Ganga (Ganges) auf die Erde brachte. 74 Oder „Isha“, gleichbedeutend mit „Gott“.

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mit ihnen lebten. Sie schenkten ihnen Mukti75, d. h. sie befreiten sie aus jener Region, aus der sie stammten. Doch jene, die deren Religionen nach ihrem Dahinscheiden anhängen, ohne in der eigenen geistigen und physischen Verfassung eine Änderung zu bewirken, können durch diesen blinden Glauben niemals Erlösung erlangen.

Das gilt auch für diejenigen, die den Heiligen nachfolgen. Alle, die zu den Heiligen kamen, ihnen ihre Dienste anboten, ihre Hingabe schenkten und von den Heiligen unterrichtet wurden, sind der Erlösung würdig geworden. Jene, die später lebten und nur diese (verstorbenen) Heiligen als ihr Isht oder Tek76 ansahen (d.h. ihnen in blindem Glauben folgten) und keinen lebenden, vollendeten Guru oder Heiligen oder Sadh suchten und nicht die von den Heiligen vorgeschriebene Methode praktizierten, verdienten ebensowenig wie die Anhänger anderer Religionen, Mukti zu erlangen.

So wie die Menschen anderer Glaubensrichtungen fühlen sich einige Anhänger von Heiligen ebenfalls zur Verehrung von Statuen, heiligen Plätzen, Büchern und Schriften, Gräbern und Fahnen hingezogen. Sie haben weder das Nij Rup der Heiligen, noch die Geheimnisse ihrer Region, noch die Beschreibung des Pfades und auch nicht ihre praktische Methode erkannt. Wie andere, die Äußerlichkeiten anbeten, glauben sie blind an Schriften und Gräber und verfehlen die Erlösung.

Der wahre Sant Panthi (einer, der dem Pfad der Heiligen folgt) führt die Übungen nach den Weisungen der Heiligen durch und erreicht, nachdem er verschiedene Stufen durchquert hat, die Region von Sat Purush Radha Soami oder er beginnt den Weg zu beschreiten. So ein Mensch wird eines Tages zweifellos das wahre Mukti (die Erlösung) erlangen. Kurz gesagt, wird niemand erlöst, wenn er einfach einen Heiligen, einen Propheten, eine Inkarnation oder eine Gottheit anbetet, die in der Vergangenheit gelebt haben.

75 Befreiung oder Erleuchtung. 76 Bild der Verehrung, Götzenbild.

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53. Ein wahrhaft Suchender sollte nach dem vollkommenen Heiligen oder Sadhu suchen, der gleichzeitig mit ihm lebt; und er sollte diesen perfekten Guru aufsuchen, wo immer er auch sein mag. Er sollte begreifen, daß die Hingabe an den lebenden Guru die Hingabe an alle vergangenen Inkarnationen, Weisen, Heiligen oder Götter einschließt. Dann muß er dem lebenden Meister seine ganze Liebe und uneingeschränkte Hingabe entgegenbringen und durch ihn sein Ziel erreichen. Könige aus der Vergangenheit, mögen sie auch noch so gerecht und großmütig gewesen sein, können uns jetzt nicht mehr mit Reichtümern beschenken oder uns mit Macht und Ehre ausstatten, wenn wir sie heute preisen oder ihre Taten rühmen. Wenn wir etwas erbitten, sollten wir uns an den regierenden Herrscher wenden, sonst werden wir nur verwirrt und beunruhigt. Maulana Rumi sagt: "Wenn du den Murshid77 (Sat Guru) akzeptierst, so schließt dies beides ein: Gott und den Propheten." Das heißt, es gibt keinen Unterschied zwischen Gott und dem perfekten Sat Guru, und der Murshid bzw. Sat Guru umschließt Gott und die Inkarnationen. Wenn sich jemand darum bemüht, Gott zu verwirklichen, so sollte er unter den Heiligen und Fakiren nach einem Sat Guru Ausschau halten. Dabei ist es nicht entscheidend, ob der Heilige nun bunte Kleidung78 trägt. All jene, die Sat Lok und ihren Schöpfer erreicht haben, werden wahre Heilige genannt, unabhängig davon, ob sie ein Familienleben führen oder in der Abgeschiedenheit leben. Es können Brahmanen oder Angehörige einer anderen Kaste sein.

Du kannst Gott nicht in der Welt, sondern nur in dir selbst bzw. in einem vollkommenen Sadhu oder wahren Heiligen erblicken. Er ist der wahre Guru der ganzen Welt, und der Sucher vermag Gott nur an diesen zwei Orten zu finden. In keinem Bild, an keinem heiligen Ort oder im Tempel, weder beim Fasten, noch an den großen vier Pilgerstätten wird der Sucher göttliche Spuren entdecken. Maulvi (oder Maulana) Rumi sagt: "Im Auliya79

77 Islamischer Name für Satguru. 78 In Indien tragen „Heilige“ oder Sadhus (Entsagende; Heilige) gern bunte Roben, um sich kenntlich zu machen und sich vom Volk abzuheben. 79 spiritueller Adept.

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befindet sich die Moschee, in der der Allerhöchste wohnt, vor dem sich alle beugen." Das bedeutet, daß sich die Moschee und der Tempel in den Mahatmas (Erhabene Seelen) befinden, wobei jeder, der darauf brennt, Gott oder seinem Schöpfer gehorsam zu sein, sich an sie wenden sollte. Es heißt, daß Gott zum Propheten sprach: "Ich lebe an keinem Ort, weder hoch noch tief, ich lebe einzig und allein in den Herzen der wahren Gläubigen. Wolltest du mir begegnen? So gehe zu ihnen und suche mich dort." Mit anderen Worten, Gott sagte zu dem Propheten: " Ich wohne nicht an einem bestimmten Ort, weder im Himmel noch auf Erden, aber ich bin in den Herzen meiner geliebten Verehrer zugegen. Wer auch immer nach mir verlangt, sollte zu ihnen gehen und mich von ihnen erbitten." Deshalb sollte jeder wahrhaft Suchende den lebenden Sat Guru aufsuchen und sich von ihm unterweisen lassen. Der Sucher sollte dem Sat Guru mit Liebe dienen und sich ihm mit ganzem Herzen hingeben. So wird er sein Ziel in kurzer Zeit erreichen. Im Sanskrit heißt es: "Der Guru ist Brahma, der Guru ist Vishnu, der Guru ist Maheshwar80 und Par Brahm; deshalb soll man dem Sat Guru gehorchen." Auch Lord Krishna sagt in der Bhagavad Gita, daß jeder Mensch, der ihm begegnen, ihm dienen und ihn lieben will, seinen Bhagats, Sadhs und Verehrern in Liebe dienen solle. Er sagt: "Wenn ihnen ein Dienst erwiesen wird, so ist es, als wenn er mir erwiesen würde, und darüber wäre ich hocherfreut. Ich liebe all jene, die meine Bhagats lieben. Ich lebe nicht in Akash Lok oder in Patal Lok, in Swarg Lok oder Baikunth81 Lok, sondern in den Herzen jener, die mich lieben.“

54. Die menschliche Form des Sant Sat Guru dient dem Zweck, Ihn zu erkennen. Seine wahre Gestalt ist eins mit dem Herrn, da er sich ständig der Seligkeit der heiligen Gegenwart des Sat Purush erfreut. Ein wahrer Suchender sollte, solange er die Nij Sarup (wahre Gestalt) des Sat Guru noch nicht innen geschaut hat, sich in die menschliche Gestalt - als die des Allerhöchsten -

80 Wörtlich: Höchste Form; Name für Shiva, des Gottes der Zerstörung. 81 Baikunth - das Paradies Vishnus; Akash-, Patal-, Swarg-Lok: verschiedene Schöpfungsebenen

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vertiefen und ihr vertrauen und Seine heiligen Füße lieben82. Wenn der Schüler die wahre Gestalt des vollkommenen Meisters innen sieht, dann wird er mit dem Höchsten, der sich im vollkommenen Sat Guru manifestiert, eins werden und damit sein Ziel erreichen. Daraus geht nun klar hervor, daß jeder, der auf diesem Weg erfolgreich gewesen ist oder es noch sein wird, das nur durch den Dienst und die Liebe für einen lebenden Meister und durch seinen Satsang erreicht hat oder erreichen wird.

Verstorbene Heilige, Gurus, Inkarnationen, Propheten oder Devatas können uns keine Anweisungen geben, noch können sie sich uns in ihrer wahren Gestalt offenbaren. Ein Sucher kann deshalb auch nicht den wahren Glauben und die rechte Liebe für sie entwickeln. Selbst wenn jemand einen solchen Glauben und eine solche Liebe hat, wird er doch nur wenig von ihr gewinnen. Obwohl sein Geist bis zu einem gewissen Grad gereinigt werden kann, so bleibt der Sitz seines Surat83 unverändert, d. h. sein Geist kann sich nicht erheben84. Selbst wenn im Laufe der Zeit und mit viel Arbeit eine gewisse Reinheit des Geistes erreicht wird, bleibt die Seele dennoch auf einer niederen Stufe, und auch die erreichte Reinheit des Geistes ist nicht von Dauer. Auf dieser Stufe dreht sich das Rad von Maya. Wenn es seine Kraft ausübt, bringt es den hingebungsvollen Schüler zu Fall, er verliert seine Liebe und sein Vertrauen und gibt sich den Sinnesfreuden und Vergnügungen hin. Wenn man nicht durch Dienen und Satsang die Gnade und Barmherzigkeit des lebenden Sat Guru gewinnt, ist es für keinen möglich, den Nij Sarup (die Wahre Gestalt) zu erblicken und die üblen Neigungen zu überwinden.

Es gibt viele Zweifel und Verborgenes in einem Menschen, das ihm erst dann bewußt wird, wenn er sich in die Gegenwart eines

82 Das heißt, er sollte sich in das innere Licht und den Ton vertiefen und beide lieben. 83 Der Sitz der Aufmerksamkeit oder des Surat ist im Augenbrennpunkt, auch Tisra Til genannt; die Aufmerksamkeit kann sich auch den niederen Zentren (Chakras) zuwenden oder dorthin absinken. 84 Während die Aufmerksamkeit eines spirituell Übenden am Tisra Til gefestigt ist, muß sich die Aufmerksamkeit des Durchschnittmenschen, die meist im Herzzentrum verweilt, erst dorthin erheben.

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lebenden Gurus begibt. Er mag glauben, er habe jeden Zweifel und alles Dunkel überwunden; aber wenn er den Satsang eines lebenden Sat Gurus besucht, wird ihm klar, wie weit er noch vom letzten Ziel entfernt ist. Dann wird ihm seine fürchterliche Unwissenheit bewußt, und er erkennt, wie schwer es ist, wirklich an Gott zu glauben.

Kurz gesagt, wahre Hingabe und Erkennen sind ohne die Hilfe und Gnade eines lebenden Sat Gurus unmöglich. Selbst göttliche Inkarnationen, die in die Welt kamen, mußten einen Guru annehmen. Selbst ein Gyani wie Shukdev, der Gyan (wahres Wissen) besaß, als er sich noch im Leib seiner Mutter befand, konnte ohne die Anweisungen des Guru keinen spirituellen Fortschritt machen. Selbst Narad85, der freien Zugang zu Baikunth (dem Paradies) hatte, besaß nicht die Macht, sich dort ohne den vorherigen Befehl des Gurus aufzuhalten. Wie sollte dann ein Normal-Sterblicher auf dem Pfad von Parmarth ohne die Hilfe und Gnade des lebenden Sat Guru wandeln?

55. Einige glauben daran, daß die Vedas86, die Shastras87, der Granth88 und andere Schriften der Guru seien. Zweifellos ist ihr Studium sehr erleuchtend, doch wäre es eine Dummheit, sich völlig darauf zu verlassen und nicht nach einem lebenden Sat Guru zu suchen. Die Geheimnisse der spirituellen Praxis, die man nur von einem Lebenden Sat Guru erfährt, sind in keiner dieser Schriften erwähnt noch können sie dort Aufnahme finden. In den Büchern finden wir nur vage Andeutungen, die nur als Zeugnis dienen, das Wichtigste bleibt jedoch dem Guru vorbehalten. Das Studium von Büchern kann nur theoretisches Wissen vermitteln und uns nicht den praktischen Weg zur Gottverwirklichung zeigen.

Bücher sind nur Hilfen, ihr gründliches Studium befähigt uns, damit wir in gewissem Maße unser Verhalten regeln und zwischen richtig und falsch unterscheiden können. Ein aufrichtiger Mensch 85 Ein Rishi aus vedischer Zeit. 86 Heilige Schriften der Hindus. 87 Lehrschriften des Hinduismus. 88 Guru Grant Sahib - die heilige Schrift der Sikhs.

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wird dem Guten folgen und das Falsche aufgeben; doch ohne die Gnade eines vollkommenen Meisters ist es unmöglich, das Gemüt ganz zu beherrschen und allen niederen Impulsen zu entsagen.

Solange diese niederen Impulse in uns wirken, gibt es noch die Saat für gute und schlechte Taten. Was bedeutet es schon, wenn die Blätter und Zweige des Baumes der Sünde abfallen, solange die Saat existiert und Blätter und Äste wieder sprießen. Sogar neue Sprossen treiben aus, wenn der Baum mit dem Wasser der Sinnesfreuden und Vergnügungen von Maya getränkt wird.

Daraus wird ersichtlich, daß die Veden, Shastras und andere Bücher uns nur dabei helfen können, Recht von Unrecht oder Gut und Böse zu unterscheiden. Sie mögen auch einen kleinen Einblick in die Mysterien des Höchsten Einen bieten und dienen dem Sucher als Hilfe, einen wahren Sat Guru zu finden; doch ansonsten können uns Bücher nicht weiterhelfen. Wahres Wissen über Gott kann man nur mit der Hilfe eines vollkommenen Sat Gurus erlangen; und deshalb muß der spirituell Suchende einen solchen Sat Guru finden. Jene, die sich nur mit den Lehren verstorbener Meister zufrieden geben, sind keine wahren Sucher und werden Ihm auch nicht begegnen.

56. Einen Sat Guru sollte man erst nach eingehender Prüfung akzeptieren. Ein Sat Guru ist vollkommen, wenn er Zugang zu Sat Lok hat und mit dem Sat Purush eins ist. Er wird ein Heiliger genannt. Wenn man ihn findet, wird er nur den Surat-Shabd-Yoga und keine andere Übungen lehren. Er wird die Geheimnisse lüften und die Ebenen beschreiben, die man auf dem Weg durchquert. Er wird das innere Erheben der Seele betonen, was mit Hilfe des Sarup (der Gestalt) des Sat Gurus und durch den Tonstrom geschieht. Seine Vorträge und Bücher berichten von eben diesen Geheimnissen, von der Größe des Sat Guru Sat Purush und von seinem Shabd Sarup (seiner Wort-Gestalt89). Sie geben uns auch

89 Das bedeutet, daß der Guru im Inneren die Gestalt des Wortes annimmt, er also nichts anderes als das verkörperte Wort oder Naam ist, das sich als Licht und Ton im Innern offenbart.

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eine Beschreibung des inneren Weges, berichten über die Loslösung von der Welt und von der Liebe zu Gott.

Wenn aber ein Satsang nur aus Geschichten und Legenden vergangener Helden besteht und sich nur auf Vairagya (die Loslösung von der Welt) bezieht, ohne auf die inneren Geheimnisse, auf die Beherrschung des Geistes und dessen Aufstieg einzugehen, dann ist dies kein wahrer Satsang. Satsang bedeutet die Vereinigung mit Sat (Wahrheit), nämlich mit Sat Purush. Die Heiligen sind die Verkörperung von Sat Purusha, und in ihrer Gegenwart zu sein, ist Satsang. Ihr Werk und ihre Äußerungen preisen Sat Purush Radha Soami bzw. die Gestalt des Sant Sat Guru, oder die Technik, mit der man die wahre Region erreicht und die wahre Gestalt erblickt. Sie werden auch von der Liebe und das Vertrauen zu den Heiligen und zu Shabd Dhun (dem Tonstrom) handeln. Sie sprechen von der Freude, die ein hingebungsvoller Schüler auf seiner spirituellen Reise erfährt, während er die verschiedenen Regionen durchwandert. Diesen Vorträgen zu lauschen, über sie nachzusinnen, sein Gemüt und seinen Surat (die Aufmerksamkeit) innerlich auf die heiligen Füße - das heißt auf Shabd - abzustimmen, das ist Satsang.

In jeder Religion beschreiben die alten Schriften den unschätzbaren Wert des Satsangs auf vielfältige Weise; und sie betonen, daß ein einziger Augenblick des Satsangs ausreicht, um die Sünden von Millionen von Leben auszulöschen und die Seele vor einer Wiedergeburt zu bewahren. Jeder, der sich davon überzeugen will, kann dies beim Satsang eines Sat Guru tun - entweder indem er zu seinen Heiligen Füßen (in seiner physischen Gegenwart) verweilt, seinen Vorträgen lauscht und seinen Darshan empfängt - oder indem er sich mit Geist und Seele dem Abhyas (der spirituellen Übung) hingibt, wie sie der Sat Guru lehrt. Die Anwendung eines solchen Tests wird uns die Wahrheit obiger Behauptungen lehren. Der hingebungsvolle Schüler wird selbst erkennen, welchen großen Nutzen ihm die selbst die kurzzeitige Gemeinschaft mit dem Sat Guru in Verbindung mit den inneren spirituellen Übungen bringt.

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57. Es ist schade, daß die Menschen heutzutage viel mehr Hochachtung vor jenen haben, die sich Kasteiungen aussetzen. Solche Härtetests sind z.B. im offenen Feuer verharren, im kalten Wasser stehen, auf Nägeln und Stiften sitzen, Tag und Nacht nackt herumlaufen oder sich auf die eine oder andere Weise zur Schau stellen, indem man seinen Körper quält. Manche Menschen nehmen keine Nahrung zu sich, leben nur von Milch, rezitieren Tag und Nacht heilige Schriften, meditieren in Höhlen, leben in Wäldern oder im Gebirge, praktizieren absolutes Stillschweigen oder geben sich anderen heuchlerischen Verhaltensweisen hin. Äußerlich erscheint das sehr beeindruckend und wunderbar, aber eine kleine Unterhaltung mit ihnen wird uns ihr wahres Motiv enthüllen. Es wird uns klar, aus welchem Grunde und mit welchem Ziel sie sich so verhalten. Man wird dann erfahren, ob sie ehrliche Verehrer Gottes oder Heuchler sind.

Nun, wer ist denn ein wahrer Parmarthi90, und wer ist ein Egoist oder Heuchler? Ein ehrlicher Gottesverehrer ist derjenige, welcher alles mit dem einzigen Ziel tut, den Darshan, die Gnade des Höchsten zu empfangen. Der Höchste mag ihm einen Platz in seinem Nij Dham (seinem Wahren Zuhause) schenken, so daß er dort ewigen Segen erhält und den Freuden und Leiden von Awagawan (Kommen und Gehen - Geburt und Tod) entkommen kann. Der Parmarthi hat darüber hinaus keine Wünsche mehr. Andererseits ist derjenige ein Heuchler, Betrüger und Egoist, der letztlich alles mit dem einen Ziel tut: nämlich Ruhm, Ehre, gesellschaftliches Ansehen, Macht und Vergnügungen zu haben. Es macht keinen großen Unterschied, ob er nun den Vergnügungen dieser Welt nachläuft oder den reineren Vergnügungen von Swarga91 oder Baikuntha (dem Paradies) oder Brahm Lok. Die Vergnügungen des einen Ortes, dieser Welt nämlich, dauern nur eine kurze Weile, während die der anderen Ebenen länger anhalten. Ob er nun auf der Erde ist, im Paradies

90 Einer, der den spirituellen Weg geht. 91 Wörter aus indischen Sprachen (Hindu, Sanskrit, Urdu usw.) weisen oft Variationen in der Schreibweise auf, so enthalten z.B. die Silben oft ein „a“ am Ende, das aber auch wegfallen kann. Es kann eben Baikunth oder Baikuntha geschrieben werden; Swarg oder Swarga usw.

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oder in der Region von Brahm, er ist immer noch im Herrschaftsbereich von Kal und Maya und wird die wahre Befreiung dort nicht erlangen. Immer noch muß er Geburten und Tode durchleben und Freuden und Leiden durchlaufen.

Auf eine schwarze Ameise zeigend, sprach einst Lord Krishna zu Udho92, daß diese Ameise schon oft als Brahma93 und Indra94 und als noch andere höhere Wesen inkarniert gewesen ist, und doch sei sie jetzt nur eine Ameise. Wenn nun solche Gottheiten wie Brahma und Indra dem Rad der Wiedergeburt nicht entkommen können, wie kann es dann ein normal Sterblicher, der sich doch als Ziel gesetzt hat, die Ebene Brahmas und Indras zu erreichen? Menschen, die sich irgendeiner Form von Yoga bedienen, die zu heiligen Stätten pilgern, die Bilder anbeten, die fasten, die ziellos umherschweifen, die die Sonne, den Mond, Ganesha, Shiva, Vishnu, Brahma, Shakti oder den verkörperten Ishwar anbeten, können nicht über die Region von Ishwar bzw. Baikunth (Paradies) hinaus gelangen. Solche Art der Verehrung bringt sie nur auf die Ebene der Gottheit, die er verehrt. Dort werden sie eine gewisse Zeit verweilen und werden dann wieder in diese vergängliche Welt geboren. Nun sind sie erneut im Rad der Wiedergeburt gefangen. Es ist wohl nicht nötig, über jene zu sprechen, die niedrigere Gottheiten verehren. Sie werden einfach nur die Früchte ihrer Verehrung in dieser vergänglichen Welt genießen und zwar in der Form weltlicher Größe und als Vergnügungen oder übernatürliche Kräfte. Danach werden sie jedoch wieder dem Rad von Chaurasi (dem Rad der Vierundachtzig95) unterworfen.

58. Man kann heutzutage vielen Personen begegnen, die sich selbst Brahm-Gyanis (Erkennende von Brahm) nennen, und die sich allen anderen als überlegen betrachten. Brahm Gyan,

92 Udho oder Udhava war ein Gyani (Wissender) und Schüler von Krishna. 93 Schöpfer der Welt 94 Der Gott des Himmels. 95 Damit sind die vierundachtzig Lakhs (1 Lakh = 100000) von Geburten gemeint, die eine Seele zu durchlaufen hat, bis sie die menschliche Form erlangt.

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vorausgesetzt es ist wirkliches Brahm Gyan, ist in Wirklichkeit viel höher als die oben erwähnten Praktiken, aber die Kenntnisse, die man sich durch die Lektüre von Büchern erwirbt, sind nur theoretisch. Sie können niemals Erlösung vermitteln.

Es heißt in den Büchern spiritueller Weisheit, daß es keine Erkenntnis der Wirklichkeit oder des Höchsten Wesens geben kann, solange das Gemüt und seine Impulse nicht vollständig überwunden sind und daß nicht möglich ist, ohne Yoga zu üben. Infolgedessen ist, solange man keinen Yoga praktiziert, all dieses Wissen nur Buchwissen, das jeder Gebildete für sich in Anspruch nehmen kann. Worin besteht dann seine Überlegenheit? Und auf welche Art hilft es, Gemüt und Begierden zu beherrschen?

Wenn man einen selbsternannten Brahm-Gyani nach den Yoga-Übungen fragt, mit deren Hilfe er Gyan (Erkenntnis) erlangt hat, dann ist er beleidigt. Einige sagen, sie hätten Yoga in einer früheren Existenz praktiziert. Wenn das wahr wäre, müßte zumindest eine gewisse Erinnerung an diese Sadhans (spirituellen Übungen) bestehen; denn es gibt keinen Unterschied zwischen Brahm und Brahm-Gyani. Es heißt sowohl im Sanskrit als auch im Arabischen, daß einer, der Brahm erkennt, zu Brahm selbst wird oder daß einer, der Faqar (Yoga) ausübt, zu Allah wird. Ein Gyani oder ein Sufi müßte sich dann aller Etappen und Zustände bewußt sein. Aber Brahm-Gyanis der angesprochenen Art wissen nicht einmal, wie sie ihr Gemüt und die Sinne beherrschen können. Es scheint deshalb ein großer Fehler von ihnen zu sein, sich unter diesen Umständen Gyani oder Brahm zu nennen. Solche Personen erleiden dasselbe Schicksal wie alle anderen weltlich gesinnten Menschen - d.h. sie kehren in das Rad der vierundachtzig (den Kreislauf der Wiedergeburt) zurück.

59. Gyanis der Vergangenheit, wie zum Beispiel Vyasa, Vashisht, Rama und Krishna96 waren alle Yogishwar-Gyanis und sahen das innere Licht. Sie beherrschten die vier Sadhanas (Übungen) des Yoga, und sie stellten dementsprechend die Bedingung auf, daß

96 Gestalten aus den großen indischen Epen wie Mahabharata und Ramayana.

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niemand ein Gyani sein könnte, solange er nicht diese vier Sadhans vollendet hatte. Solange er diese nicht vervollständigt hatte, besaß er nicht einmal das Privileg, Bücher über das innere, spirituelle Wissen zu lesen. Die vier Sadhanas (Übungen in geistiger Disziplin) sind:

1. Vairagya (Loslösung)

2. Viveka (Unterscheidung)

3. Khat Sampatti (sechs Arten von Reichtum), nämlich:

(i) Sama (Ausgeglichenheit, Gleichmut)

(ii) Dama (Selbstkontrolle)

(iii) Uparti (Freiheit von zeremonieller Verehrung, Gleichmut)

(iv) Titiksha (Geduld)

(v) Shraddha (Vertrauen)

(vi) Samadhanta (Tiefe Meditation)

4. Mumukshta (Verlangen nach Befreiung)

Die Gyanis von heute scheinen keine einzige dieser Eigenschaften zu besitzen. Die Heimat aufzugeben betrachten sie als Vairagya, und das Lesen der heiligen Schriften als Viveka. Ebenso glauben sie, die Khat Sampatti zu besitzen, weil sie Hunger und Durst ertragen und rauher Witterung - wie z.B. übermäßiger Hitze und Kälte - widerstehen können, und weil sie, während sie die heiligen Schriften lesen, ihren Geist und ihre Sinne bis zu einem gewissen Grad kontrollieren können. Den Umgang mit Gyanis und die Unterweisung aus den spirituellen Büchern betrachten sie als Mumukshta. Wenn das das Ausmaß ihres Verständnisses ist, was soll man dann von ihnen halten? Ihr Unwissen ist beklagenswert. Sie sagen, sie hätten die Welt aufgegeben, aber sie sind begierig danach, durch das Land zu ziehen; sie besuchen Veranstaltungen und Märkte, halten Bhandaras des Ruhmes willen, zeigen ihr eigenes Banner und scharen Anhänger darum. Dafür erniedrigen sie sich vor gewöhnlichen Hausherren, damit sie Geld für die Bhandaras und die Eisenbahnfahrt dorthin sammeln können. Sie häufen Reichtümer an, indem sie Geld von reichen Leuten und

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den Herrschenden sammeln, und nennen sich trotzdem Vairagis. Das zeigt, daß sie keine Vorstellung davon haben, was Vairagya ist. Sie lesen und lehren beflissen die Schriften, und man wundert sich, welche Art von Brahmand sie erreicht haben, da es bei ihnen nicht den geringsten Gesinnungswandel bewirkt hat. Wenn man sie fragt, antworten sie, daß sie das alles für Upkar (für das Wohl anderer) tun. Eine solche Antwort zeigt ihr Unwissen darüber, was Upkar wirklich bedeutet.

Ein Gyani sollte in der Lage sein, die Menschen zur Erlösung zu führen. Upkar bedeutet, die Menschen von den Bindungen zu befreien und sie zum Bereich von Moksha oder Mukti (Befreiung während des Lebens) zu führen. Upkar (im wirklichen Sinne) bedeutet nicht, die Menschen gebildet und egoistisch zu machen oder sie zu speisen, Tempel und Dharamsalas97 zu bauen, öffentliche Gärten anzulegen oder kostenlose Küchen zu betreiben. Diese Art von Upkar ist für reiche Leute und Herrscher bestimmt und nicht für Brahm-Gyanis.

Brahm-Gyanis sollten die Menschen von den Bindungen des Geistes und der Sinne befreien und sie ihren eigenen Nij Sarup98 erkennen lassen, um dadurch alles Leid und Unheil zu beseitigen und sich vor dem Leid der Geburten und Tode zu bewahren. Aber sie sind selbst hilflos. Wie können sie andere befreien, wenn sie sich nicht selbst befreit haben? Vielleicht brachte sie Armut, der Wunsch nach einem lässigen Leben oder irgendein Unglück oder ein Familienstreit dazu, ihr häusliches Leben aufzugeben und sich dem sogenannten Heiligen Orden99 anzuschließen, um auf diese Weise kostenlos Essen und Kleidung zu bekommen und verehrt zu werden. Als ihnen das ein wenig glückte, begannen sie sich als höhere Wesen zu betrachten oder gar als Brahm selbst. Um noch mehr hervorzutreten, beginnen sie, Geld zu sammeln, um es für

97 Unterkünfte für Pilger 98 Damit ist die Erkenntnis der eigenen inneren Form, also des im Menschen existierenden inneren Lichts gemeint, das natürlich mit dem höheren Selbst identisch ist. Es ist die Aufgabe des Schülers, diese Einheit zu erkennen, sich in dieses innere Licht zu vertiefen. 99 Damit ist wohl der indische Swami-Orden gemeint, dessen Mitglieder durch orange Roben erkenntlich sind.

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weitere Geschäften zu benutzen oder anzulegen. Sie ziehen die Sadhus zu Fünfzig und Hunderten an und geben ihnen zu essen, damit sie von ihnen bedient werden können, und benutzen sie als Eskorte und Anhänger, wenn sie, nachdem sie Pferde, Elefanten, Sänften, Banner und Trommeln geborgt haben, in kilometerlangen Prozessionen dahin ziehen100. Es erhebt sich die Frage, ob solche Leute, deren Geist voller derartiger Ambitionen ist, als Brahm-Gyanis betrachtet werden können. Wenn sich ihre Wünsche erfüllen, freuen sie sich sehr und fühlen sich sehr erhaben, verhöhnen die anderen und nennen sich Mahatmas, Pandits oder Mahants. Mit Hilfe von Familienvätern101 versuchen sie, die rivalisierenden Gruppen mit Besitz, Glanz und Zurschaustellung zu beeindrucken. Sie verlieren sich in Stolz und Eitelkeit und verstricken sich so sehr in Gemüt und Maya, daß sie sich nicht mehr befreien können. Wenn sie auf ihre Fehler hingewiesen werden, ärgern sie sich darüber, beschimpfen diese Leute als Ungläubige oder mit anderen Ausdrücken und sagen, daß es ihnen an Verehrung mangelt.

60. Welcher Unterschied besteht zwischen solchen Gyanis und denen, die Bilder und heilige Orte verehren? Die letzteren sind unwissend, aber sie sind bereit, zuzuhören, wenn ihnen jemand die Dinge erklärt. Deshalb sind sie besser als die Gyanis, die freiwillig der Maya hinterherlaufen und jemand, der sie zu überzeugen versucht (daß sie sich im Irrtum befinden) als unwissend und eifersüchtig bezeichnen und ihn nicht beachten. Der Grund dafür (daß diese beiden Gruppen sich so verhalten) besteht darin, daß keine davon einem vollkommenen Sat Guru begegnet ist. Hätten sie einen Sat Guru gefunden, so hätte er sie den Surat-Shabd-Yoga üben lassen und sie den Bhakti Marg (Pfad der Hingabe) gelehrt. Dann hätte sich ihnen alles von selbst enthüllt; d.h. zuerst wäre ihr Geist gereinigt worden, dann wären sie mit der Gabe von Prem (Liebe) gesegnet worden, und dann

100 Solche Prozessionen kann man beim Kumbh-Mela heute noch sehen. 101 Da sie sich selbst als Asketen und Besitzlose bezeichnen, brauchen sie die Hilfe von Besitzenden, die hier mit dem Wort „householder“ = Familienvater bezeichnet werden.

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hätten sie innerlich den Darshan des Sarup102 erlangt und dessen Segen genossen. Dann würden sie nicht länger nach den Vergnügungen dieser vergänglichen Welt verlangen und sich über die Sorgen und Streitigkeiten erheben, in die sie jetzt verwickelt sind.

61. Dasselbe ist der Fall bei den Hausherren, die sich mit solchen Gyanis umgeben. Sie nennen sich selbst Brahm; doch ihr Verhalten und ihr Umgang mit den Leuten ist nicht besser als bei gewöhnlichen Weltmenschen. Sie sind mit der Überlegenheit ihres eigenen Verständnisses und Wissens aufgeblasen, und diese Eitelkeit ist die Wurzel allen Übels. Wer auch immer an Ahankar festhielt (egoistisch wurde), der ist gefallen. All diese Personen und ihre Lehrer, die Bhikhs103 und die Pandits, befinden sich im Bannkreis von Kal, Karma und Maya und werden die Konsequenzen ihres Handelns ertragen müssen. Auf diese Weise können sie nicht Mukti (die Befreiung) erlangen.

62. [Rein verstandesmäßige] Bildung104 ist heutzutage weit verbreitet, und durch die Entwicklung des Intellekts erscheinen äußere Formen der Verehrung als oberflächlich und wertlos; und es besteht kein Zweifel, daß sie nutzlose Imitationen sind. Aber die Leute suchen nicht nach einer Form von Upasna105 und Abhyas (spirituelle Übung), die eine Kontrolle von Körper und Geist umfaßt, noch sind sie bereit, solch eine Mühe und Anstrengung zu ertragen. Deshalb glauben gebildete Personen aller Glaubensrichtungen an den Gyan Mat (Pfad der Erkenntnis) und wollen ihm folgen; sie werden schnell zu (sogenannten) Gyanis, Sufis oder Brahm-Gyanis; aber sie werden nicht den wahren

102 Damit ist der Anblick (Darshan) der strahlenden Gestalt des Meisters im Inneren gemeint. 103 Mitglieder von indischen Ordensgemeinschaften. 104 In Indien hat man früher unter „Bildung“ eine rein religiöse Form der Wissensvermittlung verstanden, also das Studium der Veden und Unterweisung in spiritueller Disziplin. 105 Gemeinschaft mit einem vollendeten Meister.

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Zustand ihres Geistes überprüfen, noch werden sie ihn von anderen überprüfen lassen106.

Bedenke sorgsam, wie man die letzte Stufe von Brahm erreicht will, solange noch Leidenschaft, Zorn, Begierde, Verhaftung und Egoismus das Gemüt beherrschen. Wenn Brahm Gyan (Erkenntnis des Brahm) nur darin bestünde, zwei oder drei der heiligen Schriften zu lesen und zu beherrschen, so würde es keiner großen Anstrengung bedürfen, um ein Brahm-Gyani zu werden. Jede Person mit ein wenig Bildung und Intelligenz könnte diese Art von Erkenntnis ohne große Schwierigkeiten und Mühe erlangen. Aber die innere Reinheit, die aus der Kontrolle des Geistes und der Sinne herrührt, ist etwas ganz anderes. Es ist nicht möglich, sie ohne die Praxis des Yoga107 zu erreichen.

63. Wenn man solche Gyanis auffordert, einige Zeit hingebungsvoll in Meditation zu sitzen und sich in ihren Sarup (das innere Licht) zu vertiefen, so wird ihnen ihr rastloser Geist das nicht einmal für einen Augenblick gestatten. Durch die Übung des Surat-Shabd-Yoga - entsprechend den Anweisungen der Heiligen - hätten sie sich selbst geprüft und den ruhelosen Charakter ihres Geistes entdeckt. Sie wissen nicht, was Surat-Shabd-Yoga ist, noch wollen sie Yoga praktizieren. Sie glauben nicht, daß das notwendig ist. Und was sind die Abhyas (spirituellen Übungen), die einige von ihnen praktizieren? Sie bestehen darin, zu lesen und über das, was in den heiligen Schriften steht, nachzudenken, und sich selbst als von allem losgelöst zu betrachten: "Ich bin nicht der Geist, ich bin nicht die Sinne; und ich identifiziere mich nicht mit weltlichen Gütern; ich unterscheide mich von Maya; ich bin ungeboren, unbeschmutzt, ich bin das und das." Diese gedankliche Wiederholung betrachten sie als Abhyas, und sie verwechseln eine kleine Beständigkeit des Geistes, die aus diesem Denken herrührt, mit Atmanand 106 Das heißt, sie unterziehen sich keiner Selbstprüfung (Selbstkritik), noch lassen sie Kritik von anderen zu. 107 Alle Formen des Yoga (auch der Hatha-Yoga) sind mit Übungen zur Erlangung von äußerer und innerer Reinheit verbunden. Wenn man Yoga (vor allem Hatha-Yoga) als System äußerer, körperlicher Übungen versteht, unterliegt man einem westlich geprägten Mißverständnis.

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(spiritueller Seligkeit). Dieser Seligkeit erfreute sich auch Sheikh Chilli, als er sich während eines Selbstgespräches vorstellte, er sei der Herrscher eines bestimmten Landes, er habe einen schönen Palast voller Pracht und Glanz. Doch als er die Augen öffnete, existierte nichts von all dem.

64. Bei sorgfältiger Betrachtung scheint das oben Gesagte auf diese Gyanis zuzutreffen. Sie nennen sich selbst Brahm Sarup108 und Sat-Chit-Anand (Wahrheit, Bewußtsein, Glückseligkeit), aber sie werden wütend, wenn sie jemand unfreundlich oder frech anspricht. Wenn sie etwas Erfreuliches hören oder sehen, sind sie bereit, es anzusehen und wollen es sogar bekommen. Sie sind erfreut, wenn sie jemand rühmt, und sie sind beleidigt und bereit zum Streit, wenn jemand schlecht von ihnen spricht. Wegen der Rastlosigkeit ihres Geistes können sie nicht an einem Ort oder in einem Land bleiben. Hätten sie wirkliche Glückseligkeit erfahren, würden sie sich nicht in so einer Notlage befinden. Sie würden nicht von Tür zu Tür wandern, um Geld zu sammeln, um damit Märkte und Veranstaltungen zu besuchen und mit Weltmenschen an heiligen Orten und Tempeln herumzuziehen.

Wenn jemand, der kein Geld hat, ein paar Tausender bekommt, investiert er sie ins Geschäft und arbeitet friedlich an einem Ort. Jemand, der eine Arbeit bekommt, bemüht sich nicht, eine andere zu finden, sondern erfüllt frohgemut seine Pflicht. Zu welcher Art Brahm-Gyanis gehören dann die, die sich mit Atma und Brahm identifizieren und sich dennoch nicht einmal der Glückseligkeit des Atma und Brahm erfreuen, die sie dazu veranlassen würde, einige Jahre am selben Ort zu bleiben und diese Glückseligkeit zu erfahren und nicht in verschiedene Länder herumzuschweifen und sich für Häuser, Gärten, Märkte, Veranstaltungen usw. zu interessieren? Diese Dinge zeigen, daß ihr Wissen nur Buchwissen oder oberflächliches Wissen und nicht das wahre Wissen ist und daß sie nicht einmal einen kleinen Teil des Atmanand und Brahmanand109 besitzen, das sie so preisen.

108 Verkörperung von Brahm. 109 Atmanand = Glückseligkeit des Selbst; Brahmanand = Glückseligkeit von Brahma

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65. Wirkliche Erkenntnis besteht darin, Brahm von Angesicht zu Angesicht zu erblicken. Die daraus herrührende Glückseligkeit läßt einen die Herrschaft über sieben Königreiche verschmähen, von irgendwelchen häuslichen Annehmlichkeiten gar nicht zu sprechen - aber nur dann, wenn einer diese Glückseligkeit wirklich empfängt. Nach den Heiligen ist Brahm der Name von Laksh (das Unsichtbare), die Form von Ishwar, eine Form, die Maya Sabal (mit Materie) ist; doch die Vedantisten bezeichnen diesen Laksh Sarup von Brahm als Shuddh (rein) (d.h. Shuddha Brahm) und bezeichnen die weniger reine oder Ishwar-Form als das wunderbare Vach und als Maya Sabal. Aber jene Heiligen, die diese Formen überschreiten, sagen, daß beide Formen Maya Sabal seien. In der einen Form ist Maya lebhaft offenbart, und in der anderen - das heißt in Laksh - ist sie subtil und verborgen.

66. Es muß hier bemerkt werden, daß alle Inkarnationen der höheren Ordnung, Yogishwar-Gyanis, Devatas - wie auch Propheten und Inkarnationen der niederen Ordnung entweder aus Laksh oder aus dem Vach Sarup von Brahm kamen. Verehrer einer dieser beiden Formen von Brahm können daher nicht der Reichweite von Maya und Kal entkommen und somit dem Rad der Geburten und Tode nicht entrinnen.

67. Der Pfad des Sant Sat Guru ist der höchste, und er lehrt die Verehrung des wahren Herrn Sat Purush Radha Soami, der sich jenseits von Brahm und Par Brahm befindet. Indem er Ihn verehrt, kann der Gläubige die Grenzen von Maya überschreiten.

Ein wahrer Sadh erhebt sich bis zu Daswan Dwar, das auch als Sunna Pad bekannt ist. Er allein ist ein Yogishwar-Gyani. Jeder, der wahre Befreiung wünscht, sollte das Isht (Ideal oder Ziel) der Heiligen vor Augen haben, nämlich Sat Purush Radha Soami. Der Höchste Herr selbst hat seinen Namen110 enthüllt, Radha Soami111. Wer auch immer das Geheimnis dieses Namens erlangt und auf Radha Soami vertraut, wiederholt diesen Namen nach den 110 Damit ist die Einweihung in das innere Wort, Naam oder Shabd, gemeint. 111 Diese Bezeichnung hat Rai Saligram, ein Schüler Soamijis, in die Original-Schriften eingefügt.

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Anweisungen der Heiligen, das heißt, wenn er ihn innerlich oder im Geiste wiederholt oder auf den inneren Klang hört, wird er sicher die Erlösung finden. Das wird er nach einigen Tagen Abhyas in seinem Inneren erkennen.

68. Es wurde schon vorher erwähnt, daß alle Inkarnationen, Yogishwar-Gyanis, Propheten, Yogi-Gyanis und andere entweder von Daswan Dwar, Trikuti oder von Sahasdal Kamal kamen und daß die vier Veden in Trikuti durch Nad oder Pranava enthüllt wurden - und daß die Götter, wie Brahma, Vishnu und Mahadev, ihren Ursprung unterhalb von Sahasdal Kamal haben. Ihr Status ist daher viel niedriger anzusetzen als jener der Heiligen oder des Sat Purusha, die ihnen allen überlegen sind. Sie sind alle den Heiligen untergeordnet. Aus diesem Grund sind die Schriften der Heiligen den Veden, Shastras, dem Koran und den Puranas überlegen. Diese Schriften umfassen Regeln und Anweisungen, um die Gesellschaft zu ordnen. Sie sind vor allem Pravritti112 gewidmet, nämlich der Fortsetzung und Aufrechterhaltung der Welt und ihrer Wirtschaft, und sie beschäftigen sich nur wenig mit Nivritti113 oder Moksha (Erlösung). Aber die Bücher der Heiligen widmen sich dem wirklichen Gegenstand von Nivritti oder Moksha. Ihre Vorträge und Schriften sind daher allen offenbarten Büchern überlegen, und hierin besteht die Größe der Heiligen, da sie nur von Nivritti oder der Erlösung sprechen, während die anderen von beidem, von Pravritti und von Nivritti, jedoch mehr von Pravritti sprechen.

Die Veden und alle anderen offenbarten Bücher entstammen der Region, der die drei Gunas, die fünf Tattwas, Maya oder die Natur entsprungen sind. Die Aussprüche der Heiligen kommen aus einer Region, in der es keine Spur mehr von Maya gibt. Daher sprechen sie nur von Nivritti, während die anderen von beidem sprechen, von der Erlösung und der Welt. In den Veden sind allein achtzigtausend Shlokas (Doppelverse) den Ritualen, das heißt Pravritti gewidmet, sechzehntausend Shlokas dem Upasna bzw. der Meditation und Verehrung und nur sechstausend Shlokas

112 Das Streben nach außen; das äußere Leben in der Welt. 113 Das innere Leben.

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befassen sich mit Nivritti oder dem wirklichen Wissen (wörtlich: dem Zurückkehren). Dasselbe gilt mehr oder weniger für den Koran und andere offenbarte Bücher. Sie sind voll von historischem Material, aber befassen sich kaum mit den Methoden spiritueller Übung und der Gottverwirklichung. Sogar Krishna wies Ardschuna an, über die Veden hinauszugehen, die mit den drei Gunas verknüpft sind - das heißt, er gebot ihm, jene Ebene zu erreichen, die über den Veden liegt. Der Shloka lautet:

"Die Veden sprechen von den drei Gunas; doch erhebe dich über sie, o Arjuna."

Es heißt, daß ein Mensch, solange er in Karma und Dharma verstrickt ist, wie es als Upasna (spirituelle Übung) im Varnashram-Dharma114 vorgeschrieben ist, er ein Sklave des Veda ist - weil er den Veden folgen muß. Sobald aber jemand die Region von Maya und den drei Gunas überschreitet, steht er an der Spitze der Region der Veden — d.h. er wird der Schöpfer des Schöpfers der Veden; er steht über ihnen, und seine Anweisungen stehen über den Anweisungen der Veden. Der Koran sagt: "Vollkommene moslemische Faqire sind nicht an die Sharia (moslemisches, religiöses Gesetz) oder an die Gebote des Koran gebunden; ihre Gebote sind höher als die Gebote der Sharia."

69. Das sind die Aussagen von Heiligen und anderen wahren und vollkommenen Gottliebenden, die Sat Lok erreicht haben und eins mit Ihm geworden sind. Von dort sehen sie unzählige Welten und Brahms, jede mit ihrem eigenem Brahm, Ishwar, Maya, Shakti - das heißt mit den Göttern und Kräften115 der weltlichen Menschen; mit Inkarnationen, Brahmas, Vishnus, Shivas, Göttern, Propheten, Auliyas, Qutubs, Engeln, Yogishwars, Gyanis, Rishishwars, Munishwars, Siddhas, Yogis, Indras und Gandharvas116. Wie können die Heiligen den Anordnungen solcher

114 Die Gesellschaftsordnung der Hindus, das Kastensystem, das auch bestimmte Pflichten für jede Kaste (Varna = Farbe) vorschreibt. 115 Jeder Gott verkörpert eine bestimmte Naturkraft. 116 Gandharvas = Geister; Rishishwar = Seher; Munishwar = Asket, Heiliger; Siddha = ein Heiliger, ein halb göttliches Wesen; Auliya = spiritueller Adept im Islam; Qutub = ein Fakir, der sich um das Wohlergehen anderer Fakire zu sorgen hat; Vishnu = Sonnengott und

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Gottheiten, Inkarnationen, Propheten und Götter gehorchen oder sie auch nur beachten?

Jedes Triloki (die Gesamtheit dreier Welten) hat einen eigenen Herrn, der Brahm, Ishwar oder Maya Sabal genannt wird und seinen Ursprung jeweils in Trikuti und Sahasdal Kamal hat. Die Höchste Region - und zwar die von Sat Purusha Radha Soami - hat Myriaden von Brahms und Ishwars geschaffen. Nur die Heiligen - und sonst niemand - haben diese Höchste Region erreicht. Doch wer sie liebt, fest an ihre Lehre glaubt und ihre Satsangs oder ihre Vorträge besucht, den befreien sie durch ihre Gnade und ihr Erbarmen auch aus den Klauen von Maya und bringen ihn zu den Füßen von Sat Purusha Radha Soami.

Das Ende des ersten Buches.

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Erhalter der Schöpfung; Shiva = Zerstörer der Welt, Gewährer von Weisheit.

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Buch II

Sar Bachan

Worte von Hazur Radha Soami Sahib117 Zum Nutzen der Satsangis aufgezeichnet

1. Leider sucht niemand einen Sat Guru - obwohl der Granth Sahib ständig und in fast jeder Strophe betont, daß man einen Sat Guru suchen sollte. Alle verschwenden ihre Zeit und Energie mit heiligen Schriften und Pilgerfahrten.

2. Die Hingabe an den Sat Guru ist das allerwichtigste. Wer den Sat Guru liebt, der wird schließlich alles erhalten, wonach er verlangt. Wer nur nach Naam und Sat Lok strebt, aber keine Liebe für den Sat Guru empfindet, wird nichts bekommen. Die Liebe für den Sat Guru ist von äußerster Wichtigkeit. Sie löst uns von allen Fesseln.

3. Wir sollten beständig prüfen, ob wir unsere Leidenschaften wie Lust, Ärger usw. beherrschen oder nicht beherrschen können. Falls nicht, sollten wir mit unseren Abhyas (spirituellen Übungen) fortfahren und uns nicht in unnütze Gespräche und Diskussionen verwickeln lassen. Bedenke dies immer.

4. Der Sat Guru sagt: "Die Beziehung zwischen mir und den Schülern besteht nur um des Parmathi willen. Ich kann nicht mit jenen, die sich den üblen Impulsen des Gemüts hingeben, zusammen sein."

5. Karma (Handlungen, Riten und Zeremonien); Upasna (Verehrung des Gurus); Gyan (Wissen) und Vigyan (Wissen im

117 Eine Variante des Namens von Soami Ji Maharaj.

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esoterischen Sinne) sind die vier Stufen; und keine von ihnen kann ohne die Hilfe eines Sat Guru erreicht werden. Ein vollkommener Guru kann einen Schüler - entsprechend seinen Verdiensten - in diesen Fähigkeiten unterweisen. Andererseits lehrt ein Betrüger das, was dem Schüler gefällt. Solche Unterweisungen sind nicht gut, sie sind in der Tat schädlich, da der Schüler dann nichts anderes mehr aufnehmen kann.

6. Als Kabir Sahib Brahma die Wahrheit erklärte, begann dieser eifrig, den Sat Purush zu suchen. Aber er wurde von Kal irregeführt. Wie kann dann ein gewöhnlicher Sterblicher den Sat Purush ohne die Hilfe eines Sat Gurus suchen?

7. Der Sat Guru sagt, daß das Zeugnis des Herrn118 nur einem Bhakta mit genügend Liebe und Hingabe gegeben werden kann. Niemand besitzt so viel Liebe oder Bhakti (Hingabe), daß er das Zeugnis verdient. Was wir tun, ist nur eine Nachahmung. Aber sorgt euch nicht, denn das ist der Mauj119 in dieser Zeit; trotzdem werden alle hinüber gebracht120.

8. Liebe ist für beides wesentlich, für Karni (Bemühung) wie auch für Sharan (uneingeschränkte Ergebenheit). Ohne die Liebe ist beides nicht möglich.

9. Ghee121 ist in der Milch und Feuer ist im Holz verborgen. Aber die Milch kann nicht als Ghee und das Holz nicht als Feuer benutzt werden, solange diese Elemente nicht entwickelt sind. Genauso ist es eine Lüge, wenn wir behaupten, Brahm zu sein, sich dieser aber nicht in uns offenbart.

10. Die Hingabe an den Guru ist das wichtigste. Ohne sie können wir nichts erreichen. Vollkommenes und aufrichtiges Gurubhakti122 ist absolut notwendig, wenn es auch schwer sein mag.

118 Die innere Schau Gottes 119 Der göttliche Wille. 120 Über das Meer des Lebens. 121 Butterschmalz, geklärte Butter. 122 Liebe für den Guru.

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11. Der Herr ist in dir, wie der Duft in den Blumen. Die Blume ist sichtbar, aber nicht ihr Duft; dennoch können wir ihn durch den Geruchssinn wahrnehmen. Ebenso kann einer Gott in sich selbst erkennen, wenn er das wahre Wissen besitzt, das er vom Guru bekommt.

12. Ihr übt den Bhajan wie ein Ochse an der Ölpresse, der den ganzen Tag umhergeht und am Abend denkt, er hätte zwölf Meilen zurückgelegt und dabei doch im Haus geblieben ist. Das Gemüt in uns ist wie dieser Ochse. Es praktiziert die spirituelle Übung, aber es erhebt sich nicht. Die Vorstellung, daß wir uns zwei Stunden dem Bhajan (der spirituellen Übung) gewidmet haben, erzeugt nur Ahankar (Egoismus, Stolz) in uns, aber wir erfahren keine Glückseligkeit. Wenn wir sie erfahren würden, käme kein Ahankar (Egoismus, Stolz) auf. Aber man kann keine wahre Glückseligkeit erleben, solange man nicht über Trikuti hinausgelangt.

13. Alle haben das Recht, Bhakti (Hingabe) zu üben, aber sie sind nicht wirklich befähigt, Bhakti zu üben. Zwar schadet es nicht, dem Pfad von Bhakti zu folgen, da der Herr diese Geisteshaltung schätzt und Ihm nichts so lieb ist wie Bhakti - aber Sat Guru Bhakti ist die einzige Art von Hingabe, die Er anerkennt und die Ihm gefällt.

14. Ein Kameltreiber hält nur den Zügel eines einzigen Kamels in der Hand. Doch diesem Kamel folgen tausend andere Kamele. Genauso gibt es nur einen Gurmukh, aber durch seine Gnade überqueren viele das Meer des Lebens.

15. Der Satsang ist wie ein Paras (Stein der Weisen). Genau wie Eisen durch die bloße Berührung mit Paras in Gold verwandelt wird, werden jene, die aufrichtig am Satsang teilnehmen, in das Gold des ewigen Lebens verwandelt. Aber ein Heuchler mit geistigen Vorbehalten bleibt trotz des Satsangs dasselbe Eisen wie vorher. Der Satsang wirkt jedoch trotzdem als Paras.

16. Es ist nicht gut für Satsangis, sich während der Zeit des Seva zu ärgern, wie sie es manchmal tun. Es ist die Art der weltlichen Menschen, sich zu ärgern, wenn jemand ihre Absichten durchkreuzt. Wenn die Satsangis sich genauso verhalten, sind sie

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nicht besser als andere. Sie müssen die Gewohnheit der Nachsicht entwickeln. Ärger ist ein Werkzeug von Kal. Laß dich davon nicht überwältigen. Wenn jemand eigensinnig oder herrisch ist, solltest Du ihm vergeben.

17. Es ist leicht zuzuhören und zu verstehen; aber wenn man bloß oberflächlich zuhört und versteht und es nicht verinnerlicht, ist es nutzlos. Wenn es aber in unser Herz eindringt, wird sich das auch in unserem Verhalten zeigen. Es ist eine Regel, daß sich unser Inneres im Äußeren widerspiegelt. Satsangis sollten daher immer fähig sein, richtig zu urteilen; in der Regel sind sie dazu immer in der Lage, da sie ständig vom Sat Guru geführt werden. Tatsächlich ist es nicht möglich, gute Urteile zu fällen, ohne den Satguru Soami immer im Herzen zu haben. Das bedeutet, daß das Gemüt, das unser Feind ist, uns ohne Helfer immer ein Hindernis für eine richtige Entscheidung sein wird. Es ist daher unsere Pflicht, den Shabd und den Satguru Soami immer vor Augen zu haben. Vergiß dies nicht für einen Augenblick!

18. Der Mensch hat sich während all seiner Leben nach weltlichen Dingen gesehnt. Nur wenn er ein ähnliches Verlangen nach Parmarth (spirituelle Erhebung) entwickelt, wird er etwas erreichen.

19. Diese Welt ist eine Wildnis und wird fälschlicherweise mit einem Ort verwechselt, an dem man gut wohnen kann. Und all ihre guten Dinge, die vergänglich sind, werden als wahr und wirklich angesehen, während man das, was wahrhaft wirklich ist, ganz aus den Augen verliert. Wie kann sich der Jiva dann entwickeln und zum Satsang gehen?

20. Eigentlich ist der Jiva nicht zum Satsang (Verweilen in der Gegenwart eines Heiligen) berechtigt. Erst wenn er den Satsang einige Zeit besucht, ist er es wert, dort zu sitzen. Was man ihm auch immer erklären mag - er wird dennoch darauf bestehen, seine eigene Klugheit zu zeigen und seine eigenen Argumente darzulegen. Aber dies ist der Pfad der Liebe und nicht der des Verstandes. Wie kann sich Prem (Liebe) ohne den Satsang

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entwickeln? Kal verhindert, daß die Leute zum Satsang kommen. Dadurch wird der Jiva kraftlos und kann sich nicht mehr helfen.

21. Du solltest die Heiligen so lieben, wie die Fische das Wasser lieben. Wenn du sie auf diese Weise liebst, wirst du von ihnen geliebt, und nur dann vermagst du dich von der Welt zu lösen.

22. Laß das Gemüt und den Sat Guru vor dir stehen. Wenn du dem Guru gehorchst, überwältigst du das Gemüt; aber wenn du dem Gemüt folgst, wendest du dein Gesicht vom Guru ab. Wer den Schmerz der Liebe empfindet, wird es vorziehen, dem Guru zu folgen, aber wer keine Furcht hat (den Guru zu mißachten), wird von den Strömen des Gemütes hinweggetragen.

23. Bloßes Lesen und Auswendiglernen des Bani (der Lehren) der Heiligen wird solange nicht helfen, bis man die Lehren in die Tat umsetzt. Mache die Bachans (Vorträge), die du hörst, zur Richtschnur deines Lebens; sonst ist das, was du hörst und verstehst, völlig nutzlos.

24. Die Jivas von heute (die Leute heutzutage) lieben den Sat Guru nicht einmal ein Viertel mal soviel, wie sie das Fasten, die Wallfahrten und den Götzendienst lieben. Darum verändert sich in ihrem Herzen nichts. Das Hören von Vorträgen, die Wieder-holung der Namen und ihr Darshan sind nur oberflächlich. Wenn sie einen vollkommenen Sat Guru finden könnten, würde er all ihre Sinne nach innen wenden. Außer dem Sat Guru hat niemand die Kraft, sie nach innen zu ziehen.

25. Erst wenn man dem lebenden Sat Guru ganz vertraut, kann man Chaurasi (der Seelenwanderung) entkommen. Wenn man traditionell an die Heiligen der Vergangenheit glaubt und blindes Vertrauen in sie setzt, jedoch keine Liebe für den Sat Guru seiner Zeit empfindet und sich auch nicht nach seinen Worten richtet, wird man dem Kreislauf von Geburt und Tod nicht entkommen. Auch die Heiligen der Vergangenheit haben gesagt, daß man nur Erfolg haben wird, wenn man Zuflucht bei einem vollkommenen, lebenden Sat Guru sucht.

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26. Das von den Leidenschaften vergiftete Gemüt kann nur von einem Menschen beherrscht werden, der sich aufrichtig danach sehnt, den Herrn zu sehen. Ein brünstiger Elefant streift zügellos im Wald umher, und niemand kann ihn aufhalten. Aber mit dem Stock des Elefantentreibers wird derselbe wild gewordene Elefant gezähmt und vom König zum Reiten benutzt und lebt sodann in Zufriedenheit. Gleicherweise werden nur die Gurmukhs (jene, die von einem Guru geführt werden) in die Wohnstatt des Herrn eingelassen; während jene ohne Guru weiterhin durch den Kreislauf der Geburten und Tode gehen. Deshalb sollte man alles tun, um Gurumukhta123 zu erlangen. Aber der Guru muß vollkommen sein.

27. Was immer wir (die Heiligen) sagen und lehren, entspricht der Bereitschaft der Menschen. Heutzutage gibt es kaum einen, der (dieser Lehren) ganz würdig ist. Jene, die man für große Parmarthis hält, nehmen Hunderte von Schülern an und machen sie zu Gyanis - ohne Rücksicht darauf, ob sie Familienväter oder Asketen sind - indem sie Unterricht in "Vicharmala" (Name eines Buches über Vedanta) geben. Solche Lehrer und Schüler unterliegen alle dem Irrtum und Zweifel und gewinnen nichts als Stolz. Die heutigen Anhänger von Guru Nanak sind nicht besser. Sie bewahren den Granth Sahib in Tuch gewickelt auf, werfen sich vor ihm in Verehrung nieder und führen die Zeremonie von Arti (bei der man Lampen schwingt) vor ihm durch. Das tun sie schon lange Zeit, aber der Granth hat nie gesagt: "Friede sei mit euch und der Name weile in euren Herzen." Sie haben niemals innegehalten, um darüber nachzudenken, daß sie den Sat Guru, dessen Ruhm im Granth Sahib besungen wird, suchen sollten. Sie richten sich nicht nach den ausdrücklichen Anweisungen des Gurus, die von ihm für alle Zeiten gegeben wurden.

Bedenkt nur, ob es den Granth124 schon gab, als Guru Nanak erschien. Er hat die Menschen mündlich unterrichtet. Ganz offensichtlich kann kein Granth uns zu Heiligen machen. Die Heiligen sind nicht auf die Bücher angewiesen, da sie die Macht

123 Die Befreiung während des Lebens durch den Guru. 124 Guru Nanak schrieb die ersten Verse des Guru Granth Sahib.

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haben, Heilige zu erschaffen und Granths (Schriften) zu schreiben, wann immer sie möchten. Viele haben den Granth Sahib hundertmal gelesen, ohne seinen Inhalt zu verstehen. Solches Lesen ist nutzlos. Es ist von höchster Bedeutung, einen Sant Sat Guru zu suchen, der alle Irrtümer und Zweifel beseitigen kann. Es gibt keinen anderen Weg, dem Kreislauf der Geburten und Tode zu entkommen.

28. Der Satsang der Heiligen ist wie ein Kalpataru125 (ein Baum, der Wünsche erfüllt), der alles Verlangen vernichtet. Es wird von einem Kalpataru gesagt, daß er alle Wünsche erfüllt; aber keinem ist es je gelungen, einen solchen Baum zu finden.

Die Gesellschaft der Heiligen ist der wahre Kalpataru, und deshalb solltet ihr immer wieder Zuflucht zu ihr nehmen. Wenn jemand den Satsang der Heiligen nicht regelmäßig besuchen kann, dann soll er gehen, wann immer es ihm möglich ist. Aber er sollte aufrichtig sein. Eine heuchlerische Einstellung wird nichts bewirken.

29. Wie ein Diamant zwar eine Perle, aber keinen Stein durchbohren kann, so sprechen die Vorträge eines Heiligen nur jene an, die dessen würdig sind. Andere haben davon keinen Nutzen. Wenn jedoch solche, die es nicht verdienen, regelmäßig am Satsang teilnehmen, werden sie seiner schließlich würdig sein. Aber es gibt da einen Haken, und zwar wird es ihnen nicht möglich sein, im Satsang zu verweilen.

30. Am Anfang existierte nur Dhundhukar (ein nebelhaftes Chaos). Der Herr Purusha befand sich im Sunna-Samadhi (in Sich Selbst versunken). Bis dahin gab es keine Schöpfung. Als sein Mauj aufwallte, offenbarte sich Shabd und brachte die ganze Schöpfung ins Dasein; zuerst Sat Lok, und dann entstanden durch die Kala (die Emanation) des Sat Purush die drei Welten und die übrige Schöpfung.

31. Par Brahm Parmeshwar ist zwar in jedem, aber Er kann niemanden aus dieser Welt führen. Anstatt uns herauszuführen, 125 Der göttliche Baum des Lebens.

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verwickelt er die Seelen jeden Tag mehr und mehr in die Welt. Aber wenn derselbe Par Brahm Paramatma in der Gestalt des Sat Guru Seelen unterrichtet, kann Er sie aus der Knechtschaft dieser Welt befreien. Leider sind die Menschen so blind, daß sie keine Zuflucht zu dieser Gestalt des Herrn nehmen! Das Höchste Wesen hat angeordnet, daß Er nur jene trifft, die durch den Sat Guru zu ihm kommen, und daß niemand ohne den Guru seinen Hof betreten kann. Man kann sich die Frage stellen, warum die Leute den Worten der Heiligen nicht glauben. Der Grund dafür ist, daß sie weder Ehrfurcht vor dem Herrn besitzen, noch sich danach sehnen, ihn zu sehen. Wer Ehrfurcht vor dem Herrn besitzt, wird auch voller Eifer sein, ihn zu treffen. Zuerst kommt die Ehrfurcht.

32. Die heutigen Gurus nehmen zwar Schüler an, aber anstatt sie zu bitten, ihren Guru zu lieben, ermuntern sie diese zu Pilgerfahrten und Götzendienst. Aber was können sie tun? Wenn sie selber Gurubhakti geübt hätten, würden sie auch ihre Schüler dazu auffordern. Solche Gurus verdienen es nicht, als Gurus bezeichnet zu werden.

33. Wer Parmarth (die spirituelle Erhebung) ersehnt und Furcht vor Chaurasi (Seelenwanderung) hat, sollte sich zuerst einem vollkommenen Guru übergeben. Der Antahkaran126 wird ohne die Liebe für den Guru nicht gereinigt; auch Naam wird ihm nicht helfen, bis der Antahkaran gereinigt ist. Ein Farmer pflügt und bereitet zuerst das Land und sät dann die Saat. Ein Samen, der auf unvorbereitetes Land gesät wird, bringt keine Ernte. Der Grund des Herzens wird durch die Hingabe an den Guru vorbereitet. Ohne die Liebe für den Guru wird Naam keine Frucht bringen. Heutzutage rezitieren die Leute Naam zu Hause, ohne Zuflucht zum Guru zu nehmen. Solche Leute bekommen keines von beiden. Sie werden weder einen Guru noch Naam erhalten, da sich Naam in den Händen des Gurus befindet. Wenn man die Liebe für den Guru nicht entwickelt hat, wie kann man dann Nam erlangen?

34. Alle Götter unterhalb von Brahma und alle Inkarnationen angefangen von Rama und Krishna, nehmen niedrigere Ränge ein

126 Das innere Selbst; das Gemüt.

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als die Heiligen, während die Heiligen über ihnen stehen. Jene sind nur Minister und Diener, die Heiligen aber sind die Könige.

35. Der Satsang kommt an erster Stelle. Jene, die im Satsang verweilen, erhalten viele Vorteile. Ein Stein im Wasser bleibt kühl, obwohl das Wasser ihn nicht durchdringt. Er ist immer besser dran als die Steine, die sich außerhalb des Wassers befinden. Genauso kommen die weltlichen Menschen zum Satsang und werden nicht von ihm beeinflußt. Aber das macht nichts. Trotzdem sind sie besser als die durch und durch von der Welt erfüllten Menschen. Im Laufe der Zeit werden sie beginnen, den Einfluß anzunehmen.

36. Solange man lebt (wörtlich: solange man atmet), sollte man mit Gurubhakti fortfahren. Hingabe an den Guru bedeutet Hingabe an Gott. Dies sollte geschehen, ohne eine Gegenleistung zu erbitten. Er ist allmächtig und wird uns geben, was ihm gefällt, wenn er uns dafür würdig hält.

37. Der Sat Guru findet Gefallen an Demut. Wenn die Demut echt ist, braucht man sich weder um die Rastlosigkeit des Gemütes, noch um die Vorkehrungen für die (innere) Reise zu kümmern. Solch einer sollte entschlossen Zuflucht zum Sat Guru nehmen und auf seinen Schutz vertrauen. Dann wird das Schiff zur anderen Seite übersetzen.

38. Jene, bei denen Jar (Materie) und Chaitanya (Geist) noch verknotet sind, sind Kam, Krodh, Lobh, Moh und Ahankar127 unterworfen und stellen Sheel (Enthaltsamkeit), Kshama (Nachsicht) und Santosh (Zufriedenheit) zur Schau, aber das ist oberflächlich. Im Innern genießen sie die Leidenschaften, wohingegen jene, die den Knoten von Materie und Geist gelöst haben, nicht den geringsten Einfluß von Kam, Krodh, Lobh, Moh und Ahankar spüren.

39. Der Herr ist immer bei uns und nimmt sowohl unser gutes als auch unser schlechtes Verhalten hin. Wo immer Er es wünscht, 127 Kam = Leidenschaft; Krodh = Ärger; Lobh = Gier; Moh = Gebundenheit; Ahankar = Ichsucht, Stolz.

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wird Er einen von schlechtem Betragen abhalten. Niemand wird den Rat eines anderen beachten. Warum sollte man dann anderen weh tun? Es schadet nichts, denjenigen Ratschläge zu erteilen, die einem glauben und vertrauen, und nur diese werden auch einen Ratschlag annehmen.

40. Karmis (Menschen, die rituellen Gewohnheiten ergeben sind), Sharais (Anhänger des Sharia oder der mohammedanischen religiösen Gesetze) und Gyanis (Intellektuelle oder Vedantisten) werden niemals an das glauben, was die Heiligen sagen. Sie sind den weltlichen Wünschen unterworfen, und sie widmen sich den intellektuellen Vergnügungen. In der Tat sollten sie nicht zum Satsang der Heiligen kommen. Dies trifft auf alle zu, die den Orden der Nirmalas128, Sanyasis129, Gyanis, Vedantisten oder den Nihangs130 angehören - auf jene, die an Götzendienst und Pilgerfahrten zu heiligen Orten glauben; auch auf die, welche Sklaven der Veden, Shastras, Puranas und des Korans sind, aber kein Verlangen nach wirklichem spirituellen Fortschritt haben. Sie sind nur eine Quelle der Unannehmlichkeiten für die Heiligen, weil sie nicht nach einem Sat Guru suchen und nur dogmatisch Gläubige sind.

41. Nur drei Dinge werden in diesem Zeitalter des Kaliyuga zur Erlösung führen:

1. Hingabe an einen vollkommenen Sat Guru.

2. Die Gesellschaft eines Heiligen.

3. Simran (Wiederholung) und das Hören auf das heilige Nam.

Alles andere führt zu Sorgen und Verwirrung. Die Zeit, die man mit irgend etwas anderem als diesen drei Dingen zubringt, ist vergeudete Zeit.

128 Wörtlich: ohne Schmutz, rein; asketische Sikh-Gemeinschaft. 129 Entsagende; Hindu-Sekte. 130 Militante Sikh-Gemeinschaft; ihre Anhänger sind stets mit Schwertern, Speeren usw. bewaffnet.

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42. Der Jiva (die verkörperte Seele) wurde in diese Welt hinabgesandt, um das Schauspiel des Lebens zu sehen; aber als sie hierher kam, hat sie sich vollkommen in das Schauspiel vertieft und jede Erinnerung an den Herrn verloren; wie ein Kind, das hinaus geht, um einen Jahrmarkt zu sehen, und sich an der Hand des Vaters festhält, sie aber losläßt und bald in der Menge verloren geht. Nun kann es den Jahrmarkt nicht mehr genießen und kann den Vater nicht mehr finden und wandert von Ort zu Ort. Aber wer sich an der Hand des lebenden Sat Gurus festhält, hat den größten Gewinn von dieser Welt und erlangt auch Parmarth (spirituellen Vorteil). Wer sich dem Sat Guru nicht hingibt, wandert ruhelos von Ort zu Ort und wird nach dem Tod in den Zyklus von Geburt und Tod getrieben.

43. Wenn man sich der Seligkeit des Göttlichen Shabds in dieser Welt erfreuen möchte, sollte man nur eine Mahlzeit am Tag zu sich nehmen.131 Wenn man zwei oder dreimal am Tag etwas ißt, wird man sich überhaupt nicht daran erfreuen können.

44. Nur ein Leben hat Sinn, das im Dienst für den Sat Guru und voller Ergebenheit für den Herrn verbracht wird. Nur der Reichtum ist von Nutzen, den man für den Dienst am Sat Guru und den Sadhs verwendet. Unsere Söhne und Verwandten sind

131 Diese Anweisungen sind nur für jene gedacht, die sich ganz der Meditation hingeben können und sich um keine anderen weltlichen Pflichten mehr kümmern brauchen. Aber wenn der Schüler vom göttlichen Klang hingerissen ist, werden die physischen Bedürfnisse des Körpers wie Hunger, Durst, usw. automatisch auf ein Minimum reduziert. Im „Spirituellen Elixier“ bezieht sich Kirpal Singh auch auf diese Stelle (Seite 244 der englischen Ausgabe): „Soami Ji has often stressed the importance of dispensing with night meals for those who wish to enjoy the deep bliss of the holy Shabd. You may, however, do as best as you can in this matter.” “Soamiji hat oft betont, wie wichtig es ist, auf das Abendessen zu verzichten, wenn man sich an der intensiven Seligkeit des heiligen Shabd erfreuen will. Versuche in dieser Beziehung dein Bestes zu tun.“

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nur jene, die mit uns gemeinsam ein Leben des Parmathi (ein spirituelles Leben) führen.

45. Wer Vertrauen zum Sat Guru hat und ihn liebt, wird auch mit Shabd in Verbindung kommen. Wer aber kein Vertrauen zum Sat Guru hat, der wird auch Shabd nicht kosten.

46. Im Antahkaran (Verstand, Gemüt) befinden sich die Wurzeln der Lust, des Zorns, der Habgier, der Gebundenheit und auch der Unrat der Wünsche. Nur durch die Hingabe an den Guru können wir diese Übel entfernen und die Liebe entwickeln. Wenn sich die Liebe entwickelt, werden wir unser Ziel erreichen.

47. Der Schüler sollte damit aufhören, sich an irgend jemandem - außer am Sat Guru - zu orientieren und sollte ihm vollkommen vertrauen. Wenn der Schüler das unterläßt, wird ihm der Sat Guru selbst Einhalt gebieten; doch das wird nicht leicht für den Schüler.

48. Der Dienst für Chaitanya132 (das Bewußte) führt zum Leben, und der Dienst133 für Jar (das Leblose oder Unbewußte) führt zur Trägheit. Alles außer dem Sat Guru fällt unter die Kategorie Jar (träge). Der Sat Guru ist der einzige Chaitanya (Erwachte) in dieser Welt. Deshalb sollten sich alle, die ihr eigenes Wohl suchen und sich wünschen, mit dem Chaitanya eins zu sein, dem Dienst für den Sat Guru widmen134.

49. Gurumukhta (Verehrung des Gurus und Hingabe an den Guru) ist am wichtigsten. Danach kommt Naam. Ohne Gurumukhta kann man Naam nicht erlangen. Deshalb sollten alle danach streben, Gurmukhs zu werden.

50. Die Menschen, die ihr ganzes Leben mit den Verstrickungen dieser Welt vergeuden, verlassen die Welt beim Tod allein. Die Verwandtschaft folgt ihnen bis zum Krematorium, aber nach dem Tod gehen sie allein ins Jenseits, während die Satsangis immer vom Sat Guru begleitet werden. Es ist offensichtlich, daß man sich

132 Damit ist die Hinwendung zu den spirituellen Übungen gemeint. 133 Beschäftigung mit materiellen Dingen, um Sinnesfreuden zu erlangen. 134 Meditation und Umgestaltung sind der wahre Dienst für den Satguru.

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im Leben wie auch zur Zeit des Todes unglücklich fühlt, wenn man einsam ist. Während des Lebens erhält man Trost von der Frau und den Söhnen (von seiner Familie), aber in der Todesstunde hilft einem nur der Sat Guru. Man kann das Ziel des menschlichen Lebens nur durch die häufige Gemeinschaft mit dem Sat Guru erreichen, so daß man zum Zeitpunkt des Todes nicht leiden muß. Wenn es nicht möglich ist, körperlich bei ihm zu sein, sollte man ihn immer im Herzen tragen.

51. Wie Intellektuelle, die nur vom Wissen reden, aus einem Mangel an Liebe zurückbleiben, ohne irgend etwas erreicht zu haben, geschieht das auch den Anhängern des Sat Guru, wenn sie keine Liebe haben. Ohne Liebe gibt es keinen spirituellen Erfolg. Der einzige Unterschied besteht darin, daß die Intellektuellen die Wurzeln der Liebe abgetrennt haben und deshalb niemals irgend etwas erlangen können, aber die Anhänger des Sat Guru das Geschenk der Liebe eines Tages empfangen werden.

52. Naam oder Shabd ist eine mächtige Kraft, die aber niemand erkennt. Ein Schlafender wird wach, wenn man seinen Namen ruft. Das ist die Bedeutung von Naam. Wenn man Ihn, der immer wach ist, mit Seinem Namen ruft, warum soll Er es dann nicht hören? Aber er prüft die Aufrichtigkeit und Beständigkeit unserer Hingabe. Wenn Er unsere Augen bereit macht, Ihn zu erblicken, und unsere Herzen bereit sind, daß Er darin wohnen kann, wird Er sich Selbst offenbaren. Wenn man in der Zwischenzeit den Mut verliert und aufgibt, wird auch Er sich still verhalten. Aber wer entschlossen ist, Naam nicht aufzugeben, solange er atmet, der wird Ihn sicherlich erkennen.

53. Nachdem man durch die Gnade des Sat Guru in das Geheimnis des heiligen Naam eingeweiht worden ist, sollte man nach bestem Vermögen üben und damit fortfahren, Liebe für und Vertrauen in den Sat Guru zu entwickeln. Wenn man dazu nicht imstande ist, sollte man es in seinem Innern bereuen und mit seinen Bemühungen fortfahren. Man sollte sich nicht damit befassen, anderen diese Dinge zu erklären, sondern sich gewissenhaft um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Er,

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dessen Pflicht es ist, anderen zu helfen, wird sich um diese Dinge kümmern.

54. Die Heiligen haben in diesem Kali-Zeitalter angeordnet, daß anstelle der traditionellen Fastenzeiten und Pilgerfahrten, die Ergebung in den Willen des Sat Guru nun dem Fasten und die Gemeinschaft mit einem Sat Guru oder Sadh den Pilgerfahrten gleichkommt. Diese beiden Dinge werden den Jivas (Seelen) nützen, wohingegen das traditionelle Fasten und die Pilgerfahrten zu nichts als Eitelkeit führen.

55. Das Gemüt gleicht einem brünstigen Elefanten. Es rennt hemmungslos umher, wohin auch immer es ihm gefällt und zerrt auch den Jiva mit sich. Genauso wie man einen Mahout benötigt, um den wilden Elefanten zu kontrollieren, kann dieser ungebärdige Elefant des Gemütes nur durch den Stock des Sat Gurus beherrscht und berichtigt werden. Wie der Elefant wird auch das Gemüt seine Raserei so lange nicht aufgeben, bis sich der Stock des Sat Guru über seinem Kopf befindet. Wenn ein Mensch die Höchste Region erreichen möchte, muß er einen Sat Guru suchen. Ohne den Guru kann niemand jemals die Höchste Region erreichen. Wenn man diese Wahrheit nicht akzeptiert, wird man unausweichlich wieder in den Kreislauf der Seelenwanderung hineingetrieben.

56. Der Pfad des Sant Sat Gurus unterscheidet sich sowohl vom Sargun135-Pfad als auch vom Nirgun136-Pfad. Die Schöpfung in Sat Lok ist immerwährend und wirklich, und so ist auch ihr Schöpfer, Sat Purush.

57. Die Heiligen und Fakire sind vom selben Wesen wie Gott und sind Manifestationen des Höchsten. Wer sie liebt und ihnen Glauben schenkt, wird auch mit dem Höchsten Wesen eins werden.

135 Das wahre Wesen. 136 Nirgun oder Nirguna bedeutet: „ohne Attribut, ohne Eigenschaft, über den drei Gunas“; auch Name von Par Brahm.

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58. Es ist schwierig, ein Gurmukh zu werden, aber die Entfaltung von Shabd ist nicht schwierig. Dies hängt von Seinem Mauj ab. Nichts ist ohne Seine Gnade möglich.

59. Im Kaliyuga haben die Sants das heilige Shabd als das Mittel verordnet, durch das Daswan Dwar (die zehnte Öffnung) geöffnet wird, das im Körper verborgen liegt. Die zehnte Öffnung kann heutzutage auch in anderen Religionen durch kein anderes Mittel mehr geöffnet werden.

60. Wenn man den Guru erfolgreich verehren möchte, darf man die Welt nicht weiter anbeten. Man kann nicht beides tun. Wenn man mit Gurubhakti fortfahren will, wird man die Bindung an die Welt aufgeben müssen; und wenn man sich an die Welt klammert, wird Bhakti nicht vollkommen sein. Aber das ist keine starre Regel. Wer gute Sanskaras (Eindrücke und Neigungen aus der Vergangenheit) und die Gnade des Sat Guru besitzt, wird sich wirksam und ohne Schwierigkeiten um beides kümmern können. Aber wer Sanskaras einer niedrigeren Stufe hat, wird sich nur um eine Sache kümmern können.

61. Wer entschlossen ist, dem Pfad von Shabd zu folgen und einen Heiligen findet, der in den Geheimnissen von Shabd bewandert ist, sollte ihm alles, was er hat - sein Gemüt, den Körper, seinen Reichtum usw. hingeben, ohne auch nur im geringsten zu zögern.

62. Es gibt kein anderes Rasayan (Elixier) als Naam. Wer dieses Rasayan erweckt hat, dem stehen auch alle anderen Rasayans zur Verfügung. Wenn man den Ehemann festhält, wie kann dann seine Ehefrau weggehen?

63. Es gibt verschiedene Auffassungen über Mukti (Befreiung). Einige suchen sie durch Pilgerfahrten und Fasten zu erlangen, andere durch Askese und die Rezitation von heiligen Formeln; und wieder andere denken, daß man sie erhält, wenn man der Welt entsagt. Sie irren sich alle. Die Heiligen sagen, daß es so lange kein Mukti gibt, bis die Seele ihre wahre Heimat erreicht.

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64. All die Shastras- bei den Veden angefangen - all die Shat Darshanas137 (die sechs Systeme der Hindu-Philosophie), all die Fastenzeiten seit (der Einführung des) Chandrayana138 und das ganze Universum werden eines Tages zugrunde gehen. Nur die Heiligen und ihre Schüler werden überleben. Deshalb sollten wir unsere weltlichen Bindungen vermindern und unsere Liebe für die Heiligen verstärken. Die Liebe zu ihnen führt zum Glück, wohingegen die Liebe zu Reichtum, Ehre, Frau und Familie zum Unglück führt.

65. Man wird die Befreiung nicht durch die Pandits (Priesterschaft) oder die Bhikhs (religiöse Orden) erreichen. Außer einem gütigen Heiligen wird niemand den Jiva zur Befreiung führen können. Man sollte deshalb sein Bestes versuchen, einen gütigen Heiligen zu finden und Zuflucht zu ihm nehmen. Dann wird die Erlösung sogar in einer einzigen Lebensspanne möglich sein.

66. Heilige, die als Familienvater leben, ermöglichen es vielen Seelen, hinüberzugehen (über das Meer des Lebens). Wer den Weg eines Bhikh139 gewählt hat, ist nicht in der Lage, irgend jemand zu erlösen. Die barmherzigen Heiligen leben jedoch als Grihasthis140 (Familienväter).

67. Der Herr sagt, daß die Sadhs und Premjans (Seine Liebenden) Sein eigen Fleisch und Blut sind; und wenn Ihm irgendeiner zu dienen wünscht, er Seinen Sadhs und Liebenden dienen solle. Aber die irrenden Menschen beten Wasser und Stein an und

137 Shat = sechs; Darshana = Anblick, Sichtweise; damit ist hier die Weltsicht der sechs klassischen Systeme der Hindu-Philosophie gemeint. 138 Wörtlich (Sanskrit): „Der Weg des Mondes“; eine Fastenzeit, die sich von Vollmond zu Vollmond erstreckt, also dreißig Tage andauert. 139 Ein Mönch. 140 Grihast - die Zeit als Familienvater(-mutter) ist einer der vier Ashramas, der spirituellen Lebensperioden, die der Hinduismus beschreibt: a) Brahmacharya (Schülerschaft); b) Grihast (Familienleben); c) Vanaprastha (Aufenthalt in der Einsamkeit als Asket); d) Sannyasa (Leben als Entsagender, als lehrender Wandermönch).

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wenden sich nicht Gurubhakti, dem Satsang und dem Sadh Seva (Dienen für die Heiligen) zu, was von größter Wichtigkeit ist.

68. Gurubhakti und Satsang sind für die Jivas dieser Zeit notwendig. Ohne dies werden sie keinen Erfolg haben.

69. Bloße Teilnahme am Satsang kann kein Karma zerstören. Nur dadurch, daß man den Lehren des Satsangs entsprechend handelt, können die Wirkungen des Karmas zunichte gemacht werden.

70. Jedermann wiederholt den Namen mit der Zunge, aber niemand nimmt eine Veränderung in sich wahr. Der Grund besteht darin, daß der rezitierte Name einem Buch entnommen ist und nicht von einem Heiligen gegeben worden ist. Wenn jemand den Namen wiederholt, den ihm ein Heiliger gegeben hat, wird er die Glückseligkeit von Nam spüren. Die Heiligen bereiten erst den Grund des Herzens vor und pflanzen dann den Baum von Naam, und wir141 essen seine Früchte. Wenn ein wahrhaftiger und liebender Sucher zu ihnen kommt, geben sie ihm die Frucht von Nam.

71. Nur wer von einem Nadi142 Sat Guru (einer, der in der Praxis von Shabd bewandert ist) eingeweiht wurde, hört den Anhad143 Shabd. In dieser Zeit sind allein jene gesegnet, die an diesen Pfad glauben und sich auf ihm bemühen.

72. Das bloße Hören der Vorträge und die Teilnahme am Satsang reichen nicht aus. Man sollte auch darüber nachdenken, und das, was man gehört hat, geistig annehmen, so daß man zum nächsten Schritt der Praxis übergehen kann. Wenn man es nicht in sein Herz sinken läßt, verändert man sich nicht.

73. Satsangis sollten sich für jene einsetzen, die der Sat Guru zurechtweist, und jenen Achtung erweisen, die er ehrt.

141 Der Schüler, der von einem Heiligen angenommen und in Naam unterwiesen wird. 142 Nadi oder Nad = gleichbedeutend mit Naam oder Shabd. 143 Der unangeschlagene oder aus sich selbst erklingende Ton

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74. Wenn einer einen Sadh ohne ein Gefühl der Ehrerbietung bewirtet, gewinnt er; aber der Sadh verliert.

75. Für die äußere Kontemplation haben wir die Gestalt der Heiligen, die mit dem Höchsten Wesen eins sind. Die Heiligen vertiefen sich in ihrem Innern in den Akal Purush144. Die Menschen vernachlässigen die Wurzel und verehren die Zweige, mit dem Ergebnis, daß sie nicht zur Wurzel gelangen und auch die Zweige verdorren. Es war beabsichtigt, daß die Verehrung der Zweige schließlich zur Wurzel führen sollte, aber die Menschen haben die Zweige so fest ergriffen, daß sie diese nicht mehr loslassen können. Mit anderen Worten: Verführt durch die Priesterschaft haben sie zu allen möglichen Arten des Gottesdienstes Zuflucht genommen und fahren damit fort. Das geschieht, weil das Gemüt, das die Seele immer begleitet, ein Werkzeug von Kal ist und ihm zustimmt, wenn irgend jemand die Religionen145 von Kal erläutert, da sie (die Seelen) dadurch den Herrschaftsbereich von Kal nicht verlassen. Doch wenn die Heiligen den Weg von Dayal (der Gnade) verkünden, wird man von diesem Gemüt, dem Vertreter von Kal, in die Irre geführt, das uns nicht erlaubt, an die Worte der Heiligen zu glauben.

76. Man sollte die Wurzeln der Wünsche zerstören, da man sich sehr elend fühlt, wenn sich die Wünsche, die man hegt, nicht erfüllen. Bei allem, was man tut, sollte man sich auf Seinen Mauj (Willen) verlassen und nicht auf sich selbst. Man muß die Feinheit dieser Worte begreifen, denn sonst wird man in seinen Bemühungen nachlassen. Dieses vollkommene Vertrauen in seinen Mauj kann man nur dann ganz erreichen, wenn man den Herrn von Angesicht zu Angesicht sieht146. Ohne diese Vision ist diese vollkommene Hingabe nicht möglich. Dies ist der Zustand der Heiligen, die den Herrn als den Urheber oder die Urkraft in

144 Der Herr, der jenseits der Zeit (Kal) besteht. 145 Damit sind die üblichen Religionen gemeint, die auf Ritualen und Riten fußen, durch die der Bereich von Kal nicht überschritten wird. Der Bereich von Kal wird erst überschritten, wenn eine Seele nach innen geht. 146 Das stimmt mit der Aussage überein, daß der innere Weg erst wirklich beginnt, wenn der Schüler den Meister im Inneren erblickt.

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jedem wahrnehmen. In der Tat genießen die Heiligen das Schauspiel dieser Welt so, wie es niemand sonst genießen kann.

77. Manche glauben an Guru Nanak oder an irgendeinen anderen Heiligen und folgen aufrichtig deren Lehren. Zu diesen sagt der Sat Guru, daß sie Guru Nanak oder den Heiligen, dem sie folgen, als ihren Vater ansehen und nach seinen Lehren handeln sollen.

Es ist die Pflicht des Vaters, seine Kinder aufzuziehen. Der Vater erzieht seine Tochter und sorgt liebevoll für sie in jeder Hinsicht, aber wenn er möchte, daß sie einen Sohn bekommt, sucht er einen Mann für sie, weil sie keinen Sohn bekommen kann, solange sie im Haus ihres Vaters lebt. Genauso sagen Guru Nanak und alle Heiligen, daß einer, der Sach Khand (die Region der Wahrheit und von Sat Nam) erreichen möchte, nach einem Sat Guru suchen sollte. Nirgends wird gesagt, daß man Sach Khand einfach durch Lesen des Pothi147 oder Granth (heilige Schriften) oder blinden Glauben daran erreichen wird. Obwohl man in diesem Leben als Gläubiger und Anhänger einer Linie von Heiligen148 angesehen werden kann, wird man dennoch in den Zyklus der Wiedergeburten zurückgetrieben, wenn man nicht gemäß ihrer Worte handelt und einen lebenden Guru sucht. Dieser Ratschlag ist an jene gerichtet, die an die Lehren von (früheren) Heiligen glauben. Aber jene, die zu Sklaven der Pandits wurden, sind nicht mehr länger Anhänger der Heiligen. Man sollte nichts zu ihnen sagen, egal ob sie die Lehren akzeptieren oder nicht.

"Satgur khojo ri piari. Jagat men durlab rattan yehi."

(Suche den Sat Guru, mein Lieber. Er ist das seltenste Juwel in der Welt.)

78. Die Menschen dieser Welt sind an ihre Familien und ihren Reichtum gefesselt und finden nur an ihnen Freude. Darum werden sie weltlich genannt. Wer mit seinem Sat Guru verbunden

147 Pothi heißt Buch; damit sind heilige Schriften gemeint. 148 So kann man die Lehren von Tulsi Sahib, Soamiji, Sawan Singh, Kirpal Singh usw. als Repräsentanten einer Linie von Heiligen akzeptieren.

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ist, wer es liebt, ihn anzuschauen, und seine Vorträge genießt, wird Gurmukh genannt. Nur wenige lieben den Sat Guru, aber viele lieben die Welt. Aber wenn sie zum Sat Guru kommen, wird er sie eines Tages zu Gurmukhs machen.

79. Manche Leute sagen zu einem Sat Guru: "Seht, ich zerbreche einen Strohhalm. Wenn Ihr ein perfekter Sat Guru seid, dann stellt ihn wieder her." Der Sat Guru erwidert: "Bitte den, den du für Brahm hältst, den zerbrochenen Strohhalm wieder ganz zu machen. Wenn er das vermag, werde ich es auch tun." Der Sat Guru und Brahm sind nämlich eins, aber Brahm kann weder einen zerbrochenen Strohhalm wiederherstellen, noch die Toten zum Leben erwecken. Aber wenn irgend jemand den Sat Guru liebt und an ihn glaubt, wird er zum Leben zurückgebracht und auch der zerbrochene Strohhalm seines Lebens wird wieder in Ordnung sein. Die Menschen dieser Welt sind wie die Toten. Nur wer einen lebenden Sat Guru liebt, lebt wirklich, und der zerbrochene Strohhalm seines Lebens wird wieder ganz.

80. Der Murid (Schüler) sollte wie ein Murda (Toter) sein. Er sollte so handeln, wie der Guru es wünscht und nicht seine Argumente dagegenstellen. Solange er diese Haltung nicht entwickelt hat, kann er sich selbst nicht als einen Murda (Toten) betrachten, sondern als völlig lebendig in bezug auf die Welt ansehen. Er sollte sich jedoch weiterhin bemühen und sich nach den Worten des Sat Guru richten - d.h. mit Satsang, Bhajan, Satguru Seva und der Vermehrung seiner Liebe und seines Glaubens zu seinen Füßen fortfahren. Eines Tages wird er sich zu einem Murid (ein Schüler, der für die Welt gestorben ist) entwickeln.

81. Wenn irgend jemand einen Satsangi (Anhänger eines Heiligen) fragen würde, wieso es ihm möglich ist, an die Heiligen zu glauben, und wie er erkannt habe, daß sein Guru ein perfekter Guru ist, so wird er antworten, daß dies das Ergebnis einer vergangenen Verbindung ist und nicht durch irgendwelche spirituellen Übungen kommt, die er durchgeführt hat. Er wird sagen, daß er die Botschaft sofort geglaubt hat, als er sie zum ersten Mal gehört hat. Er sei so spontan vom Guru angezogen

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worden, wie die Motte vom Licht oder der Chakor (Mondvogel) vom Mond.

82. Jene Maya, die die ganze Welt in ihrem Griff hat, wird nur von den Heiligen beherrscht. Wenn irgend jemand von Maya befreit werden will, sollte er die Gemeinschaft der Heiligen suchen und fröhlich jede Rüge und jedes Lob entgegennehmen, das er bekommt. Nur dann ist er ein wirklicher Sadh. Aber wenn er überhaupt kein Durchhaltevermögen hat, also nur zufrieden ist, wenn er angenehme Dinge hört, aber zusammenpacken und gehen will, wenn er zu seinem eigenen Nutzen und zur Besserung zurechtgewiesen wird, kann er nie ein Sadh werden. Er kann nur dann ein Sadh werden, wenn er all das bereitwillig erträgt.

83. Solange man sein Verhalten nicht den Geboten der Heiligen anpaßt, kann das Gemüt nicht gereinigt werden. Solange man den Sat Guru und Shabd nicht verehrt, wird Chitta (das Gemüt oder die Gemütssubstanz) nicht reglos sein. Nur wenn man diese zwei Stufen gänzlich erreicht hat, ist man bereit, Gyan (Wissen) zu empfangen. Und wenn man Gyan erlangt, werden die materiellen Umhüllungen (der Seele) zerstört. Die heutigen, sogenannten Gyanis wissen noch nicht einmal, ob ihr Verstand und ihr Chitta rein und ruhig geworden sind. Sie sind nur durch das Lesen von Büchern zu Gyanis geworden, und sie verstehen nicht, daß im Kaliyuga niemand bereit ist, Gyan (wahres Wissen) zu erhalten. Das zeigt, daß sie blind sind. Sie selbst werden in Chaurasi (den Strudel der Seelenwanderung) zurück geworfen und ziehen ihre Schüler mit sich. Aber wer der Seelenwanderung entkommen möchte, sollte an die Lehren der Heiligen glauben und dieses menschliche Leben, das wir erst nach so vielen Schwierigkeiten erhalten haben, auf die rechte Weise nutzen. Wir sollten es nicht vergeuden. Aber wer es nicht glaubt, dem steht es frei, seinen eigenen Weg zu verfolgen.

84. Ohne die Hilfe eines lebenden Sat Guru kann man nichts erreichen. Nur wenn man sich dem Dienst für den lebenden Sat Guru hingibt und ihn erfreut, kann man etwas erreichen. Wenn man nach Naam verlangt, wird man es erst bekommen, wenn der

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Sat Guru Gefallen an einem findet, ganz gleich, wie sehr man sich bemüht.

85. Wie Glas im Feuer schmilzt, so schmilzt der menschliche Körper nach und nach im Feuer der sinnlichen Vergnügungen. Wahrlich gesegnet sind jene, die zu einem vollkommen Sat Guru gelangt sind und sich selbst - Körper, Gemüt und Reichtum - dem Sangat opfern.

86. Die Verbindung mit einem Sadh149 - auch nur für eine kurze Zeit - reicht aus, um die Sünden von unzähligen Geburten fort zu waschen, aber es muß ein vollkommener Sadh sein. Es ist jedoch schwierig, einen wahren Sadh zu finden. Selbst wenn man mit viel Glück einen gefunden hat, ist es schwer, in seiner Gegenwart zu verweilen. Ohne den persönlichen Verbindung kann sich kein Glaube entwickeln, und ohne Glauben gibt es keine Liebe; und wie kann ohne diese beiden die Gnade fließen? Ohne die Gnade eines Sadh oder Sat Guru können wir auch das Ziel nicht erreichen. Aus diesem Grund brauchen wir zuerst die Gemeinschaft.

Es ist kein Verlust, wenn man das ganze Leben damit verbringt, einen Sat Guru zu suchen. Es ist sogar sehr nützlich, da es den Sucher zu einem neuen Leben in menschlicher Gestalt verhilft. Wenn er sich jedoch mit Pilgerfahrten, Fasten, Bilderverehrung, Zurschaustellung von übernatürlichen Kräften und mentaler Magie, ritueller Verehrung, Brahm Gyan und ähnlichem abgibt, verliert er das Recht auf eine Geburt in Menschengestalt, und das Individuum wird wieder in den Zyklus der Seelenwanderung zurückgeworfen. Wenn Brahma, Vishnu, Maha Dev und die dreiunddreißig Karors150 von Gottheiten, die hinter diesem weltlichen Panorama stehen, alle Geburt und Tod unterworfen sind, wie kann da der arme Mensch entfliehen? Aber wenn er mit viel Glück einen vollkommenen Sat Guru findet, wird er seine wahre Heimat erreichen, während die vorher genannten Gottheiten weiterhin Geburt und Tod ausgeliefert sind. Wer das

149 Ein „Sadh“ ist eine reine Seele, ein Heiliger; mit „Sadhu“ werden oft Bettelmönche bezeichnet. 150 1 Karor (engl.: crore) entspricht 10 Millionen.

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nicht so recht glauben mag, der kann sich durch das Studium von Schriften der Heiligen vergewissern. Wer jedoch weder mir, noch den Schriften der (früheren) Heiligen glaubt, vor dem liegt der Weg der Seelenwanderung, den er ganz gewiß durchschreiten muß.

87. Nur durch das Lesen oder Wiederholen der in den Granths und Pothis (religiöse Bücher und Schriften) gegebenen Namen wird man nichts erreichen. Den Weg von Naam kann man nur durch die Verbindung mit einem Heiligen finden. Aber dieser Ratschlag ist nur für wahre Sucher und nicht für die weltlichen Menschen gedacht.

88. Ahankar (Ichsucht) ist die Wurzel aller weltlichen Bindung, so wie Sumer (die höchste Perle) die wichtigste Perle in einem Rosenkranz ist. Wenn man die Sumer hält, hält man alle anderen Perlen fest; und wenn man den Faden herauszieht, verstreuen sich alle Perlen. Wer sich der Gnade des Sat Gurus sicher ist, schneidet auf die gleiche Weise die Wurzel des Ahankar ab und wendet sich dem Sat Guru seiner Zeit zu, während auf alle weltlichen Vergnügungen verzichtet. Solche Menschen sind gesegnet! Jene, die dies nicht erreichen, sind nur Tiere in menschlicher Gestalt. Diese Worte sind jedoch nur für Satsangis gedacht. Die weltlichen Menschen fangen nur darüber zu streiten an - anstatt sie zu anzunehmen.

89. Es ist unnütz, die Lage der weltlichen Menschen zu erläutern. Was kann man ihnen sagen, wenn man sogar unter den Swamis (religiöse Lehrer) und ihren Schülern kaum einen ohne Habgier finden kann? Daran sollte man denken und den eigenen Gemütszustand von Zeit zu Zeit überprüfen.

90. Der Schmutz von Homen (der Ichsucht) muß durch Dienst für den Sat Guru und die Hingabe an Shabd entfernt werden. Nur dann wird Gott mit uns zufrieden sein. Kurz gesagt, man muß Eitelkeit durch Demut ersetzen. Die Gnade des Herrn ist mit dem Demütigen. Nur wenn wir demütig sind, wird uns Seine Gnade zuströmen, und wir werden erfolgreich sein. Es ist jedoch nicht einfach, Demut zu entwickeln.

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91. Wenn ein Mensch irgendein Ritual oder ein Gebet gemäß der Weisung seines Sat Gurus verrichtet, wird er einen Gewinn davon haben; aber wenn er Riten oder Zeremonien aus den Veden oder Puranas unter der Anleitung eines Priesters ausführt, wird er verlieren.

92. Wenn man den Guru verehrt, betet man gewissermaßen Gott selbst an, denn der Herr hat gesagt, daß Er nur das Gebet von jenen annimmt, die sich Ihm durch einen Guru nähern, und Er sich nicht jenen offenbart, die Ihn durch andere Formen der Verehrung suchen.

Wenn jemand fragt, was die besonderen Merkmale eines Guru sind, damit er ihm glauben und ihn dann verehren kann, sollte man ihn nach den besonderen Merkmalen des Gottes fragen, den er verehrt. Wie erkennt er Ihn? Die besonderen Merkmale Gottes und die des Gurus sind ein und dieselben. Gott und der Guru sind eins, es gibt keinen Unterschied zwischen ihnen. Man wird Gott nicht durch direkte Anbetung erkennen, aber man kann Ihn erkennen, wenn man einem Sat Guru dient und ihn verehrt. Wenn jemand nun fragt: "Warum nicht von vornherein Gott anbeten, wenn sie ein und derselbe sind?" Die Antwort lautet, daß dies nicht möglich ist. Wir müssen zuerst Sat Guru Bhakti üben, dann wird Gott sich offenbaren. Gott selbst hat angeordnet, daß man Ihn nur durch einen Guru erkennen kann. Ohne Guru kann man Sein Reich nicht betreten. Aber es muß ein vollkommener Guru sein.

93. Wenn ein Mensch einen vollkommenen Guru findet, volles Vertrauen zu ihm entwickelt und sich ihm vollständig unterwirft, kann er einen Stand erreichen, den weder Brahma, Vishnu, und Maha Deva erreicht haben, noch jemals erreichen können.

94. Sich Kritik oder Lob hinzugeben ist sündhaft, da niemand so beschrieben werden kann, wie er wirklich ist. Wenn wir jemand loben müssen, sollten wir unseren Guru loben, und wenn wir Fehler an jemand finden müssen, sollten wir sie bei uns selbst finden. Das wird uns helfen. Andere zu kritisieren oder zu loben, ist bloße Zeitverschwendung, aber es ist unter einer Bedingung

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erlaubt, und zwar, wenn ein Freund durch eine andere Person irregeführt wird, dann soll man ihm sagen, daß er von diesem Menschen nicht profitieren kann und er getäuscht wird. Das ist keine Sünde. Dies sollte man aber nicht zu jedem sagen.

95. Solange die Seele ihre Wahre Heimat nicht erreicht hat, wird sie keinen Frieden finden. Es ist deshalb unsere Pflicht, alle anderen Sorgen aufzugeben und an unsere Rückkehr nach Hause zu denken. Der Weg zurück nach Hause kann nur im menschlichen Körper gefunden werden, und es ist nicht gut, diese Zeit zu vergeuden.

96. Solange man sich nicht dem Dienst für den Guru seiner Zeit hingibt und Bhajan und Simran der heiligen Namen übt, wird man niemals Naam erreichen. Man sollte deshalb dem Guru bis zum Äußersten dienen - mit Körper, Gemüt und Besitz. Mit Seiner Gnade wird die Liebe für den Sat Guru eines Tages die Liebe für alles andere ersetzen. Dann wird man selbst weder im Angesicht von Sorge oder Elend, wie groß es auch immer sei, nicht unglücklich sein, noch wird man freudig erregt sein, wenn man etwas Schönes erhält. Wenn man dieses Stadium erreicht, hat man Jivanmukti (die Erlösung während des Lebens) erlangt. Was bleibt dann noch zu tun übrig?

97. Nur einer, der den Tod fürchtet und sich nach Befreiung sehnt, wird den Guru und den Satsang lieben. Einer, der die Welt liebt und keine Angst vor dem Tod hat, wird weder zum Satsang kommen, noch wird er den Sat Guru lieben.

98. Jeder wiederholt einige heilige Namen. Niemand ist ohne sie, aber keiner hat etwas davon. Der Grund besteht darin, daß sie diese Namen nicht durch einen Sat Guru bekommen haben. Gemäß ihrer Einbildungskraft fahren sie mit diesem Japa (der mentalen Wiederholung) fort.

99. Wenn jemand zum Satsang der Heiligen gekommen ist und auch die Einweihung in den Pfad der Heiligen erhalten hat, ist ihm vorerst nur die Rechnung vorgelegt worden. Der Reichtum

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von Naam (seine Segnungen) wird ihm nicht eher ausgehändigt, bis er die Rechnung akzeptiert.151

100. Wenn jemand zum Satsang eines Heiligen kommt, findet er das Ausmaß seiner Verschuldung gegenüber Kal heraus. Wenn seine Schuld nicht zu groß ist und in diesem Leben zurückgezahlt werden kann, gilt er als geeignet und wird für die Einweihung akzeptiert. Wenn jedoch die Heiligen der Meinung sind, daß er noch Nahrung für Kal (bei Kal hoch verschuldet) ist, wird er nicht angenommen. Aber in jedem Fall hebt das Aufsuchen eines Heiligen zahlreiches Karma auf, und er wird in der Zukunft für Naam bereit sein.

101. Zuerst muß der Schmutz der Ichsucht entfernt werden. Heutzutage tun einige Leute - entsprechend ihrer Überzeugung - etwas, das nach ihrer Erwartung die Ichsucht beseitigt und ihnen Naam sichern wird. Aber sie tun das unabhängig, auf selbstsüchtige Weise und ohne die Hilfe oder den Rat eines Sat Guru. Das macht sie noch egozentrischer, da sie nicht auf den Sat Guru schauen, sondern so handeln, wie es ihnen das Gemüt befiehlt.

102. Entsprechend der Lehre der Heiligen ist der Jiva (die Seele) als ein Teil des höchsten Wesens zu verstehen, während die Vedantisten an die alleinige Existenz von Brahm glauben und der Seele keine Bedeutung beimessen.

103. Wer den Sat Guru liebt und nach ihm allein verlangt, wird eines Tages seine Wahre Heimat erreichen; aber einer, der begierig nach Naam verlangt, um Sat Lok zu erreichen, und keine Liebe für den Sat Guru empfindet, wird weder seinen Schutz erhalten, noch wird er in der Lage sein, in der Gegenwart des Sat Gurus zu verweilen.

104. Die Heiligen verdammen Gyan (geistige Erkenntnis) nicht, aber sie bestehen vor allem auf innerer Reinheit. Nur dann ist

151 Mit „Rechnung“ sind die Gebote des Gurus gemeint; wenn der Schüler diese Rechnung (= Gebote) annimmt, erhält er die Segnungen von Naam.

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man für Gyan (wahres Wissen) berechtigt. Es ist deshalb gut, wenn wir uns vor Personen hüten, die nur Buchwissen besitzen; und wir sollten mit der Hingabe für den Sant Sat Guru und der Übung des Surat-Shabd-Yoga fortfahren. Das wird den Antahkaran (Geist, Gemüt) reinigen und zu guter Letzt auch Naam sichern.

105. Satsangis sollten jeden Mitschüler ermutigen und nicht necken, wenn er versehentlich eine Behauptung aufstellt, die seinen Horizont überschreitet152. Wie sehr auch immer diese Aussage seine Stufe überschreiten mag, sollte man sie dennoch nicht abwerten, denn der Sat Guru kann sie - wenn es sein Mauj (Wille) ist - wahr werden lassen.

106. Wenn der Papiha (der Regenvogel) inbrünstig nach einem Tropfen des Swari-Regens (ein Regen, der nur zu einer bestimmten Zeit im Jahr fällt) schreit, hört Gott ihn und veranlaßt die Wolken zu regnen, was seinen Durst löschen wird. Auf die gleiche Weise hört der Allwissende Herr unser Flehen und versteht das Verlangen jener, die nach dem heiligen Nektar von Naam dürsten. Er befiehlt dem Sat Guru, zu ihnen zu gehen und ihren Durst mit dem Ambrosia des Wortes zu löschen. Dann erscheint der Sat Guru und schenkt mit seinen nektargleichen Reden den leidenden Seelen Trost. Der Herr selbst kann kein Wasser auf ihr Feuer schütten153. Dies zeigt die überlegene Größe des Sat Guru. Äußerst glücklich sind jene, die einen lebenden Sat Guru finden und ihm glauben. Sie ziehen den rechten Nutzen aus dem menschlichen Körper.

107. Die Seele ist durch Shabd154 in die Knechtschaft hinabgestiegen; und so lange man keinen Sat Guru trifft, der in den Mysterien von Shabd bewandert ist, wird man nicht fähig

152 Der Schüler mag eine innere Wahrnehmung falsch beurteilen und glauben, er habe eine viel höhere Stufe erreicht, als es wirklich der Fall ist. 153 Mit Feuer ist das verzehrende Feuer des sinnlichen Verlangens gemeint, das nur ein lebender Meister mit dem Wasser von Naam löschen kann. 154 Da Shabd die Ursache der Schöpfung ist.

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sein, in die wahre Heimat zurückzukehren. Man kann nur durch Shabd aufsteigen. Es gibt keinen anderen Weg, aus dieser Gefangenschaft zu entkommen.

108. Einige Leute kommen und lauschen den Vorträgen, aber sie sind nicht aufrichtig. Sie reden viel, aber sie besitzen nicht einmal eine Spur von Bhakti (Hingabe). Das ist falsch. Man kann der Welt etwas vormachen, aber im Umgang mit dem Sat Guru muß man ganz aufrichtig sein. Du magst nur ein wenig Hingabe besitzen, aber wenn diese aufrichtig ist, wird sie sich stetig entwickeln und schließlich vollkommen werden, und Gott wird sich über dich freuen. Aber eine geheuchelte Hingabe, wie groß sie auch immer sein mag, nimmt Er nicht an.

109. Man kann während eines Sandsturmes nichts sehen. Auf die gleiche Weise wissen die Pandits und Bhikhs - die von der Welt für Parmarthis155 und für bedeutend gehalten werden - durch den Staub der Gier, der ihren Geist umhüllt, überhaupt nicht, was Parmarth bedeutet. Wie kann Gott über solche Menschen erfreut sein? Sie und ihre Schüler sind dazu bestimmt, in den Kreislauf des Chaurasi (die Seelenwanderung) zurückzukehren.

110. Man kann die spirituellen Lehren ruhig verbreiten, aber man sollte dabei ganz losgelöst sein; denn zunächst kann man nicht wissen, wer bereit ist, die Lehren der Heiligen zu aufzunehmen. Das kann man nur herausfinden, wenn man die Lehren verbreitet. Jene, die bereit sind, die Lehren der Heiligen anzunehmen, werden sie akzeptieren; aber jene, die nicht bereit sind, werden bloß diskutieren und argumentieren. Mit solchen Menschen sollte man nicht weiter darüber reden. Die Verkündung der Lehren ist nicht absolut verboten, denn wenn man über die Lehren nichts sagt, wie soll Sant Mat dann bekannt gemacht werden?

111. Gott liebt vor allem die Demut. Es ist deshalb unsere Pflicht, das zu tun, was uns demütig macht. Die Gemeinschaft mit den Heiligen ist der beste Ort, um sie zu entwickeln. In der Gesellschaft von Priestern und Pandits, die sich nur um

155 Menschen, die den spirituellen Weg beschreiten.

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Wohlstand und gutes Essen sorgen, kann man weder Demut entfalten, noch freut sich Gott darüber. Wer immer bestrebt ist, diese Tugend zu entwickeln, sollte als erstes einen lebenden Sat Guru suchen und sich ihm hingeben. Bis er nicht einem barmherzigen Heiligen begegnet, sollte er niemand als Guru akzeptieren.

112. Manche Menschen fühlen sich gekränkt, wenn man ihnen einen Ratschlag gibt. Wir sollten deshalb vorsichtig sein, wenn wir eine Unterhaltung beginnen, und sollten nicht auf etwas bestehen, wenn jemand unsere Sichtweise nicht akzeptiert; auch sollten wir nicht versuchen, die andere Person zu überzeugen.

113. Der Sat Guru wird von jenen erkannt, die unter dem Elend dieser Welt leiden; aber jene, die sich an der Welt erfreuen, werden niemals in der Lage sein, einen Sat Guru zu erkennen. Der Sat Guru kann nur dann wirklich erkannt werden, wenn der Sat Guru selbst den Schüler mit dieser Erkenntnis beschenkt. Diese Erkenntnis wird von keiner anderen übertroffen.

114. Die Heiligen erzählen uns, daß nicht unbedingt alles, was einen Anfang hat, auch ein Ende hat. Durch ihren Mauj (Willen) haben die Heiligen eine Schöpfung ins Leben gerufen, die einen Anfang, aber niemals ein Ende hat.

115. Es gibt zwei Arten von Namen, Varnatmak (aussprechbar) und Dhunatmak (unaussprechlicher, ursprünglicher Klang). Der letztere ist von viel größerem Wert als der erstere. Jemand, der sich vor der Seelenwanderung fürchtet, sollte einen Sat Guru suchen, der in der Praxis von Dhunatmak Naam geübt ist. Dann kann er vor dem Zyklus der Wiedergeburten gerettet werden. Aber wer der allein mit Varnatmak Naam zufrieden ist, kann der Seelenwanderung nicht entfliehen.

116. WIR MÜSSEN ALLES ANDERE BEISEITE LASSEN UND DEM SATGURU UNSERER ZEIT UNBEDINGT GEHORCHEN UND SEINE ANWEISUNGEN VERTRAUENSVOLL BEFOLGEN. DAS WIRD UNS ZUM ERFOLG FÜHREN. DAMIT IST ALLES GESAGT.

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117. Die Menschen empfinden die Notwendigkeit von Parmarth nicht so sehr wie die Notwendigkeit weltlicher Güter; noch werden sie sich wegen Naam so sehr erniedrigen, wie sie es für weltliche Dinge tun; und wenn ein weltlicher Mensch sich erniedrigt, dann ist es nur anmaßende, vorgegebene Demut. Doch der Sat Guru ist allwissend. Warum sollte er Naam einer solchen Person schenken? Durch ihre Gleichgültigkeit sind die Menschen an dem Mangel an wahrer Demut schuld. Es ist eine Wahrheit, daß der Jiva solange nicht befreit werden kann - auch wenn Gott selbst bestrebt wäre, ihn zu retten - bis das Gemüt in wahrer Demut vor den Sat Guru tritt.

118. Jene, die nur in der äußeren Welt leben, wissen nicht, was innen liegt. Ohne die innere Hingabe an Shabd können wir dieses Ziel vor uns nicht erreichen. Beides ist gleichermaßen notwendig: die äußerliche Hingabe an den Sat Guru und seinen Satsang sowie die innere Hingabe an Shabd.

119. Auch jene, die an die Veden glauben, können die Region der Veden nicht ohne die Führung des Sat Gurus ihrer Zeit erreichen. Darum ist es so wichtig, einen lebenden Sat Guru zu suchen. Wie sehr wir ihn auch preisen mögen, sind wir erst dann gerettet, wenn wir ihm mit viel Glück begegnen. Tatsächlich ist es unmöglich, seine Größe zu schätzen, und es ist nicht falsch, wenn man ihn größer als alle anderen in der Vergangenheit betrachtet, von Brahma angefangen. Der vollkommene Sat Guru seiner Zeit hat in jeder Hinsicht Vorrang. Wir können heute nichts von denen empfangen, die vergangen sind, wie vollkommen sie auch immer gewesen sein mögen. Das, was uns bestimmt ist, werden wir vom Sat Guru unserer Zeit erhalten.

120. Verblendung und Bewußtwerdung hängen beide vom Karma ab. Wenn zum Beispiel ein Junge von anderen Jungen zum Spielen weggelockt wird, bringen die gleichen Jungen ihn wieder nach Hause zurück, wenn das Spiel vorüber ist. Die Vergeßlichkeit der Seele entsteht durch das Karma, aber das Karma bringt auch die Erinnerung wieder zurück.

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121. In diesem Zeitalter kann man außer mit der Hingabe an den Sat Guru und der Übung des Surat-Shabd-Yoga mit keinem anderen Weg erfolgreich sein. Alle anderen Formen der Anbetung sind wie das Lärmen vor einer Schlangenhöhle. Auf diese Art kann man die Schlange nicht töten. Sie kann jederzeit wieder auftauchen. Der richtige Weg ist, die Schlange (des Gemüts) zu fangen, und dies ist nur durch die Hingabe an den Sat Guru und an Shabd möglich. Wir können sie durch kein anderes Mittel fangen. Wer diese Worte nicht annimmt, wird nichts erreichen; und jene, die den Weisungen ihres Gemüts folgen, werden auch Leid erfahren.

122. Die Heiligen sagen, daß Naam süß ist - aber nur wenige Menschen gehen dafür nach innen; doch wenn man ihnen Süßigkeiten anbietet, werden sie schnell aufgegessen. Süßigkeiten schmecken für einen kranken Menschen wie etwas Bitteres. In Wirklichkeit sind sie nicht bitter, doch durch die Krankheit schmecken sie so. Das zeigt uns, daß die Welt krank ist. Wir müssen Zuflucht zu dem Mittel nehmen, das den Geschmack wieder herstellt, d.h. wir sollten zu einem Arzt gehen, der die Krankheit eines Tages heilen kann. Dann werden die Süßigkeiten, die zuerst bitter schmeckten, wieder einen süßen Geschmack bekommen.

Jene, die sich an der Glückseligkeit von Naam in Parmarth (bei der spirituellen Übung) erfreuen wollen, sollten alle anderen Praktiken aufgeben und entschlossen beim Sat Guru Zuflucht suchen, der Samarth (allmächtig) ist und den Jiva reinigen wird; d.h. er wird ihren Antahkaran säubern, der jetzt noch mit Wünschen nach sinnlichen Freuden angefüllt und mit dem Unrat von Lust, Zorn, Gier, Verhaftetsein und Ichsucht beschmutzt ist. Er wird auch die angesammelten Unreinheiten und Krankheiten entfernen, durch die der Jiva die Süße von Nam nicht schmecken kann, und wird ihm Glückseligkeit schenken. Wer sich dieser Behandlung nicht unterwerfen will, wird zu Chaurasi verurteilt sein.

123. Der Zorn des Guru und des Vaters ist wie Wasser, das - wie heiß es auch sein mag - ein Feuer löschen kann und immer zu

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unserem Besten wirkt. Aber der Zorn der weltlichen Menschen ist wie ein Feuer, das zerstört und verbrennt, wohin es auch fällt.

124. Die Liebe für den lebenden Sat Guru sollte wie die Liebe eines Kindes für die Mutter sein. Wenn ein Kind beim Stillen von der Mutterbrust weggenommen wird, schreit es bitterlich und wird so unruhig, daß man es nicht beruhigen kann. Wie kann jemand erwarten, Naam zu erhalten und von dieser Welt befreit zu werden, wenn er den Guru verläßt und selten an ihn denkt? Er kann es nicht ertragen, auch nur einen Tag von seiner Frau und seinen Kindern getrennt zu sein, aber er trennt sich von seinem Guru für Monate. Welchen Wert kann man einer solche Liebe beimessen? Wenn jemand Erlösung erlangen will, muß er darauf vorbereitet sein, das volle Maß der Hingabe an seinen Sat Guru zu entrichten. Nur dann wird er Erfolg haben.

125. Die Menschen denken, daß die Satsangis und Sadhus, die beim Satsang zu den Füßen des Sat Gurus sitzen, nur dort sind, um ihre Mahlzeiten156 zu bekommen; aber sie nehmen keine Notiz von der Tatsache, daß diese Schüler jeden Tag vier bis sechs Stunden am Satsang teilnehmen, ihren Bhajan so lange wie nur möglich ausüben, wenig schlafen und nur von Charanamrit und Parshad (gesegnete Speise) leben. Was für ein großes Glück ist das! Die weltlichen Menschen essen und schlafen nach Herzenslust und wissen noch nicht einmal, was Parmarth bedeutet.

126. Manche Menschen werden nur dann vergeßlich, wenn sie weit weg sind, doch sobald sie in die Gegenwart des Sat Guru kommen, wird ihr Gemüt ruhig - wie eine Honigbiene, die stets umherfliegt, sich aber nicht mehr vom Honig trennen und mehr von ihm lassen will, wenn sie ihn einmal gefunden hat. So geht es jenen, deren Liebe Frucht trägt. Natürlich gibt es eine große Zahl anderer, die zu ihm kommen und wieder gehen. Sie haben auch etwas davon, aber in viel geringerem Maße.

156 In Indien wird bei den großen Satsangs nach dem Vortrag ein Essen im Langar (Freiküche) verteilt.

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127. Die Satsangis sollten einander lieben. Wenn es untereinander Mißgunst gibt, können sie sich nicht am Satsang erfreuen. Die Seligkeit des Satsangs und Bhajans können sie nur erfahren, wenn gegenseitige Liebe vorhanden ist.

128. Der Zorn der Heiligen ist voller Gnade, während der Zorn der weltlich Gesinnten zerstörerisch wirkt. Aber die weltlichen Menschen können nicht zwischen beidem unterscheiden. Sie denken, daß die Heiligen dem Zorn unterworfen sind und nehmen nicht die Liebe in dem (scheinbaren) Zorn wahr, während sogar in der Freundlichkeit des Unwissenden eine Falle steckt.

129. Gott selbst ist in beiden - Freund und Feind - gegenwärtig, deshalb sollten wir uns weder aus der Freundschaft der Freunde, noch etwas aus der Feindschaft der Feinde machen. Gott ist in beiden Fällen der Urheber. Aber das kann nicht die Sichtweise eines jeden Menschen sein. Nur jene, die Gott in sich selbst erkannt haben, können diese Sicht teilen. Und ihr, die ihr den Worte der Heiligen lauscht, solltet versuchen, euch mit diesen Gedanken so zu erfüllen, daß euren Geist keine Krankheit befallen kann. Diesen Zustand des Geistes kann man nicht schnell erreichen, aber ihr wenn ihr jeden Tag den Satsang besucht und regelmäßig die inneren Abhyas (Meditation) ausübt, werdet ihn mit der Zeit entwickeln.

130. Alle lebenden Geschöpfe, vom Anfang bis zum Ende der Schöpfung, sind aus Fleisch gemacht. Doch in allen ist Naam das höchste Element. Wem der Sat Guru mehr als alles andere bedeutet, der wird entkommen. Die anderen werden im Feuer der Seelenwanderung gekocht, so wie das Fleisch der Tiere in der Welt gekocht wird.

131. Der menschliche Geist jagt den sinnlichen Vergnügungen hinterher, die uns immer wieder in die Hölle bringen, wenn wir uns an sie binden, aber es flieht vor der Liebe für den Sat Guru und Naam, die uns ewige Glückseligkeit verleiht.

132. Heilige bewirken keine Wunder. Sie handeln immer in Übereinstimmung mit dem Willen des Höchsten und bleiben unerkannt. Wenn es der Wille des Höchsten ist, Sein Bhagat

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bekannt zu machen, bewirkt Er Wunder, und wenn der Höchste möchte, daß man Ihn nicht erkennt, werden keine Wunder bewirkt. Wenn Heilige Wunder wirken, müssen sie diese Welt bald verlassen. Das ist ziemlich schwer für die wahren Sucher, während es die falschen anzieht. Es ist in diesen Tagen nicht erlaubt, Wunder zu wirken, und jene, die darauf aus sind, Wunder zu erleben, sind auch keine wahren Parmarthis (Sucher).

133. Für die (spirituell) Blinden unter den Hindus und Mohammedanern gibt es Fasten, Pilgerfahrten und Anbetung in Tempeln und Moscheen. Und für jene, die Augen zum Sehen157 haben, gibt es nur die Verehrung des lebenden Sat Guru. Aber das gilt nicht für alle. Nur die Satsangis und jene, deren Augen sehen können, vermögen den Wert eines Sat Guru zu erkennen.

Als Beispiel: Ein Mensch preist Luqman, einen (verstorbenen) Arzt, kritisiert aber seinen lebenden Arzt. Das bedeutet, daß er weder Schmerzen, noch eine Krankheit hat. Würde er wirklich leiden, ginge er zu einem lebenden Arzt und würde ihn rühmen. Obwohl Luqman ein sehr fähiger Arzt (seiner Zeit) war, kann ein (heutiger) Patient, wenn er durch die Anrufung seines Namens geheilt werden will, nichts erreichen. Er wird nicht eher gesund, bis er sich einem lebenden Arzt anvertraut.

Auf die gleiche Weise wird einer, der nach Parmarth (Spiritualität) verlangt, die Freuden dieser Welt als Gift ansieht und sich nach Moksha (die Befreiung) sehnt, so lange keinen Frieden haben, bis er einen vollkommenen Sat Guru findet; und allein er wird den Wert des Sat Guru dieser Zeit erkennen. Die Verblendeten dagegen werden weiterhin in der Täuschung durch Pilgerfahrten, Fasten, Götzenverehrung und blinden Glauben an die Gestorbenen gefangen und können die Größe des Sat Guru nicht erkennen.

134. Bemühung und Gnade wirken zusammen. Ohne Gnade ist die Bemühung nicht möglich, und ohne Bemühung kann es keine

157 Das bedeutet, daß ihr inneres Auge geöffnet ist.

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Gnade geben. Sich nur auf die Gnade zu verlassen, führt zur Faulheit und verhindert jede Anstrengung.

135. Nach dem Durchwandern der ganzen Skala der 8 400 000 Arten erhält die Seele den Körper einer Kuh und wird dann als menschliches Wesen geboren. Wenn jemand ein gutes Leben führt, wird er weiterhin als Mensch geboren, bis er das Ziel erreicht. "Ein gutes Leben zu führen" bedeutet, unsere erhabene Herkunft in Erinnerung zu behalten, denn die Herkunft ändert sich nicht, wenn man wiedergeboren wird. Für alle Seelen, die der Familie von Sat Naam angehören, gilt das gleiche. Aber das (die Erinnerung an unseren Ursprung) kann auf keine andere Weise als durch Gurubhakti erreicht werden.

136. Nur wer das Ziel erreicht und dort verweilt, kann dort (am Sitz der Seele) wirklich ruhen und ist der beste Bewohner (dieses Körpers und aller Ebenen)158. Nur einer, der seinen Wohnsitz in der Region genommen hat, in der alles endet, erfreut sich am ewigen Basant (die Zeit des Frühlings).

137. Gyan (Spirituelles Wissen) kann nur erreichen, wer Rajo-Guna (Aktivität), Tamo-Guna (Trägheit) und Sato-Guna159 (Harmonie) hinter sich läßt und in Sarguna (der wesentlichen Beschaffenheit), das Bhakti ist, aufgeht. Nur dann kann man Gyan erreichen. Auf das Wissen, das man durch Bücher erhält, kann man nicht bauen, während Gyan (die Erleuchtung), die man als Folge von Sat Guru Bhakti erlangt, wahr und vollkommen ist.

138. Der Schüler fragt den Sat Guru: "Wenn - wie die Heiligen erklären - Shabd überall und der Schöpfer aller Dinge und auch die Seele selbst ein Teil von Shabd ist, warum ergreift der Surat (die Seele) dann nicht Shabd?"

Der Sat Guru antwortet: "In Wirklichkeit ist Shabd alldurchdringend, aber seitdem Abstieg der Seele zu Pinda (der

158 Im englischen Text wird hier mit dem Worten „dwell“ (wohnen) und „dweller“ (Bewohner) gespielt, was man nur schwer wiedergeben kann. 159 Siehe: tamas, rajas und satva = die Qualitäten der Trägheit, Tätigkeit und Reinheit.

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physische Körper), hat sie äußere Neigungen entwickelt und sich in die äußeren Klänge vertieft. Aber ohne dies könnte sie in der Welt nicht weiter bestehen. Nun kann die Seele nicht eher zu Shabd im Innern gelangen, bis sie in Verbindung mit einem vollendeten Sat Guru kommt und sich ihm unterwirft. Durch die Abhängigkeit von den Eltern hat sich die Seele in die Welt verstrickt. Wenn sie sich selbst dem Sat Guru und dem Satsang hingibt, wird sie von den Fesseln der Welt befreit."

139. In dieser Zeit gibt es außer der Hingabe an den Sat Guru und Naam keinen anderen Weg oder eine Methode, das Gemüt zu reinigen. Wer sich mit Pilgerfahrten, Fasten und Ritualen beschäftigt, um das Gemüt zu reinigen, wird nichts gewinnen. Es ist zweifelsohne schwierig, einen wahren Sat Guru zu finden - aber wahre Sucher und Sanskaris160 können ihn leicht finden.

140. Einige unwissende Moslems glauben, daß ein Murshid (Moslem Sat Guru) keinem erlauben sollte, sich vor ihm zu verneigen und sich ihm zu unterwerfen, da der Murshid in jedem Gott sieht und es daher nicht recht ist, wenn Gott (in der Form des sich Verbeugenden) dazu angehalten wird, sich zu verbeugen. Das ist ein Mißverständnis. Der Gott161 im Murshid ist allwissend, während der Gott im Schüler unwissend ist. Deshalb ist es richtig, wenn sich der unwissende Gott vor dem allwissenden Gott verneigt. Überdies bezeichnet sich der Murshid niemals selbst als Gott. Er betrachtet sich als Sklave des Herrn; aber für den Schüler ist es richtig, seinen Murshid als Gott anzusehen. Solange er diese Geisteshaltung nicht pflegt, wird er nicht (innerlich) fortschreiten. Maulana Rumi sagt: "In der Person des Murshid sind beide - Gott und der Prophet - enthalten." Diese Lehre ist für jene gedacht, die dem Tariqat (Praxis, die zu spiritueller Verwirklichung führt) folgen und nicht für die Anhänger der Sharia (Gesetze des Koran). Man sollte daran denken, daß der Prophet, als er lebte, seine Anhänger dorthin mitnehmen konnte, wohin er gegangen war, aber nun kann er weder für sie noch für andere etwas tun. Nur wer mit einem perfekten Sat Guru in Verbindung kommt und ihn als

160 Einer, der für den spirituellen Weg bestimmt ist. 161 Dieses göttliche Element des Bewußtseins.

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Gott annimmt, kann heute fortschreiten. Kein anderer Weg führt zum Erfolg. Die Menschen mögen auf die althergebrachte Weise fortfahren, indem sie die heiligen Schriften lesen und dem Pfad folgen, der durch die Maulvis (mohammedanische Priester) gekennzeichnet ist, aber das kann keine Liebe für den Herrn hervor bringen. Solange sich diese Liebe nicht entwickelt, ist die Einswerdung nicht möglich. Diese Liebe wird sich durch den Glauben und die Hingabe an einen vollendeten Sat Guru entwickeln. Es gibt keinen anderen Weg, sie zu erlangen.

141. Erst wenn man den richtigen Weg betritt, kann man das Ziel erreichen. Den richtigen Weg kann man erst finden, wenn man einem vollendeten Sat Guru begegnet. Aber anstatt einen Sat Guru zu suchen, beschäftigen sich Menschen mit Pilgerfahrten - (Tirath - den Hindus heilig; und Haj - den Moslems heilig); Fasten - (Brat - Fasten der Hindus und Roza - Fasten der Moslems); Götzenanbetung; Namaz (moslemisches Gebet) und Bücherwissen. Diese Handlungen führen nur zu Egoismus und bringen keinen spirituellen Nutzen. Das Geheimnis des wahren Pfades und der wahren Region kann man nur durch einen perfekten Sat Guru erfahren.

142. Menschen, die sich mit Zeremonien und rituellen Arten der Verehrung beschäftigen, sind immer der Knechtschaft der Welt unterworfen. Sie werden niemals Zutritt zum Durbar162 des Höchsten Wesens bekommen. Nur jene, die dem Sat Guru ihrer Zeit mit ganzem Herzen und Gemüt und mit all ihren weltlichen Gütern dienen, werden die Heimstatt des Allerhöchsten erreichen. Der Sat Guru selbst ist der fleischgewordene Gott, und ihm zu dienen, bedeutet Gott zu dienen. Wer versucht, das höchste Wesen zu erkennen, aber den Sat Guru nicht beachtet, der wird Ihn niemals finden. Aber wer im Dienst eines Sat Guru steht, hat Gott schon gefunden, und wenn seine Augen geöffnet wurden, wird er Ihn erkennen. Solange unsere spirituellen Augen nicht ganz geöffnet sind, sollten wir - indem wir den Lehren des Sant Sat Guru vertrauen - mit unsere Ergebenheit für den Sat Guru und seinen Satsang bewahren und damit fortfahren, Liebe und

162 Königlicher Hof.

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Vertrauen in seine heiligen Füße zu entwickeln. Eines Tages wird sich das ganze Mysterium enthüllen.

143. Die Hauptsache ist die Hingabe an den Sat Guru unserer Zeit. Das wird den Antahkaran (Gemüt) reinigen, und wenn der Antahkaran gereinigt ist, wird Naam verliehen. Nur jene, die sich dem Dienst für den Sat Guru widmen, erfreuen sich seiner Gnade.

144. Ohne Shabd ist weder innere noch äußere Reinigung möglich. Erst wird der grobe Körper gereinigt und dann folgt die innere Reinigung. Wir müssen erst die gesprochenen Worte (des Sat Guru) annehmen. Solange wir sie nicht annehmen, kann sich das innere Shabd nicht offenbaren.

145. Es gibt vier Arten von Bhakti (oder Hingabe): die des Körpers, des Gemüts, die des Reichtum und der Rede. Alle können leicht Bhakti mit Worten üben. Die Priester und Bhikhs gehen zu einem Sat Guru und ihn reden ihn mit schmeichelhaften Worten an und sagen ihm, daß er ein vollkommener Sant ist, und bieten ihm sogar Kränze an. Aber wenn er ihnen die Kränze als Parshad (heilige Gabe) zurückgibt, wenden sie die Köpfe ab. Das zeigt, daß alles, was sie gesagt hatten, unaufrichtig war. Sie sind stolz darauf, Brahmanen und Bhikhs zu sein und sehen den Sat Guru als einen Unwissenden an. Solches Lippenbekenntnis ist keine wahre Verehrung. Der wahre Verehrer übergibt dem Sat Guru sein Gemüt, seinen Körper und allen Besitz ohne jeden Vorbehalt - so handelt einer, der dem Sat Guru mit allem dient, was er ist und was er hat. Alle anderen sind unaufrichtig. Sie können keinen Glauben entwickeln und werden nur mit dem Reden fortfahren.

146. Es ist für den gewöhnlichen Menschen schwierig, zu dem Satsang eines Sat Guru zu gelangen; selbst wenn er ihn irgendwie erreicht, so findet er es schwierig, dort bleiben. Denn wenn die Heiligen die Veden, die Puranas und den Koran widerlegen163 und ihre eigenen Lehren als die höchsten und verschieden von

163 Heute wählen die Heiligen einen anderen Weg: sie widerlegen die heiligen Schriften nicht, sondern zeigen die grundlegende Einheit aller Religionen, indem sie die entsprechenden Stellen aus den Schriften zitieren.

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anderen beschreiben, wird es ihm nicht möglich sein, dem standzuhalten. Nur ein wahrer Sucher oder ein Mensch, der von Qualen (der Trennung von Gott) geplagt wird, kann dort verweilen. Der Glaube an die Lehren der Veden hat sich durch Hörensagen entwickelt und nicht durch persönliche Erfahrung - denn dieser Glaube ist auf die Worte der Pandits und Brahmanen gegründet. Auf die gleiche Weise sollten wir, indem wir uns auf die Worte der Heiligen verlassen, an die Existenz der Regionen glauben, die von den Heiligen beschrieben werden. Aber das kann nur ein wahrer Sucher und nicht einer, der nur aus blinden Glauben handelt.

147. Der Sat Guru und der Satsang werden nur jenen zusagen, die mit der Welt nicht zufrieden sind, aber das ist keine feste Regel. Es gibt Menschen, die unglücklich in dieser Welt leben und doch keinerlei Verlangen nach dem Satsang haben. Die Parmarthis (wahren Sucher) bilden eine Gruppe für sich - obwohl sie mit allen Bequemlichkeiten der Welt ausreichend versorgt sind, sehen sie diese Dinge ohne den Sat Guru und den Satsang nur als Quelle des Elends. Die weltlichen Menschen bitten um die Vergnügungen der Welt und fühlen sich elend, wenn sie diese nicht bekommen oder aufgeben müssen. Sie wissen nicht, daß in der Tat alle weltlichen Vergnügungen nur eine Quelle des Schmerzes sind und schließlich jenen täuschen164, der sie zu besitzen glaubt.

148. Die Unreinheiten des Gemüts können nur durch den Satsang (des Sat Guru) entfernt werden. Wie schmutzig die Kleider auch immer sein mögen, sie werden sauber, wenn man sie mit Seife wäscht. Oder wenn man einen Funken Feuer an einen Strohhaufen legt, wird er in einem Moment zu Asche verbrannt. Der Satsang wirkt auf die gleiche Weise. Er zerstört das Karma von unzähligen Leben und verwandelt das Sanskar (die spirituelle Aussicht und die spirituelle Eignung) von Tag zu Tag.

149. Wer die Lehren der Heiligen durch Hinweise auf die Veden zu bestätigen versuchen, der irrt sich sehr. Auch der Autor der Veden

164 Wir halten an diesen Vergnügungen fest, bis wir erkennen, daß in ihnen selbst keine Freude ist - durch diese Illusion werden wir getäuscht.

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erkannte nicht den erhabenen Stand der Heiligen. Wie können dann die Veden von ihnen wissen? Die Heiligen sind nicht an irgend etwas gefesselt. Sie verkünden den Pfad, wie sie es für ihre Zeit als richtig und angemessen betrachten165. Wer ihn annimmt, wird gewinnen, und wer das nicht tut, wird unglücklich bleiben. Auch in der Welt macht jeder Herrscher seine eigenen Gesetze bekannt. Wer ihm folgt, zieht daraus Nutzen; und jene, die nicht gehorchen, verlieren ihr Recht und werden für ihren Ungehorsam bestraft.

150. Die allbarmherzigen Heiligen verkünden den Jivas immer wieder, daß sie die Kinder von Sat Purush (Gott) sind und daß sie nichts tun sollten, was Yama (Todesengel) zu einem Angriff verführen mag. Es ist schade, daß die Jivas weder gehorchen, noch den Worten der Heiligen glauben, aber statt dessen Dinge tut, die den Zorn von Yama entflammen. Die Heiligen haben die Kraft, wenn sie das wollten, die Jivas zum Gehorsam zu zwingen und auch Yama wegzuschicken. Aber sie geben ihre gnadenvolle Haltung nicht auf (das bedeutet, daß sie niemals Gewalt anwenden) und ermahnen den Jiva auf keine andere Weise, als durch mündliche Überzeugung. Gesegnet ist, wer ihren Rat befolgt; und wer das nicht tut, bleibt unglücklich.

151. Das Ziel der Belehrungen und Erklärungen der Heiligen für den Jiva ist, daß er sich von allen Seiten (von der Welt) zurückziehen und dem Satsang zuwenden sollte, so wie sich eine Frau nur ihrem Mann zuwendet und sich dann um keinen anderen mehr kümmert. Die modernen Gurus nehmen Schüler an, aber unterweisen sie zu fasten, auf Pilgerfahrten zu gehen und über Bilder zu meditieren, anstatt die Verehrung des Gurus zu lehren. Der Grund liegt darin, daß sie keine geeigneten Gurus sind und man sie daher nicht annehmen sollte. Sie machen sich selbst etwas vor und führen andere in die Täuschung. Nur die Heiligen haben das Recht, die Stellung eines Gurus einzunehmen; und nur ein Sant Sat Guru kann die Jivas befreien. Ein weltlicher Guru

165 Der Pfad selbst ändert sich nicht, wohl aber die Art der Verkündung, die ein vollendeter Meister an die Notwendigkeiten der Zeit anpassen wird.

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kann sie nicht befreien. Brahma, Vishnu, Mahadeva und Ishwar können den Geist nicht aus dem Kreislauf der Wiedergeburt befreien, aber die Heiligen können es.

Nur wer in der Welt gelitten hat und sich vor ihr fürchtet, wird zum Satsang der Heiligen gehen. Allen anderen ist es nicht möglich, in der Gegenwart der Heiligen zu verweilen. Wenn ein Jiva von der Größe der Heiligen ganz erfüllt ist, wird er nicht in die Schlingen der Priester und Bhikhs fallen. Er wird nur an die Heiligen glauben und sich nur an sie binden. Es ist unerläßlich, mit der Suche nach einen vollendeten Sant Sat Guru fortzufahren, bis man ihn gefunden hat. Es macht nichts, wenn der Sucher im Laufe seiner Suche stirbt, denn dann wird er als menschliches Wesen wiedergeboren und sicherlich einen Sant Sat Guru finden; und wenn sein Verlangen sehr stark ist, wird er ihm schon in diesem Leben begegnen. Wenn der Sucher jedoch im Netz der Priester und Bhikhs gefangen ist, mag er zwar weltlichen Reichtum, Ehre und eine Familie bekommen, doch er kann dem Kreislauf der Wiedergeburt nicht entfliehen und hat auch keine Gewähr, daß er die menschliche Gestalt wieder erhalten wird.

152. Ein Gurumukh ist jemand, der dem Sat Guru gehorcht und niemals seine Weisungen mißachtet. Solange er nicht so leben kann, vermag er den Zustand eines Gurumukh nicht zu erlangen. Das ist schwierig. Wir sollten darauf bedacht sein, nur das zu tun, was dem Sat Guru gefällig ist - das heißt, auch während der Ausübung des Seva sollten wir darauf achten, ob der Guru wirklich mit dem Dienst zufrieden ist, den wir leisten; oder ob Er ihn nur annimmt, um den Schüler nicht zu verletzen. Wird einem bewußt, daß der Sat Guru etwas annimmt, nur weil man es ihm aufdrängt und es ihm eine Last ist, sollte man sofort mit dem Seva aufhören. Nur einer, der auf diese Weise handelt, wird ein Gurumukh. Wer das nicht tun kann, sollte regelmäßig den Satsang besuchen, gewissenhaft hören, was dort gesagt wird und es im Gedächtnis behalten. Dann wird sich nach und nach eine Wandlung vollziehen.

153. Der Schmutz des Egoismus hat sich in die Herzen aller Lebewesen gesetzt. Solange dieser nicht beseitigt wird, besteht

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keine Möglichkeit Parmarth (spirituellen Fortschritt) zu erlangen. Dieses Verhängnis kann nicht durch äußere Anbetung beseitigen. Daher ist die Ausübung der inneren Hingabe notwendig, und diese kann nur von einem vollendeten Sat Guru erlernen. Jeder Parmarthi (wahre Sucher) sollte deshalb einen lebenden Sat Guru finden und sich selbst seinem Dienst hingeben. Nur dann wird sein Streben erfolgreich sein.

154. Die Seele ist von Feinden umgeben. Niemand ist ihr Freund. Auch das Gemüt, das mit den drei Gunas (Eigenschaften) verbunden ist, beobachtet den Geist gerade so, wie eine Katze auf eine Maus aufpaßt, die sie verschlingen will. Alle Lebewesen hier auf Erden sind unglücklich, denn Kal fügt auch den eigenen Jivas Leid zu - und zwar auch jenen, die ihm folgen und dem Diktat des Gemüts gehorchen. Aber die Jivas eines Sat Guru werden immer von seiner Gnade beschützt, und sogar Kal hat Angst vor ihnen und hilft ihnen. Es ist deshalb unsere Pflicht, beim Sat Guru dieser Zeit Zuflucht zu suchen. Denn er gewährt uns Sicherheit und Schutz - in jeder Hinsicht - hier und danach.

155. Wenn einer tausend oder zweitausend Arbeiter einstellen will, scharen sich Tausende von Bewerbern um ihn. Von all diesen sind nur fünfzig oder hundert geeignet, der Rest erfüllt die Ansprüche nicht, und einige sind völlig untauglich. Wenn ein Sat Guru seinen Satsang beginnt, scharen sich auf die gleiche Weise viele Menschen um ihn, die von den verschiedensten Wünschen erfüllt sind. Der Sat Guru wählt jene aus, die von einem ungeteiltem Verlangen nach Parmarth erfüllt sind und setzt den Rest auf die Warteliste. Nur jene, die dazu bestimmt sind, den Segen von Parmarth zu empfangen, bleiben in dem Satsang der Heiligen, die anderen gehen von alleine fort. Sie sind nicht fähig, den Schock (der Wahrheit) zu ertragen, den sie dort erhalten, denn sie werden nicht von einem aufrichtigen und reinen Verlangen nach Parmarth angetrieben. Aus diesem Grund drängen die Heiligen sie auch nicht, aber segnen sie für die Zukunft.

156. Tausende von Brahmas, Gorakhs, Naths und Propheten wurden im Feuer der Leidenschaften verzehrt, weil es ihnen nicht gelang, einen Sat Guru zu finden. Wenn du fragst, wie ein

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normaler Sterblicher erwarten kann, einen Sat Guru zu erkennen, wenn das solche Größen nicht vermochten, so lautet die Antwort, daß sie deshalb versagt haben, weil ihnen ihre Selbstgefälligkeit im Weg stand, die sie daran hinderte, an den Sat Guru zu glauben - und aus diesem Grunde hat sich ihnen der Sat Guru nicht offenbart. Außerdem waren sie dafür bereit, das Werk der Schöpfung weiterzuführen; und es war ihnen bestimmt, gerade diese Arbeit fortzusetzen. Hätten sie aber den Sat Guru angenommen, hätten sie die Arbeit der Schöpfung nicht weiterführen können; und es ist (vom Schöpfer) auch nicht beabsichtigt, die Erde ganz zu entvölkern. Sie wurden geschaffen, damit sie sich um die weltlichen Menschen kümmern. Die Lehren des Sat Guru sind weder für sie bestimmt, noch glauben sie an ihn und an seine Lehren oder behandeln ihn mit Ehrfurcht.

Die Heiligen erklären ganz offen, wenn große Persönlichkeiten, denen Tausende von Menschen vertrauen, dem Höllenfeuer und der Seelenwanderung nicht entgehen können, wie das dann der arme Jiva tun soll, wenn er ihnen nachfolgt? Doch nur jene, die für Parmarth bestimmt sind, werden diesen Worten glauben und vom Zyklus der Seelenwanderung befreit - das heißt, jene, die ein echtes und reines Verlangen nach Gottverwirklichung haben.

Menschen, die von allen Arten weltlicher Begierde erfüllt sind, können nicht an die Worte eines Sat Guru glauben. Wir sollten jedoch bedenken, daß uns nur ein Sant Sat Guru von dem Zyklus der Geburten und Todes erretten, uns das Geschenk der ewigen Seligkeit geben und uns in die wahre Heimat zurückführen kann. Brahma, Vishnu, Mahadev, Inkarnationen jeder Art, Gottheiten und Propheten sind selbst ohne Guru, d.h. sie haben keinen Sant Sat Guru gefunden. Sie können weder dem Zyklus der Seelenwanderung entfliehen, noch können sie andere retten. Jene, die an diesen Bachen (Worte) glauben und einen Sat Guru suchen, sind seine Adhikari Jivas (berechtigt, einen Sat Guru zu finden), und sie allein werden einen Sat Guru treffen, und durch seine Gnade wird er ihre Arbeit zu Ende bringen (sie zu ihrem Ziel führen) und diese Jivas von Geburt und Tod befreien.

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157. Der Jiva wird von zwei Löwen verfolgt. Der eine ist das Gemüt und der andere ist Kal. Solange er diese beiden nicht besiegt hat, kann er keinen spirituellen Fortschritt erlangen. Aber nur ein Sant Sat Guru hat die Macht, sie zu besiegen. Daher kann nur einer, der bei einem Sant Sat Guru Schutz sucht, sie besiegen und das Meer des Lebens überqueren.

158. Jene, die von einem Sat Guru etwas erbitten, erleiden keinen Verlust von Ehre oder Würde, denn vor dem Sat Guru sind wir alle Bettler. Es gibt in der ganzen Schöpfung keinen, der vor dem Sat Guru nicht zum Bettler wird. Und wer sich schämet, etwas vom Sat Guru zu erbitten, muß sich vor Kal erniedrigen und seine Strafe ertragen. Wer den Sat Guru anfleht, der ist wirklich gesegnet.

159. Gläubige der Veden und Puranas sagen, daß die Sünden eines Jiva durch einen Augenblick im Satsang166 entfernt werden können. Wie können wir dann die Verdienste eines Satsang der Heiligen einschätzen, dessen Wert noch nicht einmal von den Veden und Puranas beschrieben werden kann? Es gibt keinen Zweifel, daß bei jenen, die den Satsang der Heiligen besuchen, wenigstens die Sünden des Tages weggewaschen werden167. Dieser Verdienst fällt jenen zu, die immer formell168 den Satsang besuchen und dem Bachan (den Worten des Gurus) lauschen. Aber es ist unmöglich zu beschreiben, was jene gewinnen, die an die Heiligen und an die Liebe des Sat Guru ihrer Zeit glauben.

160. Jene, die den Heiligen verleugnen und jene, die ihn loben - beide werden errettet. Aber wenn der Jünger eines Heiligen schlecht von Ihm spricht, wird er dabei verlieren. Solch ein Verhalten ist nicht hinnehmbar.

161. Es ist das innere Hören und die innere Annahme (der Worte des Gurus), die uns segnen. Die Worte jener, die nur oberflächlich

166 Mit Satsang wird im Hinduismus jedes Beisammensein im Gedenken an Gott verstanden, auch ohne die Gemeinschaft mit einem Heiligen. 167 Das heißt, sie werden von den Auswirkungen dieser Sünden befreit. 168 Das heißt, ein Mensch besucht den Satsang als Pflicht, aber nicht aus einem Verlangen heraus.

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vortragen oder predigen, haben keine Wirkung. Viele von ihnen gehören einem Priesterorden oder einem sonstigen religiösen Orden an; sie lehren und rezitieren Texte aus den heiligen Schriften, doch ihre Herzen verändern sich nicht.

162. Ohne die Gnade des Sat Guru ist es für einen Jiva nicht möglich, Glauben zu entwickeln, und nur der allein ist für diese Gnade aufnahmefähig, der die Füße des Sat Guru liebt und an sie glaubt169. Viele Menschen wünschen sich, daß auch ihre Verwandten oder Familienmitglieder an die Füße des Sat Guru glauben. Dieser Wunsch ist nicht schlecht; aber wir sollten daran denken, daß es sehr schwierig für einen Menschen ist, Glauben und Liebe zu entwickeln, solange der Sat Guru nicht voller Gnade auf ihn blickt. Dies aber sollte dem Mauj (Willen) des Sat Guru überlassen werden, denn wenn er es wünscht, kann er in einem einzigen Augenblick Glauben und Liebe verleihen und uns aus den Schlingen der Welt befreien.

163. Die Jünger der Heiligen empfinden zur Zeit des Todes keinen Schmerz. Vielmehr sehen sie ihm tapfer entgegen, denn sie sind sich des Todes wohl bewußt170 und haben sich mit den weltlichen Angelegenheiten nur soweit befaßt, wie es unbedingt notwendig war. Sie haben die Wurzeln der Welt in sich bereits abgetrennt. Das weltliche Leben der Satsangis eines Sants gleicht dem kurzlebigen Grün eines Baumes, der gefällt worden ist.

164. Es ist sehr schwierig, im Satsang der Heiligen zu verweilen. Manche besuchen den Satsang und sind dabei jedoch sehr unaufmerksam, d.h. sie sitzen zwar da, und es scheint so, daß sie dem Gesagten zuhören, doch sie nehmen es nicht auf. Was kann ihnen der Satsang dann Gutes bringen? Nur jene, deren Gemüt berührt wird und die ihr Verhalten entsprechend ändern, hören wirklich zu und verstehen.

169 Damit ist ein Schüler gemeint, der die inneren Offenbarungen des Satguru - Licht und Ton - liebt, sich völlig in sie vertieft und alles andere der Gnade des Meisters überläßt. 170 Der Vorgang des Todes gleicht dem Zurückziehen der Sinnesströme vom Körper, wie man sie in tiefer Meditation erfährt.

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165. Es steht vieles in den heiligen Schriften, das uns mehr oder weniger verwirren kann. Dasselbe Dogma wird einmal empfohlen und ein andermal kritisiert. Was soll da ein armer Sterblicher akzeptieren und was soll er ablehnen? Ohne die Hilfe eines vollkommenen Sat Guru ist es für den Jiva nicht möglich, sich zu entscheiden. Die heiligen Schriften können uns vom Pfad überzeugen, doch sie können uns nicht (den Zugang zu ihm) geben. Nur die Heiligen sind mit den Geheimnissen des inneren Weges vertraut, und nur sie können sie anderen offenbaren.

166. Ein Sadh ist einer, der sich durch Disziplin von allen anderen gelöst hat und nur auf den Sat Guru vertraut und sich an Shabd festhält, was der zentrale Punkt des Glaubensbekenntnisses aller Heiligen ist, und nichts tut, was seinem Gurubhakti (Hingabe an den Guru) schaden würde. Dadurch ist er ein wahrer Gurubhakta und Sadh.

167. Nur jene, die sich nach Parmarth sehnen und sich vor der Seelenwanderung fürchten, können Liebe für den Sat Guru entwickeln und an ihn glauben. Wer Wunder sehen muß, um glauben zu können, der ist kein wahrer Sucher. Solche Menschen werden keinen Glauben in den Sat Guru entwickeln (selbst wenn er ihnen Wunder zeigt). Sein Mauj legt nicht fest, daß sich durch das Wirken von Wundern Glaube entwickelt, denn ein Glaube, der auf Wundern basiert, ist nicht verläßlich. Wem die Worte des Sat Guru teuer sind, wer seinen Darshan liebt und ohne ihn unruhig ist, besitzt wahren Glauben. Solche Gläubige sehen auch Wunder. Für jene, die nur nach Zeichen und Wundern suchen, bestimmt der Mauj, daß sie keine Zeichen erhalten werden.

168. Außer Shabd gibt es keinen anderen Weg, auf dem der Jiva zu seiner wahren Heimat führt werden kann. Alle anderen Wege gehören Kal Purush. Shabd ist in den Herzen von allen gegenwärtig, und man sollte ihm im Innern lauschen. Jene, die ihn nicht hören, werden zur Zeit ihres Todes leiden. Durch Gesang und Instrumentalmusik kann man das Ziel nicht erreichen. Noch größer wird das Leid jener sein, die behaupten, daß sie den Heiligen der Vergangenheit nachfolgen, jedoch Shabd nicht suchen.

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169. Die Pandits haben ihr Ansehen verloren, weil sie die Menschen zur Anbetung von Statuen und heiligen Plätzen verleiteten. Als die Heiligen ihre Lehren verkündeten, die sich von denen der Veden und Shastras unterscheiden, wußten dies die Pandits und Bhikhs nicht zu schätzen, sie führten die Menschen in die Irre und verloren ihr Prestige. Die Heiligen erklären freimütig, daß jene, die nur Pilgerorte besuchen, die heiligen Schriften lesen und Idole anbeten, im Kreis der Seelenwanderung verbleiben. In ihrer Gnade ermahnen die Heiligen die Menschen, alle Aberglauben und die Rituale aufzugeben und einen lebenden Sat Guru zu suchen, um bei ihm Zuflucht zu nehmen. Es gibt keinen anderen Weg, um dem Kreislauf der Geburten und Tode zu entrinnen. Ihr könnt das tun, wenn immer ihr wollt - aber wenn ihr es tut, dann müßt ihr genau diesen Weg gehen. Ob ihr es glaubt oder nicht - es gibt keinen anderen Weg, Chaurasi zu entkommen.

170. Jiva und Brahm sind Brüder. Der einzige Unterschied zwischen ihnen besteht darin, daß Brahm eine herrschende Position innehat, während die Jivas ihm alle unterstellt sind. Brahma, Vishnu und Maha Deva sind für die Erschaffung und die Ernährung der Körper zuständig, und sie sind auch dafür verantwortlich, diese in die Welt einzubinden. Aber niemand außer den Heiligen besitzt die Macht, Mukti (Befreiung) zu schenken, denn allein die Heiligen sind die Partner des höchsten Wesens, von dem sowohl Jiva als auch Brahm entsprungen sind. Mit anderen Worten: Die Heiligen sind der Herr selbst (in menschlicher Gestalt), denn der Herr hat die menschliche Gestalt eines Heiligen angenommen, um die Seelen zu befreien. Und so übertragen sie den Seelen das Recht auf jene Region, die selbst Brahm, Vishnu und Mahadev niemals erreichen können. Doch die Liebe und der Glaube in die heiligen Füße der Heiligen sollte stark und fest sein.

171. Am Anfang war nur das Eine, dann gab es zwei, dann drei, dann viele, dann Tausende und dann Lakhs, und schließlich gab es zahllose Lebewesen. Wer nun einen vollkommenen Sat Guru findet, der eins mit dem Einen und die Gestalt dieses Einen ist,

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dem gelingt es durch die Gnade des Sat Guru, sich von der Illusion der Vielfalt zu befreien und seine wahre Heimat zu erreichen.

172. Die Früchte der weltlichen Handlungen sind für den Jiva deutlich erkennbar, und daher verstrickt er sich leicht im Netz der Welt. Aber die Frucht des Parmarth liegt verborgen und deshalb kann man den Glauben an seinen Wert nur langsam entwickeln. Jedoch ist der Glaube eine Voraussetzung, denn ohne ihn ist eine (spirituelle) Bemühung unmöglich, und wie kann man ohne Bemühung irgend etwas erreichen oder fortschreiten?

173. Sat (die Wahrheit) kann man nicht durch Japa (Rezitation), Tapa (Bußübungen) und Maun Sadhan (Schweigegelübde) erreichen. Jene, die solche Übungen ausführen, kommen nicht weiter, und niemand konnte (auf diese Weise) das Geheimnis von Sat entdecken, das sich den Heiligen offenbart. Dieses Geheimnis kann man nur erfahren, wenn man dem Sat Guru dieser Zeit dient und bei ihm Schutz sucht, da Sat sich selbst im Sat Guru verkörpert. Daher sollten all jene, die den Sat Pad171 erreichen möchten, sämtliche Rituale und abergläubische Praktiken aufgeben und danach trachten, den Sat Guru dieser Zeit zu erfreuen. Dadurch werden sie eines Tages den Sat Pad betreten.

174. Es ist für junge Witwen und für jugendliche Asketen172 sehr schwierig, das Leben zu bewältigen. Viele werden in die Irre geleitet. Doch wenn sie einen vollkommenen Sat Guru finden und ihm vertrauen, dann können sie ihr Leben leicht meistern. Wenn sie jedoch nur eine intellektuelle Person als Guru annehmen, werden sie ihr Leben mit Buchgelehrtheit, Pilgerfahrten, Fasten und Götzendienst vergeuden, und die Schlinge von Geburt und Tod wird nicht durchtrennt. Daher sollten alle ihr Bestes versuchen, einen Sat Guru zu finden, und selbst wenn sie während ihrer Suche sterben, sollte sie das nicht bekümmern, denn das Verlangen, einen Sat Guru zu finden, ist fest in ihrem Chitta 171 Der Weg zur Wahrheit. 172 Im englischen Text wird von „child-widows“ und „child-ascetics“ gesprochen - ohne genaue Kenntnis der sozialen Umstände vor 150 Jahren in Indien lassen sich diese Begriffe leider nicht zuverlässig übersetzen.

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(Gemüt) verwurzelt und gleichbedeutend mit Bhakti (der Anbetung) des Höchsten Wesens. Solch ein Mensch wird eines Tages Gott in der Gestalt eines Sat Guru treffen.

175. Die Jivas (verkörperten Seelen) von heute sind sehr bedauernswert, da sie nicht an die Lehren der Heiligen glauben, sich jedoch an die Worte der Veden, Shastras, Puranas und des Korans klammern, obwohl sie keinen Beweis (für ihre Wahrheit) erhalten. Kal hat die Dinge so geschickt entworfen, daß er die Leute leicht an das glauben läßt, was seinen Zwecken dient. Aber sie glauben den Heiligen nicht, die ihnen voller Gnade auf bestmögliche Art und Weise die Wahrheit erklären, und verlangen Beweise von ihnen. Das zeigt, daß sie Jivas (Geschöpfe) von Kal sind, denn sie wollen die Worte der Heiligen nicht ohne Beweise annehmen, während sie den Lehren von Kal Glauben schenken, ohne einen Beweis zu verlangen. Die Heiligen schenken solchen Jivas jedoch auch keine Beachtung.

176. Durch Prana Yoga und Buddhi Yoga kann man sich nicht über Akash erheben. Darüber hinaus kann der Surat nur mit Hilfe von Shabd gelangen und den Platz erreichen, wo es das wunderbare Wesen erblicken kann, das sich der Welt während des Sat-, Treta- und Dwapar-Yuga nicht zu erkennen gibt. Niemand konnte Sein Geheimnis erkennen. Jetzt im Kali Yuga (im Eisernen Zeitalter) haben es die Heiligen verkündet. Nur wer den Worten der Heiligen vertraut, kann das wunderbare Wesen erblicken und Mukta Pad (das Stadium der Freiheit) erreichen.

177. Die Unwissenheit ist heutzutage so weit verbreitet, daß viele Sadhus das Verlangen haben, Pandits (Schriftgelehrte) zu werden, nach Kashi (Benares) zu gehen und ihr Leben in der Gesellschaft von Pandits zu vergeuden. Wenn sie Sadhus geworden wären, statt ihre Zeit mit Bücherlesen zu verschwenden, hätten sie einen vollkommenen Sat Guru finden können und sich seinem Dienst, Satsang und Antarmukh Abhyas (den inneren geistigen Übungen) hingeben können. Dadurch wären sie zu wahren Sadhus geworden, und es hätte ihnen ermöglicht, ihre wahre Heimat zu erreichen.

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Niemand kann dem Kreislauf der Geburten und Tode entkommen, wenn er einem Pandit folgt. Wenn sogar Brahm selbst - als Autor der Veden - nicht der Seelenwanderung entkommen kann, welche Kraft haben dann die Pandits zu entkommen? Die Pandits und Gyanis von heute sprechen nur von ihrem Wissen und kennen die wahren Lehren oder das wahre Gyan (die Weisheit) nicht. All dies zeichnet Chaurasi aus, denn niemand außer dem Sat Guru dieser Zeit hat die Macht, die Menschen aus dem Chaurasi (dem Kreislauf) zu erretten und sie zu ihrer wahren Heimat zurück zu bringen.

178. Wie verzwickt Kal doch sein Netz in dieser Welt ausgebreitet hat! Bei vielen Menschen, die sich angeblich mit Parmarth beschäftigen und den Eindruck erwecken, daß sie sich in Parmarth (spirituelle Disziplin) vertiefen und dafür den Applaus des Volkes erhalten, erkennt man mit ein wenig genauer Prüfung, daß bei ihnen nicht einmal ein Teilchen von Parmarth zu finden ist. Sie beschäftigen sich mit Pilgerfahrten, Fasten, heiligen Rezitationen und Götzendienst und verbringen ihre Zeit mit Zeremonien und dem Beachten von Ritualen. Das führt nur zu Eitelkeit. Diese Übungen werden vom Herrn in dieser Zeit weder akzeptiert, noch können sie uns von Chaurasi erretten. Wer dem Chaurasi entkommen möchte, sollte das Bhakti des Sat Guru dieser Zeit üben. Es gibt keinen anderen Ausweg.

Es ist ein Jammer, daß Menschen sich anderen Sadhanas (Disziplinen usw.) eifrig zuwenden, doch Sat Guru Bhakti nicht annehmen. Einige glauben blind an den Granth usw. und denken, das sei der Guru. Was soll Gutes dabei herauskommen, wenn man die Schriften als Guru betrachtet, und woher weiß man, daß das richtig ist? Die heiligen Bücher sind leblos, und man kann ihnen keinen Dienst erweisen. Wie können solche Menschen Gurubhakti ausüben? Wahre Verehrung des Granth besteht darin, so zu handeln, wie es darin beschrieben wird; also einen Sat Guru aufzusuchen, ihm zu dienen und bei ihm Zuflucht zu suchen. Wenn man diesen Rat nicht annehmen kann, bedeutet das, daß der Glaube an den Granth nur oberflächlich ist. Solche Menschen befinden sich in demselben Boot wie die Idolanbeter. Dieser Irrtum entsteht aus der Tatsache, daß die Menschen keinen

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treffen, der ihnen die Dinge genau erklären kann. Daher leben sie alle in Unwissenheit und Aberglaube. Die Gurus, die sie treffen, haben sich selbst niemals der Jüngerschaft unterworfen, sie führen ihre Anhänger nur in die Irre und täuschen sie. Ob Pandits oder Bhikhs, sie sind alle gleich, denn keiner von ihnen erkennt die Größe eines Sat Guru oder die Bedeutung von Sat Guru Bhakti. Sie sind die Sklaven von Büchern, heiligen Schriften, alten Sitten und Traditionen und binden auch ihre Nachfolger daran. Sie lehren nicht Sat Guru Bhakti, das uns allein die Erlösung bringt und uns in die wirkliche Heimat führt.

Diese Lehren werden nur von den Sants verkündet, denn sie sind der Sat Purush selbst, der sich in der Welt manifestiert; und dies ist der höchste Pfad, der schnell zur Befreiung der Jivas führt. Doch nur die Sanskaris (jene mit einem Hintergrund aus früheren Verkörperungen) werden diese Lehren annehmen, nur sie allein werden nach einem Sat Guru suchen. Jene, die sich mit oberflächlichen Ausführungen und der Zurschaustellung von Wundern zufrieden geben, sind nicht in der Lage, Sat Guru Bhakti auszuüben, da ihnen diese Belastung für Körper, Geist und Besitz zu groß ist. Die höchsten Sanskaris (spirituell Befähigten) sind jene, denen der Sat Guru und Naam mehr alles andere bedeuten.

179. Die weltlichen Menschen freuen sich, wenn sie süße und salzige (schmackhafte) Gerichte essen und schöne Kleidung tragen. Aber all dies ist nutzlos. Welche köstlichen und delikat gewürzten Gerichte schmecken einem Gurmukh und welche Kleidung gefällt ihm? Der Sant Sat Guru beschreibt es so: Wer die Reden des Sant Sat Guru süß findet, der ist ein Gurmukh, denn für ihn gibt es nichts Köstlicheres. Das Hören der Worte des Sant Guru ist für ihn Salona (schmackhaft, = schmackhaften Speisen gleich), und der Glaube an den Sat Guru ist die (schöne) Kleidung für den Gurmukh. Das ist der Kernpunkt von allem. Aber dies trifft nur für einen wahren und reinen Parmarthi (spirituellen Ergebenen) zu, denn nur ihm werden diese Dinge so teuer sein, wie es eben beschrieben wurde. Den weltlichen Menschen werden sie nicht gefallen.

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180. Die heutigen Gyanis setzen die Veden an erste Stelle und danach kommen die Heiligen. Dies ist ein großer Fehler und beruht auf der Tatsache, daß man jene, die die Veden studieren, Heilige nennt und ihre Weisungen befolgt und glaubt, sie haben die Position eines Sadh erlangt; wer das glaubt, weiß jedoch nichts von den Heiligen, die den Verfasser der Veden erschaffen haben! Jene, die durch ihr Wissen von den Veden als Heilige bezeichnet werden, erreichen nicht einmal die Ebene eines Jüngers der Heiligen. Es kommt zum Beispiel vor, daß einer, der gut ausgebildet ist, keine Arbeitsstelle findet, während ein anderer, der keine so gute Ausbildung hat, dafür aber eine gutbezahlte Arbeitsstelle erhält und außerdem so talentiert ist, daß er einem Menschen, der eine (formale) Ausbildung hat, überlegen ist. Dies betrifft die modernen Gyanis. Sie sind gut ausgebildet, bekommen jedoch keine Stelle, denn sie praktizieren Sat Guru Bhakti nicht. Wenn die Jünger der Heiligen - selbst wenn sie nicht gebildet sind - Hingabe an den Sat Guru üben und sich am Schutz des Meisters erfreuen, erreichen sie eines Tages die höchste Stufe, während jene, die nur theoretisch über Yoga und Gyan sprechen, weiterhin in Chaurasi (im Kreislauf) wandern.

181. Die Irrtümer der fünf Shastras173 wurden durch Vedanta aufgezeigt, und die Irrtümer des Vedanta werden jetzt durch den Sant Sat Guru enthüllt. Die Hohlheit jener Shastras wurde nicht im Sat Yuga, nicht im Treta-Yuga und auch nicht im Dwapar-Yuga festgestellt, weil sich die Heiligen damals noch nicht manifestiert hatten174. Jetzt - im Kali-Yuga - sind die Heiligen zur Erlösung der Jivas zu uns herabgekommen. Sie weisen offen auf die Irrtümer und Unzulänglichkeiten aller Religionen hin und zeigen den direkten Weg zur Erlösung. Die Jivas jedoch sind so oberflächlich, daß sie die Worte der Heiligen weder annehmen noch ihnen Glauben schenken.

173 Philosophische Schriften des Hinduismus. 174 Im Anurag Sagar beschreibt Kabir (ein wahrer Heiliger) seine früheren Verkörperungen. Womöglich wußte Soamiji oder wer auch immer seine Aussagen zusammengetragen hat, nichts von diesem Werk.

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Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, wird man zugeben müssen, daß der Glaube an die Lehren der Veden durch Lesen und Hören und nicht durch praktische Übung entwickelt wurde; tatsächlich ist diese Übung nicht möglich, da sich die in den Veden beschriebenen Abhyas (spirituellen Übungen) in diesem Yuga nicht durchführen lassen. Wiederum glauben sie den spirituellen Meistern nicht, sonst würden sie das Geheimnis gemäß den Weisungen der Heiligen von ihnen erfahren und selbst mit Abhyas beginnen. Wenn man damit fortfährt, sich nur auf Bücher zu verlassen und sie immer wieder liest, kann man die praktische Seite dadurch niemals erlernen. Das führt nur zu intellektuellem Hochmut, der wiederum das Antahkaran noch mehr verunreinigt und selbst das Befolgen von Jugati (spirituelle Technik) unmöglich macht. Leider müssen wir heute genau das feststellen: viel Gerede, jedoch keine Praxis.

Parmarthi Jivas (die wahren Sucher) sollten sich daher auf die Suche nach einem Sat Guru und auf Sat Guru Bhakti beschränken und alles andere aufgeben; denn die Reinigung des Antahkaran ist in diesem Yuga (Zeitalter) durch keine andere Methode möglich - und wenn das Antahkaran nicht rein ist, wie kann man dann Erlösung finden? Außer den Sant Sat Gurus kann uns niemand den Weg zum Erreichen der höchsten Region aufzeigen, denn nur sie kennen die Geheimnisse Seiner Wohnstatt und niemand sonst kennt dieses Geheimnis. Nur durch die Hingabe und den Dienst für einen Sant Sat Guru wird das Antahkaran geläutert, und nur durch ihre Barmherzigkeit und Gnade wird Mukti Pad (die Stufe der Erlösung) erreicht und der Pfad dorthin gangbar. Außer diesem gibt es keinen anderen Weg zur Erlösung.

182. Nur ein Sant Sat Guru kann die Saat des Bhakti einpflanzen. Einzig und allein ein Sant kann dem Jiva den geraden Weg weisen - jeder andere führt uns nur die Irre, läßt uns umherziehen und betrügt in Wahrheit sich selbst. Bedenkt doch, daß man die steinernen, von Menschenhand geschaffen Bilder, die man in den Tempeln aus Ziegeln und Steinen erblickt, als Gott verehrt und man die Menschen ermahnt, sie anzubeten. Aber sie können dem

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Jiva nicht das Geheimnis jenes Tempels175 preisgeben, den der Allerhöchste selbst geschaffen hat und in dem Er wohnt, in dem die Glocke, die Muschel und andere Musikinstrumente ständig erklingen und Arti endlos zelebriert wird. Jene Blinden, die selbst der Täuschung unterliegen, führen auch andere in die Irre, und anstatt Gutes zu tun, schaden sie ihnen.

Wie kann ein Blinder einen Blinden führen? Daher die nachdrückliche Betonung der Suche nach einem Sat Guru. Solange er nicht gefunden ist, kann man das innere Geheimnis des Pfades nicht erkennen. Der Sat Guru ist vom inneren Shabd bezaubert, er offenbart das innere Geheimnis und zeigt der Seele den Weg zur wahren Heimat durch Shabd. Kein Sat Guru kann nach seiner äußeren Erscheinung beurteilt werden. Die Menschen sind unwissend und blind. Wie können sie (die Blinden) urteilen und den Sat Guru begreifen, dessen Augen allein sehend sind? Ein Blinder kann keinen Sehenden ergreifen, doch ein Sehender kann es erlauben, daß ihn jemand seiner Wahl ergreift. Es ist daher für die Seelen in der Welt nicht möglich, einen Sat Guru zu erkennen - der Sat Guru jedoch kann sich ihnen nach seinem eigenem Mauj (Willen) je nach Belieben offenbaren. Am Anfang genügt es, einen, der das innere Geheimnis erklärt und den Shabd-Pfad einprägt oder lehrt, als Sat Guru anzusehen - doch dann sollte man herausfinden, ob er völlig in Shabd vertieft ist oder nicht.

Es muß ebenso klar sein, daß das innere Geheimnis nur einem Sant Sat Guru oder einem, dem er es enthüllt hat, vertraut ist. Der Sant Sat Guru ist nicht von Vorträgen, Lehren oder heiligen Schriften abhängig. Er selbst ist das Allerhöchste Wesen in menschlicher Form. Solange sich jemand seinen inneren Abhyas (geistigen Übungen) nicht widmet und nur auf die Barmherzigkeit und Gnade eines Sant Sat Guru vertraut, wird er Nij Pad (die wahre Heimat) niemals erreichen. Ein Guru kann ganz nach seinem Mauj (Willen) einen Menschen auf jede Art und wie es ihm gefällt erlösen, doch es ist von höchster Bedeutung, ihm zu vertrauen und sich ihm hinzugeben. Wenn es ihm dann gefällt, führt er eine Seele zuerst zum Satsang oder läßt sie Shabd Abhyas

175 Dieser Tempel ist der menschliche Körper.

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praktizieren oder läßt sie einen Seva (Dienst) verrichten. Er ist allmächtig, und wenn man ihn erfreut, kann er in einem Augenblick alles, was er mag, gewähren. Es ist jedoch äußerst wichtig, daß man ihn erfreut.

183. Wenn man noch keinen vollkommenen Sat Guru gefunden hat, obwohl man den Trennungsschmerz empfindet und eine intensive Sehnsucht nach Gotterkenntnis verspürt, bleibt der Wunsch allein fruchtlos. Falls ein Birhi (jemand mit großer Sehnsucht) annimmt, daß er Gott ohne den Sat Guru zu erkennen vermag, liegt er falsch, da es gänzlich unmöglich ist, das Ziel ohne einen lebenden Sat Guru zu erreichen.

Jene, die von gewaltiger Sehnsucht erfüllt sind, und auch jene, die es nicht sind - beide benötigen einen Sat Guru. Selbst die verzehrende Sehnsucht geht vorüber, wenn man keinen vollkommenen Sat Guru findet und Zuflucht zu einem unredlichen Lehrer nimmt. Findet man danach einen vollkommenen Sat Guru, bleibt kein Wunsch und kein Verlangen mehr. Wenn man sich aber ohne viel Liebe oder Sehnsucht einem vollkommenen Sat Guru zuwendet, wird der Sat Guru diese Liebe und Sehnsucht wachsen lassen und seine Entschlossenheit stärken. Trifft aber ein solcher Sucher einen unredlichen Guru, verliert er sein Bireh (Sehnsucht) und verfehlt das Ziel. Das überaus wichtigste ist somit der vollkommene Sat Guru. Deshalb sollte es klar sein, daß niemand ohne die Begegnung mit einem vollkommenen Sat Guru sein Ziel erreichen kann.

184. Die Stufe von Saran (Ergebenheit in den Willen des Sat Guru) ist sehr hoch und auch sehr schwer zu erreichen. Natürlich behaupten viele, sie hätten sich selbst (dem Sat Guru) hingegeben; doch es ist eine Tatsache, daß einem, der sich (dem Sat Guru) vollkommen hingegeben hat, niemand teuer ist als Er. Nur jene, die diese Stufe erreicht haben, können diese Aussage bestätigen. Früher haben die Heiligen niemand gerettet, wenn er nicht Gemüt, Körper und Besitz aufgegeben hat; heute jedoch gewährt der gütige Radha Soami aus Mitleid über das Elend und die Schwäche der Menschen und allein um seiner Gnade willen allen die Erlösung, wenn sie nur ein wenig Liebe und Bescheidenheit

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zeigen. Wahrhaft glücklich schätzen können sich alle, die den Darshan eines vollkommenen Sat Guru erhalten, an seinem Seva und Satsang teilhaben und Shabd Abhyas ausüben. Man mag sich an Wohlstand und Familie erfreuen, aber der Seva des Sat Guru und die Gesellschaft von Sadhs (Heilige Menschen) sind in diesem Zeitalter des Kali Yuga selten.

185. Ram, der die drei Welten erschafft, erhält, hegt und pflegt und auch wieder zerstört, erhebt Anspruch auf die Seele; denn er hat die Seele von ihrer wahren Gestalt getrennt, sie der Geburt unterworfen und sie innen und außen mit verschiedenen Feinden umgeben. Innen ist die Seele in ein Netz aus Leidenschaft, Zorn, Neid, Gebundenheit und Hochmut verstrickt, äußerlich ist sie mit Mutter, Vater, Kindern, Ehepartnern, Freunden, Reichtum, Ehre und all den Sinnesfreuden dieser Welt verbunden. Wozu also diesen Peiniger auch noch verehren? Man wende sich doch einfach dem Sat Guru zu, durch dessen Gnade allein sich die Seele den Schlingen dieses Gegners entziehen und zur Region der ewigen Glückseligkeit gelangen kann. Niemand sonst ist fähig, die Seele aus den Schlingen von Kal zu befreien.

186. Das Wort, das ein Sant Sat Guru offenbart, ist weder in den Veden noch in den Shastras zu finden, und nur derjenige ist ein Sant Sat Guru, der über das Wort verfügt. Viele Menschen nennen sich Sadhs oder Heilige, nur weil sie sich verschiedenen frommen Orden angeschlossen haben, in Wirklichkeit sind sie es jedoch nicht. Sie verdanken ihren Lebensunterhalt der Größe von vollkommenen Heiligen und Sadhs. Jemand kann nur, wenn er sich der Liebe eines Heiligen sicher ist, den Status eines Heiligen erreichen, und das ist nur dann möglich, wenn er ihm Liebe und Hingabe darbietet. Solche Liebe und Hingabe wird durch Dienen, durch seine Gnade und Satsang wachsen. Selbst das Wort und die Region des Triloki Nath (Gott der drei Welten) kann man im jetzigen Kali Yuga durch Praktizieren der spirituellen Übungen erreichen, so wie sie von den Heiligen beschrieben werden - und durch ihre Gnade. Im gegenwärtigen Kali Yuga kann dergleichen auf keine andere Art und Weise erreicht werden.

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187. Wer den Sat Guru von ganzem Herzen liebt, möchte von nichts anderem als von seiner Herrlichkeit und Erhabenheit hören. Wer Vertrauen in den Sat Guru setzt, wird keinen Makel an ihm finden. Falls er dem Guru kritisch entgegenkäme, verlöre er sein Satguru Bhau (Liebesempfinden für den Sat Guru). Deshalb darf man niemals versuchen, Fehler am Sat Guru zu finden. Nur wer sich so verhält, wird ein Gurmukh und erreicht eines Tages die höchste Region.

188. Von Ishwar (dem Schöpfer) wird gesagt, daß er allgegenwärtig ist - sowohl in den niederen als auch in den höheren Regionen, doch niemand findet Ihn. Welcher praktische Nutzen kann uns aus Seiner Allgegenwart erwachsen, wenn Ihn doch niemand in dieser Form erkennen kann? Nimmt Gott jedoch die Gestalt eines Sat Gurus an, zeigt er sich selbst den Menschen, und aus reiner Gnade enthüllt er ihnen die Technik, durch deren genaue Befolgung sie ihre Wahre Heimat erlangen und Seine Nij Rup (Wahre Gestalt) sehen können. Wer nun ist wohl größer: der Lebende Sat Guru oder die alles beherrschende Macht, die niemandem helfen kann?

Hat der Jiva erst durch Satsang und Seva Vertrauen zum Sat Guru entwickelt, erfüllt er leicht seine Bestimmung. Ohne den Kontakt zu einem Sat Guru kann niemand wirklich an den Herrn glauben, und wenn der Glaube nicht wahrhaftig ist, gibt es keine wirkliche Liebe und kein vollkommendes Vertrauen. Wenn die Liebe und das Vertrauen fehlen, wie soll da eine Rettung möglich sein? Unter diesen Umständen, werden jegliche spirituelle Anstrengungen, die man unternimmt, zwar in mehreren Geburten Früchte bringen, doch dies wird uns nicht zum Bhakti des wahren Höchsten erheben. Bhakti des wahren Höchsten wird sich nicht eher entwickeln, bis man einem Lebenden Sat Guru begegnet und ihm vertraut.

189. Sadhs, Brahmanen und Kschatriyas sind heutzutage eitel geworden. Weder besitzen die heutigen Sadhs die Qualifikation eines Sadhs, noch üben die Brahmanen die Attribute eines Brahmanen. Die Kschatriyas sind weder souverän, noch besitzen sie jene Stärke und Kraft. Sie rühmen sich nur. Die Vaishyas und

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Shudras folgen noch immer bis zu einem gewissen Grad ihren Lebensregeln.

Die Heiligen empfehlen den Menschen den Kontakt zu den Sadhs; doch das ist schwierig, denn wahre Sadhs sind schwer zu finden. Ohne die Begleitung von Heiligen und Sadhs ist keine Erlösung möglich. Verständlicherweise kann man nur auf einen Heiligen oder Sadh treffen, wenn Sanskar (ein karmischer Eindruck176) vorhanden ist. Jemand, dem das große Glück hold ist, trifft mit Sicherheit einen Sant Sat Guru oder einen Sadh.

Wäre man der Ansicht, daß für einen Sanskari177 sozusagen die Begleitung eines Heiligen unnötig sei, so wäre das nicht richtig. Ob mit oder ohne Sanskar - jeder benötigt den Sadhsang178 (die Verbindung oder die Gesellschaft mit Sadhs). Der einzige Unterschied ist, daß ein Sanskari sehr bald von den Bachans (Worten) berührt wird und sie leicht annimmt, während jemand ohne (spirituelle) Sanskaras weder in der Lage ist, den Bachan (die Worte des Meisters) bereitwillig anzunehmen noch nach ihm zu handeln. Die Saat wird jedoch in ihn gepflanzt, und später wird er danach handeln.

Als Sanskari wird einer bezeichnet, der in seinen vergangenen Leben einen Sat Guru und Sadhs gefunden und Vertrauen in sie gefaßt hat, und dessen Bagh (Schicksal) durch die Gnade des Sat Guru stufenweise verbessert wird. Ebenso kann durch die Gnade des Sat Guru ein Asanskari (jemand ohne spirituelle günstige Sanskaras) in einen Sanskari verwandelt werden.

Die Größe des Sant Sat Guru bewirkt, daß alle, die seinen Darshan erhalten, eine spirituelle Erhebung erleben und dem Chaurasi entkommen; sie werden vor viel Kummer und Leid bewahrt, und durch seine Gnade öffnet sich ihnen der Weg zur endgültigen Erlösung. Darum sollten alle Jivas zu ihrem eigenen Wohle und

176 Eindrücke und Neigungen im Bewußtsein, die durch Handlungen, auch in früheren Geburten, bewirkt worden sind. 177 Jemand mit spirituell günstigen Eindrücken aus früheren Leben. 178 Mit dem Wort Satsang verwandt; Sat = Wahrheit; Sang = Gemeinschaft.

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Glück zu einem Sant Sat Guru gehen, wo immer er sich manifestiert. Sie sollten ihr Bagh durch Darshan und Seva (indem sie dadurch spirituelle Verdienste erwerben) vermehren.

190. Den größten Nutzen aus seinem Körper zieht einer, der mit dem Dienst für einen lebenden Sat Guru gesegnet ist. Die Früchte eines solchen Dienstes werden wie folgt erklärt: Die Füße werden rein, wenn man sich auf den Weg macht, um den Sat Guru zu sehen; die Augen werden rein, wenn sie ihn anschauen; die Hände werden sauber, wenn sie seinem Körper dienen - wenn sie seine Beine massieren oder ihm Kühlung zufächeln. Der gesamte Körper wird gereinigt, wenn man ihm für seinen Gebrauch Wasser bringt. Der Antahkaran (das Gemüt) wird gereinigt, wenn man seinen Vorträgen aufmerksam lauscht, über sie nachdenkt und auf bestmögliche Weise danach handelt. Wenn der Ergebene ein solches Leben im Dienste des Meisters führt, erkennt er die Wohltaten des Satsangs und Seines Daya (seiner Gnade). Sein spiritueller Zustand und die Seligkeit, deren er sich erfreut, sind unbeschreiblich.

191. Heutzutage denken die Familienväter und die Bhikhs (Pilger), wenn sie auf Wallfahrt gehen, nur an die Besichtigung der heiligen Orte. Sie suchen weder den Satsang, der das lebenswichtigste ist, noch schenken sie ihm überhaupt Beachtung. Was sie für Satsang halten, das ist in Wirklichkeit kein Satsang. Der Satsang ist eine wirkliche Verbindung mit dem Sat Guru, und er besteht nicht aus Diskussionen, Anhören von Geschichten, Legenden, vergangenen Heldentaten und philosophischen Erörterungen. Die Gestalt des Sat Guru ist tatsächlich die Verkörperung des Sat Purush. Daher ist nur die Gemeinschaft mit ihm ein Satsang. Alles andere sind nur Spitzfindigkeiten, die uns niemals zur Erlösung führen können.

192. All jene, die entweder Brahma oder Rama als den Allgegenwärtigen verehren und ihn zum Ziel ihrer Anbetung machen, sollten wissen, daß sie durch einen solchen Tek (blinden Glauben) ihr Ziel niemals verwirklichen können. Die alldurchdringende Form von Rama oder Brahma ist mit dem Licht einer Lampe vergleichbar, die für alle scheint. Diebe stehlen in

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diesem Licht, die Betrunkenen trinken darin, die Unzüchtigen geben sich den Sinnesfreuden hin, und die Frommen verrichten ihre spirituelle Übungen in ihm; doch das Licht selbst bleibt davon unberührt.

Die Wiederholung dieser Namen179 oder das in sie gesetzte Vertrauen kann keinem helfen, dem Kreislauf von Geburt und Tod zu entkommen, und das Gemüt läßt sie weiter nach seiner Pfeife tanzen. Aber wenn man völlig auf den Sat Guru als Verkörperung Gottes vertraut und man mit seinem heiligen Satsang gesegnet ist, so läßt der Unzüchtige von den eben beschriebenen Wegen ab, der Dieb hört mit dem Stehlen auf, und da sie nun den Abweg der Sünden meiden, werden solche Menschen rein. Im Laufe der Zeit erreichen sie ihre wahre Heimat und erkennen die wahre Gestalt. Doch man kann sein ganzes Leben damit verbringen, die Namen von Rama oder Brahma oder sonstiger Gottheiten zu wiederholen, ohne von den Lastern loszukommen und ohne die Wurzeln der Wünsche und das Verlangen nach Freuden zu beseitigen. Wie kann da Erlösung finden?

193. Wenn die Menschen glauben, daß sie durch das Lesen von Pothis (heiligen Büchern) und durch analytisches Denken allem entsagt haben, betrügen sie nur sich selbst. Das ist ein großer Fehler. Sie haben ihr Gemüt und die Sinne noch nicht geprüft. Wenn sie den Reizen der Sinnesfreuden gegenüberstehen oder ihnen reiche oder mächtige Personen schmeicheln, erleben sie, wie glücklich ihr Gemüt ist und wie empfänglich es auf solche Verführungen reagiert. Doch sie erleben auch, wie das Gemüt auf Tadel und Schande reagiert oder wenn ihm das Ziel seiner Wünsche verwehrt wird. Das zeigt uns, wie sehr das Verlangen nach Ehre, Ansehen, Ruhm, nach Reisen und Besichtigungen noch in unserem Gemüt verankert ist. Äußerer Verzicht oder Loslösung oder das Lesen von spirituellen Büchern für wahren Parmarth (spirituelle Erhebung) zu halten, ist ebenso ein Fehler, denn durch diese Mittel wird das Gemüt nicht besiegt.

179 In Indien ist die Wiederholung z.B. von „Ram, Ram“ ein alter Brauch.

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Der Weg zum Sieg über das Gemüt besteht darin, einem vollkommenen Sat Guru oder einem vollkommenen Sadh zu dienen, seine Satsangs zu besuchen und während man von ungebuttertem Brot (einfachem Essen) lebt, die von ihm gegebene Methode zu befolgen, das heißt, das Gemüt der Übung des Surat Shabd zuzuwenden. Aber wenn man keine Ahnung von diesen Dingen hat, wie kann man dann die Beherrschung des Gemüts erwarten und spirituellen Fortschritt machen? Was nützt es, die Freuden dieser und der nächsten Welt als Abfall anzuprangern, von dem sich Krähen ernähren, während das Gemüt insgeheim an seinen Begierden festhält und Gelegenheiten sucht, sich genau dieser Vergnügungen zu erfreuen? Leider erkennen diese Menschen nicht einmal den Widerspruch zwischen dem, was sie sagen, und dem, was sie tun! Die breite Masse der Menschen ist ohnehin noch unwissender - sie folgen Unwissenden und ertrinken, weil sie sich an jene klammern, die selbst ertrinken, um sich zu retten.

194. Einige Gelehrte halten die Ansicht aufrecht, daß die Gier nach Vergnügungen und das Schwelgen in Lust, Zorn usw. eine natürliche Eigenschaft des Geistes und der Sinne ist und daß die Seele von diesen Dingen getrennt ist und davon unberührt bleibt. Erkennt man diese Wahrheit als ein Ergebnis sorgfältigen Nachdenkens an, ist das eine irrige Vorstellung. Worin besteht denn der Unterschied zwischen einem Gyani und einem weltlichen Menschen, wenn man die Sucht nach Vergnügungen und die niederen Neigungen des Gemüts und der Sinne als einen Teil ihrer Natur betrachtet? Der eine wie der andere muß dafür bezahlen, indem er im Chaurasi verbleibt, denn zur Zeit des Vergnügens binden sich beide gleichermaßen und vergessen sich selbst (ihre wahre Natur).

Man kann sehen, wie diese Menschen vor Ärger und Zorn außer sich geraten, wenn man sie mißachtet, kritisiert oder tadelt oder wenn sie sehen, wie andere geehrt oder gelobt werden. Erfüllen sich ihre Wünsche nicht, sind sie sehr unglücklich, denken sich alles mögliche aus und bitten um Hilfe, um ihr Ziel zu erreichen. Man kann sich vorstellen, was für eine miserable Lage das ist! Um sich der Sinnesfreuden hinzugeben, die sie als bloßen Krähenfraß

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bezeichnen, steigen sie auf die unterste Sprosse der Leiter hinab, wo die Straße der Seelenwanderung beginnt.

Es wird daher aus Barmherzigkeit betont, daß jene, die sich nach der Erlösung ihrer Seele sehnen, die gelehrten Gyanis (ohne innere Erfahrung) besser meiden und statt dessen auf jede nur mögliche Weise den Sat Guru suchen und bei ihm Zuflucht nehmen sollten. Nur dann werden sie ihr Ziel erreichen. Keine andere Art von Hingabe führt jemals zur Erlösung. Pandits und Bhikhs können uns nicht retten. Es ist in Ordnung, die Priester und Bhikhs zu speisen und ihnen zu geben, was man erübrigen kann - aber es ist unumgänglich, das Gemüt und den Körper dem Sat Guru zu Füßen zu legen. Zweifellos wird das nur jene ansprechen, die danach verlangen, Gott zu finden, und nur sie werden entsprechend handeln. Den Bhikhs, den Pandits und den weltlich Gesinnten werden diese Worte nicht gefallen.

195. Gelehrte und weltkluge Menschen sind nicht für die Gemeinschaft mit einem Sat Guru bereit, da sie voller Eitelkeit sind und dem Sant Sat Guru keinen Glauben schenken. Heilige berichten von dem, was sie gesehen haben, aber diese unwissenden Menschen sind von dem abhängig, was sie hören oder lesen und möchten Dinge durch die Kraft ihres Verstandes beweisen. Ihr Geist ist egoistisch und schwankend und voller Verlangen nach Vergnügungen. Sie befolgen nicht die vorgeschriebenen Übungen, sondern erwarten Wunder. Der Mauj (Wille) der Heiligen will jedoch keine Wunder zeigen, denn Liebe, die sich auf Wunder stützt, ist nicht beständig. Wunder werden nur den wahren Suchern offenbart, die Glaube und Liebe für die Heiligen als die Erlöser ihrer Seelen entwickelt haben. Solche Schüler erblicken stets Wunder. Doch jene, deren Verlangen nach Parmarth nicht aufrichtig ist und die nach weltlichen Vergnügungen, Ansehen und Ruhm streben, verdienen es nicht, daß ihnen Wunder gezeigt oder sie in den Satsang eingeführt werden. Die Parmarthis sollten sich daher vor der Gesellschaft solcher Menschen hüten.

196. Wenn ein Heiliger scheinbar Zorn oder Geiz zeigt, geschieht dies zum Nutzen des Jiva; doch der Zorn und der Geiz von

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weltlich gesinnten Menschen führt ihn zu Chaurasi. Die Unwissenden können die Subtilität dieser Aussage nicht verstehen. Das verstehen nur Satsangis. Narren verleumden, doch die mitleidsvollen Heiligen befreien auch sie in ihrem Erbarmen.

197. Weltliche Menschen haben Angst vor dem Tod, da sie an die Welt und die Sinnesgegenstände gebunden sind; aber ein Sadh fürchtet sich nicht vor dem Tod, denn er weiß, daß diese Welt nicht seine Heimat ist; und er betrachtet die Welt und das, was sie zu bieten hat, als Quelle des Schmerzes. Er verweilt in dieser Welt als Reisender und verlangt danach, die Freude des Anblicks der beseligenden Gestalt des Sat Guru zu erfahren. Er empfindet deshalb beim Eintritt des Todes keinen Schmerz; vielmehr sind Sadhs daran gewöhnt, während des Lebens zu sterben und sich in die Freude zu vertiefen, den Nij Rup (die wahre Gestalt) des Sat Guru zu erblicken.

198. Am Durbar (Hof) der Heiligen gibt es keine besonderen Regeln für den Dienst oder für Bhajan oder Satsang, noch üben die Heiligen irgendeinen Zwang aus. Sie berichtigen allein durch ihre Vorträge. Der höchste Art von Menschen versteht und akzeptiert sie sofort; der mittelmäßige Art akzeptiert nur schrittweise; und solche, die die Lehren weder verstehen noch akzeptieren, können im Satsang nicht verweilen. Die Satsangis sollten ihn nicht übelwollen oder darauf achten, wie sie sich benehmen oder daß sie fortgehen, denn das wäre nur ein Verlust für sie selbst und kein Gewinn für die Satsangis. Wenn sie jedoch im Satsang bleiben, dann werden sie sich nach und nach wie die anderen benehmen.

199. Eine religiöse Tochter voller Hingabe ist besser als ein Sakat (Manmukh oder nicht religiöser) Sohn, denn durch erstere werden beide Familien (die des Vaters und des Schwiegervaters) erlöst, während der letztere beiden schadet. Deshalb ist jede Familie gesegnet, in die ein Bhakta180-Sohn oder eine Bhakta-Tochter geboren wird. Ein Bhakta, der in einer Familie geboren wird, wird acht Generationen befreien, während Sakat

180 Ein Bhakta ist ein Gottliebender.

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(Manmukh) Söhne - wie viele es auch sein mögen - sie nur in die Hölle führen.

200. Wenn die Menschen den Sat Guru nicht einmal in der physischen Gestalt erkennen können, die er für die Befreiung der Jivas angenommen hat, wie wollen sie ihn dann in seinem Suksham Sarup (feinstoffliche Gestalt) erkennen? Denn nur ein Gurmukh ist in der Lage, ihn ganz zu erkennen, gleichwie nur Eisen und kein anderes Metall durch die Berührung des Paras (Stein der Weisen) in Gold verwandelt wird.

Die Menschen möchten gerne Gurmukhs werden, aber sie praktizieren Guru Bhakti nicht, wie sie es sollten. Sie sollten also die völlige Hingabe an den Sat Guru dieser Zeit üben - und nach und nach zu Gurmukhs werden.

Einige Narren sagen, daß sie diesen oder jenen als Sat Guru annehmen, wenn sie sehen, wie er irgend jemand in einen Sat Guru verwandelt. Angenommen, er hat jemand in einen Sat Guru verwandelt, was nützt ihnen das? Wenn sie ein Sat Guru werden wollen, sollten sie Sat Guru Bhakti annehmen, denn dann werden sie es selbst erfahren. Doch sie können Bhakti nicht üben und vergeuden somit sie ihre Möglichkeiten als menschliche Wesen. Aber sogar das ist Mauj (sein Wille) - denn wenn jeder ein Gurumukh würde, wie könnte die Welt dann weiterbestehen?

201. Die Bhikhs und Brahmanen sind in der Welt geachtet. Aber sie werden nur von jenen so verehrt, die sich nicht nach Parmarth sehnen, denn sie besitzen nicht das Geheimnis, das die Seele in ihre Heimat führt. Sie haben Wissen erlangt oder sind den heiligen Orden nur aus weltlichen Interessen heraus beigetreten. Ein wahrer Sucher kann nicht viel Achtung für diese beiden Arten von Menschen besitzen. Rein äußerlich mag er sie bewirten oder ihnen sogar Geld spenden, aber er wird ihnen nicht sein Gemüt hingeben.

Deshalb sollten sich die Pandits und Bhikhs vom Satsang der wahren Parmarthis fernhalten; aber wenn sie hingehen, sollten sie dies nicht scheinheilig tun, denn dort ist kein Platz für Scheinheiligkeit und Unehrlichkeit. Wenn sie sich aufrichtig

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benehmen, können sie Nutzen daraus ziehen; andernfalls werden sie geringschätzig behandelt. Sich in Falschheit und Scheinheiligkeit zu verstricken, wenn ein Heiliger persönlich anwesend ist und seinen Durbar (Hof) hält, bedeutet, sich einer schlechten Behandlung auszuliefern, denn die Heiligen sind Samarth (allmächtig) und zeigen große Toleranz, aber ihre Satsangis vermögen dies nicht und entlarven solche Menschen. Wie können Scheinheilige und Schwindler dort bleiben, wo die wahren Sucher ständig im Satsang (von den Falschen) abgesondert werden, Tag und Nacht!

202. Brahma, Vishnu und Mahadeva sind die Wächter am Hof von Ishwar181; und die Schüler eines Sant Sat Guru sind Seine Wächter. Sie nehmen einen so hohen Rang ein, daß Brahma, Vishnu, Mahadev und selbst Ishwar, der ihr Herr ist, sie nicht aufhalten oder bedrängen kann. Da die Heiligen über allen stehen, nehmen auch ihre Schüler eine Stellung ein, die weder Ishwar noch andere Götter übertreffen können.

203. Die Lehren der Heiligen können am besten nur von den Heiligen erläutert werden. Kein anderer ist kompetent, sie auszulegen. Wer auch immer es versucht, wird auf seinen Verstand angewiesen sein. Die Lehre der Heiligen beruht auf persönlichen Erfahrungen und somit auch ihre Interpretation. Sie ist jenseits der Reichweite des Verstandes, und lediglich gelehrten Menschen ist es nicht möglich, sie richtig zu verstehen.

204. Wenn im Namen eine Kraft wäre, würden sicher ein paar von Tausenden, die ihn wiederholen, davon profitieren. Das zeigt, daß die Kraft nicht im Namen, sondern im Sat Guru liegt. Glücklich sind jene, die dem Sat Guru dienen. Sogar den Sündern, die an einem Sat Guru festhalten, wird vergeben; und selbst jene, die von Sünden frei sind, werden zu großen Sündern, wenn sie keinen Sat Guru annehmen.

205. Eitle und hochmütige Menschen, die den Satsang besuchen, erfreuen sich nicht daran, denn sie kommen mit der Absicht,

181 Der Schöpfer.

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Fehler zu finden, und sie verstehen die Dinge nicht, die ihnen erklärt werden. Äußerlich achten sie die heiligen Schriften sehr, beachten jedoch keinen einzigen der Grundsätze, den sie enthalten. Statt dessen blicken sie auf jene herab, die an die heiligen Schriften glauben und versuchen, so gut wie möglich danach zu handeln und bei denen der Sat Guru an erster Stelle steht. Solche Egoisten werden niemals irgendeinen Nutzen von den Heiligen haben. Sie halten am Granth182 fest, ignorieren jedoch das darin enthaltene Gebot, einen Sat Guru zu suchen und ihm zu dienen, was ihnen zugute kommen würde. Sie sehen den Granth selbst als Guru an. Dadurch handeln sie unmittelbar gegen die Lehren Guru Nanaks, denn der Granth kann kein Guru sein. Er ist leblos und kann weder sprechen noch Anweisungen geben. Das ist allein die Aufgabe des Sat Guru.

Wenn der Granth Instruktionen erteilen könnte, wären die Nirmalas und Udasis nicht nach Kashi gegangen und hätten sich vor den Pandits erniedrigt und den Granth nicht als den Veden und Shastras unterlegen eingestuft; sie hätten nicht gefastet und wären nicht zu heiligen Orten gepilgert und hätten ihren Schülern nicht aufgetragen, die letzten Rituale nach ihrem Tod in Gaya183 zu vollziehen. Der Granth enthält ein Geheimnis, das sogar Brahma, der Autor der Veden, nicht kannte. Aber niemand außer einem vollkommenen Sat Guru kann dieses Geheimnis darlegen. Aus diesem Grunde ist es notwendig, daß alle den Sat Guru an die erste Stelle setzen. Er kann uns das Geheimnis des Granth offenbaren, und er kann uns die Befreiung ohne irgendeine heilige Schrift gewähren. Wer den Sat Guru dieser Zeit nicht sucht, wird weiter in Chaurasi wandern.

206. Es gibt keine Befreiung für die Vachak Gyanis (jene, die nur von Gyan sprechen), denn sie reden nur. Im Falle der wahren Gyanis wird nur das Sthool Karma (grobes Karma) zerstört, nicht aber das Suksham Karma (feines Karma), das erst beim Erreichen der Region der Heiligen zerstört werden kann. Man muß sich stets in Erinnerung rufen, daß uns in diesem Zeitalter nur die Heiligen

182 Granth = Guru Granth Sahib. 183 Berühmter Wallfahrtsort in Nordindien.

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zur Befreiung führen können, denn die Befreiung ist erst möglich, wenn das gesamte Karma - das grobe und feine - zerstört worden ist; und die Gyanis kennen die Technik der Zerstörung der Karmas nicht.

207. Ein Gurmukh ist, wer den Sat Guru als Gott den Herrn betrachtet und keine seiner Handlungen in Frage stellt oder den Glauben an ihn schwach werden läßt. Wenn es zum Beispiel einen Todesfall in der Familie gibt, man sich einem Unglück oder Verlust gegenüber sieht oder es ungewöhnlich heiß oder kalt wird, es sehr stark regnet oder eine Dürre herrscht oder eine Krankheit, Seuche oder ein anderes Unglück kommt - ein Gurmukh wird nie sagen, daß das nicht hätte geschehen sollen oder daß es falsch oder schlecht ist. Ganz im Gegenteil denkt er daran, daß alles, was geschieht, im Einklang mit dem göttlichen Willen und daher richtig ist und letztlich etwas Gutes enthält. Jedoch nur ein perfekter Gurmukh wird sich so verhalten; niemand sonst besitzt diese Fähigkeit.

208. Ram (Gott) wohnt in jedem von uns, aber keiner kennt Ihn. Die Menschen begehen Sünden, während Er zusieht, aber Er hält sie nicht davon ab und läßt sie durch das Rad von Chaurasi wandern. Was nützt uns dann Ram (Gott)? Wenn wir aber einen Sat Guru treffen, der uns erklärt, in welcher Gestalt Ram in unseren Herzen wohnt, dann wissen wir Bescheid; wir meiden schlechte Handlungen und entkommen Chaurasi. Daher ist es notwendig, einen Sat Guru zu suchen, denn in ihm verkörpert sich Ram - und die Suche nach dem nicht verkörperten Ram ist ohne die Hilfe eines Sat Guru unmöglich. Wer dies nicht tut, wird weder Ram finden noch Chaurasi entfliehen, sondern sein kostbares menschliches Leben verschwenden. Wer auch immer den Sat Guru sucht, der wird ihn sicher finden, denn der Sat Guru ist eine Inkarnation, die ewiglich auf dieser Erde anwesend ist.

209. Den Shabd zu hören, der in unserem Innern erklingt, ist Shabd Bhakti; dem Herz (der Person) zu dienen und zu lieben, in dem sich der Shabd verkörpert, ist Sat Guru Sewa; denn Er allein ist der Sat Guru, und Shabd ist sein Nij Sarup (wahre Gestalt). Seine Lehren anzunehmen und im Einklang mit ihnen zu handeln,

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stellt die äußere Form von Sat Guru Bhakti dar. Shabd im Innern zu lauschen - das ist die innere Form von Sat Guru Bhakti.

Die erste Stufe auf der Leiter184 ist die Liebe zu jener Gestalt des Sat Guru, durch die er Instruktionen erteilt. Danach entwickelt sich die Liebe zur Shabd-Gestalt des Sat Guru. Wer keine Liebe für die menschliche Gestalt des Sat Guru besitzt, wird auch die Shabd-Gestalt nicht lieben können; und trotz bester Bemühungen wird er nicht in der Lage sein, den Shabd im Innern zu hören. Wenn er jedoch der menschlichen Gestalt des Sat Guru ergeben ist, aber noch nicht viel Liebe für Shabd entwickelt hat, wird ihn der Sat Guru in seiner Gnade befreien. Aber wer auch immer Liebe für den Sat Guru hat, wird natürlich auch Liebe für Shabd empfinden. Zuerst sollte man Liebe und Hingabe für die menschliche Gestalt des Sat Guru empfinden. Das ist eine unumgängliche Notwendigkeit.

210. Muni Narad sah Ram (Gott) von Angesicht zu Angesicht; doch Ram konnte ihn nicht aus dem Kreislauf der Wiedergeburt befreien. Sein Guru errettete ihn daraus. Wie können dann die heutigen Menschen erwarten, gerettet zu werden, wenn sie nur die Namen von Ram rezitieren, jedoch ihn nie gesehen haben? Wie können sie Chaurasi entfliehen, ohne einen vollkommenen Meister getroffen zu haben? Es ist daher äußerst notwendig, einen Lebenden Sat Guru zu suchen und sich ihm zu unterwerfen.

211. Frage einmal die Nirmal Gyanis, warum sie nicht nach den Lehren des Granth von Guru Nanak handeln, dessen Anhänger sie sein wollen, und warum sie sklavisch die Veden und Shastras beachten? Mit anderen Worten, warum üben sie nicht Bhakti und entwickeln Demut, wie es Guru Nanak vorschreibt? Wenn sie sich als Gyanis betrachten, irren sie sich. Wie kann Gyan ohne Bhakti entstehen? Das Gyan (Wissen) von dem sie sprechen, ist nur das aus den Büchern, das verschwindet, sobald sich das Rad von Maya in Bewegung setzt. Deshalb ist es notwendig, Hingabe an einen vollkommenen Sat Guru zu entwickeln, um wirkliches Gyan zu erlangen.

184 Auf der Leiter der spirituellen Entwicklung.

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Sogar Vyas und Vashisht, die in ihrem Bereich Perfektion erreicht hatten (sie waren perfekte Gyanis), wurden von Maya bedrängt. Wie also wollt ihr da entkommen? Nur die Heiligen und jene, die bei ihnen Zuflucht nehmen, können Maya entfliehen und niemand sonst. Wenn du die Heiligen nicht liebst, wirst du im Netz von Kal verstrickt bleiben. Gib jede Einbildung auf Wissen und Klugheit auf und sei demütig dem Sant Sat Guru gegenüber, wenn du dein menschliches Leben wirklich nutzen willst. Er ist allmächtig, und indem er dich vor Maya und Kal beschützt, wird er dich zur Region der Wahrheit führen. Es steht dir frei, seinen Rat anzunehmen oder nicht, jedoch wird er dir nur zu deinem Besten erteilt.

212. In diesem Kali Yuga sind die Heiligen die Könige. All jene, die ihre Gebote befolgen - das heißt, die auf jene Art leben und jene Hingabe üben, die sie für dieses Kali Yuga vorgeschrieben haben, werden glücklich sein und die Befreiung erlangen. Wenn sie jedoch diesen Anweisungen zuwider handeln und sich in Riten, Zeremonien und Formen der Anbetung verstricken, die für vergangene Zeitalter bestimmt waren, wie sie die Shastras und Puranas beschreiben, werden sie diese nicht genau auszuführen können und nur ihre Eitelkeit vergrößern. Alle alten Gesetze wurden aufgehoben, daher besitzen sie keine Gültigkeit mehr. Wer auch immer sie jetzt befolgt und ihnen vertraut, wird weder fortschreiten noch Chaurasi entkommen. Alle Jivas (verkörperten Seelen) sollten deshalb die Gebote der Heiligen beachten.

Die Heiligen haben folgende Karams185 und Upasna beschrieben - Satsang, Seva und Darshan des Sat Guru; den Vortrag aus den Schriften der Heiligen und das Hören dieser Worte; den Simran oder die Wiederholung der Namen (Naam), die von den Heiligen gegeben werden - dies ist das Karam (das Ritual für diese Zeit). Die Liebe zur menschlichen Gestalt des Sat Guru und die Meditation über sie; das Hören auf Shabd im Innern mit dem Surat (mit gespannter Aufmerksamkeit) - das ist Upasna (Verehrung in dieser Zeit). (Gyan ist die Frucht.)

185 Karams = Handlungen, die ein religiöses Verdienst bewirken.

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213. Die Brahmanen und Kschatriyas haben ihre Lebensweise und ihre Dharmas (Pflichten), jedoch nicht ihren Stolz aufgegeben. Die Rituale vergangener Zeitalter können sie nicht auf die vorgeschriebene Art auszuführen; und sie führen nicht aus, was ihre Lehrer für das Kali Yuga angeordnet haben, und bleiben somit unglücklich. Sie sind hilflos, denn in diesem Zeitalter ist Parmarth (Religion) dem Lebensunterhalt untergeordnet. Früher hingegen war der Lebensunterhalt Parmarth untergeordnet186.

Aber jetzt haben die Heiligen, die im Kali Yuga erscheinen, eine Technik eingeführt, durch deren Befolgen ein Brahmane zu einem wahren Brahmanen und ein Kschatriya zu einem wahren Kschatriya wird, aber durch ihren Stolz glauben die Menschen den Worten der Heiligen nicht. Ganz im Gegenteil - man schmäht sie. Der Grund für diese Haltung ist, daß diese Menschen nicht danach streben, diese Welt zu verlassen - ein Erdwurm ist immer glücklich im Schmutz. Deshalb fühlen sich die weltlichen Menschen durch die Worte der Heiligen verletzt, aber zu ihrem Besten weisen die Heiligen trotzdem auf diese Dinge hin.

214. Gott ist in uns, doch die unwissenden Jivas suchen ihn immer im Äußeren. Die Bewohner von Kashi und Prayag gehen nach Ayodhya und Brindaban, um Gott zu finden, während die Bewohner von Hardwar und Brindaban nach Prayag pilgern, um Ihn dort zu suchen. Nur ein vollendeter Sat Guru kann dieses Umherwandern beenden. Daher sollte man einen Sat Guru suchen. Die Pandits und Bhikhs sind selbst irregeführt und führen auch andere in die Irre

215. Der menschliche Körper ist kurzlebig. Es lohnt sich nicht, auf seine Jugend oder Schönheit stolz zu sein. Wie die Bäume im Herbst ihre Blätter verlieren, so wird auch diese Jugend und Schönheit in ein paar Tagen vergangen sein. Deshalb sollten wir sie nicht verschwenden, sondern einen geliebten Meister finden

186 Es war wichtiger, nach Parmarth (Spiritualität) zu streben, als für den Lebensunterhalt zu sorgen. Dazu trug auch bei, daß die Gesellschaft als Ganzes diese Haltung akzeptierte und die Strebenden (in Form der Sadhus) mit Nahrung versorgte.

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und unsere Zeit in seinem Dienste und seiner Anwesenheit verbringen.

Man sollte recht verstehen, daß alle Verwandten und Freunde, Vater und Mutter, Gattin, Söhne und Reichtum - nicht unsere wahren Freunde sind; sie bringen uns nur Unglück. Die weltlichen Menschen jedoch betrachten sie als Quelle der Glücks und sind darum zu bedauern187. Vom Glück begünstigt sind jene, die einen vollendeten Sat Guru verehren, an ihn glauben und ihm mit Körper, Gemüt und Reichtum dienen. Wer einen Sat Guru in seiner Jugend sucht, der ist weise; wer das versäumt, wird es bedauern.

216. Die Heiligen und Pandits waren niemals einer Meinung und werden es auch nie sein, weil die Pandits für äußere Formen der Verehrung eintreten, während die Heiligen auf der inneren Hingabe bestehen. Pandits führen die Menschen in die Irre, indem sie sie Steine und Wasser anbeten lassen; einige beschreiben Varnatmak Naam (das gesprochene Wort), aber sie können sein Geheimnis nicht richtig erklären. Die Heiligen hingegen enthüllen das Geheimnis von Dhunatmak Naam (das Wort, das aus sich selbst erklingt) und sie erklären systematisch sein Mysterium, seine Gestalt, sein Wirken und seinen Ursprung. Wenn die Menschen die Botschaft der Heiligen akzeptieren, werden sie ihr Ziel erreichen; sonst wandern sie weiter von Leben zu Leben.

217. Die Pflicht eines Jivas ist es, seinem Vater zu dienen. Sat Naam oder Sat Purush ist sein Vater, aus dessen Essenz er besteht. Aber er vermag ihn nicht zu finden. Wie kann er ihm dann dienen? Es ist bekannt, daß die Heiligen die Inkarnation von Sat Purush sind; und ihnen zu dienen, bedeutet, dem Sat Purush zu dienen. Sie haben sich in den ersten drei Yugas nicht offenbart188 - doch sie inkarnieren sich jetzt in diesem Kali Yuga 187 Sie kennen nicht das wahre Glück, das über dem Bereich der Sinne liegt. 188 Diese Offenbarung bzw. Nichtoffenbarung bezieht sich offensichtlich auf das Sichtbarwerden für die gesamte Menschheit. In früheren Zeiten oder Yugas war der Zugang zu einem Meisters oder selbst das Wissen um

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zur Erlösung der Jivas. Sie sind aus keinem anderen Grund in diese Welt gekommen. Die Sanskaris (denen es vorherbestimmt ist) werden - sobald sie sie erblicken und ihre Worte hören - zu ihren heiligen Füßen gezogen; viele andere empfangen Sanskaras (Eindrücke), und im Laufe der Zeit werden auch sie Chaurasi entfliehen. Außer den Heiligen kann niemand Seelen aus Chaurasi retten und sie zu Nij Desh (der wahren Heimat) führen.

218. Menschen, die nicht an Naam glauben, aber äußerlich ein gutes, reines Leben führen und außerdem nach innerer Reinigung streben, werden nicht den vollen Gewinn (von diesen Übungen) erhalten, selbst wenn sie Japa (Rezitation), Tapa (Bußübungen) und Abhyas (spirituelle Praktiken) nach bestem Vermögen ausüben. Auf der anderen Seite werden jene, denen der Sat Guru Naam offenbart hat und die einen tiefen, festen Glauben besitzen, die Früchte von Japa, Tapa und Sanyam (Enthaltsamkeit, Konzentration) genießen und außerdem die höchste Ebene erreichen.

In einem Vers heißt es: „’Yoga (Meditation), Yagya (Opfer) und Achar (Einhaltung Religiöser Gesetze) sind alle in Naam enthalten.’ Parasram sagt: ‚Japa, Tapa und Sanyam folgen der Spur von Naam.’"

Dieses Naam kann man von einem Sant Sat Guru bekommen. Es wird die Wurzeln aller schlechten Neigungen abtrennen und allmählich zur Kontrolle des Gemütes und der Sinne führen. Wenn jedoch jemand ohne Naam versucht, die Sinne zu beherrschen, wird er das sehr schwierig finden. Denn wenn er versucht, einen Sinn zu beherrschen, wird ein anderer aufbegehren. Das scheint die Notlage von jenen zu sein, die Namen aus heiligen Schriften wiederholen. Obwohl sie die Namen gewissenhaft wiederholen, können sie Vikar (die üblen Neigungen) nicht loswerden. Aber wenn man das Naam des Gurmukh (Naam, das von einem Heiligen gegeben wird) rezitiert, führt das allmählich zur Ausrottung aller schlechten Neigungen.

seine Person nur einem ganz kleinen, auserwählten Kreis von Menschen vorbehalten.

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Außer der Praxis von Naam gibt in diesem Kali Yuga keinen anderen Weg, um die schlechten Neigungen zu überwinden.

219. In den Lehren der Heiligen wird Vairagya (die Gleichmut oder Widerwille gegenüber der Welt) keine Bedeutung zugemessen; Gurubhakti allein ist wichtig. Sadhans, sowie Vairagya (Loslösung, Entsagung) und andere bieten sich demjenigen, dessen Gurubhakti vollkommen ist, ganz von selbst an, denn er erhält sie als Lohn vom Sat Guru. Aber Sat Guru Bhakti muß wie die Liebe des Chakor (Mondvogels) für den Mond sein, wie die Liebe des Rehs für Musik, wie die Liebe der Motte für das Licht und wie die Liebe des Fisches für das Wasser. Nur wer eine solche Liebe für den Guru empfindet, wird ein Guru Bhakta (Ergebener des Gurus) genannt, und nur auf ihn treffen die erhabenen Beschreibungen zu.

220. Die Namen, die man wiederholt, um ein wenig zeremonielle Reinheit zu erlangen, sind nicht das wirkliche Naam. Naam ist höchst kraftvoll und kann alle Unreinheiten beseitigen. Man kann es ohne Bedenken an jedem Ort und zu jeder Zeit rezitieren. Sogar unreine Orte werden durch die Kraft von Naam rein. Dieses Naam befindet sich beim Sant Sat Guru und nirgendwo sonst.

221. In diesem Zeitalter von Kali sind alle Karmas (religiöse Handlungen) - außer Naam und Sat Guru Bhakti - verboten189. Wenn jemand gegen diese Anordnung verstößt, indem er sich Formen der Anbetung vergangener Epochen hingibt, vergrößert er nur seinen Egoismus und wird unrein anstatt rein zu werden. Diese Tatsache bezeugen die Vedas und Shastras ebenso wie die Heiligen. Das Naam der Vedas reicht bis zu den drei Lokas (Regionen), das Naam der Heiligen aber bringt den Schüler bis zum vierten Loka (Region).

222. Die Menschen leiden an drei sichtbaren und drei verborgenen Krankheiten. Sie versuchen, die bekannten Krankheiten zu behandeln, sind sich aber der unbekannten überhaupt nicht bewußt. Nur der Sant Sat Guru erkennt solche 189 Das heißt, nur die Karmas (Handlungen), die zu einer tieferen Verbindung mit der Gotteskraft führen, bewirken die Erlösung.

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Krankheiten. Wenn jemand das große Glück besitzt und in seine Gesellschaft gerät, wird er diese Krankheiten erkennen und sich wünschen, von ihnen befreit zu werden.

Das erste dieser Leiden ist das Ausgeliefertsein an Geburt und Tod. Das zweite ist der Streit und der Kampf mit dem Gemüt, dem Herrn der drei Welten. Die dritte Krankheit ist die Unwissenheit, denn der Mensch weiß nicht, wer er ist, was sein Wesen ist, noch wo sich Er (der Ursprung) befindet.

Es ist offensichtlich, daß durch Bücherlesen keine Krankheit geheilt und auch kein Streit entschieden werden kann. Man muß zu einem lebenden Arzt gehen, ihm seinen Zustand schildern und von ihm die notwendige Medizin erhalten - oder zu einem lebenden Richter, ihm seinen Fall darlegen und den Rechtsstreit klären lassen. Der Sat Guru ist der lebende Arzt und Richter, und er kann diese Krankheiten heilen. Ebenso kann das Leid der Unwissenheit nicht geheilt werden, indem man längst Verstorbenen vertraut. Aber man es kann heilen, wenn man beim lebenden Sat Guru Zuflucht sucht. Er wird uns die Erkenntnis schenken, die es uns ermöglicht, sowohl uns selbst als auch den Herrn zu erkennen. Es gibt kein anderes Heilmittel, als die Verbindung mit dem Sat Guru dieser Zeit.

223. Shabd ist Suksham (subtil) und die menschliche Form ist grobstofflich. Wie kann sich ein Jiva dann auf einmal mit Shabd verbinden? Diese Grobheit190 (Grobstofflichkeit) kann man durch Sat Guru Bhakti überwinden. Solange man Sat Guru Bhakti nicht richtig übt, ist man nicht fähig, sich mit Shabd zu verbinden.

224. Es ist schwer, den Sat Guru zu erkennen. Wer den Sat Guru erkennt, wird furchtlos. Wenn jemand einen Menschen zum Freund gewinnt, der eine hohe weltliche Position innehat, dann fürchtet er sich vor niemandem mehr. Wie kann dann ein Mensch, der den Sat Guru kennt, den Herrn von allen, vor irgend jemand Angst haben? Aber nur sehr wenige Menschen werden fähig sein, diesen Zustand zu erreichen. Einige Jivas gehen soweit, aus Angst 190 Im englischen Text wird das Wort „grossness“ = „Grobheit“ gebraucht.

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vor weltlichen Gebietern auf den Guru zu verzichten. Wie können sie dann den Sat Guru erkennen? In Wirklichkeit liegt es nicht in der Hand des Jivas, den Sat Guru zu erkennen. Menschen mit weltlicher Macht schüchtern andere Leute ein, indem sie ihre Autorität zeigen, aber der Sat Guru offenbart sich nicht selbst, sondern lebt in der Welt wie ein gewöhnlicher Sterblicher. Deshalb kann ihn nur einer erkennen, den er mit seinem Daya (Gnade) überhäuft. Das kann niemand sonst.

225. Jeder liebt das, was der Sat Guru sagt und sein Lila191 (seine Art, etwas zu tun). Aber es gibt nur wenige, die den Sat Guru selbst lieben. Die Liebe, die nur auf Bachan (Worte) oder Lila (das Verhalten) des Sat Guru basiert, ist unzuverlässig. Die wahre Liebe wird ausschließlich für den Sat Guru selbst empfunden. Von jenen, deren Liebe auf dem Bachan (den Worten) und dem Lila (dem Verhalten) des Sat Guru gründet, werden einige wahre Liebe für den Sat Guru entwickeln. Das ist auch ein Sprungbrett zur wahren Liebe.

226. Einer lobt den anderen - damit ist gemeint, daß jemand, der anderen materielle Unterstützung zukommen läßt, vom Empfänger gelobt und als bedeutend hingestellt wird. Aber ein solches Lob ist nicht verläßlich. Es ist wie der Schrei eines Esels, der am Anfang sehr laut ist, aber allmählich immer schwächer wird. Die Liebe von derartigen Menschen ist nicht von Dauer. Nur eine Liebe, die sich nicht verändert, kann man wahre Liebe nennen.

227. Vom Augenblick der Geburt an ist Kal mit der Seele verbunden, als ob die Seele mit ihm verheiratet wäre. Wenn der Bräutigam kommt, um seine Braut abzuholen, weint sie üblicherweise. Sie weint, um damit zu zeigen, daß sie nur widerwillig fortgeht, doch niemand kann sie festhalten. Auf dieselbe Weise weint die Seele, wenn Kal kommt, um sie abzuholen - aber niemand kann ihr helfen. Er führt sie durch 191 Lila heißt wörtlich „Spiel“ und bedeutet das „göttliche Spiel in der Erscheinungswelt“; hier bezieht sich „Lila“ auf die (karmafreien) Handlungen des verkörperten Gottes, der Form annimmt, um das Spiel der Welt zu erleben und zu gestalten.

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einen engen Pfad, der schmaler als ein Haar ist und auf dem nicht einmal eine Ameise krabbeln kann. Auf diesem Pfad werden die Seelen in Stücke geschnitten und fallen in Gruben voller Schmutz. Keine Worte können ihr Leid beschreiben.

Aus diesem Grund erklären die Heiligen in ihrer Barmherzigkeit den Menschen immer wieder, daß der Weg feiner als ein Haar ist und wir versuchen sollten, uns selbst zu erkennen, wenn wir Angst davor haben. Außer dem vollkommenen Sat Guru kann uns niemand dabei helfen. Wenn der Jiva Zuflucht beim Sat Guru sucht, wird er ihn das tun lassen, was er als notwendig ansieht. Um diesen gefährlichen Pfad zu vermeiden, wird er ihn in seinen Schutz nehmen und ihn nach Nij Sthan (zu der wahren Region) tragen, wo ewige Seligkeit herrscht. Das ist der einzige Weg.

228. Es ist wahr, daß man Naam nicht leicht erlangen kann, aber es ist leicht, sich dem Einen zu übergeben, der es besitzt. Es war schon immer so, daß nicht alle Naam erhalten konnten, aber sie haben sich des Schutzes (der Heiligen) erfreut. Dieser Schutz ist eine Quelle großen Glücks. Die Heiligen können diese List192 nicht anwenden, denn Sie haben diese Kraft selbst erworben. Die Jivas jedoch können diese List benutzen.

229. Wenn jemand Tests aus Büchern anwendet, um den Sat Guru zu prüfen, wird er keinen Erfolg haben. Aber wenn er einige Zeit bei ihm verbringt, wird er ihn erkennen. Es gibt keinen anderen Weg, um ihn zu erkennen.

230. Wenn der Jiva das Atma Tattwa (die Seele), das einzig Wirkliche im menschlichen Körper, nicht erkennt, sondern es vergeudet, indem er sich an den Sinnesfreuden ergötzt, ist er nur ein Tier im menschlicher Gestalt und lebt das Leben eines Tieres. Aber das (diese Erkenntnis) ist ohne einen vollkommenen Sat Guru nicht möglich.

Erstens ist es sehr schwer, einen vollkommenen Sat Guru zu finden, und selbst wenn man ihn gefunden hat, ist es schwierig, an ihn zu glauben. Es gibt heutzutage so viele Bhikhs, die sich selbst 192 Wörtlich „stratagem“ = List, Kriegslist.

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als vollkommene Brahms bezeichnen und ihre Anhänger in die Irre führen, indem sie (sogenanntes) Gyan (spirituelles Wissen) lehren. Wenn sie gefragt werden, wie sie Brahm erkannt haben, sind sie unfähig zu antworten. Daher ist ihr Anspruch, Brahm zu sein, falsch und ebenso ist es ihre Methode, die auf reinem Intellekt und Bücherwissen fußt. Sie liegt innerhalb der Begrenzungen des Gemüts und kann nie zur Befreiung führen. Gesegnet sind in der Tat die Menschen, die einen vollkommenen Sat Guru gefunden haben, der ihnen gerne Glauben, Liebe und das Vorrecht, Seva zu leisten, schenkt. Es liegt nicht in der Macht des Jiva, an ihn zu glauben oder mit seinem Dienst fortzufahren. Auch das wird nur durch seine Gnade und Barmherzigkeit bewirkt.

231. Der Jiva steht unter dem Einfluß von Leid und Freude, weil er vom Schmutz des Egoismus bedeckt ist, der von vergangenen Sünden herruht. Käme er zum Sat Guru, würde Er diesen Schmutz mit dem Wasser seiner Gnade wegwaschen, ihn reinigen und in die Region der Glückseligkeit bringen, vorausgesetzt, daß er in seiner Gegenwart bleibt. Aber wie ihm kann der Sat Guru helfen, wenn er nur für einen Tag kommt und dann wieder einen ganzen Monat lang wegbleibt? Nur wer eine intensive Sehnsucht nach Parmarth empfindet, wird dazu in der Lage sein. Für jemand, der gleichgültig ist, ist das nicht möglich.

232. Atheisten, die die Existenz eines Höchsten Wesens leugnen, befinden sich im Irrtum. Der Herr ist verborgen, wie das Feuer im Holz verborgen ist. Weil sie Ihn nicht sehen können, verleugnen sie Ihn. Hätten sie einen Sat Guru gesucht und ihm ihren Geist nach der Methode der Heiligen unterworfen, wären Sie in der Lage, den Herrn zu sehen und frei von der Sünde der Undankbarkeit.

233. So wie ein Malayagiri193-Sandelholzbaum seinen Duft an einen Baum in seiner Nähe abgibt und ihn dadurch auch wohlriechend macht, so werden auf die gleiche Weise solche, die sich häufig in der Gesellschaft eines Sadh befinden, dem Leid dieser Welt entfliehen und eines Tages selbst ein Sadh werden.

193 Der Malayagiri ist ein Berg in Orissa, Indien.

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Gesegnet sind jene, die sich des Sadhsangs194 (Gemeinschaft der Sadhs) erfreuen und so das menschliche Leben am besten nutzen. Jene, die sich nicht an dieser Gemeinschaft erfreuen und auch nichts dafür übrig haben, sind wie Tiere. Was nützt die menschliche Gestalt, wenn sie keine Früchte bringt? Sie sind wie ein Geizhals, der Tausende von Rupien verdient, sie aber weder ausgibt, noch für irgend etwas benutzt. Welchen Wert hat sein Reichtum? Wer weiß, was mit diesem Reichtum geschieht und in wessen Hände er fallen wird? Und wenn die Bindung an den Reichtum in seinem Gemüt bestehen bleibt - und es ist unmöglich, daß die Bindung nicht vorhanden ist - wird er als Schlange wiedergeboren und darüber wachen. Seht, in welch niedere Lebensform er hinabsteigt und wie er in Chaurasi hineingerät. Ebenso werden jene, die als Menschen geboren sind und ihr Leben nicht nutzen, um die Heiligen zu lieben und ihnen zu dienen, am Ende wieder in (den Kreislauf von) Chaurasi zurückkehren.

234. Die Stufen von Karma (Taten), Upasna (Hingabe) und Gyan (Wissen) in der vedischen Religion reichen nur bis zur Karma-Ebene der Heiligen, und man kann sie erst vollenden, wenn man die Region von Trikuti erreicht. Das Upasna (der Heiligen) reicht bis Sat Lok, und Gyan erwirbt man in der Anami-Region. Die Heiligen bezeichnen sich selbst nie als Gyanis. Sie sprechen von sich selbst immer als Bhaktas (Gottliebende). Wer sich selbst Gyani nennt, besitzt nur Bücherwissen. Denn wenn man sie fragt, wie sie diese Erkenntnis erlangt haben, können sie darauf keine Antwort geben. Es ist unmöglich - ohne Karma und Upasna - Gyan (die Erleuchtung) zu besitzen. Davon wissen sie aber nichts, weil sie diesem Weg nie gefolgt sind. Sie haben die Grundlagen des Gyan nur aus Büchern gelernt und sind deshalb Pseudo-Gyanis. Wer ihren Lehren folgt, wird letztlich leer ausgehen.

235. Die Bedeutung des Sat Guru dieser Zeit ist von allergrößter Wichtigkeit. Die grobe Natur des Menschen wird durch aufrichtige Hingabe an und Liebe für ihn gereinigt. Dann wird man bereit

194 Satsang bedeutet Gemeinschaft (Sang) mit der Wahrheit (Sat), Sadhsang bedeutet Gemeinschaft mit einem Sadh.

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Naam (im Inneren) zu hören, und man wird erkennen, daß die Suksham-Gestalt von Nam, die Suksham-Gestalt des Sat Guru und die eigene Suksham-Gestalt identisch sind. Diese Erkenntnis wird aber nur erlangt, wenn die Liebe für den Sat Guru vollkommen ist.

236. Wer jetzt einen menschlichen Körper hat, aber nicht nach einem Sat Guru sucht, der wird in Chaurasi eingehen und nicht wieder eine menschliche Gestalt erhalten (das hängt von verschiedenen Bedingungen ab). Daher ist es nun an der Zeit, die Befreiung zu erlangen, denn wenn man diese Gelegenheit verpaßt, wird man sie nicht wieder bekommen.

237. Die meisten Menschen können äußeren Dienst und Hingabe verrichten, doch so kann man nicht das Wahre vom Unwahren unterscheiden. Die einzig richtige Möglichkeit, das Wahre zu erkennen ist folgende: Jemand muß in die Übung des Shabd eingeweiht sein und erfolgreich die Aufmerksamkeit seines Surat darauf richten. Nur die Hingabe eines solchen Menschen man kann als wahr betrachten.

238. Man sollte vom lebenden Sat Guru nicht Sat Lok oder irgendeine andere Region erbitten. Man sollte vielmehr ohne Unterlaß beten, daß er uns einen Platz zu seinen "Heiligen Füßen" geben möge, denn das ist die höchste und erhabenste Region von allen.

239. Wer sich an weltlichen Besitztümern erfreut, muß am Ende wieder in das Rad der Wiedergeburt eingehen. Aber wer diese Dinge dem Sat Guru und dem Sadh für ihren Gebrauch anbietet, erwirbt sich das Recht auf die höchste Region; denn die Heiligen sind weder an solche Dinge, noch an den Körper gebunden. Sie haben diesen physischen Körper zur Befreiung der Jivas angenommen und besuchen jeden Tag ihre eigene Region (Sach Khand). Die Jivas jedoch sind an den Körper wie auch an weltliche Dinge gebunden. Aber jene von ihnen, die ihren Körper, Geist und Besitz in den Dienst der Heiligen stellen, werden dem Chaurasi entkommen; und jene, die ihr Leben mit Essen, Trinken und

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weltlichen Vergnügungen verschwenden, werden wieder in Chaurasi eingehen.

240. Solange sich Tattwa (die fünf Elemente) sich nicht mit Tattwa vereinigt, kann man das Ziel nicht erreichen. Der Ursprung der fünf grobstofflichen Tattwas ist der Surat (die Seele) und Shabd ist der Ursprung des Surat. Es ist nicht nötig, sich wegen der fünf Tattwas Gedanken zu machen. Man erreicht das Ziel durch die Vereinigung des Surat Tattwa mit dem Shabd Tattwa, aber das ist ohne die Gnade eines vollkommenen Sat Guru nicht möglich. Das Wichtigste ist daher, einen Sat Guru zu finden und Liebe für ihn zu entwickeln.

241. Der Papiha (der Regenvogel) fliegt auf der Suche nach einem Tropfen Swati195-Regen von einem Wald zum anderen. Er akzeptiert kein anderes Wasser, weil es seinen Durst nicht löschen kann. Der Herr erkennt seine wahre Sehnsucht und sendet Swati-Tropfen, um seinen Durst zu stillen. Auf die gleiche Weise wird jemand, der wirklich danach strebt, einen Sat Guru zu finden und seine Suche nicht aufgibt, den Sat Guru treffen und Naam erhalten. Aber nicht jeder hat die Kraft, diesen Pfad zu beschreiten.

242. Der Ergebene sagt: "Ich wünschte, ich könnte meinen Geist so fein wie Mehndi-Blätter (Henna) zermahlen und ihn zu Füßen des Sat Guru legen, aber der Sat Guru würde ihn nicht annehmen. Auf jeden Fall habe ich meinen Geist so fein wie Mehndi-Blätter zermahlen und halte ihn bereit. Er mag seine Füße damit schmücken, wenn es ihm gefällt196." Das ist das Dharma (die Pflicht) eines Sewak (einer, der Sewa leistet), nämlich, sein Gemüt mit viel Mühe und Arbeit zu pulverisieren und auch dann, wenn der Sat Guru ihn nicht annimmt, die Demut nicht aufzugeben, sondern mit seinem Mauj (seinem Willen) zufrieden zu sein. Er darf seinen Glauben nicht verlieren, wenn er einen geringen 195 Swati ist der Name eines Sterns, der bei einer bestimmten Mond-Stellung sichtbar ist. Nur der Regen, der bei dieser Konstellation fällt, löscht den Durst des Papiha. 196 Man bereitet aus fein zerriebenen Mehndi-Blättern (Henna) eine Paste, mit der man die Füße oder andere Körperteile bemalen kann.

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Dienst leistet und dieser nicht angenommen wird - denn das wäre kein Seva, sondern hieße, den Sat Guru als Sewak zu behandeln. Wenn das die Vorbedingung wäre, wie könnte man dann sein Gemüt pulverisieren? Wenn eine Seele durch glückliche Fügung einen gnädigen Sat Guru findet (und aus Gnade angenommen wird), korrigiert er in seiner Gnade den Schüler.

243. Wenn ein Wohltäter jemand etwas schenken möchte, wird dieser seine Hand danach ausstrecken. Auf die gleiche Weise sendet uns der Herr in Seiner Barmherzigkeit Regen; und der Regen ist eine Wohltat für die Welt. Aber wenn Er einem wahren Sucher Gnade erweist, läßt Er einen Regen der Liebe auf ihn herabströmen. Wenn jemand alle Tugenden besitzt, jedoch keine Liebe empfindet, so hat er nichts. Und wenn jemand keine Tugenden besitzt, jedoch voller Liebe ist, wird er den Durbar (Hof) des Herrn betreten. Aus diesem Grund ist die Liebe höchst wichtig. Aber diese Liebe ist ohne die Hingabe an den Sat Guru nicht möglich.

244. Wenn die Heiligen diese Region grenzenlos nennen, bedeutet das nicht, daß sie sie nicht erkundet haben oder kein volles Wissen über sie besitzen. Es bedeutet vielmehr, daß die Glückseligkeit dieser Region unermeßlich ist. Heilige leben in dieser Region wie ein Fisch im Wasser. Jemand irrt sich, wenn er behauptet, daß ein Fisch die Weite des Wassers, in dem er lebt, nicht kennt oder daß er seine Tiefe nicht ausgelotet hat. Wer mit der Welt eins geworden ist, wie Wasser sich mit Wasser vermischt, den braucht man nicht bewundern. Alle Verehrung gilt jenen, die wie ein Fisch im Wasser leben und seine Wonnen genießen.

245. Der Jiva kann keine Befreiung erlangen, indem er von Kal verzehrt wird, denn der Surat ist Chetan (Bewußtsein) und kann nicht von Kal verzehrt werden197. Er verzehrt nur die Körper, manche durch das Wasser, manche durch das Feuer und manche durch die Erde.

197 Damit wird ausgedrückt, daß wir nicht einfach mit dem Verlöschen des Körpers die Befreiung erlangen können.

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Es gibt keine Übereinstimmung zwischen Kal und der Seele. Seit dem sie von Sat Lok herabgestiegen sind, haben sich beide mit Hülle um Hülle bedeckt.

Kal kann nicht zurückkehren. Aber wenn ein Jiva mit einem Sat Guru in Verbindung kommt, können durch seine Gnade oder sein Erbarmen und durch den Dienst für ihn die Hüllen entfernt werden, und der Jiva kann nach Sat Lok zurückkehren. Aber solange diese Umhüllungen nicht entfernt sind, kann er seine Heimat nicht erreichen. Diese Hüllen können außer durch Shabd, den Dienst und die Liebe für den Sat Guru nicht entfernt werden.

246. Solange die Seele nicht über den Bereich von Alakh hinausgelangt, kann sie nicht befreit werden. Dieses Alakh (Unsichtbare) umfaßt das Gemüt und Kal; und Kal fährt damit fort, die Jivas zu verschlingen, aber wir können ihn nicht sehen. Ein wahrer Sucher sollte sich dem Sat Guru übergeben und alles andere aufgeben. Dann wird er Erfolg haben, denn die Heiligen haben dieses Alakh gesehen, und sie allein können die Seele über die Grenzen des Unsichtbaren hinaustragen.

Niemand in den drei Welten und keiner der Inkarnationen und Götter hat die Grenzen von Alakh überwunden. Aber die Heiligen haben sie überschritten. Daher kann man die Grenzen von Kal nur überschreiten, wenn man Zuflucht bei einem Heiligen sucht. Wer aber seinen Glauben auf jene gründet, die bereits von uns gegangen sind, und keinen Glauben und keine Liebe für den vollkommenen Sat Guru dieser Zeit besitzt, der ist nicht fähig, die innersten Mysterien der Heiligen zu erkennen und dem Netz von Kal zu entkommen.

247. Es heißt, daß ein Mensch, der zu den heiligen Füßen Haris (Gottes) Zuflucht nimmt, erlöst wird. Aber bedenkt doch - wo kann Ihn die gefangene Seele finden? Er wird als formlos und körperlos beschrieben. Wenn man zu seinen Füßen Zuflucht nehmen soll, muß Er auch Füße besitzen; und wenn Er Füße hat, so muß er auch einen Körper haben. Wo findet man solch einen Gott? Die Heiligen erklären, daß dies bedeutet, Zuflucht beim Sat Guru zu suchen, da Gott und der Guru eins sind. Daher sollten wir

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den Schutz eines lebenden Sat Gurus suchen. Dann werden wir Naam erhalten, das Patit Udharan (der Erlöser der Sünder) genannt wird. Die Übung von Naam wird in der Gesellschaft der Sadhs möglich sein - das bedeutet, zuerst jede schlechte Gesellschaft aufzugeben und Zuflucht in der Gemeinschaft der Sadhs zu suchen - dann wird die Übung (von Naam) möglich sein. Man sollte wissen, daß die Gesellschaft von Vater, Mutter, Sohn, Frau und weltlichen Menschen (für diese Zielsetzung) eine schlechte Gesellschaft darstellt, denn in ihrer Begleitung ist es weder möglich, Zuflucht beim Sat Guru zu suchen, noch Naam zu erhalten oder bei den Sadhs zu verweilen. Aber wenn ein vollendeter Sat Guru es wünscht, kann er durch seine Güte und Barmherzigkeit alles möglich machen.

248. Tatsächlich gibt es keinen Widerspruch zwischen den Übungen der Heiligen und denen der vedischen Religion, aber das Ideal der Heiligen ist viel höher als das der Veden. Die Veden legen großen Wert auf Karma198 und Upasna, und auch die Heiligen bestehen darauf; aber sie lehren, daß der Dienst für den Sat Guru mit Körper, Geist und Besitz und die Anwesenheit bei seinem Satsang das Karma ist, und daß die innere Hinwendung des Surat an Naam oder Shabd - das Geheimnis, das uns vom Sat Guru gegeben wurde - unser Upasna ist.

Beide, der Jiva und Ishwar, werden in den Veden als in drei Formen existierend beschrieben. Vishwa, Tejas und Pragya sind die drei Formen des Jiva; und Vairat, Hiranyagarbha und Avyakrita sind die drei Formen von Ishwar (des Schöpfers). Die Gyanis von heute glauben nicht an die Existenz Gottes. Sie sagen, daß eine Ansammlung von Individuen als eine Gruppe bezeichnet wird und daß tausend Soldaten zusammengenommen ein Regiment bilden. Genauso sei der Begriff Ishwar zu verstehen. Wenn nämlich die Teile des Ganzen getrennt werden, verschwindet auch sein Name - wenn man also die verschiedenen

198 Hier sind Handlungen gemeint, die eine Erhebung der Seele bewirken sollen; in den Veden waren dies rituelle Handlungen. Die „Karmas“ Handlungen zur Befreiung der Seele werden in Sant Mat anderes definiert.

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Bestandteile Ishwars von einander trennt, dann gibt es keinen Ishwar mehr.

Wenn es keinen Ishwar gibt, wessen Upasna soll man dann verrichten? Denn Upasna ist ohne Name, Gestalt, Handlung und Ort nicht möglich199. Die Menschen sind diesem Irrtum verfallen, weil ihr Wissen hauptsächlich theoretisch ist, durch Lesen von Büchern angeeignet und durch analytisches Denken entstanden, jedoch ohne Karma und Upasna.

Selbst wenn man durch Upasna (wie in den Veden beschrieben) echtes Wissen erlangt, kann man sich nicht über die Grenzen des Karma erheben, wie es von den Heiligen verstanden wird. Die wirkliche Region der Heiligen liegt viel weiter und höher als diese Bereiche. Die Karmas200, die in den Veden beschrieben werden, beziehen sich auf die vergangenen Yugas. Sie können von den Jivas der heutigen Zeit weder richtig durchgeführt werden, noch würden sie jetzt diese Frucht201 bringen. Wenn heute jemand Karmas durchführen möchte202, sollte er das nur unter der Führung eines Heiligen tun; und wenn Upasna verrichtet werden soll (wenn man spirituelle Übungen ausführen will), kann man das nur mit der Gnade eines Heiligen tun. Nur dann wird es Früchte tragen - das heißt, nur dann wird der Ausübende das Ziel der Veden erreichen und darüber hinaus gelangen. In diesem Zeitalter ist es nicht möglich, irgend etwas auf eine andere Weise zu erreichen.

249. Niemand außer einem Bhakta kann zum Durbar Gottes Zutritt erhalten. Rishis, Munis, Yogis, Jatis, Gyanis, Sanyasis und Paramhansas konnten, obwohl sie ihrem Ideal vollkommen

199 „Upasna“ bedeutet, bei dem Gegenstand der Verehrung in Andacht zu verweilen - also braucht man eine Gestalt (des Verehrten), die man benennen kann (Name) und bei der man (an einem Ort) verweilt und sie anbetet (die Handlung der Anbetung). 200 Rituelle Handlungen; damit sind also nicht weltliche Karmas gemeint, sondern spirituelle Handlungen, die Mukti (Erlösung) bewirken sollen. 201 Die „Frucht“ wäre das Erheben der Seele ins Jenseits. 202 Wenn man etwas tun will, das die Befreiung der Seele bewirkt.

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entsprachen, den Durbar Gottes nicht betreten, weil sie alle voller Ego waren und keinen Guru hatten. Es gelang ihnen nicht, einen Sant Sat Guru zu finden. Wie können jene, die nur Bücher gelesen und nur ein Viertel der nötigen spirituellen Anstrengung eingesetzt haben und sogar den Sat Guru verleumden, sich als vollkommen bezeichnen und glauben, daß sie den Durbar (den Hof) des Herrn betreten dürfen? Nun, alle sollten es als wahr erachten, daß die Hingabe an den Sant Sat Guru die Hingabe an den Höchsten Herrn ist, denn es gibt keinen Unterschied zwischen dem vollkommenen Sat Guru dieser Zeit und dem höchsten Wesen. Beide sind eins.

250. Wenn jemand von einem vollkommenen Sat Guru angenommen wird, ihn liebt und an ihn glaubt und ihm hingebungsvoll dient, und der Guru stirbt, bevor er Fortschritte machen konnte, sollte er mit Liebe und Glauben fortfahren und sich in seine Gestalt vertiefen203 und die Übungen verrichten, die ihm sein Guru vorgeschrieben hat. Am Ende wird der Sat Guru sein Werk genau in dieser Gestalt in dem Ausmaß verrichten, wie es der Schüler verdient.

251. Wenn jemand erst einen Lehrer findet, der das Geheimnis von Shabd nicht kennt, später jedoch einen Sat Guru findet, der mit Shabd vertraut ist, so sollte er den ersten aufgeben und sich dem Sat Guru unterwerfen. Ein Vers sagt: "Zögere nicht, einen falschen (unvollkommenen) Guru aufzugeben, denn sonst wirst die Pforten von Shabd nicht finden und immer wieder den richtigen Weg verfehlen." Vielmehr sollte auch dieser Guru zusammen mit dem Schüler Zuflucht beim vollkommenen Sat Guru suchen und dadurch seine eigene Erlösung bewirken.

252. Wenn man einen Guru findet, der das Geheimnis von Shabd kennt, aber noch nicht vollendet ist, und man später einen vollendeten Sat Guru findet, sollte man den Schutz des vollkommenen Sat Guru suchen und seinen früheren Guru als eins mit dem vollendeten Sat Guru sehen. Sein Lehrer sollte diesem Beispiel folgen. Wenn er aber eifersüchtig und stolz ist, wird er

203 Die wahre Gestalt des Gurus ist das innere Licht und der Ton.

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sich dem vollendeten Sat Guru nicht unterwerfen. Der Schüler sollte sich dann von ihm abwenden und beim vollendeten Sat Guru Zuflucht nehmen.

253. Wenn du den Sat Guru als den Herrn angenommen hast, wie kannst du dann einen anderen als Herrn anerkennen oder anbeten oder ihn als Höchsten ansehen? Du hast nur einen Herrn, und das ist der Sat Guru. Dein Ziel wird anfangs vom Meister in seiner physischen Gestalt verkörpert, in der Er sich selbst offenbart. Seine andere Gestalt ist die des Höchsten Wesens - das ist Sat Purush Radha Soami - und er allein ist dein Wahrer Herr.

254. Es wird erzählt, daß an einem bestimmten Ort im Deccan204 einmal ein Fakir lebte, der ein vollendeter Guru war. Einer seiner Schüler war ein vollendeter Gurmukh. Eines Tages kam während des Satsang ein moslemischer Maulvi (Priester), der auf eine Pilgerfahrt nach Mekka aufbrach, zu dem Fakir und sagte, daß Mekka und Kaaba sehr heilige Andachtsorte seien und auch die Schüler des Fakirs diese Plätze besuchen sollten. Und er begann diese Orte zu rühmen. Darüber wurde dieser führende Schüler, der beim Fakir saß, sehr ungehalten und er packte den Maulvi am Nacken, drückte seinen Kopf zu den Füßen des Fakirs hinunter und sagte: "Seht! in diesen Füßen sind Millionen von Mekkas und Kaabas." Als der Fakir hinaus ging, um seine Notdurft zu verrichten, gab es eine heiße Diskussion zwischen dem Maulvi und dem Schüler. Als der Fakir zurückkam, beschwerte sich der Maulvi über das Verhalten des Schülers. Der Guru Sahib erklärte nun seinem Schüler, daß die Kaaba wirklich ein heiliger Ort sei, wie der Maulvi gesagt hatte, und einen Besuch wert sei. Er fügte hinzu: "Du gehst jetzt mit dem Maulvi und besuchst auch diesen Ort." Da er ein vollendeter Gurmukh war, erhob sich der Schüler und sagte mit gefalteten Händen: "Wie es dem Meister gefällt" und ging sogleich mit dem Maulvi an Bord des Schiffs (nach Mekka).

Das Schiff war erst kurze Zeit unterwegs, als es in einen heftigen Sturm geriet und zerbrach. Alle Menschen an Bord des Schiffes

204 Hochebene im Norden Indiens.

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ertranken, mit Ausnahme des Schülers, der auf einer Planke dahintrieb. Auch er war dem Sinken nahe, als eine Hand aus dem Meer auftauchte und eine Stimme sprach: "Gib mir deine Hand, daß ich dich rette." "Wer bist du?" fragte der Schüler, und die Stimme antwortete: "Ich bin der Prophet." Der Schüler antwortete: "Ich kenne den Propheten nicht. Ich kenne niemand außer meinem Sat Guru." Und die Hand verschwand.

Ein wenig später, als der Schüler durchnäßt auf der Planke daher trieb und immer wieder ins Meer eintauchte, erschien eine andere Hand und (eine Stimme) sagte: "Ergreife meine Hand, damit ich dich retten kann." Der Schüler fragte: "Wer bist du?" Die Stimme erwiderte: "Ich bin Khuda oder Ishwar (Gott)." Der Schüler sagte: "Mein Khuda (Gott) ist mein Guru. Ich kenne keinen anderen Khuda." Auch diese Hand verschwand, aber kurz darauf tauchte eine dritte Hand auf. Das war die Hand seines spirituellen Großvaters. "Ich bin der Guru deines Guru", sagte er, "gib mir deine Hand, damit ich dich retten kann." Der Schüler sagte darauf: "Ob ich nun gerettet werde oder ertrinke; ich kann meine Hand nur dem Sat Guru geben. Wer da auch kommen mag, außer der Hilfe meines Gurus nehme ich kein Angebot zu meiner Rettung an." Auch diese Hand verschwand und sogleich erschien der Guru Sahib selbst, umarmte ihn und brachte ihn sofort nach Hause.

Nun beachte, daß die Stimme des Propheten, die von Gott selbst und vom Guru seines Gurus, beabsichtigten, seinen Glauben zu prüfen; und als er diese Prüfung erfolgreich bestand und Gurumukhta (wahre Schülerschaft) bekundete, erschien der Guru Sahib selbst und rettete ihn. Die Jivas sollten so weit wie möglich versuchen, solch eine starke Liebe und Glauben für den Sat Guru entwickeln.

255. Eine Pari Vrata (eine keusche und treue Frau) sieht nur in ihrem Ehemann einen Mann. Alle anderen Männer erscheinen ihr unmännlich oder schwach. Sie vergißt sogar die Liebe zu ihren Eltern. Genauso sollten die Schüler eines Sat Guru keinen anderen außer den eigenen Guru als Gott und Gewährer der Erlösung ansehen. Was die vergangenen Heiligen betrifft, können sie an sie

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glauben, bis sie einen lebenden Sat Guru finden. Wenn sie den Sat Guru einmal gefunden haben, sollten sie ihn - wie die Pati Vrata - als Alles in Allem ansehen und an keinen anderen mehr glauben.

256. Ein Ehevermittler arrangiert die Verlobung und Eheschließung und bringt Mann und Frau zusammen. Er unterweist die Braut, niemand anderen als ihren Ehemann zu lieben und auch dem Vermittler nur so viel Beachtung zu schenken wie allen anderen. Ähnlich haben Guru Nanak und andere frühere Heilige ihre Pflichten als Mittelsmänner erfüllt - das heißt, sie haben in ihren Schriften deutlich geschrieben, daß man einen vollendeten Sat Guru suchen und seinen Schutz annehmen sollte. Alle, die diesen Rat beachten und sich dem Sat Guru unterwerfen, sollen ihn hinfort allein als ihren Gott und Meister ansehen.

257. Der Schüler sollte sich immer der Gnade und Barmherzigkeit des Sat Guru bewußt sein, und immer daran denken, wie der Sat Guru ihn aus dem Rad der Wiedergeburt befreit und die Wurzeln allen Karmas und Aberglaubens durchtrennt hat - daß er ihn von Fasten, Wallfahrten und Irrungen erlöst und ihn auf dem Pfad des Shabd gefestigt hat. Dann wird er fähig sein, den Sat Guru zu lieben, und es werden sich keine Zweifel erheben. Deshalb ist es notwendig, sich immer der Gnade und Barmherzigkeit des Sat Guru bewußt zu sein.

258. Die Zweifel und Schwierigkeiten eines Schülers können sich nicht durch Gurus auflösen, die nur Gelehrtheit besitzen, obwohl sie eine Gesellschaft gut unterhalten können. Wenn ein Jiva vier oder mehr Interpretationen eines Shloka205 bekommt, werden sich seine Zweifel nur vergrößern, weil er nicht weiß, welche er akzeptieren oder ablehnen soll. Was für das Wohl des Jiva notwendig ist, wird dabei nicht berührt und erklärt. Was kann der Jiva tun, und wie kann er den Weg zur Befreiung finden? Dazu muß er einen Guru suchen, der den Weg selbst kennt. Solange er ihn nicht findet, kann er nicht fortschreiten206. Man sollte einen

205 Ein Sanskrit-Vers mit zwei Zeilen zu je sechzehn Silben. 206 … auf dem Weg der spirituellen Entwicklung.

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vollendeten Sat Guru und sich hingebungsvoll Seva und Satsang widmen und nicht sein kostbares menschliches Leben verschleu-dern, als ob es Salz oder Mehl sei, denn in der Gesellschaft von Pandits, Bhikhs und Vachak Gyanis ist es wertvoller als Gold.

259. Die Mühen jener, die Namen wie Sat Naam oder Hari Naam rezitieren, ohne den Sat Guru zu verehren, werden keine Frucht tragen. Wer sich an dem Sat Guru zuwendet, wird Naam und auch Ram (Gott) erkennen. Wer den Sat Guru nicht liebt, obwohl er Naam von ihm empfangen hat (er initiiert worden ist), wird Naam nicht erhalten207.

260. Wie es uns die Heiligen offenbaren, wird Naam nicht mit den physischen Sinnen wahrgenommen. Aber der Name, der in den Veden erwähnt wird, ist mit physischen Sinnen wahrnehmbar. Der letztere kann deshalb nicht der wahre Name sein, und wenn der Name selbst nicht wahr ist, können seine Region und Form nicht wahr sein. Der Name, den die Heiligen geben, ist wahr und seine Gestalt und Region sind wirklich. Varnatmak Naam208 kann bis zu einem gewissen Grad reinigen, aber es kann die Seele nicht emporziehen. Mit Hilfe des Dhunatmak Naam209 kann der Surat von Pind nach Brahmand aufsteigen und von dort zu seiner wahren Heimat Sat Lok gelangen. Und dieses Dhunatmak Naam kann man nur von den Heiligen bekommen, von niemandem sonst. Nur mit einem außerordentlich guten Schicksal kann man dieses Naam erhalten.

261. Im Falle irgendeines Leides sollten wir stets an den Sat Guru denken, der sich in seiner Nij Rup (wahren Gestalt) immer beim Schüler befindet. Kal und Karma können sich dieser Gestalt nicht nähern. Sie können den Schüler nur aus der Entfernung ängstigen, weil sie selbst Angst (vor dieser Gestalt) haben. Man braucht sich vor nichts zu fürchten, wenn man im Schoß des Sat

207 Wer initiiert worden ist, also eine Erfahrung von Naam bekommen hat, und die Liebe zum Guru nicht entwickelt, der kann diese Erfahrung zeitweise wieder verlieren. Eine größere Erfahrung von Naam ist erst durch die Entwicklung der Liebe möglich. 208 Das gesprochene Wort. 209 Das aus sich selbst erklingende Wort.

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Guru ist. Der Sat Guru ist immer bei seinen Schülern, um sie zu beschützen und für sie zu sorgen.

Der Schüler kann nicht erkennen, worin Sein Mauj (Gottes Wille) besteht und was Er für ratsam hält, doch der Sat Guru weiß es sehr wohl. Doch wenn es ihm gefällt, kann er es auch den Schüler wissen lassen. Er ist Shabd Rup (die Verkörperung von Shabd), Surat Rup (die Verkörperung des Surat), Prem Rup (die Verkörperung der Liebe), Anand Rup (die Verkörperung der Seligkeit), Harsh Rup (die Verkörperung des Glücks), und er ist auch Arup (ohne jede Form).

262. In seiner Güte sorgt sich der Sat Guru immer um den Jiva und wünscht sich, daß alle seine Schüler große Liebe und Glauben in seine Füße haben; aber das Gemüt möchte nicht, daß der Jiva diesen Zustand erreicht. Es versucht deshalb, ihn zu den sinnlichen Vergnügungen hinzuziehen und möchte, daß der Jiva seinem Diktat gehorcht. Der Jiva sollte deshalb mit seiner Hingabe zu den Füßen des Sat Gurus fortfahren und sich vor dem Hinterhalt des Gemüts hüten und darauf achten, nicht in seine Falle zu gehen.

Hiermit wird in Kürze die Art des Gurmukhs und des Manmukhs geschildert, um den Jiva in die Lage zu versetzen, sein Verhalten immer wieder zu prüfen und zu verbessern. Der Jiva sollte damit fortfahren, diesen Test bei sich selbst anzuwenden.

1. Die Handlungsweise eines Gurmukh ist immer ehrlich und aufrichtig. Er vermeidet Böses und betrügt niemanden. Was immer er auch tut, tut er für den Sat Guru und vertraut auf seine Gnade.

Ein Manmukh ist listig und falsch in seinem Tun und wird andere betrügen, um seine eigenen Interessen zu wahren. Er verläßt sich auf seine eigene Klugheit und Intelligenz und stellt sich gern zur Schau.

2. Ein Gurmukh beherrscht seinen Geist und seine Sinne und ist von Herzen demütig. Er erduldet spöttische Worte, nimmt gern einen Rat an und strebt nicht nach Ruhm.

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Ein Manmukh möchte sein Gemüt nicht zügeln. Er will sich keinem unterordnen und niemandem gehorchen und beneidet andere um ihre Größe.

3. Ein Gurmukh unterdrückt niemand. Er ist stets gewillt, zu dienen und anderen eine Freude zu bereiten, und möchte anderen Gutes tun. Er strebt nicht nach Ruhm und Ehre, sondern ist stets glücklich und in Gedanken an seinen Sat Guru und seine heiligen Füße vertieft.

Ein Manmukh beherrscht andere und bringt sie dazu, ihm zu dienen. Er sucht Ehre und kümmert sich nur um andere, wenn es seinen selbstsüchtigen Interessen dient. Er freut sich, wenn man ihn ehrt und viel Aufhebens um ihn macht; und er bleibt NICHT in die heiligen Füße des Sat Guru vertieft.

4. Ein Gurmukh gibt niemals Güte und Demut auf. Er ärgert sich nicht, wenn man ihn verleumdet oder kränkt oder mißachtet. Er nimmt das alles zu seinem Besten hin.

Ein Manmukh fürchtet Verleumdung und Schande, kann Mißachtung nicht ertragen und möchte gern gelobt werden.

5. Ein Gurmukh dient immer voller Freude und ist nicht gern untätig.

Ein Manmukh verlangt nach körperlicher Ruhe und Bequemlichkeit und dient nur lustlos.

6. Ein Gurmukh führt ein einfaches und demütiges Leben. Er ist zufrieden, mit dem zu leben, was ihm zufällt, sei es trockenes und ungebuttertes Brot210 oder grobe und einfache Kleidung.

Ein Manmukh liebt und verlangt stets erlesene Speisen. Es gefällt ihm nicht, nur mit trockenem und ungebuttertem Brot und mit Dingen von geringem Wert zu leben.

210 In Indien dieser Zeit bestand das „Brot“ aus Chapatis (Fladenbrote), die man gut auch ohne Butter essen kann.

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7. Ein Gurmukh beschäftigt sich nicht mit irdischen Gütern und den Bindungen211 der Welt und empfindet weder Freude noch Schmerz, wenn er sie verliert oder bekommt. Er regt sich nicht auf, wenn man ihn dumm anredet. Er achtet auf die Befreiung seiner Seele und darauf, wie er seinem Sat Guru gefallen kann.

Ein Manmukh denkt zu viel an die Welt und an ihre Güter. Es schmerzt ihn, wenn er sie verliert, und es freut ihn, wenn er sie bekommt. Wenn man ihn grob anspricht, gerät er sofort in Wut, vergißt die Gnade und Macht des Sat Guru und baut nicht mehr auf ihn.

8. Ein Gurmukh ist offen und ehrlich in allen Dingen. Er ist von toleranter Gesinnung, hilft anderen und wünscht ihnen Gutes. Er ist mit wenig zufrieden und möchte anderen nichts wegnehmen.

Ein Manmukh ist habsüchtig. Er ist stets bereit, anderen etwas wegzunehmen, will aber nichts hergeben. Er denkt bei allem stets an seinen Vorteil und sorgt sich nicht um andere. Er vergrößert ständig seine Wünsche und handelt nicht aufrichtig.

9. Ein Gurmukh hängt nicht sehr an weltlichen Menschen. Er ist nicht auf Vergnügen und Freuden aus und macht sich nichts daraus. Er verlangt nicht nach Sehenswürdigkeiten und Unterhaltung. Sein einziger Wunsch ist es, zu seinen Füßen zu verweilen212 und in dieses Glück vertieft zu bleiben.

Ein Manmukh liebt weltliche Menschen und Dinge, und er sucht Vergnügen und Freuden. Sehenswürdigkeiten und Unterhaltung machen ihn glücklich.

10. Mit allem, was ein Gurmukh tut, will er seinem Sat Guru eine Freude bereiten und fleht um seine Gnade und

211 „meshes of the world“ - Netze der Welt: die Dinge, die uns an die Welt binden, vornehmlich die Freuden. 212 Das heißt, der Gurmukh ist ständig in den inneren Ton vertieft, der ihm dieses Glück zuteil werden läßt.

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Barmherzigkeit. Er rühmt allein den Sat Guru; er möchte nur ihn geehrt sehen und hat keine weltlichen Wünsche mehr.

Ein Manmukh hat bei allem, was er tut, nur seinen Vorteil oder sein Vergnügen im Sinn, denn er kann nichts unternehmen, was nicht zu seinem Vorteil ist. Er möchte gelobt und geehrt werden, und er wird von weltlichen Wünschen beherrscht.

11. Ein Gurmukh ist niemandem feindlich gesonnen; er liebt im Gegenteil selbst jene, die ihm feindlich gesonnen sind. Er ist nicht stolz auf seine Familie, seine Herkunft, seine Stellung oder seine Freundschaft mit bedeutenden Menschen. Er fühlt sich mehr zu hingebungsvollen und spirituell gesinnten Menschen hingezogen. Er achtet immer auf seine Liebe und Hingabe für die Füße des Sat Guru und wünscht stets, mehr und mehr Gnade und Barmherzigkeit des Sat Guru zu erlangen.

Ein Manmukh strebt danach, eine große Familie und viele Freunde zu haben. Er macht reichen und einflußreichen Menschen den Hof und ist stolz auf seine Freundschaft mit ihnen sowie auf seine eigene Stellung. Er stellt sein Tun stets zur Schau und kümmert sich kaum um die Zustimmung des Sat Guru.

12. Ein Gurmukh leidet nicht unter Armut und Not, sondern erträgt tapfer jedes Unglück, das ihn befällt, und vertraut auf die Gnade des Sat Guru und ist ihm dankbar.

Ein Manmukh verzweifelt schnell bei einem Unglück und schreit laut um Hilfe. Es schmerzt ihn und er murrt, wenn er arm ist.

13. Ein Gurmukh überläßt alles dem Mauj (dem göttlichen Willen) und ob er nun gut oder schlecht für ihn ausfällt, wird er sein Ego nicht ins Spiel bringen. Er wird weder die eigene Meinung durchzusetzen suchen, noch die Hohlheit anderer aufzeigen. Er wird sich nicht in Streitereien hineinziehen lassen. Er wird immer auf den Mauj des Sat Guru achten und seine Tage mit dem Lobpreis des Satguru verbringen.

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Ein Manmukh wird sich immer durchsetzen wollen. Um seiner eigenen Freude und seines Vorteils willen unternimmt er Dinge, die Zank und Streit mit sich bringen. Er ärgert sich und ist sogar zu einem Streit bereit, um seine Meinung durchzusetzen.

14. Ein Gurmukh läuft nicht hinter neuen und ungewöhnlichen Dingen her, denn er sieht, daß sie ihren Ursprung in der materiellen Welt haben. Er verbirgt seine Tugenden vor der Welt und möchte nicht gelobt werden. Von allem, was er sieht und hört, wählt er das aus, was seine Hingabe und Liebe für den Sat Guru mehrt und fährt damit fort, das Lob seines Sat Guru zu besingen, der die Quelle alles Guten ist.

Ein Manmukh ist stets darauf aus, neue und ungewöhnliche Dinge zu sehen und zu hören. Begierig erkundet er die Geheimnisse und privaten Angelegenheiten von anderen. Er versucht stets, seine Schlauheit zu mehren, indem er überall Informationen sammelt, damit er sein großes Wissen zur Schau stellen und Lob ernten kann. Er ist hoch erfreut, wenn man ihn lobt.

15. Ein Gurmukh wendet sich regelmäßig Parmarthi (seinen spirituellen Übungen) zu. Er baut stets auf die Gnade und die Barmherzigkeit des Sat Guru und bewahrt sich einen unerschütterlichen Glauben an seine heiligen Füße.

Ein Manmukh ist bei allem hastig und möchte gern alles schnell erledigen. In seiner Eile vergißt er immer wieder, sich auf die Gnade und die Barmherzigkeit des Sat Guru und auf seinen Bachan (Worte) zu verlassen.

16. Alles, was nun über das Verhalten eines Gurmukh gesagt wurde, kann man sich nur durch die Gnade des Sat Gurus aneignen. Nur wem er seine Gnade erweist, der wird dieses Geschenk empfangen. Wer seine heiligen Füße liebt und an Ihn glaubt, wird diese Gabe eines Tages gewiß erhalten. Die Liebe für die heiligen Füße (die Offenbarungen von Naam) des Sat Guru ist die Quelle aller Tugenden. Wer das Geschenk der Liebe erhält, dem werden alle Tugenden ganz von selbst

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zufallen. Dann werden alle Manmukh-Eigenschaften in einem Augenblick verschwinden.

263. Außer Sat Guru Bhakti und Shabd Bhakti haben die Heiligen in diesem Yuga keinen anderen Weg für die Befreiung der Jivas aufgezeigt. Auch die Veden und die Puranas haben diesen Weg beschrieben: nämlich Upasna213 für den Sat Guru und Naam für die Erlösung des Jiva im Kali Yuga - das kann man durch viele Zitate belegen.

Die Verehrung von Göttern, Pilgerfahrten, Fasten, Rezitationen, Kasteiungen, Weihungen, Opfer, Rituale und Zeremonien sowie Kriya-Yoga, Hatha-Yoga und Ashtang-Yoga waren alle für die vergangenen Yugas bestimmt. In diesem Zeitalter können sie weder korrekt durchgeführt werden, noch kann man damit die Frucht ernten, die zur Erlösung der Seele führt. Aus diesem Grund sind sie gänzlich abzulehnen. Nun betrachte sorgfältig den Zustand jener, die an diesen Übungen aus reinem Starrsinn festhalten. In erster Linie sind sie nicht fähig, sie so zu verrichten, wie sie auszuführen wären, und wenn es oberflächlich auch aussieht, als ob sie erfolgreich ausgeführt werden, führt das nur zu Ahankar (Stolz) und statt den Antahkaran (Geist) zu läutern, wird dieser noch unreiner und sündiger. Darum ist es die Pflicht der Jivas, vor dieser Falle auf der Hut zu sein, und nicht Körper, Gemüt und Besitz mit solchen Übungen zu verschwenden.

Beachte sorgfältig, daß jene, die solche Praktiken befürworten, das entweder für ihren Lebensunterhalt oder aus Egoismus tun. Sie predigen diese Lehren entweder, um davon zu leben zu oder um Respekt und Ansehen zu erwerben, und kümmern sich überhaupt nicht um das Wohlergehen der Jivas und demzufolge sollte man ihnen nicht folgen. Viele Zitate aus den Werken der Heiligen zeigen eindeutig, daß diese Übungen im Kali Yuga ganz verboten sind. Und jene, die diese Anweisungen nicht befolgen, sind entweder weltlich orientierte Menschen oder beruflich damit beschäftigt (sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit der Verbreitung dieser Methoden) oder voller Selbstsucht - diese

213 Die Gemeinschaft mit dem Satguru und die Liebe für ihn.

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Anweisungen sind nicht für solche Menschen bestimmt. Nachdenkliche und ernsthaft Suchende werden mit etwas Überlegung herausfinden, ob das korrekt ist, was die Heiligen und Mahatmas sagten, als sie die früher ausgeübten Rituale und Formen der Anbetung abgelehnt haben.

Götzenanbetung war ursprünglich als eine Methode zur Konzentration des Geistes und des Chitta (der Substanz des Geistes) bestimmt, ist aber heute nur mehr ein Zeitvertreib. Keiner konzentriert mehr seine Aufmerksamkeit für ein oder zwei Stunden mit Liebe und Hingabe auf ein Götzenbild. Wie kann man (heute) zu den Ergebnissen kommen, die sich die Mahatmas der alten Zeit von diesen Übungen versprachen? Auf der anderen Seite fließt der Geistesstrom nach außen, um sich an Vergnügungen zu erfreuen, was nur zu Verlust statt zu Gewinn führt.

Das gleiche gilt für Pilgerreisen. Früher lebten Heilige und Mahatmas an diesen Stätten, und jenen, die dort hingingen, wurde ihr Antahkaran (Verstand, Geist) durch den Darshan und Satsang der Heiligen gereinigt. Wohingegen sie heutzutage nach dem Bad im Ganges, im Yamuna oder in anderen Gewässern den Rest ihrer Zeit mit Umherstreifen auf dem Bazar verbringen, Souvenirs erwerben oder essen und trinken sowie Vorkehrungen für Bhandaras (Feste) treffen. Satsang und das Zurückziehen des Geistes sind bei so einem Lärm und Gedränge und bei einer solchen Unruhe kaum möglich. Die Pilgerfahrten sind zu Jahrmärkten und Darbietungen entartet, und der Nutzen dieser Pilgerreisen hat sich ins Gegenteil gekehrt (im Gegensatz zu dem, was man von ihnen erwartet).

Ähnlich verhält es sich mit Japas (Rezitation) und Tapas (Kasteiung), sie werden blind oder der Zurschaustellung wegen ausgeübt, ohne den geringsten Versuch, den Verstand zu kontrollieren. Daher führt auch dies nur zu Verlust anstatt zu Gewinn. Jahre werden mit Japa (Rezitation) verbracht, und wenn man genau hinschaut, wird man keinen geistigen Fortschritt, sondern eher eine Zunahme der weltlichen Wünsche erkennen.

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Selbst wirklich hingebungsvolle und einfache Menschen verlieren ihre Hingabe in der Gesellschaft von solch berufsmäßig handelnden, weltlichen Menschen und verschwenden ihre Zeit mit fruchtlosen Übungen. Dies ist nicht die Zeit für Kriya-Yoga214 und Ashtang-Yoga. Weder sind heutzutage die Körper stark genug, um diese Mühen ertragen zu können, noch können diese Übungen korrekt ausgeführt werden, weil es unmöglich ist, die Sanyam (vorgeschriebenen Verhaltensregeln) zu beachten. Darum führt auch dies zu den entgegengesetzten Resultaten.

Auf diese Art und Weise wurde auch das Fasten zum Feste, denn delikate Gerichte werden eigens für diesen Tag zubereitet. So endet das Fasten mit Trägheit und Schlaf - nicht eine Spur von Hingabe oder Verehrung ist mehr vorhanden.

Solche Praktiken führen zu großem Egoismus, der die Wurzel aller Sünden ist. Dasselbe gilt für alle anderen rituellen Bräuche. Durch ein wenig Nachdenken kann man sich überzeugen, daß sie heutzutage zu keinerlei spirituellem Erfolg führen. Im Gegenteil, sie machen den Verstand und Chitta215 noch unreiner und egoistischer.

Einige Leute lesen Bücher über Gyan (wahres Wissen), die als ein Teil der Vedanta Shastras beschrieben werden. Sie nehmen das Wissen auf und glauben, sie seien selbst Gyanis und Inkarnationen von Brahm. Dieser Weg ist jetzt weit verbreitet und sehr irreführend.

In erster Linie stimmt das Gyan, das heutzutage gelehrt wird, nicht mit der Lehre der Veden überein. Es würde nur dann mit den Veden übereinstimmen, wenn all seine Elemente erfüllt wären; das heißt, man wäre nur berechtigt, Gyan zu empfangen, wenn man durch die Ausführung von Karma und Upasna die vier Sadhans (spirituelle Übungen) vollendet hätte. Die jüngsten Bücher über Gyan enthalten jedoch keinen Hinweis auf Karma und Upasna. Wie und woher können sie Gyan empfangen? Aus 214 Eine Art von Kundalini-Yoga, bei dem die Lebenskräfte kontrolliert werden . 215 Geistige Schwingungen oder Gedanken.

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den Büchern geht hervor, daß das Lesen der Bücher über Gyan, das Nachdenken darüber und das geistige Verinnerlichen ihres Inhalts Karma und Upasna darstellen sollen. Waren dann Vyasa und Vashisht216 und die vergangenen Gyanis, die Gyan durch Yoga-Praktiken erreichten, unwissend und haben ihre Zeit unnötigerweise verschwendet und so viele Mühen auf sich genommen? Die Art von Gyan, die heute üblich ist, läßt sich in wenigen Tagen von jedem leicht erlernen. Deren Sadhana (Übungen) und Siddhant (Ideal) besteht lediglich darin, ein paar Bücher zu lesen und zu verstehen. Sie spüren nicht das Verlangen, das Gemüt zu reinigen und zur Ruhe zu bringen. Worin besteht dann der Unterschied zwischen einem Gyani und einem Agyani (einer unwissenden Person)? Er besteht nur darin, daß der eine über Gyan spricht - doch beide verhalten sich gleich.

Die Befreiung des Jiva kann nicht durch bloßes Reden sichergestellt werden. Der Knoten von Jar (Materie, Unbewußtheit) und von Chetan (Geist, Bewußtheit), der durch Yoga-Übungen immer gelöst wurde, kann nicht durch reine verbale Äußerungen gelöst werden. Führt man sich dies vor Augen, so wird unmißverständlich klar, daß Gelehrtheit allein niemals zur Befreiung des Jiva oder zur Kontrolle des Gemütes und der Sinne führen kann.

Wenn nun weder die Karmas217 (die rituellen Bräuche) der vergangenen Yugas, noch Ashtang-Yoga möglich sind, wie kann man dann Gyan (Wissen, direkte innere Erkenntnis), das die Frucht dieser Übungen ist, erlangen? Das zeigt, daß das, was die heutigen Gyanis sagen und glauben, nur Bücherwissen ist. Das ist, wie wenn ein hungriger Mensch von Süßigkeiten spricht und sie eingehend beschreibt; doch dieses Reden kann weder seinen Hunger stillen, noch seinen Gaumen befriedigen. Die Heiligen haben deshalb während des Kali Yugas den Gyan Mat (den Weg des Wissens) ganz aufgegeben und die Jivas angewiesen, für ihre geistige Erhebung und Befreiung Sat Guru Bhakti und Shabd

216 Weise der vedischen Zeit Indiens. 217 Karma bedeutet hier: Handlungen für den Erwerb eines religiösen Verdienstes.

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Bhakti (die Liebe oder Hingabe an den Satguru und die Hingabe an Shabd) zu üben. Die Stolzen und die Gelehrten und jene, die ihren Lebensunterhalt mit der Religion verdienen, werden diese Aussage kritisieren und Anstoß daran nehmen; doch jene Jivas, die wahre Sucher sind, werden ernsthaft über diesen Bachan nachdenken und ihn annehmen.

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